kassiber 49 - Mai 2002

Stichworte zur Orts-, Organisations- und Identitätsdebatte rund ums 5. Antirassistische Grenzcamp. Oder: Warum dieses Jahr die Musik in Thüringen spielt?!

Trans-identitäre Organisierung & Hybridität - Heiliger Goldfisch, was ist denn das!?


Glücklich sicherlich nicht, aber unterhalten (und obendrein auf den Boden der Tatsachen geholt), dürfte sich fühlen, wer in den letzten Monaten Zugang zur internen Mailing-Liste der Antirassistischen Grenzcamp-Community hatte. Denn geboten wurde dort so manches, nicht zuletzt ein fulminanter Debatten-Showdown rund um die Frage, ob und wie das mehrheitlich deutsch-weiße Grenzcampvölkchen gezielt mit MigrantInnen- und Flüchtlingszusammenhängen kooperieren sollte, auf daß langfristig nicht nur die deutsch-weißen Dominanzen innerhalb linksradikaler Zusammenhänge ausgehebelt, sondern auch trans-identitäre, mehr noch: hybride Bündnisse geschmiedet werden können.

Aufhänger der Debatte ist indessen ein anderer gewesen, nämlich die Frage danach, wo denn das 5. Antirassistische Grenzcamp im Jahre 2002 seine Zelte aufschlagen sollte: in Hamburg (als unmittelbarer Fortsetzung des Frankfurter Grenzcamps) oder in Thüringen (als Wiederanknüpfung an die ersten drei Grenzcamps). Pikant hieran ist weniger das schon oft ausgewalzte Spannungsverhältnis zwischen westdeutscher Metropole und ostdeutscher Provinz gewesen (einschließlich des unter westdeutschen Linksradikalen gerne kultivierten Anti-Zonen-Chauvinismus). Nein, pikant ist vielmehr gewesen, daß sich für Thüringen in erster Linie die Flüchtlingsselbstorganisationen ‚The Voice' sowie ‚Brandenburger Flüchtlingsinitiative' stark gemacht haben. Denn hierdurch ist im Gewande der Ortsfrage ein ganz anderes Problem akut geworden, das eben schon erwähnte Problem, ob und wie weiße AntirassistInnen ihre Dominanzen (inklusive ihrer Weißheit) anzugehen und so von ihrer Seite aus (!) die Voraussetzung für trans-identitäre Bündnisse zu schaffen hätten. Diese Überlappung zweier gänzlich unterschiedlicher Fragestellungen hat die Debatte einigermaßen erschwert: Während die Pro-Hamburg-Fraktion (vertreten im übrigen vor allem durch Nicht-HamburgerInnen) insbesondere die Vorzüge der Metropole gepriesen, das allerdings mit dem Vorwurf verknüpft hat, die Thüringen-BefürworterInnen würden sich in althergebrachter, d.h. moralinsaurer, Antira-Manier dem Anliegen der Flüchtlinge unterordnen und auf diese Weise einem banalisierten Menschenrechtsaktivismus Vorschub leisten, argumentierte der Thüringen-Flügel andersherum, wenn auch weniger zugespitzt. Danach sei es unumstritten, daß Hamburg das bessere Pflaster für linksradikalen Antirassismus abgäbe. Und dennoch: Die Chance, durch einen direkten Kooperationspakt mit politisch organisierten Flüchtlingen erste Schritte in Richtung trans-identitärer Organisierung zu gehen (und somit den ‚Wir-Ihr-Effekten' rassistischer Ein- und Ausschlußmechanismen das Wasser abzugraben) sei einfach zu groß, ja zu verlockend, als daß sie vergeigt werden dürfte.

So weit die überaus verkorkste Ausgangssituation. Entschieden wurde trotzdem, auf einem Treffen Anfang Dezember in Göttingen, und zwar - anders als von den meisten erwartet - zugunsten von Thüringen! Das aber blieb nicht folgenlos. Die mehr als knapp (und sicherlich merkwürdig) zustande gekommene Entscheidung war gerade mal drei Minuten alt, da entpuppte sich so manche/r Linksradikale/r einmal mehr als typisch deutscher Michel, d.h. als "typisch deutscher Verlierer" (wie es einer der Betreffenden unumwunden zugab). Nicht nur wurden die ersten Austritte aus dem Vorbereitungskreis des Grenzcamp-Projektes verkündet, nein, es wurden bereits Gegenaktivitäten in Aussicht gestellt (die mittlerweile mit eigenem Aufruf beworbenen Schill-Y-Out-Days in Hamburg). Auch wurden die bereits erwähnten Vorwürfe gegen die Thüringen-BefürworterInnen auf durchgedreht anmutende Weise zugespitzt: Die Rede war jetzt von "deutschen Antiras", die "mal wieder ihr Geschäft im Namen der Flüchtlinge gemacht" und die so - Berti Vogts läßt grüßen - einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet hätten, das antirassistische Grenzcamp-Projekt (als einem der vielversprechendsten Projekte der radikalen Linken überhaupt) an die Wand zu fahren.

Ich möchte an dieser Stelle kein weiteres Öl ins Feuer schütten. Der bizarr-schrillen Tonlagen gab es wahrlich genug ... Angesagt scheint mir vielmehr die um Verständigung bemühte Auseinandersetzung. Denn auch meines Erachtens ist das antirassistische Grenzcamp-Projekt viel zu wertvoll, als daß es im Streit aufgerieben werden dürfte. Als Parteigänger Thüringens möchte ich mich deshalb mit den Pro-Hamburg-Argumenten (= 1. Schritt) bzw. den Anti-Thüringen-Argumenten (= 2. Schritt) auseinandersetzen.


Metropole Hamburg

Für Hamburg wurden insbesondere drei Argumente ins Spiel gebracht:

Ersten die große Öffentlichkeit: In dem für die Debatte zentralen, von einem "Hamburg-Fan-Club SO 36" unterzeichneten Bewerbungsschreiben heißt es diesbezüglich: "Viel eher als in der Kleinräumigkeit an der deutsch-polnischen bzw. deutsch-tschechischen Grenze ließe sich hier eine überregionale Öffentlichkeit herstellen, die die rassistische Abschiebe- und Abschottungspolitik auf Bundesebene zum Thema macht. (...) Das Gehörtwerden und die Intervention in die laufenden Diskurse stellen wir uns in Hamburg wesentlich erfolgreicher vor als sonstwo." Denn nicht nur gäbe es in Hamburg - vergleichbar den Frankfurter Verhältnissen - eine insgesamt größere, gegenüber antirassistischen Anliegen stärker aufgeschlossene Öffentlichkeit. Nein, in Hamburg seien auch (Stichwort: Hamburg als Hort linksradikaler Bewegungsgeschichte) "linksradikale Kodierungen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt (wenngleich nicht unbedingt sympathisch)" - und somit besser vermittelbar.

Zweitens die große Themenpalette: Als Großstadt hätte Hamburg eine komplexere Sozialstruktur als z.B. Jena oder Erfurt. Es gäbe vielfältigere Milieus, Kulturen und Subkulturen, einen höheren MigrantInnenanteil, mehr staatliche und gesellschaftliche Institutionen, eine komplexere Infrastruktur (vom Hafen bis zur U-Bahn), seit jüngstem einen rassistisch-autoritären Innensenator etc. pp. Hierdurch vergrößere sich nicht nur die Zahl praktischer Interventionspunkte, nein, solche offensichtlich komplexen Verhältnisse verböten es von vorne herein, sich allzu schnell mit einfachen Analyse- und Interventionslösungen zufrieden zu geben. Einer Gefahr, der ja (westdeutsche) Linksradikale nicht ganz selten erliegen würden, nicht zuletzt im scheinbar ach so homogenen Osten ...

Drittens der Standortvorteil Hamburg: Hamburg ist großartig! "Die Elbe, der Hafen, die Schanze und der goldene Pudel, Altona und Fischmarkt, Alsterschippern und Alter Elbtunnel, Land Unter und die Hamburger Schule ... na ja, Ihr wißt schon." (Fan-Club SO 36)

Stimmig, und irgendwie doch nicht ...

Sicherlich, viele der genannten Argumente sind stimmig, jedenfalls im großen und ganzen. Und dennoch: Bei näherer Draufsicht fällt so manches Argument fragwürdiger bzw. weniger stichhaltig aus, als es auf den ersten Blick erscheinen mag.

Zur "Großen Öffentlichkeit": Daß die Pressereaktionen in Frankfurt derart reichhaltig gewesen sind, hatte weniger mit großstadtähnlichen Verhältnissen zu tun als vielmehr mit zweierlei Besonderheiten. Zum einen ist das Grenzcamp seitens der Öffentlichkeit (nicht zuletzt der ausländischen) direkt mit dem Anti-Globalisierungs-Widerstand in Göteborg und Genua in Verbindung gebracht worden. Das hat viele Extra-Aufmerksamkeits-Credits eingebracht. Zum anderen ist die Idee, das hochsensible (!) Gebilde "Frankfurter Flughafen" zu attackieren, ein echter Clou gewesen, ein Clou, welcher ebenfalls zusätzliche, anderswo nicht so ohne weiteres erzielbare Aufmerksamkeit beschert hat. Desweiteren stimmt es wohl, daß in Hamburg von einer potentiell größeren Öffentlichkeit ausgegangen werden kann, allein, deren Bedeutsamkeit sollte nicht überschätzt werden. Denn um tatsächlich politischen Druck aufbauen zu können (und um den geht es ja letztlich), bedarf es mehr als kurzer Momente öffentlicher, nicht zuletzt medialer Präsenz. Wachsender Druck verdankt sich vielmehr direkten Mobilisierungserfolgen, d.h. dem Umstand, daß immer mehr (!) Menschen bereit sind, auf eine bestimmte, z.B. antirassistische, Weise Position zu beziehen und so politischen Druck aufzubauen. Wie aber kommt es zu Mobilisierungserfolgen? Einerseits durch öffentliche Präsenz. Klar! Andererseits durch unsere Bereitschaft (ob in Thüringen, Hamburg oder sonstwo), immer wieder offen auf alle die zuzugehen, die uns zwar irgendwie nahestehen und die deshalb (bei öffentlicher Präsenz!) immer wieder aufhorchen, die sich aber noch nicht in linksradikale Zusammenhänge verirrt haben. Just diese Bereitschaft ist indes in linksradikalen Zusammenhängen mehr als unterentwickelt. Sie herauszubilden, ist deshalb absolut erforderlich, sind wir doch andernfalls dazu verurteilt, weiterhin um unsere eigene, mehr als marginale Randexistenz zu kreiseln. So betrachtet dürfte deutlich werden, weshalb es zu kurz greift, einfach mal die Hamburger Öffentlichkeitspotentiale zu lobhudeln, ohne jedoch genauer auszuloten, ob diese unter den gegebenen Bedingungen überhaupt effektiv nutzbar sind. Oder zugespitzter noch: Was nutzt uns die schönste Öffentlichkeit, wenn wir gleichzeitig nichts bzw. nur sehr wenig daraus machen? Wenn wir von öffentlicher Wirksamkeit sprechen, sollte schließlich auch nicht vergessen werden, daß ein (trans-identitäres) 1000-Personen-Camp, davon vielleicht die Hälfte Flüchtlinge und MigrantInnen, einen ganz eigenen Ereigniswert darstellt und auf diese Weise so manchen thüringenspezifischen Öffentlichkeitseffekt herstellen könnte.

Zur "Großen Themenpalette": Auch dieses Argument scheint mir schief zu sitzen. Gewaltverhältnisse gibt es überall. Sie treten stets gemeinsam auf, ob in der Großstadt oder der Provinz. Auf den Punkt gebracht wird dies nicht zuletzt durch die Sprößlinge sog. "National Befreiter Zonen": Mal attackieren sie Schwule, dann verwüsten sie jüdische Friedhöfe oder jagen MigrantInnen, zünden Flüchtlingsunterkünfte an, und auch erschlagen sie von Zeit zu Zeit Obdachlose, manchmal auch Behinderte. Sie zeigen hiermit - es mag noch so bizarr sein -, daß Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus, Sexismus, Heterosexismus, Kapitalismus, Normalismus etc. nicht nur überall anzutreffen, sondern auch auf vielfältige Weise miteinander verschränkt sind. Hieraus folgt aber: Dass es in Hamburg mehr Interventionspunkte geben soll als anderswo, davon kann einfach nicht die Rede sein! Desweiteren bedeutet eine große Themenpalette noch lange nicht, daß es im Rahmen des antirassistischen Grenzcamps sinnvoll wäre, sämtliche dieser Themen aktionsförmig (!) umzusetzen. Denn nur, wo die Auswahl der Themen und Themenverknüpfungen systematisch und in strategischer Absicht erfolgt, wird thematische Vielfalt zur Stärke (Stichwort: Roter Faden!). Andernfalls droht der Eindruck allzu großer Unübersichtlichkeit oder gar Beliebigkeit. Diese Einschätzung ist innerhalb des Grenzcampzusammenhangs lange geteilt worden. Mit dem Zusatz allerdings, daß das Grenzcamp immer auch (egal an welchem Ort) Platz für Veranstaltungen, Workshops und Diskussionsrunden zu bieten und auf diese Weise Themenvielfalt zu ermöglichen habe. Die Ortsfrage mit der nach inhaltlicher Vielfalt zu verkoppeln, erscheint mir insofern nicht sonderlich plausibel. Schließlich: Der Umstand, daß (westdeutsche) Linksradikale immer wieder, nicht zuletzt im Osten, zu Simplifizierungen neigen (und so ungewollterweise der völkischen Weltsicht entgegenarbeiten, wonach so manche Ost-Zone vom "Fremden" und "Anderen" befreit sei), ist zweifelsohne blöd. Allein: Kurieren läßt sich derlei Verhalten nicht in Hamburg, sondern nur durch inhaltliche Auseinandersetzungen, und die können stattfinden, wo sie wollen, Hauptsache, sie finden statt!
Zum "Standortvorteil Hamburg": Geschenkt, Hamburg ist großartig. Insofern ist es zweifelsohne ein charmanter Schachzug des Kreuzberger Bewerbungsschreibens gewesen, Hamburg auch in dieser Hinsicht abzufeiern. Und dennoch: Dass der Flair einer Stadt in einer politischen Debatte eine derart zentrale Rolle bekommen hat (zumindest unterschwellig), ist doch ein wenig obszön (oder auch wohlstandschauvinistisch). Jedenfalls gemessen daran, dass wir es leider mit äußerst beschissenen Dingen zu tun haben, u.a. mit so etwas banal-bösem wie der Residenzpflicht, die es bestimmten Menschen schlicht verbietet, nach Lust und Flair zu leben bzw. Politik zu machen.


Zwischenbilanz

Zugestanden, viele meiner Einwände sprechen auf keinen Fall gegen, sie sprechen aber auch nicht für Hamburg. Sie zeigen lediglich, daß eine ganze Reihe der zugunsten von Hamburg ins Spiel gebrachten Argumente mitnichten so zugkräftig sind, wie es in vielen Debattenbeiträgen immer wieder als unhintergehbare Selbstverständlichkeit behauptet wurde. Insbesondere die Doppel-Problematik, erstens auf welche Weise und zweitens mit welchen Zielsetzungen "wir" beabsichtigen, Öffentlichkeit herzustellen, ist um einiges komplexer und unaufgelöster, als in den meisten Pro-Hamburg-Statements der Eindruck erweckt wird. Demgegenüber sprechen allenfalls zwei Umstände für Hamburg: Erstens ist Hamburg ist in der Tat eine attraktive Stadt und sie verfügt auch über eine (immer noch) große Szene. Im Falle eines Hamburger Camps (vielleicht ja 2003 ...) hätte das indessen beeindruckende TeilnehmerInnenströme zur Folge, einschließend diverser Rückkoppelungseffekte, welche dies (auch über Hamburg hinaus) für die linksradikale Szene mit sich brächte. Zweitens Schill: Keine Frage, Schill ist gefährlich, nicht zuletzt als modernisierter Prototyp einer sich immer autoritärer gebärdenden Innen- und Rechtspolitik. Mit der Power eines antirassistischen Grenzcamps eine diesbezügliche Kampfansage zu machen, wäre sicherlich sinnvoll!


Vom weißen Antirassismus zur trans-identitären, mehr noch: zur hybriden Organisierung

Wie eingangs schon angedeutet, hat sich das Hamburg-Lager nicht damit begnügt, Hamburg als potentielle Grenzcamp-Stätte stark zu machen. Nein, es wurde zusätzlich (so wie in jeder hundsgemeinen Wahlkampagne auch) explizit gegen Thüringen argumentiert, mitunter polemisiert. Und das auf zweierlei Weise: Zum einen wurden viele der Pro-Hamburg-Argumente nicht nur positiv, sondern auch negativ, d.h. als Anti-Thüringen-Argumente, in die Waagschale geworfen. Eine sattsam bekannte Strategie, die keiner weiteren Erläuterung bedarf. Zum anderen ist Thüringen ob der für dort ins Auge gefaßten Kooperation zwischen dem mehrheitlich deutsch-weißen Grenzcampvölkchen sowie ‚The Voice' und anderen Flüchtlingsselbstorganisationen massiv attackiert worden. Denn programmatisch hätte dies die "Reduktion auf bloßen Antirassismus" (Schill-Y-Out-Days-Aufruf) zur Folge, bedeutete also nichts anderes als den Ausverkauf linksradikaler Widerstandsperspektiven: Anstatt Antirassismus als prinzipielle Absage an die gesellschaftlichen Verhältnisse zu begreifen, würde mit der Thüringen-Entscheidung nur noch das aus der Antira-Arbeit hinlänglich bekannte (und nicht selten als karitativer Paternalismus daherkommende) Unterstützungs-Klein-Klein drohen. Als Ort radikaler Gesellschaftskritik hätte das Grenzcamp somit ausgedient. Zu erwarten sei vielmehr ein "flüchtlingspolitisch reduziertes Camp" - zuungunsten eines "Hamburger Polit-Zeltlagers" (um nur eine von vielen diesbezüglichen Stimmen zu zitieren).

Warum das so wäre, ist indessen nur selten ausgeführt worden. Wahrscheinlich, weil es als Subtext sowieso allen klar geworden sein dürfte: Im Kern scheint es den KritikerInnen darum zu gehen, daß ‚The Voice' keine genuin linksradikale Kombo sei, genausowenig wie die Mehrheit der deutsch-weißen Antiras (wer immer das innerhalb des Grenzcampzusammenhangs sein soll) mit Antira-Arbeit gesellschaftsverändernde oder gar revolutionäre Perspektiven verbinden würde. Da aber ‚The Voice' und andere Flüchtlingsselbstorganisationen (samt ihrer deutschen Antira-FreundInnen) Quasiausrichterinnen des Thüringer Camps wären, hätte das automatisch den beklagten Substanzverlust zur Folge. Dieser Ansicht gilt es in vielerlei Hinsicht zu widersprechen.

1. Es mag sein (ohne mir wirklich ein Urteil anmaßen zu können), daß ‚The Voice' in seiner Gesamtheit kein linksradikaler Zusammenhang ist (so wie Linksradikalität gemeinhin, d.h. seitens deutscher Linker bestimmt wird). Jedenfalls könnte mensch das aus der offiziellen Selbstdarstellung von ‚The Voice' herauslesen (www.humanrights.de/voice). Allein: Mir scheint dies kein Zufall zu sein. Wem die fundamentalen Menschen- und Sozialrechte entzogen sind, die bzw. der hat notgedrungenerweise ein ganz eigenes Politik- und Radikalitätsverständnis. Konkret: Wenn ‚The Voice' z.B. einklagt: "Recht auf Leben - Abschaffung von Folter, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung; Abschaffung von Sklaverei und Zwangsarbeit; Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit", dann spiegelt sich hierin ein Erfahrungshorizont wieder, der deutschen Weißen zumeist erspart bleibt und der ihnen deshalb auch nicht zum politischen Bezugspunkt geraten kann. Dies zu ignorieren (oder als reformistische Menschenrechtspolitik zu denunzieren), ist nicht nur zynisch und borniert - es verkennt auch einen allgemeinen, für revolutionäre Gesellschaftsveränderung fundamentalen Sachverhalt: Radikale Widerständigkeit ist ein Privileg, keine Selbstverständlichkeit. Wer im absoluten Existenzkampf steckt, der bzw. dem bleibt selten mehr als Unterwerfung oder Unsichtbarkeit oder aber (verzweifeltes) RebellInnentum, welches allerdings in den meisten Fällen brutal zerschlagen wird. Demgegenüber bedarf die Entwicklung langfristiger und grundlegender Widerstandsperspektiven ein Mindestmaß sozialer und persönlicher Freiheit, gleichsam als Voraussetzung dafür, individuelle und kollektive Emanzipationsprozesse initiieren bzw. durchlaufen zu können. Deshalb scheint es mir äußerst unangebracht (weil eben die Wirkungsmechanismen rassistischer Diskriminierung verkennend), Kampagnen wie die Anti-Residenzpflicht-Kampagne als verkürzten Antirassismus abzutun. Vielmehr gilt es solche Kampagnen zu unterstützen, auf daß immer mehr Flüchtlinge in den Stand gesetzt werden, weitergehende Perspektiven entwickeln zu können - falls (!) dies nicht sowieso schon geschehen ist. Oder anders: Es ist wichtig, unterschiedliche Erfahrungshorizonte ernst zu nehmen (inkl. unterschiedlicher Schlußfolgerungen, die das nach sich ziehen kann). Falsch wäre es aber, hieraus den allgemeinen Schluß zu ziehen, Flüchtlingsselbstorganisationen seien prinzipiell weniger radikal, ja reformistisch. Genau dieser Eindruck ist jedoch in der Hamburg-Thüringen-Debatte regelmäßig erweckt worden. Und zwar dadurch, daß immer wieder die These eingespielt wurde, die Bezugnahme auf die soziale Lage als Ausgangspunkt antirassistischer Praxis (wie gesagt: Ausgangspunkt!) bedeute automatisch, hierbei stehenzubleiben, das Ganze also im (vorgeblichen) Elend reformistischer Menschenrechtelei versacken zu lassen. Das allerdings ist nicht nur dreist, sondern auch selbstgerecht. Ist es doch nicht zuletzt die undogmatische radikale Linke gewesen (auf welche sich die Pro-Hamburg-Fraktion permanent bezieht), die stets das Konzept der "Politik in der ersten Person" vertreten hat, wonach die politische Praxis nicht in sog. StellvertreterInnenpolitik erstarren, sondern die eigene soziale Lage als Ausgangs(!)punkt begreifen sollte, sei es in Stadtteil-, Häuser- oder JobberInnenkämpfen. So betrachtet, drängt sich allerdings der Eindruck auf, daß in den letzten Monaten immer wieder mit zwei Meßlatten hantiert wurde: Während deutsche Bewegungslinke sich sehr wohl zutrauen, den Kampf um die eigenen Lebensbedingungen mit einer allgemeinen linksradikalen Perspektive zu verknüpfen, stehen Flüchtlinge unter dem Generalverdacht, genau dies nicht auf die Reihe zu kriegen bzw. gar nicht erst anzustreben. Ein Eindruck, gegen den sich bereits in Göttingen ein Vertreter von ‚The Voice' vehement verwahrt hat!

Zweitens ist das Vorurteil, politische Kooperation mit Flüchtlingen sei eine lahme, ja geschäftsschädigende Angelegenheit, armselig. Es gibt Auskunft nicht zuletzt über den beschränkten Horizont derer, die solches behaupten. Denn unabhängig davon, ob ‚The Voice' und andere MigrantInnenorganisationen humanistisch, radikaldemokratisch oder NGO-mäßig sind - sich hiervon abschrecken zu lassen, ist alles andere als plausibel. Worauf es ankommt ist vielmehr, eine eigene Positionsbestimmung in Sachen antirassistischer Kooperation vorzunehmen. Wer dies tut, wird bald mit dreierlei Einsicht belohnt werden: Erstens: Kooperation muß sich nicht in reformistischer Unterstützungsarbeit oder gar Paternalismus (ob karitativ oder instrumentell) erschöpfen. Es sind auch andere, radikale Kooperationen vorstellbar. Zweitens schließen Unterstützungsarbeit und andere - seien es soziale oder politische - Kooperationsformen einander nicht aus. Im Gegenteil: Langfristig geht das eh ineinander über! Und drittens ist all dies nicht nur Zukunfts-, sondern auch Vergangenheitsmusik. Das meint, daß die (in der Tat) häufige Reduktion von Antirassismus auf moralisch-humanitäre Unterstützungsarbeit ein eher jüngeres Phänomen ist. Noch in den 80er, auch in den frühen 90er Jahren ist Antirassismus häufig in eine sozialrevolutionäre, d.h. anti-kapitalistische, Perspektive eingebunden gewesen (vgl. hierzu vor allem die Flüchtlingskampagne der RZ). Dies ist zwar seinerseits mit zahlreichen Fragwürdigkeiten einhergegangen - immerhin wurde Flüchtlingen und MigrantInnen die Last des globalen "revolutionären Subjekts" aufgebürdet. Und doch zeigt es, daß wir in Thüringen nicht vor der Neuerfindung des Rades stehen. In diesem Sinne lohnt es auch, bereits gemachte Erfahrungen und Erkenntnisse ernst zu nehmen. Verwiesen sei diesbezüglich insbesondere auf ein vom AntiRassismusbüroBremen (ARAB) im September 2000 vorgelegtes Strategiepapier, in welchem u.a. das Scheitern diverser Kooperationsprojekte zwischen deutschen AntirassistInnen und Flüchtlings- bzw. MigrantInnenselbstorganisationen analysiert wird. Nachzulesen ist dies (inklusive einer nicht minder lesenswerten Replik) unter www.is-bremen.de/arab

Gewendet auf die Jetztzeit, heißt dies: Es ist billig (so wie das Teile der Pro-Hamburg-Fraktion tun), unter Verweis auf den derzeitigen Stand des Anti-Rassismus laut "Bäh!" zu schreien und sodann die Biege nach Hamburg zu machen. Verdammt noch mal, das ist doch keine Lösung! Wer ihre bzw. seine Kritik an der gegenwärtigen, mitunter tatsächlich besorgniserregenden Verfaßtheit des Antirassismus ernst meint, die bzw. der geht vielmehr nach Thüringen und guckt, daß schnellstmöglichst Veränderungen in die Wege geleitet werden. Daß dies nicht ohne Auseinandersetzungen abgehen wird, wird von überhaupt niemanden in Frage gestellt, zuallerletzt von den Flüchtlingen und MigrantInnen selbst!

Drittens: Ich komme zum (vorerst) letzten Argument. Es ist weniger Erwiderung als vielmehr Outing einer Leerstelle (im Pro-Hamburg-Diskurs): Von der Pro-Hamburg-Fraktion wird nämlich geflissentlich unterschlagen, daß nicht nur auf den beiden Nach- und Vorbereitungstreffen in Frankfurt und Göttingen, sondern auch in mehreren schriftlichen Beiträgen weiteres und anderes als das bislang Ausgeführte zugunsten von Thüringen in die Waagschale geworfen wurde, und zwar von Leuten u.a. aus Frankfurt, Berlin und Bremen. Demnach böte ein zusammen mit Flüchtlings- und MigrantInnenorganisationen auf die Beine gestelltes Grenzcamp die Chance, endlich den Umstand anzugehen, daß das antirassistische Grenzcampvölkchen (bislang jedenfalls) ein mehrheitlich deutsch-weißes ist. Denn dieser (auch aus anderen Zusammenhängen bekannte) Umstand ist alles andere als harmlos. Er ist Effekt rassistischer Ein- und Ausschlußmechanismen, also Teil des Problems, welches wir vorgeben, mittels antirassistischer Grenzcamps und anderer Aktivitäten bekämpfen zu wollen. Konkret: MigrantInnen, Flüchtlinge und Papierlose sind zahlreichen institutionellen wie strukturellen Diskriminierungen und Angriffen ausgesetzt (ob, um nur einige Beispiele zu nennen, im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt oder an der Supermarktkasse). Sämtliche dieser Widrigkeiten haben indessen eine unabdingbare Voraussetzung: Sie erfordern die Existenz einer kollektiven - nicht nur nationalen, sondern auch rassistisch aufgeladenen - WIR-Identität, der ihrerseits ein wie auch immer geartetes IHR gegenüberzustehen hat, bestimmt als das mehr oder minder "Fremde" bzw. "Andere". Denn nur, wo ein WIR von einem IHR unterschieden wird, machen Ausschlüsse (gleich welcher Art) Sinn, d.h. sind plausibilisier- und somit legitimierbar.

Die Existenz solcher WIR-IHR-Identitäten setzt jedoch komplexe, spiegelbildlich aufeinander bezogene Konstruktionsprozesse voraus, und das, weil derartige WIR-IHR-Identitäten nichts sind, was einfach so auffindbar wäre. Stattdessen ist festzuhalten, daß im Zuge historischer Prozesse Hautfarbe und andere, physische wie kulturelle Merkmale als vorgeblich (!) bedeutsame Unterscheidungskriterien teils konstruiert, teils markiert (= bestimmt) wurden, und daß es erst auf dieser (nicht zuletzt projektiven) Grundlage zur Bildung weißer, schwarzer und anderer Identitäten gekommen ist. Was dies genau heißt, dem kann an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden. Verwiesen sei stattdessen auf den in der interim Nr. 541 bzw. im kassiber Nr. 47 abgedruckten Text "Koloniale Bilderwelt und Subjekt. Oder: Whiteness, blackness und gender - Zur Verschränkung von Rassismus und Sexismus." Denn dieser Text versucht, auf einige der eben nur skizzenhaft angedeuteten Probleme Antworten zu formulieren - und ist im übrigen einer der Texte, welche im Laufe der Thüringen-Hamburg-Debatte zur Diskussion gestellt, welche allerdings von der Pro-Hamburg-Fraktion samt und sonders ignoriert wurden ...

Kurzum: Daß es innerhalb des Grenzcampzusammenhangs bislang zu keiner weiterreichenden Kooperation zwischen Flüchtlingen und Nicht-Flüchtlingen bzw. MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen gekommen ist, ist alles andere als Zufall, nein, es ist Effekt rassistischer Ein- und Ausschlußmechanismen! Denn nicht nur existieren zwischen Flüchtlingen, deutschen Weißen und MigrantInnen deshalb Unterschiede, weil sie häufig unterschiedlichen gesellschaftlichen bzw. kulturellen Kontexten entstammen und sich hierdurch die Summe möglicher Überschneidungspunkte reduziert (womit allerdings nicht das Vorurteil fester, streng voneinander abgezirkelter Kulturkreise bedient werden soll, s.u.). Nein, zwischen Flüchtlingen, deutschen Weißen und MigrantInnen existieren nicht zuletzt deshalb Unterschiede, weil sie qua rassistischer Verhältnisse unterschiedlich vergesellschaftet, d.h. an unterschiedliche Orte im gesellschaftlichen Raum "plaziert" werden. Oder zugespitzter noch: Während deutsche Weiße zum gesellschaftlichen WIR gehören (samt aller Einschlüsse, die das mit sich bringt), gehören Flüchtlinge und MigrantInnen zum gesellschaftlichen IHR (samt aller Ausschlüsse, die das mit sich bringt). Und das gilt für alle, also auch für weiße Linksradikale, sie mögen sich noch so wehren, aber dem Privileg, nicht (!) rassistisch diskriminiert, ausgegrenzt und schikaniert zu werden, kann ein/e deutsche/r Weiße/r in Deutschland einfach nicht entkommen.

Hieraus folgt indes, daß trans-identitäre (ja, mehr noch: hybride) Organisierung die einzig angemessene Strategie ist, to fight racism seriously! Dies meint keinesfalls, daß Identitäten prinzipiell zu verteufeln wären, einfach deshalb, weil sich in ihnen unsere jeweiligen Erfahrungen (je nach Klasse, Geschlecht, Ethnizität etc.) ‚ablagern' würden. Sicherlich nicht, sind doch Identitäten sehr wohl bedeutsam: Um Widerstand leisten zu können, muß zuallererst ein Widerstandskollektiv geformt werden, müssen sich die Betreffenden über ihre jeweiligen (Diskriminierungs-)Erfahrungen genauso austauschen wie darüber, wohin die Reise gehen soll (vgl. hierzu v.a. die Identitätspolitik marginalisierter bzw. diskriminierter Gruppen, seien es Lesben/Schwule, MigrantInnen und Flüchtlinge oder Behinderte).

So wenig also Identität in Bausch und Bogen verteufelt werden darf (ich bitte, dies zu berücksichtigen!), so sehr gilt trotz alledem, daß Identitäten in erster Linie verinnerlichte (!) Herrschaftsverhältnisse sind. Und weil das so ist, ist es unumgänglich, unsere Identitäten kritisch zu hinterfragen, d.h. sie auseinanderzupflücken und sie (langfristig) zu etwas ganz anderem zusammenzusetzen: Es gilt, Identitäten zu erproben, die jenseits rassistischer (und anderer) IHR-WIR-Polarisierungen angesiedelt sind, die nicht auf Abgrenzung, Aus- und Einschluß, projektiven Zuschreibungen etc. beruhen, sondern die im Fluß sind, sich immer wieder wandeln, weiterentwickeln, die das Andere nicht nur im Außen vermuten (bei den Fremden ...), sondern auch in sich selbst!

Angesagt ist mit anderen Worten das, was im anglo-amerikanischen Sprachraum mit dem leider etwas sperrigen Begriff der Hybridität bezeichnet wird: Wo sich hybride Identitäten bzw. hybride Kulturen herausschälen, da gibt es kein Außen, welches von einem wie auch immer bestimmten Innen streng abgeschottet wäre, dort ist es nicht mehr möglich, Dazugehörige und solche, die nicht dazugehören, auseinander zu sortieren und auf dieser Grundlage Diskriminierungs-, Ausbeutungs- und Gewaltverhältnisse zu errichten.

Doch stop, all dies ist nicht mehr als Zukunftsmusik. Denn wir stehen derzeit irgendwo ganz anders. Wir sind Gefangene unserer Identitäten, was auch nicht weiter verwunderlich ist, schließlich ist es für keine/n möglich (ob Flüchtling, weisse/r Deutsche/r oder MigrantIn), einfach mal die gesellschaftlichen Verhältnisse (aus welchen unsere jeweiligen Identitäten hervorgehen) auszuhebeln. Schade, aber wahr!

In diesem Sinne kann es in Thüringen um nicht mehr als erste Schritte gehen. Erste Schritte allerdings - und an dieser Stelle kommt das schöne Wörtchen des Trans-Identitären ins Spiel -, welche die engen Grenzen des eigenen Identitäts-Raumes hinter sich lassen. Das jedoch immer im Wissen darum, daß Identitäten äußerst unterschiedlich ausfallen können, also gar nicht so ohne weiteres zusammenpassen, und daß deshalb stets geguckt werden muß, wo es paßt und wo nicht und wo es gegebenenfalls auch ansteht, zu streiten. Nicht zuletzt darüber, wie (langfristig) ein solches antirassistisches Widerstands-WIR herausgebildet werden kann, welches seinerseits bereits trans-identitär, ja hybrid, gestaltet ist. Oder anders: In Thüringen soll es vor allem darum gehen, mittels trans-identitärer Organisierung dem Kern des Rassismus das Wasser abzugraben: Rassismus setzt Trennungen voraus (WIR-IHR ...) und errichtet sie immer wieder neu. Dem kann nur begegnet werden, indem die Trennungsschrauben gelockert und teilweise auch aufgedreht werden, indem also Flüchtlinge, deutsche Weiße und MigrantInnen kooperieren, auf daß nicht nur die Identitätsmauern, sondern auch die direkt damit zusammenhängenden Herrschaftsverhältnisse bekämpft werden.

Indes: Hiervon wollen verschiedenste Leute aus der Pro-Hamburg-Fraktion nichts wissen. Und zwar so wenig, daß es einige von ihnen vorgezogen haben, den Mantel des Schweigens darüber auszubreiten, wie und mit welchen Argumenten für Thüringen überhaupt argumentiert wurde. Stattdessen scheint (!) es, als ob es einige der Hamburg-Zampanos vorzögen, weiterhin ihren eigenen Schrebergarten (in den Farben deutsch-weiß-autonom) zu bestellen, und das im Namen eines - wie es immer wieder heißt - echten (eines guten, eines reinen, eines ordentlichen ....) Bewegungscamps. In diesem Zusammenhang eine Frage: Kann mir mal eine/r, irgendeine/r erklären, warum es nicht möglich sein soll, in Thüringen ein linksradikales und das heißt auch: ein trans-identitäres Bewegungscamp auf die Beine zu stellen? Mensch, Hirschkäfergezwitscher noch mal: Das wäre doch cool - tausend mal cooler (und obendrein eine riesige Chance) als einmal mehr eine antirassistische Grenzcamp-Vollversammlung mit mehrheitlich deutsch-weißem Personal abzuhalten!!!


Fazit

In der Zwischenbilanz hieß es, daß für Hamburg insbesondere Schill sowie infrastrukturelle Vorteile sprechen würden. Dies ist einiges, aber in meinen Augen nicht genug, jedenfalls gemessen daran, daß in Thüringen ganz neues auf uns wartet, neues, was schwierig, herausfordernd und obendrein Privilegien infragestellend ist, was umgekehrt aber auch die Chance birgt, auf eine Vielzahl der Notwendigkeiten reagieren zu können, um die wir langfristig sowieso nicht rumkommen (so wie "wir" ja auch nicht ums patriarchale Geschlechterverhältnis rumkommen ...).

Kurzum: In meinen Augen gibt es viele gute Gründe (von denen im vorliegenden Text noch nicht einmal alle genannt wurden - wie z.B. "Rechte Hegemonie angreifen!"), daß diese Jahr die Musik in Thüringen spielt. Und doch, es ist zu spät. Beträchtliche Teile der bisherigen Grenzcampvorbereitung (darunter viele der Altvorderen) haben sich verabschiedetet und bereiten mittlerweile die Schill-Y-Out-Days in Hamburg vor. Dies ist - allen Differenzen zum Trotz - für das diesjährige Grenzcamp ein gewaltiges Manko. Einmal ganz davon abgesehen, daß all dies keine Meisterleistung auf dem Feld politischer Kultur gewesen ist. Uns bleibt deshalb gar nichts anderes als die politische (!) Auseinandersetzung zu suchen, droht doch andernfalls einmal mehr ein spießiges (weil voneinander abgeschottetes) Nebeneinander autonomer KleingärtnerInnen. In diesem Sinne rufe ich Euch an, Ihr RitterInnen des Streits, welche Ihr ja laut Selbstauskunft seid: Brecht Eurer Land-in-Sicht-Schweigen, hört auf, Gerüchte zu streuen, nennt Roß und ReiterIn, sagt, wo der Thüringen-Schuh drückt. Inhaltliche Textmasse, auf die Ihr Euch beziehen könnt, gibt es ja mittlerweile hinreichend viel!


Gregor Samsa

(redaktionell gekürzt und überarbeitet)
 


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kombo(p) - 25.07.2002