kassiber 49 - Mai 2002

Vorstellung und Arbeitsschwerpunkte des Bremer G-wech-Plenums

Alle reden von Globalisierung - wir auch


Nach den Ereignissen von Seattle, Göteborg und Prag, den vielfältigen Demonstrationen und Aktionen gegen die Gipfeltreffen der herrschenden, selbsternannten Eliten sahen viele in den Gegenaktivitäten bereits eine neue soziale Bewegung im Entstehen, die "Anti-Globalisierungs-Bewegung".

Im Zuge der Diskussionen, was denn die Globalisierung überhaupt ist und ob die Aktivitäten gegen die Gipfeltreffen wirklich einen guten Ansatzpunkt für die radikale Linke bieten, aus der Defensive und Marginalisierung heraus zu kommen, ist auch hier in Bremen etwas in Bewegung gekommen.


Globalisierung, Genua, G-wech

Nachdem von der Repression, die nach den Ereignissen von Genua einsetzte, auch Leute aus Bremen betroffen waren (und sind), bildete sich hier in Bremen das "Genua-Soli-Plenum". Nach der zumindest vorläufigen Freilassung der Bremer Gefangenen ging die aktive Beteiligung an der weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema "Globalisierung" dann aber wieder zurück. Einige Leute hatten und haben aber nach wie vor ein Interesse daran, daß das Thema (Anti-) Globalisierung weiter auf der Tagesordnung bleibt. Aus diesem Interesse heraus kam es im Oktober/November 2001 zur Gründung des G-wech-Plenums.

Wir sind ein offenes Plenum, bestehend aus Gruppen und Einzelpersonen. Diese offene Struktur bedeutet für uns auch, daß Einzelpersonen und Gruppen ihre "Anliegen" und Themen in das Plenum hineintragen können. Wir treffen uns regelmäßig im zweiwöchigen Rhythmus mittwochs um 20.00 Uhr im Paradox.


Anti-Globalisierung ?

Wir verstehen uns als Teil der Anti-Globalisierungsbewegung, wobei wir den Begriff "Globalisierung" durchaus kritisch sehen, was seine Aussagekraft angeht.

In den meisten Fällen sind in den aktuellen Diskussionen damit (sehr allgemein und etwas ungenau/schwammig) die aktuellen Entwicklungen und Auseinandersetzungen um die Verbesserung der Verwertungsbedingungen des internationalen Kapitals gemeint. Diese Prozesse sollen durch den gewaltförmigen Abbau von sozialen und politischen Rechten weltweit durchgesetzt werden. Staatliche Gewalt wendet sich zunehmend gegen ganze Gruppen der innerhalb der nationalen Grenzen lebenden Menschen (gegen "Fremde" und MigrantInnen, gegen nicht der herrschenden Norm entsprechende Menschen und gegen sozial deklassierte Menschen). Und sie richtet sich in Form militärischer Interventionen gegen als instabil oder für die bestehende "Weltordnung" als gefährlich eingeschätzte Regionen, Staaten oder soziale Bewegungen.

Ob die Proteste und der Widerstand gegen die Zusammenkünfte führender ProtagonistInnen der kapitalistischen Globalisierung ein Indikator für eine neue revolutionäre Perspektive sein können, ist eine offene Frage, deren Beantwortung auch davon abhängt, inwieweit es uns gelingt, über das reine "event-hopping" hinaus, diesen Widerstand auch lokal inhaltlich zu fassen und handlungsfähig zu werden.


Triple-oppression-Ansatz

Unseren theoretischen Background bildet dabei der triple-oppression-Ansatz. D.h. wir gehen von der Gleichwertigkeit aller Unterdrückungs- und Herrschaftsverhältnisse aus, ohne aber in eine theoretische Beliebigkeit verfallen zu wollen. Zudem kritisieren wir scharf die in Teilen der Anti-Globalisierungsbewegung diskutierte alte Hauptwiderspruchs-These (nur der Kapitalismus ist das Problem, alles andere wird dem untergeordnet). Wir verstehen unseren Ansatz als undogmatisch anti-patriarchal, anti-kapitalistisch und anti-rassistisch. Diese Herangehensweise dient für uns als Grundlage für einen offenen Diskussionsprozeß.

Für uns ist die patriarchale Herrschaftsstruktur unserer Gesellschaft, die auf der Herrschaft von Männern über Frauen und der bipolaren Denkweise in Kategorien von Konkurrenz und Hierarchie basiert, ein zentraler Ansatzpunkt. Ebenso sind rassistische Gewaltverhältnisse Teil des Alltags (nicht nur) hier in den Metropolen.

Die kapitalistische Herrschaft und Ausbeutung von Menschen schließlich hat sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt, die soziale Ausgrenzung und Marginalisierung nimmt auch hier immer mehr zu.

Die Herrschaftsverhältnisse sind aber nicht teilbar, d.h. an vielen Punkten der Gesellschaft ebenso wie in unserem Alltag existieren Herrschaftsstrukturen, die an ein Netzwerk erinnern, in dem gleichzeitig unterschiedliche Formen der Unterdrückung sich überlagern.

Ohne uns nun auf die Suche nach einem neuen revolutionären Subjekt begeben zu wollen, gilt es doch, an den hier vor Ort existierenden Verhältnissen, Widersprüchen und Widerstandsmöglichkeiten anzusetzen und uns gemeinsam gegen die herrschenden Verhältnisse zu wehren.


Machtblock EU und der Widerstand

Schwerpunktmäßig befassen wir uns dabei mit der EU und den Auswirkungen ihrer Politik auf nationaler und lokaler Ebene. Die EU ist einer der großen weltweiten Machtblöcke und ist nicht zuletzt deshalb unser Ansatzpunkt, weil wir innerhalb dieses Gebildes leben.

Durch die Auseinandersetzungen um die "Globalisierung" wurde in den letzten Jahren immer deutlicher, daß die EU in diesen Prozessen eine tragende Rolle spielt und eine der treibenden Kräfte ist. Zugleich ist klar geworden, daß die internationalistische Dimension für die Politikansätze der radikalen Linken in der BRD wieder genauer und konkreter berücksichtigt werden muß. Die Sicht und das Betätigungsfeld der radikalen Linken hierzulande blieb in den 90ern weitgehend auf einen "nationalen" Rahmen beschränkt. Durch die letzten internationalen Proteste, Global Action Days etc. ist das zwar etwas aufgebrochen, doch eindeutige Positionen und Analysen zu den internationalen Prozessen gibt es kaum. So auch nicht zur EU. Gerade hier wird allerdings deutlich, daß Angleichungsprozesse und Gesetzgebungen in einem großen Maß die politische Situation auch in der BRD in allen gesellschaftlichen Bereichen beeinflussen.


Festung Europa

So findet seit einigen Jahren in der Festung Europa eine "Harmonisierung" der Flüchtlingspolitik statt. Innerhalb von nur wenigen Jahren ist zu beobachten, daß EU-weit auch dort, wo es bisher eine relativ liberale Gesetzgebung gab, die Migrationspolitik verschärft wird. Überall werden Lager und Abschiebeknäste geschaffen, die Bewegungsfreiheit eingeschränkt, die Sozialleistungen für Flüchtlinge runtergeschraubt. Die Abschottung nach außen dient dazu, daß möglichst nur die MigrantInnen einreisen können, die als "wirtschaftlich verwertbar" erachtet werden.


Militarisierung der Innen- und Außenpolitik

Durch die Anschläge vom 11.09.2001 ist die Schaffung bzw. der Ausbau der sogenannten "Anti-Terror-Gesetze" in der ganzen EU zwar beschleunigt worden, die Planungen dafür standen allerdings schon längst auf der Tagesordnung. Eine EU-weite Vereinheitlichung der Ermittlungsverfahren (Strafbefehle, Auslieferung) wird aktuell unter dem Namen "eurojust" entwickelt, während zeitgleich die europäische Polizeibehörde "europol" ausgebaut wird. Was wir sowohl hier wie auch auf EU-Ebene beobachten können, ist eine Militarisierung der Innen- und der Außenpolitik. So wird in den EU-Papieren nicht von Außenpolitik, sondern durchgehend von Sicherheits- und Verteidigungspolitik geredet; damit ist also insbesondere militärische Intervention gemeint.


Sozialpolitik, Neoliberalismus, Deregulation

Aber nicht nur in diesem Bereich, sondern auch in der Sozialpolitik wird es, gerade angesichts der sogenannten "Osterweiterung" der EU, zu einer "Harmonisierung" kommen. Während bei den "Anti-Terror-Gesetzen" die schärfsten Regelungen den Maßstab liefern, ist zu erwarten, daß im sozialen Bereich nach unten angepaßt wird. Vorstellbar ist allerdings auch ein Flickenteppich unterschiedlicher sozialer Standards, das heißt neben Hochlohnzonen in besonders profitablen Bereichen könnte es ebenso viele Niedriglohnbereiche geben, in denen Deregulation herrscht. Diese Zonen können sowohl geografisch als auch sozial strukturiert sein. "Modernisierung der sozialen Sicherheit" heißt das dann im EU-Jargon.

An welchen Punkten und in welchen Formen sich zukünftige soziale Auseinandersetzungen und Kämpfe innerhalb der Staaten der EU bzw. in der EU insgesamt abspielen werden, ist zur Zeit noch nicht abzusehen. Um aber nach den Ereignissen der letzten beiden Jahre nicht wie das Kaninchen auf die Schlange Repression zu starren, gilt es, möglichst frühzeitig aktiv in diesen Formierungsprozess einzugreifen und ihn soweit wie möglich zu behindern.


Event-hopping und revolutionäre Perspektiven

Wir meinen deshalb, daß Aktionen und Demonstrationen gegen internationale Treffen (IWF, EU-Gipfel etc.) der Herrschenden auch weiterhin grundsätzlich richtig sind und werden uns auch in Zukunft dazu verhalten und uns an den Gegenaktivitäten beteiligen. Das allein reicht aber nicht aus; fast alle bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, daß emanzipatorische, revolutionäre Perspektiven nur dann entwickelt werden können, wenn die globalen Entwicklungen bzw. die Entwicklungen auf EU-Ebene auch auf eine Handlungsebene vor Ort umgesetzt werden können.

Unser Ansatz ist zudem klar praxis-orientiert; d.h. es geht uns also darum zu analysieren, an welchen Punkten praktische Interventionsmöglichkeiten gegeben sind oder geschaffen werden können und an diesen Punkten dann auch ganz praktisch zu handeln.


Widerstand gegen die "neue Weltordnung"

Wir sehen auch mit großem Interesse positive Ansätze und Aktivitäten in anderen Ländern, die teilweise deutlich weiter gehen und, sowohl was ihre Interventionsfähigkeit als auch was ihre Breite und zugleich Radikalität angeht, kontinuierlichere Perspektiven aufgebaut haben, als das, was zur Zeit hier in der BRD machbar erscheint.

Am Anfang der derzeitigen neuen Phase des Widerstands gegen die "neue Weltordnung" (später: "Globalisierung") stand der Aufstand der Zapatistas in Chiapas/Mexico, der zum Jahresbeginn 1994 dem herrschenden Entwicklungsmodell sein entschiedenes "ya basta!" entgegenstellte. Die Auseinandersetzungen und Kämpfe in Chiapas und in Mexiko selbst, aber auch die durch die Zapatistas ausgelösten Debatten im internationalen Rahmen bilden nach wie vor einen wichtigen Bestandteil für unsere Diskussionen um eine herrschaftsfreie Gesellschaft und die Perspektiven des Widerstands gegen die herrschende Ordnung.

Weitere interessante Punkte waren bzw. sind für uns die Aktivitäten von Basisgewerkschaften in Italien und in Frankreich, die trotz ihrer klaren anti-kapitalistischen Haltung viele Leute deutlich über das Spektrum der radikalen Linken hinaus erreichen und in Aktionen einbinden können.

Ebenso spannend finden wir die Entwicklung der tute bianche in Italien, die mit einer großen Menge von Leuten effektive und durchschlagskräftige Aktionen, z.B. gegen die Internierung von Flüchtlingen, durchgeführt haben. Faszinierend ist, wie schnell sie nach dem "Scheitern" ihrer Strategie in Genua ihre Struktur verändern konnten.

Zu nennen sind schließlich in diesem Zusammenhang auch die aktuell in Argentinien laufenden Prozesse der Selbstorganisierung in Stadtteilkommitees, die sich in einer Situation der Zuspitzung der neoliberalen Politik gebildet haben.

Dies sind alles Beispiele, die wir bisher nur sehr begrenzt auf ihre Grundlagen und Möglichkeiten hin diskutiert haben.

Sicher sind diese Beispiele auch nicht einfach auf die Verhältnisse hier in der BRD und in Bremen zu übertragen; dazu ist die Geschichte der sozialen Auseinandersetzungen und Kämpfe in den einzelnen Ländern viel zu spezifisch (und in Deutschland/der BRD nicht gerade ermutigend, was Rebellion und Selbstorganisierung angeht). Aber genau hinschauen, nachfragen, lernen, diskutieren und ausprobieren sollten und wollen wir trotzdem.


Reform und/oder Revolution ?

Zugleich ist es uns wichtig, alternative Strategien des Widerstands zu entwickeln, die sich nicht darin erschöpfen, die kapitalistische Globalisierung reformieren zu wollen, wie es beispielsweise und medienwirksam zur Zeit durch "attac" vorgeführt wird.

Eine Steuer auf transnationale Finanztransaktionen - eine der zentralen Forderungen von "attac" - wird weder zu mehr Verteilungsgerechtigkeit führen, noch die Strukturen der internationalen Ausbeutungsverhältnisse verändern. Diese reformistische Forderung könnte sogar bei ihrer Umsetzung dazu führen, daß das System als ganzes hervorragend stabilisiert wird.

Zudem sehen wir es nicht gerade als besonders emanzipativ an, sich bei solchen Forderungen auf die Nationalstaaten zu beziehen, die trotz ihrer tendenziellen Schwächung im Weltmaßstab nach wie vor die Garanten für den Fortbestand des herrschenden Systems sind. Wir können aber auch nicht übersehen, das eine Organisation wie attac aktuell einen außerordentlichen Zulauf hat, der darauf hinweist, daß viele Menschen auch in den Metropolen nicht mehr mit dem herrschenden "weiter so" übereinstimmen. Diese Stimmung sollten wir nutzen, um unseren Vorstellungen von einer herrschaftsfreien Gesellschaft wieder etwas mehr Gehör zu verschaffen und neue MitstreiterInnen zu gewinnen.


Und hier in Bremen ?

Was heißt das nun für unsere Aktivitäten hier in Bremen? Wir wollen auf jeden Fall Diskussionen anstoßen und Aktionen machen, insgesamt also ganz praktisch versuchen, den unter dem Deckmantel des "Sachzwangs Globalisierung" hier laufenden Entwicklungen im sozialen Bereich (z.B. Stadtentwicklung, prekäre Arbeitsverhältnisse von MigrantInnen und anderen, Innere Sicherheit und staatliche Kontrolle) etwas entgegen zu setzen.

Einer dieser Punkte ist in Bremen aktuell die Abschiebung der kurdischen LibanesInnen und die dagegen laufenden Aktionen, an denen wir uns auch weiter beteiligen werden.

Welche Punkte sonst noch wichtig und für praktische Interventionen geeignet sind, wollen wir in nächster Zeit weiter untersuchen. Im Bereich der Stadtentwicklung in Verbindung mit dem Thema Kontrolle und Überwachung des öffentlichen Raumes könnten sich z.B. Ansatzpunkte an einigen Mega-Projekten wie dem Space-Park anbieten.

Wir sind offen für neue Ideen, Anregungen und Pläne und wünschen uns eine breit geführte Diskussion, wie und an welchen Stellen der herrschenden Entwicklung etwas entgegen gestellt werden kann.


Plenumstreffen, Veranstaltungen, Kontakt

Zum Schluß möchten wir euch einladen, an unseren Treffen teilzunehmen, um mit uns zu diskutieren, wo wir am besten ansetzen können und mit uns zusammen weitere Aktionen zu planen und durchzuführen.

Ankündigen möchten wir an dieser Stelle schon einmal eine Veranstaltung, die wir Ende Mai mit Leuten aus Spanien machen wollen, um uns zum einen über die Ereignisse in Barcelona im März (und die Situation insgesamt) berichten zu lassen und zum anderen Infos über den Stand der Vorbereitungen der Aktivitäten gegen den EU-Gipfel in Sevilla (22.-24. Juni) zu bekommen.

Wenn ihr interessiert seit, Ideen und/oder Kritik habt, mitmachen wollt, könnt ihr uns über unser Postfach ("G-wech-Plenum") im Infoladen Bremen oder über e-mail eine Nachricht zukommen lassen.

Unsere Plenumstreffen finden zweiwöchentlich um 20.00 Uhr im Paradox (Bernhardstr. 12) im 1. Stock statt; die nächsten sind also am 8. Mai, 22. Mai usw.

e-mail: g-wech@yahoo.de
 


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kombo(p) - 25.07.2002