kassiber 49 - Mai 2002

Wie geht es weiter mit dem Güterbahnhof?

"Güterabfertigung" und Stadtplanung


Vielen ist der weitläufige Gebäudekomplex hinter dem Bremer Hauptbahnhof nur vage als "Güterbahnhof" bekannt - als Ort zwischen den Gleisen, an dem sich im Laufe der letzten Jahre ein Teil der örtlichen "freien Kulturszene" niedergelassen hat. Inzwischen hat in einer der Hallen das "Junge Theater" seine Spielstätte gefunden, im hinteren ehemaligen Verwaltungsgebäude der Bahn befindet sich schließlich das "Künstlerhaus Güterabfertigung" - eine der größten Ateliergemeinschaften in Deutschland, die ca. 73 KünstlerInnen umfaßt.

"Güterabfertigung" ist hier ein bewußt mehrdeutig besetzter Begriff, wie auch Paul und Ace (Namen von der Redaktion geändert) betonen. Beide haben sie ihr Atelier im Güterbahnhof und organisieren einen Großteil von dem, was hier organisiert werden muß. Mit ihnen sprach Günther Feindt über die momentane Situation.

Die "Güterabfertigung" ist der ironische Bezug auf die materiellen Bedingungen der Kunstproduktion. Kulturgut wird hier geschaffen, um im Idealfall verkauft zu werden. Hier wird produziert von KünstlerInnen, die sich in der Regel durch Jobs finanzieren; nur wenige können inzwischen von ihrer Kunst leben. Einige hier sind sich der Warenförmigkeit ihrer Kunst bewußt, keiner hat damit jedoch ein Problem. Sind sie KunstarbeiterInnen, die für einen ungeregelten, teilfiktiven Markt produzieren? Für die meisten hier ist es weniger Kunst, die aus einer politischen Motivation heraus entsteht. Es herrscht zumindest ein ungeregelter Individualismus. Einige wissen kaum, was um sie herum in dem riesigen Gebäude geschieht, andere organisieren gemeinsam die jährlich 11-12 Ausstellungen in der eigenen "Galerie Herold" im Haus. Die künstlerischen Ansätze sind dabei so unterschiedlich, wie sie nur sein können. Von "Subkultur" kann im Bereich der bildenden Kunst, wo "anything goes" zum Lebenselixir gemacht wurde, ohnehin nicht die Rede sein. Andere Begriffe wie "Trash-Art", sind nach Paul und Ace eher verallgemeinernde Labels, unter denen die KünstlerInnen im Güterbahnhof von außen betrachtet werden und welche einer gewissen Ahnungslosigkeit entspringen.

So sieht Paul zum Beispiel mögliche politische Wirkungsmöglichkeiten für die Güterbahnhof-KünstlerInnen auch eher in der Einbettung in Aktionskonzepte wie city.crime.control und das TV control-Straßenkino im letzten September.

Fest steht zumindest für das "Künstlerhaus Güterbahnhof", daß die Grenze zwischen freier Kunst und "Gebrauchsgrafik" an diesem Ort nicht verwischt werden soll: Größere Agenturen und Designbüros sollen, zumindest wenn es nach Paul und Ace geht, draußen bleiben.


Die Zukunft der Ateliers unter der Stadtplanung

Die Ateliergemeinschaft im Güterbahnhof entstammt personell zu einem Teil der Gemeinschaft von KünstlerInnen, die 1993/94 die leerstehende ehemalige Fabriketage des "Güldenhauses" im Besitz einer Schnapsbrennerei entdeckte und mietete. Da aber in diesem Teil der vorderen, wesernahen Neustadt die Stadtplanung eine "Aufwertung" des Gebietes beschlossen hatte, mußten die "Galerie Herold" und die Ateliers des "Güldenhauses" einigen hochwertigen Parkplätzen weichen.

An dieser Vertreibung änderte auch die Tatsache nichts, daß die betroffenen KünstlerInnen durchaus auf Wohlwollen in der Kulturbehörde hoffen konnten. Die hat zwar in Bremen kaum Geld (für die freie Szene zumindest), ist aber wenigstens mit der finanziellen KünstlerInnenförderung (30 Stipendien) anderen Städten ein wenig voraus.

Nachdem dann einige der ehemaligen "Güldenhaus"-KünstlerInnen das Güterbahnhof-Gebäude für sich entdeckt und erste Kontakte zur Deutschen Bahn AG hergestellt hatten, half die Kulturbehörde bei der Verhandlung - sozusagen als seriöser Bürge.

Ende 1997 wurde schließlich ein Teil des Güterbahnhofgeländes an die suchenden KünstlerInnen vermietet.

Inzwischen hat sich die Bahn von hier zurückgezogen; das Gelände wird von der Allianz AG verwaltet. Besitzerin ist nun die VIVICO GmbH, die bundesweit lukrative Liegenschaften der Bahn zu verkaufen versucht und die "Sahnestücke" in entsprechenden Hochglanzbroschüren potentiellen GroßinvestorInnen präsentiert.

Die Interessen bezüglich dieser "Top-Adresse" gehen allerdings gehörig auseinander: Der Kulturbehörde geht es um die Erhaltung dieser - wenig subventionierten und daher günstigen - "Freie Kulturszene"-Nische. Die VIVICO will zu einem möglichst hohen Preis verkaufen, hält sich zunächst aber noch zurück, bis ein potentieller Investor gefunden ist. Allerdings haben sich ohnehin noch keine solventen InteressentInnen gemeldet. Die Zeiten hochsubventionierter Großprojekte in Bremen scheinen zumindest für einige Zeit zum Glück vorbei zu sein. Die Allianz dagegen will Ruhe und Ordnung und ihre nicht unerhebliche Miete einfahren, die sich für die Gebäude im Rahmen des preislichen Mittelfelds für gewerbliche Mieten hält. Ihr ist zudem offenbar an einer Vermietung gelegen, da so die Gebäude instand- und im Wert gehalten werden.

Durch die positive Presseberichterstattung (Tenor: Die armen Künstler werden vor die Tür gesetzt) im Herbst 2001, als von einer Kündigung die Rede war, entstand dann jedoch Druck auf VIVICO und Allianz, einen neuen Mietvertrag auszuarbeiten. Denn nicht nur auf Seiten des Kultursenators, sondern auch beim Bauamt und den übrigen StadtplanerInnen setzt man sich zunächst für einen Verbleib von Künstlerhaus und "Jungem Theater" ein. Es gibt nämlich noch nicht einmal ein Nutzungskonzept für das riesige Gelände. Fest steht bisher nur, daß das Areal perspektivisch stadtplanerische Priorität besitzt, eine Lösung jedoch erst "bis Ende des Jahrzehnts" gefunden und umgesetzt werden soll. Dabei gab es schon Anfang der 90er Jahre hochtrabende Pläne für das Gelände: Damals hieß es noch, ein sogenannter "Promotionpark" (merke: ohne "-park" geht im Lande Bremen nichts) sollte innenstadtnah dem Standort Bremen viele Medienagenturen mit dem dazugehörigen Promotionpack bescheren. Dies war natürlich wieder einmal drei Nummern zu groß gedacht, was ja in Bremen normalerweise immer finanzielle Unterstützung findet, aber in Anbetracht des sich ausbreitenden Technologieparks an der Universität wurden weitere Pläne zunächst auf Eis gelegt. Dies möglicherweise auch deshalb, weil andere Großvorhaben der DB AG im Rahmen des "Projekt 21" wie in Stuttgart, Frankfurt a.M. oder Dortmund scheiterten bzw. nur in sehr abgespeckter Form realisiert werden sollen. Ein Bremer Architektenbüro ließ sich jedoch nicht davon abhalten, selbst Planskizzen und Modelle für eine mögliche Nutzung des Geländes zu präsentieren, die zwar bis dato mit städtischen Planungen wenig zu tun hatten, aber dennoch in den Medien präsentiert und sodann von Bausenatorin Wischer vorerst als "sehr sympathisch" beurteilt wurden. Auf der anderen Seite bleibt das gesamte innenstadtnahe Gebiet um den Hauptbahnhof herum das "Sorgenkind" der Bremer Stadtplanung: Noch ist nicht klar, wie es mit dem leerstehenden Postamt 5 weitergehen soll, auch für die Bebauung des Bahnhofsvorplatzes ist noch kein Investor gefunden worden. Es ist anzunehmen, daß sich in absehbarer Zeit des gesamten Bahnhofsumfeldes, inklusive des Güterbahnhofes, angenommen wird. Der neue Senatsbaudirektor Uwe Bodemann spricht beispielsweise schon davon, daß es für ihn eine Aufgabe sein wird, "den alten Güterbahnhof zur Stadt" zu machen.

Es gibt also einiges Konfliktpotential um das Grundstück zwischen Bahnübergang und Findorfftunnel: Die Stadt, inzwischen vertreten über die Bremer Investitionsgesellschaft (BIG), will alles möglichst billig, wogegen die VIVICO möglichst hohe Profite zur Bilanzsanierung der Deutschen Bahn einfahren möchte. Viel Bewegung ist hier jedoch nicht festzustellen. Von Seiten der Kulturbehörde geht man dennoch davon aus, daß bei einem günstigen Erwerb durch die Stadt das Areal weiterhin für die Kultur genutzt werden soll.

Inzwischen hat das Gelände allerdings auch schon bei anderen Geschäftemachern Interesse geweckt. Vom guten Ruf eines produktiven "subkulturellen" und jungen Umfeldes angelockt, versuchte vor einiger Zeit ein junger, einfältiger Partymacher in einer der Güterbahnhofhallen, die er eigens für einen Monat bei der Allianz anmietete, eine große Technoparty zu veranstalten. Dafür wurde der Hofbereich eingezäunt, riesige Anlagen gemietet, und es wimmelte nur so von Security. Da auch die eine oder andere Mark dabei abfallen sollte, kostete der Eintritt dann auch gleich 80,- DM. Das war dann auch so ziemlich allen - bis auf ca. 100 Verwirrte - zu teuer und so zog sich jener Trittbrettfahrer mit einem Berg von Schulden zurück in das Loch, aus dem er gekrochen war.

Nicht ganz so dilettantisch versuchen die Betreiber des neuen "Gleis 9" vom kulturellen Nimbus des "Güterbahnhofs" zu profitieren, aber mehr als einige Abende mit unwesentlicher House-Musik gibt es auch hier nicht zu verzeichnen. Auch schielt die Gastronomie inzwischen auf diese Ecke, die mit den Ateliers, der Galerie Herold und dem "Jungen Theater" einiges an Publikum zu bieten hätte, vor allem wenn man das Kneipenumfeld in Bahnhofsnähe betrachtet.


Was heißt das nun?

Die KünstlerInnen der "Güterabfertigung" sehen all das recht gelassen. Ein neuer Mietvertrag soll in nächster Zeit ausgearbeitet werden, auch wenn man sich dann um den Einbau einer neuen Heizung kümmern muß. Offizieller Kündigungsgrund war nämlich der Abriß des bahnhofseigenen Heizkraftwerkes, was eine Nicht-Erfüllung des alten (Warm-)Mietvertrags bedeutete. Da eine neue Heizanlage nicht allein durch den Verkauf einiger auf Halde liegender Kunstwerke finanziert werden kann, würde hier wohl auch die Stadt einspringen. Wobei sich, so Ace, das Einholen von öffentlichen Geldern für das Künstlerhaus in engen Grenzen hält. Zwar werden ab und zu auch Druckkosten von Ausstellungsflyern von der Behörde übernommen und in diesem Jahr erstmals auch die Galeriearbeit bezuschußt, im Großen und Ganzen möchten sich die KünstlerInnen jedoch ihre Autonomie erhalten, wenig Verpflichtungen gegenüber der Stadt eingehen müssen und vor allem nicht am Tropf der Stadt hängen.

Hinsichtlich der Stadtpolitik bleiben die KünstlerInnen eher reaktiv: Sie zahlen ihre Miete, sind froh, daß sie einen Raum für sich haben und wollen, daß das so bleibt. Zwar wurde im kleinen Kreis auch schon über eine Besetzung geredet, aber das bleibt wohl Utopie.

Der Stadt jedenfalls ist die Entwicklung sehr genehm. Sie kann sich auf ihre Fahne schreiben, daß es hier eine junge und irgendwie auch etwas exotische KünstlerInnengemeinde gibt, zwar unter den Fittichen des Kultursenators, aber dennoch fast zum Nulltarif. Kulturschaffende, die für ihre eigene Miete aufkommen, sind der Stadt nur recht, solange keine anderen Pläne konkret werden.

Zum anderen werden mit einer weiteren Etablierung der "freien Szene" auf dem Güterbahnhofgelände allmählich auch Fakten geschaffen, was die Zukunft des Areals betrifft: Je länger letztlich die Gebäude dort vermietet werden, desto schwerer wird es irgendwann, das "Filetstück" an Investoren zu verkaufen. Die Stadt also wartet ab und wird am Ende den Kaufpreis für das Grundstück auf ein ihr erträgliches Maß gedrückt haben. In den nächsten Jahren können wir uns also vielleicht wieder über ein weiteres Bonmot größenwahnsinniger Stadtplanung der Freien Hansestadt Schilda ärgern.

Das "Künstlerhaus Güterabfertigung" findet sich unter www.GA-Bremen.de im Netz. Hier lassen sich u.a. die Termine für die Ausstellungen der "Galerie Herold" und für den Tag der offenen Tür finden.


Günther Feindt
 


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kombo(p) - 25.07.2002