kassiber 49 - Mai 2002

Bücher (I)

Empire


"Wieder einmal - in der Postmoderne - befinden wir uns in der Situation, dem Elend der Macht die Freude des Seins entgegen zu stellen. Das ist eine Revolution, die keine Macht kontrollieren kann, weil Biomacht und Kommunismus, Kooperation und Revolution zusammen gehören. Das ist die nicht zu unterdrückende Leichtigkeit und die Freude daran, ein Kommunist zu sein".

So endet ein Buch, dessen Autoren Wert darauf legen, Kommunisten zu sein. Nachzulesen ist dies bei Michael Hardt und Antonio Negri, deren neuestes Buch gerade in deutscher Übersetzung erschienen ist. Hardt - Professor für Literaturwissenschaften in den USA - und Negri - der Politik und Philosophie in Padua und Paris lehrt sowie in den Zeiten des Operaismus in Italien aktiv war - wollen keine traurigen, asketischen und bis ins Tiefste ihrer Seele von ihrem Projekt durchtränkte Aktivisten im Stile der III. Internationale sein. "Militante der Postmoderne" wie sie leiten ihre Handlungen nicht mehr aus irgendeiner Pflicht oder Disziplin oder von einem Idealplan ab: "Heutzutage ist Militanz eine positive, konstruktive und innovative Tätigkeit. Es ist diese Form, in der wir und all jene, die gegen die Logik des Kapitals revoltieren, uns heute als Militante begreifen". Hardt und Negri sehen es als ihre politische Aufgabe an, den alles andere als einheitlichen Prozeß der Globalisierung und seine Herrschaftslogik - eben das Empire, womit explizit nicht die USA (beispielsweise als Reinkarnation des Imperium Romanum) gemeint sind - zu beeinflussen. Deswegen kartographieren sie ein weites Feld, nehmen Probebohrungen auf unbekanntem Boden vor und versuchen letztlich, einen allgemeinen theoretischen Rahmen, d.h. eine Werkzeugkiste mit Konzepten, zu liefern, die es ermöglichen, in und gegen Empire zu theoretisieren und zu handeln.

Im ersten Teil ihres Buches bearbeiten Hardt und Negri "Die politische Konstitution der Gegenwart". Sie steigen also - nach einem fulminanten Vorwort - sogleich in ihre politische und ökonomische Analyse ein. Sie beschäftigen sich dabei einerseits mit den Vereinten Nationen, der rechtlichen Verfaßtheit des Empire, aber auch mit dem Problem universaler moralischer Werte. Andererseits richtet sich ihr Blick auf gegenwärtige Verschiebungen der Produktion: Auf die zunehmende Bedeutung einer Herstellung und Veränderung des Lebens und auf den Stellenwert von Kommunikation und Information. Schon in diesem ersten Teil zeigt sich, daß Hardt / Negri dabei nicht stehen bleiben wollen, denn sie versuchen sogleich, Alternativen zu der von ihnen beschriebenen Ordnung auszuleuchten und machen sich im Anschluß daran Gedanken über die gegenwärtigen Bedingungen und Möglichkeiten eines politischen Manifestes. Dieses Interesse an möglichem Widerstand durchzieht das ganze Buch und wird in einem Intermezzo zum "Gegen-Empire" konkretisiert. Im zweiten und dritten Teil des Buches wird das Konzept des Empire in seiner ganzen Breite entfaltet und gleichsam genealogisch versucht, die Entwicklungslinien desselben aufzuzeigen. Hardt und Negri beschränken sich nicht darauf, die politische Seite zu thematisieren. Eine Analyse der Weltordnung kommt nicht umhin, die ökonomischen Bedingungen und Faktoren gleichermaßen zu berücksichtigen. Es ist daher nur folgerichtig, daß im zweiten Teil die "Passagen der Souveränität" und im dritten diejenigen der Produktion dargestellt werden. Souveränität bildet für die Autoren von "Empire" das entscheidende paradigmatische Konzept, dessen Einfluß auf Politik, Recht und Moral seit dem Mittelalter kaum zu überschätzen und dessen Wandlungen nachzugehen ist: Von den Ideen des souveränen Nationalstaates und der Volkssouveränität über die "koloniale Souveränität", die unter der Losung eines Selbstbestimmungsrechts der Völker Befreiungspotential zu haben scheint, sich aber nicht von der vereinheitlichenden Grundstruktur und den damit verbundenen Problemen der Souveränitätsidee lösen kann, bis hin zur jener netzwerkartigen und offenen Form von Souveränität, die im Empire manifest wird. Die "Passagen der Produktion" gehen den Grenzen des Imperialismus nach, wollen die fehlenden Bände des "Kapital" schreiben, handeln von ursprünglicher Akkumulation, reeller Subsumtion, vom Weltmarkt, von der "Ökologie des Kapitals" und beschäftigen sich mit Information Highways, d.h. der Informatisierung der Produktion. Im Zentrum des letzten großen Teils stehen "Untergang und Fall des Empires". Hardt / Negri versuchen darin, ein alternatives Programm und einige politische Forderungen (z.B. Recht auf Weltbürgerschaft, sozialen Lohn und Wiederaneignung), also Strategien des Widerstands, zu entwickeln. Sie bleiben dabei aber bewußt und gewollt zögerlich und vage, denn genaue Vorschriften und konkrete Anweisungen ließen sich wohl kaum mit der von ihnen gewünschten und erhofften Kreativität widerständiger Militanz vereinbaren.

Als Träger eines solchen Widerstands machen sie die "multitude" aus - in der deutschen Ausgabe eher unglücklich mit "Menge" übersetzt. (Überhaupt scheint es einige Schwierigkeiten gemacht zu haben, verschiedene Begriffe und Formulierungen, die im englischen Original oft als starke literarische Losungen daherkommen, adäquat zu übertragen - speziell die Überschriften wirken hier und da weniger kraftvoll, dafür aber kantiger) Diese "multitude", die ebenso unglücklich auch mit "Vielheit" hätte übersetzt werden können, verkörpert das unstillbare Verlangen nach vielfältiger Subjektivität, ein Streben nach Eigenheit, das sich jedem Totalitätsanspruch und dem für alle Formen der Souveränität so charakteristischen Drängen zu Einheit und Vereinheitlichungen widersetzt. Allerdings ist "Vielheit" nicht nur die Basis für eine mögliche Revolutionierung, sondern auch - in anderer Weise - das Lebenselixier der bestehenden Ordnung. Wer hätte schließlich noch nie etwas davon gehört, daß Flexibilität und Vielfältigkeit jene Mechanismen seien, denen sich anzupassen geboten wäre. Jeder Widerstand, auch und gerade derjenige der "multitude", muß daher berücksichtigen, dass das Potential zur Befreiung gleichzeitig ein Potential zur Stabilisierung und Reproduktion des Bestehenden ist - ebenso, wie es Anlaß zur Hoffnung gibt, da es die existierende Weltordnung selbst ist, die den Grundstein für ihre eigene Umstürzung legt und sogar legen muß, da sie ohne die kreativen Kräfte der "multitude" nicht bestehen kann.

In "Empire" geht es um nichts Geringeres als die Entschlüsselung der gegenwärtigen "logic of rule" - einer "neuen Weltordnung", wie der zur deutschen Ausgabe hinzugefügte Untertitel treffend lautet. Es geht um einen Beitrag zur Beantwortung der Frage, was die Welt im Innersten zusammen hält. Wenn die Autoren sich auf die Suche nach den Funktionsprinzipien und Mechanismen der Weltordnung begeben und dabei alles einbeziehen, von dem sie sich weiterführende Hinweise erhoffen, gehen sie weder davon aus, daß diese Ordnung spontan aus heterogenen Bewegungen und Kräften, quasi als Ergebnis einer "unsichtbaren Hand" entstünde, noch daß es eine einzige zentrale Macht gäbe, die alles bis ins kleinste Detail vorgeben, lenken und dadurch eine Weltordnung herstellen würde. Hardt und Negri hängen keiner "Verschwörungstheorie der Globalisierung" an. Vielmehr beschreiben sie eine Herrschaftslogik, in deren Zentrum der Versuch steht, politische und ökonomische Macht zusammenzubringen und alle Bereiche gleichermaßen in ein dezentrales, aber gerade deswegen effektives und allumfassendes Netzwerk globaler Machtbeziehungen und Herrschaftstechniken zu integrieren. Die vielfältigen Prozesse der Globalisierung, die weder umkehrbar noch zu unterdrücken sind, beinhalten neben wirtschaftlichem und kulturellem Austausch auch und gerade eine globale Ordnung: "Eine neue Logik und Struktur von Herrschaft", eben das Empire - jene "souveräne Macht, die die Welt beherrscht". Die so verstandene Globalisierung ist weder, wie es vielleicht in einer konservativen Deutung aussehen könnte, mit einem Niedergang politischer Kontrolle bzw. nationalstaatlicher Souveränität gleichzusetzen, noch ist sie - das wäre die neoliberale Variante - eine lang ersehnte Befreiung von staatlichen Restriktionen und damit die Entfaltung zuvor gehemmter Leistungsfähigkeit. Globalisierung ist aber auch nicht, wie einige linke Kritiker meinen, einfach nur der Verlust demokratischer Einflußmöglichkeiten. Vielmehr hat die Souveränität lediglich eine neue, globale Form angenommen, die nach anderen Prinzipien funktioniert und nicht als einfache Entfaltungs- oder Verfallsgeschichte geschrieben werden kann - "diese neue, globale Form der Souveränität ist es, die wir Empire nennen". Empire fügt verschiedene nationale und supranationale Ebenen unter einer einheitlichen Herrschaftslogik zusammen. Empire ist nicht Imperialismus, denn im Empire gibt es - im Gegensatz zum Imperialismus - keine zentrale Säule und kein klares Zentrum, wie es bis vor einiger Zeit noch in den souveränen, den Rest der Welt kolonisierenden und unterwerfenden Nationalstaaten zu lokalisieren war. Empire hat kein solches territoriales Zentrum mehr. Empire "ist ein dezentrierter und entterritorialisierter Herrschaftsapparat, der zunehmend die ganze Welt in seine offenen und expandierenden Grenzen einbezieht. Empire managt hybride Identitäten, flexible Hierarchien und vielfältige Austauschprozesse. Die unterschiedlichen Nationalfarben der imperialistischen Weltkarte verschmolzen und vermischten sich zu einem globalen, imperialen Regenbogen".

Die Moderne, d.h. die Weltordnung, die dem Empire unmittelbar vorausging, war durch die drei Achsen Nationalstaatlichkeit, Kolonialismus bzw. Imperialismus und Disziplinargesellschaft bestimmt. Nach innen wurden völkische Reinheit und nach außen rassische Differenzen erzeugt und damit eine europäische oder besser eine nationale Identität gebildet. Disziplinargesellschaft - als Korrelat von Nationalstaatlichkeit und Imperialismus - meint die Kombination verschiedener Apparate und Anforderungen zur Lenkung des Verhaltens und der Praktiken der Individuen. Foucault - ein wichtiger theoretischer Bezugspunkt von Hardt und Negri - sprach diesbezüglich immer wieder von der "Produktion gelehriger Körper". Das Soziale wurde gemäß einer den Prinzipien von Einschluß und Ausschluß gehorchenden Disziplinarlogik strukturiert. Normales und abweichendes Verhalten wurde festgestellt, klassifiziert und zu korrigieren versucht.

Diese Weltordnung der Moderne befindet sich gegenwärtig in einem Wandel. Hardt und Negri behaupten nun, daß sich bereits deutlich die Konturen der neuen Weltordnung erkennen lassen bzw. deren Prinzipien schon längst wirken. Empire ist kein bloßer Übergang, sondern eine eigene, vollständige und funktionsfähige - wenn auch in einigen Teilen noch im Werden begriffene - Herrschaftslogik, eine neue Form der Souveränität, deren politische Grundlagen sich bis zur amerikanischen Revolution zurückverfolgen lassen und die ebenso anonym wie allgegenwärtig ist. Produktive Einbeziehung und gleichzeitige Kontrolle ersetzen zunehmend krude Beherrschung und Ausbeutung. Mit der Herausbildung des Empire verliert die für die Moderne konstitutive Gegenüberstellung von Innen und Außen ihre Bedeutung. Netzwerkartige, offene, einbeziehende aber dennoch vereinheitlichende Machtformen heben zunehmend alle Grenzen auf. Einschließung, Differenzierung und Management heißen die neuen Götter. Ausschluß, Homogenisierung und Beherrschung haben ihre Schuldigkeit getan und dürfen gehen - so zumindest eine der Hauptthesen von Hardt und Negri, die an dieser Stelle Gilles Deleuze zu ihrem Gewährsmann machen, dem sie wohl zu Recht zuschreiben, das Foucaultsche Konzept der Disziplinargesellschaft produktiv und explizit weiterentwickelt zu haben. Indem Deleuze von der Kontrollgesellschaft sprach, formulierte er Hardt und Negri zu Folge ein angemessenes Werkzeug zur Beschreibung der Gegenwart. Insbesondere aus der analytischen Aneinanderbindung von Kontrollgesellschaft und Biomacht bzw. Biopolitik erhoffen sich Hardt und Negri weitreichende Aufschlüsse. Mit dem Verweis auf die biopolitische Natur des Empire gerät in den Blickpunkt, daß es das Leben selbst mit all seinen Regungen ist, was zuerst produziert, immer wieder reproduziert und dauerhaft kontrolliert wird. Die Erforschung und Verwaltung des Lebens, d.h. der vitalen Funktionen werden immer zentraler. Hervorbringung und Kontrolle der Tiefen des Bewußtsein und eines kollektiven Körpers - desjenigen der Bevölkerung - kristallisieren sich als konstitutive Funktionsprinzipien der neuen Weltordnung heraus.

Hardt und Negri geben bei aller Analyse und Empathie keine Handlungsanweisungen, sie benennen keinen externen, unabhängigen und objektiven Standort für Kritik, sie versuchen nicht, einen reinen und unverfälschten Ausgangspunkt zu finden und daraus den einen, richtigen Weg des Widerstandes zu definieren. Das ist ihre Sache nicht. Wer jedoch wissen will, wie es um das Elend der Macht bestellt ist und welche Freude des Seins dem entgegen zu stellen wäre, wer sich fragt, warum Biomacht und Kommunismus ebenso zusammengehören wie Kooperation und Revolution, sollte in "Empire" eintauchen und versuchen, sich darin freizuschwimmen. Es wird sich mit Sicherheit eine Vielzahl Werkzeuge finden, die in dieser oder jener Weise eingesetzt werden können, aber eben nicht müssen. Wer Widerstand und Kritik in Begriffen einer "kreativen Militanz" begreift, kann nicht darüber bestimmen, wie diese aussehen sollten.


Timo Luks


Michael Hardt / Antonio Negri: Empire. Eine neue Weltordnung, Campus Verlag, 461 S., 34, 90 Euro
 


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