kassiber 49 - Mai 2002

 Editorial


"Bremen neu erleben", wirbt dieser Zeit die offizielle Marketingagentur der Stadt auf den lokalen Tourismus-Websites und Plakatwänden. Ja, aber gerne doch! Auf zu gemeinsamen linken Aktionen! Je radikaler, desto besser! Aber gesetzt den Fall, das meinten die gar nicht mit ihrem Slogan - Was gibt's sonst so Neues hier? Wir sind der Werbe-Aufforderung gefolgt und fündig geworden.

Da wäre zum einen das pompös-maskuline Waffengeprotze der Bundeswehrschau mit dem muffigen Titel "Unser Heer". Da sattsam bekannt ist, daß "ihr Heer" gerade abgespeckt wird, fällt hoffentlich kaum jemand rein auf die angeblichen Rekrutierungsversuche und erkennt, daß die primäre Funktion der Schau Kriegspropaganda ist. Wer nicht z.B. aus Jugoslawien stammt, aber trotzdem schon immer mal sehen wollte, wie sich die Panzer des deutschen Heeres seit dem Blitzkrieg weiterentwickelt haben oder wie es genau aussieht, wenn eine Waldschonung in die Luft gejagt wird, hat Anfang Mai die Gelegenheit dazu (Um Mißverständnissen vorzubeugen: Es fahren nur die neueren Kriegsgeräte mit ihren feschen Tiernamen herum, und auch die ehemalige Waldschonung gibt's nur im Film). "'Ansehen' erwächst aus 'gesehen werden'. Nur wer etwas persönlich gesehen hat, kann ein kompetentes Urteil abgeben und mitreden", belehrt uns dazu in überraschend geschickter Rhetorik der Ankündigungstext auf der ziemlich tolpatschig layouteten BW-Website. In vielen Fällen stimmt das leider nicht: Tote können nicht reden.

Zur Zeit der Herausgabe dieser Zeitung wird auf der Bürgerweide zum Glück wieder Ruhe eingezogen sein. Aber auch wenn dort alles ruht, einsam wachen dann doch noch immer unsere ständigen BegleiterInnen von der Schlapphutkompanie. Sowohl unliebsame wie nostalgische Erinnerungen daran weckt der Artikel zum zweiten Bremer Extremismusbericht 2001. Verfassungsschutz & Co., aufgepaßt: Heut ist Großer Schmutzige-Wäsche-Waschtag! Und der kassiber wäscht ordentlich, darauf kann die geneigte LeserIn sich verlassen. Nicht so wie beim sogenannten "Aufstand der Anständigen", mit dem angeblich gegen die immer breitere Kreise schlagenden faschistoiden Tendenzen in der BRD vorgegangen sollte, der aber letztlich einem borniert-völkischen Nationalismus nur mit imperialistischem Standort-Nationalismus begegnet (Thesen zur deutschen Rechtsextremismus-Kampagne).

Gern kritisch auf die Wäscheleinen der NachbarInnen zu lugen, wird ja eigentlich mit Vorliebe den AnhängerInnen des Kleingartenwesens nachgesagt. Dabei sind die zumindest in Bremen viel heterogener, als sich selbst innerstädtische DunkelkammerbewohnerInnen und AsphalttreterInnen vorstellen mögen. Trotzdem haben sie sich angesichts der Abrißdrohung im Waller Parzellengebiet zusammengetan, und vielleicht gibt's tatsächlich doch noch irgendwann den Zwergenaufstand... Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich ist, daß sich davon dann auch die Ateliergemeinschaft im Güterbahnhof mitreißen läßt, deren Bleibe ebenfalls - zumindest von Unsicherheit - bedroht ist. Beide Fälle von Sanierung zeigen, daß das Wort dialektischer ist, als es den Unbedachten daherkommt, und daß die Bremer Stadtentwicklungspolitik von den Ansprüchen und Bedürfnissen der meisten BremerInnen weitgehend emanzipiert ist. Ein weiteres Sanierungs-Projekt ist zu unser aller Bedauern bereits abgeschlossen: vom für ein paar Tage bunt besetzten Haus in der Parkallee 5 ist nurmehr eine traurig-gefegte Leerfläche geblieben (sh. Daumenkino im Magazin-Teil).

Wie mensch sieht, haben es selbst die BremerInnen schwer, die daheim im Geheimfach ihres Nachtschränkchens ordentlich ihren deutschen Paß verwahren. Was ist aber mit denen, die gar kein Nachtschränkchen besitzen? Und wenn doch, dann zumindest kein Wertpapier der genannten Art? Ganz einfach: Die können sich ja die Papiere besorgen. Sie müssen lediglich ... (Entschuldigung, aber aus Platzgründen muß hier auf das Aufzählen aller Bedingungen verzichtet werden, die dem Erwerb eines deutschen Passes für nicht-westliche AusländerInnen ohne Studienabschluß, Fußballpokale und/oder Millionenkonto vorausgehen. Erwähnt sei hier nur der endlich auch in Bremen - der Objektivität wegen - eingeführte verschärfte Deutschtest bei der VHS. Nachzulesen in Die Ausländersortierer. Die Setzerin). Wenn das vielen nicht Paßt, sollen sie eben abgeschoben werden, findet nicht nur Innensenator Böse. Besser aber, sie und alle anderen schließen sich den in letzter Zeit in Bremen erfreulich häufigen und vielfältigen Aktionen gegen Abschiebungen an. Gern auch mit anderem Ausgang.

Aktionen, Workshops u.v.m. gegen Abschiebungen und weitere Methoden, MigrantInnen zu sortieren und zu kriminalisieren, gibt es auch auf den jährlich an einem anderen Ort stattfindenden Grenzcamps. Dieses Jahr hat sich aus der Standort- jedoch eine Standpunkt-Diskussion entwickelt. Der Beitrag zur Problematik von gemeinsamen linken Aktionen mit MigrantInnen ist leichter zu lesen, als der Titel verspricht: Trans-identitäre Organisierung und Hybridität ... Und da wir gerade bei wichtigen linken Diskussionen sind: Im vorliegenden Heft findet sich auch Klaus Viehmanns Position in der heißen Debatte um die Deals von Angeklagten im RZ-Prozeß (Einlassung - Entlassung?).

Auf massive Unsicherheit stößt mensch zur Zeit, wenn es um linke Diskussionen der Lage in Israel/Palästina geht. Ein Interview mit Moshe Zuckermann soll unser bescheidener Beitrag zur unbedingt notwendigen gründlicheren Auseinandersetzung mit dem Thema sein (Die militärische Eskalation kann nichts retten). Daß daran hoher Bedarf besteht, zeigen nicht nur die bisher in Bremen dazu aufgetauchten Plakate in unangenehmer Deutlichkeit.

Ansonsten muß die Redaktion schamvoll gesenkten Hauptes gestehen, daß in dieser Ausgabe weder ein weiterführender Artikel zu Afghanistan zu finden ist noch einer zu den Philippinen, Somalia oder sonstigen aktuellen Zielscheiben des imperialistischen Terrorismus. Leider werden solche Mankos oft mit höheren Verkaufszahlen "belohnt". An dieser Stelle soll daher ausdrücklich klargestellt werden, daß wir uns NICHT der immer weiter um sich greifenden Vogel-Strauß-Mentalität anschließen: Der Krieg geht weiter, ob das nun auf Seite eins steht oder nicht; der Bedarf an Gegenaktionen ist kein Stück gesunken.

Trotzig wiedererhobenen Hauptes -

Die Redaktion, 28. April 2002


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kombo(p) - 25.07.2002