kassiber 49 - Mai 2002

Allerlei Ungemach wg. herbstlichen Anti-Kriegsdemonstrationen

Die DenunziantInnen


Brunhilde K. wurde der an und für sich recht schöne Sonntag des 23. September 2001 in ihren Gemächern im noblen Oberneuland gründlich verdorben. Bei der morgendlichen Lektüre des Kurier am Sonntag mußte die 78jährige doch lesen, daß ein Redner während der Auftaktkundgebung der Anti-Kriegsdemonstration am Vortag verkündet hätte, die Anschläge vom 11. September seien "'weltweit auf Sympathie gestoßen'", und darob "bei weitem nicht nur - aber auch - Zustimmung" bei den rund 1.300 TeilnehmerInnen gefunden hätte.

Brunhilde K. brauchte fünf Tage sich zu erholen, um dann den Füllfelderhalter zu zücken und sich per Brief an die Staatsanwaltschaft Bremen zu wenden. Das, was Fritz auf dem Bahnhofsplatz verkündet habe, schloß Frau K. messerscharf, müsse den "Tatbestand der Volksverhetzung" erfüllen. Außerdem noch fühlte sich die 78jährige als "Europäerin und Deutsche beleidigt" durch eine weitere in der Sonntagspostille als Zitat gekennzeichnete Redepassage: "'Wir sind das Ziel der Terroristen, weil wir weltweit für Diktatur, Sklaverei und Ausbeutung stehen.'" Frau K. also stellte jeweils Strafanzeige und -antrag, die juristisch anmutende Diktion des Schreibens deutet darauf hin, daß der Anti-Kriegsredner nicht der erste war, den zu denunzieren sie sich anschickte.

Vielleicht lag es daran, daß sich noch zahlreiche weitere Schreiben der Aktivbürgerin auf den Schreibtischen der Staatsanwaltschaft stapelten, wohl eher aber an der in diesen Wochen immens gestiegenen Denunziationsbereitschaft der braven BürgerInnen gegenüber angeblichen "islamistischen Terroristen" - und damit an einer Vielzahl weiterer Ermittlungsverfahren -, jedenfalls brauchte die Behörde fast sieben Wochen, das Begehren der Brunhilde K. mit dem Vermerk "Eilt!" zuständigkeitshalber an den Staatsschutz der Kriminalpolizei weiterzuleiten. Der Tatvorwurf lautete jetzt juristisch korrekt "Verdacht der Belohnung und Billigung von begangenen Straftaten" (§ 140 StGB). Doch so eilig kann es nicht gewesen sein, denn immerhin vergingen weitere rund zwei Monate, bis das K 63 - zuständig für "politisch motivierte Straftaten (links)" - Ende Januar zwei Zeugen ins Polizeipräsidium vorgeladen hatte: den Autoren des Artikels im Kurier am Sonntag, Bernd Schneider, sowie den darin namentlich benannten Ulrich Finckh.

Redakteur Schneider hatte am 23. September immerhin für den ersten Artikel in den Gazetten der Bremer Tageszeitungen AG verantwortlich gezeichnet, in dem über einen Anti-Kriegsprotest nach den Anschlägen vom 11. September berichtet wurde. Bis dahin hatten Weser-Kurier, Bremer Nachrichten, Kurier am Sonntag und die zahlreichen zur Verlagsgruppen gehörenden Blätter im Umland - bis auf einige Bitte-Bitte-kein-Krieg-SchülerInnenappelle - alles zensiert, was den laufenden Kriegsvorbereitungen im inneren wie äußeren entgegenlief.

Doch Schneider konnte nicht verhehlen, daß der bürgerliche Journalismus ein einigermaßen schmutziges Geschäft ist. Der Schreiberling ist eigentlich, jedenfalls im Vergleich zur Mehrzahl seiner KollegInnen, ein eher netter und hat sich in der Vergangenheit auch schon - zumindest subjektiv - an "linken" Themen interessiert gezeigt. Aber das Tagesgeschäft ist hart und der gemeine Weser-Kurier-, taz- und schon gar Weser-Report- oder Bremer-Anzeiger-Redakteur taugt dann doch eher nur zur Umformulierung der ihm zugesandten oder übergebenen Presseerklärungen, um diese dann mit dem eigenen Namen als Artikel zu kennzeichnen. Doch Bernd Schneider wollte nicht ohne journalistische Sorgfaltspflicht diesen Artikel verfaßt haben und beteuerte, daß über das, was er in Anführungszeichen setze, er sich im hohen Grad sicher sei, es auch so gehört zu haben. Na ja, jedenfalls sei "der Zusammenhang sehr eng zwischen dem, was ich schreibe und wie es gesagt wurde". Wie es denn zu der glatten Zitatfälschung gekommen war, konnte er sich auch nicht mehr erklären, doch habe er sich im nachhinein anhand des Redemanuskripts davon überzeugt, daß der Redner sich doch eindeutig von den Anschlägen distanzierte. (Diejenigen, die die ganze Rede interessiert, können sie in der kassiber-Sonderausgabe zum Krieg, Oktober 2001, auf den Seiten 38ff nachlesen.) Ein Richtigstellung dieses, um es mit dem Attac-Aktivisten Lafontaine zu sagen, Schweinejournalismus erfolgte selbstverständlich nicht.

Und alle LeserInnenbriefe, die die diskriminierende Berichterstattung zum Thema machten, wurden im Weser-Kurier nicht veröffentlicht.

Ulrich Finckh ist da schon von anderem Kaliber. Der Mann ist evangelischer Pfaffe im Ruhestand und durch Funk und Fernsehen bekannt aufgrund seiner Rolle als Bundesvorsitzender der in Bremen beheimateten Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen. Und doch: politisch-persönlich alles andere als gut drauf. Besonders hervorgetan hatte sich Finckh Ende der achtziger Jahre durch eine miese Schmutzkampagne gegen den links-alternativen evangelischen Pastor Friedrich Bode, die für den in einem quasi Berufsverbot endete. Der friedensbewegte Finckh, immerhin schon 73jährig, war während der Anti-Kriegsdemonstration am 22. September auch für die einzige militante Aktion verantwortlich, als er nämlich versuchte, dem inkriminierten Redner mit körperlicher Gewalt das Mikrophon zu entreißen - woran ihn allerdings im Kurier am Sonntag als "selbsternannte Bodyguards" titulierte AktivistInnen hinderten. "'Reinen Antiamerikanismus'" hätte Fritz verbreitet, diktierte er damals Schneider, dabei sei bei der Demovorbereitung verabredet worden, daß "nur für den Frieden geredet" werde. Natürlich war Finckh auf keinem Vorbereitungstreffen gewesen, denn die Demonstration war von einem Bündnis autonomer Gruppen vorbereitet worden. Doch gegenüber dem vernehmenden Staatsschutz-Kommissar gab Finckh sich wider Erwarten lammfromm, nichts schlechtes mochte er über den Redner sagen, alles wäre wohl eher ein Mißverständnis gewesen. Und überhaupt habe er nur "eingreifen" wollen, weil der Redebeitrag zu lang gewesen sei. Da blieb auch Bremens Politstaatsanwalt Uwe Picard nichts anderes übrig als das Ermittlungsverfahren am 15. Februar "mangels hinreichenden Tatverdachts" einzustellen.

Ob in nächster Zeit noch weitere Ermittlungsverfahren wegen der Anti-Kriegsdemonstrationen im Herbst bekannt werden, bleibt abzuwarten. Immerhin waren die die mit Abstand größten Demonstrationen, die in den vergangenen Jahren in Bremen stattfanden, sehen wir einmal von den ritualisierten Bierzelt-Zubringerdiensten des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 1. Mai ab. Daß die Polizei und insbesondere der Staatsschutz ein besonderes Interesse daran hatten, läßt sich schon daraus ersehen, daß Staatsschutzchef Frank Hermann jedes mal - immer in Höhe des Lautsprecherwagens - mitmarschierte, eine Behandlung, die er schon längere Zeit keinen linken Aktivitäten mehr hatte angedeihen lassen.


... finden aber viele gut

Denunziation ist indes keine Domäne deutscher Rentnerinnen mit vielleicht schon 1.056jähriger Übung, auch die Bremer Antideutschen sowie die Wir-sind-keine-Antideutschen-wir-sind-Antinationale-Fraktion üben sich darin. Während die Antideutschen einen ihrer beiden Co-Vorsitzenden zur Demonstration am 22. September entsandten, auf daß der sich dort nach Altvätersitte vor der ersten (Autonomen-)Reihe als Erschießungskommando gerierte - wenngleich, im Gegensatz zu seinen Vorfahren, auf Gewehr und Munition verzichtete -, verbreiteten die Antinationalen anläßlich ihrer Veranstaltung mit Gerhard Scheit im Oktober im Paradox ein Flugblatt (handschriftliche Überschrift: "kein ‚Antinationale Gruppe'-Papier, finden aber viele gut"), mit dem dem Staatsschutz gleich Futter für eine Reihe von Verfahren gegen linke Zusammenhänge geliefert werden sollte.

Das Elaborat hätte VerfasserInnen wie VerbreiterInnen in früheren Jahren wenigstens ein jahrelanges Hausverbot in linken Etablissements eingebracht. In den heutigen Zeiten des Gleichgewichts des Schreckens bei den Bremer Jungautonomen (das Patt stellt sich über die gegenseitigen Anwürfe "Ihr seid TäterschützerInnen" beziehungsweise "Ihr seid AntisemitInnen" her, und beide haben, leider, größtenteils recht) bleibt es, wie fast alles, was im Zeichen der Banalitäten der Blöden verzapft wird, folgenlos. Wenngleich die einen wenigstens nicht dem Staatsschutz zuarbeiten. Die Antideutschen und -nationalen aber schon: Zunächst wird - "... finden aber viele gut" - der "Abschied vom linken Weltbild" verkündet, um sodann "zuverlässige", wenngleich wohl noch nicht justitiable "Erkenntnisse" zu verkünden: "Die ‚klammheimliche Freude' fast aller Linksradikalen" über die Anschläge in New York und Washington, denn die seien Ausdruck auch deren "ressentimentgeladenen Hasses auf ‚Globalisierung', die USA, ‚die Moderne', Diversität, Israel, Unübersichtlichkeit, Universalität". "Später erfuhr" der/die AutorIn, daß am Abend des 11. September "gewiß nicht nur in Bremen Leute aus ‚der Szene' Sekt tranken auf den Einsturz der WTC". Gegen Ende des Flugblatts geht es ans Eingemachte: "Dem über 60jährigen Autonomen Fritz S." [es folgt die volle Namensnennung; W.L.] - man gut, daß der wenigstens ein weißer, christlich sozialisierter Deutscher ist, was hätte sich sonst noch alles an Zuschreibungen finden lassen? - wird bei Antideutschens nun schon mit folgender Äußerung am 22. September unterstellt, in dem genau das Gegenteil von dem behauptet wird, was er letztendlich gesagt hat: "'Haben wir uns nicht alle gefreut, daß es endlich mal die USA getroffen hat?' etc." Um daraus den Schluß zu ziehen: "Wer erklärt mir den Unterschied zu Horst Mahler?"

Anklagepunkt Nummer 2: Ein Soli-Punkkonzert für die Prozeßkosten der Gefangenen von Genua am 21. September in der Grünenstraße sei in Wirklichkeit eine Art Leichenschmaus - "die Basis sind mehr als 6.000 Tote" - gewesen. Entsprechend habe das Motto, behaupten zumindest Antideutsche und -nationale, gelautet: "Wenn Häuser (!!!) brennen, weint ihr, wenn Menschen sterben, schaut ihr zu." Und im Überschwang der Gefühle hätten sich die TeilnehmerInnen danach zusammengetan und "'Bonzenautos' abgefackelt". Zu Anklagepunkt Nummer 3 liefen die Ermittlungen aber schon, denn tatsächlich brannten während des Konzerts in der Grünen- sowie Nebenstraßen mehrere Autos (Sachschaden laut Polizeibericht etwa 100.000 Mark). Die Polizei aber stellte, trotz der unmittelbaren Nähe zum Punkkonzert, keinen Zusammenhang her - und KonzertbesucherInnen berichteten, bei Löscharbeiten geholfen zu haben.

Die Frage stellt sich, was sie mit solchen Lügen und Diffamierungen erreichen wollen - und wie sich die Linke zukünftig dazu verhalten sollte.


Willi Leow





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Unlauterer Wettbewerb


Mit übler Nachrede kennen sich auch die FunktionärInnen der "Sozialistischen Alternative Voran" (SAV) aus. Wenngleich sie sich nicht an die Sicherheitsbehörden wandten, sondern mit recht unfeinen Methoden versuchten, ihre erklärte Konkurrenz im Wettbewerb um die Vormachtstellung im linken Bremer Jugendbereich - PDS-Jugend und Autonome - zu diskreditieren. Während der TrotzkistInnenverein nämlich noch im Rahmen der Anti-Globalisierungsbewegung mit seiner Taktik einigermaßen erfolgreich war, sich als Avantgarde der Bewegung darzustellen beziehungsweise Bündnisaktivitäten als nur eigene öffentlich darzustellen, bekam er bei den Anti-Kriegsprotesten kaum ein Bein auf den Boden.

Im Vorfeld der dritten großen Anti-Kriegsdemonstration Ende November drängten die SAV-VertreterInnen im Bündnis im Namen der GesamtschülerInnenvertretung (GSV) darauf, die Demonstration nicht wie geplant am Sonnabend, den 23. November, sondern einen Tag vorher, und zwar am frühen Nachmittag stattfinden zu lassen. Ein höchst ungünstiger Termin, der nicht nur all diejenigen ausschloß, die einer regelmäßigen Erwerbsarbeit nachgehen müssen. Doch das Pfund, das SAV/GSV in die Waagschale warfen, war beachtlich: Ein großer Sternmarsch von zahlreichen Schulen aus würde am Mittag auf dem Bahnhofsplatz zusammentreffen und könnte von der anschließenden Bündnisdemo "übernommen" werden, die Vorbereitungen der GSV - wurde bereits Mitte Oktober versichert - würden laufen. Dies schien im Bündnis plausibel, schließlich betonten die SAV-FunktionärInnen unumwunden, bei der GSV ständig präsent zu sein und alles unter Kontrolle zu haben (wenngleich zumindest quantitativ die im Bündnis nicht anwesenden PDS-Nachwuchskräfte von "solid" die Nase vorn zu haben schienen). Die Darstellung der laufenden Vorbereitung der SchülerInnendemonstration wurde über Wochen - auch auf kritische Nachfragen im Bündnis, warum denn keine Plakate oder Flyer zu sehen seien - aufrechterhalten. Erst beim Bündnistreffen einen Tag vor der Demonstration wurde lapidar mitgeteilt, daß es keine SchülerInnendemonstration geben werde. Warum? Damit habe die SAV nichts zu tun, das habe allein die Konkurrenz von der PDS-Jugend zu verantworten.

Doch damit nicht genug. Künftig solle, forderte die Möchtegern-Kaderorganisation auf dem Nachbereitungstreffen der Demonstration, ein Ordnerdienst verhindern, daß Autonome immer wieder die erste Demonstrationsreihe stellen (das könnten "wir" ja machen) und zum anderen für den notwendigen Gleichschritt bei den DemonstrantInnen sorgen, auf daß die nicht allzu ungeordnet herumlaufen. Das Vorhaben scheiterte kläglich.
 


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kombo(p) - 25.07.2002