kassiber 48 - März 2002

was bisher geschah



21. August



Aus der Sozialhilfe herausgeführt

Bundesweit lebten Ende vergangenen Jahres 2,68 Millionen Männer, Frauen und Kinder von und mit der Sozialhilfe, das sind 4,5 Prozent weniger als im Vorjahr. Im Bundesland Bremen waren es nach den neuesten Angaben des Statistischen Bundesamtes 62.441 (minus 4,7 Prozent). Damit ist die Zahl der SozialhilfeempfängerInnen im dritten Jahr in Folge zurückgegangen, bundesweit im Vergleich zu Ende 1997 um knapp acht, in Bremen um über zehn Prozent.

Das Amt für Soziale Dienst führt das insbesondere auf seine "Hilfen zur Selbsthilfe" unter dem Motto "Fördern und Fordern" zurück. So sei es zum Beispiel mit dem Programm "U 26", das alle SozialhilfeempfängerInnen und AntragstellerInnen unter 26 Jahren zu verbindlichen "Beratungen" und - in deren Folgen - zu irgendwelchen "Qualifizierungs"-Maßnahmen, Arbeitsdiensten (Rasen mähen, Blumen pflanzen, Kippen und Getränkedosen aufsammeln etc.) oder, bei Weigerung, zum Zurückziehen ihres Antrags verpflichtet, gelungen, 1.200 von 1.425 Neuzugänge gleich wieder aus der Sozialhilfe herauszuführen. Auch vielen anderen SozialhilfeempfängerInnen werde es demnächst an den Kragen gehen. Schließlich sei, so Heidrun Ide, Sprecherin der Bremer Sozialsenatorin, bei 11.000 der 47.700 Bremer SozialhilfeempfängerInnen davon auszugehen, "daß sie arbeiten können". Und wer das nicht tue, dem würden zunächst 25 Prozent, später die gesamte Knete gestrichen (vgl. 29. August 2001).



22. August



Investition in die Zukunft

Willi Lemke hatte sich 1999 durch seine langjährige Managertätigkeit beim SV Werder Bremen für den Job als Bildungs- und Wissenschaftssenator empfohlen. Mit dem Bundesligisten blieben ihm allerdings immer die großen, von den Bayern und Dortmundern umlagerten, Fleischtöpfe verwehrt und so versann sich der sozialdemokratische Emporkömmling darauf, allerlei neue "innovative" Geldquellen zu erschließen. Lemke gilt seither als Erfinder der ziemlich peinlichen Hemdkragen-Werbung, der keine Kamera ausweichen kann, wie auch der Umwandlung größerer Stadionbereiche in teure VIP-Logen. Dem früheren Doppelagenten für Verfassungsschutz und sowjetischen KGB eilte vor seinem Einzug in die Bildungsbehörde der Ruf voraus, bewiesen zu haben, daß man aus fast nichts - nämlich den eher handwerklichen Begabungen der Werder-Kicker - Spitzenpositionen erreichen kann.

Nachdem er Anfang April verkünden konnte, daß Bremen bei der Einwerbung von Drittmitteln für seine Hochschulen zu den "erfolgreichsten" Bundesländern zählt, ein Verdienst, das Lemke aufgrund seiner kurzen Amtszeit allerdings kaum für sich vereinnahmen kann, hat der Herr Senator jetzt auch für die Schulen eine neue Einnahmequelle aufgetan, frei nach dem Motto "Verkaufe Lerninhalte gegen Höchstgebot."

In der Integrierten Stadtteilschule Hermannsburg in Bremen-Huchting präsentiert Lemke heute "das innovative naturwissenschaftliche Lehr- und Lernkonzept 'ProScienceTech'", das im Jahr 2002 in die praktische Umsetzung gehen soll, der Presse. Mit dabei sind die niedersächsische Kultusministerin Renate Jürgens-Pieper sowie mehrere Manager des Raumfahrtunternehmens "Astrium". Ziel des von Schulen, Wissenschaft und Unternehmen aus der Region Bremen entwickelten "ProScienceTech" sei es, durch "moderne und innovative Lehrmittel" naturwissenschaftliche und technische Inhalte so zu vermitteln, daß bei Jugendlichen dauerhaftes Interesse an diesen Themen geweckt wird. Nämlich an - das sind die vier Schwerpunkte - der Raumfahrt, den Geowissenschaften, der Polarforschung und natürlich der Gentechnologie.

Während Lemke von der erfreulichen "Bereitschaft der Industrie, ... in Bildung zu investieren und zur Förderung des naturwissenschaftlichen Unterrichts beizutragen" fabuliert, nimmt Stefan Graul, Direktor Orbitale Infrastruktur und Betrieb im Astrium-Geschäftsbereich Raumfahrt-Infrastruktur, kein Blatt vor den Mund. Europas größtes Raumfahrtunternehmen gebe Geld für neue Laboreinrichtungen und beschränke sich von daher schon jetzt nicht nur auf die Planung, sondern gehe die Ziele in konkreten Projekten, wie die gemeinsame Entwicklung von Unterrichtseinheiten, an. Profiliert habe sich Astrium bereits durch das Projekt "SpacEducation" oder SchülerInnenexperimente im Fallturm des ZARM (Universität).

Außer von Astrium (700.000 Mark für je zwei Schulen in Bremen und im Umland) gibt es für "ProScienceTech" auch noch Knete vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Der Grundstein zu "ProScienceTech" wurde nach Angaben der Bildungsbehörde im Juni 2000 mit der Gründung des Arbeitskreises "Schule-Raumfahrt" von Astrium, OHB System GmbH, ZARM FAB sowie den drei Schulen Ökumenisches Gymnasium, KGS Stuhr Brinkum und KGS Leeste gelegt. Inzwischen seien weitere "Partner", etwa das Alfred-Wegener-Institut (Bremerhaven), und viele weitere Schulen hinzugekommen. Mittelfristiges Ziel des Arbeitskreises sei die Institutionalisierung, beispielsweise in Form einer Stiftung.



27. August



Rüstung sichert Bremer Arbeitsplätze (I)

Die Bremer Rüstungsindustrie zieht innerhalb weniger Wochen einen dritten Großauftrag an Land (vgl. kassiber 47, Dezember 2001, S. 10f). Im Wettbewerb um das von der Bundeswehr ausgeschriebene satellitengestützte Aufklärungssystem "SAR-Lupe" setzt sich das zur Fuchs-Gruppe gehörende und an der Bremer Universität beheimatete Raumfahrtunternehmen OHB System (s. kassiber 47, Dezember 2001, S. 49ff) gegen Dornier (Friedrichshafen) durch und wird nun demnächst allein in die Vertragsverhandlungen für den bis zu 630 Millionen Mark schweren Auftrag einsteigen. Geplant ist die Lieferung von fünf Satelliten in den nächsten viereinhalb Jahren. Mit der Produktion soll Ende dieses Jahres begonnen werden, wenn bis dahin der Bundestag der Mittelfreigabe zugestimmt hat.

Das System "SAR-Lupe" der Orbital- und Hydrotechnologie Bremen (OHB) mit seinen feinauflösenden Bildern der Erde ist Bestandteil der "unauffälligen Vorbereitung eines Angriffskriegs durch die Bundeswehr" (vgl. kassiber 47, Dezember 2001, S. 46ff).



Schlappe für die SCHUFA

Das Amtsgericht Hamburg hat nach Angaben der Verbraucherzentrale Bremen die SCHUFA jetzt dazu verurteilt, es zu unterlassen, den sogenannten Score-Wert des Klägers, eines Kaufmanns, an ihre Vertragspartner weiterzugeben (Aktenzeichen 9 C 168/01). Das Urteil betreffe jedoch nur diesen Einzelfall.

Die SCHUFA speichert über sämtliche KontoinhaberInnen einen "Score" (sinngemäß: "Punktezahl", "Punktestand"), das heißt einen Zahlenwert zwischen eins und tausend, der per Computer ermittelt wird. Je niedriger der Wert, desto schlechter ist die finanzielle Prognose. In den "Score" fließen unter anderem das Alter, der Wohnort und die Wohngegend und etwa auch ein häufiger Wohnungswechsel des/der KundIn ein. Auch wenn man wiederholt eine schriftliche Eigenauskunft einholt, wirkt sich das negativ auf den Punktestand aus. Der/die einzelne KundIn wird aber nicht nach den persönlichen Daten bewertet, sondern nach den Daten einer Vergleichsgruppe mit ähnlichen Daten. Der "Score" solle rein statistisch prognostizieren, ob ein bestimmter Kreditvertrag sich ähnlich entwickeln wird wie die Kreditverträge von Vergleichspersonen in der Vergangenheit. Daten wie fester Job und hohes Einkommen werden nicht berücksichtigt, weil die SCHUFA Daten zu Vermögen und Beruf gar nicht sammeln darf.

Aber während die SCHUFA - gegen eine Gebühr - zur Auskunftserteilung über die dort gespeicherten Daten verpflichtet ist, erteilt sie keine Auskunft, wie hoch der "Score" ist. (Wobei die meisten ihr SCHUFA-Formular von der Kontoeröffnung wohl schon vergessen und von einem solchen "Score" noch nie etwas gehört haben.) Dafür hatte die SCHUFA in der Vergangenheit wiederholt Kritik von VerbraucherInnen- und DatenschützerInnen einstecken müssen, aber betont, am Score-Berechnungsverfahren festzuhalten. Angeblich weiß sie nicht einmal selbst, wie ihr Programm den Score genau berechnet.

Wer verhindern will, daß die SCHUFA den persönlichen Score-Wert weitergibt, muß ihr das unter Verweis auf das neue Urteil selbst untersagen. Für den Fall, daß man falsche Eintragungen bei der SCHUFA über sich findet, muß man sich gleichfalls dagegen verwahren. Auf der Homepage der Verbraucherzentrale Bremen (www.verbraucherzentrale-bremen.de) steht unter der Rubrik "Publikationen" eine Online-Broschüre bereit, in der sich ein Musterbrief und viele Tips finden.



28. August



Lebendige Vergangenheit

Oldenburgs Stadtrat steht immer noch zum faschistischen Ehrenbürger August Hinrichs (1879-1956). Mit überwältigender Mehrheit lehnen die Abgeordneten den Antrag der Fraktion Oldenburger Linke Liste/PDS ab, Hinrichs die 1944 verliehene Ehrenbürgerschaft posthum abzuerkennen; lediglich die VertreterInnen von Bündnis 90/Die Grünen stimmen dafür, einige Sozis enthalten sich. Das NSDAP-Mitglied Hinrichs war Landesleiter der Reichsschrifttumskammer und erfreut sich in der niedersächsischen Provinz noch immer als Autor von Bauerkomödien ("Krach um Jolanthe") großer Beliebtheit. Nur ungern erinnert man sich hingegen an sein Blut-und-Boden-Weihespiel "Die Stedinger", das Hinrichs damals für das von den Nazis auf der Freilichtbühne Bookholzberg ins Leben gerufene "Oberammergau des Nordens" schrieb. Überhaupt gilt der Sohn der Stadt ausweislich seines Entnazifizierungsverfahrens von 1949 als "unbelastet" und ist deshalb Namensgeber einer Straße, eines Platzes, der dem Staatstheater angegliederten niederdeutschen Amateurbühne, einer Stiftung sowie eines allerdings noch nie vergebenen Literaturpreises.

Anlaß für den Antrag der Linken Liste/PDS war ein kürzlich bekanntgewordenes Gedicht Hinrichs' in einer "dem Führer" aus Anlaß Hitlers Geburtstag 1941 gewidmeten Tornisterschrift für Wehrmachtssoldaten. In dem Fünfzehnzeiler hatte Hinrichs Hitler als "Held" gefeiert, der "seinen Namen durch übermenschliche Tat mitten hineinschrieb ins lebendig aufglühende Herz seines Volkes".



29. August



Neues Polizeigesetz beschlossen

Mit den Stimmen der Großen Koalition beschließt die Bürgerschaft das neue Bremer Polizeigesetz in zweiter Lesung. Enthalten ist nun alles, was Sozis und ChristdemokratInnen an "vorbeugender Verbrechensbekämpfung" für notwendig erachten, so z.B. der "kleine Lauschangriff", die Videoüberwachung, verdeckte Ermittlungen sowie der polizeiliche Todesschuß. Auf letzteren, mithin die "Einschränkung des Grundrechts auf Leben", hatten sich SPD und CDU Anfang Juli nach langwierigen Verhandlungen geeinigt (vgl. kassiber 47, Dezember 2001, S. 11).



Staatsanwaltschaft will über 1.000 DNA-Proben nehmen

Eine DNA-Analyse überführt einen im Oslebshauser Männerknast sitzenden 44jährigen Gefangenen als Vergewaltiger von fünf Frauen in den frühen neunziger Jahren. Eigentlich wäre der wegen schweren Raubes mit Todesfolge zu sieben Jahren Haft verurteilte Mann nach Absitzen seiner Strafe bald entlassen worden. Doch weil das 1998 beschlossene DNA-Identitätsfeststellungsgesetz eben unter "Straftaten von erheblicher Bedeutung" (aufgrund derer auch von Tätern, die im Knast sind oder ihrer Strafe abgesessen haben, DNA-Proben genommen werden können) nicht nur Mord, Totschlag und Vergewaltigung faßt, sondern auch Wohnungseinbrüche, mußte der 44jährige im Gefängnis eine Speichelprobe abgeben. Die habe ihn als Vergewaltiger überführt, weshalb im nächsten Jahr nicht die Haftentlassung auf zwei Drittel, sondern eine neue Anklageerhebung anstehe.

Die Staatsanwaltschaft Bremen hat eigenen Angaben zufolge von mehr als 1.000 BremerInnen DNA-Proben beantragt, um die mit den Spuren aus den Asservatenkammern zu vergleichen. Würden die Betroffenen den Vorladungen nicht Folge leisten, würden nötigenfalls Haftbefehle beantragt. In den allermeisten Fällen dürfte es sich um DrogengebraucherInnen handeln, zumindest die Männer und Frauen aus der "Offenen Szene" haben in den vergangenen Monate fast alle einen entsprechenden Schrieb bekommen.



Einmarsch nach Mazedonien beschlossen

In einer Sondersitzung stimmt der Bundestag mit 497 gegen 130 Stimmen - bei acht Enthaltungen - dem Einmarsch der Bundeswehr nach Mazedonien im Rahmen der NATO-Mission "Essential Harvest" (Bedeutende Ernte) zu. Geschlossen stimmt einzig die PDS-Fraktion gegen den "Friedenseinsatz", aber unter anderem auch 19 SPD- sowie fünf Grünen-Abgeordnete. Noch am Abend starten die ersten 47 der zunächst 450 deutschen SoldatInnen, deren Hauptaufgabe es angeblich ist, die Waffen der albanischen Freiheits- bzw. Terrororganisation UCK einzusammeln.



Sozialhilfestreichung rechtmäßig

Nach einem heute veröffentlichten Beschluß des Verwaltungsgerichts war die völlige Streichung der Sozialhilfe bei einem 20jährigen Bremer durch das Ortsamt Horn-Lehe rechtmäßig. Der junge Mann habe seit März drei Arbeitsangebote abgelehnt, woraufhin ihm das Ortsamt erst 25 Prozent, dann die Hälfte und schließlich die gesamte Sozialhilfe gestrichen habe. Dies sei rechtmäßig, urteilte das Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren, denn nach § 25 Bundessozialhilfegesetz habe derjenige keinen Anspruch, "der sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten".

Nach Angaben von Heidrun Ide, Sprecherin der Bremer Sozialsenatorin Hilde Adolf, streichen die Sozialämter immer öfter die gesamte Sozialhilfe. 1997 sei dies 18mal vorgekommen, 1998 22mal, 1999 95mal und bis Ende des dritten Quartals 2000 - soweit reicht die bisherige statistische Auswertung - 89mal (vgl. 21. August 2001).



31. August



Solidarität eingefordert

Innensenator Kuno Böse (CDU) macht sich Sorgen, und zwar darüber, daß die vom Bundesinnenministerium geplanten Mittelkürzungen für die Bereitschaftspolizeien der Bundesländer die "Solidarität der Länder in Sicherheitsfragen gefährden" könnten. Nach den bisherigen Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern werden die Personalkosten von den einzelnen Ländern selbst getragen, während die materielle Ausstattung der Bereitschaftspolizei Angelegenheit des Bundes ist. Sollte Schily wie geplant den Rotstift ansetzen, könnte Bremen nicht mehr, wie am heutigen Tag, eine Einsatzhundertschaft in Richtung Leipzig schicken, auf daß die dort am 1. September Antifas verhaue oder, um es mit Böse zu sagen, "ein gewaltsames Aufeinandertreffen von rechten und linken Demonstranten anläßlich einer NPD-Demonstration" verhindere. Wie fast alle anderen Bundesländer habe auch Bremen dem Land Sachsen auf dessen dringende Bitte Solidarität per Polizeiverstärkung bewiesen: "Das Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, daß jedes Bundesland eine gut ausgestattete und mit kompatibler Technik versorgte Bereitschaftspolizei vorhält, damit sich die Länder bei Großlagen gegenseitig unterstützen können." Doch Solidarität ist keine Einbahnstraße. Und so hatte auch Bremen im Frühjahr bei den beiden NPD-Demonstration in Vegesack die Unterstützung aus den anderen Bundesländern dankbar angenommen, denn nur so seien die "Großlagen" zu bewältigen gewesen.



1. September



Antikriegstag

Nur rund 150 Männer und Frauen beteiligen sich an der vom Bremer Friedensforum und dem Deutschen Gewerkschaftsbund veranstalteten Kundgebung anläßlich des "Antikriegstags" (mit dem Überfall Deutschlands auf Polen am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg). Recht wenige angesichts der Tatsache, daß nur zwei Tage zuvor die Bundeswehr in das nunmehrige NATO-Protektorat Mazedonien einmarschierte. Aber wen interessiert das?

Positive Meldungen gibt es auch noch: Nicht nur die 1:5-Niederlage der deutschen Nationalmannschaft gegen England am Nachmittag, sondern vor allem auch die Freilassung von zehn in Genua seit dem dortigen G8-Gipfel Ende Juli inhaftierten Gefangenen, unter ihnen drei BremerInnen, am Abend.



2. September



Antisemitischer Anschlag
Auf dem jüdischen Friedhof in Ottersberg wird erneut ein antisemitischer Anschlag entdeckt, wann er genau begangen wurde, ist nicht festzustellen. Die Täter zerbrachen einen Grabstein und ritzten in mehrere andere Hakenkreuze, Davidsterne sowie einmal das Wort "Hitler".

Zuletzt wurde am 4. Juli 1999 ein antisemitischer Anschlag auf den in einem Dickicht zwischen Ottersberg und Otterstedt gelegenen Friedhof, auf dem die letzte Bestattung 1920 stattfand, verübt. Damals wurden Grabsteine aus der Verankerungen gerissen und Hakenkreuze hinterlassen. Der Staatsschutz Verden ermittelte sechs Schüler als Täter, die eine "einmalige Dummheit" begangen hätten, eine "politische Motivation" sei "auszuschließen".



3. September



Aus Genua zurück

Kurz nach Mitternacht werden bei typischem Bremer Scheißwetter, aber mit lautem Gejohle und ein wenig Knallerei zwei der drei Bremer Gefangenen aus Genua bei ihrer Ankunft in Bremen am Sielwall begrüßt. Die beiden waren wie acht andere Männer und Frauen, darunter eine weitere Person aus Bremen, am 1. September entlassen worden, nachdem sie seit dem 22. Juli in Genueser Knästen gesessen hatten (vgl. Interview mit einer der Gefangenen in: kassiber 47, Dezember 2001, S. 29ff). Da es den italienischen Behörden an konkreten individuellen Beweisen mangelt, wird ihnen die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigungen, dem "Schwarzen Block", vorgeworfen. Dieses Konstrukt sei für die (auch) militanten Proteste während des G8-Gipfels verantwortlich.

Die Bremer Büttel zeigen sich ein wenig panisch angesichts der Begrüßungsaktion, zumal das Ganze unweit des italienischen Konsulats am Sielwall stattfindet. Immerhin gelingt es ihnen, die dort seit Wochen dauer-postierte Streifenwagenbesatzung innerhalb weniger Minuten um ein halbes Dutzend weiterer Streifenwagen und Sixpacks zu verstärken.



Studienbeginn an der International University Bremen (IUB)

Mit 94 StudentInnen beginnt der Lehrbetrieb der International University Bremen (IUB), der ersten englischsprachigen Universität in Deutschland, auf dem ehemaligen Kasernengelände in Grohn. Bis zur offiziellen Eröffnung der IUB am 20. September werden 46 weitere folgen. Diese dann insgesamt 140 StudentInnen aus 48 Nationen seien, so hatte die IUB Mitte Juli mitgeteilt, "die Besten" von über 340 BewerberInnen, die "in einem sehr differenzierten Testverfahren" ausgewählt wurden. Sie wohnen in möblierten Zweier-Apartments im "Alfried-Krupp-College" auf dem Campus und werden dort von sogenannten College-Mastern betreut.

Doch selbstverständlich ist die private International University Bremen keine "Eliteuni", jedenfalls nicht, was die finanziellen Möglichkeiten der StudentInnen angeht. Denn zu den wichtigsten Grundsätzen der 1999 in enger Kooperation mit der US-amerikanischen Rice-University in Houston (Texas) gegründeten IUB gehöre, daß "alle begabten Studierenden" dort ihr Studium beginnen könnten. Deshalb führe man zur Zeit die Kampagne "100 Stipendien für die IUB" durch. Nicht ohne Erfolg, bis Mitte Juli habe man 30 Personen aus der Region Bremen gewinnen können, die ein Stipendium für ein oder mehrere Jahre übernehmen. Das erscheint ein bißchen wenig, allerdings betragen die Kosten für ein Stipendium pro Studienjahr immerhin rund 30.000 Mark. Ein wichtiger Baustein des Konzeptes sei der persönliche Kontakt zwischen dem/der StipendiengeberIn und dem/der StipendienempfängerIn. Der umfaßt, so Gabriele Strangemann vom Verband deutscher UnternehmerInnen (VDU), Stifterin eines Stipendiums und Aktivistin in der "Volunteer-Gruppe" der IUB, "den Studierenden ein- bis zweimal im Monat zu gemeinsamen Essen oder auch zu gesellschaftlichen Treffen einzuladen, und als Ansprechpartner bei Fragen oder Problemen zur Verfügung zu stehen".

Auch wenn die Kohle bei Bremens UnternehmerInnen offensichtlich derzeit nicht so locker sitzt, jedenfalls gibt die IUB keine konkreten Zahlen mehr über den Stand der Stipendienwerbung heraus, sei "die Identifikation der Bremer Bürger mit dem größten wissenschaftlichen Projekt der letzten Jahre enorm hoch; das Engagement von Privatpersonen, Firmen und Institutionen sowohl in finanzieller wie in ideeller Hinsicht beweist das". Allerdings dürfte die IUB auch ohne StipendiatInnen in den nächsten Jahren keine Probleme haben, genügend Studierende zusammenzubekommen, zumal der Betrieb durch eine staatliche Anschubfinanzierung in Höhe von 230 Millionen Mark gesichert ist.



Totalverweigerer aus Bundeswehrarrest entlassen

Der totale Kriegsdienstverweigerer Kai S. aus Bremen wird nach 64 Tagen Disziplinararrest in der Schwaneweder Weser-Geest-Kaserne gegen 15 Uhr entlassen. Am Morgen waren vom Kasernen-Kommandeur nochmals 21 Tage Arrest beantragt worden, allerdings verweigerte das Truppendienstgericht Nord dieses Mal die Zustimmung - zuvor hatte es den Arrestanträgen zugestimmt. Deshalb wurde jetzt vom Kompanie-Chef gegen Kai S. ein Dienstverbot ausgesprochen, weil er nämlich durch seine weitere Anwesenheit "die militärische Ordnung und Sicherheit in der Kompanie" gefährden würde. Anders gesagt: Er kann sich ab jetzt zu Hause oder sonstwo aufhalten.

Damit ist die Sache allerdings noch nicht erledigt, denn in einigen Monaten wird ein Prozeß vor dem Amtsgericht folgen - der gesamte Vorgang wurde von der Bundeswehr bereits an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Informationen dazu gibt es bei: Non Serviam!, c/o Infoladen Bremen, St.-Pauli-Straße 10-12, 28203 Bremen, eMail: non.serviam@gmx.net



4. September



Samstags gehört Mami - dem Einzelhandel

Nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts dürfen die Geschäften in der Innenstadt sowie den Ortsteilen Bahnhofsvorstadt, Ostertor, Steintor und Fesenfeld in den Monaten September und Oktober nur an drei statt an sechs Sonnabenden bis 18 Uhr öffnen. Geklagt hatte nicht etwa eine Verkäuferin wegen ihrer ohnehin schon miserablen Arbeitszeiten und -bedingungen beziehungsweise ein Personalrat, sondern die "real-SB-Warenhaus GmbH", eine Tochter der Metro AG. Metro sah sich nämlich wettbewerbsmäßig benachteiligt, weil seine Kaufhäuser und Supermärkte alle nicht in den genannten Stadtteilen liegen.

Dabei hatte es sich der Senat bei seinem Beschluß vom 10. Juli alles so schön gedacht. Um befürchtete Umsatzeinbußen der Innenstadtgeschäfte durch die dortigen monatelangen Baustellen auszugleichen, so die offizielle Begründung, wollte man die "Möglichkeiten des Ladenschlußgesetzes weitestgehend ausschöpfen" beziehungsweise das Gesetz - angesichts der Tatsache, daß die Läden ab November ohnehin jeden fasten Samstag bis 18 Uhr geöffnet haben - vorläufig außer Kraft setzen. Also dehnte man § 16, Absatz 1, des Ladenschlußgesetzes, wonach "Verkaufsstellen aus Anlaß von Märkten, Messen und ähnlichen Veranstaltungen an jährlich höchstens 6 Werktagen bis spätestens 21 Uhr geöffnet" sein dürfen, ein wenig aus und verkündete, daß diese Bedingungen am 15. September (Start des Musicals "Hair" sowie die Fachausstellung "hafa"), 22. September (Musikfest Bremen und "hafa"), 29. September (Musikfest Bremen), 6. Oktober (Hallenreitturnier "euroclassics"), 13. Oktober (Ernst-Barlach-Doppel-Ausstellung) und 20. Oktober (Bremer Freimarkt) erfüllt seien.

Das Oberverwaltungsgericht stimmt jetzt der Auffassung der Metro AG zu, daß es sich bei den Anlässe am 29. September sowie am 6. und 13. Oktober um keine Großveranstaltungen handelt, die diese Ausnahmen rechtfertigten. Damit werde, so die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di tags darauf, der "gewerkschaftliche Standpunkt ... fast vollständig bestätigt".



Strafbefehl gegen Polizisten

Das Amtsgericht erläßt gegen einen Bremer Polizisten einen Strafbefehl von 90 Tagessätzen zu je 80 Mark wegen gefährlicher Körperverletzung. Der 35jährige hatte am 27. April bei einer sogenannten stillen Alarmfahrt mit einem Streifenwagen in der Horner Heerstraße einen Jungen über den Haufen gefahren. Der Sechsjährige erlitt schwere Verletzungen und mußte wegen Hirnblutungen in ein künstliches Koma versetzt werden, er schwebte drei Tage in akuter Lebensgefahr (vgl. kassiber 46, Juli 2001, S. 14).

Nach dem Zusammenstoß hatten der 35jährige, sein Beifahrer sowie danach eintreffende KollegInnen alles getan, die Geschehnisse zu verschleiern und Beweise - unter anderem den Bremsweg - zu vernichten. So hatte der Polizeibericht vom selben Tag vermeldet, daß der - laut Zeugenaussagen bewußtlose und erkennbar am Kopf blutende - Junge ansprechbar gewesen sei und außer einem Armbruch keine weiteren Blessuren erlitten habe. Auch sei er lediglich von einem Außenspiegel des mit hoher Geschwindigkeit, ohne Martinshorn und Blaulicht sowie trotz roter Ampel auf dem Straßenbahngleiskörper in Richtung Autobahn 27 rasenden Streifenwagen gestreift worden - tatsächlich war die Windschutzscheibe durch den Aufprall des Sechsjährigen zersplittert.

Ansonsten hatte das Ganze bisher keine Konsequenzen für die beiden Polizeibeamten, beide arbeiten nach wie vor im Horner Revier. Ob disziplinarrechtliche Konsequenzen zu erwarten seien, stehe noch nicht fest, erst müsse, so ein Polizeisprecher, das Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen sein.



5. September



SozialhilfeempfängerInnen sollen schwach hausen

Um die Anzahl der SozialhilfeempfängerInnen in Bremen weiter zu senken, weitet Hilde Adolfs (SPD) Ressort sein Instrumentarium zur Drangsalierung und Überwachung der Klientel immer weiter aus. So gibt Adolf jetzt die vorläufigen Ergebnisse von vier Modellversuchen in sieben Stadtteilen bekannt. "Erprobt" werden sollte, "ob sich durch den Einsatz zusätzlichen, spezialisierten Personals Sozialausgaben vermeiden lassen". Die Antwort lautet natürlich "ja", denn die acht zusätzlich eingestellten MitarbeiterInnen des Amts für Soziale Dienste waren vor allem damit beschäftigt, die SozialhilfeempfängerInnen zu Hause aufzusuchen, um dort deren Ansprüche zu überprüfen. Summa summarum wurde - nach Abzug der Kosten für die acht zusätzlichen Stellen - mehr als eine Million Mark eingespart oder eingenommen.

Beim Modellversuch "Mieten" (Gröpelingen, Neustadt) sei es darum gegangen, die Kosten für die vom Sozialamt getragenen Mieten zu senken. Dazu hätten die SozialamtsmitarbeiterInnen allein in Gröpelingen 51 Wohnungen "besichtigt" und mehr als 250 Gespräche und Verhandlungen mit privaten VermieterInnen geführt. Im Ergebnis habe man in den beiden Modellstadtteilen die Mietsenkungen von 277.000 Mark aushandeln können. 73 SozialhilfeempfängerInnen wurden darüber hinaus zum Umzug in andere, billigere Wohnungen verpflichtet, wodurch weitere 191.000 Mark eingespart wurden.

Beim Modellprojekt "Einmaligen Leistungen" (Blumenthal, Hemelingen, Findorff) "wurden verstärkt Hausbesuche gemacht", um festzustellen, ob der angemeldete Bedarf beispielsweise an Möbeln und Haushaltsgeräten gerechtfertigt ist. Doch natürlich sei es dabei "nicht nur ums Sparen" gegangen: "In etlichen Fällen" habe der ungebetene Besuch die Betroffenen "darauf aufmerksam machen, daß ihnen mehr zusteht, als sie beantragt hatten. Dies wurde dankbar aufgenommen." Dennoch seien Ausgaben in Höhe von rund 66.000 Mark "vermieden" worden, weil den AntragstellerInnen die beantragten Dinge nämlich nicht zugestanden hätten.

Der dritte Modellversuch (Obervieland) sei darauf ausgerichtet gewesen, die AntragstellerInnen "qualifiziert zu beraten, mit dem Ziel, ihnen andere Wege als die Abhängigkeit von der Sozialhilfe aufzuzeigen". Abschreckung und Arbeitsdienst also. Entsprechend kamen von 215 AntragstellerInnen 48 nach der "Erstberatung" nicht wieder, 15 habe man rasch Arbeit vermitteln können werden. Kostenvermeidung durch die "qualifizierte Beratung": rund 276.000 Mark. Die hier erprobten sogenannten Fall-Manager sollen in den künftigen (ab 1. Oktober) bremenweit zwölf Sozialzentren verstärkt eingesetzt werden. Ihre Aufgabe sei es, so Adolf, "mit den Betroffenen gemeinsam nach dem besten Weg zu suchen, damit diese ein eigenständiges Leben führen können", soll heißen: hautnahe Rundum-Betreuung, bis die SozialhilfeempfängerInnen "freiwillig" jeden Scheißjob machen.

Nur beim Modellversuch "Kostenerstattung" (Burglesum) ging es weniger um die direkte Drangsalierung der SozialhilfeempfängerInnen. Nach dem Sozialrecht kann nämlich Bremen von den Kommunen, aus denen SozialhilfeempfängerInnen nach Bremen ziehen, für bis zu zwei Jahre eine Kostenerstattung verlangen. Das habe man verwaltungsintern aber bisher zu selten auf die Reihe gekriegt. Die jetzt eingesetzten Spezialkräfte hätten aber allein in Burglesum durch die prompte Bearbeitung von "Neufällen" rund 336.000 Mark eingetrieben.

Was lernt uns das? Natürlich müssen die Ergebnisse noch gründlich ausgewertet werden, und nicht in jedem Fall seien sie flächendeckend auf die gesamte Stadt übertragbar, so Adolf. Bewährt hätten sich aber vor allem das sogenannte Fall-Management mit seiner "qualifizierten Hilfeplanung mit dem Ziel eines nachhaltigen Ausstiegs aus dem Sozialhilfebezug" und die Hausbesuchs-Kommandos, weshalb letztere künftig verstärkt eingesetzt würden, um Wohnungen zu überprüfen.



"Jugend für Europa" - aber ohne libanesischen Kurden

Immer wieder verweigert die Ausländerbehörde nicht-deutschen SchülerInnen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus die Genehmigung, an Klassenfahrten ins Ausland teilzunehmen. So ergeht es auch Halid T., einem von rund 500 staatenlose libanesische KurdInnen, die die Innenbehörde zwangstürkisieren und dann abschieben will. Sollte Halid T. sich am 9. September mit seiner Klasse der Allgemeinen Berufsschule Steffensweg (ABS) im Rahmen des internationalen, aus EU-Mitteln finanzierten Programms "Jugend für Europa" auf die Fahrt nach Ungarn begeben, so wird ihm am heutigen Vormittag im Ausländeramt beschieden, werde er nicht wieder nach Deutschland hereingelassen. Denn damit würde er gegen die "Residenzpflicht" verstoßen, die (abgelehnte) AsylbewerberInnen auf die permanente Anwesenheit in der ihnen von der Behörde verordneten Gemeinde verpflichtet.



6. September



Alle Räder stehen still ... (I)

Bei DaimlerChrysler treten am Vormittag rund 2.500 der 4.000 ArbeiterInnen und Angestellten der Frühschicht in einen kurzen Warnstreik. Damit soll Druck auf die Verhandlungen zwischen Werksleitung und Betriebsrat über die "Flexibilisierung" der Arbeitszeiten ausgeübt werden. Ginge es nach den Vorstellungen der Werksleitung, würde künftig der Sonnabend zum Regel-Arbeitstag werden, die Gewerkschafter wollen sich nur in weiteren "Ausnahmefällen" Sonderschichten abschwatzen lassen.




7. September



Scharpäng beim Kapitänstag

Während draußen vor dem Rathaus einige Dutzend friedensbewegte AktivistInnen in strömendem Regen gegen den Einmarsch der Bundeswehr nach Mazedonien vor rund zehn Tagen mit Sprechchören und "Scharpäng"-Sandwiches protestieren, will die ungleich zahlreicher vertretene Pressemeute davon nichts wissen. Sie hält die Swimmingpool- und Flug-Affären des zum deutschen Womanizer stilisierten Kriegsministers für durchaus bedeutsamer. Daß manche VertreterInnen der Journaille dafür bei "tumultartigen Szenen" (Weser-Kurier) von den entnervten Bodyguards des als Hauptredner zum 37. Kapitänstag geladenen Angriffskriegers was auf die Mütze kriegen, geschieht ihnen ganz recht. Doch nach einer Weile haben Scharpings Mannen dem direkt aus dem Protektorat Mazedonien per Luftwaffenmaschine angereisten Minister auch den Weg in die obere Rathaushalle freigekämpft. Dort kann er vor rund 300 Kapitänen der in den Häfen in Bremen und Bremerhaven liegenden Schiffe sowie weiteren geladenen Gästen seinen Vortrag zum Thema "Die Kooperation der Bundeswehr mit der Wirtschaft" halten.



TV-control: Die Straße als Fernseher

Schwer unter den stundenlangen wolkenbruchartigen Regenfällen hat das Projekt "TV-control" zu leiden. Statt den erhofften mindestens vielen hundert ZuschauerInnen nehmen nur rund 200 Männer und Frauen das wetterbedingt etwas zusammengestutzte Programm wahr. Trotzdem werden an zahlreichen Orten - Ladenschaufenster, Hofeinfahrten, öffentliche Plätze oder alternative und subkulturelle Veranstaltungszentren u.v.a.m. - Kurzfilme, Videos und Installationen gezeigt, die sich mit dem Themenbereich öffentlicher/privater Raum auseinandersetzen. Zur besseren Orientierung beim durchaus erbetenen "Zappen" durchs vielfältige Programm ist einige Tage zuvor eine ziemlich professionell aufgemachte Fernsehzeitung mit Hinweisen auf Spielorte und Filme sowie Artikeln und Hintergrundinformationen zum Thema erschienen.

Ziel der Veranstaltung ist nach Angaben der MacherInnen "eine temporäre Zweckentfremdung der Straße, um die scheinbar selbstverständliche Beschränkung der Nutzung öffentlicher Räume spürbar zu machen". Doch öffentlicher Raum sei ohnehin noch nie für alle jederzeit zugänglich gewesen. Je nach Art des Raumes gälten feine Abstufungen in puncto Geschlecht, Kaufkraft, sexueller Neigung, Herkunft, Alter etc. TV-control, eine Initiative zahlreicher linksradikaler und subkultureller Gruppen, sei "ein Versuch, den Konflikt zwischen privat und öffentlich im öffentlichen Raum mit der privaten Geste des Fern-Sehens zu thematisieren".



11. September



Tiefgreifend verändert (I)

Während sich die meisten Bremer PolitikerInnen nur "bestürzt" oder "entsetzt" über die Anschläge auf das World Trade Center in New York und das US-amerikanische Kriegsministerium in Washington geben, zeigt wenigstens Innensenator Kuno Böse Führungsqualitäten. "Wir haben alles auf die Straße geworfen, was uns zur Verfügung steht", so Böse. Zwar sei kein Bezug der Anschläge zu Bremen erkennbar, doch hätten die Sicherheitsbehörden der Stadt und des Landes Bremen die "notwendigen Maßnahmen" getroffen. Das seien erstens "stationäre Schutzmaßnahmen an allen relevanten Objekten", insbesondere US-amerikanischen und jüdischen Einrichtungen, so wurde unter anderem das hiesige World Trade Center komplett abgeriegelt; zweitens die "Sensibilisierung aller Polizeikräfte im Land Bremen" und drittens "Raumschutzmaßnahmen durch erhöhte Streifentätigkeit". PassantInnen müßten dabei mit verstärkten Kontrollen durch PolizeibeamtInnen rechnen.

Während Böse auf sämtliche "Trauer"- oder "Entsetzens"-Bekundungen verzichtet, beweist Bürgermeister und Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU) in einer kurzen Pressemitteilung ein feines Gespür für eine der zentralen Parolen der kommenden Wochen und Monate, wenngleich er (noch) nicht zu der Einsicht kommt, daß nichts mehr so sein wird, wie es war: "Die Welt hat sich mit diesen Tag nicht nur für die Vereinigten Staaten von Amerika tiefgreifend verändert." Der Chef ist derweil auf Dienstreise in Kasachstan, der Volksrepublik China und der Mongolei, drückt von dort aus aber "den Angehörigen der Opfer und dem amerikanischen Volk" sein "tiefes Mitgefühl" aus. Außerdem ordnet Scherf Trauerbeflaggung an allen öffentlichen Gebäuden für den 11. und 12. September an (die später dann noch bis zum 14. September verlängert wird).



12. September



Tiefgreifend verändert (II)

Im Rathaus liegt jetzt eine Kondolenzliste aus, für die neben den SenatorInnen und anderen PolitikerInnen auch die gemeinen BürgerInnen "herzlich eingeladen" sind, per Unterschrift ihrer Überzeugung Ausdruck zu geben, daß es sich bei den "martialischen Terrorakten" um einen "Angriff auf die gesamte zivile Gesellschaft, auf die Demokratie und die Grundwerte unseres menschlichen Zusammenlebens" handelt. So heißt es nämlich in einem bei der Kondolenzliste liegenden Kondolenzschreiben der Bürgermeister Henning Scherf und Hartmut Perschau an den US-amerikanischen Botschafter. Und weiter: "Krieg hat seit heute ein neues Gesicht, auch wenn die Verantwortlichen noch nicht erkennbar sind. Um so mehr müssen und werden die Demokratien dieser Welt jetzt zusammenstehen und Solidarität üben."

Nicht viel besser ist das, was über 1.000 SchülerInnen derweil vor dem Dom unter dem Motto "Trauer über das, was die Welt sich geleistet hat" (sic!) veranstalten. Die meisten kommen vom Schulzentrums Neustadt und waren nach einer morgendlichen SchülerInnenvollversammlung zu einem Trauermarsch Richtung Innenstadt aufgebrochen. Die Redebeiträge zum Thema "Terrorismus", die mehrere SchülerInnen und LehrerInnen sowie Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) bei einer Spontankundgebung über die Lautsprecheranlage eines polizeilichen Sixpacks (!) zum Vortrag bringen, unterscheiden sich qualitativ kaum von den offiziellen Bekundungen. Allerdings warnen die meisten RednerInnen vor den fast logischen Konsequenzen solcher - ihrer - "Analysen": Krieg. Nach der Kundgebung geht die eine Hälfte der SchülerInnen gemeinsam mit vielen anwesenden SenatorInnen und ParteipolitikerInnen in den Dom, um dort den Opfern der Anschläge zu gedenken und sich salbungsvolle Ansprachen unter anderem ihres Bildungssenators Willi Lemke (SPD) anzuhören. Die andere Hälfte versammelt sich - auf Einladung des Präsidenten - im Plenarsaal der Bremischen Bürgerschaft, um dort, so die GesamtschülerInnenvertretung (GSV), "über die erschreckenden Ereignisse sowie über deren Ursachen und die möglichen Folgen zu diskutieren". Diese und weitere SchülerInnenaktivitäten am heutigen Tag, unter anderem eine weitere Versammlung von rund 1.000 SchülerInnen auf dem Sedanplatz, eine Mahnwache für die Opfer der Anschläge am Roland, Schweigeminuten an verschiedenen Schulen sowie Briefe an das US-amerikanische Konsulat seien, so die GSV, Beleg dafür, "daß der heutigen Jugend eben doch nicht alles egal ist, sondern daß sie sich mit den aktuellen Geschehnissen auseinandersetzt und sehr betroffen ist". Es bestehe ein "enormer Gesprächsbedarf".

Auch die evangelische und die katholische Kirche spulen ein großes Programm ab. Insbesondere der Dom findet Zulauf bei tausenden Männern, Frauen und Jugendlichen. Das dortige tägliche Mittagsgebet sowie die Abendandacht dienen diesmal dazu, "der zahllosen Opfer zu gedenken, gemeinsam für alle Trauernden zu beten sowie Fürbitten für alle Menschen zu halten, die derzeit politische Verantwortung tragen". Soll heißen: Wenn es schon keinen politisch relevanten Widerstand gibt, dann zumindest die Hände zu falten für die US-Regierung wie auch das rot-grüne Kabinett der AngriffskriegerInnen, damit die eine andere "Antwort" finden als den sich in den letzten Stunden immer stärker herauskristallisierenden, irgendwann demnächst beginnenden Krieg gegen Afghanistan.

Innensenator Kuno Böse (CDU) unternimmt indessen - knapp 24 Stunden nach den Anschlägen - den ersten Vorstoß in Sachen "besserer" personeller und materieller Ausstattung für Verfassungsschutz und Polizei.



13. September



Tiefgreifend verändert (III)

Auf dem Marktplatz findet um 10 Uhr eine Kundgebung statt, zu der der DGB Bremen aufgerufen hatte, "um ein Zeichen zu setzen für die Verurteilung des Terrors und für Frieden und Freiheit". Eine kurze Ansprache wird vom rechtssozialdemokratischen Bürgerschaftspräsidenten Christian Weber gehalten. Aber erst, nachdem die fünf nationalen Mahnminuten abgelaufen sind, zu denen der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände bundesweit die ArbeiterInnen und Angestellten in Betrieben und Verwaltungen aufgerufen hatten. Dieser Aufruf wurde inzwischen von zahlreichen weiteren staatstragenden Organisationen unterstützt. Um aber ganz sicher zu gehen, ordnet Bürgermeister Hartmut Perschau das fünfminütigen Gedenken für den gesamten öffentlichen Dienst an, Bildungssenator Willi Lemke verpflichtet die Schulen sowie anderen Einrichtungen seines Ressorts darauf und die Bremer Straßenbahn AG sorgt dafür, daß fünf Minuten lang weder Busse noch Bahnen fahren.

Frieden und Freiheit stehen auch im Mittelpunkt der anschließenden offiziellen Gedenkstunde der Bremischen Bürgerschaft. Dort sprechen neben Christian Weber Bürgermeister Hartmut Perschau sowie Pastor Louis-Ferdinand von Zobeltitz, höchster Repräsentant der Bremischen Evangelischen Kirche.

Bestürzung auch bei den Innenstadtkaufleuten. "Aus Respekt vor den Opfern der Terroranschläge in New York und Washington" muß nämlich das geplante Programm auf "Buddels Baustellenbühne" für den "langen Samstag" 15. September anläßlich der Premiere des Musicals "Hair" abgesagt werden. Während sich die EinzelhändlerInnen schnell einig waren, daß der Schnickschnack mit dem zweitklassigen Musical durchaus verzichtbar ist, mögen sie die - mit dieser Begründung - verlängerten Öffnungszeiten zwecks Mehrung der Umsätze nicht missen. Und überhaupt habe man, so die Bremen Marketing GmbH, den "Kundinnen und Kunden der Bremer City und des Viertels ... versprochen, am Sonnabend bis 18 Uhr einkaufen können".

Stattfinden werde hingegen die morgige "Hair"-Premiere, weil es, meint Geschäftsführer René Meyer-Brede, erstens ein "Anti-Kriegsstück" sei, zweitens "es nie einen Augenblick (gab), in dem es wichtiger gewesen wäre als jetzt, daß Künstler ihre Stimme erheben" und drittens, aber das sagt Meyer-Brede lieber nicht, das absehbare Pleiteprojekt es sich nicht erlauben kann, auch nur eine einzige Vorstellung ausfallen zu lassen. Wenigstens halten die auf dem Entwicklungsstand der DarstellerInnen von Vorabend-Soaps verbliebenen "Hair"-ElevInnen abseits der Bühne die Klappe, hatten aber schon bei der Vorpremiere bewiesen, daß sie ihr Publikum mit "3-5-0-0" und "Let the Sunshine in" zu Tränen rühren können.

Während sich Berichte über durch antiislamischen Rassismus motivierte Übergriffe häufen, wird der morgige, von Schulen, dem Kulturzentrum Lagerhaus sowie der Ausländerbeauftragten organisierte Aktionstag "Schulen für Toleranz" abgesagt.



18. September



Tod im Knast

Im Bremerhavener Knast begeht ein 20 Jahre alter Untersuchungsgefangener im Laufe der Nacht Suizid. Der Gefangene, der sich mit Hilfe von Handtüchern in seiner Zelle erhängt, war am Nachmittag zuvor wegen Verdachts des wiederholten Einbruchdiebstahls in Untersuchungshaft genommen worden.



20. September



Ansprechend und attraktiv

"Für die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger und für ein ansprechendes und attraktives Stadtbild ist die Sauberkeit der Stadt ein Faktor von großer Bedeutung", meint Christine Wischer (SPD), Senatorin für Bau und Umwelt. Ihr heute der Deputation Bau vorgelegtes Grobkonzept "Saubere Stadt" soll dabei helfen, "über die bestehenden Reinigungspflichten hinaus ein mehr an Stadtreinigung zu realisieren". Zum einen müßte die öffentliche "Pflichtaufgabe der Stadtreinigung" mit "deutlich höherer Effizienz und Wirksamkeit wahrgenommen werden", zum anderen müßten die BürgerInnen "für die ihnen obliegenden gesetzlich vorgeschriebenen Reinigungsleistungen (z.B. Bürgersteige) ebenso wie für die allgemeine Sauberkeit der Stadt" stärker in den Verantwortung genommen werden. Das "bürgerschaftliche Engagement für ein sauberes Wohnumfeld" müsse angeregt werden, sollten die BremerInnen aber nicht mitspielen, werden man "verstärkt Maßnahmen zur Intensivierung der Kontrolle von Reinigungspflichten und Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten" ergreifen.

Um die Arbeit aller "für die Sauberkeit teilverantwortlichen Institutionen" künftig effektiver koordinieren zu können, werde eine "Leitstelle Saubere Stadt" gegründet. Deren Arbeit dürfte vor allem in der stadtweiten Planung eines auszuweitenden Arbeitsdienstes von SozialhilfeempfängerInnen liegen, denn Wischers Konzept sieht unter anderem eine bessere Reinigung von öffentlichen Grünanlagen, eine Verbesserung der Graffitientfernung von öffentlichen Gebäuden, eine schnellere Beseitigung von wilden Müllablagerungen sowie eine verbesserte Reinigung von Containerstandplätzen vor.



Böse macht mobil

"Kein Grund zur Panik" - "die Sicherheitsbehörden im Land Bremen ... sind weiterhin wachsam". Innensenator Kuno Böse (CDU) hat in den letzten Tagen sein Möglichstes getan: Die Staatsschutz-Abteilung der Kriminalpolizei wurde personell aufgestockt, Schutzmaßnahmen für Gebäude und gefährdete Personen wurden verstärkt und das Landesamt für Verfassungsschutz geht einer Vielzahl von Hinweisen aus der Bevölkerung nach. Allerdings, so Böse: "Über Einzelheiten der Arbeit der Sicherheitsbehörden können wir naturgemäß nicht berichten."

Daß wir uns auch künftig sicher fühlen können, sei allerdings mehr erforderlich. KritikerInnen können er nur warnen, "in dieser angespannten Lage die notwendigen Verbesserungen der Inneren Sicherheit gegen Datenschutz-Argumente auszuspielen", denn "Freiheit und Sicherheit sind zwei Seiten einer Medaille".

Natürlich dürfen "unsere ausländischen Mitbürger muslimischen Glaubens ... nicht mit radikalen Islamisten oder gar Terroristen in einen Topf geworfen werden", aber irgendwie sind sie dem radikalen Rechten allesamt verdächtiger denn je. Deshalb hat die Polizei Bremen damit begonnen, Moscheen, arabische Vereine und andere Bremer Einrichtungen aufzusuchen und sogenannte Sicherheitskooperationsgespräche zu führen. Vom Verfassungsschutz weiß er, "daß die übergroße Mehrheit der in Bremen lebenden ca. 78.000 Ausländer extremistische Bestrebungen und politisch motivierte Gewalttaten ablehnt". Doch seien von den rund 40.000 Personen islamischen Glaubens etwa 1.100 als islamistisch einzuschätzen und würden deshalb in unterschiedlicher Intensität beobachtet. Allein der Organisation "Milli Görus" gehörten rund 900 von ihnen an. Allerdings sei die jetzt verstärkte Beobachtung "ausländischer Extremisten" durch Verfassungsschutz und Staatsschutz "dringend geboten und keine Schikane gegen Ausländer, ebenso (sic!) wie bislang unser Kampf gegen Neonazis sich pauschal gegen Deutsche gerichtet hätte".

Auch mit dem jetzt von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmenpaket gibt sich Böse sehr zufrieden, insbesondere mit der Streichung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz sowie dem neuen Paragraphen 129b im Strafgesetzbuch. Darüber hinaus sei aber dringend die Umsetzung der in einer Telefonschaltkonferenz der Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder noch am 11. September gefaßten Beschlüsse notwendig. Gefordert wird unter anderem eine restriktivere Visa-Erteilung, einschließlich der Überprüfung von Besuchszweck und Besuchsadresse, die obligatorische Überprüfung von Besuchern bestimmter Staaten insbesondere auch durch die Landesämter für Verfassungsschutz; die Entwicklung von Rastern/Profilen "zum Erkennen potentieller islamistischer Terroristen, die Deutschland als Ruheraum oder logistische Basis nutzen oder in Deutschland angeworben worden sind"; der verstärkter Einsatz der Bundeswehr zum Schutz nicht nur militärischer Einrichtungen sondern auch für weitere gefährdete Objekte; der Datenabgleich von Sicherheitsbehörden und dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Rahmen laufender Asylverfahren sowie der automatisierten Abgleich von Fingerabdrücken von AsylbewerberInnen mit offenen Tatortspuren der AFIS-Datei im Bundeskriminalamt. Alles in allem, so Böse, "ein klares Signal, mit Entschlossenheit und Einigkeit den Gefahren des religiösen Extremismus und politischen Terrorismus entgegenzutreten".



21. September



Ausgezeichnet

Als in den friedensbewegten frühen achtziger Jahren manch einer seinen Vorgarten oder das eigene Auto beziehungsweise ganze Initiativen die Wohnstraße, die Schule oder das Freizeitheim für "atomwaffenfrei" erklärten und selbiges Objekt mit einem entsprechenden Schild kennzeichneten, da war das ein symbolischer Akt, dessen dazugehöriges Peacenik-Brimborium aufrechte Linke am politischen Sinngehalt (ver)zweifeln ließ. Nun denn, die Schilder verkündeten zweifelsohne die Wahrheit - es wäre ein Leichtes gewesen, etwa eine im Vorgarten geparkte Cruise Missile zu entdecken.

Wie verhält es sich aber bei einer "Schule OHNE Rassismus" - "Schule MIT Courage"? Bremen hat jetzt auch eine solche, nämlich die katholische St.-Johannis-Schule in der Dechanatstraße, die fällige Plakette der Aktion Courage e.V. (Berlin) wird von Bildungssenator Willi Lemke (SPD) am Vormittag übergeben. Bundesweit gibt es inzwischen derer über 70.

Wobei, so ganz stimmt das ja auch nicht mit dem "ohne Rassismus". Nach den Ausschreibungskriterien müssen sich lediglich mindestens 70 Prozent der SchülerInnen und des Personals dazu bekennen, keine RassistInnen zu sein. Die St.-Johannis-Schule übersprang diese Hürde locker mit über 90 Prozent bei den SchülerInnen und 100 Prozent bei den LehrerInnen sowie beim Verwaltungspersonal. Zustimmen mußten sie folgenden drei "Selbstverpflichtungen": 1. "Ich werde mich dafür einsetzen, daß es zu einer zentralen Aufgabe meiner Schule wird, nachhaltige und langfristige Projekte, Aktivitäten und Initiativen zu entwickeln, um Diskriminierungen, insbesondere Rassismus zu überwinden." 2. "Wenn an meiner Schule Gewalt oder diskriminierende Äußerungen oder Handlungen ausgeübt werden, wende ich mich dagegen und setze mich dafür ein, daß wir in einer offenen Auseinandersetzung mit diesem Problem gemeinsam Wege finden, zukünftig einander zu achten." 3. "Ich setze mich dafür ein, daß an meiner Schule einmal pro Jahr ein Projekt zum Thema Diskriminierungen durchgeführt wird, um langfristig gegen jegliche Form von Diskriminierung, insbesondere Rassismus vorzugehen."



Im Sinne produktiver Bewältigung

Bildungssenator Willi Lemke macht sich offensichtlich Sorgen um die Behandlung der Anschläge am 11. September und der momentanen Situation im Schulunterricht. Denn während Rot-grün dabei ist, das Land auf den "Krieg gegen den Terror" einzuschwören, äußern sich die SchülerInnen - bei Demonstration, Aktionen oder in den Medien - in der Regel wenig kriegsbegeistert. Und begründen dies nicht nur mit "Angst" und ähnlichem, sondern oftmals auch mit einem kruden Antiimperialismus beziehungsweise Antiamerikanismus. Lemke beruft daher heute die Leitungen der Bremer Schule ein, "um mit ihnen die Behandlung des Terroranschlags in den USA in den Schulen zu besprechen". Man habe, so Lemke nach der Versammlung, Erfahrungen zu dem bisherigen Umgang mit diesem Thema ausgetauscht und sich darüber verständigt, was die Schulen in dieser Situation tun können. Damit die SchulleiterInnen wissen, wo es künftig in den Schulen lang gehen soll, hat Lemke - "im Sinne produktiver Bewältigung" - einen Aufruf an die Lehrerinnen und Lehrer verfaßt.

Demnach seien nach den Anschlägen vom 11. September "unsere Gefühle von Trauer, Mitgefühl, Entsetzen und Erschrecken bestimmt". Die momentane Stimmungslage sei von "anhaltenden Ängsten" geprägt geweckt. "Schüler und Lehrer bewegen die Fragen, ob wir auch Ziel eines solchen Angriffs werden können, wie die Antworten der USA ausfallen und wen sie treffen werden, welche Gegenreaktionen dadurch ausgelöst werden, ob wir durch die schrecklichen Ereignisse einem neuen Krieg entgegen gehen, was wir für ein friedliches Zusammenleben der Menschen tun können."

Das "Rachebedürfnis" nach dem 11. September, "die Bösen im Namen des Guten bestrafen zu wollen und unschädlich zu machen", sei eine "menschlich verständliche Reaktion, die aber auf lange Sicht Gewalt und Terror nicht überwinden" werde. "Im Gegenteil: Terror blüht geradezu im Umfeld eines fanatischen Hasses. Es kommt daher darauf an, die Gründe für diesen Haß zu analysieren und Wege zu suchen, ihn gar nicht erst entstehen zu lassen."

Die "jetzt notwendigen Diskussionen über religiösen Fanatismus, seine Hintergründe und Ursachen", müßten so geführt werden, daß sich die muslimischen MitbürgerInnen "in ihrer Religiosität nicht verletzt und diskriminiert fühlen". Auch Lemke weiß von sich häufenden An- und Übergriffen auch auf muslimische Schulkinder. Das hätte aber mit antiislamischenm Rassismus nichts zu tun, sondern mit "der augenblicklich vorherrschenden Atmosphäre der Angst".

Und damit den LehrerInnen bei der kognitiven Behandlung der (islamischen) "Terrorismus-Probleme und deren Ursachen", "denn die Wurzeln liegen ja nicht allein im Irrationalen, sondern haben oft auch eindeutige politische, ökonomische und soziale Hintergründe", nicht der anti-islamische Gaul durchgeht, sollen die "Ängste muslimischer Schülerinnen und Schüler, möglicherweise auch ihre bitteren Erfahrungen von Ausgrenzung und Aggression" hierbei besonders beachtet werden.



22. September



Anti-Kriegsdemonstration (I)

Rund 1.500 Menschen demonstrieren unter dem Motto "Krieg ist nicht die Antwort" gegen einen von den USA und ihren Verbündeten angekündigten "langen Feldzug gegen den internationalen Terrorismus". Auch die DemonstrantInnen seien "bestürzt über die Anschläge in den USA", doch würden, während derzeit der "'religiöse Fanatismus' an den Pranger gestellt wird, ... die weltweiten Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse komplett ausgeblendet". Protestiert wird auch gegen die derzeitige rassistische Stimmungsmache, den angekündigten Abbau von Grundrechten und Datenschutz, die Ausweitung des Überwachungsstaates sowie die vermutlich bevorstehende Beteiligung der Bundeswehr an irgendwelchen "Vergeltungsschlägen".

Der Aufruf des "Bündnisses gegen den Krieg" zeichnet sich nicht gerade durch Tiefgang aus, ist allerdings einerseits sehr kurzfristig entstanden, andererseits beredtes Zeugnis dafür, daß viele KöchInnen fast immer den Aufrufbrei verderben. So ist auch das Demonstrationsmotto ein Zugeständnis an die zu Dutzenden in das linksradikale Vorbereitungstreffen einfallenden und offensichtlich in keinerlei Diskussionskultur geübten Sabbeltaschen von GSV, SAV und PDS-Jugend. Das Ergebnis ist immer noch besser als das, was sich manch andere/r erwartet hat.

So versucht während der Auftaktkundgebung auf dem Bahnhofsplatz Ulrich Finckh, Pfarrer im Ruhestand, den Redner der MAUS mit körperlicher Gewalt an der Fortsetzung seines Beitrages zu hindern. Bei einem Treffen der Friedensbewegung einige Tage zuvor sei abgemacht worden, daß "nur für den Frieden geredet" werde. Der MAUS-Beitrag (Dokumentation in der kassiber-Sonderausgabe zum Krieg, Oktober 2001, S. 38ff) sei "reiner Antiamerikanismus". Doch Rechtssozialdemokrat Finckh war im falschen Film. Weder handelte es sich beim Treffen in der St.-Stephani-Gemeinde um das Vorbereitungstreffen noch konnten sich andere der da rund 200 TeilnehmerInnen an solche "Abmachungen" erinnern (Dokumentation der Erklärung der TeilnehmerInnen in der kassiber-Sonderausgabe zum Krieg, Oktober 2001, S. 41). Nichtsdestotrotz kann Finckh, der von "selbsternannten Bodyguards" (Kurier am Sonntag) an der Erstürmung des Lautsprecherwagens gehindert wird, seine Geschichte der zahlreich anwesenden Journaille diktieren. Unterstützung - auch in Form als Zitat gekennzeichneter bewußter Verfälschungen des Redebeitrags - findet er hier vor allem beim Bremer Monopolblatt Weser-Kurier, das in diesen Wochen ansonsten jeden Anti-Kriegsprotest konsequent verschweigt.

Nach dem Abgang von Finckh und einiger AnhängerInnen zieht die Demonstration über die Falkenstraße (Bundeswehr-Hochhaus) zur Abschlußkundgebung auf dem Marktplatz.



23. September



Sexistische Angriffe (I)

Zwei Frauen werden am frühen Morgen in der Bürgermeister-Spitta-Allee kurz nacheinander vermutlich von dem selben Mann überfallen. Der Täter lauert zunächst gegen 4 Uhr einer 24jährigen in einem Gebüsch auf und versucht, sie vom Fahrrad zu schubsen. Aufgrund ihres Widerstand gelingt der Frau die Flucht, genauso wie einer 17jährigen, die rund eine Viertelstunde später überfallen wird.



24. September



Ultimatum an Böse

Das "Pressemitteilung" genannte rassistische Pamphlet des Bremer Innensenators Kuno Böse (CDU) vom 20. September (siehe dort) bringt ihm jetzt ein "Ultimatum" der Islamischen Föderation Bremen (IFB) sowie der Fatih-Moschee bis zum 28. September ein, ansonsten würden rechtliche Schritte eingeleitet. Die Islamische Föderation sowie Bremens größte Moschee sehen sich aufgrund der "ungeheuerlichen Vorwürfe" Böses "zutiefst im menschlichen und religiösen Empfinden verletzt". Besonders stört man sich an Behauptungen Böses in einem Artikel der "Welt am Sonntag" vom 23. September. Das Springer-Blatt mit traditionell guten Kontakten zum polizeilichen Staatsschutz sowie rechten Innenpolitikern hatte geschrieben, daß die in der Moschee gezeigte Betroffenheit bloße Lippenbekenntnisse und pure Heuchelei seien. Tatsächlich zeige die Fatih-Gemeinde im Inneren unverhohlene Freude über die Anschläge vom 11. September.

Islamische Föderation und Fatih-Moschee fordern nun eine böse Antwort und die Offenlegung der angeblichen Erkenntnisse des Verfassungsschutzes bis zum Ablauf des Ultimatums. Doch daraus wird nichts. Denn, so der Sprecher des Innensenators, Markus Beyer, "wenn wir gerade in dieser hochbrisanten Situation die geheimen Informationen des Verfassungsschutzes ausposaunen würden, hätten wir keinen Geheimdienst mehr".



25. September



Wer nicht für uns ist, ist gegen uns

Innensenator Kuno Böse (CDU) setzt seine antiislamische Kampagne fort - diesmal in Form eines Gesprächs "in einer von Offenheit und gegenseitigem Verständnis geprägten Atmosphäre". Vorgeladen hatte er VertreterInnen des Dachverbands der Ausländerkulturvereine in Bremen (DAB), des Zentralinstituts Islam-Archiv-Deutschland, des Migrantinnenrates und des Alevitischen Kulturzentrums in Bremen und Umgebung, um "allen hier legal und friedlich zusammenlebenden Menschen, gleich welcher Nationalität oder Religionszugehörigkeit, die volle Unterstützung meines Hauses und der Polizei" zuzusichern. Wenn es, wie die VereinsvertreterInnen berichten, in Folge der andauernden antiislamischen Hetze auch in Bremen zu "Schmierereien oder Verbalattacken gegen muslimische Schulkinder" gekommen sei, dann sei es Aufgabe der Polizei sich darum zu kümmern: "Wir stehen Ihnen bei. Wir akzeptieren im Land Bremen keine Übergriffe, wenn jetzt einzelne zur Zielscheibe religiöser oder politisch motivierter Aggression werden", so Böse. Aber wo meldet man, wenn deren oberster Chef der schlimmste Hetzer ist?

Doch um rassistische Übergriffe geht es bei diesem Treffen eigentlich gar nicht. Die anwesenden Organisationen sollen vielmehr endlich einsehen, daß wer nicht für uns ist gegen uns ist. Nachdem nun die Polizei seit vergangener Woche Moscheen, moslemische Vereine und andere Einrichtungen aufsucht und dort sogenannte Sicherheitskooperationsgespräche führt, soll das heutige Treffen nun zu einem "Gesprächskreis Sicherheit" entwickelt werden, der unregelmäßig zusammentritt, um sich "über Themen wie Kriminalität, Extremismus und Integration austauschen" zu können. Diesen Vorschlag hätten die TeilnehmerInnen, so Böse, sehr positiv aufgenommen.



27. September



Trendwende

Die Bürgerschaft beschließt mit den Stimmen der Großen Koalition den CDU/SPD-Antrag "Internationalem Terrorismus konsequent und angemessen begegnen" und damit, so Innensenator Kuno Böse (CDU), eine "Trendwende für den Stellenwert der Inneren Sicherheit im Lande Bremen". Demnach gibt es jetzt zusätzlich fünf Millionen Mark für Polizei und Verfassungsschutz, die in neue Technik und zusätzliches Personal investiert werden sollen. Vorgesehen ist die Neueinstellung von 90 PolizeibeamtInnen in den kommenden Jahren (maximal 30 pro Jahr), Staatsanwaltschaft, Strafjustiz und Verfassungsschutz werden in den kommenden beiden Jahren von Stelleneinsparungen ausgenommen - frei werdende Stellen können also wiederbesetzt werden. Das Landesamt für Verfassungsschutz müsse, so Böse, sowohl sächlich als auch personell aufgestockt werden. Das bedeute eine Verbesserung nachrichtendienstlicher Aufgaben, die Bereitstellung von Observationskräften und Fachleuten zur Auswertung extremistischer Erkenntnisse sowie eine modernere technische Ausstattung. Der von der Bürgerschaft angeregten Prüfung einer Zusammenarbeit des Bremer Verfassungsschutzes mit dem niedersächsischen im operativen Bereich stehe er aufgeschlossen gegenüber. "Extremismus und Terrorismus kennen bekanntlich keine Landesgrenzen", so Böse.



28. September



Falscher Eindruck

Nach Angaben der Islamischen Föderation Bremen (IFB) ist ihr Streit mit Innensenator Kuno Böse (CDU) vorerst beendet. Der betreibt zwar weiter seine antiislamische Hetze, habe sich aber, so die IFB, von einem internen Schreiben des Bremer Verfassungsschutzes "distanziert". Die "Welt am Sonntag" hatte daraus am 23. September unter der Überschrift "Heuchelei in der Moschee? Verfassungsschützer warnen: Radikale Moslems in Deutschland stehen auf der Seite der Attentäter" zitiert. Nach Erkenntnissen der Bremer Schlapphüte habe die "Islamische Gemeinschaft - Milli Görüs" (IGMG), die 1998 die Gröpelinger Fatih-Moschee errichtete, auf die Anschläge vom 11. September "im 'inneren Zirkel'" mit "unverhohlener Freude" reagiert. Bisher sei man, so die Islamische Föderation, davon ausgegangen, daß Böse dieses Verfassungsschutzschreiben persönlich verfaßt habe. Böse hingegen bestreitet das, genauso wenig sei der "Welt am Sonntag" etwas vom Verfassungsschutz zugespielt worden.

Im Februar 1998 hatte Böses Vorvorgänger Ralf H. Borttscheller, ebenfalls in der "Welt am Sonntag" fast gleichlautende Vorwürfe gegen die Fatih-Moschee erhoben. Die sei ein Zentrum des "islamischen Extremismus", ihre Strategie von "Doppelzüngigkeit" geprägt: Nach außen hin gebe man sich liberal, im inneren aber werde die westliche Welt verteufelt.

Daß der Antiislamismus sowohl christdemokratischer (Böse) als auch sozialdemokratischer (Lemke) Provenienz in Bremen immer mehr ganz normale Deutsche ermutigt, dies auch in die Praxis umzusetzen, davon berichtet Bremens Ausländerbeauftragte Dagmar Lill (SPD). Türkischen Mädchen und Frauen würden die Kopftücher heruntergerissen. Menschen, die "südländisch" aussehen, würden angepöbelt und geschlagen. Das habe, so Lill, auch damit zu tun, daß - und wie - der Islam in Bremen diskutiert werde. "Da wird von nicht wenigen aus 'islamischen Fundamentalismus' erst der 'fundamentalistische Islam' gemacht und dann der Islam gleich zur militanten Terror-Ideologie erklärt." Bereits vor einigen Tagen hatten islamische Organisationen aus Bremen von Übergriffen auf Schulkinder und Schmierereien berichtet.



Lernen, was Rassismus ist

Auf Antrag von Politstaatsanwalt Uwe Picard erhalten drei libanesisch-kurdische SchülerInnen von Jugendrichter Wolf-Dieter Beyerle eine Ermahnung nach Paragraph 90a Strafgesetzbuch ("Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole"). Sollte diese Ermahnung nach dem Jugendrecht rechtskräftig werden, wird sie im Erziehungsregister beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe eingetragen. Die drei Betroffenen kündigen aber auf anwaltlichen Rat hin an, Widerspruch einzulegen. Picard muß dann entscheiden, ob er Anklage erheben will.

Das Staatsschutz-Delikt "Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole" wird gemeinhin Männer und Frauen vorgeworfen, die von der Polit-Justiz als "Terroristen" beziehungsweise deren UnterstützerInnen verdächtigt werden. Die drei SchülerInnen, die die Innenbehörde wie rund 500 andere libanesische KurdInnen abschieben will, hatten auf einem Flugblatt zum Aktionstag am 21. Juni (vgl. kassiber 47, Dezember 2001, S. 9) unter der Überschrift "Ihr zerstört unsere Träume" die rassistischen Repressalien der Behörden - Hausdurchsuchungen, Abschiebeankündigen etc. - und ihre persönlichen Erfahrungen damit beschrieben. Und auch die Sätze, die schließlich Picard aktiv werden ließen: "Jetzt lernen wir, was Rassismus in Deutschland ist. Jetzt verstehen wir, was in Hitlerdeutschland los war. Jetzt lernen wir die deutsche Geschichte und wissen, wie deutsche Politiker über Ausländer denken. Sie stören und sollen weg."



29. September



Megablöd

Die Fassade des Bremer Rathauses ist ziemlich rott und muß daher rund ein Jahr lang saniert werden. Also baut man ein Gerüst dahin und hängt eine Plane davor, damit erstens die Arbeiten bei Wind und Wetter weitergehen können und zweitens keine PassantInnen durch herabfallende Putten und ähnlichen Fassadenzierrat erschlagen werden. So hat man es bisher gehalten und so würden es wahrscheinlich auch die Oberen der umliegenden niedersächsischen Käffer tun. Doch die mit der Werbung für den Standort beauftragte Bremen Marketing GmbH (BMG) inszeniert eine Provinzposse peinlichsten Ausmaßes. Statt nämlich einfach eine Plane übers Gerüst zu stülpen, wird mit einem "Megaposter" ein "bundesweit wahrnehmbares Zeichen für die deutsche 'Marken-Hauptstadt' Bremen" gesetzt. Nicht nur japanische TouristInnen müssen jetzt beim Blick durch ihre Camcorderlinsen statt einer Renaissancefassade eine von GrundschülerInnen gemalte, über 1.100 Quadratmeter große Alpenlandschaft mit lila Kühen und ähnlichem erblicken.

Das einhundertjährige Jubiläum von "Milka", nur eine der Marken "unserer ebenso traditionsreichen wie zukunftsträchtige Nahrungs- und Genußmittelindustrie", sei nämlich, so der ehemalige Beck's-Chef und jetzige Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU), ein "guter Anlaß für eine ungewöhnliche Aktion". Und wenn es noch besser gelinge, VerbraucherInnen und EntscheidungsträgerInnen bewußt zu machen, daß viele der hochwertigen Produkte und Marken in ihren Einkaufskörben und auf ihren Tischen mit Bremen verbunden sind, sei für den Wirtschaftsstandort an der Weser viel gewonnen.

Vermutlich hat die Geschäftsführung der Bremen Marketing GmbH beim übermäßigen Genuß gerade der Marken der bremischen Brauereiindustrie allzuviele ihrer Hirnzellen eingebüßt, jedenfalls inszeniert sie auch noch eine "spektakuläre Veranstaltung rund um die Enthüllung des Mega-Posters", nämlich ein paar Bergsteiger, die die Plane herunterlassen, den "Milka Adventure Truck" mit Musik, zwei aufblasbare Spielburgen für Kinder und ein wenig lila Schokolade für das zahlreich vertretene Volk. Der "Milka Event", dessen Kosten komplett von Kraft Foods getragen werden, sei "integriert in 'Buddels Herbstkampagne', den laufenden Schwerpunkt der Sympathiewerbung für die Bremer Baustellen mit dem erfolgreichen Maulwurf-Maskottchen 'Buddel'". Und da die einjährige Werbefläche in allerbester Lage selbst für "Milka", hätte sie denn bezahlt werden müssen, mehr als einen Griff in die Portokasse gekostet hätte, zeigt sich Kraft Foods generös. Knapp 2.000 Tuschkästen und Malblöcke gibt es für die Schulklassen, die sich an der Malaktion beteiligt haben und außerdem 100.000 Mark für die "bremer schuloffensive e.V.".

Und die Bremer Touristik-Zentrale GmbH (BTZ) kann drei weitere Events verkünden, die zwar ebenfalls Volkes Seele bedienen, aber unbefangenen BeobachterInnen genauso imageschädigend erscheinen. Aufgrund der BTZ-Bemühungen sei es gelungen, drei Fernsehsendungen - die "haben einen unschätzbaren Wert für das Image der Stadt und sorgen für mehr Gäste" - an Land zu ziehen, nämlich "Die aktuelle Schaubude", das "MDR-Schlagermagazin" und das "ZDF Traumland Deutschland".



1. Oktober



Ausländerbehörde Besuch abgestattet

Rund 120 Männer und Frauen, darunter viele kurdische LibanesInnen, statten jenen SachbearbeiterInnen, die seit Monaten die Abschiebung staatenloser KurdInnen betreiben, in der Ausländerbehörde einen "Besuch" ab, um ihnen die Folgen ihres Handelns klarzumachen. "Wenn sie die staatenlosen KurdInnen los sind, werden sie sich die nächste Gruppe vornehmen", heißt es im Flugblatt. Die BesucherInnen fordern statt dessen "Papiere für alle" sowie ein Bleiberecht für die libanesischen KurdInnen.

An alle MitarbeiterInnen des Ausländeramts werden "Kündigungen" "mit sofortiger Wirkung" ausgestellt. "Begründung: In Ihrer Tätigkeit verstießen sie wiederholt gegen Art. 1 GG, indem sie die Menschenwürde der Ihnen anvertrauten Personen verletzten. ... Ebensowenig genau nehmen sie es mit in Art. 2 GG verbrieften Rechten der Freiheit der Person und der körperliche Unversehrtheit. Der Schutz der Familie (Art. 6 GG) liegt ihnen sowieso nicht besonders am Herzen. ... Alle Handlungen wurden bewußt und in voller Absicht begangen. Der Vortrag, die Gesetzesverstöße seien reine Pflichterfüllung gewesen, kann nicht erfolgreich sein. Die Schwere der Folgen Ihrer Taten für die Betroffenen rechtfertigen diese Auffassung nicht."

Eine Abordnung der kurdischen LibanesInnen vermittelt dem Leiter der Abschiebegruppe, Papencord, und Mitarbeitern der Ausländerbehörde nachdrücklich ihre Wut darüber, wie sie hier nach und nach fertig gemacht werden sollen.

Anschließend an den "Besuch" der Ausländerbehörde findet in der Innenstadt noch eine Kundgebung statt. Die türkische Tageszeitung "Hürriyet" berichtet ausführlich und mit Foto von der Aktion.



2. Oktober



Arbeitsamts-Razzien (I + II)

Bei der Sanierung einer Altbauwohnung in Grambke werden drei polnische Arbeiter von der Ermittlungsgruppe zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung des Arbeitsamts festgenommen. Die drei Männer, die als Touristen nach Deutschland eingereist sind, werden in den nächsten Tagen abgeschoben.

Bereits in der vergangenen Woche hatten die FahnderInnen der Ermittlungsgruppe auf einer Sanierungsbaustelle in Hemelingen einen mit Haftbefehl gesuchten türkischen Arbeiter festgenommen, zwei anderen Männern war die Flucht durch einen Sprung aus dem Fenster gelungen. Auf derselben Baustelle wurde zwei Tage später ein türkischer Asylbewerber festgenommen, weil er keine Arbeitserlaubnis hatte.



Staatsvertrag mit jüdischer Gemeinde

Der Senat beschließt den Entwurf eines Staatsvertrags zwischen der Stadt Bremen und der Jüdischen Gemeinde im Lande Bremen. Der Vertragsentwurf soll demnächst, nach seiner Paraphierung, von der Bürgerschaft (Landtag) beschlossen werden. Das Ganze ist eher ein Verwaltungsabkommen, wie es sie auch mit der evangelischen und katholischen Kirche gibt. So wird zum Beispiel jüdischen Friedhöfen der gleicher Schutz und die gleiche Unterstützung wie anderen Friedhöfen in kommunaler oder kirchlicher Trägerschaft zugesichert. Die jüdischen Feiertage Rosch Haschana (Neujahrsfest), Jom Kippur (Versöhnungsfest), Sukkoth (Laubhüttenfest) Schemini Azereth (Schlussfest), Simchat Thora (Fest der Gesetzesfreude), Pessach (Fest zum Auszug aus Ägypten) und Schawuoth (Wochenfest) werden als gesetzliche Feiertage anerkannt. Darüber wird die finanzielle Unterstützung Bremens für die Arbeit der jüdischen Gemeinde auf zunächst 235.000 Euro pro Jahr festgelegt.



Umfassende Betreuung

Mehr Nähe zu den BürgerInnen und "eine wirksamere Unterstützung" der SozialhilfeempfängerInnen, verspricht sich Sozialsenatorin Hilde Adolf (SPD) von den zwölf neuen Bremer Sozialzentren, die gestern die bisherigen vier regionalen Abteilungen des Amtes für Soziale Dienste abgelöst haben. Ziel dieser Umstrukturierung sei es, SozialhilfeempfängerInnen künftig umfassender sowie verstärkt individuell zu beraten und zu betreuen. Sogenannte Fall-Manager würden sich ihrer annehmen und gemeinsam mit ihnen Pläne erstellen, die nach Möglichkeit zum Ausstieg aus der Sozialhilfe und in den Arbeitsmarkt führen sollen. Oder, um es anders zu sagen: Mit der "verstärkten Hilfe" soll die Anzahl der SozialhilfeempfängerInnen in den kommenden Jahren nachhaltig gesenkt werden. Konkret werde eine Reduzierung um rund 4.400 "Fälle" bis einschließlich des Jahres 2005 angestrebt. Die SozialhilfeempfängerInnen künftig noch besser zu kontrollieren und mit Repressalien zu überziehen, habe der Senat auch der Einstellung von "20 neuen, besonders qualifizierten" MitarbeiterInnen sowie weitere Investitionen zugestimmt.



5. Oktober



Arbeitsamts-Razzien (III)

Bei der Durchsuchung einer Baustelle im Keller eines Innenstadtkaufhauses nehmen FahnderInnen des Arbeitsamtes sieben bulgarische Männer fest, weil sie keine Arbeitserlaubnis haben. Die Betroffenen werden in den nächsten Tagen abgeschoben.



7. Oktober



Anti-Kriegs-Demonstration (II)

Ein paar Stunden nach Beginn der Angriffe der USA und ihrer Verbündeten gegen Afghanistan findet am späten Abend im "Viertel" eine spontane Anti-Kriegsdemonstration statt, an der rund 200 Frauen und Männer, vor allem aus der linksradikalen, autonomen Szene teilnehmen. Innensenator Kuno Böse (CDU) hat "kein Verständnis dafür, wenn jetzt islamistische Täter zu Opfern gemacht werden. Bei den Gegenschlägen der USA und ihrer alliierten Partner handelt es sich um einen Akt der Selbstverteidigung der zivilisierten Welt gegen den internationalen Terror". Durch solche Spontandemonstrationen würden Polizeikräfte absorbiert, die an anderer Stelle, beispielsweise zum Schutz jüdischer Einrichtungen, derzeit dringender benötigt würden. Aber der Mann hat die Lage noch im Griff: Unmittelbar nach Beginn der "Anti-Terror-Schläge" hätten die Sicherheitsbehörden des Landes Bremen ihre Sicherheitsmaßnahmen weiter verschärft. Die für den Kriegsbeginn vorbereiteten Maßnahmen würden umgesetzt.



8. Oktober



Anti-Kriegs-Demonstration (III)

Rund 800 Männer und Frauen demonstrieren gegen den gestern begonnenen Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen Afghanistan. Bevor sich der Demonstrationszug vom Marktplatz aus in Begleitung eines großen Polizeiaufgebots in Bewegung setzt, gab es eine ganz gräßliche Kundgebung, auf der die meisten RednerInnen vor allem ihre Befindlichkeiten oder gar schlimmeres vortrugen.



10. Oktober



Castor gestoppt

Ein Castor-Transport mit fünf Behältern aus den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Stade wird am frühen Morgen auf seinem Weg in die französische Wiederaufbereitungsanlage La Hague viermal - in Brunsbüttel, Hamburg, Buchholz und Kirchweyhe - für insgesamt etwa vier Stunden aufgehalten. Erfolgreich sind unter die Bremer Anti-Castor-AktivistInnen, die den Transport gegen 6 Uhr bei Kirchweyhe für eine knappe halbe Stunde mit einer Schienenblockade, trotz der Streckenüberwachung durch BGS-Hubschrauber, aufhalten können. Anschließend werden die 29 Männer und Frauen vom Bundesgrenzschutz, der auch ihre Personalien feststellt, abgeräumt.



13. Oktober



Kooperation mit Schill-Partei angestrebt

Die rechtssozialdemokratische Abspaltung "Arbeit für Bremen und Bremerhaven" (AFB) hatte 1995 vor allem mit dem Thema "Innere Sicherheit", und dabei vor allem mit einer Kampagne gegen Obdachlose, Bettler und DrogengebraucherInnen, den Einzug in die Bürgerschaft geschafft. Aber 1999 aber holten sich vor allem die Sozis (law and order is a labour issue) die Stimmen von den AbweichlerInnen zurück, die daraufhin mit nur 2,4 Prozent aus dem Parlament flogen. Nach dem krankheitsbedingten Rückzug ihres Vorsitzenden, des langjährigen SPD'lers und Sparkassen-Chefs Friedrich Rebers, drohte die von innerparteilichen Auseinandersetzungen geprägte AFB mehr und mehr auseinanderzufliegen.

Doch nun hofft man, sich vom Erfolg der Schill-Partei eine Scheibe abschneiden zu können und bietet deshalb den Hamburgern Gespräche über eine Kooperation an. Denn auch in Bremen liege nach wie vor einiges im argen. Die Große Koalition habe zwar "große Ankündigungen gemacht zur Verbesserung der inneren Sicherheit", aber gerade der "faule Kompromiß beim kürzlich erst beschlossenen Polizeigesetz" belege, daß es für AFB und Schill noch viel zu tun gibt.



15. Oktober



Milzbrand-Hysterie

Auch in Bremen grassiert jetzt die Milzbrand-Hysterie. Doch weder die "Aufklärung" eines angeblich "verdächtigen Paketes" aus dem Hemelinger Hafen noch ein zweiter "verdächtiger Fund" auf der Bezirkssportanlage in Findorff ergeben irgendwelche Spuren. Von "aufmerksamen Bürgern" wird derzeit alles bei der Polizei gemeldet, was herrenlos irgendwo herumsteht. Das sei zwar im Prinzip richtig, doch, findet selbst Innensenator Kuno Böse (CDU), dürfe sich dies nicht zu einer allgemeinen Hysterie hochschaukeln. Weshalb man die meisten "Informationen" auch ignoriert, dennoch die Funde in Hemelingen und Findorff geschickt für die erzeugte Sicherheitspanik zu inszenieren weiß. Die Pakete werden im Beisein der vorab informierten Journaille zunächst von einem Polizeiaufgebot begutachtet, um sodann in einem speziellen Gefahrstoffgefäß in das Landesuntersuchungsamt transportiert und dort auf Milzbranderreger untersucht zu werden.



16. Oktober



Arbeitsamts-Razzien (IV)

FahnderInnen des Arbeitsamts nehmen bei einer Razzia in einer ehemaligen Gaststätte, die demnächst wiedereröffnet werden soll, in der Nähe des Hauptbahnhofs einen rumänischen sowie einen indischen Mann fest. Die beiden seien dort ohne Arbeitserlaubnis tätig gewesen, hätten gefälschte Papiere bei sich gehabt und sollen daher in den nächsten Tagen abgeschoben werden.



Anti-Kriegsprotest

Mehrere Dutzend SchülerInnen der Schule an der Hamburger Straße besetzen in der Mittagspause die nahegelegene Kreuzung St.-Jürgen-Straße/Am Schwarzen Meer, um damit gegen die anhaltende Bombardierung Afghanistans zu demonstrieren. Auch in den kommenden Tagen finden diese Kreuzungsblockaden statt.

Auch an anderen Schulen werden solche Aktionen organisiert. So besetzen am 19. Oktober SchülerInnen des Schulzentrums Rübekamp und des Schulzentrums Walle die Waller Heerstraße und rund 100 SchülerInnen der Schule an der Schaumburger Straße sowie der Gesamtschule Mitte die Kreuzung Verdener Straße/Am Hulsberg.



17. Oktober



Mammutknast

Einen neuen Männerknast will Bremen gemeinsam mit Niedersachsen bauen. Nach Angaben von Justizstaatsrat Ulrich Mäurer (SPD), der jetzt die bisherigen Planungen im Rechtsausschuß der Bürgerschaft vorstellt, benötigt Bremen 525 Plätze und Niedersachsen 100 bis 300. In dem "Mammutknast" (Bündnis 90/Die Grünen) sollen sowohl Straf- und Untersuchungshaft als auch der Jugendknast untergebracht werden. Wo das voraussichtlich über 200 Millionen Mark teure Großprojekt entstehen soll, ist noch nicht klar, höchstwahrscheinlich aber im Stadtgebiet Bremens, vielleicht auch auf der Freifläche vor dem Männerknast Oslebshausen.



Aus der Abschiebehaft entlassen

Zwei Tage vor seiner geplanten Abschiebung wird der tamilische Flüchtling Sinniah Ravichandran aus der Abschiebehaft entlassen. Statt dessen soll er jetzt am 5. November mit einem von ihm selbst gekauften Ticket nach Sri Lanka fliegen, sich also quasi selbst ausweisen. Der 30jährige war einige Tage zuvor auf der Ausländerbehörde verhaftet worden, als er seine Duldung verlängern wollte.

Während das Auswärtige Amt deutsche UrlauberInnen vor Reisen nach Sri Lanka warnt und der Bundesgrenzschutz eine zu hohe Gefährdung seiner BeamtInnen bei der "Begleitung" nach Sri Lanka sieht (deshalb scheiterte am 8. August eine andere Abschiebung; vgl. kassiber 47, Dezember 2001, S. 15), wollen die Behörden den tamilischen Flüchtlingen die Zustände im Bürgerkriegsland Sri Lanka durchaus zumuten.

Sinniah Ravichandran, dem Anfang 1996 die Flucht nach Deutschland gelang, trägt noch heute am ganzen Körper Folterspuren von den Mißhandlungen, die er in Sri Lanka im Gefängnis erleben mußte. Wegen seiner Schmerzen im Rücken und im linken Ohr befindet er sich nach wie vor in ärztlicher Behandlung. Amnesty international warnte schon im Januar 2001 in einer kritischen Stellungnahme zum letzten Lagebericht des Auswärtigen Amtes über Sri Lanka davor, daß Tamilen (Abgeschobene und Inlandsflüchtlinge), die Narben auf der Haut haben, einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, "Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte und mit ihnen operierenden paramilitärischen Kräften zu werden".



21. Oktober



Erneut Tamile in Abschiebehaft

Nur vier Tage nachdem ein anderer tamilischer Flüchtling mit der Auflage, Anfang November mit einem selbst bezahlten Ticket "freiwillig" nach Sri Lanka auszureisen aus der Abschiebehaft entlassen wurde, wird am Morgen Amaladas Saleserajah auf der Bremer Ausländerbehörde in Abschiebehaft genommen. Er soll am 26. Oktober abgeschoben werden.

In Sri Lanka würde er, wie die anderen tamilischen Flüchtlinge auch, Gefahr laufen, erneut festgenommen und mißhandelt zu werden. Denn der "Emergency Passport", mit dem Amaladas Saleserajah abgeschoben werden soll, gilt nur für die einmalige Einreise in das Land, wird aber von den Behörden Sri Lankas und den auch in der angeblich sicheren Fluchtalternative Colombo überall präsenten Kontrollposten nicht als gültiges Personalpapier anerkannt. Ein Tamile, der sich gegenüber den srilankischen Sicherheitskräften nicht ausweisen kann, gilt aber generell als verdächtig und wird verhaftet.

Einige Tage später wird die Abschiebung vorläufig ausgesetzt, weil Amaladas Saleserajah einen Asylfolgeantrag stellt. Er bleibt allerdings in Abschiebehaft. AktivistInnen des Internationalen Menschenrechtsvereins Bremen und anderer Gruppen protestieren deshalb vor dem Polizeigewahrsam in der Vahr.



22. Oktober



Kein rechtsfreier Raum

Damit das Parzellengebiet Waller Fleet kein Präzedenzfall für ganz Bremen werde und künftig jede/r fast überall "Schwarzbauten" errichten könne, müßten die mindestens mehreren hundert BewohnerInnen des Kleingartengebiets sich woanders eine Wohnung suchen. Das ist nach Angaben von Peter Kudella (CDU), Moderator des sogenannten Runden Tisches zum Waller Fleet, die Quintessenz des angeforderten Rechtsgutachtens des Münsteraner Verwaltungsrechtlers Professor Bernhard Stüer. Allerdings fordert Stüer eine "sozialverträgliche und möglichst einvernehmliche Lösung" durch die Stadt. Die hatte bereits im vergangenen Jahr denjenigen, die freiwillig umziehen, finanzielle Hilfen angeboten, im Bremer Haushalt sind dafür zwei Millionen Mark bereitgestellt.

Doch die meisten ParzellenbewohnerInnen hatten sich in der Vergangenheit als höchst renitent erwiesen und scheinen auch heute gar nicht bereit, ihre etwa zur Hälfte seit den siebziger Jahren errichteten, im Behördenjargon "Schwarzbauten" genannten Häuser zu verlassen. Obwohl der Bebauungsplan für das Gebiet Waller Fleet keine Wohnbebauung vorsieht, sondern nur Gartenhäuser mit einer Fläche von maximal 24 Quadratmetern, hatten sich viele ganze Ein- oder Zweifamilienhäuser auf die Parzelle gestellt. Das Bauordnungsamt, das davon ausgeht, daß etwa ein Viertel der rund 1.200 Parzellen bewohnt ist, hatte aber dem Treiben der HäuslebauerInnen bis weit in die neunziger Jahre ungerührt zugesehen.

Nun aber müsse der rechtsfreie Raum beseitigt werden, findet nicht nur das Bauordnungsamt, sondern sagt auch Gutachter Stüer. Nichts zu tun und die bisherigen Verhältnisse auf Dauer zu dulden, käme nicht in Frage, denn dann würde ganz Bremen zum rechtsfreien Raum. Aber so schlimm wird es wohl nicht werden. Bestimmt gelingt es Kudella, der sich schon als Moderator bei den Verhandlungen zwischen der Stadt und dem Ökodorf "Grüner Weidedamm" an der Lesum bewährt hatte, auch hier eine "sozialverträgliche" Lösung zu finden.

Jedenfalls hatten die im "Runden Tisch" (Sanierungsbeirat) zusammengeschlossenen Betroffenen - der Kleingartenverein Walle, die Interessengemeinschaft der Parzellenbewohner und Gartengrundstückseigentümer sowie der Verein GartenWohnkultur - den Gutachter Stüer im Frühjahr einvernehmlich beauftragt. Und am 11. Juni wurde vereinbart, daß "das Ergebnis des Rechtsgutachtens ... als verbindliche Aussage in das weitere Verfahren eingebracht" wird, so Kudella damals.

Doch was "Sozialverträglichkeit" genau bedeuten soll, darüber gibt es weiterhin unterschiedliche Auffassungen. Während Kudella nach der heutigen Sitzung des "Runden Tisches" verkündet, daß es "jetzt ans Eingemachte geht" - Kudella will demnächst eine Liste der abzureißenden Häuser erstellen -, interpretiert der Verein GartenWohnkultur Stüer dahingehend, daß mit seinem Gutachten die Stadt zwar "juristisch angehalten" sei zu handeln, "aber in welchen Zeiträumen und wie ist ihre Ermessenssache".



23. Oktober



Konsequente Nutzung der DNA-Analyse

Den Fund der Leiche eines seit etwa drei Monaten vermißten Mädchens aus dem Stadtteil Kattenturm nutzt Innensenator Kuno Böse (CDU) dazu, den weiteren Ausbau der "Inneren Sicherheit" zu fordern. Daß es sich bei der Ermordung der Zehnjährigen mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein Sexualverbrechen handelt, richte "deutliche Mahnung an uns, endlich mit Entschlossenheit die zum Schutz der Kinder notwendigen Maßnahmen anzupacken". Und das seien "die konsequente Nutzung der DNA-Analyse und die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Sexualstraftäter".

Denn gerade die DNA-Analyse, "ein polizeiliches Arbeitsmittel mit hohem Potential, das aber zur Zeit noch völlig unzureichend genutzt wird", könne bisher gegen den Willen des Betroffenen nur aus Anlaß einer Straftat von erheblicher Bedeutung angewandt werden. "Wissenschaftliche Erkenntnisse und die Erfahrung aus der Praxis" würden jedoch zeigen, "daß schwere Sexualdelikte oft das Ende einer kriminellen Karriere bilden, die einmal mit einer weniger gewichtigen Straftat begonnen hat", so Böse weiter. Eine DNA-Analyse müsse deshalb schon dann möglich sein, wenn die begangene Tat zwar weniger schwer sei, aber einen sexuellen Hintergrund aufweise.

Und wer einmal wegen einer Sexualstraftat verurteilte wurde, soll für immer im Knast bleiben - wie es auch Bundeskanzler Schröder bereits im Sommer gefordert hat. Bisher aber bestehe das Problem, daß eine Sicherungsverwahrung im Anschluß an die Strafhaft nur dann zulässig sei, wenn sie durch das Gericht gleichzeitig mit der Verurteilung ausgesprochen wurde. Das sei aber gerade im Fall von Sexualstraftätern "ein Risiko, das wir nicht länger hinnehmen dürfen". Deshalb müßten die gesetzlichen Voraussetzungen für eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung geschaffen werden.



25. Oktober



Rasterfahndung

Kaum daß die Große Koalition Ende August nach langjährigen Verhandlungen das neue Bremer Polizeigesetz beschlossene hatte, wird es jetzt auch schon wieder geändert. Damals passierte nämlich ein petit Fauxpas. Die Rasterfahndung, noch im alten Polizeigesetz enthalten, flog heraus, weil sie nämlich weder von der Polizei noch von der Innenbehörde für nötig befunden - und auch seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr angewendet wurde. Heutzutage aber, wo angebliche sogenannte Schläfer enttarnt werden müßten, ist die Rasterfahndung, so Innensenator Kuno Böse (CDU), "ein unverzichtbares polizeiliches Mittel, um dieses Ziel zu erreichen."

Mit dem "automatisierten Datenabgleich", so heißt die Rasterfahndung im Polizeigesetz, erhält die Polizei das Recht, von öffentlichen (Behörden, Universitäten etc.) und nichtöffentlichen (Krankenkassen, Stadtwerke u.a.) Stellen die Übermittlung von personenbezogenen Daten bestimmter Personengruppen aus dortigen Dateien zum automatisierten Abgleich mit anderen Dateien nach fahndungsspezifischen Suchkriterien zu verlangen. Doch Sorgen müsse sich - außer potentiellen "islamistischen Terroristen", und das sind fast alle muslimischen Studenten - niemand machen, denn die Neuregelung wahre mit ihren strengen Voraussetzungen rechtsstaatliche Erfordernisse. Und überhaupt: Daß da nichts Unrechtes geschieht, darüber wacht Böse himself, denn die Rasterfahndung kann nur mit Zustimmung des Innensenators angeordnet werden. Durch die spätere Information des Landesdatenschutzbeauftragten und die Kontrollmöglichkeit des neu geschaffenen Bürgerschaftsausschusses sei eine rechtsstaatliche Ausübung des polizeilichen Handelns gewährleistet.

Der Datenschutzbeauftragte hatte hingegen - wie Bündnis 90/Die Grünen und einzelne Sozis - vor der Verabschiedung der Gesetzesnovelle gefordert, daß ein sogenannter Richtervorbehalt ins Gesetz kommt, soll heißen: ein Richter, und nicht etwa der Innensenator, müßte - wegen der Gewaltenteilung - die Rasterfahndung anordnen.

Aber weil die Bremer Sozis bei der Rasterfahndung ebensogut mitgespielt haben wie schon vorher beim polizeilichen Todesschuß und anderen Schweinereien, wird das Polizeigesetz heute gleich noch einmal novelliert. Es wird nämlich das sogenannte Wegweisungsrecht aufgenommen, aufgrund dessen die Polizei künftig gewalttätigen Partnern das Betreten der gemeinsamen Wohnung bis zu zehn Tagen verbieten werden kann.

Beide Gesetzesnovellen treten noch im Oktober in Kraft, womit die Voraussetzungen für die Universität und die Hochschulen gegeben sind, Daten über Studenten aus muslimischen Staaten an die Polizei weiterzugeben.



29. Oktober



Ruf mich an!

Das Landesamt für Verfassungsschutz richtet ein "vertrauliches Hinweistelefon 'Internationaler Terrorismus'" ein. Die Denunziations-Hotline stehe allen Bürgerinnen und Bürgern im Land Bremen unter der Rufnummer 0421-53 77 0 zur Verfügung. Montags bis freitags von 8 bis 16 Uhr sei das Telefon persönlich besetzt, ansonsten könne eine Nachricht auf einem Anrufbeantworter hinterlassen werden; wer es lieber neumodisch mag, könne auch per eMail denunzieren. "Alle Anrufe werden selbstverständlich vertraulich behandelt."

Seit den Anschlägen vom 11. September habe der Bremer Verfassungsschutz bereits zahlreiche Hinweise aus der Bevölkerung erhalten. Mit dem vertraulichen Telefon solle nunmehr der direkte Kontakt der AnruferInnen mit der zuständigen Fachabteilung sichergestellt werden. Und, das ist in dieser Offenheit neu in der inneren "Anti-Terror-Kampagne", "die beiden Kontaktmöglichkeiten stehen auch für Hinweise auf rechts- und linksextremistische Bestrebungen zur Verfügung".



Verengter Blick

Die Bremer Grünen geben sich unzufrieden mit den anhaltenden Angriffen der USA und ihrer Verbündeten auf Afghanistan wie auch mit den KriegstreiberInnen in der eigenen Partei. Denn, so behauptet der heutige Beschluß des Landesvorstands, "Krieg war und ist ... für Bündnis 90/Die Grünen kein geeignetes Mittel zur Terrorbekämpfung". So hätte auch der Länderrat am 6. Oktober - damals wurde die deutsche "uneingeschränkte Solidarität" unterstützt - betont: "Es geht nicht um Krieg gegen ein Land, eine Kultur oder eine Religion, sondern um die Bekämpfung von Terroristen". Doch nun habe die Wirklichkeit diesen Satz längst überholt und es gebe wirklich "Krieg in Afghanistan" mit all den üblichen Folgen - unschuldige Opfer, vermehrte Flüchtlingsströme und eine sich anbahnende Hungerkatastrophe.

"Dies alles können wir nicht als Ausdruck eines klugen, zielorientierten Kampfes gegen den Terrorismus bewerten." Daher müsse der "verengte Blick auf das Militärische, sowohl im öffentlichen Diskurs als auch innerhalb unserer Partei, durchbrochen werden. Eine weitere Bombardierung Afghanistans lehnen wir nach alledem ab."

Gefordert sei vielmehr "eine Strategie der Vielschichtigkeit", in der "militärische Maßnahmen" - denn die sind etwas ganz anderes als Krieg - nur dann sinnvoll einen Platz hätten, "wenn sie im Sinne von Terrorbekämpfung zielorientiert in eine politische Gesamtstrategie eingebunden sind und nicht zu zivilen Opfern führen".



30. Oktober



Sexistische Angriffe (II)

In einem Treppenhaus in der Kaiserslauterner Straße wird am Morgen eine Frau von einem maskierten Mann überfallen. Der Täter fesselt der Frau die Hände und verklebt ihr den Mund, die Überfallene kann den Mann aber schließlich abwehren. Der Mann, der sich unter dem Vorwand, von einem Paketdienst zu kommen, Einlaß in das Mehrfamilienhaus verschafft hatte, flüchtet anschließend.



31. Oktober



Sexistische Angriffe (III)

Gegen 3 Uhr wird eine Frau auf der Bürgerweide von einem Mann überfallen. Die 30jährige, die gerade ihren Job als Tresenkraft in der Halle 6 beendet hatte und nach Hause fahren wollte, zerkratzt dem Täter das Gesicht und tritt ihm in die Genitalien, worauf der zu Boden geht. Die Frau flüchtet mit ihrem Fahrrad.



1. November



18 neue Schlapphüte

Weil sich für den Verfassungsschutz seit dem 11. September viele neue Aufgaben ergeben hätten, soll der jetzt 18 neue Stellen bekommen. Eine entsprechende Vorlage des Innenressorts wird von der Innendeputation zustimmend zur Kenntnis genommen - dagegen sind nur die Deputierten von Bündnis 90/Die Grünen.



Rechtmäßig

Das Verwaltungsgericht bestätigt eine Razzia der Polizei in einer Wohnung von NPD-Funktionären im Vorfeld der für den 1. Mai 1999 in Sebaldsbrück geplanten bundesweiten faschistischen Großdemonstration als rechtmäßig. Die Polizei hatte damals die Wohnung in Horn-Lehe, die als "Einsatzleitzentrale" für die NPD-Demonstration dienen sollte, durchsucht, verschiedene Materialien beschlagnahmt und neun sich dort aufhaltenden Nazi-Kader vorläufig in Gewahrsam genommen (vgl. kassiber 39, Juli 1999, S. 12). Begründet wurde dies damit, daß eine Anreise von Faschisten am 1. Mai 1999 verhindert werden sollte, denn das Stadtamt hatte die Demonstration verboten.



Abschiebungen nach Sri Lanka vorerst ausgesetzt

In der Öffentlichkeit wird ein Schreiben des Innenressorts bekannt, in dem darauf hingewiesen wird, daß "der Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Sri Lanka vom 11. März 2001 nicht mehr den zu treffenden Entscheidungen zugrunde zu legen ist". Inzwischen ist nämlich sogar das deutsche Außenministerium zu der Einschätzung gekommen, daß die innenpolitische Situation in Sri Lanka nach einer Reihe von Anschlägen höchst "instabil" ist. Deshalb, heißt es im Schreiben der Innenbehörde weiter, seien ausreisepflichtige tamilische Flüchtlinge darauf hinzuweisen, umgehend einen Asylfolgeantrag zu stellen und darin ihre Gefährdungsgründe darzustellen.

Obwohl das Schreiben bereits von Anfang September datiert, waren in den vergangenen Wochen vier tamilische Flüchtlinge - zumeist in der Ausländerbehörde - festgenommen und in die Abschiebehaft gebracht worden. Mehrere geplante Abschiebetermine waren wohl vor allem aufgrund der vielfältigen Protestaktionen von anderen Flüchtlingen sowie antirassistischer und Menschenrechtsgruppen, insbesondere des Internationalen Menschenrechtsvereins Bremen, geplatzt. Inzwischen sind alle vier Männer wieder aus der Abschiebehaft entlassen worden.



8. November



Andere Sicherheitslage

Innensenator Kuno Böse (CDU) erneuert angesichts des bevorstehenden Bundestagsbeschlusses über eine deutsche Kriegsbeteiligung seine Forderung nach einem Einsatz der Bundeswehr auch im Inland. "Wenn unsere Soldaten in einen Kriegseinsatz verwickelt sind, gibt es eine andere Sicherheitslage, die die Polizei allein nicht bewältigen kann", so Böse. Gedacht sei an den Schutz von deutschen Kasernen und US-amerikanischen Militäreinrichtungen durch Bundeswehrsoldaten.



9. November



Gedenken an Reichspogromnacht

Am 63. Jahrestag der Reichspogromnacht findet vormittags die traditionelle Gedenkfeier der Bürgerschaftsfraktionen am Mahnmal in der Dechanatsstraße statt. Neben dem Hauptredner Daniel Ajzensztejn, Präsidiumsmitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland, sprechen Vertreter der Jüdischen Gemeinde Bremen und Bürgerschaftsvizepräsident Bernd Ravens (CDU). Daran anschließt findet eine von SchülerInnen der St.-Johannis-Schule organisierte Menschenkette statt, bei der das Mahnmal symbolisch mit in der Nähe liegenden Orten verbunden wird, die in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 eine Rolle gespielt haben, so mit dem Standort der ehemaligen Synagoge und dem Schulhof des ehemaligen Alten Gymnasiums, auf dem die verhafteten Juden zusammengetrieben wurden.

Bereits am Morgen hatten VertreterInnen von Friedensgruppen, antifaschistischen Organisationen und anderen Kränze an der Bronzeplatte am Hauptbahnhof niedergelegt, die an die Deportation der Bremer JüdInnen vor 60 Jahren nach Minsk erinnert.



11. November



Sexistische Angriffe (IV)

Ein 15jähriges Mädchen wird nachts von einem jungen Mann im Rembertiviertel auf offener Straße vergewaltigt. Die Polizei nimmt den Täter tags darauf fest, zwei andere junge Männer, die untätig zugeschaut hatten, würden demnächst vernommen.



14. November



Anti-Kriegsdemonstrationen (IV + V)

Rund einhundert SchülerInnen des Kippenberg-Gymnasiums, des Hermann-Böse-Gymnasiums, des Schulzentrums Hamburger Straße, der Walldorfschule sowie einiger anderer Schulen legen mittags für rund 20 Minuten den Kreisverkehr "Am Stern" lahm, um damit gegen die geplante deutsche Kriegsbeteiligung zu protestieren. Wie bei einer ähnlichen Aktion in der Vorwoche fahren die AktivistInnen die ganze Zeit, die Vorfahrtsregelung für Fahrräder nutzend, im Kreis herum, derweil staut sich der Auto- und Straßenbahnverkehr in den sechs Zufahrtsstraßen. An die steckengebliebenen AutofahrerInnen werden massenweise Flugblätter und Schokoküsse verteilt.

Am frühen Abend protestieren rund 500 Männer und Frauen, überwiegend aus dem Friedensbewegungsspektrum, mit einer Kundgebung auf dem Marktplatz gegen die ursprünglich für morgen geplante, dann aber erst am 16. November stattfindende Bundestagsentscheidung, mit der 3.900 deutsche SoldatInnen in den sogenannten Anti-Terror-Krieg geschickt werden. Die TeilnehmerInnen, heißt es im Aufruf des Bremer Friedensforum, "packt der Zorn, weil gegen Afghanistan, das über zwanzig Jahre Krieg erleidet, unablässig weiter gebombt wird, weil dort unablässig weiter Zivilisten getötet werden, unablässig Tausende und Abertausende in die Flucht getrieben werden. Viele von ihnen werden Opfer des Hungers und der Kälte sein." Kritisiert wird insbesondere auch Bundeskanzler Schröders "Trick der Vertrauensfrage", mit dem die ParlamentarierInnen gezwungen werden sollen, sich "gegen ihr Gewissen für den Krieg, für Bomben, für den Tod zu entscheiden". "Uns packt der Zorn auch, weil Parlamentarier nicht das nötige Rückgrat haben, diesem Druck standzuhalten" - wie zum Beispiel der Bremer Abgeordnete Konrad Kunick, der in den vergangenen Jahren als einer von wenigen sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten regelmäßig gegen Kriegsbeteiligungen und Bundeswehreinmärsche in andere Länder gestimmt hatte.



Mindestens 190 Studenten in Rasterfahndung

Von der Universität und den Hochschulen sind nach Angaben des AStAs der Hochschule Bremen mindestens die Daten von 190 Studenten an das Landeskriminalamt weitergegeben worden. Betroffen seien männliche Studenten im Alter zwischen 18 und 40 Jahren aus islamischen Staaten (nicht der Türkei), die in den letzten fünf Jahren eingeschrieben waren.



23. November



Anti-Kriegsdemonstrationen (VI)

Rund 800 Männer und Frauen demonstrieren am Nachmittag gegen den andauernden Krieg gegen Afghanistan, die in der Vorwoche beschlossene Beteiligung der Bundeswehr am "Anti-Terror-Kampf" und den Ausbau des Überwachungsstaates. Die Demonstration zieht vom Bahnhofsplatz durch die Innenstadt zum Marktplatz.



28. November



Deutlich verschärft

Damit nicht allzuviele AusländerInnen - und vor allem nicht die "falschen" - die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten können, wurden den BewerberInnen zahlreiche Hürden in den Weg gestellt. So müssen die seit Anfang letzten Jahres "ausreichende Deutschkenntnisse" nachweisen, nötigenfalls durch einen sogenannten Sprachtest. Wie der genau aussieht, ist Ländersache.

Innensenator Kuno Böse (CDU) stellte heute auf einer Pressekonferenz das neue Bremer Verfahren zur Überprüfung der Sprachkenntnisse im Einbürgerungsverfahren vor, das am 3. Dezember in Kraft tritt. Diese Tests würden künftig im Auftrag des Innensenators von den Volkshochschulen (VHS) in Bremen und Bremerhaven durchgeführt. Geprüft werde auf Grundlage des sogenannten Berliner Modells, das bereits seit März vergangenen Jahres in der Hauptstadt eingesetzt wird. Für den Berliner Test habe man sich aus zwei Gründen entschieden: Zum einen stelle er höhere Anforderungen als Testmodelle aus anderen Bundesländern. Böse: "Die Einführung des standardisierten Sprachtests wird die bestehenden Prüfungsstandards deutlich verschärfen." Man könne jedoch auch viel verlangen, weil die ernsthaft Integrationswilligen von sich aus ein großes Engagement im Erlernen der Sprache zeigen würden. "Indem wir sie fordern, fördern wir die Richtigen", so Böse.

Zu kritisieren seien hingegen die in Schilys Zuwanderungsbegrenzungsgesetz vorgesehenen Integrationskurse. Denn zum einen würden deren Kosten auf die Länder abgewälzt, zum anderen sei das Konzept des Regierungsentwurfs nicht ausreichend ausgestaltet. So bestehe eine Teilnahmeverpflichtung nur für diejenigen, die ihre Aufenthaltserlaubnis seit weniger als fünf Jahren besitzen. Damit aber werde "der Großteil noch nicht integrierter Ausländer in Deutschland nicht erfaßt. Das drängende Problem von Parallelgesellschaften kann so nicht gelöst werden." Zudem solle nach den Vorstellungen der Bundesregierung schon bei Fähigkeit zu einfacher mündlicher Verständigung eine Teilnahmeverpflichtung entfallen. Und die Nichtteilnahme an verpflichtenden Integrationskursen solle "nur völlig unzureichend" sanktioniert werden, indem sie bei der Entscheidung über Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis "berücksichtigt" werde. Aber die Weigerung, an Integrationskursen teilzunehmen, sei als eindeutige Entscheidung des Zuwanderers gegen seine Integration zu werten. "Diese eindeutige Entscheidung muß auch eindeutige Konsequenzen haben." Denn: "Integration ist ein Schicksalsthema unseres Landes, daß einen breiten nationalen Konsens erfordert."



4. Dezember



Attraktivität steigern

Daß am Sielwalleck wie am gesamten Straßenzug Vor dem Steintor zahlreiche Geschäfte leer stehen und außerdem Geschäftsleute wie brave BürgerInnen am Eck und den großen Straßen ihren Reinigungspflichten nur ungenügend nachkommen, ist - glaubt man Leuten wie Lolo Dinné und ihren ex-linken MitstreiterInnen - eine Auswirkung des "ungehemmten Drogenkonsums" der hiesigen Offenen Szene. Und deutliches Indiz für eine "Verslummung des Viertels". Auch die Polizei verhandelt das Ganze gerne unter dem Thema "Drogenproblem", weshalb auch Kuno Böse (CDU), damals noch Innenstaatsrat, im Sommer zur traditionellen wochenlangen Hetzjagd gegen Junkies bliesen ließ.

Doch inzwischen mehren sich wieder Stimmen, die zumindest auch andere Ursachen sehen. So legt jetzt eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe einen Bericht vor, auf dessen Grundlagen Maßnahmen zur Verbesserung der Situation rund um die Sielwall-Kreuzung und zur "Attraktivitätssteigerung des Viertels" ergriffen werden sollen. Außer dem bösen Vorsitzenden gehören der Arbeitsgruppe der Leiter des Ortsamts Mitte/Östliche Vorstadt, Robert Bücking, und VertreterInnen der Senatsressorts für Finanzen, Wirtschaft und Häfen, Arbeit, Frauen, Jugend, Gesundheit und Soziales, Bau und Umwelt sowie der Handelskammer Bremen, der Wirtschaftsförderungsgesellschaft, des Planungsamtes und der Polizei an.

Nach den Erkenntnissen der Arbeitsgruppe sei vor allem das "Steintorviertel von einer krisenhaften Beschleunigung eines von vielen Faktoren abhängigen Strukturwandel des Einzelhandels geprägt". Das sich verändernde Einkaufsverhalten und der Generationswechsel bei den Kaufleuten würden überlagert von den Erscheinungen einer langjährig gewachsenen Drogenszene. Dies führe "im Zusammenwirken mit weiteren negativen Einflußfaktoren" zu einer Vielzahl von Geschäftsleerständen. "Es handelte sich hierbei nicht um ein reines Sicherheitsproblem sondern auch um eine grundsätzliche Strukturveränderung."

Und was folgt daraus für die "Verbesserung der Attraktivität"? Erstens eine erhöhte Polizeipräsenz - uniformierte und zivilen Fußstreife unter Einbindung der Kontaktpolizisten sowie eine mobilen Wache am Sielwalleck -, auch bekommt das Revier Steintor noch zwei zusätzlich KOBs. Zweitens eine Vereinbarung mit dem Sozialressort, daß die Polizei von Streetworkern der Drogenberatungsstelle unterstützt wird. Drittens wird das Eck jetzt täglich, auch am Wochenende, zusätzlich von einem Arbeitsdienst sauber gemacht. Der ist für einen Modellversuch von 13 Monaten vor allem für den "Ekelmüll" zuständig. Manuell - notfalls auch mit einem Hochdruckreiniger - wird am Eck und Umgebung (Bauernstraße, Fehrfeld, Dobben von Nr. 83 bis zur Luisenstraße, Teile der Luisenstraße, die Bernhardstraße und die Schildstraße) gereinigt.

Viertens sollen die Haltestellenbereiche umgestaltet werden, die Haltestellen für die Linien 2, 3 und 10 vor dem ehemaligen Bekleidungsgeschäft "Rehme" zusammengefaßt werden, um so "in stadtauswärtiger Richtung eine neue, attraktivere Eingangssituation für das Steintorviertel" zu schaffen. Fünftens werde es nach langen Jahren wieder neue Gaststätten-Konzessionen für das "Viertel" geben, aber nur für die "hochwertige Gastronomie" - vorgesehen seien Cafés, Konditoreien und Speiserestaurants. Eine Änderung der Bebauungspläne werde bereits vom Stadtplanungsamt vorbereitet.



Willi Leow


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kombo(p) - 21.07.2002