kassiber 48 - März 2002

Profil und bundespolitische Perspektiven der Schill-Partei

Die CSU des Nordens


Noch nie gab es in der Bundesrepublik einen Stimmenzuwachs um 19,4 Prozent, und das von Null aus, wie im Jahr 2000 bei der Hamburger Schill-Partei. Hat da jemand eine neue Formel der Macht erfunden? Verhilft Schill dem in den 1990er Jahren gewachsenen Rechtspopulismus zum Durchbruch? Oder entspricht er eher einer "CSU des Nordens", ohne Kruzifix und Lederhosen? Zeigt er, wie in Hamburg, dem bürgerlichen Lager einen neuen Weg zur Macht?


Der Erfolg von Hamburg

Bei ihrem Hamburger Wahlerfolg stärkte die Schill-Partei das bürgerliche Lager dadurch, dass sie in beträchtlichem Umfang SPD-Wähler, Wähler vom rechten Rand und vormalige Nicht-Wähler bzw. Parteienverdrossene auf sich ziehen konnte. Die SPD kompensierte ihre Verluste durch einen starken Zugang grüner Wähler, aber der Erfolg der Schill-Partei bei sozialdemokratischen Wählern ist viel größer, berücksichtigt man, dass die großen Verluste der Hamburger SPD 1997 (4,2 Prozent) zu einem beträchtlichen Teil den beiden Rechtsparteien zu Gute kamen. Auch wenn die Schill-Partei CDU- und FDP-Wähler auf sich gezogen hat, stärkte sie als Sammlungspartei im Saldo das bürgerlichen Lager.


Politikprofil der Schill-Partei

Das Programmprofil der Schill-Partei ist eindeutig zweideutig (1). Einerseits gibt sich die Partei moderat ("Die erste und zweite Gastarbeitergeneration war sogar rechtstreuer als die deutsche Bevölkerung"). Gegenüber "sich rechtmäßig hier aufhaltenden" ausländischen Mitbürgern wird ein Integrationswillen demonstriert. Andererseits leistet das Programm dumpfen Vorurteilen und Ressentiments Vorschub, indem von der nun "ausufernden Ausländerkriminalität" die Rede ist, der mit entschiedener Härte zu begegnen sei. Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit wird unterschwellig mobilisiert ("Das Tragen von scharfen Schusswaffen und die Bereitschaft, sie aus nichtigem Anlass einzusetzen, ist unter bestimmten ethnischen Gruppen besonders verbreitet"). So versucht die Partei nicht als per se ausländerfeindlich zu erscheinen, gleichzeitig aber ihren Anhängern genügend Raum für die Bestätigung ihrer "Stammtisch"-(Vor-)Urteile zu lassen. Feinde des Rechtsstaates und "subversive Kräfte", die die Schutzfunktion des Staates gegenüber den Bürgern unterlaufen, seien aber nicht nur die kriminellen Ausländer, sondern auch etablierte Eliten ("Kartell strafunwilliger Jugendrichter"; "Die Polizei ist Hauptfeindbild der in ihrem Marsch durch die Institutionen in Politik und Justiz inzwischen angelangten 68er").

Klar dominiert das Thema innere Sicherheit. Sicherheit müsse durch rigide Maßnahmen im Bereich der Jugendkriminalität, Drogenkriminalität, Sexual- und Gewaltkriminalität, organisierten Kriminalität, Ausländerkriminalität und des Ausländerrechts sowie des Strafvollzugs wiederhergestellt werden. Die Ordnung der Gesellschaft wäre nur durch die Aufstockung der Zahl von Polizeibeamten und durch die Erweiterung ihrer Befugnisse zu gewährleisten. Nachgeordnet behandelt das Parteiprogramm auch Themen wie die Verkehrs-, Wirtschafts-, Steuer- oder Schulpolitik.

Die aufgestellten Forderungen sind radikal-einfach ("Ausstattung der vorhandenen Jugendarrestanstalt mit unwirtlichen Einzelzellen, damit kriminelle Karrieren durch Abschreckung gestoppt werden, bevor sie beginnen.") und schlicht ("Null-Toleranz für alle Gesetzesbrecher und Gewalttäter. Schluß mit Entkriminalisierung und Verharmlosung sogenannter Bagatellkriminalität ...).

Die bislang formulierte Parteiprogrammatik macht deutlich, dass sich bundespolitische Perspektiven für die Schill-Partei erst nachträglich eröffnet haben. Das Programm ist noch ganz auf die spezifische Hamburger Ausgangslage und die hier diskutierten Sicherheitsprobleme zugeschnitten. Erfolge über Hamburg hinaus bedürfen sicherlich der Überprüfung des programmatischen Fundus.

Beim Praxisprofil der Schill-Partei zeichnen sich bisher vier Tendenzen ab: Erstaunlich schnell hat man sich an die Realität Hamburger Verhältnisse angepasst. Von der ursprünglichen Forderung nach 2000 neuen Polizeibeamten ist die Partei schrittweise abgerückt und schließlich bei 280 Angestellten gelandet. Die ausdrückliche Programmforderung, die Haftanstalt im früheren KZ Neuengamme nicht zu schließen, war nach einem Vor-Ort-Besuch vom Tisch (2). Betrieben wird hauptsächlich symbolische Politik, mit der Schill - angesichts fehlender finanzieller Möglichkeiten zu "großer" Politik - wenigstens unermüdliche Aktivität demonstriert (Bayern leiht Hamburg 20 (!) Polizisten aus). Angepackt werden kleine, nachvollziehbare und alltäglich sichtbare Probleme, wie etwa die "Entpollerung" der Straßen, die große Aufmerksamkeit auf sich zieht (3).

Nach anfängerhaften Initiativen (zum Beispiel der von der Innenministerkonferenz milde belächelte Vorschlag, blaue Polizeiuniformen einzuführen) zeigt die Schill-Partei ein angepasst-konventionelles Regierungsverhalten, das sich weit vom populistischen Wortradikalismus des Wahlkampfs entfernt hat (Halbierung der Kriminalitätsrate in Hamburg innerhalb von 100 Tagen), So versucht etwa der Bausenator und zweite Mann hinter Schill, Mario Mettbach, mit Kompromißangeboten an die Anliegereinen Interesenausgleich beim unfallträchtigen Verkehrsknotenpunkt "Stresemannstrasse" (ursprüngliche Schillforderung: Aufhebung von Tempo 30 und Busspur) zu erreichen.

Die Anpassung an das "normale" Regierungsverhalten Hamburger Sozialdemokraten verlief so schnell, dass Schill sich bereits jetzt mit Filzvorwürfen konfrontiert sieht. Bei der Postenbesetzung hatte er mehrfach die vom neuen, allerdings noch nicht in Kraft getretenen Wahlgesetz der Hansestadt festgeschriebene Unvereinbarkeit von Bürgerschaftsmandat und Beamten- bzw. Angestelltenverhältnis in einer Behörde missachtet (4). Mangelnde personelle Optionen der Ein-Mann-Partei und ein bedenkenloser Bruch der eigenen Programmatik ("Der Unterscheidung des Staates in Legislative, Exekutive und Judikative ist eine größere Bedeutung beizumessen") sind dabei zwei Seiten derselben Medaille. (...) Die Zwänge des Regierens entmystifizieren die rebellischen Züge an Schill. Jeder Tag in der Regierung arbeitet an dieser Selbstentzauberung.


Ist die Schill-Partei "rechtspopulistisch"?

In der öffentlichen Debatte, aber auch im wissenschaftlichen Diskurs, verwendet man regelmäßig das Etikett "Rechtspopulismus" (5) zur Charakterisierung der Schill-Partei. Klarheit wird dadurch meist nicht gewonnen.

Viel Ballast der Populismusdiskussion kann abgeworfen werden, wenn dem Begriff keine politische Ideologie bzw. Programmatik unterlegt wird, er vielmehr zur Kennzeichnung einer bestimmten Politik-, Interaktions- und Kommunikationsform, das heißt eines bestimmten Politikstils, dient (6). Die inhaltliche Ausrichtung des jeweiligen Populismus (z. B. Rechts- oder Linkspopulismus) ist dann erst in einem zweiten Schritt zu bestimmen.

Woran erkennt man einen populistischen Politikstil? Die Vielzahl von Merkmalen, die dem Populismus attestiert werden, lassen sich zu vier Kernelementen verdichten:

* Charismatische Führerschaft: Wo kein "Führer" in Sicht ist, kann eine populistische Gruppierung (auch bei günstigen Rahmenbedingungen) kaum gedeihen (7). Eine charismatische Führungsperson gehört zur "Grundausstattung" eines erfolgreichen Populismus. Alle heutigen populistischen Parteien sind von einzelnen Personen geformt worden und werden von ihnen - fast im Alleingang - repräsentiert (so die FPÖ des Jörg Haider oder Jean-Marie Le Pens FN). Diese Gruppierungen geraten damit fast zwangsläufig in eine Abhängigkeit von der überragend wichtigen Einzelperson, deren stabilen Autorität und dauerhaftem Führungsvermögen.

* "Einfaches Volk" vs. Establishment: Die charismatischen Führungspersönlichkeiten konstruieren für ihre politische Kommunikation die Gegnerschaft vom "einfachen Volk" gegen das Establishment. Nur sie seien in der Lage, den auf einem Alltagsverstand (8) beruhenden "wirklichen" Volkswillen zu erfassen, unverfälscht wiederzugeben und sich zum Sprecher des einfachen Volkes gegenüber den - je nach Lesart - herrschenden Eliten (Bürokraten, Experten, Technokraten oder Intellektuellen) zu machen (9). (...)

* Radikale Simplifizierung: Semantisch baut der Populist einen Widerspruch zwischen den eigenen konkreten und verständlichen zu den abstrakten und undurchsichtigen Aussagen der "Mächtigen" auf (10). Propagiert werden radikal-einfache Lösungen, die bewusst an der Oberfläche der komplexen gesellschaftlichen Probleme bleiben und von - nicht vorhandenen - monokausalen Zusammenhängen ausgehen (11). Der Argumentationsgang ist oft recht schlicht: Jedermanns Alltagsverstand weise doch so "offensichtlich" auf die notwendigen Maßnahmen hin, dass ihr Ausbleiben nur mit den verkrusteten Machtstrukturen und der Verschwörung des Establishments gegen das Volk zu erklären sei.

* Vorurteils- und Angstpolitik: Populisten greifen diffuse Vorurteile und Ängste in der Bevölkerung auf ("Stammtisch-Kommunikation") und versuchen, sie für sich selbst zu instrumentalisieren (12). Bei dieser Vorurteils- und Angstpolitik, die bewusst auf Emotionalisierung setzt, wird auf unterschwellige oder offen ausgesprochene Freund-Feind-Bilder zurückgegriffen (13). Regelmäßig projiziert der Populismus die gesamten sozialen und politischen Probleme auf kleine Teile der Bevölkerung, die als Sündenböcke herhalten müssen (Ausländer, sozial marginalisierte Gruppen etc.) und Chancen zu gezielten Provokationen sowie kontrollierten Tabubrüchen eröffnen (14).

Beurteilt man die Schill-Partei im Hinblick auf diese Kriterien, ist ihr Politikstil offensichtlich populistisch. Die Partei verfügt mit Ronald Barnabas Schill als "Richter Gnadenlos" über einen charismatischen Führer, der trotz seines eher ungelenken, spröden und hölzernen Habitus durchaus Nähe zu seinen Anhängern herzustellen weiß. Die Untrennbarkeit von Schill und seiner Partei wird schon daran deutlich, dass der Parteiname "Partei Rechtsstaatliche Offensive" kaum Verwendung findet. Durchgesetzt hat sich das Kürzel "Schill-Partei". Programm und Kommunikation richten sich gegen das "verfilzte" politische Establishment, das seine Macht missbraucht, Probleme verharmlost und die vorhandenen Mittel des Rechtstaates nicht gegen die explodierende Kriminalität anwendet. Behauptet wird die Möglichkeit einfacher Lösungen auch für komplexe Probleme mit Hilfe repressiver und radikaler Instrumente, zum Beispiel die Auflösung der Drogenszene am Hamburger Hauptbahnhof, der Brechmitteleinsatz zur Sicherstellung von Drogendelikt-Beweismitteln oder die polarisierend-provozierende Wahlkampf-Forderung nach Kastration von Sexualstraftätern. Gespielt wird dabei mit den (Sicherheits-)Ängsten der potenziellen Wähler bzw. deren Vorurteilen gegenüber Ausländern, aber auch gegenüber den rot-grünen Eliten. (...)

Die Einordnung der Schill-Partei als rechtspopulistisch ist zwar nicht falsch, aber eher unscharf. Das fasst sehr unterschiedliche Phänomene wie Schill, die frühere Hamburger Statt-Partei, den Bund freier Bürger, die Republikaner oder die Deutsche Volksunion (DVU) unter nur einem Begriff zusammen. In einer ersten Präzisierung bietet sich für die Schill-Partei die Kennzeichnung rechts-konservativer Populismus an. Schills Forderungen sind durchaus verfassungskonform und nicht gegen die "freiheitliche demokratische Grundordnung" gerichtet (also nicht rechtsextremistisch), sie enthalten wenig antimoderne Affekte, und nationalistische Töne spielen (anders als etwa bei der DVU) kaum eine Rolle. Jede Form des Extremismus wird missbilligt. Schill verharmlost den Nationalsozialismus nicht und verweist in Abgrenzung zum rechtsextremistischen Lager darauf, "nicht für die Wiedergewinnung der deutschen Ostgebiete, ebenso wenig für die Rehabilitierung der Wehrmacht" zu kämpfen (15). Wichtige Elemente seiner Ideologie sind dagegen die der konservativen Begriffswelt entnommenen Hinweise auf die Bedeutung eines starken, autoritären (Rechts-)Staates. Er soll schlagkräftige Ordnungsmacht, Hüter des Allgemeinwohls gegenüber egoistischen Einzelinteressen sein und entschieden für den Erhalt einer traditionellen Wertgebundenheit der Gesellschaft eintreten (16).

Das allgemeine "Weltbild" und das programmatische Profil der Schill-Partei in den Fragen der inneren Sicherheit sowie der Ausländerpolitik weisen insgesamt eine unübersehbare Nähe zur CSU auf. Die Hervorhebung des Gemeinwohls gegenüber Partikularinteressen, den Ruf nach einem starken Staat und die Betonung traditioneller Werte der Gesellschaft lässt sich auch im - allerdings in elaborierterer Sprache verfassten - Grundsatzprogramm der CSU finden.


Bundesweite Mobilisierungschancen

Die Mobilisierungschancen der Schill-Partei sind für einen kurzfristigen Zeitraum anders zu beurteilen als mittel- und langfristig. Das liegt an ihren eigenen Potenzialen ebenso wie an den Chancenstrukturen, die sich im Zusammenhang mit der Bundestagswahl verändern.

Die nächste Landtagswahl findet im April 2002 in Sachsen-Anhalt statt, es ist gleichzeitig die letzte vor der Bundestagswahl. Dort kommen die Randbedingungen Schill entgegen. Bei der letzten Landtagswahl erreichten DVU (12,9 Prozent) und Republikaner (0,7 Prozent) zusammen 13,6 Prozent. Dieses erhebliche Stimmenpotential kann die Schill-Partei wie ein Staubsauger schlucken. Zwar hatte für diese Wähler vor vier Jahren das Thema ökonomischer Benachteiligung erste Priorität, klar vor den Themen Asyl und innere Sicherheit, wenn auch locker verknüpft mit ausländerfeindlichen Parolen.

Mittel- und langfristig braucht die Schill-Partei eine solide Organisationsbasis, will sie erfolgreich sein. (...) Zwar gibt es einen großen Zulauf, aber es fehlt an qualifizierten Mitgliedern. Viele sind unerfahrene, naive Politikneulinge.

Bisher gibt es eine nur rudimentäre Parteielite, kompetente "Unterführer" sind rar gesät. Einige Anwärter, wie etwa der neue Aufbauchef für Sachsen-Anhalt, der Klinikunternehmer Ulrich Marseille, sind - auch in den eigenen Reihen - höchst umstritten (17). Schon gibt es erste Richtungsstreitigkeiten und Forderungen nach mehr Mitsprache innerhalb der Partei (18). Es drohen die typischen Begleiterscheinungen rechter populistischer Parteien: Gemengelage mit dem Rechtsradikalismus, Richtungsstreit, Inkompetenz und Querulantentum.

Auch ideologisch-programmatisch sind die Voraussetzungen für einen bundespolitischen Erfolg noch nicht geklärt. Eine eigene rechtskonservativ-populistische Ideologie und Begrifflichkeit hat Schill nicht entwickelt. Er ist der Typ des Fachmanns (Fachidiot der Kriminalität) und politischen Amateurs, nicht des Ideologen in einem irgendwie systematisierten Sinne. (...)


Neuauflage einer "vierten Partei"?

Schill bringt in überraschender Weise das alte Strauß-Thema einer vierten Partei auf die Tagesordnung zurück. Strauß wollte in den 1970er Jahren die Union dadurch stärken, dass außerhalb Bayerns eine rechtskonservative Partei mit einem der CSU ähnlichen ideologischen Profil auftritt, die das rechte Wählerpotenzial ausschöpft, das die CDU nicht mehr gewinnen konnte. Der Versuch und das Thema, das die Öffentlichkeit über viele Jahre beschäftigte, endeten abrupt im Sommer 1979 mit der Nominierung von Franz Josef Strauß zum Kanzlerkandidaten der Union. Zuvor gab es mehrere "vierte Parteien" (Deutsche Union, Deutsche Soziale Union, Bund Freies Deutschland) (19), die im Einzugsbereich des nationalkonservativen Flügels der FDP, enttäuschter SPD- und Resten von NPD-Wählern sowie insgesamt bei rechtsorientierten Nichtwählern fischen wollten (20). Im Frühjahr 1975 startete dann die "Aktionsgemeinschaft Vierte Partei" als Sammlungsversuch der Vorgängerparteien. Auch sie hatte immense personelle, organisatorische und ideologische Probleme. Ihr Vorstand beschloss mit 14:12 Stimmen, sich als Gesamtpartei nicht an der Bundestagswahl zu beteiligen. Die Kandidatur in sechs Ländern erbrachte insgesamt 4723 Zweitstimmen.

Die vierten Parteien scheiterten letztlich an den Widersprüchen zwischen einer Hilfstruppe der Unionsparteien und einer autonomen Partei, zwischen der ideologisch-programmatischen Anlehnung an die CSU und einem - nie erreichten - eigenständigen Profil, zwischen Parallel- und Gegen-Kandidatur. (...)

Der nach der Bundestagswahl 1976 unternommene Versuch von Strauß, die CSU selbst auf das Gebiet außerhalb Bayerns auszuweiten, scheiterte an der Drohung der CDU, dann ihrerseits in Bayern bei Wahlen gegen die CSU anzutreten. Das hätte die Zerstörung der CSU-Hegemonie in Bayern bedeutet.

Schills "CSU des Nordens" arbeitet, ohne direkten oder indirekten Auftrag aus München, an dem Straußschen Projekt einer Stärkung der Union durch Diversifizierung. Er ist der Rechtsausleger, der Trommler für eine kränkelnde CDU, der den knieweichen Unions-Liberalen im Norden die fehlenden Prozente verschafft. Und das alles von außen, mit dem Image der Autonomie, ohne interne Spaltung oder Konfliktverschärfung bei der Union. (...)


Perspektiven

Günstige Rahmenbedingungen spielen der Schill-Partei heute in die Hand: generelle Schwäche der Unionsparteien; günstige Mobilisierungschancen für rechte Protestparteien in den neuen Ländern, in denen die nächsten Landtagswahlen stattfinden; Rezession als Verstärker rechter Ressentimentpolitik; noch unbeschädigtes "Sieger"-Image; Unterstützung durch die Springer-Presse; hohe mediale Aufmerksamkeit für einen schwer berechenbaren, aber relevanten Machtkonkurrenten. Über wesentliche Erfolgsfaktoren aber muss Schill mit seiner Partei selbst noch strategisch entscheiden. Wie lässt sich ein ganz auf Hamburg zugeschnittenes Protestunternehmen, das nach einem hohen Wahlerfolg sofort in die Landesregierung führte, in ein bundespolitisches Projekt überführen?

Offenkundig ist die Notwendigkeit einer Themenüberprüfung. Zu den Themen der Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsentwicklung, die die Agenda anführen, hat die Schill-Partei nichts Spezifisches zu sagen. Die "Marke Schill" besteht bislang aus innerer Sicherheit, flankiert durch fremdenfeindliche Ressentiments. Auf diesem Pfad zeigen demoskopische Daten noch unerschlossene Potentiale - trotz Beckstein und Schily. (...)

Die Begrenzung auf nur ein Thema und die Programmschwäche bei allen anderen Themen setzt die Schill-Partei aber gerade bundespolitisch massiver Kritik aus. Zu stark ist in der politischen Kultur Deutschlands die Erwartung einer "Allzuständigkeit" politischer Parteien verankert. Ein populistischer Mix aus Kreuzzug gegen die Kriminalität, Barrieren gegen "Ausländer", freie Fahrt für Autofahrer und advokatorische Politik für die "kleinen Leute", wo immer der Schuh sie drückt, ist bundesweit wohl kaum kurzfristig und mit ein paar losen Bemerkungen zu schaffen. Zumal angesichts ganz anderer Scheinwerfer öffentlicher Aufmerksamkeit als im beschaulichen, Springer dominierten Hamburg und einer anderen Statur der politischen Konkurrenten.

Auch organisatorisch sind die Aufgaben einer erfolgreichen bundespolitischen Kandidatur größer als die heute erkennbaren Mittel. Problem ist nicht das Geld, sondern die Manpower. Immer sind die rechtskonservativen vierten Parteien und die rechtspopulistischen Parteien an dem Elend ihrer Organisationen, das wesentlich eine Misere ihres Personals war, gescheitert. Selbst wenn die Führungsfigur unangefochten bleibt, wie bisher in der Schill-Partei, ist für diese Probleme kein Rezept in Sicht.

Der Partei fehlen noch die Selektionsregeln für ihre bundesweite Ausdehnung. Soll sie die Südstaaten, in denen "die Welt noch in Ordnung ist", generell aussparen? Kanidiert sie zunächst nur bei Landtagswahlen, diesmal aber noch nicht bei der Bundestagswahl? Denkbar ist, dass die Partei so mit ihren Schwächen umgeht: Sie beteiligt sich an den Erfolg versprechenden Landtagswahlen und mit einer halben Kandidatur, das heißt, nur in einigen Ländern bei der Bundestagswahl.

(...) Die begrenzte, eher taktische Rolle einer "CSU des Nordens" ist, bundespolitisch gewendet, zu widersprüchlich, um ein Fundament zu haben. Einem starken, kontinuierlichen Rechtspopulismus, der rechtskonservative und rechtsradikale Tendenzen übergreift, fehlt in Deutschland nicht das Wählerpotenzial, aber glücklicherweise immer noch eine Verbindung von Ideologie, Organisation und charismatischem Führer. Auch nach Schill.


Joachim Raschke / Ralf Tils


Joachim Raschke ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg; Ralf Tils ist Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Angestellter an der Universität Lüneburg


aus: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft Januar 2002 (redaktionell gekürzt)


Anmerkungen:
(1) Die im Folgenden zitierten Aussagen stammen aus dem Programm der Partei.
(2) Karsten Plog, Das frühere KZ Neuengamme wird als Gedenkstätte ausgebaut, in: Frankfurter Rundschau vom 21.11.2001.
(3) Ulrike Herrmann, Gut gewählte Scheinprobleme, in: die tageszeitung vom 31.10.2001.
(4) Reymer Klüver, Freunde, Vertraute, Vettern, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.11.2001.
(5) Vgl. zur Mehrdeutigkeit und Verwendungsvielfalt des Begriffes Populismus etwa Frank Decker, Parteien unter Druck: Der neue Rechtspopulismus in den westlichen Demokratien, Opladen 2000, S.23ff.; Helmut Dubiel, Das Gespenst des Populismus, in: "Merkur", 8/1985, S.639ff.; Hans-Jürgen Puhle, Was ist Populismus? in: Helmut Dubiel (Hg.), Populismus und Aufklärung, Frankfurt a.M. 1986, S. 12ff.; Jens R. Hentschke, Populismus: Bedeutungsebenen eines umstrittenen theoretischen Konzepts, Arbeitspapier Universität Münster, 1998.
(6) Armin Pfahl-Traughber, Volkes Stimme? Rechtspopulismus in Europa, Bonn 1994, S.17f.
(7) Frank Decker, a.a.O., S.50.
(8) Vgl. dazu etwa den Beitrag von Sabine Kebir, Zum Begriff des Alltagsverstandes ("senso comune") bei Antonio Gramsci, in: Helmut Dubiel (Hg.), Populismus und Aufklärung, Frankfurt a.M. 1986, S.74ff.
(9) Vgl. Hans-Georg Betz, Rechtspopulismus: Ein internationaler Trend?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Vierteljahresschrift, 1/1989, S.23; Uwe Backes, Extremismus und Populismus von rechts: Ein Vergleich auf europäischer Ebene, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 46-47/90, S.13.
(10) Claus Offe, Die Aufgabe von staatlichen Aufgaben: "Thatcherismus" und die populistische Kritik der Staatstätigkeit, in: Dieter Grimm (Hg.), Staatsaufgaben, Frankfurt a.M. 1996, S.322.
(11) Friedhelm Lövenich, a.a.O., S.24
(12) Armin Pfahl-Traughber, a.a.O., S.19.
(13) Hans-Jürgen Puhle, a.a.O., S.13.
(14) Frank Decker, a.a.O., S.52f.
(15) So Schill in einem Interview, in: Bild am Sonntag vom 30.9.2001.
(16) Vgl. zu diesen wichtigen Grundpfeilern neo-konservativen Denkens Kurt Lenk, Konservatismus, in: ders., Rechts, wo die Mitte ist: Studien zur Ideologie - Rechtsextremismus, Nationalismus, Konservatismus, Baden-Baden 1994, S.135ff.
(17) Peter Ulrich Meyer, Klinik-Unternehmer geht für Schill in den Osten, in: Hamburger Abendblatt vom 21.11.2001; Liane von Billerbeck/Matthias Krupa, "Ich weiß, wie es geht", in: Die Zeit vom 30.11.2001; Nana Brink, Enttäuschungsmanöver, in: Der Tagesspiegel vom 22.11.2001.
(18) Jens Meyer-Wellmann, "Linker Flügel" will mehr Mitsprache, in: Hamburger Abendblatt vom 26.11.2001.
(19) Damals bestand ein Dreiparteiensystem aus CDU/CSU, SPD und FDP.
(20) Vgl. Richard Stöss, Die Aktionsgemeinschaft Vierte Partei, in: ders. (Hg.), Parteienhandbuch, Band 1, Opladen 1983, s.336ff.
 


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