kassiber 48 - März 2002

Einlassung von Rudolph Schindler im RZ-Prozess

Kronzeuge demontiert


Seit etwa einem dreiviertel Jahr wird vor dem Berliner Kammergericht gegen Rudolf Schindler, Axel Haug, Harald Glöde, Matthias Borgmann und Sabine Eckle wegen Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen (RZ) verhandelt. Konkret werden ihnen neben der Beteiligung an Sprengstoffanschlägen die Knieschüsse 1986 auf den Leiter der Berliner Ausländerpolizei, Harald Hollenberg, und 1987 auf den Vorsitzenden Richter des Asylsenats des Bundesverwaltungsgerichts, Günther Korbmacher, vorgeworfen. Die Anklage beruht fast ausschließlich auf den Aussagen des ehemaligen RZ-Mitglieds Tarek Mousli. Dieser hatte sich, selbst schwer belastet, Ende 1999 der Bundesanwaltschaft als Kronzeuge angeboten. Die von Mousli beschuldigten Angeklagten hatten sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert. Am 18. Januar 2002 ließ Rudolph Schindler die hier dokumentierte Einlassung von seinem Anwalt Hans Wolfgang Euler im Gericht verlesen, in der wesentliche Aussagen des Kronzeugen demontiert werden. Die Verteidigung Sabine Eckles schloß sich namens ihrer Mandantin der Einlassung an. Wie bereits im Vorfeld mit dem Gericht abgesprochen, setzte das Gericht nach der Einlassung die Haftbefehle gegen Rudolf Schindler und Sabine Eckle außer Vollzug. Rudolf Schindler wird höchstens eine Strafe von drei Jahren und neun Monaten erhalten. Er erhält ab sofort Haftverschonung, eine etwaige Reststrafe wird zur Bewährung ausgesetzt, so dass er nicht wieder ins Gefängnis muß. (kassiber-Redaktion)


Lebenslauf

(...) Im August des Jahres 1978 bemerkten Sabine Eckle, mit der ich damals bereits befreundet war, und ich, dass wir polizeilich observiert wurden und begaben uns zu Freunden ins Ausland.

Aufgrund bestimmter Ereignisse, auf die ich später eingehen werde, bin ich dann in den Jahren 1986 bis 1987 in Berlin wieder "politisch aktiv" geworden. Ende Januar 1991 meldete ich mich bei der Einwohnermeldebehörde in Gütersloh offiziell wieder an, d.h. man kann sagen ich tauchte wieder auf. Die grundsätzliche Entscheidung dazu hatte ich aber bereits Ende des Jahres 1987 gefasst. Auch darauf werde ich später näher eingehen.

(...) Am 13. Oktober 1999 wurde ich wegen des Verdachts der Teilnahme an dem Überfall auf die OPEC-Konferenz im Dezember 1975 verhaftet. Bereits am 16.11.1999 wurde wegen dieser Vorwürfe Anklage gegen mich vor der 22. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main erhoben. Im Dezember 1999 wurde dann u.a. Sabine Eckle wegen derjenigen Vorwürfe verhaftet, die Gegenstand des Verfahrens vor dem Kammergericht Berlin sind. Auch mir wurde ein entsprechender Haftbefehl eröffnet. Im April 2000 haben Sabine Eckle und ich nach mehr als zwanzigjähriger Freundschaft geheiratet. Dieser Plan existierte bereits lange vor unser beider Verhaftung. Die am 17. Oktober 2000 vor dem Landgericht Frankfurt begonnene Hauptverhandlung endete am 15 Februar 2001 damit, dass ich freigesprochen wurde. Dieses Urteil ist rechtskräftig.

Nachdem bereits am 30. Oktober 2000 gegen Sabine Eckle, Harald Glöde, Axel Haug und Mathias Borgmann Anklage zum 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin erhoben worden war, wurde ich im Januar 2001 ebenfalls angeklagt, allerdings zum 2. Strafsenat des Kammergerichts Berlin. Auf die sich daran anschließenden juristischen Komplikationen will ich hier nicht eingehen. Jedenfalls hob der 2. Strafsenat des Kammergerichts Berlin am 28. Februar 2001 den Haftbefehl gegen mich auf, so dass ich in Freiheit kam.

Ich habe daraufhin sofort wieder zu arbeiten begonnen, wurde jedoch am 30. März 2001 an meinem Arbeitsplatz erneut verhaftet, da der Bundesgerichtshof den aufgehobenen Haftbefehl wieder in Kraft gesetzt hatte. Seitdem befinde ich mich in Untersuchungshaft. Ich bin in keiner Weise vorbestraft.


Zur Sache

Ich habe mich zu einer Aussage entschlossen, weil ich zu der Überzeugung gekommen bin, dass ich nur so aufzeigen kann, wo und in welchem Umfang die Aussagen von Tarek Mousli falsch sind. Ich werde mich ausschließlich zu meiner Person und, mit ihrem Einverständnis, zu meiner Frau Sabine Eckle äußern.

Diese Beschränkung bedeutet in keinem Fall eine direkte oder indirekte Bestätigung der Behauptungen Tarek Mouslis über andere Personen. Diese Beschränkung bedeutet allein, dass ich nur eine Erklärung in eigener Sache verantworten kann.

Nach einem langjährigen Aufenthalt im westeuropäischen Ausland, den ich bereits erwähnt habe, habe ich im Jahre 1986 zweimal, Sabine Eckle einmal, Berlin besucht, um dort eine Wohnung zu finden und Kontakte zu knüpfen. Für die Wahl Berlins waren für uns die Größe und Anonymität der Stadt und die Hoffnung auf bessere ärztliche Versorgung ausschlaggebend, aber auch die Flüchtlingskampagne der RZ, von der wir gehört hatten. Warum wir uns für diese Kampagne interessierten, werde ich später an geeigneter Stelle ausführen.

Diese Berlin-Besuche waren meine ersten in den achtziger Jahren. Tarek Mousli lügt, wenn er behauptet, ich sei 1981 unter dem Decknamen "Horst" ein halbes Jahr in Berlin gewesen. Ich habe ihm so etwas niemals erzählt, auch nicht etwa "aus Verschleierungsgründen". Ich habe mich in Berlin niemals "Horst" genannt. Vielmehr hatte ich von Beginn meines Berlin-Aufenthaltes bis zum Ende meiner RZ-Tätigkeit den Decknamen "John", so wie sich Sabine Eckle, die Anfang 1987 nachkam, in dieser Zeit ausschließlich "Judith" nannte. Es gab auch nicht die von Tarek Mousli behauptete kollektive Umbenennung Ende 1987, denn die "Aktion Zobel" des BKA betraf uns und Berlin, das bis 1999 für die Ermittlungsbehörden ein "schwarzes Loch" war, bekanntlich in keiner Weise. Er kann bezeichnenderweise auch keine anderen Namensänderungen angeben.

Ich war kein Gründungsmitglied der RZ und habe dies Tarek Mousli gegenüber niemals behauptet. Ich weiß bis heute nicht, wer die RZ gründete, denn die RZ waren keine Schwatzbude, sondern, wie Bundesanwalt Griesbaum hier in der Hauptverhandlung richtig feststellte, "eine hochklandestine Vereinigung mit einem ausgefeilten Sicherheitskonzept", in der über biografische Daten, Tatbeteiligung und Tatausführung striktes Stillschweigen gewahrt wurde. Deshalb wussten RZ-Mitglieder selbst nach längerer Zugehörigkeit nichts voneinander, was über ihre unmittelbare Zusammenarbeit hinausging. Tarek Mousli selbst gibt am 15.03.2000 zu Protokoll: "Eigentlich gab es bei den RZ ein striktes Abschottungsprinzip, das heißt, es wurde sehr darauf geachtet, dass man möglichst wenig über die Personen, die sich hinter den Decknamen verbargen, erfuhr." Und am 07.12.1999 erklärt er: "Jon und Judith haben stets penibel auf die Einhaltung der Sicherheitsvorkehrungen geachtet." Wir waren vor allem absolut verschwiegen. Tarek Mouslis angebliches Wissen vom Hören-Sagen ist daher nicht nur in dem gerade skizzierten Umfang, sondern als Ganzes erfunden und erlogen. Jedenfalls stammt es nicht von mir. Auch bei dem von ihm selbst Erlebten sagt er in wesentlichen Punkten nicht die Wahrheit. Ich kann und werde hier nicht auf jede Falschaussage Tarek Mouslis eingehen, sondern nur auf die, die meines Erachtens prozessrelevant sind und die, die mich am meisten empören. Im folgenden werde ich mich zu von mir in Berlin vorgefundenen Strukturen der RZ äußern:

Die Position von Illegalen war äußerst prekär in den RZ, deren Konzeption sich auf folgende vier Essentials gründete: Die soziale und politische Verankerung, die kategorische Ablehnung des politischen Mordes, die Legalität der Mitglieder, egalitäre Strukturen in autonomen Gruppen.

Für Illegale gab es keinerlei Strukturen. Illegale bedeuteten eine große Belastung und ein ungleich höheres Sicherheitsrisiko für die Legalen. Wir mussten also froh sein, dass Berliner Freunde überhaupt bereit waren, uns unterzubringen. Von einer dominanten Stellung unsererseits kann schon von daher keine Rede sein. Aus Sicherheitsgründen war für uns nicht einmal eine normale Mitarbeit in einer Gruppe möglich, sondern nur eine punktuelle Zusammenarbeit für einen begrenzten Zeitraum, wenn wir an einem Projekt mitarbeiteten.

Die Angaben Tarek Mouslis zur Zusammensetzung der Gruppe und dem Modus ihrer Zusammenarbeit sind komplett falsch. Während die Absicht hinter den meisten seiner Lügen entschlüsselbar bleibt, ist mir ein Rätsel, warum er Leute als Mitglieder angibt, die keine waren, und andere dafür rauslässt.

Wir führten keine Eingangsgespräche mit Tarek Mousli, weder auf Vermittlung und unter Beteiligung von Gerd Albartus noch ohne ihn. Tarek Mousli war eindeutig vor uns Mitglied der Berliner RZ und er war eindeutig nach uns Mitglied der Berliner RZ. Wir wissen nicht einmal, ob er tatsächlich 1990 ausgestiegen ist, wie er angibt. Vielleicht hat er sich später einer anderen Organisation angeschlossen, denn Begriffe wie "Schläfer", "Springer", "Nachbereitungstreffen", die er in seinen Aussagen verwendet, waren definitiv keine RZ-Begriffe und Phänomene.

Wir waren zu keinem Zeitpunkt mit Tarek Mousli in einer Gruppe. Wenn man unbedingt in Gruppen einteilen will, dann gab es die Gruppe der Legalen und die von uns zwei Illegalen, die auf die Unterstützung und Vermittlung von anderen angewiesen waren. Wir haben keine Gruppe außer uns selbst repräsentiert oder sind deren Delegierte gewesen.

Ich habe auch nicht überregionale Kontakte unterhalten, und Sabine Eckle nicht die zur "Roten Zora", weil es einfach, unverfänglich und sicherer war, wenn legale Leute sich trafen. Genauso wenig hatten wir seit 1978 irgendwelche Verbindungen zum Frankfurter Raum.

Ich hatte nicht die Position noch das Naturell, "jedem Mitglied seinen Platz und sein Aufgabengebiet im Rahmen der Tatausführung" zuzuweisen (S. 5 der Anklageschrift), geschweige denn habe ich jemals im Zusammenhang mit den hier anzusprechenden Tatvorwürfen anderen RZ-Mitgliedern bestimmte Aufgaben "zugewiesen" (S. 8 der Anklageschrift). Das hätte sich auch niemand in den RZ gefallen lassen.

Im Unterschied zu anderen Organisationen kam es in den RZ nicht nur auf die Außenwirkung an, sondern gleichermaßen auf den inneren Aufbau egalitärer Strukturen. So hieß es beispielsweise in Revolutionärer Zorn Nr. 5, Praxisnummer: "Der bewaffnete Kampf kann niemals ein Auftragsverhältnis sein. Jeder muss das, was er tut, selber gewollt, entwickelt, vorangetrieben haben, sonst kann er unmöglich die Konsequenzen seines Handelns, insbesondere Niederlagen verkraften. Wir wissen, dass das Konzept, viele selbständige Zellen zu schaffen, eine langwierige und anstrengende Angelegenheit ist. Doch es ist richtig, weil es auf der Eigeninitiative und der Eigenverantwortlichkeit der Militanten aufbaut, Funktionalisierung verhindert und Arbeitsteilung entgegenwirkt."

Tarek Mousli war kein Rädelsführer, genauso wenig wie ich ein Rädelsführer war. Um den falschen Vorwurf loszuwerden, reichte er ihn mit seinen Aussagen wider besseren Wissens an mich weiter und versucht noch heute, mich mit allem und jedem in Verbindung zu bringen. Die Wahl wird wohl deshalb auf mich gefallen sein, weil er davon ausgehen konnte, dass ich als Illegaler ihn naturgemäß kaum mit Alibis widerlegen kann, und weil ich zum Zeitpunkt seiner Aussagen wegen der falschen Beschuldigungen von Hans-Joachirn Klein in Untersuchungshaft in dem Frankfurter OPEC-Verfahren war. Ich bin es allerdings langsam leid, als Passepartout für sogenannte Kronzeugen herhalten zu müssen.


Einige Richtigstellungen

1. Ich habe Gerd Albartus seit 1976 nicht mehr gesehen. Er stand zu meiner Zeit in keinerlei Beziehung zur Berliner RZ, auch nicht als "Springer", wie Tarek Mousli behauptet. Wie auch den Errnittlungsbehörden bekannt ist, schloss sich Gerd Albartus 1982 nach seiner Inhaftierung der "Organisation Internationaler Revolutionäre" an, mit der wir seit Mitte der 70iger Jahre unwiderruflich jeden Kontakt abgebrochen hatten. Ob Tarek Mousli mit ihm privat befreundet war, kann ich nicht sagen. Er hat jedenfalls nie darüber gesprochen. Aus gutem Grund, denn Gerd Albartus stand in dem Ruf, ständig oberserviert zu werden und extrem unvorsichtig zu sein.

2. Es hat keine Debatten zwischen Gerd Albartus, Tarek Mousli und uns zum Anschlag auf Herrn Karry gegeben. Auch nicht in anderen Konstellationen. Aus einem einfachen Grund: Da wir zur Zeit des Anschlags auf Herrn Karry im Ausland lebten, hatten wir weniger Informationen als jeder andere über dieses Attentat, dessen Begleitumstände uns auch nicht weiter interessierten. Denn diese Aktion war indiskutabel. Man schießt nicht auf Schlafende.

3. Thomas Kram war meines Wissens nicht Ende der achtziger Jahre nach seiner Ausschreibung zur Fahndung in Berlin. Warum sollte er, nachdem er sich erfolgreich ins Ausland abgesetzt hatte, auch ausgerechnet in seine Heimatstadt Berlin zurückkehren, wo ihn viel zu viele Menschen kannten. Zu Sinn und Zweck eines solchen Besuchs fällt selbst Tarek Mousli nichts ein. Ich habe mich jedenfalls mit Thomas Kram nicht in Berlin getroffen, wie Tarek Mousli behauptet.

4. Im Frühjahr 1986, zur Zeit der so genannten "Postsparbuch-Aktion", waren Sabine Eckle und ich nicht in Berlin. Ich könnte nicht einmal sagen, ob dies ein reines Unternehmen der RZ war. Auf jeden Fall hätten sich daran keine Illegalen beteiligt, deren Fingerabdrücke und Schriftproben mit einiger Sicherheit gespeichert waren.

5. Entgegen den Angaben von Tarek Mousli sind wir auch niemals von irgendwelchen Stiftungen mit Geldern unterstützt worden. Vielmehr haben wir von der finanziellen Unterstützung einiger Privatpersonen gelebt und zwar von weit bescheideneren Beträgen als Tarek Mousli angibt.

6. Schließlich wird niemand ernstlich glauben können, dass die Berliner RZ sich zu klandestiner Arbeit in Kneipen und Cafés verabredete, ausgerechnet noch in den heillos überfüllten und lärmenden an der TU oder in der TU. Ich kann nur vermuten, dass Tarek Mousli dies fälschlicherweise angibt, weil er des öfteren selbst Wohnungen für Treffen organisiert hat.


Der Anschlag auf Herrn Hollenberg

Bei meinem zweiten Berlin-Besuch wurde der Ausnahmezustand diskutiert, der seit dem "La Belle-Anschlag" in der Stadt herrschte, und die unerträglichen Verhältnisse und Verfolgungen, denen seither Flüchtlinge und Asylsuchende ausgesetzt waren. Im Mittelpunkt dieser Diskussionen stand der Chef der Ausländerpolizei, Harald Hollenberg, den wir für den Verbrennungstod von sechs Menschen in der Abschiebehaft verantwortlich machten. Wir waren uns damals alle, Tarek Mousli eingeschlossen, ohne Einschränkung einig, dass man dies nicht auf sich beruhen lassen könne, und beschlossen, Herrn Hollenberg in die Knie zu schießen.

Von Anfang an stand fest, dass eine Frau schießen wollte. Diese Frau war nicht Sabine Eckle, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht in der Stadt war. Um jede unbeabsichtigte Eskalation zu vermeiden, musste eine zweite Person Herrn Hollenberg ruhigstellen und in Schach halten. Diesen Part wollte ich übernehmen. Tarek Mousli hat die Lebensgewohnheiten Herrn Hollenbergs und dessen Wohngegend ausgekundschaftet. Als Fluchtwagen wurde ein VW Passat gekauft, der bei dem Anschlag auch eingesetzt und später in Brand gesteckt wurde. Den Brandsatz habe ich allein gebaut, ohne dass sonst jemand beteiligt oder anwesend gewesen wäre.

Der Anschlag selbst ist am 28. Oktober 1986 so verlaufen, wie von Herrn Hollenberg beobachtet. Wir standen mit einem Klappfahrrad in der Nähe seines Hauses, um auf ihn zu warten. Als er am Gartentor war, schoss meine Begleiterin Herrn Hollenberg in die Beine, mit einer Pistole, auf die ein Schalldämpfer aufgesetzt war. Ich hielt ihn mit einer Pistole in Schach, schoss aber nicht. Danach liefen wir zu dem in der Nähe geparkten Wagen, verstauten das Klappfahrrad und fuhren weg. Später wurde das Fahrzeug in Brand gesteckt.

Bei dieser Aktion waren keine Funkgeräte im Einsatz. Ich hatte mit dem Fahrrad und der Pistole keine Hand mehr frei, und wir mussten uns voll konzentrieren. Außerdem dauerte die Aktion selbst nur Sekunden. Tarek Mousli stand nicht mit einem Scanner am S-Bahnhof Zehlendorf, den er auch falsch beschreibt. Vielmehr wollte er sich zu dieser Zeit in der Firma "alphatext" aufhalten, weil er ein Alibi haben wollte, falls er beim Auskundschaften jemandem aufgefallen war. Daß er behauptet, er sei mit einem Scanner vor Ort gewesen, und weiter, er habe das Auto für diese Aktion gestohlen, das nachweislich gekauft war, gehört meines Erachtens zu seinem Aussagesystem der falschen kleinen Eigenbelastungen, um dafür seine eigentlichen großen Tatbeteiligungen anderen anzulasten.

Zu Tarek Mouslis System, mich als dominant und gefährlich erscheinen zu lassen und sich selbst zum kleinen skrupelgeplagten Mitläufer zu verharmlosen, gehört auch die Behauptung, ich sei der "Schütze der RZ" gewesen. Abgesehen davon, das, es nach meinem Wissen überhaupt keinen "Schützen der RZ" gab, hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch niemals im Rahmen irgendwelcher Aktionen der RZ eine Pistole bei mir getragen oder gar geschossen. Ich war als Jugendlicher, wie auf dem Dorf üblich, Mitglied eines Schützenvereins gewesen, aber jeder, der - im Gegensatz zu mir - bei der Bundeswehr war, war vermutlich waffengeübter. Ich habe auch niemals, wie Mousli angibt, eine Waffe bei mir getragen, wenn ich mich "bewegte", denn das hätte im Falle einer Festnahme meine Situation wesentlich verschlechtert. Dies entspricht auch den Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden, die niemals unter der Rubrik "Vorsicht Schusswaffengebrauch" nach uns gefahndet haben.

Meiner Erinnerung nach haben wir uns noch am Tag des Anschlags in einer Wohnung getroffen. Bei diesem Treffen war auch Tarek Mousli zugegen, der inzwischen den automatisch aufgezeichneten Funkverkehr abgehört hatte. Wie vermutet, war der für uns ohne praktische Relevanz, denn als die Fahndung einsetzte, waren wir längst in Sicherheit. Tarek Mousii war begeistert und hat uns, vor allem der Frau, gratuliert und sie beglückwünscht.

Es kann also nicht die Rede davon sein, dass Tarek Mousli aus Unkenntnis irgendetwas verwechselt haben könnte. Er wusste genau, dass nicht ich der Schütze war, und er wusste genau, dass die Frau, die geschossen hatte, nicht Sabine Eckle war, die damals überhaupt nicht in Berlin war, und die er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kannte. Zumindest an einem Punkt hat er sich in der Hauptverhandlung korrigiert und nicht länger, wie in früheren Vernehmungen, behauptet, Sabine Eckle habe die Erklärung verfasst, sondern eingeräumte, dass er nicht wisse, wer sie geschrieben hat.


Der Anschlag auf die ZSA

Die ZSA war von Anfang an Tarek Mouslis Projekt. Meines Wissens hatte er aus der Szene den Tipp bekommen, dass in einem Gebäude der ZSA arabische Flüchtlinge aus dem libanesischen Bürgerkrieg erfasst wurden, und dass dort ein zentraler Computer stehe. Gegen seinen Vorschlag, durch einen Anschlag diesen Computer zu zerstören, wurden Bedenken angemeldet, da die Information in keiner Weise überprüfbar war. Tarek Mousli ließ sich durch diesen Einwand nicht davon abbringen. Ich hatte den Eindruck, dass er stark auf Computer fixiert war und sich von der Ausschaltung eines zentralen ZSA-Computers den Zusammenbruch der erniedrigenden Gutscheinvergabe und Lagerhaltung für Flüchtlinge erhoffte - eine Hoffnung, die keiner so richtig mit ihm teilen mochte.

Wie er selbst angibt, entwickelte er für den Sprengsatz einen neuen Zündmechanismus. Woher er das in der Spurenanalyse gefundene TNT hatte, ist mir ein Rätsel, denn meines Wissens war die Berliner RZ damals nicht im Besitz von TNT. Vielleicht versuchte er es deshalb zu verschweigen. Seine nach so langer Zeit erstaunlich präzise Schilderung von der Konstruktion des Sprengsatzes beweist, dass er ihn selbst gebaut haben muss. Kein anderer als der Erbauer kann Art und Aufbau eines Sprengsatzes kennen, von denen es sehr unterschiedliche Typen gab, wie dem Praxis-Handbuch der RZ zu entnehmen war. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb über die Hauptverhandlung, ich hätte gelächelt, als Tarek Mousli die Konstruktion des Sprengsatzes schilderte. Der Grund dafür war, dass mit dieser Beschreibung Tarek Mousli sich selbst überführt hatte.

Selbst einem Außenstehenden muss weiter ins Auge springen, dass man für eine Aktion nachts, an einem nicht weiter einsehbaren, nicht bewachten und nicht kontrollierten Tatort in menschenleerer Gegend keine 7 Leute brauchen wird, wenn für die ungleich schwierigeren Knieschussattentate am helllichten Tag 2 - 3 Leute genügten. Auch hier waren wir also eine Minigruppe. Tarek Mousli wollte den Sprengsatz selbst anbringen und er hat dies auch getan.

Vorher hatte er jemand gesucht, der auf der anderen Seite des angrenzenden Kanals sicherte. Ich habe mich bereit erklärt, diesen Part zu übernehmen - weil diese Aktion ja immerhin im Rahmen der Flüchtlingskampagne stattfinden sollte -, obwohl mir selbst diese Vorsichtsmaßnahme, angesichts der von ihm als völlig unproblematisch geschilderten Bedingungen, eigentlich nicht unbedingt notwendig erschien. Alles war, wie er sagte, bereits wochenlang genauestens von ihm ausgekundschaftet, so dass eine Generalprobe eine Woche vorher genügte, um die Funkgeräte auf ihre Brauchbarkeit zu testen und den Zeitablauf festzulegen. Für mich ging es darum, die vorletzte U-Bahn zu erreichen.

Die Seite des Bahndammes neben den Gebäuden der ZSA ist von Tarek Mousli in seiner Lagebeschreibung niemals problematisiert worden, da von dort keine Gefahr drohe, was auch der Polizeibericht bestätigte: "Die aufgeworfenen Böschungen der Bahnlinie verhindern jeden Einblick." Auf jeden Fall hat er meines Wissens niemand dafür gesucht, dass er dort Wache stehe, schon gar nicht mehrere Personen, mit deren angeblicher Zahl er auch hier sehr frei jongliert.

Vermutlich bauscht Tarek Mousli sein Kleinprojekt deshalb zu einem Großeinsatz aller damaligen angeblichen Berliner RZ-Leute auf, um sich in dieser Menge besser verstecken zu können. Denn "er liebt es, sich hinter falschen Fakten zu verstecken", wie wir von dem BKA-Ermittler Trede wissen.

Sabine Eckle hat zur ZSA weder die Erklärung geschrieben noch hat sie sie redigiert. Diese Erklärung ist allerdings bemerkenswert. Sie scheint wie aus Textbausteinen gefertigt und hat das für die Zeitschrift "Radikal" typische Layout mit dem in das Bild eingeschriebenen Text. Der ehemalige "Radikal"-Redakteur Mousli wollte offenbar mit einem Foto seine Erklärung beleben, wobei der historische Bezug peinlich überzogen geriet. Tarek Mouslis Erklärung ist meines Wissens nach die einzige in der Geschichte der RZ mit einem Foto. (...)


Der Anschlag auf Herrn Korbmacher

Als hauptverantwortlich für die restriktive Asylpolitik, die Flüchtlinge zu Folterregimen und in Bürgerkriege zurückschickte, galt damals der Senat des Bundesverwaltungsgerichts für Asylfragen und sein Vorsitzender Richter Dr. Korbmacher. Menschenrechts- und Kirchenorganisationen und ein Großteil der Presse beklagten und kritisierten die unmenschlichen Entscheidungen des Asylsenats. Amnesty international hat damals die vielen aufgezählt, die nach ihrer Auslieferung ermordet wurden und die noch viel größere Zahl derer, die danach "verschollen" sind.

Der Anschlag auf den Vorsitzenden des Asylsenats Dr. Korbmacher war in der Berliner RZ genauso wenig umstritten, wie es der auf Herrn Hollenberg gewesen war. An den vorbereitenden Diskussionen war auch Sabine Eckle beteiligt. Tarek Mousli hat kein einziges Mal auch nur die geringsten Bedenken geäußert. Im Gegenteil. Er wollte unbedingt das Motorrad bei diesem Anschlag fahren. Ich entschloss mich, die Schüsse abzugeben. Mit Tarek Mousli als bekanntermaßen gutem und sicherem Fahrer traute ich mir auch zu, die Beine von Herrn Korbmacher zu treffen. Das Motorrad war, wie wir wissen, aus Nordrhein-Westfalen. Da ich keinerlei Motorraderfahrung hatte, unternahmen Tarek Mousli und ich zusammen ein Dutzend Probefahrten. Dabei trugen wir normale Straßenkleidung und andere Helme als die, die wir zur Zeit des Anschlags aufhatten. Den Großteil der Fahrten machten wir meiner Erinnerung nach aus Sicherheitsgründen mit einem ähnlichen Modell und benutzten erst in der Endphase das gestohlene Fahrzeug.

Wenn Tarek Mousli heute behauptet, er habe zwar das Motorrad gefahren, aber allein um es auszuprobieren, dann ist das nicht wahr. Dieses Motorrad hat in Berlin allein Tarek Mousli gefahren, weil er sich mit ihm vor der Aktion vertraut machen musste, und ich war in den meisten Fällen dabei.

Als Fluchtfahrzeug wurde zum ersten Mal ein Auto gestohlen, ein VW Passat. Allerdings nicht in Zehlendorf "Unter den Eichen", auch nicht in der Dominikusstraße in Schöneberg und auch nicht im Studentendorf in Nikolassee, wie Tarek Mousli wahlweise ausgesagt hat, sondern in der Bernardtstraße in Wilmersdorf. Das weiß ich, weil ich daran beteiligt war, aber nicht Tarek Mousli. Ich vermag nicht nachzuvollziehen, was Tarek Mousli sich davon verspricht, hier falsche Orte und falsche Personen anzugeben. Es sei denn dahinter steckt wieder die Absicht, durch die eigene kleine Falschbelastung zu versuchen, sich dafür als Motorradfahrer wegzulügen.

Eine Verwechslung seinerseits ist ausgeschlossen, weil dieses Auto das einzige war, das im Zusammenhang unserer Anschläge und überhaupt von uns in Berlin gestohlen wurde.

Kommen wir zu den angeblichen Bedenken des Tarek Mousli gegen diese Aktion, die von seinen unmittelbaren Erlebnissen im libanesischen Bürgerkrieg herrühren sollen.

Bekanntlich galt der Libanon bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs 1974 als die "Schweiz des Nahen Ostens", also als ein Ort der Ruhe und Prosperität. Wie Tarek Mousli in der Hauptverhandlung am 28.06.01 einräumen musste, war er seit Ausbruch der Kämpfe 1974 nicht wieder im Libanon gewesen. Die Schrecken des Bürgerkriegs hat er also nicht selbst erlebt. Damit erweist sich sein Hauptargument für seine angeblichen Bedenken als unwahr. Vielmehr verfolgte er die Kämpfe aus der Distanz. Das führte aber nicht zu seiner Pazifizierung, sondern, im Gegenteil, zu seiner Radikalisierung. Das war bei allen Leuten zu beobachten, die sich damals an den Palästinensern orientierten.

Tarek Mousli war also alles andere als ein Bedenkenträger. Das ist seine heutige opportunistische Verkleidung gegenüber den Strafverfolgungsbehörden. Im Gegenteil. Er war Feuer und Flamme für diese Aktion, unter anderem deswegen, weil die harten Urteile des Asylsenats vor allem gegen die Flüchtlinge aus dem Libanon und gegen Tamilen gerichtet waren.

Der Anschlag am 1. September 1987 verlief so, wie ihn Herr Korbmacher geschildert hat. Tarek Mousli fuhr das Motorrad, ich saß hinter ihm und als Herr Korbmacher auf dem Weg zu seiner Garage war, schoss ich auf seine Unterschenkel. Danach fuhren wir in ruhigem Tempo weg, um nicht aufzufallen. Bei der Waffe handelte es sich um diejenige Beretta mit aufgesetztem Schalldämpfer, mit der auch auf Herrn Hollenberg geschossen worden war.

Später stiegen wir in unser Fluchtauto um und zogen die Motorradkleidung aus, die wir wie auch die Helme ausschließlich an diesem Tag getragen haben. Die gegenteilige Aussage Tarek Mouslis, wir hätten die später sichergestellten Monturen bei den Probefahrten getragen, erweist sich vor diesem Hintergrund als der durchsichtige Versuch, eine Erklärung für eigene Spuren an der von ihm getragenen Motorradkleidung parat zu haben, wenn denn solche Spuren gesucht und gefunden würden. Beim Verlassen des Fahrzeugs setzte ich die Zeitschaltuhr des Brandsatzes in Gang. Danach muss Tarek Mousli seinen Motorradhelm derart als Abdeckung auf den Drehwecker gelegt haben, dass er stehen blieb.

Ich hatte mich bereit erklärt, die Brandsätze in den Fällen "Hollenberg und Korbmacher" zu bauen. Ich habe sie allein (und ohne Zuschauer!) aus den in Berlin vorhandenen Zutaten gefertigt. Ob darunter Unkraut-Ex aus Frankreich war, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Auf keinen Fall habe ich selbst Unkraut-Ex aus Frankreich beschafft. Illegale haben aus Sicherheitsgründen niemals etwas transportiert, weder Texte noch Unkraut-Ex noch Waffen. An anderer Stelle seiner umfangreichen Aussagen gibt Tarek Mousli genau das zu Protokoll: "Jon hat die Waffen auf dem Transitweg mit Sicherheit nicht mitgenommen." (Vernehmung vom 13.12.1999)

Entgegen den Behauptungen Tarek Mouslis gab es auch diesmal keine zeitgleiche Funküberwachung durch ihn, da er unmöglich an zwei Orten zugleich sein konnte. Wie er auf Befragen einräumen musste, hat keine Funkverbindung bestanden. Und am 9.12.1999 sagte er aus: "Ich habe keinen Funkverkehr der Polizei zu diesem Anschlag mitbekommen," obwohl nachweislich ein sehr reger stattgefunden hatte. Dies konnten wir nämlich später dem, wie üblich, automatisch aufgezeichneten Mitschnitt entnehmen. Im übrigen wussten wir bereits von der Hollenberg-Aufnahme, dass die Fahndung erst relativ spät einsetzte, wenn wir längst in Sicherheit waren.

Es ist eine Lüge, wenn Tarek Mousli behauptet, ich hätte mich über die Fluchtversuche von Herrn Korbmacher amüsiert. Ich fand das Verhalten des Richters überhaupt nicht lächerlich, angesichts des plötzlich über ihn hereinbrechenden Schreckens.

Genauso haltlos ist die Verleumdung, ich hätte Herrn Korbmacher bedenkenlos getötet, wenn er sich gewehrt hätte. Dies wird meines Erachtens auch eindeutig durch die schon vor dem Anschlag formulierte und später veröffentlichte Erklärung widerlegt, wo es hieß: "Der Angegriffene soll überleben, ja er muss es unter allen Umständen, denn dies ist die entscheidende Bestimmung der Aktion, selbst wenn sie zum Preis eines erhöhten Risikos für die Ausführenden erkauft werden muss."

Diese Erklärung hat Sabine Eckle geschrieben, Tarek Mousli weiß genau, dass sie die Erklärung allein geschrieben hat, weil wir gemeinsam darüber diskutiert haben, wenn einzelne Teile fertig waren. Warum er andere Mitautoren erfindet, darüber mag ich mir nicht den Kopf zerbrechen. Sabine Eckle kam es vor allem auf eine eingehende Begründung der ungewöhnlichen Aktionsform an, die sie in der Hollenberg-Erklärung vermisst hatte. Obwohl in dieser Erklärung ausdrücklich betont wird, dass wir nicht im Krieg leben, "Zustände, von denen wir weit entfernt sind", versucht Tarek Mousli wider besseren Wissens Sabine Eckle genau diese unsinnige Position zu unterstellen.

Es hat auch zu keinem Zeitpunkt Diskussionen zu der bornierten Fragestellung "wer hat das Recht zu richten?" gegeben. Die RZ haben in ihren Texten immer wieder betont, dass es ihnen - im Unterschied zu anderen Organisationen - gerade nicht um die Machtfrage ging, und sie sich in keiner Weise als Richter und Vollstrecker verstanden.

Weder der Anschlag auf Herrn Korbmacher noch die Erklärung dazu sind von einem angeblichen überregionalen Gremium geplant bzw. entworfen worden. Die absolute Autonomie der einzelnen Gruppen in den RZ und das ausgefeilte Sicherheitskonzept machten es undenkbar, dass andere Gruppen die Pläne einer Region vorher kannten, geschweige denn, dass sie mitredeten oder an deren Erklärungen mitschrieben. Zwischen den einzelnen RZ-Gruppen zirkulierten ausschließlich theoretische Texte und Themen grundsätzlicher Art, ohne wie auch immer geartete praktische Konkretionen.

Der Anschlag auf Herrn Korbmacher bedeutete für uns den Abschluss der Flüchtlingskampagne und das Ende unserer Arbeit in den RZ. Danach wurde die Pistole ins Wasser geworfen.

Tarek Mousit sahen wir das letzte Mal Ende 1987, als er uns zum Abschied in ein ägyptisches Restaurant einlud. Er wollte unbedingt weitermachen und so trennten sich unsere Wege. Wir haben ihn danach bis zum Prozessbeginn nie wieder gesehen, auch nicht aus Zufall.


Der Ausstieg

Wir hatten seit längerer Zeit das Gefühl, dass die RZ politisch wie praktisch in der Luft hingen. Die Verankerung in einem sozialrevolutionären Milieu war seit langem nicht mehr gegeben, weil dieses Milieu zusehends ausgetrocknet war, und von einer kulturrevolutionären Bewegung konnte im Grunde schon seit Mitte der siebziger Jahre nicht mehr die Rede sein. Wir waren der Meinung, man könne nicht gut als Zuspitzung einer gesellschaftlichen Bewegung agieren, die ihre Substanz verloren hatte und seit langem nicht mehr virulent war.

Die Flüchtlingskampagne war insofern eine Ausnahme, als sie nicht ein sozialrevolutionäres Projekt im eigentlichen Sinne darstellte, sondern vielmehr eine klassische Verteidigungs- und Schutzlinie für verfolgte und bedrohte Menschen aufzubauen versuchte, die sich selbst nicht helfen konnten. Sie war eine Bemühung um praktische Solidarität und schützende Parteinahme.

Deshalb hatten wir an der Flüchtlingskampagne mitarbeiten wollen. Mit ihrem Ende fielen für uns die Gründe für eine weitere Arbeit in den RZ weg.

Sabine Eckle hatte 1987 einen grundlegenden Text mit dem Titel: "Das Spiel ist aus. Anmerkungen zur Geschlechtsdifferenz" geschrieben, der in den RZ auf scharfe Kritik gestoßen war. Es war kein Papier des bewaffneten Kampfes, sondern eines über dessen Ende. Ich zitiere: "Wir blicken in das gleiche Gedankengebäude, nur der Besitzer hat gewechselt. Der revolutionäre Mann verkündet pathetisch das Reich der Freiheit, der Gleichheit, das Ende aller Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Das Ende der Ausbeutung existentieller Frauenarbeit durch den Mann kann er damit unmöglich meinen, denn dieses Ende zerreißt alle bisherigen Revolutionsentwürfe als Makulatur, entlarvt sie als das, was sie sind: männliche linke Herrschaftsidyllen."

Es hat uns erstaunt, dass die RZ diesen Text lange nach unserem Ausscheiden doch noch veröffentlicht haben, allerdings unter dem unglücklichen Titel "Was ist das Patriarchat?" Wir haben dies als unausgesprochene Auflösungserklärung interpretiert.

Bereits Anfang 1988 gründeten wir mit mehreren (legalen) Leuten einen philosophisch-literarischen Arbeitskreis, weil wir das Gefühl hatten, wir müssten uns dringend neue geistige Grundlagen erwerben. Wir trafen uns offen in unseren eigenen Wohnungen, um gemeinsam wichtige Texte zu erarbeiten. Darunter waren die Schriften der französischen Philosophinnen Luce Irigaray und Julia Kristeva sowie die Texte der "Libreria delle donne" aus Mailand zur Geschlechtsdifferenz. Wir lasen Jean-Paul Sartre, Theodor W. Adorno. Max Horkheimer, Walter Benjamin und andere. Wir gingen gemeinsam aus, z.B. in die "Orient"- und in die "Walter Benjamin"-Ausstellung im Gropius-Bau, nachdem wir beide uns bis dahin ausschließlich allein in der Öffentlichkeit bewegt hatten und niemals an so prominenten Orten.

Anfang 1989 planten wir beide nach Italien zu gehen. Sabine Eckle wollte in Mailand offiziell Philosophie studieren und traf deshalb ihre in der Schweiz lebende Schwester, die in Italien studiert hatte. Dabei stellte sich allerdings heraus, dass das Vorhaben schwieriger war als angenommen. So ließen wir diesen Plan wieder fallen.

Später kam uns bei unserer angestrebten offiziellen Legalisierung der Zusammenbruch des Ostblocks in die Quere, denn wir wollten unter keinen Umständen den Eindruck erwecken, uns dort aufgehalten zu haben und nun gezwungenermaßen auftauchen zu müssen. Wir mussten also weiter warten, um eine deutliche zeitliche Distanz zum November 1989 zu halten. Schließlich sind wir Mitte 1990 bzw. Anfang 1991 nach 12 Jahren wieder getrennt an unseren Ausgangspunkt Frankfurt zurückgekehrt.

Kommen wir zu den letzten mir wesentlich erscheinenden Lügen Tarek Mouslis:

Seine Behauptung, Sabine Eckle und ich hätten irgendwann zwischen 1986 - 1988 etwas mit dem Verbringen von 20 kg Sprengstoff nach Berlin zu tun gehabt oder auch nur davon gewusst, ist eine Erfindung. Offenbar will er uns irgendetwas für die Zeit nach dem Anschlag auf Herrn Korbmacher anhängen, um seine ebenso lügnerische Behauptung zu stützen, wir wären bis 1990 Mitglieder der RZ gewesen. Von einem Sprengstoffdepot im Mehringhof habe ich nie etwas gewusst oder gehört.

Es hat 1989 keinen Waldspaziergang am Wannsee gegeben, an dem wir teilgenommen hätten. Es ist im übrigen nicht sehr schlau von Tarek Mousli, sich ausgerechnet diesen Massenausflugsort für ein angeblich klandestines Treffen auszudenken.

Tarek Mousli hat diesen Waldspaziergang mit uns wohl erfunden, weil es nicht in das Bild vom kleinen bedenkengeplagten Mitläufer passt, dass er unentwegt weitermachte und an etwas festhielt, das die vom ihm als Rädelsführer Denunzierten bereits 1987/88 aus einer inhaltlichen Kritik heraus aufgegeben hatten.

Auf diesem "Wannsee-Treffen" will Tarek Mousli auch erfahren haben, wir hätten mehrmals Anwälte kontaktiert, die bei der Bundesanwaltschaft in Erfahrung bringen sollten, wie es mit der Verjährung stehe. Das ist nachweislich eine Lüge. Es kann keinen Vermerk oder einen Brief über eine derartige Anfrage in Karlsruhe geben. Hier irrt auch Bundesanwalt Dr. Morré. Wir haben nämlich ganz bewusst niemals einen Anwalt damit beauftragt, uns bei den Verfolgungsbehörden abzusichern. Unser Entschluss war nicht von juristischen Berechnungen oder eventuellen Verjährungsdaten bestimmt, sondern von einer persönlichen und inhaltlichen Entscheidung.

Wir sehen, Tarek Mousli lügt uns selbst dann noch hinterher, als er uns längst aus den Augen verloren hatte.


aus: Interim, Nr. 542, 24. Januar 2002 (redaktionell gekürzt)
 


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kombo(p) - 21.07.2002