kassiber 48 - März 2002

Die afghanische Frauenorganisation RAWA

Zivile Opposition gegen das Regime


RAWA wurde 1977 von Frauenrechtlerinnen auf Initiative von Meena Kishwar Kamal gegründet ("Meena" wurde gemeinsam mit zwei anderen RAWA-Frauen 1987 im pakistanischen Quetta ermordet, vermutlich vom afghanischen Geheimdienst KHAD.) Die Organisation war von Anfang an dazu gezwungen, im Untergrund zu arbeiten. Sie zählt zur Zeit etwa 2.000 Mitglieder (unter denen sich auch Analphabetinnen befinden), die Zahl der UnterstützerInnen nicht einbegriffen.

Auf ihrer Website bezeichnet RAWA sich als "feministische Organisation, die für Freiheit, Demokratie und Frauenrechte mit einer klar antifundamentalistischen Haltung kämpft". Als die UdSSR Afghanistan besetzte, hatte RAWA wie die Mudschaheddin dagegen gekämpft. Als mit dem Rückzug der Sowjetarmee der Bürgerkrieg losbrach, wendete sich RAWA gegen die Kriegsherren. Das Frauennetzwerk galt als einzige zivile Opposition gegen das Regime der Taliban und wendet sich jetzt genauso entschieden wieder gegen die an die Macht zurückgekehrten Kriegsherren der Nordallianz.

Einzig RAWAs Beziehung zum Ex-König Sahir Schah war und ist zwiespältig. Im Stern findet sich folgendes Zitat einer der noch lebenden RAWA-Mitgründerinnen: "Wir trugen [zur Zeit der Gründung von RAWA] das Wort 'revolutionär' im Namen, aber wir waren nicht gegen den Staat. Damals gab es Professorinnen, Parlamentarierinnen, Ärztinnen in Kabul. Was wir wollten, waren Reformen." (Stern 46/2001, 24) Und auch heute vertritt RAWA zwar bürgerlich-demokratische Forderungen, scheint aber zunächst alle Hoffnungen auf eine konstitutionelle Monarchie mit einem aufgeklärten Monarchen zu setzen - mit friedlichen UNO-Truppen zur Entwaffnung von Kriegsherren und Milizen und mit genug Zeit und Spielraum für die Bevölkerung, das Modell "bürgerliche Demokratie" auszuprobieren: "Den positiven Unterschied [der Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg in Bonn im Dezember 2001] zu früheren Konferenzen sehe ich in der Anwesenheit einer Delegation des früheren Königs. Die Mehrheit der demokratischen und friedensliebenden Kräfte Afghanistans unterstützt ihn. RAWA unterstützt ihn, weil er ein Gegengewicht zu allen fundamentalistischen Gruppen der Taliban und der Nordallianz darstellt. Das heißt aber nicht, daß wir in einer Monarchie die ideale Regierungsform für ein zukünftiges Afghanistan sehen (lacht). Wir werden unseren Kampf für ein demokratisches Afghanistan fortsetzen. Aber die Anwesenheit der königlichen Delegation ist auch wichtig für den Einsatz von UN-Friedenstruppen. Die Nordallianz muß entwaffnet werden (...) Außerdem halten wir es für unerläßlich, daß die zur Nordallianz gehörenden Kriegsverbrecher verhaftet und von internationalen Gerichten verurteilt werden. Und noch ein Punkt, den (...) nur der König garantieren kann: Unterstützung für demokratische Gruppen und Parteien. Sie müssen sich darstellen, ihre Stimme erheben, ihre Unterstützung durch das Volk testen können." (eine RAWA-Vertreterin, die ebenfalls den Decknamen Sha(h)la trägt, in einem Interview der taz, 27.11.2001.) Im selben Interview äußerte Shahla auch die durch den Anruf eines Beraters von Exkönig Sahir Schah genährte Hoffnung, für RAWA an der Petersberg-Konferenz teilnehmen zu können. Daraus wurde allerdings nichts: Die Delegation der Königstreuen (Rom-Gruppe) nahm lieber die nicht in die aktuellen politischen Ereignisse involvierten Exilafghaninnen Sima Wali (USA) und Rona Mansuri (BRD) mit, um ihre pressewirksame Frauenquote zu erfüllen. Letztere ist übrigens die Schwiegertochter des früheren Premiers zu Königszeiten.

RAWA setzt auf die langsame und schrittweise Einleitung eines demokratischen Prozesses, der zum Beispiel durch die Einberufung der Loya Jirga, der traditionellen Afghanischen Nationalversammlung, initiiert werden könne, und an dessen Ende freie Wahlen stehen sollen. Vorausgesetzt, keine fundamentalistischen Gruppen nähmen an der Loya Jirga teil, und alle Teilnehmer akzeptierten die Menschen- und Frauenrechte. Eine Beteiligung von Frauen fände RAWA zwar wichtig (immerhin stellen die Frauen 60% der Bevölkerung), in der Praxis sei das aber zunächst schwer durchzusetzen - schon allein deshalb, weil es kaum Frauen mit Schulbildung gibt. (taz-Interview vom 27.11.2001)

Afghanistan hat eine der niedrigsten Alphabetisierungsraten der Welt; nach einer Schätzung von UNICEF sind nur ca. 3-4% der Frauen (und 28% der Männer) alphabetisiert. Bildung ist daher eine der Hauptforderungen von RAWA, und ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der (illegalen - d.h. zumindest nicht unter ihrem Namen laufenden) Organisation von Schulen und Alphabetisierungskursen für Frauen und Kinder.

Dazu kommt die Arbeit im Bereich der Gesundheitsfürsorge: RAWA gründete ein Hospital für Flüchtlingsfrauen und -kinder, bietet medizinische Hilfe in Afghanistan und in den Flüchtlingscamps in Pakistan an, bildet illegal Ärztinnen aus. Darüberhinaus berät und betreut RAWA Witwen (ca. ein Viertel aller afghanischen Frauen sind Witwen: allein in Kabul schätzt man ihre Zahl auf 60.000), alleinerziehende Frauen, Familien von Gefangenen, Folteropfer und vom Mann oder seiner Familie mißhandelte Frauen. Ein weiterer Aufgabenbereich von RAWA besteht in der Unterstützung und Supervision kleinerer Farmen und Werkstätten.

RAWA gibt eine eigene Zeitschrift heraus: die Payam-e-Zan ("Botschaft der Frau"), organisiert regelmäßig Demonstrationen und Veranstaltungen, verteilt Flugblätter.

Die Organisation wurde in New York von der Frauenzeitschrift "Glamour" ausgezeichnet und erhielt im November vergangenen Jahres in Berlin den ZDF-Preis "Mona-Lisa-Frau des Jahres". Bei der Weihnachtsgala 2001 im Tempodrom in Berlin sammelte Nina Hagen für RAWA. RAWA finanziert sich neben dem Verkauf selbstgefertigter Teppiche und Kunstgewerbeprodukte, von Kassetten, Postern und Publikationen usw. hauptsächlich über private Spenden und Mitgliedsbeiträge - sowohl aus Afghanistan als auch international. In Bezug auf die Verwendung der millionenstarken "Wiederaufbauhilfe" in Afghanistan fordert RAWA eine stenge Kontrolle des Geldflusses. Die Organisation selbst werde von diesem Geld allerdings - trotz der neuen Popularität - nichts sehen, so Shala Asad während ihres Vortrags im DGB-Haus. Auch vorher war sie ausschließlich auf Einzelspenden angewiesen.


Spendenkonto für RAWA:
Friedensinitiative Nottuln
Kto. 825 93 245
Sparkasse Coesfeld (BLZ 401 54 530)


RAWA im Internet: www.rawa.org
 


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kombo(p) - 21.07.2002