kassiber 48 - März 2002

Dokumentation

Erklärung von Bremer HochschullehrerInnen zur militärischen Intervention in Afghanistan



Zu den Leitzielen der Universität Bremen gehören der Schutz der Grund- und Menschenrechte und ein Beitrag zu einer durch Gerechtigkeit geleiteten nachhaltigen Entwicklung. Diese Ziele werden sowohl durch die Terrorakte in den U.S.A. als auch durch den Krieg in Afghanistan verletzt. Im Interesse der Verwirklichung der Leitziele sprechen wir uns gegen die "Politik der Stärke" aus, mit der die politische Führung der U.S.A. auf die Terroranschläge vom 11. September reagiert. Die Bombardierungen und der Einsatz von Bodentruppen in Afghanistan sind keine Problemlösung. Die Konsequenzen der militärischen Intervention für die seit Jahrzehnten leidende afghanische Bevölkerung stehen im Widerspruch zu dem von den U.S.A. und ihren Verbündeten genannten Ziel, den Terrorismus zu bekämpfen, die Werte der westlichen Welt zu verteidigen und die Menschenrechte zu schützen.

Der fundamentalistische Terror hat vielfältige, nicht zuletzt strukturelle ökonomische, soziale und politische Gründe. Es gehört zu den Aufgaben einer Universität, mit den Mitteln der Wissenschaft einen Beitrag zur aufklärenden Analyse der Gründe zu leisten und einen öffentlichen Raum für Diskussionen anzubieten.

Die Bedingungen des Terrors liegen ganz offensichtlich vor allem in den Gegensätzen zwischen den reichen westlichen Ländern auf der einen Seite und der Unterentwicklung und dem Massenelend der sogenannten "Dritten Welt" auf der anderen Seite. Diese Gegensätze, für deren Entstehung die westlichen Industriestaaten historisch mitverantwortlich sind, lassen sich nicht nur nicht mit Hilfe militärischer Gewalt beseitigen, sondern sie werden im Gegenteil dadurch nur noch verschärft.

Wir lehnen die Politik der Bundesregierung ab, die Angriffe auf Afghanistan materiell, logistisch und durch die Beteiligung deutscher Soldaten zu unterstützen und mit der Bush-Administration "uneingeschränkte Solidarität" zu üben. Diese Politik birgt das Risiko, Deutschland in den verhängnisvollen Kreislauf von Terrorismus und militärischer Aggression hineinzuziehen und es dadurch zum Mitschuldigen daran zu machen, daß sich die Spaltung der Welt in Gewinner und Verlierer weiter vertieft.

Die Ängste der Menschen aller Kontinente vor einer Fortsetzung terroristischer Aktionen sind nur zu verständlich. Deshalb halten wir wirksame präventive Maßnahmen zum Schutz vor eventuellen neuen Anschlägen für ebenso notwendig wie legitim. Aber wir wenden uns gegen die Versuche der Bundesregierung, aus der Tragödie von New York und Washington Schlußfolgerungen zu ziehen, die zu einer Einschränkung der Grundrechte und der Demokratie in Deutschland führen. Maßnahmen wie die angekündigten "Sicherheitspakete" oder ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren sind nicht geeignet, dem Terrorismus den Boden zu entziehen. Wir befürchten vielmehr, daß sie ein Klima der Einschüchterung, der kritiklosen Anpassung und der Fremdenfeindlichkeit fördern werden. Wie andere kriminelle Taten auch können terroristische Aktivitäten auf deutschem Boden nur mit rechtsstaatlichen Mitteln erfolgreich bekämpft werden.

Zu der kurzatmigen Politik der Stärke gibt es Alternativen:

- Eine grundsätzliche Neuorientierung in der Entwicklungspolitik und die massive Erhöhung der Ausgaben im Rahmen einer entwicklungspolitischen Strategie, die vor allem Hilfe zur Selbsthilfe leistet und die Eigenständigkeit der Empfänger stärkt.

- Die umfassende ökonomische und politische Unterstützung von sozialen Akteuren und politischen Kräften, die sich in Asien, Afrika und Lateinamerika im allgemeinen und in Pakistan und Afghanistan im besonderen für die Bekämpfung von Armut und Analphabetismus, für den Abbau sozialer Ungleichheit, für die Gleichberechtigung der Frauen und für Demokratisierung einsetzen.

- Die Einleitung eines Friedensprozesses im Nahen Osten, der die Demütigung der arabischen Bevölkerung beendet und sowohl die uneingeschränkte Sicherheit Israels als auch die volle Souveränität und Autonomie eines unabhängigen palästinensischen Staates garantiert, die friedliche Regelung der Interessenkonflikte zwischen Israel und Syrien, die Aufhebung des Embargos gegen den Irak und die Beendigung aller diskriminierenden und benachteiligenden Maßnahmen gegenüber Staaten wie Iran oder Libyen.

- Die Aufwertung der UNO und ihrer Aufgaben und Kompetenzen.

- Die Verteidigung und Erweiterung des sozialen Rechtsstaates und seiner Institutionen in Deutschland; die Förderung einer Integrationspolitik, die eine soziale Gleichheit von Ausländern auf der Grundlage rechtsstaatlicher Prinzipien und wechselseitiger kultureller Anerkennung und Toleranz ermöglicht.


Die "Erklärung" haben bisher unterschrieben:
Hans-Gerd Artus, Gerhard Bach, Logie Barrow, Rudolph Bauer, Sigrid Betzelt, Detmar Beyersmann, Adelheid Biesecker, Jörg Blandow, Jörn Bleck-Neuhaus, Anna-Dorothea Brockmann, Georg Bruns, Willi Bruns, Heinz Buddemeier, Elisabeth Burr, Wolfram Elsner, Monika Fikus, Martin Franzbach, Rainer Frentzel-Beyme, Manfred Hahn, Holger Heide, Rudolf Hickel, Dirk Hoerder, Manfred Hoppe, Jörg Huffschmid, Helge-Ulrike Hyams, Wolfgang Jantzen, Reinold Kienzler, Herbert Kopfer, Hellmuth Lange, Hans-Jörg Kreowski, Klaus Liebe-Harkort, Jürgen Lott, Johannes Merkel, Georg Mohr, Frieder Nake, Lothar Peter, Stephan Quensel, Helmut Reichelt, Dieter Richter, Karl-Heinz Rödiger, Hans-Jörg Sandkühler, Jörg Schmidt, Christoph Schminck-Gustavus, Inge Schmitz-Feuerhake, Susanne Schunter-Kleemann, Volker Schürmann, Hannelore Schwedes, Helmut Spitzley, Gerhard Stuby, Roderich Wahsner, Matthias Waltz, Edda Wesslau, Jörg Wollenberg
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kombo(p) - 21.07.2002