kassiber 48 - März 2002

Juristische Finessen zur Verhinderung eines neuen Verfahrens für Mumia Abu-Jamal

Todesurteil aufgehoben


Für Mumia Abu-Jamal gibt es neue Hoffnung. Ein US-Bundesgericht in Philadelphia hob in erster Instanz das vor zwei Jahrzehnten gegen ihn verhängte Todesurteil auf. Möglicherweise mildernde Umstände seien bei dem Urteilsspruch der Geschworenen nicht ausreichend berücksichtigt worden, begründete Richter William Yohn seine Entscheidung. Daher müsse entweder innerhalb von 180 Tagen eine neue Verhandlung über das Strafmaß stattfinden oder die Strafe in lebenslange Haft umgewandelt werden. Mumias Forderung nach einem neuen Prozeß lehnte John ab. Er ließ die Verurteilung Mumias wegen Mordes in Kraft. Das Gericht begründete die Entscheidung mit Verfahrensfehlern bei der ursprünglichen Festlegung des Strafmaßes. Staatsanwältin Lynn Abraham in Philadelphia kündigte jedoch umgehend Berufung an. Die Entscheidung von Richter Yohn sei rechtlich zweifelhaft. "Wenn sie ihm lebenslang ohne Bewährung geben, wäre das für uns völlig inakzeptabel", sagte Jeff Mackler, der eine US-Gruppe für die Freilassung von Mumia leitet. Andere Unterstützer sagten, das gesamte Urteil hätte verworfen werden müssen.

Dagegen ist die Entscheidung für Maureen Faulkner, die Witwe des erschossenen Polizisten, schmerzhaft, wie sie im Rundfunk sagt. Ihre Familie und Polizeivertreter hatten immer wieder Mumias Hinrichtung gefordert. Ein Polizeisprecher in Philadelphia nannte die richterliche Entscheidung einen "Justizirrtum".

Die ehemalige Staatsanwältin und heutige Dekanin an der Temple University of Law, Jo Anne Epps, sagte, ein neues Verfahren könnte wegen der geänderten sozialen Ansichten zu Rassenfragen bei Polizeikontrollen Mumias Leben retten. Die Todesstrafe sei unwahrscheinlicher geworden.

Für die weltweiten Unterstützergruppen Mumias kam der Tag, an dem Bundesrichter William Yohn in Philadelphia eine Anhörung darüber ansetzen sollte, ob Mumia Abu-Jamal ein neues Verfahren bekommt und neue Beweise für seine Unschuld an der Ermordung des Polizeibeamten Daniel Faulkner am 9. Dezember 1981 vorbringen kann, völlig überraschend. Ohne Vorankündigung, ohne Anhörung der Parteien und ohne Anhörung auch nur eines einzigen Zeugen oder Beweises hat Richter Yohn am 18. Dezember entschieden, den Antrag Abu-Jamals auf Überprüfung der verfassungsmäßigen Rechtmäßigkeit seiner Inhaftierung, den Habeas-corpus-Antrag, in allen Punkten abzulehnen - bis auf den oben erwähnten: Er hat das Todesurteil aufgehoben.

Von mehreren hundert Seiten juristischer und faktischer Argumentation der Verteidigung wird einzig der magere Punkt 25 anerkannt: die Instruktionen von Richter Sabo an die Geschworenen und das an sie ausgegebene Urteilsformular bei der Strafzumessungsphase im Prozeß 1981 entsprachen nicht den gesetzlichen Anforderungen. Diese Anweisungen und Formulare, die bis 1989 in einigen Bundesstaaten der USA und auch in Pennsylvania verwendet wurden, hätten eine falsche und "unvernünftige" Auslegung der Bundesgesetze nahegelegt, indem sie den irrtümlichen Schluß aufdrängten, mildernde Umstände dürften bei der Strafzumessung nur dann eine Rolle spielen, wenn die Geschworenen darüber einstimmig einer Meinung seien. Dies habe zu einer inakzeptablen Gefahr der Verwirrung bei den Geschworenen über die angemessene Prozedur bei der Strafzumessung geführt und könne daher nicht aufrechterhalten werden. Demzufolge sind von nun an auch alle anderen Todesurteile, die unter Verwendung dieses Formulars zustande kamen, ebenso anfechtbar wie das Todesurteil gegen Mumia Abu-Jamal.

Dies ist der einzige von insgesamt 39 Punkten in den beiden Habeas-corpus-Anträgen Abu-Jamals, dem Yohn stattgegeben hat. Der Schuldspruch »Mord ersten Grades« wird hingegen ausdrücklich aufrechterhalten, das einzige, was jetzt zur Debatte steht, ist die Umwandlung des Todesurteils in lebenslängliche Haft.

Bundesrichter Yohn hat zwei Entscheidungen getroffen - einmal zum ursprünglichen Habeas-corpus-Antrag Mumia Abu-Jamals vom Oktober 1999 und zum anderen zur erweiterten Version dieses Antrags, den die Verteidigung im August 2001 eingereicht hat. Seinen Bescheid zum ersten Antrag breitet Yohn auf 272 Seiten aus, der Abschmetterung des ergänzten Antrags widmet er ganze 27 Seiten. Bei seiner Ablehnung des ersten Antrags macht Yohn sich noch die Mühe, die eingereichten Punkte einzeln abzuhandeln, der zweite Antrag, der einen alternativen Tathergang präsentiert und unter anderem mit dem Geständnis des Berufskillers Arnold Beverlys erstmals handfeste Beweise für Mumias Unschuld vorlegt, wird pauschal und auf rein formaljuristischer Ebene abgeschmettert.

Wie auf ein Mantra beruft Yohn sich dabei wieder und wieder auf das 1996 verabschiedete "Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Effektivierung der Todesstrafe" (AEDPA). Zur Essenz dieses Gesetzes heißt es bei Yohn, die für die Bearbeitung von Habeas-corpus-Anträgen zuständigen Bundesgerichte seien dadurch nunmehr dazu aufgefordert, grundsätzlich "von einer Richtigkeit der faktischen Beurteilungen durch die Staatsgerichte auszugehen". Im Klartext: Einmal gefällte Urteile sind, von wenigen extremen Ausnahmen möglicherweise abgesehen, als richtig zu betrachten, und die Aufgabe der Bundesgerichte bestehe nun darin, die Vollstreckung dieser Urteile zu beschleunigen. Dies geschehe vor allem durch die Einführung rigider Zeitlimits für die Einreichung von Berufungsanträgen. Zweck dieses Gesetzes ist nichts anderes als eine vermehrte, öffentlich als "Kampf gegen Kriminalität" präsentierbare Zahl von Hinrichtungen.

Zum entscheidenden Unschuldsbeweis durch den Zeugen Beverly heißt es lapidar: "Jamal kann seinen Antrag nicht um diesen neuen Beweis erweitern, weil dieser Beweis sich in keiner Weise auf den ursprünglichen Antrag bezieht (...) Diesen Bezug zu gestatten ... würde bedeuten, daß Jamal eine Ausweitung der Zeitbegrenzungen innerhalb des Gesetzes zur Effektivierung der Todesstrafe gestattet würde, wovor das Dritte Bezirksgericht ausdrücklich gewarnt hat." Und weiter: "Selbst wenn die Erklärung Beverlys vom 8. Juni 1999 nicht früher verwertbar gewesen sein sollte, setzt das Gesetz zur Effektivierung der Todesstrafe in diesem Fall eine zeitliche Deadline am 8. Juni 2000." Auch die neu eingeführte Behauptung der tatsächlichen Unschuld könne diese Frist nicht verlängern, weil keine wie auch immer geartete Ausnahme in dieser zeitlichen Beschränkung vorgesehen sei. Die einzig denkbare Möglichkeit für eine solche Ausnahme sei, daß "...der Antragsteller beweisen könne, daß die Präsentation des Zeugen Beverly im ursprünglichen Prozeß es mehr als wahrscheinlich gemacht habe, daß kein vernünftiger Geschworener ihn verurteilt hätte". Das sei ihm nicht gelungen. Im Klartext: Der Beweis wird nicht gehört werden, weil der Richter ihn nicht hören will. Die mögliche Wahrheit würde das angestrebte schnellere Vollstrecken aller Todesurteile nur unnötig verkomplizieren. Also alles abgelehnt.

Richter Yohn hat angeordnet, daß eine neue Jury innerhalb von 180 Tagen darüber befinden muß, ob Mumia Abu-Jamal erneut zum Tod oder zu lebenslänglich verurteilt werden wird. Kommt innerhalb dieser 180 Tage kein neuer Geschworenenspruch zustande, lautet die Strafe automatisch lebenslänglich. Staatsanwaltschaft wie Verteidigung haben bereits angekündigt, Berufung einlegen zu wollen.


Quellen: Junge Welt vom 21.12.2001 und taz vom 20.12.2001





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Mumias prominente Unterstützer


Mumia Abu-Jamal gilt als der bekannteste politische Gefangene seit Nelson Mandela. Der gehört zu seinen Unterstützern ebenso wie Frankreichs Präsident Jacques Chirac oder Harry Belafonte, Günter Grass und Salman Rushdie. Am 5. Dezember 2001 wurde Mumia zum Ehrenbürger von Paris ernannt. Im Mai 2001 wurde dem früheren Journalisten und Black Panther der Erich-Mühsam-Preis verliehen, - für sein Engagement für von polizeilicher Willkür betroffene Schwarze in den USA. Weltweit hat Mumia tausende UnterstützerInnen, die im Internet unter www.mumia.de über ihre Aktivitäten informieren. In einem umfangreichen Report zum Fall Mumia (www.amnestyusa.org/abolish/reports/mumia/index.html) weist amnesty international auf die Fragwürdigkeit der Schuldbeweise hin.
 


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kombo(p) - 21.07.2002