kassiber 48 - März 2002

Politische Prozesse /Gefangene

Kurzmeldungen



Göteborg-Video von der Polizei manipuliert

"Im Steinhagel eines aggressiven Mobs und in Lebensgefahr zogen die Polizisten ihre Pistolen und schossen aus Notwehr": Dieses Bild zeichnet die schwedische Polizei gerne von den Ausschreitungen beim Göteborger EU-Gipfel im Juni 2001 und rechtfertigte damit die Schüsse auf den 19jährigen Demonstranten Hannes W. Doch das Beweismaterial, welches zu der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die Polizisten führte, war gefälscht. Schwedische Fernsehreporter haben nachgewiesen, daß in das beim Prozess gegen Hannes vorgeführte Videomaterial nachträglich Bild- und Tonsequenzen hinein geschnitten worden waren.

Die entsprechenden Videoaufnahmen zeigten, wie die Polizisten zum Zeitpunkt der Schüsse in den "Hinterhalt" vermummter DemonstrantInnen geratenen waren, die sie mit einem Steinhagel eindeckten und "Eins, zwei, drei - Nazi-Polizei" riefen. Doch diese Szenen waren mehrere Straßenzüge entfernt gefilmt worden. Vor Ort waren viele DemonstrantInnen nach den ersten Warnschüssen bereits zurückgewichen. Und auch die Parole erschallte erst nach den Schüssen, als der schwer verletzte Hannes bereits von Sanitätern versorgt wurde.

Göteborgs Polizei weist die Manipulationsvorwürfe zurück und behauptet, das Video in dieser Form aus dem Fernsehen kopiert zu haben. Die beiden führenden Sender SVT und TV 4 erklärten allerdings nach einer Überprüfung ihres gesamten Bildmaterials, daß die umstrittenen Szenen nicht von ihnen stammten. Nun ist das Material beim Staatsanwalt Bengt Landahl gelandet, der die Vorwürfe zunächst nur als "äußerst unangenehm" bezeichnete und zukünftig "Videoaufnahmen kritischer begegnen" will.

Da das Video für die Höhe der Gefängnisstrafe (8 Monate) gegen Hannes jedoch nicht ausschlaggebend war, wird sein Anwalt trotz des Skandals nicht in Berufung gehen.

[Quelle: Frankfurter Rundschau vom 30.11.2001]



EU-Gipfel in Brüssel I: "Gefährderanschreiben"

Auch im Vorfeld des EU-Gipfels in Brüssel versuchte die Polizei wieder potentielle GipfelgegnerInnen einzuschüchtern. In Göttingen verschickte die Polizei an 13 Personen sogenannten "Gefährderanschreiben". Darin wurde den Betroffenen angeraten, nicht an Aktionen zum Gipfel teilzunehmen, um, so wörtlich, "zu vermeiden, daß sie sich der Gefahr präventiver polizeilicher Maßnahmen ... oder strafprozessualer Maßnahmen aus Anlaß der Begehung von Straftaten im Rahmen der demonstrativen Aktionen aussetzen". Gemeinsam ist den Betroffenen, daß sie sich seit Jahren in verschiedenen politischen Gruppen und Bewegungen engagieren und damit nun anscheinend in der 2001 eingerichteten "Gewalttäterdatei" des Bundeskriminalamtes aufgenommen wurden. Strafrechtlich verurteilt wegen Vergehen in Zusammenhang mit dem Versammlungsrecht wurde allerdings keineR.

Auf die Anfrage der PDS im niedersächsischen Landtag, nach welchen Kriterien Personen als "links motivierte GewalttäterInnen" eingestuft werden und was die Grundlage für die Auswahl der Angeschrieben sei, konnte Innenminister Heiner Bartling keine Antwort geben.

Die Betroffenen haben mittlerweile Klage gegen die Polizei eingereicht, weil mit diesen "Droh- und Einschüchterungsschreiben" die Grundrechte der Bewegungs- und Meinungsfreiheit (Artikel 5 und 8) eingeschränkt würden.

[Quellen: Göttinger Drucksache Nr. 416, 21.12.01; taz vom 27.1.2002; Göttinger Tageblatt vom 29.1.2002]



EU-Gipfel in Brüssel II: Schnellverfahren

Drei Personen aus der Nähe von Bremen soll im Februar in Belgien der Prozeß gemacht werden. Nach der Demonstration am 14.12.2001 hielten sie sich wegen eines geplanten Konzertes auf dem Gelände des Zentrums Tour et Taxis auf, das kurze Zeit später durch Polizeiketten und Wasserwerfer abgeriegelt wurde. Nach einer kurzen Eskalation, bei der das Gelände u.a. durch Steinwürfe verteidigt wurde, zog die Polizei sich zurück.

Beim Verlassen des Zentrums wurden die drei Angeklagten von Zivilpolizisten brutal festgenommen. Einer erhielt durch Stiefeltritte Verletzungen im Gesicht. Ihnen allen wird vorgeworfen, Steine geworfen und bei der Festnahme Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet zu haben. Nach einer Vernehmung durch den Staatsanwalt am darauffolgenden Tag wurden die Betroffenen freigelassen. Allerdings wurde direkt ein Prozeßtermin für Januar angesetzt, um sie im Rahmen eines Schnellverfahrens zu verurteilen. Es ist zu befürchten, daß mit diesem Prozess ein Exempel statuiert werden soll. Nachdem den AnwältInnen vom Legal Team (einer juristisch geschulten BeobachterInnengruppe des Ermittlungsausschusses) verboten worden war, die drei vor Gericht zu vertreten, ist nun der Prozeß auf Februar verschoben.

[Quelle: www.indymedia.de]



DNA-Analyse belastet Daniela Klette

Mitte Januar ließ die Bundesanwaltschaft (BAW) verlautbaren, daß sie mittels DNA-Analyse eines im Fluchtauto gefundenen Haares nun Daniela Klette die Beteiligung an einem RAF-Anschlag nachweisen kann. Bei dem Anschlag während des Golfkrieges 1991 wurde die US-Botschaft in Bonn beschossen, allerdings gab es nur geringen Sachschaden und keine Verletzten. Das BekennerInnenschreiben der RAF wandte sich "Gegen den US-Nato-Völkermord".

Die 43jährige Daniela Klette wird von der BAW verdächtigt, seit mindestens 1990 zur RAF-Kommandoebene gehört zu haben und heute eine zentrale Figur einer neuen "terroristischen Gruppierung" zu sein. In diesem Zusammenhang wird ihr vorgeworfen, zusammen mit Ernst Volker Staub, an einem Raubüberfall auf einen Geldtransporter 1999 in Duisburg beteiligt gewesen zu sein.

Seitdem es möglich ist, auch an ausgefallenen Haaren DNA-Analysen durchzuführen, werden die bei RAF-Anschlägen sichergestellten Beweismittel vom Bundeskriminalamt erneut überprüft. Im letzten Jahr veröffentlichte die BAW, daß durch Gen-Tests die Mittäterschaft von Wolfgang Grams bei der Ermordung von Treuhand-Chef Rohwedder und die Beteiligung von Andrea Klump bei einer Sprengstoffattacke auf einen Bus in Budapest nachgewiesen worden sei.

Mit der Wiederaufnahme eines 1993 eingestellten Verfahrens gegen Heidi R. wegen angeblicher vierwöchiger (!) Mitgliedschaft in der RAF hat die BAW ihr nun eine Vorladung zur Durchführung eines DNA-Tests zugeschickt. In einem offenen Brief mutmaßt Heidi, daß die BAW versucht, sie mit zwei bisher nicht geklärten Anschlägen von 1986 (RAF-Aktion gegen Siemens-Manger Beckurts, Aktion einer Kämpfenden Einheit gegen das Frauenhofer-Institut für Lasertechnik in Aachen) in Verbindung zu bringen.

[Quellen: taz vom 14.1.2002; Frankfurter Rundschau; Angehörigen Info 255]



Prozeß zum Bundeswehr-Gelöbnis

Das Landgericht Berlin hat in einer Berufungsverhandlung gegen zwei Leute, die am 20. Juli 1999 gegen das Bundeswehrgelöbnis protestiert hatten, die vergleichsweise milden Urteile des Amtsgerichts aufgehoben. Die GelöbNIX-Aktion habe die "Schlagkraft der Truppe" gefährdet!

Die Staatsanwaltschaft wollte unbedingt eine Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Und hatte eine wahrhaft phantasievolle Idee, wie ein Militärritual zu einer Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes wird, also vergleichbar einer Demo oder einer Kundgebung. Demnach ist ein Gelöbnis keine einheitliche Veranstaltung, sondern quasi zweigeteilt: Auf der einen Seite die Soldaten (die aufgrund der Uniformen und Bewaffnung gar keine Versammlung sein dürfen), auf der anderen Seite die Zivilisten, die nach Auffassung der Staatsanwaltschaft gestört wurden. Die Richterin stimmte dieser Einschätzung zu und verurteilte die Angeklagte zu 40 Tagessätzen.

Der zweite Angeklagte wurde zu 90 Tagessätzen verurteilt, weil er sich gegen die Festnahme durch Feldjäger gewehrt hatte. Das Argument des Anwalts: Die Bundeswehr hatte überhaupt kein Hausrecht, ergo die Feldjäger kein Recht zur Festnahme. Der Richterin aber reichte das "Gesetz zur Anwendung unmittelbaren Zwanges" als Rechtsgrundlage. Demnach dürfen Feldjäger dann zuschlagen, wenn sich jemand daran macht, die "Einsatzbereitschaft oder Schlagkraft" der Truppe zu gefährden. Die beiden Angeklagten werden gegen die Urteile Revision einlegen.

[Quelle: DFG-VK Berlin, 19.12.2001]





======================================================================


Moin, moin liebe Leute,
es hat die ersten Erkenntnisse über Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Demo in Bremen am 20. August (Global Action Day wegen Genua) gegeben. Damit wir uns ein Bild über den aktuellen Stand der Repression machen können und um - falls nötig - ein Koordinierungstreffen in die Wege leiten zu können, sollten sich möglichst alle, die ein laufendes Ermittlungsverfahren in diesem Zusammenhang haben, beim EA Bremen melden.
Wir sind wie immer über unser Postfach zu erreichen:
EA Bremen
c/o Infoladen
St.-Pauli-Straße 10-12
28203 Bremen

Mit solidarischen Grüßen
euer EA Bremen
 


Inhaltsverzeichnis Kassiber 48
Bezugsmöglichkeiten


zurück!

kombo(p) - 21.07.2002