kassiber 48 - März 2002

Beitrag von Mumia Abu-Jamal auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz, 12. Januar 2002

Die US-amerikanische Militärgerichtsbarkeit in der Neuen Weltkriegsordnung



Mumias Beitrag für diese Konferenz befaßt sich mit der Fortsetzung des Krieges mit juristischen Mitteln. Was eben auch bedeutet, mit Sondergesetzen und illegalen Mitteln, wie schon der sog. Internationale Gerichtshof in Den Haag zeigt, der den Krieg gegen Jugoslawien mit anderen Mitteln fortsetzt. Aber so, wie die USA für sich selber diesen Gerichtshof nicht anerkennen und zeigen, daß sie als imperialistische Weltmacht machen, was sie wollen, so wollen sie jetzt die Gefangenen aus Afghanistan - und künftig Somalia, Irak usw. - auf den US-Militärstützpunkt Guantanamo auf Kuba verschleppen und ihnen dort oder in anderen militärischen Sperrgebieten den kurzen Prozeß machen. Das Besondere an diesen Tribunalen ist, daß sie die bisherige Praxis aller Militärgerichte, nämlich immer nur über die eigenen Offiziere und Mannschaften zu Gericht zu sitzen, grundlegend verändern. Eine historische Ausnahme waren die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse. Bei den von der Bush-Regierung angestrebten geheimen Militärtribunalen geht es nur noch darum, gegnerische Gefangene abzuurteilen. Allerdings unter ausdrücklicher Aberkennung des Kriegsgefangenenstatus', wie er 1977 in der Novelle der Genfer Konvention auch für Kombattanten aus Befreiungsbewegungen erweitert gefaßt wurde. Die heutigen gegnerischen Angeklagten sollen weitab vom Ort ihrer Gefangennahme und ohne rechtliche oder konsularische Vertretung aus ihren Heimatländern als "normale Kriminelle" den Strafgesetzen der Kriegspartei USA unterworfen werden. So teilt sich der Planet in rechthabende Weltpolizisten und rechtlose Weltterroristen. Hören wir, was Mumia dazu zu sagen hat. (Jürgen Heiser)


In der Nachlese des 11. September 2001 hat die Bush-Administration ihre Pläne bekanntgegeben, Militärtribunale einzurichten, mit Personal auszustatten und ihre Gerichtsbarkeit in Vollzug zu setzen, um all jenen den Prozeß machen zu können, die von der US-Regierung zu "Terroristen" erklärt werden. Den Vorsitz bei diesen Kriegsgerichten und jedweder Art von Berufungsinstanzen werden Armeeoffiziere führen. Höchstrichterliche Entscheidungen am Ende eines Verfahrens werden entweder der Verteidigungsminister oder der Präsident selber treffen.

Kein Zivilrichter der US-amerikanischen Bundesgerichtsebenen wird je auch nur mit einer Silbe eines Berufungsantrages von irgendeinem der künftigen Angeklagten solcher Tribunale befaßt sein.

Die amerikanische Befindlichkeit ist derart von Raserei und die liberale Elite derart von Gleichgültigkeit erfaßt, und die Juristen haben sich derart unterwürfig vor den Machthabern in den Staub geworfen, daß nicht einmal ein Räuspern des Protests gegenüber diesem plumpen, nackten Griff nach der Macht durch die Bush-Administration zu hören war.

Es genügt nicht zu sagen, daß die Bildung solcher Gerichte den amerikanischen Grundsatz des "fairen Prozesses" ins glatte Gegenteil verkehrt. Es reicht auch nicht, darauf hinzuweisen, daß die Anwendung des Kriegsrechts in Gerichtsverfahren völlig unangemessen ist, wenn es keine formale Kriegserklärung des Kongresses gibt (natürlich hätte der Kongreß kein Problem damit, eine solche Erklärung abzugeben). Dieser Kongreß, der unter dem Eindruck der Berichte über eine Anthrax-Kontamination in ein paar seiner Büros das große Zittern bekam, peitschte dieses "USA Patriot Act" genannte Gesetz, das beispiellos, komplex und radikal in seinen repressiven Auswirkungen ist, in Rekordgeschwindigkeit durch - ohne nennenswerte Debatte, ohne öffentliche Anhörung und ohne Vorarbeit eines Ausschusses oder einer Konferenz zu diesem Thema.

Das Dekret des Präsidenten, mit dem die Bildung von Militärtribunalen angeordnet wird, stellt auf den ersten Blick einen Verstoß gegen die Verfassung dar. Tatsächlich setzt genau die Verfassungsbestimmung, die dem Präsidenten das Amt des Oberbefehlshabers der Streitkräfte zuweist, ihm auch Grenzen, was seine Entscheidungsbefugnis in juristischen Angelegenheiten betrifft. Hier ist der Wortlaut (Art II, Abschnitt 2 der Verfassung der Vereinigten Staaten): "Der Präsident ist Oberbefehlshaber über Armee und Marine der Vereinigten Staaten. ... Er erhält diese Befehlsgewalt nach Beratung und Zustimmung des Senats...; nach Beratung und Zustimmung durch den Senat ernennt er die Richter des Obersten Bundesgerichtes..."

Und in Artikel III, Abschnitt 1 der Verfassung, heißt es: "Die höchstrichterliche Gewalt der Vereinigten Staaten wird dem Obersten Bundesgericht verliehen. Die Einrichtung untergeordneter Gerichte wird von Zeit zu Zeit vom Kongreß verfügt."

Da steht es: Der Präsident, der in Absprache mit dem Senat handelt, ernennt die Richter des Obersten Bundesgerichts, und der Kongreß ordnet die Einrichtung neuer Gerichte an. Der Kongreß kann diese Aufgabe nicht an die Exekutive abtreten.

Mit dem Dekret des Präsidenten hingegen werden Gerichte gebildet, deren Beamte allesamt der direkten Kontrolle und dem Kommando des Präsidenten unterstehen. Das ist die klassische Form des ungesetzlichen Inquisitionsgerichts, das von den Amerikanern verurteilt wurde, als zum Beispiel das Fujimori-Regime es in Peru einrichtete - interessanterweise zum Kampf gegen den "Terrorismus".

Damit soll jetzt hier kein falsches Lob auf die US-Zivilgerichte ausgesprochen werden, die auch von ihrem Wesen her politische Institutionen sind. Haben wir das Verfahren gegen den Oklahoma-Attentäter Tim McVeigh schon wieder vergessen, den inländischen Terroristen? Im späteren Verlauf des Verfahrens war bekannt geworden, daß das FBI bis wenige Tage vor McVeighs Hinrichtung mehrere tausend Seiten Akten und Dokumente zurückgehalten hatte. Die Zivilgerichte taten diesen Gesetzesverstoß als geringfügige Lappalie ab. Und während die Regierung mit der Hinrichtung McVeighs ihr Ziel klar erreicht hatte, waren ihr die Berichte über die Art und Weise, wie der Fall behandelt worden war, noch höchst peinlich. Damit ist heutzutage nicht mehr zu rechnen.

Unter der Bush-Regierung fungieren die Militärtribunale als Instrumente der politischen Laune der Administration. Im Rahmen der militärischen Kommandostruktur untersteht jeder Richter, jeder Geschworene, jeder Ankläger und jeder Beamte des Gerichts dem militärischen Eid und ist deshalb verpflichtet, seinem Oberbefehlshaber treu zu dienen. Wer Karriere in den Streitkäften machen will und sich Fürsprache seiner Dienstherren erhofft, muß den Anweisungen seiner Vorgesetzten folgen. Wie werden sich diese Leute wohl gegenüber einem ausländischen Angeklagten verhalten, der bereits zum "Feind" abgestempelt wurde? Wie sähe wohl das Ergebnis aus, wenn entweder Präsident Bush, der Verteidigungsminister oder eine andere Institution des Militärs als das Oberste Berufungsgericht zu fungieren hätte? Aber die Beschuldigten sind ja nur - um einen populären Ausdruck zu benutzen - "Wüsten-Nigger": Araber, Pakistani, ein paar Afghanen, warum also die ganze Aufregung?!

Ähnliche Argumente waren zu hören, als in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts russische Juden nach Unruhen aus den USA ausgewiesen wurden, oder in den 40er Jahren, als man Japaner in amerikanische Konzentrationslager sperrte. Sie waren halt alle "kommunistische Juden" oder "Schlitzaugen".

Das waren isolierte Ereignisse, so heißt es, betraf ja "andere" - aber damit wurden ordentliche Gerichtsverfahren und der amerikanische Grundsatz des "Fair Play" bis in die heutige Generation mit einem Makel behaftet.

Laßt uns diesen Wahnsinn bekämpfen, oder er wird uns alle heimsuchen.


Mumia Abu-Jamal
SCI Greene, Todestrakt, 29. Dezember 2001


Übersetzung und Einleitung: Jürgen Heiser
 


Inhaltsverzeichnis Kassiber 48
Bezugsmöglichkeiten


zurück!

kombo(p) - 21.07.2002