kassiber 48 - März 2002

Editorial

Die gute Nachricht vorneweg: Der kassiber kostet jetzt nur noch drei Euro statt fünf Mark. Okay, tut uns leid - eigentlich ist damit nicht zu scherzen. Als aufrechte Währungsgewinnler kommen wir Euch dafür nicht mit billigen Ausflüchten für den Preisaufschlag, wie z.B. der Lebensmittelhandel mit seinem Gejammer über den Frost in Spanien oder sonstwo. Wir geben zu, wir brauchen das Geld. Und zwar weder für löcherlose Winterpullis noch für modische Wärme-Sitzkissen oder türkise Pullunder, sondern für coole T-Shirts ... nein, Quatsch, einfach zur Herausgabe dieser Zeitschrift. Seit 1995 hatten wir den Preis nicht mehr erhöht, während Druckereien, Reprostudios, Post und andere immer mehr Geld von uns haben wollten. Bei 2,56 Euro würde das Loch in unserer Kasse ständig größer werden und bei zum Beispiel 2,70 Euro würden die HandverkäuferInnen - wegen des schweren neuen Kleingelds - streiken. Nach sieben Jahren Kontinuität nun also doch mal wieder eine Veränderung beim kassiber. Was bleibt, ist die Kriegs-Titelseite. Auch wenn das inzwischen kaum noch eine/r sehen will.

Und andere - siehe TITEL - wollen wohl auch nicht wahrhaben, daß ein Wort ausreicht, um ihren politischen Absturz zu dokumentieren. So wurde im letzten Jahr aus dem Plakat- Klassiker gegen den Vietnamkrieg, der so einige WG-Küchen der 68er schmückte, eine gelungene Satire, die die Kriegspolitik der sich ehemals friedensbewegt gebenden Sozis und Grünen seit Kosovo - und jetzt auch außereuropäisch - auf den Punkt bringt.

Oder geometrisch gesehen besser auf die Achse? Die Fixpunkte für den momentanen Verlauf der "Achse des Bösen" (George W. Bush) sind jedenfalls genau definiert: Im angeblichen Anti-Terror-Krieg wollen die USA "VERGELTUNGSSCHLÄGE" AUCH GEGEN DEN IRAK, Iran und Nordkorea. Währenddessen ist, auch ohne Erwähnung in Bush' Januar-Rede an die Nation, die Austreibung des Bösen auf den Philippinen, nämlich der "islamistischen" Abu-Sayyaf-Organisation, schon in vollem Gange. Doch das dortige "Manöver" der US-Spezialtruppen läuft zumindest vorerst nicht ganz wie geplant. Eine der den blutigen Exorzismus vorbereitenden US-amerikanischen Aufklärungen aus der Luft endete jedenfalls abrupt - Rebellen, Medienberichten zufolge "kommunistische", hatten die Maschine unversehens vom Himmel geholt. Und die GIs wurden auch noch ob dieser unerwarteten Feindseligkeit in einem ihrer ehemals (und wieder) größten Militärstützpunkte mit einem Ausgangsverbot bestraft.

Wie die Philippinen, denn hier wird es den neuen Krieg wohl nur in den von den Abu Sayyaf kontrollierten Gebieten geben, steht auch AFGHANISTAN NACH DEM "PETERSBERG-ABKOMMEN" nur noch ein bißchen unter der Macht des Bösen, weshalb aber die - allerdings längst aus den Schlagzeilen verschwundenen - Bombardements in bestimmten Regionen des Landes weitergehen müssen. Doch DER NEUE FRIEDEN DER ALTEN KRIEGSHERREN, inzwischen zu hoffnungserweckenden Diplomaten geadelt, läßt sich an klaren zivilisatorischen Fortschritten messen. Hinrichtungen zum Beispiel werden jetzt durch kleinere Steine "gerecht und milde". Kein Wunder, wo Deutschland die Finger mit anlegt, wird eben etwas Ordentliches daraus. So hatte Rot-grün nicht nur zur Konferenz auf dem Petersberg eingeladen, die Verbindungen VON BERLIN NACH KABUL seien traditionell gut, rühmt man sich hier. Anders gesagt: DIE DEUTSCHE EINMISCHUNG IN AFGHANISTAN HAT EINE FAST HUNDERTJÄHRIGE TRADITION.

Überhaupt: DIE BUNDESREPUBLIK MISCHT KRÄFTIG MIT in der neuen Weltkriegsordnung, nicht nur diplomatisch, sondern auch militärisch. Deutsche Soldaten sind in diesen Wochen nicht nur Leader im NATO-Protektorat Mazedonien, sondern stehen in allen möglichen Gegenden dieser Welt, in die nicht einmal ihre Großväter vorgedrungen waren: in Afghanistan und Usbekistan, Kuwait, am Horn von Afrika sowie in Dschibuti und Kenia und wer weiß noch wo.

Und was ist mit den afghanischen Frauen? Schließlich wurde der KRIEG IM NAMEN DER FRAUENRECHTE zumindest auch geführt. "Lächerlich!", meinte eine Vertreterin der afghanischen Frauenorganisation RAWA, der angeblich einzigen ZIVILEN OPPOSITION GEGEN DAS REGIME der Taliban, bei einem Gespräch Mitte Dezember in Bremen. Wer wie die neuen Machthaber die Verschleierung 1992 erst wieder eingeführt habe, werde wohl 2002 kaum auch nur die grundlegendsten Rechte für die Frauen sichern wollen.

Was wir nicht verstehen: Warum liegt Somalia nicht auf der "Achse des Bösen"? Reichen die Ölvorkommen dort nicht für eine ordentliche Bosheit, die man ihnen anhängen kann, oder ist selbst unsere Bundeswehrmachts-Flotte in der Lage, von ihren Schiffen aus das Böse zu bannen? Und: Wie sieht das Böse aus? Fährt es auf Schmuggel- und Flüchtlingsschiffen durch die wichtigsten Handelsrouten dieser Welt? Müssen wir es uns eher wie drei unauffällig lebende, Arabisch sprechende E-Technikstudenten vorstellen, die böserweise ihren Kaffee aus anderen Ländern importieren, und für die jetzt extra der alte §129a StGB um einen ganzen Satz (und damit Hunderttausende Verdächtige) erweitert werden mußte zum "SESAM-ÖFFNE-DICH" FÜR DEN STAATSSCHUTZ? Oder ähnelt es doch eher hier lebenden MigrantInnen ohne technische Ausbildung, bei deren Abschiebung es immer wieder Schwierigkeiten geben soll?

So entzog sich auch der stadtbekannte El Sharif alias Henning Scherf vorletzten Sonntag mitsamt seiner Gemahlin der im Morgengrauen mit 150 Leuten vor seiner Unterkunft angetretenen "Abschiebebehörde". Die kurdisch-libanesische Familie El-Zein allerdings läßt sich nun, da ein Großteil ihrer Mitglieder verhaftet wurde, "freiwillig" in die Türkei abschieben (www.libasoli.org).

Es ist schon fatal: Unter "Terror" konnte mensch sich ja noch was vorstellen. Aber das "Böse"? Irgendwie fällt einer/m dann eben doch bloß DER BÖSE, BREMENS INNENSENATOR, ein, der sich nach wie vor FINSTER ENTSCHLOSSEN gibt. Und dann vielleicht noch die Hamburger Koksnase mit ihrer CSU DES NORDENS.

Genug der bösen Worte! Gedealt wird schließlich auch in der Hauptstadtmetropole. Während die Zwischenbetrachtung zum BERLINER RZ-PROZESS 24 Monate nach den Verhaftungen noch ZWEI JAHRE JUSTIZSKANDAL - UND KEIN ENDE resümiert, hat sich dort kürzlich überraschendes getan. Mit der Einlassung von Rudolph Schindler wurde der KRONZEUGE DEMONTIERT, auf dessen Aussagen die Anklage größtenteils beruht. Rudolph Schindler und Sabine Eckle wurden, wie vorher mit Gericht und Bundesanwaltschaft ausgehandelt, aus der Untersuchungshaft entlassen. Bleibt nur zu hoffen, daß dem bald die Freilassung der drei anderen Angeklagten folgt.


Die Redaktion, 4. Februar 2002


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kombo(p) - 21.07.2002