kassiber 48 - März 2002

Ausstellung: "Aktion 3: Deutsche verwerten ihre jüdischen Nachbarn"

Das deutsche "Shoah-Business"


Im März 1942 wird bei einer der inzwischen häufigen öffentlichen Versteigerungen wieder einmal ein kompletter Hausstand angeboten: Vom Küchengeschirr bis zum Bettzeug, vom Koffer bis zur Badewanne ist alles zu einem Spottpreis zu haben. In der Bekanntmachung des Finanzamtes Grevenbroich werden auch die vormaligen BesitzerInnen genannt: "Israel" Leopold Lion, "Sara" Reeha Rothenberg, "Israel" Valentin Lion. Als Grund für die Versteigerung wird die "11. Durchführungsverordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941" genannt. So wurden Versteigerungen jüdischen Besitzes auch in der Tagespresse im ganzen Reich bekanntgemacht.

Einen Einblick in die Akten jener Zeit, den Schriftverkehr des Kölner Oberfinanzpräsidiums mit anderen Dienststellen in der Sache der "Abschiebungen nach dem Osten" genannten Deportationen und der "Verwertung des Vermögens von Reichsfeinden", aber auch in die Protokolle und Listen der unzähligen Versteigerungen jüdischen Hausrats, samt ihren ErwerberInnen gab die Wanderausstellung "Aktion 3: Deutsche verwerten ihre jüdischen Nachbarn" vor kurzem in Bremen. Einen besseren Einblick in Quellen und Thematik bietet allerdings der Begleitband zur Ausstellung, da die Ausstellung selbst allzu puristisch gestaltet wurde und bis auf eine etwas ungeordnete Ansammlung von Aktenreproduktionen, die teilweise auch nicht gut einsehbar präsentiert wurden, wenig zu bieten hatte.

Der Ausstellungsmacher, der Politologe Wolfgang Dreßen, hatte zum hier behandelten Detail der nationalsozialistischen Ausgrenzungs- und Vernichtungspolitik Akten aus dem Kölner Oberfinanzpräsidium eingesehen, die noch immer nicht offiziell freigegeben waren. Nur unter strengen Auflagen durfte das offiziell als "Steuerakten" deklarierte Material gesehen werden und es musste zugesichert werden, bei einer Veröffentlichung sämtliche Namen aus den Akten zu schwärzen. Immer noch werden in vielen Finanzämtern Deutschlands die Akten, welche die "Verwertung des jüdischen Vermögens" betreffen, unter Verschluß gehalten. Gerade die Einziehung und Versteigerung jüdischen beweglichen Besitzes konnte und sollte nach dem Krieg kaum in den "Wiedergutmachungs"-Prozeß mit einbezogen werden. Demgemäß ist auch heute noch den zuständigen Landesregierungen und Behörden nicht daran gelegen, das Ausmaß des damaligen Raubes und vor allem die Namen seiner AkteurInnen offenzulegen. Eine Flut neuer Rückerstattungsanträge könnte sonst die hiesigen Eigentumsverhältnisse nachhaltig in Unruhe bringen. Auch innerhalb der deutschen Familien würde dann neben "Opa, wo warst du im Krieg?" auch "Oma, woher kommt dieser Schrank?" gefragt werden müssen ...

Da mit der kompletten Dokumentation der Akten aus dem Oberfinanzpräsidium in der Ausstellung jedoch auf die Auflagen des Archives nicht eingegangen wurde, war Ausstellungsmacher Dreßen umgehend als wissenschaftlicher Outlaw gebrandmarkt: Einige Kollegen aus der HistorikerInnenzunft schimpften ihn unseriös und, natürlich, tendenziös. Das Finanzamt verschloß seine Akten nun erst recht, die Berliner Humboldt-Universität lehnte kurzfristig das Angebot, die Ausstellung in ihren Räumen zu zeigen, ab.

Dabei war Dreßens Tabubruch eine gezielte Aufforderung gegen das Verschweigen und dafür, sowohl Tätern als auch Opfern der Shoah einen Namen zu geben. Gab es auf Täterseite in der öffentlichen Wahrnehmung nur die abstrakten Figuren, die sich, eingebettet im institutionellen Rahmen der "barbarischen" Kollektive wie Gestapo, SA und SS, neuerdings auch Teilen der Wehrmacht, nur schemenhaft konturierten, so verschwanden die Akteure der alltäglichen Verfolgung und Ausgrenzung, des einfachen und unhinterfragten Profits hinter den Verleugnungsstrategien einer ganzen Generation und hinter dem staatlichem Anonymisierungsgebot für die deutschen Archive. Dabei müssen gerade in diesem wichtigen Feld der Alltagsgeschichte des Nationalsozialismus und der Shoah Namen genannt werden, damit die Auseinandersetzung hierzu die hiesige Gesellschaft erreicht. In diesem Zusammenhang ist jede Anonymisierung TäterInnenschutz.

Paradigmatisch sind die Akten der Ausstellung für Bremen. Auch in Bremen wurde zur Versteigerung des Hausrates der "in den Osten abgeschobenen" Juden und Jüdinnen eingeladen. Jeder und jede wußte bei der Ersteigerung, woher die Schnäppchen stammten: Die Namenszusätze "Israel" und "Sara" sprachen eine ebenso deutliche Sprache wie das rechtsstaatliche Konstrukt der Einziehung des Vermögens von "Reichsfeinden".

Auch in den Bremer Zeitungen wurde die Einziehung von jüdischem Hausbesitz - nach der Deportation der Bremer Juden und Jüdinnen am 18. November 1941 in die Vernichtung nach Minsk - bekanntgegeben. Es folgten die Versteigerungen jüdischen Hausrates und Umzugsgutes derer, denen die Flucht gelungen war.

Und alle, die lesen konnten oder zumindest Mund und Ohren hatten, wußten, daß mit der Wiederkehr der jüdischen NachbarInnen nicht mehr zu rechnen war. Was heißt in diesem Zusammenhang noch, niemand hätte von irgendetwas gewußt? Was glaubten die Deutschen zu jener Zeit, wohin es die Juden und Jüdinnen verschlagen hatte, denn daß es "in den Osten" ging, war allgemein bekannt. Das Wissen von der Vernichtung war nicht en détail vorhanden, doch zumindest strukturell: Sie würden nicht wiederkommen; sie hatten alles dagelassen; eine Umsiedlung nahe der Kriegsfront war verdächtig. Und war nicht auch die Einweisung in ein Arbeitslager im Osten, an die viele Deutsche glauben wollten, nicht offenkundig auch eine "Vernichtung auf Zeit"?

Wir wissen, daß es sich viele Deutsche nicht entgehen lassen wollten, von der Hinterlassenschaft der deutschen Juden und Jüdinnen einen Teil abzubekommen. Dies begann schon mit den ersten "Arisierungen" und Berufsverboten nach 1933, die für etliche "ArierInnen" neue Karrierechancen oder wirtschaftliche Expansion bedeuteten. Das neu zu verteilende jüdische Kapital verhalf auf diese Weise der deutschen Wirtschaft zu einer spekulativen Ersatzkonjunktur.

Hierbei überließ der NS-Staat einen Teil seiner wirtschaftlichen Maßnahmen gegen die Juden und Jüdinnen der Umsetzung durch die "freie" Wirtschaft, da er sich als bürgerliche Herrschaftsform auf die ungebrochene Kraft der kapitalistischen Akkumulation verlassen konnte. Solange die Ziele der nationalsozialistischen Politik dabei im wesentlichen umgesetzt wurden, tat ein weiteres Eingreifen nicht Not. Zudem sollten die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse nicht durch ein Übermaß an staatlichen Eingriffen gefährdet werden. So verlief der Raub jüdischen Besitzes im klar definierten gesetzlichen Rahmen, alle deutschen ProfiteurInnen konnten sich darauf berufen, nach "Recht und Ordnung" gehandelt zu haben. Sie konnten es sich sogar auf die Fahne schreiben, in dieser Hinsicht mußten sie nicht einmal mit den brutalen Übergriffen der SA einverstanden sein. So macht sich hier weniger eine pogromartige Verfolgung bemerkbar als vielmehr ein gepflegter Scheckbuch-Antisemitismus.

Inwieweit alle, die jüdisches Eigentum ersteigert oder "arisiert" haben, aus antisemitischer Motivation gehandelt haben, läßt sich schwer sagen, zunächst überwog wohl der Wunsch nach Bereicherung. Verleugnen kann sich jedoch niemand mehr, der oder die damals leichtherzig zugegriffen hat, und so bleibt auch die Frage, warum sich auch nach dem Krieg kein Unrechtsbewußtsein bei den BesitzerInnen ehemals jüdischer Autos, Möbel oder Häuser eingestellt hat. Wenn nicht alle, die im nationalsozialistischen Alltag an der Verfolgung der Juden und Jüdinnen beteiligt waren, in welcher Form auch immer, als von einem virulentem Antisemitismus beseelt gelten können, so zeigten sie doch in großem Maße eine tödliche, antisemitische Indifferenz, gepaart mit der Hoffnung auf eine Bereicherungsmöglichkeit in einer bürgerlichen Gesellschaft.


Günther Feind


Das Buch zur Ausstellung: Wolfgang Dreßen, "Betrifft: Aktion 3. Deutsche verwerten ihre jüdische Nachbarn", Aufbau Verlag, Berlin 1998.
 


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kombo(p) - 21.07.2002