kassiber 48 - März 2002

2002: Mehr Kriege und steigende Rüstungsausgaben und Waffenexporte

Die Bundesrepublik mischt kräftig mit


Die Debatte um Kriege gegen weitere Länder über Afghanistan hinaus hat begonnen. US-Präsident Bush hat bereits die erste Stufe auf der Eskalationsleiter mit Warnungen und Drohungen betreten: Der Irak solle wieder UN-Inspektoren zulassen, "um der Welt zu beweisen, daß er keine Massenvernichtungswaffen entwickelt" (1). Der Irak lehnte dies postwendend ab.

Kriegsziele werden in den US-Medien offen gehandelt: Der US-Vize-Verteidigungsminister Wolfowitz und der frühere CIA-Direktor Woolsey äußerten, "die Stunde der Abrechnung mit Saddam habe geschlagen" (2). Zahlreiche Leitartikel legten Bush nahe, "in Bagdad zu tun, was sein Vater versäumt habe" (3). Dahinter steht nach wie vor der Wunsch nach Kontrolle über die Erdölreserven des Irak, immerhin die zweitgrößten der Erde.

Welche zeitliche Dimension der Showdown haben könnte, läßt sich derzeit nicht absehen. Da die Arabische Liga einen Angriff auf den Irak "kategorisch abgelehnt" (4) hat, andernfalls mit dem Auseinanderbrechen der "Anti-Terror-Koalition" drohte, die Europäische Union laut Fischer einem Irak-Krieg "mit äußerster Skepsis gegenüber" (5) steht, wird ein Angriff zuerst auf noch andere Länder eher wahrscheinlich. Die US-Regierung klagte Nord-Korea, Libyen, den Iran, Syrien und den Sudan als Länder an, heimliche Massenvernichtungswaffen-Projekte zu betreiben. In etwa 50 Ländern seien Zellen von Al-Qaida-Aktivisten ausgemacht worden.


Somalia zuerst?

Somalia gerät zunehmend ins Blickfeld. Wie im Irak gibt es auch hier offene Rechnungen der USA. Islamisten sollen im Jahr 1993 maßgeblich an der Tötung US-amerikanischer Soldaten beteiligt gewesen sein. Vor allem jedoch sind in Somalia neben der geostrategischen Lage die Erdöl- und Erdgasreserven von herausragender Bedeutung. Über uneingelöste Förderkonzessionen in zwei Dritteln des somalischen Territoriums verfügen die vier US-Ölkonzerne Conoco, Amoco, Chevron und Phillips (6) noch aus der Zeit der Barre-Diktatur. In einer Studie der Weltbank aus dem Jahre 1991 zu den Weltölvorkommen "wird Somalia an erster Stelle unter denjenigen acht afrikanischen Ländern geführt, in denen reiche Erdölvorkommen vermutet werden. Dazu der Ölfachmann der Weltbank, O'Connor: '(...) Es gibt keinen Zweifel daran, dass es in Somalia Ölvorkommen gibt.'" (7)

Anfang Dezember 2001 wurde der US-amerikanische Assistenzstaatssekretär für Afrika, Kansteiner, bei seiner Suche in Afrika nach möglichen Verbindungen zwischen Osama bin Laden und Extremisten in Somalia mit den Worten zitiert: "Sollten sich derartige Verbindungen bestätigen, sei ein Militärschlag gegen Somalia wahrscheinlich." (8)

Und später war von ihm zu vernehmen: "Es (Somalia) könnte ein Ort sein, an dem terroristische Zellen ein bequemes Umfeld finden." (9) Mit der fadenscheinigen Begründung, "Fluchtversuche Bin Ladins oder anderer Al-Qaida-Terroristen (...) zu verhindern", haben die USA Anfang Dezember 2001 "mit Patrouillen der Gewässer und des Luftraums um Somalia begonnen" (10). Die britische Sonntagszeitung The Observer berichtete sogar von "mehreren Aufklärungsflügen" der US-Marines über Somalia (11).


Irakangriff unbegründet

Eins fehlt den Kriegstreibern in den USA in jedem Fall: eine stichhaltige Begründung für einen Angriff auf den Irak. Zwar beschuldigte der US-Abrüstungsbeauftragte, Bolton, zu Beginn der fünften Überprüfungskonferenz zur Bio-Waffen-Konvention in Genf "deutlicher denn je den Irak (...), ein Programm zur Produktion von Kampfmitteln aus Krankheitserregern zu unterhalten, (...) vermied aber jeden eindeutigen Hinweis darauf, ob womöglich der Irak das Terrornetz von Osama bin Laden schon mit Biowaffen versorgt habe" (13). Der britische Verteidigungsminister Hoon stellte Ende November fest: "Ich habe keine Beweise gesehen, die den Irak direkt mit Al Qaida in Verbindung brächten." (14) Und der FBI-Abteilungsleiter für internationale Terrorismusbekämpfung, Rolince, gab bei der Herbsttagung des Bundeskriminalamts Mitte November in Wiesbaden zu Protokoll, die US-amerikanische "Bundespolizei FBI hat keine Hinweise darauf, daß Staaten zu den Anschlägen vom 11. September beigetragen haben" (15).

Wie auch immer, die Druckempfindlichkeit der Regierung scheint, insbesondere bezogen auf den Irak, größer zu sein als noch bei Jugoslawien und Afghanistan. Allerdings wird diesmal weniger gezögert. In Kenntnis der Bedenken in der "Anti-Terror-Koalition" forderten Anfang Dezember die einflußreichen republikanischen Kongreßabgeordneten Lott, Helms und McCain sowie der einstige Vizepräsidentschaftskandidat der Demokraten, Senator Lieberman, in einem Brief an Bush den Präsidenten "zu einer entschiedenen 'Beseitigung der Bedrohung' durch Saddam Hussein auf. (...) Wir glauben, daß wir Saddam eher früher als später konfrontieren müssen." (16)


Bundeswehr soll Angriffsarmee werden

Ungeachtet dieser offenen Debatte läuft das Programm Aufrüstung der Bundeswehr zur weltweiten Kriegsführungsfähigkeit weiter. Das Kabinett hatte im Juni 2000 die Verdreifachung der sogenannten Einsatzkräfte der Bundeswehr auf 150.000 Mann bis 2006 beschlossen (17).

Die "Einsatzkräfte" sollen entsprechend neue Waffen und Ausrüstungen bekommen. Dazu hat der Generalinspekteur im März 2001 ein nicht für die Öffentlichkeit bestimmtes neues Material- und Ausrüstungskonzept (MatKonz) (18) erlassen. Darin listet er 213 Rüstungsprojekte auf. Nach Expertenschätzungen belaufen sich die Kosten dafür auf 220 Milliarden Mark bis 2015 (Preisstand 2000). (19) Bei Preissteigerungen, die zwischen zwei und sechs Prozent jährlich liegen können, (20) sind nach 15 Jahren 300 Milliarden Mark nur für neue Waffen und Ausrüstungen nicht unwahrscheinlich. Dies würde den Posten für Beschaffungen, der derzeit um sieben Milliarden Mark im Jahr liegt, auf durchschnittlich 20 Milliarden Mark pro Jahr explodieren lassen.

Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Glos, nutzte Mitte September die auf Krieg orientierende innenpolitische Debatte und forderte die Bundesregierung auf, "'mehrstellige Milliardenbeträge' bereitzustellen, um die Bundeswehr so auszustatten, daß sie in der Lage ist, den Solidaritätsanforderungen der NATO gerecht zu werden" (22).

Auf den ersten Blick scheinen die Militärausgaben unter Rot-Grün zu sinken. Der Ausgabenplan für das Jahr 2002 in Höhe von 46,2 Milliarden Mark liegt um rund 600 Millionen Mark unter dem Plan-Soll des Jahres 2001. Hier wird jedoch getrickst. Denn der Verteidigungshaushalt deckt künftig nicht mehr alle Ausgaben, die die Bundeswehr tatsächlich hat. Jene werden von "Beteiligungsgesellschaften" übernommen, die aus der Liason von Bundeswehr und privaten Unternehmen Anfang 2002 hervorgehen sollen.

Die Erneuerung des Fahrzeugparks (Einspareffekt 400 bis 500 Millionen Mark pro Jahr), die Renovierung von Liegenschaften (Einsparung 1,5 Milliarden Mark) und die Erneuerung der gesamten Informationstechnik (Einsparung 1 Milliarde Mark) werden nicht mehr aus dem Verteidigungshaushalt finanziert (23). Zusammen mit den 1,5 Milliarden Mark aus dem "Sicherheitspaket" peilt Scharping im kommenden Jahr die 50-Milliarden-Mark-Grenze an. So hoch waren die nominellen Rüstungsausgaben seit zehn Jahren nicht mehr. Tendenz steigend. Der Präsident des Bundesverbandes der Luft- und Raumfahrtindustrie, Hertrich, gleichzeitig Chef der EADS, forderte Anfang November, "den Verteidigungsetat deutlich um zwei bis drei Milliarden Euro im Jahr aufzustocken" (24).


Deutscher Waffenexport boomt

Um die gigantische Aufrüstung zu finanzieren, wird nicht vor massivem Export ausgedienter Bundeswehrwaffen zurückgeschreckt. Scharpings Liste ist zu lang, um sie hier darzustellen. Hervorzuheben sind jedoch die 699 Leopard 1-A5-Kampfpanzer, 589 Schützenpanzer Marder, 267 Flakpanzer Gepard, 181 Panzerhaubitzen, 72 Phantom-Kampfbomber, 54 Tornados, zwei U-Boote und zwei Zerstörer (25). Von restriktiver Rüstungsexportpolitik, die sich Rot-Grün auf die Fahnen geschrieben hat, kann wahrlich keine Rede sein. Über den Daumen fünf Milliarden Mark würde der Waffenexport in den Verteidigungshaushalt spülen, wenn Scharpings Mannen Verkaufserfolg hätten.

Neben den steil ansteigenden Rüstungsausgaben wird auch der Waffenexport real anwachsen. Zwar ist im Jahr 2000 der Wert der realen Waffenexporte um mehr als die Hälfte auf 1,33 Milliarden Mark gegenüber 1999 gefallen, jedoch ist der Wert der genehmigten Ausfuhren auch im Jahr 2000 mit 5,57 Milliarden Mark (26) annähernd so hoch wie in den Jahren zuvor. Somit muß in den kommenden Jahren wieder mit einem erheblichen Anstieg der realen Waffenexportausgaben gerechnet werden, denn die Genehmigungen für Waffenexporte liegen seit Jahren drei bis vier Mal über dem Wert der realen Ausfuhren.


EU-Armee deutscher Prägung

Bis zum Jahr 2003 soll die schnelle Eingreiftruppe der Europäischen Union (EU) stehen, die bis zu einer Korpsgröße von 60.000 Mann binnen 60 Tagen komplett verlegefähig sein soll und dann bis zu einem Jahr durchhalten kann. Die sogenannten Petersberger Aufgaben umfassen Peace-Keeping, Evakuierungen, humanitäre Hilfe und Kampfeinsätze. Zusammen mit 400 Flugzeugen und 100 Schiffen käme die Truppe auf 80.000 Mann.

Rot-Grün war sehr aktiv bei der Militarisierung der EU-Außenpolitik. Sie hat 18.000 Mann fest angeboten und hat damit das größte nationale Kontingent, gefolgt von Frankreich mit 12.000 Soldaten. (27) Die deutschen Ambitionen werden noch an zwei weiteren Faktoren deutlich: Insgesamt soll es einen Pool von 100.000 Soldaten geben, aus dem dann spezifische Kontingente zusammengestellt werden. Dafür stellt Deutschland 32.000 Mann zur Verfügung. Und der Chef des EU-Militärstabs ist ein Deutscher: Generalleutnant Schuwirth. Der Militärexperte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), Feldmeyer, fürwahr kein Freund von Rot-Grün, konstatiert, Deutschland untermauere "den Anspruch (...), die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu prägen" (28). Man kann es auch so sagen: Die deutsche Außenpolitik versucht, die militarisierte Europäische Union für ihre eigenen Interessen einzusetzen.


CDU/CSU will Bundeswehr abschaffen

Dabei gibt die CDU/CSU die weitere Marschrichtung vor: In einem "Europa-Papier" von Ende November 2001, das von Schäuble unter Bocklet (CSU) verfaßt wurde, wird die Übertragung der Zuständigkeit für die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik von den Nationalstaaten auf die Europäische Union gefordert. Die FAZ berichtet: "Der CSU-Vorsitzende Stoiber beantwortete die Frage mit ja, ob dies die Auflösung des Auswärtigen Amts und des diplomatischen Dienstes sowie des Verteidigungsministeriums und der Bundeswehr einschließe. Er fügte aber hinzu, daß es bei der Union noch keine zeitlichen Vorstellungen gebe." (29) Provokativ überschrieb Feldmeyer seinen Bericht "Union will Bundeswehr abschaffen".

Danach, welche Größenordnungen eine Militärmacht Europäische Union habe solle, wurde die anwesende CDU/CSU-Spitze wohl nicht gefragt. Jedoch ist davon auszugehen, daß nach CDU/CSU-Vorstellung der deutsche Anteil in einer EU-Militärmacht möglichst groß sein soll. Denn die Partei der Remilitarisierung und Aufrüstung Deutschlands und der Aufrüstung der Bundeswehr zur Interventionsfähigkeit, ist die Partei, der die Bundeswehr nie groß genug sein konnte. Abrüstungsschritte sind ihr nicht zuzutrauen. Sie entfacht damit ein innereuropäisches Wettrüsten um das größte Gewicht innerhalb einer künftigen EU-Militärmacht.

Dahinter verbirgt sich noch das ungelöste Problem einer EU-Atommacht, denn die nationalen Atomarsenale Frankreichs und Großbritanniens müßten dann wohl auch einer vergemeinschafteten Verfügung unterworfen werden. Damit steht (noch) unausgesprochen der Kampf um die Welthegemonie zwischen der Europäischen Union und den USA auf der Tagesordnung.


Lühr Henken


Lühr Henken ist Sprecher des Hamburger Forums für Frieden, Völkerverständigung und weltweite Abrüstung sowie Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag


aus: www.friedensratschlag.de (Der Text wurde von der kassiber-Redaktion leicht überarbeitet.)


Annmerkungen:
(1) Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 27.11.2001.
(2) Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 23.11.2001.
(3) Ebd.
(4) FAZ vom 29.11.2001.
(5) NZZ vom 29.11.2001.
(6) FAZ vom 20.1.1993: Wirtschaftsinteressen in Somalia.
(7) Ebd. Conoco und Phillips vereinbarten im November 2001, nach Exxon-Mobil zum zweitgrößten Ölkonzern der USA zu fusionieren (Platz 6 weltweit).
(8) NZZ vom 7.12.2001.
(9) FAZ vom 10.12.2001.
(10) Ebd.
(11) ARD-Videotext, Tafel 121, 9.12.2001.
(12) entfällt aufgrund der redaktionellen Überarbeitung
(13) FAZ vom 20.11.2001: Amerika: Irak hat Biowaffen-Programm.
(14) FAZ vom 30.11.2001: London und Paris gegen Angriff auf Irak.
(15) NZZ vom 15.11.2001.
(16) FAZ vom 7.12.2001.
(17) Die Bundeswehr sicher ins 21. Jahrhundert - Eckpfeiler für eine Erneuerung von Grund auf, hrsg. vom Bundesministerium der Verteidigung, 1. Juni 2000, 44 Seiten (www.Bundeswehr.de).
(18) Vgl. Lühr Henken, Geldbedarf und Geldbeschaffung der Bundeswehr, Studie vom 15.7.2001; www.imi-online.de
(19) www.geopowers.de
(20) Generalinspekteur Kirchbach; in: Eckwerte für die konzeptionelle und planerische Weiterentwicklung der Streitkräfte, 23.5.2000, 56 Seiten, S. 45.
(21) entfällt aufgrund der redaktionellen Überarbeitung
(22) FAZ vom 19.9.2001.
(23) FAZ vom 27.10.2001.
(24) FAZ vom 6.11.2001.
(25) Weitere Waffensysteme aus dem 46-seitigen, reich bebilderten Katalog an die deutschen Verteidigungsattachés in 53 Ländern unter: www.bild.de/service/archiv/2001/nov/18/news/waffen/waffen.html
(26) Bundeswirtschaftsministerium, Rüstungsexportbericht 2000, 113 Seiten, S. 14 (www.BMWi.de). Einzelgenehmigungen in Mrd. DM: 4,03 (1997), 5,62 (1998), 5,92 (1999). Reale Ausfuhr von Kriegswaffen in Mrd. DM: 1,38 (1997), 1,34 (1998), 2,84 (1999).
(27) Vgl. Die Europäische Union auf dem Weg zur Weltmacht? In: Bundesausschuß Friedensratschlag (Hrsg.) Friedensmemorandum 2001, Kassel 2001, 91 S., hier: S. 67-72, s. www.Friedensratschlag.de
(28) Karl Feldmeyer, FAZ vom 20.11.2001.
(29) FAZ vom 27.11.2001: Union will Bundeswehr abschaffen.
(30) 16.11.2001: Bereitstellung von 3.900 Soldaten gegen Afghanistan; 14.12.2001: Verlängerung des Mazedonieneinsatzes für 600 Soldaten als Leadnation; 22.12.2001: Einsatz in Bataillonsstärke in Kabul und Umgebung.
 


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