kassiber 47 - Dezember 2001

Zur Kriminalisierung der linken Szene im Landkreis Rotenburg/Wümme

Unglaubliche Geschichten


In Rotenburg/Wümme, einer kleinen malerischen Gemeinde zwischen Bremen und Hamburg, und dem dazugehörigen Landkreis wurden am 16. Juli 2001 gegen neun Personen Ausreiseverbote für den Zeitraum vom 17.-23. Juli 2001, ausgestellt, für die Zeit des G-8 Gipfels in Genua also. Diese Ausreiseverbote waren mit der Auflage versehen, sich zweimal täglich in der Rotenburger Polizeiwache einzufinden, um sich zu melden. Für jedes Nichterscheinen wurde eine Geldstrafe von jeweils DM 200 angedroht.

Die Rotenburger Polizei und der Rotenburger Staatsschutz begründeten die Ausreiseverbote damit, daß die betroffenen Personen im März dieses Jahres in Gorleben beim Widerstand gegen den Castortransport wegen Landfriedensbruchs festgenommen worden waren. Damit seien sie nach polizeilichen Erkenntnissen der gewaltbereiten Szene zuzuordnen. Außerdem stand in den Ausreiseverboten, daß der Rotenburger Polizei "Erkenntnisse" vorliegen würden. Auf die Nachfrage, um welche Erkenntnisse es sich dabei handeln würde, wurde von Seiten des Rotenburger Staatsschutzes jede Auskunft verweigert. Auch darüber, wie diese "Erkenntnisse" gesammelt wurden, schwieg die Polizei beharrlich.

Ohne jede Begründung wurde allen Betroffenen unterstellt, daß sie sich an gewalttätigen Auseinandersetzungen beteiligen würden. Eine entsprechende Anhörung nach § 28 des Verwaltungsverfahrensgesetz wurde mit dem Verweis auf "Gefahr im Verzug" ebenfalls ausgesetzt. Dabei dürfte das Datum des G8-Gipfels auch der Rotenburger Polizei schon seit Monaten bekannt gewesen sein. Offensichtlich wurden deswegen keine Anhörungen im Vorfeld durchgeführt, um die Ausreiseverbote mit einer solchen Begründung unangefochten verhängen zu können.

In der Zeit des G8-Gipfels in Genua wurden bundesweit insgesamt 81 Ausreiseverbote gegen Personen ausgestellt, die nach Polizeiangaben "der gewaltbereiten Szene zuzuordnen" seien. Neun davon sind allein aus dem Landkreis Rotenburg/Wümme. Die anderen leben nach unserem Erkenntnisstand in Berlin, Potsdam, Düsseldorf und München.

Einige RotenburgerInnen, die trotz des Verbots nach Genua fuhren, erhielten einige Tage nach ihrer Rückkehr aus Italien Post vom Rotenburger Arbeitsamt. Am 31. Juli 2001 hatte nämlich ein Mitglied der Rotenburger Polizeiwache dem Arbeitsamt Einzelheiten über Personen mitgeteilt, die nach Genua gefahren waren und somit nicht mehr bezugsberechtigt seien. Durch diese Denunziation kommen weitere Probleme auf die Betroffenen zu. Aber das ist nur ein Teil des Programms von Polizei und Staatschutz aus Rotenburg.

So war vor zwei Jahren in Rotenburg/Wümme von Leuten aus verschiedenen Spektren der Kulturverein Hotzenplotz e.V. gegründet worden. Der Verein organisierte Musikveranstaltungen und Informationsveranstaltungen zum Thema Rechtsextremismus. Mittlerweile verlangt übrigens die Lizenzabteilung des K.-Thienemann-Verlags (Stuttgart) unter Androhung rechtlicher Schritte, daß der Verein auf den Namen "Hotzenplotz" in Zukunft verzichtet. Wir nennen hier also den Verein, bis sich ein neuer Name gefunden hat, den "ehemaligen Kulturverein 'Hotzenplotz'".

In der Zeit vom 24. bis zum 31. August 2001 waren in Rotenburg/Wümme sogenannte "Kulturwochen" mit dem Titel "Zivilcourage" geplant. Der Verein wollte aus diesem Anlaß einen "Rock gegen Rechts" am Rotenburger Pferdemarkt veranstalten. Das wurde ins offizielle Rahmenprogramm der Stadt und in die entsprechenden Informationsbroschüren mit aufgenommen. Dem Verein wurde ein Zuschuß von 35 Prozent der zu erwartenden Kosten zugesichert.

Doch dann schaltete sich die Rotenburger Polizeidienststelle in das Geschehen ein. Sie äußerte der Stadt gegenüber Bedenken gegen "Rock gegen Rechts" - und insbesondere gegen den Verein. Drei Wochen vor dem Konzert erhielt der Verein einen Brief von der Stadt, die nun ihrerseits verschiedene "Bedenken" gegen die Veranstaltung in Verbindung mit dem Kulturverein äußerte: "Es ist im Hinblick auf die politischen Aussagen und Tätigkeiten des Vereins zu befürchten, daß Gegendemonstrationen in nicht unerheblichem Umfange stattfinden werden, denen nicht mit städtischen [polizeilichen] Mitteln begegnet werden könne". Gegen Vorstandsmitglieder würden Ermittlungsverfahren wegen Gorleben laufen. Es lägen Ausreisebeschränkungen und Meldeauflagen im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel in Genua vor. Außerdem sei auf einer Privatfeier zwischen Rotenburg/Wümme und dem Dorf Hemsbünde laute Musik noch bis in die Stadt zu hören gewesen, und auf der dafür angemieteten Wiese befänden sich immer noch Zelte.

Zwar hat das alles nichts mit dem ehemaligen Kulturverein "Hotzenplotz" zu tun. Die Polizei hat einfach ein paar Informationen über Privatpersonen an die Stadt weitergegeben. Das ist schon nicht schön. Noch weniger schön ist aber, daß damit dem Kulturverein jetzt unterschoben werden soll, er sei eine Vereinigung von Gewalttätern - mit den entsprechenden Konsequenzen. Die Stadt machte sich nicht die Mühe, lange nachzudenken, und sprang auf den fahrenden Zug schnell mit auf.

In nächsten städtischen Brief wurde dem Verein nun vorgeworfen, bei "Rock gegen Rechts" handele es sich um eine Veranstaltung mit politischer Aufklärung und nicht um ein "normales Konzert". Und auch gegen die "zu befürchtenden Schäden" sei man nicht ausreichend geschützt. Der Brief enthielt im übrigen auch noch ein paar Einzelheiten aus Ermittlungsakten in Bezug auf die Festnahme einiger Personen in Gorleben.

Mit der Begründung, daß "politische Informationsstände zumindest einen Schwerpunkt der Veranstaltung darstellen" würden, wurde dann auch die Vorfinanzierung gestrichen.

An dieser Stelle ist es Zeit, sich kurz einer anderen Geschichte aus Rotenburg zu widmen, damit hier kein falscher Eindruck von der Stadt entsteht. Im vergangenen Jahr hißte nämlich ein Mitglied des Rotenburger Stadtrates zum örtlichen Schützenfest eine Reichsfahne an seinem Haus in der Innenstadt. Die örtliche Antifagruppe [Antifaschistische Aktion Rotenburg (KHL)] machte das öffentlich und verlangte von der Stadt eine Stellungnahme zu den Aktivitäten ihrer Mitglieder. Das veranlaßte im letzten Jahr den Stadtrat und insbesondere die Stadtverwaltung, Stellung zu beziehen und eine Resolution gegen Rechts zu verabschieden. Auch das Stadtratsmitglied wurde in der Presse leicht gerügt und man verlangte, daß die Fahne nicht wieder gehißt würde. Während der Diskussion um dieses Ereignis schlug der Fraktionsvorsitzende der örtlichen Rotenburger CDU ganz besonders klare Töne an: Das müsse man nicht ernst nehmen, nur die bundesdeutsche Hysterie in Bezug auf den Rechtsextremismus sei Schuld an einer Verurteilung durch den Rat der Stadt Rotenburg. "Rund 90 % der Asylbewerber dürften nicht hier sein. (...) Da staut sich nun mal Haß auf." Asylsuchende, die Einspruch gegen ihre Abschiebung einlegen würden, seien "Scheinasylanten" und müßten abgeschoben werden. Und auch das Dritte Reich sei gar nicht so schlimm gewesen: Dort seien sogar Chinesen geduldet worden.

Im Jahre 2001 hißte das Stadtratsmitglied die Reichsfahne wieder aus seinem Haus, auch diesmal wurde es öffentlich gemacht. Nur gab diesmal niemanden aus der Stadtverwaltung oder den Fraktionen einen Kommentar zu den Ereignissen ab. Es wurde auch kein Wort über die Resolution gegen das Stadtratsmitglied vom letzen Jahr verloren. All dies geschah drei Wochen vor dem geplanten "Rock gegen Rechts", der knapp 300 Meter vom Wohnort des besagten Stadtratmitglieds entfernt stattfinden sollte.

Die Stadt lud ein Mitglied des Kulturvereins zu einem Gespräch über die geplante Veranstaltung ein. Dort wurde ihm von der SPD-Fraktion erklärt, daß sie in Zeiten des Wahlkampfes und bis die zu erwartenden Prozesse gegen die Privatpersonen ausgestanden seien, nicht mit solchen Gruppen wie dem Kulturverein zusammenarbeiten würde. Ihm wurde auch berichtet, daß die Polizeidienststelle und namentlich der Dienststellenleiter der Rotenburger Dienstwache mehrere Informationen aus Ermittlungsakten an die Stadt weitergegeben habe.

Der Kulturverein legte daraufhin Beschwerde gegen den Dienstellenleiter der Rotenburger Polizeiinspektion wegen Verstoßes gegen die Datenschutzbestimmungen ein. Das werteten die SPD-Fraktion und insbesondere der Rotenburger Bürgermeister als schweren Vertauensbruch. Ab diesem Zeitpunkt blockierte die SPD-Fraktion alle Gespräche, die Mitglieder des Vereins mit der Stadt und der SPD führen wollten.

Die Rotenburger SPD gab schließlich die Absage des "Rock gegen Rechts" in der örtlichen Presse bekannt. Das Rotenburger Journal tat sich dabei ganz besonders hervor: Es bezeichnete den Vorstand des Kulturvereins als "gedankenlose Chaoten", weil dieser sich über die Datenschutzverletzungen von Seiten der Polizei beschwert hatte, und bemühte sich, den Verein gänzlich ins illegale Abseits zu schieben. Im Bericht des Journals wurden alle Ereignisse verdreht; Polizei und Stadt bekamen die Rolle der unumstrittenen Guten zugewiesen. Daraufhin versuchten Mitglieder des Vereins, im öffentlichen Internetforum der etwas liberaleren Rotenburger Rundschau ihre Sicht der Dinge zu veröffentlichen. Zwei Tage später wurden alle Antworten, Kommentare und Beiträge zu diesem Thema von der Rotenburger Rundschau gelöscht. Die Zeitung begründete dieses Vorgehen mit presserechtlichen Bestimmungen. Auf Nachfrage wurde einem Mitglied des Vereins erläutert, der Besitzer der Zeitung hätte Bedenken geäußert und die Redaktion davon überzeugen können, daß es strafrechtlichen Ärger geben könnte. Die Redaktion kuschte. Damit ist dem Verein die Veröffentlichung seiner Sichtweise im Forum der Zeitung also untersagt.

Das ist im Moment der Stand der Dinge. Auch die Aussage von Seiten der Stadt, daß man sich mit dem Verein zusammen um Räumlichkeiten für ein Kulturzentrum kümmern würde, verlaufen seit circa zwei Jahren im Sand. (...)


Resümee und Ausblick

In den letzen drei Jahren versuchen Lokalpresse und Rotenburger Polizei, jede linke Gegenkultur in Rotenburg mundtot zu machen. Die oben geschilderten Ereignisse sind nur ein schmaler Ausschnitt dessen, was sich in Rotenburg/Wümme zur Zeit abspielt. Personen aus dem linken Spektrum werden in der Presse bewußt miesgemacht. Bei Rotenburger AntifaschistInnen gab es Hausdurchsuchungen mit Begründungen, die nach Aussage mehrerer Anwälte im Strafgesetzbuch gar nicht existieren. Über einen Antifaschisten, der einige Neonazis fotografiert haben soll, wurde eine fast tausend (!) Seiten starke Akte angelegt, wobei fast alle Seiten hochkopiert wurden, um das Gebilde der Strafverfolgung weiter aufzublasen und bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Eindruck zu hinterlassen. Daß in Mulmshorn bei Rotenburg/Wümme 1999 der DVU-Landesparteitag stattgefunden hat, wird durch die Rotenburger Presse seit Jahren verschwiegen. AtomgegnerInnen werden bei Kundgebungen in der Rotenburger Innenstadt durch den Staatsschutz fotografiert. Leserbriefe werden, sobald sie sich kritisch äußern, in den Zeitungen nicht mehr abgedruckt. AntifaschistInnen, die gegen eine ortsansässige Kameradschaft mit Flugzetteln und Spuckies vorgingen, werden nun von der Rotenburger Polizei und dem Staatschutz strafrechtlich verfolgt. (...) Veranstaltungen der AntifaschistInnen werden von Staatschutzmitgliedern regelmäßig gut besucht. Am 31. Juli 2001 mißhandelten zwei Rotenburger Polizisten in Zivil, wobei einer von ihnen dem Staatschutz zuzurechnen ist, einen jungen Punker und verdrehten ihm den Arm. Der Radfahrer wollte einen Wagen anhalten, um ins Krankenhaus gefahren zu werden. Doch die Polizeibeamten warfen ihn zu Boden und setzten sich auf ihn. Auch als Passanten dazukamen und sich über das Verhalten der Beamten beschwerten, ließen die nicht los und schleppten den Mann mit auf die Polizeidienststelle. Zwei Tage später erhielt einer der Zeugen, die sich über das Verhalten der Polizisten beschwert hatten, eine Anzeige wegen Beleidigung.

Rotenburg/Wümme ist eine kleine malerische Gemeinde zwischen Bremen und Hamburg. Doch trotz der Abgeschiedenheit gibt es da keine Spur von Langeweile, wie diese kleine Sammlung unglaublicher Geschichten zeigt. Wir dürfen gespannt sein, wie es weitergeht.


R. Fürchtenix

(redaktionell überarbeitet)


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kombo(p) - 24.10.2001