kassiber 47 - Dezember 2001

MediNetz Bremen: Medizinische Hilfe für illegalisierte Menschen

Gesundheitsversorgung für alle!


Zum April 2000 hat MediNetz Bremen nach dem Vorbild der medizinischen Flüchtlingshilfebüros in bislang zwölf anderen Städten seine Arbeit aufgenommen. MediNetz entstand aus der Erkenntnis heraus, daß hier lebende Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere keinen oder nur unzureichenden Zugang zum Gesundheitssystem haben. Unser Ziel ist es dabei, praktische Unterstützungsarbeit mit politischer Öffentlichkeits- und "Lobby"arbeit zu verbinden.

Denn illegalisierte Menschen fallen durch sämtliche Maschen des ohnehin brüchiger werdenden Netzes sozialer Sicherung in der BRD. Jeder Behördenkontakt würde für sie eine akute Gefährdung ihres Aufenthalts hier bedeuten.

Wer AsylbewerberIn ist oder "geduldet" wird, hat grundsätzlich Anspruch auf Krankenhilfe durch das Sozialamt. Aber auch die Krankenversorgung wird durch das Asylbewerberleistungsgesetz unter das Sozialhilfeniveau gedrückt. In Bremen erhalten geduldete Flüchtlinge und AsylbewerberInnen auf Anforderung Krankenscheine mit dem aufgedruckten Hinweis, daß von der behandelnden Ärztin nur "erforderliche Leistungen bei Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände" abgerechnet werden dürfen. Anders als in manchen anderen Bundesländern besteht freie Arztwahl und es kommt "nur" sehr selten zu Schikanen bei der Ausstellung von Krankenscheinen zur Erstbehandlung durch HausärztInnen.

"Langfristige" und "kostenintensive" Behandlungen werden jedoch, wenn überhaupt, erst nach einer oft monatelangen Prüfung durch das Sozialamt und das Gesundheitsamt bewilligt. Hier einen Anspruch auf Behandlung durchzusetzen, erfordert Atteste, amtsärztliche Untersuchungen und meist Unterstützung im Umgang mit den Behörden. Die Sozialämter sind dabei gehalten, die "voraussichtliche Aufenthaltsdauer" zu berücksichtigen. Wer also nach Meinung der Ausländerbehörde bald abgeschoben werden kann, erhält solche Behandlungen nicht mehr. Zahnersatz wird nur in Ausnahmefällen gewährt, wenn er als "medizinisch zwingend notwendig und unaufschiebbar" eingeschätzt wird. Auch hier wird Gesundheitsversorgung nicht nur durch schließlich ablehnende Bescheide vereitelt, sondern schon durch eine schikanös lange und komplizierte Prüfung des Anspruchs.

Wer sich zwar in Deutschland legal aufhält, aber entgegen der Residenzpflicht in Bremen, erhält hier überhaupt keine Krankenscheine und auch im Krankenhaus nur die "unabweisbar gebotene" Versorgung.

Das Gesundheitssystem der BRD ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern dabei für Illegalisierte besonders unzugänglich. So wird zum Beispiel in Großbritannien die Gesundheitsversorgung nicht über die Mitgliedschaft in einer Krankenkasse finanziert, sondern aus Steuermitteln. Aus diesem Grunde bestehen weniger strikte Zugangskontrollen; wer seinen Wohnsitz im Land hat, hat Anspruch auf Gesundheitsversorgung.

Der Ausschluß bestimmter Personengruppen von der Gesundheitsversorgung ist auch auf den Protest von ÄrztInnen gestoßen. So hat der Weltärztebund im Oktober 1998 beschlossen, daß ÄrztInnen die Pflicht haben, einer/einem PatientIn unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus die notwendige medizinische Versorgung zukommen zu lassen und daß Regierungen die entsprechenden Rechte der PatientInnen nicht einschränken dürfen.

MediNetz Bremen hat vor diesem Hintergrund Kontakt mit niedergelassenen ÄrztInnen verschiedener Fachrichtungen aufgenommen, um für Papierlose und andere Menschen, denen der Zugang zum Gesundheitssystem verweigert wird, Möglichkeiten der anonymen und kostenlosen Behandlung ohne Krankenschein zu schaffen. Mittlerweile ist es gelungen, etwa 40 ÄrztInnen unterschiedlicher Fachrichtungen und einige Hebammen zu finden, die sich dazu bereit erklärt haben. In einigen Bereichen (zum Beispiel der Radiologie) sind dies allerdings nur einzelne, so daß wir uns um die Erweiterung des "Netzes" bemühen.

Menschen, die in unsere wöchentliche Sprechstunde kommen, werden nach einem kurzen Gespräch mit uns an ÄrztInnen, die sich grundsätzlich zur Behandlung bereit erklärt haben, weiter verwiesen. Wir arbeiten dabei nach dem Prinzip, daß zunächst alle offiziellen Wege der Inanspruchnahme medizinischer Versorgung ausgeschöpft werden sollen, bevor wir an ÄrztInnen direkt weitervermitteln. Bei Bedarf organisieren wir Übersetzung oder begleiten Menschen zu ÄrztInnen oder Behörden.

Große Probleme tun sich dabei vor allem dann auf, wenn eigentlich eine langfristige oder kostenintensive Behandlung oder ein stationärer Aufenthalt im Krankenhaus nötig wäre. Bei Krankenhausaufenthalten besteht zusätzlich zum finanziellen Problem auch die Gefahr, daß bei ungeklärter Kostenübernahme die Krankenhausverwaltung möglicherweise das Sozialamt kontaktiert. Dieses ist wiederum verpflichtet, der zuständigen Ausländerbehörde über sich "illegal" in der BRD aufhaltende Menschen Mitteilung zu machen. Somit droht bei der Inanspruchnahme medizinischer Hilfe die Abschiebung.

Das MediNetz Bremen führt seit Aufnahme seiner Vermittlungstätigkeit mit Einwilligung der Betroffenen eine anonymisierte Statistik, um die Notwendigkeit medizinischer Versorgung auch für Menschen ohne den offiziell vorgesehenen Aufenthaltstitel deutlich zu machen. Während der ersten zwölf Monate wurden etwa 70 Menschen von uns weitervermittelt. Etwas mehr als die Hälfte davon waren Frauen. Viele kamen mit Beschwerden, die eine psychosomatische Komponente haben, die sich vermutlich auch auf die prekären Lebensumstände zurückführen läßt. Einige PatientInnen, die teilweise schon seit einigen Jahren ohne Papiere hier leben, suchten wiederholt mit einer Reihe unterschiedlicher Beschwerden das MediNetz auf. Es wurde deutlich, daß sie zuvor keine Möglichkeiten hatten, ärztliche Behandlung in Anspruch zu nehmen, so daß ihre Beschwerden teilweise schon chronisch waren. Deutlich wurde zudem, daß sich bei vielen Illegalisierten die Probleme nicht auf den medizinischen Bereich beschränken, sondern sie eigentlich auch Unterstützung bei Wohnungs- und/oder Arbeitsuche bräuchten. Dies können wir allerdings als MediNetz bis jetzt nicht leisten.

Uns ist die praktische Solidarität, die wir mit unserer Arbeit Einzelpersonen in schwierigen Situationen bieten können, wichtig. Wir sind uns jedoch im klaren darüber, daß wir uns in einem Spannungsfeld zwischen "Sozialarbeit", die Hilfe im Einzelfall leistet, und politischer Arbeit, die Strukturen grundlegend verändern will, bewegen. In Bremen sind wir eine der wenigen Gruppen und Anlaufstellen, die sich ausdrücklich an Papierlose wenden.

Unsere Arbeit stößt dabei - in Medien und anderen Kreisen - auf vergleichsweise breites Interesse und Wohlwollen. MitarbeiterInnen des Gesundheitsamts Bremen haben festgestellt, daß sie MediNetz Bremen für eine sinnvolle und unterstützenswerte Einrichtung halten. In Berlin werden Leute teilweise von Behörden direkt an das dortige MediNetz weiterverwiesen. Fälle, in denen MitarbeiterInnen oder "KlientInnen" von MediNetzen staatlicher Repression ausgesetzt gewesen wären, sind uns bis jetzt nicht bekannt. Uns ist bewußt, daß wir mit unserer Arbeit - wie auch ähnliche medizinische Initiativen in anderen Städten - als (sehr notwendige) LückenbüßerInnen in einem System arbeiten, dessen grundsätzliche Ausgrenzungskriterien wir ablehnen und als Wurzel des Übels betrachten.

Unsere Forderung ist ein freier Zugang zur gleichen Gesundheitsversorgung für alle. Deshalb kann es keine Lösung sein, sie auf der Hilfsbereitschaft einzelner ÄrztInnen basieren zu lassen. Daher war es uns von Anfang an wichtig, auf die Versorgungslücken hinzuweisen und die Auseinandersetzung mit den entsprechenden Stellen und der Öffentlichkeit zu suchen. So haben wir verschiedene Veranstaltungen organisiert, in diversen Medien über die Problematik und unsere Arbeit berichtet. Über die Arbeit auf der lokalen Ebene hinaus, vernetzen wir uns mit ähnlichen Initiativen in anderen bundesdeutschen Städten und der Kampagne "kein Mensch ist illegal". Im Rahmen dieser Vernetzung wird derzeit eine bundesweite Kampagne zur gesundheitlichen Versorgung illegalisierter Menschen diskutiert.

In unseren gemeinsamen Diskussionen zu einer solchen Kampagne stellt sich die Frage, ob es nur die Alternative entweder pragmatische, möglicherweise durchsetzbare Forderungen oder grundsätzliche Systemkritik gibt.


MediNetz Bremen


MediNetz Bremen
Medizinische Vermittlungs- und Beratungsstelle für Flüchtlinge, MigrantInnen und Papierlose
Öffnungszeiten: dienstags, 15-18 Uhr

MediNetz Bremen, c/o Flüchtlingsinitiative, Friesenstraße 21, 28203 Bremen, Tel.: 0421/7901959

Spendenkonto (die Spenden sind steuerlich absetzbar)
Flüchtlingsinitiative e.V., Stichwort: MediNetz (wichtig!), Kto.-Nr. 11673720, Sparkasse Bremen (BLZ 290 50 01)


Inhaltsverzeichnis Kassiber 47
Bezugsmöglichkeiten


zurück!

kombo(p) - 24.10.2001