kassiber 47 - Dezember 2001

Editorial


Sie sagen, die Anschläge in den USA waren ein Angriff auf die Grundfesten unserer Zivilisation - und sie haben Recht! Unterdrückung, ökonomische Ausbeutung und militärische Hegemonie sind die Basis dieser Zivilisation, und die Symbole dieser Machtstrukturen wurden - mit welcher Motivation auch immer - angegriffen. Zivilisation bedeutet nicht Freiheit, Gleichheit und Solidarität, sondern Dominanz multinationaler Konzerne und staatlicher Gewaltmonopole, die nicht durch die Abnahme von Gewalt in sozialen Beziehungen, sondern durch Staatsterror und Genozide historisch gekennzeichnet sind. Die Angriffe auf diese Zivilisation wurden mit den Mitteln dieser Zivilisation geführt.

Der Erhalt dieser Strukturen ist das Ziel des aktuellen Krieges, an dem nun auch "wir" erstmals wieder richtig aktiv teilnehmen dürfen, und in dem "wir" Deutschland wieder international das Gewicht geben können, woran so viele auch nach '45 interessiert waren. Zumindest das Gefühl dieses Gewichts soll wieder entstehen, denn "uneingeschränkte Solidarität mit den USA" heißt ja noch nicht, daß man die erste Geige spielen darf. Aber die "historische Entscheidung" wurde getroffen und so freudig aufgenommen, daß der Grüne Rezzo Schlauch nach der geglückten Vertrauens- und Machtfrage gleich feststellte, daß dies ein Grund sei, auf dem Bundespresseball zwei, drei Gläschen auf den Kriegseintritt zu leeren. (Uns fällt diesbezüglich nur ein Cocktail ein, der an einem solchen Abend angemessen wäre ...). Die Macht von Rot-Grün ist also - wenigsten bis zu unserem Drucktermin - gesichert, wenngleich sie erpreßt zustande kam und lediglich eine SPD-Frau die Konsequenzen zog und ihr Parteibuch zurückgab. Laßt den Krieg beginnen!

Während die einen vorgeben, den Krieg gegen den internationalen Terrorismus zu führen, sagen andere, es sei ein Kreuzzug gegen den Islam, dritte wiederum betonen die ökonomischen und militärischen Interessen der USA und der EU in Asien und schließlich wird der Krieg als Krieg gegen den Antisemitismus angesehen. Während die erste Annahme schlicht und einfach Propaganda ist, ist auch die letzte wenigsten naiv. Denn selbst wenn möglicherweise die AttentäterInnen AntisemitInnen sind/waren, so ist dieser Krieg kein anti-antisemitischer. Wer glaubt, daß auf die Attentate mit Krieg reagiert werden müßte, um einen zweiten Holocaust zu verhindert, ignoriert sowohl die Interessen deutscher Außenpolitik, als auch die soziale, politische Realität der Außenpolitik der USA nach '45. Weder Israel - spätestens die Androhungen von Bush, das Land fallen zu lassen, verdeutlichen dies - noch die Demokratie wird verteidigt. Statt dessen wird eines der ärmsten Länder der Welt in Schutt und Asche gelegt und eine patriarchale Terrorherrschaft durch eine neue der Nordallianz ersetzt, selbst wenn zunächst Bärte und Schleier fallen.

Die Gefahr einer Faschisierung wird vielmehr in den "Begleiterscheinungen" des Krieges deutlich. In den USA wird derzeit eine reale Internierungspolitik gegen Hunderte, wenn nicht inzwischen Tausende von Muslimen betrieben und entsprechende Forderungen hiesiger CDU/CSU-Politiker gehen in die gleiche Richtung: Nicht nur beim Entwurf des Zuwanderungsgesetzes wurde diskutiert, daß eine Internierung von bis zu 30.000 "islamischen Fundamentalisten" zu erwägt sei, wenn Abschiebehindernisse bestünden. Auch generell werden derartige Äußerungen wieder hoffähig, ebenso wie die Forderung, Abschiebungen auch dann durchzuführen, wenn den Betroffenen Folter oder die Todesstrafe droht. Am deutlichsten zeigt sich dieses Gesicht jedoch in den Äußerungen des "Anti-Terror-Allianz-Achsenmacht-Mitglieds" Berlusconi. Er demonstrierte eindrucksvoll, daß sein Gerede von der Rückständigkeit des Islams und der Überlegenheit des Modells des Westens nicht bloße Worthülsen sind, sondern daß auch seine Polizei und Sondereinheiten jederzeit bereit sind, KritikerInnen dieses Modells das zu geben, was ihnen seiner Meinung nach "zusteht": nämlich Folter und Staatsterror. Demzufolge unterschied er auch nicht zwischen dem Protest gegen Ausprägungen der "Globalisierung" in Genua und den Anschlägen in den USA: black bin laden bloc. Eine solche Gleichsetzung stieß zwar auf Kritik, die repressiven Entwicklungen und die sukzessive Manifestierung eines Überwachungsstaates in den USA und in europäischen Ländern, wird jedoch gerade fortgeführt, um gegen jegliche Menschen mit abweichenden Meinungen oder anderen kulturellen Hintergründen agieren zu können. Wie ignorant muß mensch sein, um zu glauben daß uns Fingerabdrücke in deutschen Pässen vor SchläferInnen schützen werden, die, per BKA-Definition, entweder als StudentInnen nicht mal eine Arbeitserlaubnis, geschweige denn einen solchen Paß erhalten werden, oder aber aufgrund ihres enormen Schlafbedürfnisses erst dann auffällig werden, wenn sie Flugzeuge fliegen.

So widmen wir uns in dieser Ausgabe vor allem den drei aktuellen Themen: Krieg, "Globalisierungs"-Kritik und Überwachung. Nebenher soll an dieser Stelle noch auf zwei Kongresse hingewiesen werden: die "cross-over-conference", die vom 17.-20. Januar 2002 in Bremen stattfindet, und der "Global Action - Local Congress" in Hamburg vom 30. November bis 2. Dezember. Beide sollen dazu dienen, die rein reaktive Position zu verlassen und wieder autonomer zu handeln.

Vor dem Hintergrund von Krieg, Terror und kapitalistischer Ausbeutung können wir uns nur der Redaktion der ila anschließen: Nicht Zivilisation oder fundamentalistischer Terror sind die Alternativen, wie Medien und Politik uns weismachen wollen, sondern Sozialismus oder Barbarei!


Die Redaktion, 18. November 2001


P.S.: Bei dem auf der Titelseite dokumentierten Schreiben des Arbeitsamtes und der Bundeswehr handelt es sich nicht um eine Fälschung!

P.P.S.: Der Zeitung liegt ein Überweisungsträger bei. Spendet reichlich für die Kosten der nach dem G8-Gipfel in Genua laufenden Verfahren. Jede Mark zählt!


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kombo(p) - 24.10.2001