kassiber 47 - Dezember 2001

Anwendung neuer ED-Methoden

Mit Biometrie gegen den internationalen Terrorismus


Seit die Bundesregierung am 12.10.2001 ihren "Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus"(1) vorgelegt hat, ist vorgesehen, daß bald in Pässen und Personalausweisen sowie Einreise-Visa für die BRD "neben dem Lichtbild und der Unterschrift weitere biometrische Informationen des Passinhabers enthalten" sein dürfen; alle diese Daten "dürfen auch in mit Sicherheitsverfahren verschlüsselter Form [...] eingebracht werden". Auch in Duldungen und anderen Dokumenten für AsylbewerberInnen sollen nicht näher bezeichnete biometrische Daten aufgenommen werden. Zu all dem hieß es im Oktober noch: "Die Einzelheiten über die Aufnahme biometrischer Informationen und die Einbringung von Informationen in verschlüsselter Form [...] bestimmt das Bundesministerium des Innern im Benehmen mit dem Auswärtigen Amt durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf".

Nachdem es erst so aussah, als wenn die nationale Verpflichtung zur uneingeschränkten Solidarität mit den USA jede Kritik an allem, was unter dem Label Anti-Terror gehandelt wird, im Keim ersticken würde, gab es dann doch noch eine Diskussion: Welche biometrischen Daten in die Ausweise sollen. Die Grünen nämlich wollten keinen Fingerabdruck. Begründung: Die gesamte Bevölkerung würde einem kriminalistischen Generalverdacht ausgesetzt. Die Grünen würden lieber ein anderes biometrisches Datum verwenden, die sog. Handgeometrie (s.u.). Doch dazu später.


Was ist Biometrie?

Unter Biometrie versteht man die Verwendung einzigartiger körperlicher Charakteristika zur Identifikation einer Person.

Wurden bis in die 80er Jahre biometrische Verfahren im Wesentlichen zur Spurensicherung in der Kriminalistik Anwendung angewandt (z.B. Fingerabdrücke, DNA-Analyse), werden sie seit ca. zwei Jahrzehnten zunehmend zur Personenidentifikation auch im Zusammenhang mit Zugangskontrollen eingesetzt. Je nach Anwendungsgebiet kommen hierfür verschieden Verfahren in Frage, angefangen bei den klassischen Fingerabdrücken über Handgeometrie und Irisabgleich bis hin zur Spracherkennung. Sie werden seit Jahren eingesetzt, um nur autorisierten Personen den Zugang zu sicherheitsrelevanten Bereichen oder Daten zu gewähren.

Darüber hinaus wird im Bereich des Objektschutzes und der kameragestützten Überwachung "öffentlicher" Räume an dynamischen Erkennungsmethoden (z.B. Gangerkennung, Physiognomie) gearbeitet. Hierbei geht es, neben der Identifikation von Personen, die in den Hintergrund rückt, weil es z.Zt. an Datenmaterial zum Abgleich mangelt, um das automatisierte Erkennen von sog. abweichendem bzw. auffälligem Verhalten.(2)

In der Diskussion um den Einsatz biometrischer Merkmale auf Personalausweisen im Rahmen von Schilys Sicherheitspaket II handelt es sich um sogenannte statische Merkmale. In Frage kommen zur Zeit die Erfassung durch Iriserkennung, Gesichtserkennung, Handgeometrie und Fingerabdruck. Gegenwärtig scheint die Iriserkennung als einzige Methode technisch so weit entwickelt zu sein, daß sie im großen Maßstab eingesetzt werden könnte. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 hoch 78 scheinen Verwechslungen nahezu ausgeschlossen. Auch Brillen und Kontaktlinsen sollen das in Europa von SD-Industries vertriebene System nicht irritieren.Verfahren, die auf Vermessung der Handgeometrie basieren, sind in ihrer technischen Umsetzung bisher vergleichsweise unzuverlässig.

Ebenso wie bei der Iriserkennung ist bei der Handgeometrie, die in der aktuellen Diskussion von den Grünen favorisiert wird, eine Verwendung der Daten für kriminalistische Zwecke nahezu auszuschließen. Beide Verfahren erfordern zur Erfassung der Daten ein Mitwirken der entsprechenden Person. Der von Schily bevorzugte Fingerabdruck und die Gesichtserkennung hingegen böten den Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten paradiesische Voraussetzungen. Insbesondere bei zentraler Speicherung der Daten kämen plötzlich alle ins Fadenkreuz der ErmittlerInnen, die irgendwann an von der Spurensicherung untersuchten Orten Fingerabdrücke hinterlassen haben oder sich nur an einem videoüberwachten Ort aufgehalten haben.


Bisherige Praxis

Pässe und Ausweise von BRD-BürgerInnen enthalten seit 1987 eine maschinenlesbare Zone; sie enthält die Dokumentart (IDD), Vor- und Nachnamen, eine Seriennummer incl. Paßnummer, ein "D" für "DeutscheR", Geburtsdatum und Ablaufdatum des Dokuments. Biometrische Daten werden bisher in Form von Paßbild, Unterschrift, Körpergröße und Augenfarbe vermerkt, letztere sind nicht sehr spezifisch. Anders bei AsylbewerberInnen: Sie müssen bei der Antragstellung einen Fingerabdruck abgeben, der zentral in AFIS (Automatisches Fingerabdruck-Identifikations-System) gespeichert wird, nicht aber in ihren Ausweisdokumenten auftaucht.

Zur Anwendung kommen biometrische Daten in Form von Fingerabdrücken auf Personaldokumenten bisher in Brasilien, Malaysia, Indonesien und Brunei. Mit Unterstützung der Hamburger Firma Dermalog GmbH "können zusammen bereits mehr als 100 Millionen Menschen über ihren Fingerabdruck identifiziert werden". (3)


Ein Finger oder die ganze Hand?

Fingerabdrücke hinterläßt mensch im Alltag ständig (mittlerweile allerdings auch häufig Videoaufnahmen des Gesichts) - ganze Handabdrücke dagegen wohl eher selten. Was taugt also die Idee, durch die Verwendung von Handgeometrie den kriminalistischen Generalverdacht (gegen Nicht-AsylbewerberInnen) umgehen zu wollen? Diese Frage entscheidet sich noch an einem anderen Punkt, nämlich daran, ob die aufgenommen Daten zentral gespeichert werden.

Variante 1: Keine zentrale Speicherung. Der Fingerabdruck oder die Hand wird nur dann gescannt und mit dem Muster im Ausweis verglichen, wenn mensch sich unter Vorlage eben dieses Dokuments an einer bestimmten Stelle (Staatsgrenze, Meldeamt, Sozialamt, ...) legitimieren soll. In diesem Fall ist es also egal, ob mensch den Finger oder die Hand hinhält. Die alltäglichen Fingerabdrücke sind mit keiner dauerhaften zentralen Speicherung vergleichbar (es sei denn, mensch wurde schon früher ED-behandelt).

Variante 2 a: Die biometrischen Daten, die im Ausweis enthalten sind, werden zentral gespeichert. Dann ist es schon ein Unterschied, ob es die Hand oder der (kriminalistisch relevante) Finger ist. Denn dann gibt es für jede Person einen Datensatz, mit dem Fingerabdruckfunde (von wo und zu welchem Zweck auch immer) verglichen werden können.

Variante 2 b: Fingerabdrücke werden in Kombination mit der Ausweisnummer zentral gespeichert, nicht aber in den Ausweisen. Die Folgen wären die gleichen wie bei Variante 2a, aber die Speicherung im Ausweis erübrigt sich, denn der Abgleich der Person, die sich mit ihrem Dokument und ihrem Fingerabdruck vorstellt, kann über die Personalausweisnummer in der Zentraldatei erfolgen. Auf diese Variante deutet eine (am 14.11.) aktuelle Mitteilung des BMI hin: "Ab kommender Woche erhalten Pässe und Personalausweise neue Sicherheitsmerkmale. [...] Die Merkmale sind ein dreidimensionaler Bundesadler, das Lichtbild in standardisierter Form und maschinenlesbare Zeilen" (über deren Inhalt dort nichts mittgeteilt wird). Diese Maßnahme soll der erhöhten Fälschungssicherheit dienen, aber Schily fügt hinzu: "Die Einbringung biometrischer Merkmale und die Einführung von Kopierschutzelementen ergänzen sich. Wir werden alle technischen und sicherheitsrelevanten Möglichkeiten sehr genau daraufhin prüfen, welche biometrischen Merkmale der einwandfreien Identifizierung von Personen dienlich sind". (4)

Das Argument der Grünen (Handgeometrie sei kriminalistisch weniger relevant) trägt also nur dann, wenn die biometrischen Daten zentral gespeichert werden. Dürfen wir daraus schließen, daß das so vorgesehen ist, oder haben die Grünen sich das bloß nicht richtig überlegt? (Oder ging es nicht so sehr um das Argument, sondern mehr um Parteienprofilierung?) Die ganze Diskussion und die Gespräche innerhalb der Rot-Grünen Koalition haben bisher eigentlich nur den "Kompromiß" ergeben, daß nicht der Bundesinnenminister, sondern der Bundestag die Einzelheiten festlegen soll.


Perso mit Chip?

Personalausweis mit Chip? - "Das ist zugegebenermaßen teuer, aber die einzige Garantie dafür, dass die Daten nicht gesammelt werden." (5)

Noch ist nicht so richtig klar, wie das alles im Detail aussehen soll. Fraglich ist z.B., was genau mit einer "Zone für das automatische Lesen" gemeint ist. Wenn neue Personalausweise eingeführt werden, wäre es kein Problem, diese mit einem Chip zu versehen, der deutlich mehr Daten speichern kann als ein Stück eingeschweißtes Papier. Die Formulierung "in mit Sicherheitsverfahren verschlüsselter Form" im Gesetzentwurf legt das nahe. Für den Fall, daß Handgeometrie ohne zentrale Speicherung das Mittel der Wahl werden sollte, scheint ein Chip sogar zwingend notwendig. Klar ist aber, daß zur Zeit mit den immer gleichen Phrasen breite Akzeptanz für juristische und gesellschaftliche Veränderungen geschaffen wird. Es verändern sich die Maßstäbe dafür, welche Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit die Mehrheit der Leute zu ertragen bereit ist. Und das wiederum wird sich in den Restriktionen niederschlagen, die marginalisierten Gruppen auferlegt werden. Die rassistische Hierarchie im Kopf sagt: "Wenn schon wir unbescholtene Bürger mehr kontrolliert werden, dann doch bitte erst recht die wirklich verdächtigen Ausländer". Zum Vergleich: Noch vor einigen Jahren hat die Bundesregierung das Projekt "Asylcard" vorläufig gestoppt, weil eine Machbarkeitsstudie zu dem Ergebnis gekommen war, daß die Einführung dieser Karte für AsylbewerberInnen das Image solcher Kartensysteme in der Gesamtbevölkerung beschädigen würde. (Die Kontrollfunktion der damals konzipierten Asylcard war gewollt offensichtlich, u.a. dadurch, daß zur Identifizierung ein Fingerabdruck enthalten sein sollte.) Wenn es da aber bald nichts mehr zu beschädigen gibt, weil die Kontrolle selbst der eigenen Privatsphäre akzeptiert oder gewollt ist, gibt dieses taktische Argument leider nichts mehr her.

Eine biometrische Neuerung für AsylbewerberInnen ist jedenfalls im "Anti-Terror-Gesetz"-Entwurf (Artikel 10: Änderung des Asylverfahrensgesetzes) schon enthalten: "Zur Bestimmung des Herkunftsstaates oder der Herkunftsregion des Ausländers kann das gesprochene Wort des Ausländers auf Ton- oder Datenträger aufgezeichnet werden. Diese Erhebung muß für den Ausländer erkennbar sein".


aktuelle kamera


Anmerkungen:
(1) siehe http://www.bmi.bund.de/frameset/index.jsp, die folgenden Zitate in diesem Absatz sind dem dort vorliegenden Gesetzentwurf entnommen
(2) s. dazu u.a.: Gangerkennung University of Southampton (www.isis.ecs.soton.ac.uk/image/gait/jason_nash/); Home Page von David Hogg, Leiter der Forschung zum Thema Verhaltenserkennung an der Universität Leeds (www.comp.leeds.ac.uk/dch/); Verhaltenserkennung; Universitäten Leeds & Reading (www.comp.leeds.ac.uk/imv/)
(3) http://www.quintessenz.at/archiv/msg01664.html
(4) siehe http://www.bmi.bund.de/dokumente/Pressemitteilung/ix_62463.html
(5) Thilo Weichert (Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Datenschutz und Vizechef des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Schleswig-Holstein (ULD)) in der taz vom 6.11.2001



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