kassiber 46 - Juli 2001

was bisher geschah


1. März

Sexueller Mißbrauch

Die Polizei nimmt einen Mann fest, der seine elf und 17 Jahre alten Stieftöchter seit vier Jahren sexuell mißbraucht hatte. Der 37jährige Täter hatte die beiden Mädchen zuvor durch Schläge und dadurch, daß er sie mit dem Tode bedrohte, davon abgehalten, ihn anzuzeigen. Schließlich vertrauten sie sich aber trotzdem jemanden anderem an, der sie darin bestärkte, Anzeige zu erstatten. Bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt die Polizei zahlreiche selbstgemachte Videobänder, die den Mißbrauch dokumentieren. Gefilmt wurde unter anderem mit einer Videokamera an der Schlafzimmerdecke. Die Mutter der beiden Mädchen will (und soll) von alledem nichts gewußt haben.





2. März

Sehr kleine Minderheit

Die größere Sensibilität und das geänderte Anzeigeverhalten seien vor allem Schuld daran, daß er, Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), jetzt rund 16.000 im vergangenen Jahr gemeldete rechtsradikale, rassistische und antisemitische Straftaten vermelden müsse - rund 60 Prozent mehr als im Jahr 1999. Denn, so Schily, Deutschland sei "eine Demokratie, der Rechtsextremismus findet Zuspruch nur bei einer sehr kleinen Minderheit" und - Rassismus, zumindest seine staatliche Variante, die aber ohnehin nicht als Straftat gilt, ist bei ihm in guten Händen.

Nach den Kriterien des "Polizeilichen Meldedienstes Staatsschutz" seien fast 11.000 rechtsextremistische Straftaten (1999: rund 7.000) zu verzeichnen gewesen. 85 Prozent dieser Delikte beträfen das Verbreiten von Propagandamaterial und die Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen. Dazu kämen rund 3.500 fremdenfeindliche (plus 57 Prozent) und 1.378 antisemitische (plus 69 Prozent) Straftaten. Insgesamt seien im vergangenen Jahr 998 neonazistische Gewaltdelikte (plus 34 Prozent) registriert worden.

Nach einer am gleichen Tag in Düsseldorf vorgelegten Studie der nordrhein-westfälischen Landesregierung gehört inzwischen fast jede/r siebte Jugendliche Schilys "sehr kleinen Minderheit" an. 14 Prozent der Jungen und 13 Prozent der Mädchen stimmen demnach der These "Ausländer raus, Deutschland den Deutschen" zu. 1994 waren es "nur" 13 Prozent der Jungen und sieben Prozent der Mädchen.



Sexistische Angriffe (I)

Eine Frau wird gegen 3 Uhr am Breitenweg von einem Mann überfallen, der sie zu Boden wirft und versucht, ihr die Hose herunterzuziehen. Aufgrund der heftigen Gegenwehr und der lauten Hilfeschreie der 27jährigen flieht der Täter kurz darauf.





6. März

Flucht aus der dem Knast gescheitert

Der Bäckermeister des Oslebshauser Männerknastes verhindert in den frühen Morgenstunden eine von außerhalb des Knastes organisierte Flucht eines Gefangenen. Der Anstaltsbäcker wollte gerade zu seiner Arbeit in den Knast gehen, als er an der mit mehreren Rollen NATO-Draht gesicherten Außenmauer eine Leiter und darauf einen Mann entdeckte - eine Drahtrolle war bereits durchtrennt. Gemeinsam mit einem durch den Lärm aufgewachten Schließer aus den Dienstwohnungen am Kammerberg gelingt es ihm schließlich, den flüchtenden Fluchthelfer festzuhalten.

Offensichtlich galt die Fluchthilfe einem der in der Knastbäckerei beschäftigten Gefangenen, die zu dieser Uhrzeit über den Anstaltshof zur Arbeit geführt werden.





8. März

Internationaler FrauenLesben-Kampftag

Einige Dutzend Frauen und Lesben, zumeist aus der feministischen beziehungsweise autonomen Szene, demonstrieren am Nachmittag des weltweiten FrauenLesben-Kampftages gegen sexualisierte Gewalt, die gegen Frauen und Mädchen ausgeübt wird. Denn, darauf weißt ein Redebeitrag hin: Sexualisierte Gewalt bedroht und betrifft Frauen, Lesben und Mädchen immer und überall - in der Familie, in Beziehungen, in der Clique, in der Politgruppe, auf der Straße, am Arbeitsplatz. Für jede Frau stelle sich irgendwann in ihrem Leben beziehungsweise immer wieder neu die Frage, wie sie mit dieser permanenten Gewaltandrohung umgehe. Denn es sei nicht selbstverständlich, daß Frauen, Lesben und Mädchen sich hier frei und selbstbestimmt bewegen und ausdrücken können.

Diese "Gewalt hat System", sie "ist einer der Grundpfeiler des Patriarchats. Sie soll Angst machen, einschränken und disziplinieren - und das ist auch genau so gewollt". Gewalttätigkeiten beruhten nicht etwa auf Mißverständnissen. Sie seien keine Ausrutscher "irgendwelcher einzelner, triebgesteuerter, durchgeknallter Männer". Vielmehr sei sexualisierte Gewalt einer der Grundpfeiler des Patriarchats - und, heißt es weiter, "das ist immer noch die beschissene Realität, in der wir leben". "Diese Gesellschaft sähe komplett anders aus, wenn die allgegenwärtig angedrohte und ausgeübte Gewalt nicht eine ihrer zentralen Grundlagen wäre."

Deutlich werde dies zum Beispiel beim zur Zeit vor dem Bremer Landgericht laufenden sogenannten "Toros"-Prozeß, einem "Lehrstück in Sachen Männerjustiz und Männerkumpanei". Auf der Anklagebank säßen nicht die Täter, sondern die betroffene Frau mit ihrer Glaubwürdigkeit und ihrer Lebensweise, während Richter, Täter und Verteidiger die Vergewaltigung zu einem Hirngespinst der Frau umlögen.

Die Demonstrationsteilnehmerinnen wollen sich hingegen auch weiterhin gegen die sexistische Gewalt gegen Frauen, Lesben und Mädchen organisieren und miteinander solidarisch sein, gemeinsam dafür zu sorgen, daß sich Gewalttäter nirgendwo sicher fühlen können. Und natürlich "das Maul aufmachen": gegen jede Form von Erniedrigung, Ausbeutung und Unterdrückung.

Auch Bremens Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales, Hilde Adolf (SPD), outet sich anläßlich des 8. März als eigentlich irgendwie grundsätzlich feministisch. Ins neue Bremer Polizeigesetz, über das die Spitzen der Großen Koalition Ende vergangenen Jahres prinzipielle Einigkeit erzielten, müsse unbedingt das "polizeiliche Wegweisungsrecht" integriert werden, um so gewalttätige, prügelnde Männer aus den gemeinsamen Wohnungen mit ihren Ehefrauen, "Freundinnen" etc. "wegweisen", soll heißen: mit Hilfe der Polizei rausschmeißen, zu können. Voraussetzung sei indes die Verabschiedung des Bundesgesetzes zum Gewaltschutz, doch das werde heute vom Bundestag in erster Lesung beraten, erklärte die Senatorin. Nach der endgültigen Verabschiedung des Gesetzes stünde einer entsprechenden Regelung im Land Bremen dann nichts mehr im Wege. Auch die sozialdemokratische Frauensenatorin hat die Klippschule des Feminismus durchlaufen: Häusliche Gewalttaten seien keine Einzeltaten, vielmehr bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Täter erneut gewalttätig wird. Dies müsse bei Polizeieinsätzen angemessen berücksichtigt werden. Mit Hilfe eines polizeilichen Wegweisungsrechts könne der Täter in schwerwiegenden Fällen häuslicher Gewalt für einen längeren Zeitraum aus der Wohnung verwiesen werden. Die Dauer dieser Maßnahme sollte einen Zeitraum umfassen, innerhalb dessen es dem Opfer möglich ist, rechtliche Schritte gegen den Täter einzuleiten.





9. März

Böhse Onkelz "gegen den Haß"

Beim von der Bremer Ausländerbeauftragten Dagmar Lill (SPD) initiierten Konzert - nicht etwa, wie es seit einiger Zeit wieder modern ist, "gegen Rechts", sondern "gegen den Haß" in der Stadthalle ist die ehemalige Nazi- und immer noch rechtsradikale Band Böhse Onkelz der Hauptgig. Lill, die bereits vor einigen Jahren die Böhsen Onkelz nach Bremen geholt, aber auch schon bessere Ideen hatte, will damit "die unpolitischen Jugendlichen ebenso ansprechen wie die, die latente Haßgefühle in sich tragen". Daß das Ganze ein Benefizkonzert für die Opfer rechter Gewalt ist, kümmert den Großteil des Publikums wenig. Er hält es mit Onkelz-Leader Stefan Weidner: "Fuck Rock gegen Rechts und alle Scheinheiligkeiten und gespielte politische Korrektheiten. Wir scheißen auf Euch und Eure Heichelei." (siehe auch kassiber 44, März 2001, S. 25, und kassiber 45, Mai 2001, S. 19ff.)



Großrazzia auf der Bundesstraße

Die Polizei zieht Bilanz einer zwei Nächte dauernden Kontrollaktion an der Bundesstraße 322 bei Groß Mackenstedt (südlich von Bremen), an der rund 100 PolizistInnen und 30 ZollbeamtInnen beteiligt waren. Demnach wurden bei der Großrazzia rund 1.900 Personen in 1.400 Fahrzeugen kontrolliert. Ergebnis: zwei Fahrzeuge wurden sichergestellt, gegen zwei Personen, die illegale Drogen bei sich hatten, Anzeige erstattet, bei 30 LKW-FahrerInnen und zahlreichen AutofahrerInnen Verstöße nach dem Verkehrsrecht festgestellt, außerdem zwei Männer vorläufig festgenommen, die zur Fahndung ausgeschrieben waren. Weiterhin habe man 32 sogenannte SchwarzarbeiterInnen ertappt.





13. März

Mahnwache gegen Abschiebungen

Vor dem Hauptbahnhof beginnt eine unbefristete, viele Wochen dauernde Mahnwache von tamilischen Flüchtlingen sowie der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen. Die AktivistInnen fordern einen Abschiebestop nach Sri Lanka und die deutsche Bundesregierung auf, Lösungen für einen "gerechten und fortdauernden Frieden" in Sri Lanka zu unterstützen.

Aktueller Anlaß für den Beginn der Mahnwache ist der fünftägige Staatsbesuch der Präsidentin Sri Lankas, Chandrika Kumaratunge, bei Rotgrüns in Berlin: Fischer, Schröder & Co. sollen Druck auf die Regierung des südostasiatischen Inselstaates - Deutschland ist der zweitwichtigste Handelspartner Sri Lankas - ausüben, daß die endlich die seit 15 Monaten andauernden Bemühungen der norwegischen Regierung für einen Friedensprozeß zwischen den Kriegsparteien Sri Lankas akzeptiert. Zwar hatten die dortigen Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) Weihnachten vergangenen Jahres einen einmonatigen Waffenstillstand verkündet - und den seither mehrmals verlängert -, doch die Regierungstruppen nutzten dies bisher lediglich dafür, ihre militärischen Operationen extrem zu verschärfen.



Weggemobbt

Böse, böse, Bremens neuer Innenstaatsrat Kuno Böse (CDU). Nach nur wenigen Monaten Amtszeit wird er seinem Ruf aus Berliner Zeiten vollauf gerecht. Böse steht nicht nur für Law-and-order-Politik, sondern auch für wadenbeißerisches Mobbing im Apparat. Zunächst muß jetzt Polizeipräsident Rolf Lüken (seit 1989) nach fast 45jähriger Laufbahn bei der Polizei Bremen gehen, das heißt darum bitten, ihn zum 31. August 2001 in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen. Innensenator Bernt Schulte entspricht diesem Anliegen, "in Respekt vor der Leistung und dem langjährigen Wirken Rolf Lükens für die Polizei Bremen" - noch weiß er nicht, daß auch er in etwa zwei Monaten dran glauben muß.



Nicht stolz

Der grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin, derzeit angesichts des bevorstehenden Castor-Transports gerade bei Linken unbeliebter denn je, nimmt sich dann und wann seine "Blackouts", die an seine präminsteriable Phase erinnern (wenngleich sie zumeist wenig später relativiert werden). Castor hin oder her, während Politik und Medien immer noch über den "Nationalstolz" fabulieren, zeigt sich der ehemalige Kader des Kommunistischen Bundes (KB) gar ist nicht stolz, daß der CDU-Generalsekretär ein Doitscher ist, denn "Laurenz Meyer hat die Mentalität eines Skinheads und nicht nur das Aussehen". Woll. Der CDU-Generalsekretär hatte zuvor das Ansinnen der Grünen, die von CDU/CSU, SPD und FDP im Jahre 1993 vollzogene Abschaffung des Grundrechts auf Asyl wieder rückgängig zu machen - und das Asylrecht in seiner damaligen Form wiederherzustellen - als Rückfall in eine Müsli-Nostalgie bezeichnet.





17. März

NPD/JN marschiert

Weil die Behörden ihren ursprünglich im niedersächsischen Weyhe geplanten Aufmarsch durch "unzumutbare" Auflagen verhindert hätten, marschieren rund 130 AnhängerInnen der faschistischen NPD, der Jungen Nationaldemokraten (JN) sowie der "Freien Kameradschaften" am Vormittag durch den Nordbremer Stadtteil Vegesack. Vor den rund 300 "linksextremistischen" (Innenstaatsrat Böse) antifaschistischen GegendemonstrantInnen werden sie durch ein Großaufgebot von etwa 800 PolizistInnen und BGS-BeamtInnen, darunter eine Hundertschaft aus Hamburg, geschützt. Der Bundesgrenzschutz kontrolliert diejenigen AktivistInnen, die sich nicht an der von evangelischen Kirchengemeinden und dem DGB organisierten Gegenkundgebung (500 TeilnehmerInnen) beteiligen, bereits im Bremer Hauptbahnhof und am Vegesacker Bahnhof. Dort werden - dem Anschein nach - autonome AntifaschistInnen von der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) der Bremer Polizei in Empfang genommen. Diejenigen, die wie der Großteil der FaschistInnen mit dem Auto anreisen, müssen Kontrollen an den wichtigsten Zufahrtswegen nach Vegesack über sich ergehen lassen. Innenstaatsrat Kuno Böse (CDU) hatte tags zuvor eine "niedrige Eingriffsschwelle" der Polizei angekündigt.

Nach Abschluß der Nazikundgebung werden deren abreisende TeilnehmerInnen mit Steinen, Eiern und Flaschen eingedeckt. Die Polizei nimmt 15 Personen, vor allem AntifaschistInnen, vorläufig fest, vier kommen in Gewahrsam - gegen sie wird wegen Landfriedensbruch ermittelt. (Zu unserem Leidwesen müssen wir jetzt eingestehen, daß es sich bei der in kassiber 45, Mai 2001, auf Seite 9 dokumentierten Festnahme um keinen Antifaschisten, sondern um einen Nazi handelt.) Während die Nazis abrücken, gibt ein als Verkehrsposten eingesetzter Polizist kurz vor der Bundesstraße 74 mehrere "Warnschüsse" ab, angeblich, weil er sich durch rund 30 AntifaschistInnen bedroht sah. Allerdings war nichts geschehen, was einen Schußwaffengebrauch rechtfertigen würde.

Parallel zu den Geschehnissen in Vegesack demonstrieren im unweit von Bremen gelegenen Weyhe rund 700 Menschen "für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit". Zu dieser Demonstration wie zu der vorangegangenen Aktionswoche hatte das Aktionsbündnis gegen Rechts Weyhe aufgerufen.





21. März

1.336 Hausdurchsuchungen

Knapp vier richterlich angeordnete Durchsuchungen von Wohn- und Geschäftsräumen sowie Büros finden in Bremen pro Tag statt - im vergangenen Jahr waren es insgesamt 1.336. Das teilt Bürgermeister und Justizsenator Henning Scherf (SPD) in der Fragestunde der Bürgerschaft mit. Wie viele weitere Razzien ohne richterlichen Beschluß es - wegen "Gefahr im Verzug" - gegeben habe, könne er nicht sagen, denn dies werde nicht erfaßt. Allerdings seien die jüngst in der Presse genannten Zahlen von etwa dem Neunfachen "völlig aus der Luft gegriffen". Dies werde schon durch die nur - nach Schätzungen des Amtsgerichts - zehn bis 20 Beschwerden gegen solche Durchsuchungen widerlegt. Fragesteller Hermann Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) gibt sich zufrieden.



Solidarität gefordert

Hilde Adolf (SPD), Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales - und damit auch für "Ausländerfragen" zuständig -, fordert anläßlich des Internationalen Tages gegen Rassismus Solidarität gegen die Machenschaften ihrer Untergebenen und anderer RechtsextremistInnen und GewalttäterInnen: "Wir nehmen nicht hin, daß Rechtsextremisten und Gewalttäter durch Herzparolen, Aufmärsche, Gewalttaten und Brandanschläge Menschen ängstigen, verletzen oder gar ermorden." "Wir brauchen mehr Zivilcourage", fordert Hilde Adolf. Wer nicht einschreite, wenn Ausländer angepöbelt werden, wenn anderen Menschen seelische oder körperliche Gewalt - zum Beispiel im Sozialamt oder in der Wohnungsbehörde, vergißt Adolf zu verdeutlichen - angetan werde, verletze selbst die Grundlagen menschlichen Zusammenlebens. Wer nicht selbst aktiv eingreifen kann, könne dennoch Hilfe herbei rufen. "Handeln, anstatt wegsehen", müsse das Leitmotiv sein. Nur wo Hilfsbereitschaft, Toleranz und Zivilcourage an die Stelle von Gleichgültigkeit träten, hätten Extremismus und Gewalt keine Chance.





22. März

Affenversuche verlängert

Als 1998 die Universitätsleitung wie der Bremer Senat den Eindruck erweckten, daß die Genehmigung für die Hirnforschungsexperimente Andreas Kreiters an lebenden Affen nur befristet für drei Jahre gewährt werden würden, hätten alle, die es wissen wollten, wissen können, daß - wie üblich bei solchen naturwissenschaftlichen "Forschungen" - es eine Verlängerung geben würde. Mittlerweile liegt ein Antrag Kreiters auf weitere drei Jahre Verlängerung vor, der aller Voraussicht nach von der zuständigen Behörde genehmigt werden wird - warum auch nicht?

Die Bürgerschaftsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen will allerdings der Genehmigungsbehörde gegenteiligen Druck machen und den Antrag von unabhängigen Sachverständigen überprüfen lassen und - erleidet Schiffbruch. Nach der Bürgerschaftsdebatte stimmen außer zehn Grünen nur zwei Sozis und ein Nazi dem Antrag "Aus den Affenversuchen wieder aussteigen" zu, 69 Abgeordnete von SPD und CDU sind dagegen, die anderen 18 gar nicht anwesend. Denn, so Bildungs- und Wissenschaftssenator Willi Lemke (SPD), die Versuche dürften "aus Populismus" nicht abgebrochen werden: "Bremen sollte stolz auf seine Forscher sein. Sie sollen hier arbeiten und nicht fluchtartig die Stadt verlassen und nach Amerika verschwinden, weil sie Morddrohungen bekommen."

Am 2. Mai gibt die für die Genehmigung zuständige Gesundheitsbehörde bekannt, daß Professor Kreiter seine Affenversuche an der Universität auch über den 30. April, vorgestern lief die auf drei Jahre befristete Genehmigung ab, hinaus fortsetzen darf. Derzeit werde Kreiters Antrag auf eine Verlängerung um weitere drei Jahre in der Behörde geprüft, in den kommenden Wochen sei mit einer Entscheidung zu rechnen. Im übrigen seien die Kreiter mit der ersten Dreijahres-Genehmigung zugesagten Räumlichkeiten auf dem Universitätsgelände erst im vergangenen September fertig geworden. Auch habe eine "Ersatzmethoden-Kommission" der Universität im März festgestellt, daß es derzeit keine Alternative zu den Affenversuche gebe.





28. März

Feuer in der Zelle gelegt

Ein Gefangener legt in seiner Zelle in der Untersuchungshaftanstalt Bremen (im Männerknast Oslebshausen) in der Nacht Feuer und erleidet dabei schwere Verbrennungen. Der 51jährige, der wegen des Verdachts des versuchten Totschlags einsitzt, hatte Papier und Stoffetzen unter dem Tisch seiner Zelle zu einem Ballen verklumpt und in Brand gesetzt. Das Feuer wird von den Schließern gelöscht, der Gefangene muß in ein künstliches Koma versetzt und in eine Spezialklinik nach Hamburg verlegt werden, ist aber bald außer Lebensgefahr.



Alle Räder stehen still ... (I)

Auch am Bremer Flughafen fallen einige Flüge am ersten Streiktag der PilotInnen aus. Die Vereinigung Cockpit (VC) hatte 4.200 PilotInnen der Lufthansa sowie ihrer Tochtergesellschaften Lufthansa-Cargo und Condor bundesweit aufgerufen, zwischen 6.30 und 9 Uhr in den Warnstreik zu treten, um Druck in den seit fast acht Wochen laufenden Tarifverhandlungen zu machen. Die anderen Beschäftigten der Fluggesellschaft, das Flughafen-Personal wie auch die meisten anderen MalocherInnen nehmen den FlugzeugführerInnen ihren Arbeitskampf allerdings ziemlich übel.

Das analytisches Niveau der Diskussion - auch beim Großteil der Linken, und insbesondere ihrer autonomen Fraktion - bewegt sich indes, wer hätte das gedacht, noch unter dem der Benzinpreis-Diskussion, das heißt zu den Ursachen der Erhöhung der Benzinpreise, vor einigen Monaten. Schließlich würde die PilotInnen ohnehin schon sehr viel beziehungsweise "mehr als genug" verdienen - und wollten nun auch noch Gehaltserhöhungen von 20 bis 30 Prozent durchsetzen. Damit würden Arbeitsplätze, der Standort Deutschland, notwendige Investitionen, Dividenden, die Sozialpartnerschaft etc. pp. gefährdet - oder es würde für sie selbst bei kommenden Tarifverhandlungen kaum noch etwas übrig bleiben. Und woran liegt das?





29. März

Mission impossible

Innensenator Bernt Schulte (CDU) dankt den Mannen der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) stellvertretend für die rund 300 während des gerade zu Ende gegangenen Castor-Transports nach Gorleben eingesetzten Bremer PolizistInnen für ihre "professionelle Arbeit". Verletzte Bremer Cops gäbe es keine zu beklagen, allerdings sei ein Beamter krankheitsbedingt nach Hause geschickt worden. "Sie haben Ihre Gesundheit riskiert, um einen völkerrechtlich und auch energiepolitisch notwendigen Transport radioaktiver Abfälle vor Blockaden und Gewalttaten zu schützten", so Schulte. "Die unter dem Deckmantel der Anti-Kernkraft-Bewegung im Wendland zur Schau gestellte kriminelle Energie, die in Schüssen mit Signalmunition gegen Polizisten gipfelte, ist unfaßbar."

Das Land Bremen hatte zunächst 180 Beamte der Polizei Bremen zur Unterstützung des Castor-Einsatzes entsandt. Darunter befand sich die BFE sowie eine Technische Einsatzeinheit mit Wasserwerfern und Sonderwagen. Die Kräfte waren sowohl direkt am Zwischenlager Gorleben als auch entlang der Strecke eingesetzt. Wie der Innensenator sowie der Bremer Polizeipräsident ergänzend mitteilten, war der Großteil der Bremer PolizistInnen in einer zur Zeit leerstehenden Kaserne untergebracht. Die Unterbringung habe allerdings zu wünschen übrig gelassen, die Einsatzzeiten hätten bei rund 14 Stunden täglich gelegen. In einem Fall sei die BFE sogar 18 Stunden im Einsatz gewesen.

Noch am vorletzten Tag des Castor-Transports seien vom niedersächsischen Innenminister weitere Kräfte angefordert worden. Daraufhin sei sofort eine Alarmhundertschaft der Bremer Schutzpolizei zusammengezogen und nach Lüneburg entsandt worden. Die Beamten waren im Raum Dannenberg mit Raumschutzmaßnahmen beauftragt worden und führten insgesamt sieben vorläufige Festnahmen wegen Landfriedensbruchs durch. Außerdem wurde ein Anti-Castor-Aktivist beim Fahren ohne Fahrerlaubnis angetroffen.



Kurze Prozesse gemacht

Etwa 15 Prozent aller vor den Bremer Strafgerichten anhängig gemachten Verfahren wurden nach Angaben der Justizbehörde im vergangenen Jahr in sogenannten beschleunigten Verfahren verhandelt; 1999 waren es 13 Prozent, 1998 nur elf Prozent. Dieses "erfreuliche Ergebnis" sei nicht zuletzt auf eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei zurückzuführen. Im Oktober 1999 hatten die Innen- und Justizverwaltung in einem gemeinsamen Erlaß konkrete Verfahrensabsprachen getroffen, um in "einfach gelagerten Fällen" eine zügigere Erledigung zu gewährleisten. Gemeint sind vor allem Ladendiebstähle, Beförderungserschleichung ("Schwarzfahren") und Auto fahren unter Alkoholeinfluß. Festgelegt wurde unter anderem, daß Kaufhäuser und Läden in der Innenstadt sowie die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) von der Polizei formatierte Anzeigenvordrucke erhalten. Die Beschuldigten werden von den Bütteln dann sofort, spätestens aber innerhalb von zehn Tagen zur Vernehmung vorgeladen. Die Verurteilung durch das Amtsgericht soll spätestens drei bis vier Wochen nach dem Delikt erfolgen. (vgl. kassiber 40, November 1999, S. 16)

Auch in anderen Bereichen machten Bremer StaatsanwältInnen im Jahr 2000 vermehrt kurzen Prozeß. So waren mehr als 44 Prozent der 52.000 neuen Ermittlungsverfahren, das sind so viele wie nie zuvor, in weniger als einem Monat nach Eingang erledigt. Nach drei Monaten Bearbeitungsdauer waren es im vergangenen Jahr bereits fast 80 Prozent aller Ermittlungsverfahren.



Observation vorerst gestoppt

Nachdem in den vergangenen Wochen in Bremer Kleingartengebieten Bedienstete des Amtes für Stadtplanung und Bauordnung zu den verschiedensten Tageszeiten unterwegs waren, um Parzellen und NutzerInnen auf "illegale Nutzung", das heißt unangemeldetes und unrechtmäßiges Wohnen, zu überprüfen, stoppt die Baubehörde jetzt diese Praxis. Die bisher verwandten Kontrollbögen dürften solange nicht mehr genutzt werden, bis alle datenschutzrechtlichen Fragen geklärt seien.

In Bremens Parzellengebiete wohnen schätzungsweise mehrere tausend Personen, die meisten von ihnen illegal. Viele haben sich ihr Parzellenhäuschen im Laufe der Jahre - ohne Baugenehmigung, denn die gibt es dafür nicht - zum mitunter komfortablen Wohnhaus um- oder ausgebaut. Das Bauordnungsamt hatte in den letzten Jahren immer wieder angedroht, dieses Dauerwohnen insgesamt unterbinden zu wollen, und in Einzelfällen auch Abrißverfügungen für nach dem Bebauungsplan nicht zulässige Bauten verschickt. Mit Hilfe des Verwaltungsgerichts wurde dann eine Nutzung zu Wohnzwecken untersagt.

Kürzlich bließ das Bauordnungsamt aber doch zum Generalangriff, offiziell "Örtliche Feststellung hinsichtlich einer illegalen Nutzung auf dem Grundstück" genannt. Nicht etwa, daß die NutzerInnen der Parzellen direkt befragt wurden. Nein, vielmehr zogen BehördenvertreterInnen seither mit einem umfangreichen Kontrollbogen - jede Parzelle wird in Abständen insgesamt dreimal überprüft - durch die Kleingartengebiete, und zwar nicht nur zu ihren eigentlichen Arbeitszeiten, sondern auch am Spätnachmittag oder Abend. Als dann wurde in detektivischer Kleinarbeit festgestellt, ob Briefkästen vorhanden und ob diese voll oder leer sind. Ob "Spuren zu baulichen Anlagen" zu sehen sind, ob Licht brennt - hier ist dann anzugeben, hinter wievielen Fenstern. Ob sich Personen auf dem Grundstück aufhalten, und wenn ja, wieviele: "männlich/weiblich/Alter ca." Wenn niemand beobachtet wird, soll festgehalten werden, ob sich "frische Fußspuren" oder, im Winter, "Fußspuren im Schnee" finden, auch Profilabdrücke von Fahrradreifen sind festzuhalten. Und an den "äußere[n] Merkmale[n] des Pkw" (Kennzeichen bitte eintragen) auf dem Grundstück läßt sich trefflich feststellen, wann er zuletzt genutzt wurde. Zur Auswahl stehen unter anderem folgende Kategorien: "beschlagene Scheiben", "vereiste Scheiben", "nach Regenfall trockene Fläche unter Fahrzeug" oder "schneeüberzogenes Fahrzeug".

Betroffene KleingärtnerInnen haben inzwischen einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Nach dessen Angaben hat das Bauordnungsamt unzulässigerweise regelmäßig personenbezogene Daten über die ParzellennutzerInnen unter anderem an andere Behörden weitergegeben. Bremens Landesdatenschutzbeauftragter, Sven Holst, moniert vor einigen Tagen, daß "personenbezogene Daten grundsätzlich nur beim Betroffenen mit seiner Kenntnis erhoben werden" dürften. Statt zu observieren, wären die Bauordnungsamts-DetektivInnen verpflichtet, die Angaben zunächst bei den KleingärtnerInnen abzufragen.

Die Baubehörde will zwar den Fragebogen überarbeiten, so daß er den Kriterien des Datenschutzgesetzes entspricht, doch, so ihr Sprecher Holger Bruns, ein "grundsätzliches Einstellen der Überwachung kann nicht in Frage kommen", denn sonst wäre "eine effektive Durchsetzung des Verbots der Wohnnutzung nicht zu erreichen".





30. März

Bismarck-Kommers

Im Marriott-Hotel findet am Abend zum 49. Mal der sogenannte Bismarck-Kommers der Bremer Akademikerverbände statt. Hauptredner ist Ferdinand Fürst von Bismarck (71), Urenkel des ehemaligen Reichskanzlers Otto von Bismarck und Verwalter der umfangreichen familiären Besitztümer. Der erzreaktionäre Herbord Ivar Ferdinand, 4. Fürst von Bismarck, spricht vor den rund 250 zumeist alten Männern im Blauen Saal des Marriott über "Bismarcks politische Erbschaft". Die Teilnehmer rekrutieren sich größtenteils aus studentischen Verbindungen, Burschenschaften, Corps, Landsmannschaften und anderen zumindest tendenziell rechtsradikalen Vereinigungen. Präsident des 49. "Bismarck-Kommers" ist der Jurist und Burschenschaftler Lothar Hübener.



Finanzsenator will "Gemeinnützigkeit" bei "robin wood" prüfen

Die Umweltschutzorganisation robin wood soll mit dem Verlust ihrer vom Finanzamt anerkannten Gemeinnützigkeit für die sehr erfolgreiche Einbetonieraktion während des vorgestern zu Ende gegangenen Castor-Transports in das Wendland büßen, findet Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU). Denn: "Gewalttätigkeit und Gemeinnützigkeit schließen sich aus." Robin wood habe im Rahmen der Anti-Castor-Proteste Straftaten erheblichen Ausmaßes begangen. Perschau teilt die vom niedersächsischen Innenminister Heiner Bartling geäußerte Auffassung, daß solche Aktionen die Gemeinnützigkeit von eingetragenen Vereinen in Frage stellen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung habe darauf verwiesen, daß Körperschaften nur dann als gemeinnützig behandelt werden können, wenn sie sich bei ihrer Betätigung im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung bewegen. Und die werde danach, so Perschau, "schon durch die Ankündigung von gewaltfreiem Widerstand gegen geplante Maßnahmen und die Nichtbefolgung von polizeilichen Anordnungen durchbrochen. Deshalb wird das zuständige Finanzamt Bremen-Mitte den Vorgang intensiv prüfen."





2. April

Innenministerkonferenz der Küstenländer

Auch die Innenminister und -senatoren der norddeutschen Küstenländer wollen robin wood und Greenpeace wegen der Aktionen während der Castor-Transporte an den Kragen. Während ihrer Konferenz in Kiel tun sich insbesondere Heiner Bartling (Niedersachsen) und Bernt Schulte (Bremen) mit der Forderung nach Aberkennung der Gemeinnützigkeit für die beiden Umweltorganisationen hervor. Weiterhin wird, so Schulte, "auf Anregung Bremens" gefordert, "etwaige Schadensersatzansprüche gegen Störer konsequent zu verfolgen". Man dankt der letztlich erfolgreich eingesetzten Truppe und verurteilt "Gewaltaktionen und das unverantwortliche Vorgehen einzelner und dahinterstehender Organisationen" - gemeint sie die Anti-Castor-AktivistInnen.

Außerdem beschließen die Innenminister und -senatoren ein eigenes "Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten" aufzulegen. Ziel sei es, Personen aus der rechtsextremen Szene zu reintegrieren. Hierbei gehe es, so Schulte, nicht "nur um sogenannte Top-Neonazis, sondern [darum] daß latent gefährdete Jugendliche gar nicht erst zu Einsteigern in der rechtsextremen Szene werden". Die "Belange des Verfassungsschutzes" seien zu berücksichtigen.

Folgende Bausteine seien erforderlich: Erstens die Einrichtung von Kontakt-Telefonen/Kontakt-Adressen mit möglichst niedriger Zugangsschwelle. Hierfür kämen insbesondere nicht-staatliche Träger, Einrichtungen der Jugend- und Sozialhilfe, gegebenenfalls auch Einrichtungen der Polizei in Betracht. Zweitens die gezielte Ansprache von Rechtsextremisten. Hierfür sollten vorrangig Situationen der Vereinzelung und Verunsicherung von Szene-Mitgliedern genutzt werden, um den "Einstieg in den Ausstieg" anzustoßen. Derartige Situationen ergäben sich zum Beispiel bei polizeilichen Ermittlungen, im Knast, im Rahmen der Bewährungshilfe, aber auch in der Sozialarbeit, Jugendarbeit und in der Schule.

In Bremen habe sich bereits Ende März erstmals eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe getroffen, um auf Einladung des Innensenators zusammen mit dem Sozial- und Bildungsressort für Ausstiegswillige ein landesspezifisches Programm auszuarbeiten.



J.E.S. soll draußen bleiben

Der Beirat Mitte lehnt am Abend das Ansinnen des J.E.S. Bremen e.V., im September ein neues Domizil in der Straße Außer der Schleifmühle gegenüber der Musikbibliothek zu beziehen, ab. Der Selbsthilfeverein für Junkies, Ehemalige und Substituierte (J.E.S.) ist seit zehn Jahren in der Findorffstraße beheimatet, muß die dort gemieteten Räume aber Ende August verlassen. Der Sozialbehörde - J.E.S. finanziert sich ganz überwiegend aus Staatsknete - scheinen die dortigen Mietkosten von 40.000 Mark jährlich nämlich als entschieden zu hoch, sie fressen rund zwei Drittel der Zuschüsse von 65.000 Mark auf. Zudem soll der Vermieter der Findorffstraße 50/52 andere Pläne mit dem Objekt haben.

Wie immer, wenn es um Drogenhilfeprojekte geht, ging es im Beirat Mitte hoch her. So kritisiert J.E.S. denn tags darauf auch, daß nicht sachliche Argumente, sondern parteipolitisches Kalkül und die Angst vor eventuellen Belästigungen für die AnwohnerInnen im Mittelpunkt der Diskussion gestanden hätten. Da nützte es auch wenig, daß der selbstverwaltete Verein durchweg positive Stellungnahmen der Polizeiwache Findorff, des bisherigen Vermieters sowie der Sozialbehörde vorgelegt hatte.

J.E.S. befürchtet jetzt das Aus für den Verein, sollte er bis Ende August keine neuen Räume gefunden haben.





4. April

Bundesweit Spitze

Das Ausmaß der Einwerbung von Drittmitteln durch Hochschulen gilt kritischen BeobachterInnen gemeinhin als Indikator für die Abhängigkeit der dortigen Forschung, Entwicklung und Lehre von den privaten GeldgeberInnen (den "Dritten"), nach dem Motto "Wes Brot ich ess', des Lied ich sing".

Einer Untersuchung des Wissenschaftsrates ("Drittmittel und Grundmittel der Hochschulen 1993 bis 1998") zufolge zählt Bremen bei der Einwerbung von Drittmitteln mit seinen Hochschulen zu den "erfolgreichsten" Bundesländern. Neben Bremen erreichen danach lediglich die Länder Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen ein vergleichsweise hohes Niveau der Drittmitteleinwerbung. Ziel der Untersuchung des Wissenschaftsrats sei es gewesen, so Wissenschaftssenator Willi Lemke (SPD), die Entwicklung der Einnahmen der Hochschulen aufzuzeigen und darüber zu informieren, wie viele Mittel für Forschung und Lehre ausgegeben worden sind und in welchem Ausmaß es gelungen sei, ergänzend zur Grundfinanzierung zusätzliche Mittel für Forschung und Entwicklung einzuwerben. Das Verhältnis von Grund- und Drittmitteln sowie die Wachstumsrate dieses Verhältnisses dienten als wichtige Indikatoren für den Erfolg der Drittmitteleinwerbung, bei beiden nehme Bremen eine Spitzenstellung ein.

Bundesweit sind die Zuschüsse der Länder (Grundmittel) um durchschnittlich 1,3 Prozent pro Jahr angestiegen, in Bremen sind sie dagegen um 1,95 Prozent real gesunken. Andererseits sei in Bremen die Einwerbung von Drittmitteln deutlich verbessert worden. Die Bremer Hochschulen konnten im Jahr 1998 über 314,4 Millionen Mark Grundmittel und 88,7 Millionen Mark Drittmittel verfügen, das entspricht einem Drittmittelanteil von 28,5 Prozent gegenüber einem Anteil von 17,5 Prozent im Jahre 1993. Bundesweit lag der Drittmittelanteil 1998 bei 14,27 Prozent, im Jahre 1993 bei 12,24 Prozent.

Die Universität Bremen liegt nach der Untersuchung des Wissenschaftsrats mit ihrem Anteil der Drittmittel an den Grundmitteln von 22,3 Prozent bis 33,1 Prozent in den Jahren 1993 bis 1998 an einsamer Spitze und ist auch im Trend "eindeutig positiv". Und auch bei den Fachhochschulen nimmt Bremen neben Schleswig-Holstein eine Spitzenstellung ein.

Was lernt uns das? Der Ex-KGB-Agent Willi Lemke hat schon vor vielen Jahren seine vulgärmarxistischen Analysen ad acta gelegt, vielmehr: "Der große Erfolg bei der Einwerbung von Drittmitteln macht einmal mehr deutlich, daß unsere Hochschulen hervorragende Arbeit leisten. Und diese Leistungsfähigkeit zahlt sich aus."



Tiefer gelegt

Ein Auto, das Werbung für den Nachtclub Serail im Philosophenweg 16 macht, wird von "Autonome[n] aus Bremen" "tiefer gelegt", außerdem werden sämtliche Scheiben des Wagens eingehauen. Denn das Serail trete "immer mit sexistischer, rassistischer und frauenverachtender Werbung auf, oft mit geparkten PKW im gesamten Bremer Stadtgebiet". Die AktivistInnen fordern in ihrem BekennerInnenschreiben statt dessen: "Solidarität mit den Opfern sexueller Gewalt! Gewalt gegen Frauen darf nicht unbeantwortet bleiben! Kein Schutz für Täter!"



"Kurden-Prozeß" beendet

Nach etwas mehr als acht Monaten Verhandlungsdauer endet vor dem Bremer Schwurgericht der Prozeß wegen der brutalen Tötung der beiden KurdInnen Sherif Alpsozman und Ayse Dizim in der Nacht zum 24. August 1999 unweit des U-Boot-Bunkers "Valentin" in Bremen-Farge. Die drei ebenfalls kurdischen Hauptangeklagten werden wegen Totschlags zu 13 beziehungsweise 15 Jahren Haft, der PKK-Funktionär Mehmet E. wegen Beihilfe zum Totschlag zu neun Jahren Haft verurteilt. Die drei Hauptangeklagten waren bereits vier Tage nach der Tat festgenommen worden, der jüngste von ihnen, Ahmet T., hatte bald danach ein Geständnis abgelegt. Im Laufe des Prozesses hatten dann alle drei eingeräumt, dabei gewesen zu sein, allerdings unterschiedliche Angaben zu ihrer jeweiligen Tatbeteiligung gemacht.

Während Politstaatsanwalt Uwe Picard für eine Verurteilung wegen Mordes plädiert hatte, sah das Gericht die dafür notwendigen Merkmale "Grausamkeit" und "niedrige Beweggründe" nicht als erfüllt an. Auch Picards Auffassung, daß der Befehl für die Tötung des kurdischen Liebespaares "von ganz oben" aus der Kurdischen Arbeiterpartei PKK gekommen sei, schließt sich Richter Kurt Kratsch nicht an. Allerdings habe der flüchtige, mutmaßliche ehemalige PKK-Regionalverantwortliche "Servet" den Befehl mit Billigung des Angeklagten Mehmet E., angeblich bis dahin PKK-Gebietsverantwortlicher für Bremen-Nord, in Auftrag gegeben. Das Motiv sei die Heirat des ehemaligen PKK-Guerilleros Sherif Alpsozman mit Ayse Dizim gewesen. Der im Kampf verwundete, deswegen im Rollstuhl sitzende und als "Held" verehrte Sherif Alpsozman habe nicht gegen den Willen der Partei heiraten dürfen und - deshalb sterben müssen. Ob die Partei dies aber mit dem Tode bestraft oder Auftraggeber "Servet" sein eigenes Süppchen gekocht habe, zum Beispiel weil er selbst in die getötete Ayse Dizim verliebt war, darauf will sich das Gericht im Urteil nicht festlegen.

Staatsanwalt Picard hatte seiner Variante unter anderem auch dadurch Nachdruck verleihen wollen, daß er dem Spiegel im vergangenen Juli umfangreiche Ermittlungsakten zuspielte, aus denen das Nachrichtenmagazin dann auf mehreren Seiten ausgiebig zitierte. Erkenntnisse über die PKK haben die Bremer Staatsschützer nicht nur durch zahlreiche in den Verein in der Westerstraße eingeschleuste Spitzel gewonnen, sondern unter anderem auch durch eine Kameraüberwachung von direkt gegenüber. Im Prozeß gab ein als Zeuge geladener Beamter an, daß man den Verein verwanzt und allein seit 1998 26.000 (sic!) Telefongespräche abgehört habe.

Die Staatsanwaltschaft kündigt am Tag nach der Urteilsverkündung an, Revision einlegen zu wollen, um doch noch eine ("höhere") Verurteilung wegen Mordes zu erreichen.

In einigen Monaten wird ein weitere Prozeß in diesem Zusammenhang stattfinden. Angeklagt werden vier Kurden, die den drei Haupttätern Hilfe geleistet haben sollen.





9. April

Sexistische Angriffe (II)

Gegen 6 Uhr wird eine Frau in einem Stehcafé in der Wartburgstraße von einem Mann überfallen. Der Täter stürzt sich auf die 32jährige, die gerade den Laden aufgeschlossen hatte, drückt sie Boden und küßt sie. Der Frau gelingt es aber, dem Täter eine Konservendose auf den Kopf zu schlagen, woraufhin er flüchtet.





10. April

Nazis wollen wieder in Vegesack marschieren

Nach Angaben der Innenbehörde hat der Kreisvorsitzende der Bremer NPD, Michael Kurzeja, eine weitere Demonstration in Vegesack für den 19. Mai angemeldet. Erst am 17. März waren dort rund 130 AnhängerInnen der faschistischen NPD, der Jungen Nationaldemokraten (JN) sowie der "Freien Kameradschaften" aufmarschiert.

Ein Verbot komme, so Markus Beyer, Sprecher der Innenbehörde, kaum in Frage, denn "einen NPD-Triumph vor Gericht wollen wir in Bremen nicht haben". Beyer beruft sich dabei auf eine jetzt veröffentlichte Begründung für eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am 24. März, die den Rahmen für Verbote faschistischer Demonstrationen sehr eng stecke. Danach reiche allein die Erwartung, "der Veranstalter und die voraussichtlichen Teilnehmer würden nationalsozialistisches oder jedenfalls rechtsextremistisches Gedankengut verbreiten", nicht aus. Vielmehr müsse konkret dargelegt werden, daß die Gefahr von Straftaten, wie etwa Volksverhetzung oder das Tragen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, bestehe. "Aufmärsche mit paramilitärischen oder sonstwie einschüchternden Begleitumständen" könnten, so das Bundesverfassungsgericht, durch entsprechende Auflagen verhindert werden. Das hatte das Stadtamt auch für den 17. März getan - Springerstiefel, Bomberjacken und Trommeln waren ebenso wie das Marschieren im Gleichschritt verboten -, sich aber ansonsten nicht an der Verbreitung von "nationalsozialistischem oder jedenfalls rechtsextremistischem Gedankengut" durch die Nazis gestört.

Am 13. April gibt das Stadtamt bekannt, daß die Demonstration am 19. Mai nicht stattfinden könne, da die Polizei an diesem Tag bereits einen Großeinsatz beim Fußballbundesliga-Spiel Werder Bremen gegen Hansa Rostock habe. Der Naziaufmarsch werde voraussichtlich am 26. Mai stattfinden. Die beantragte Route - vom Vegesacker Bahnhof bis zum Lobbendorfer Tor - bleibe unverändert.





13. April

Arbeitsamts-Razzien (I)

ErmittlerInnen des Arbeitsamtes und der Polizei haben in dieser Woche auf Baustellen und in anderen Betrieben drei Arbeiter aus Nicht-EU-Staaten festgenommen. Auf einer Bootswerft in Vegesack wurde ein polnischer Arbeiter beim Reparieren einer Segelyacht verhaftet, der mit einem Touristenvisum nach Deutschland gekommen war. Außerdem wurden zwei Mitglieder einer Baukolonne in Vegesack festgenommen, die mit Fassadenarbeiten beschäftigt waren. Der eine Arbeiter war als Tourist aus Bulgarien eingereist, der andere, vermutlich kommt er aus der Türkei, konnte nur einen gefälschten spanischen Paß vorweisen. Alle Betroffenen sollen abgeschoben werden.





14. April

Ostermarsch-Kundgebung

Rund 150 Männer und Frauen nehmen an der diesjährigen Ostermarsch-Kundgebung unter dem Motto "Bundeswehr als Eingreiftruppe - Wir sagen Nein!" auf dem Marktplatz teil.





18. April

Sexistische Angriffe (III)

In der Findorfallee wird eine Frau am späten Abend von einem Mann überfallen. Die 19jährige war mit dem Fahrrad in Richtung Bürgerpark unterwegs und wurde von dem Täter nach der Uhrzeit gefragt wurde. Sie hielt an, wurde von dem Mann aber sofort angefaßt und gewürgt. Allerdings gelang es der Frau, einen seiner Finger zu packen und soweit nach außen zu reißen, daß der wahrscheinlich brach. Daraufhin flüchtet der Täter.





20. April

Kampfhund-Gesetz

Die Deputation für Inneres beschließt den Entwurf eines Gesetzes über das Halten von Hunden, das dem Senat und der Bürgerschaft zugeleitet wird, um die entsprechenden Polizeiverordnungen abzulösen. Im neuen Gesetz seien, so Innensenator Bernt Schulte (CDU), die jüngste Entwicklung der Rahmengesetzgebung des Bundes (Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde), die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts Bremen in Normenkontrollverfahren zu den Polizeiverordnungen sowie Beschlüsse der Innenministerkonferenz berücksichtigt.

Gegenüber den Polizeiverordnungen der Städte Bremen und Bremerhaven, die derzeit den Umgang mit "gefährlichen Hunden" regeln, weise der Gesetzesentwurf im wesentlichen folgende Änderungen auf: Erstens sei die "Rasseliste", das heißt die Aufzählung der Hunde, bei denen vermutet wird, daß sie gefährlich sind, erheblich gekürzt worden. Nunmehr seien nur noch die "Rassen" Pit-Bull-Terrier, Bullterrier, American Staffordshire Terrier, Staffordshire Bullterrier sowie Kreuzungen und Mischlinge dieser "Rassen" aufgeführt. Zweitens müßten "gefährliche Hunde" - das seien individuell gefährliche Hunde und Hunde aus der "Rasseliste" - mit einem Mikrochip markiert werden. Für Hunde nach der Liste müsse außerdem eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen werden.

Drittens müßten individuell gefährliche Hunde, die sich als bissig erwiesen haben, und Hunde aus der Liste in der Öffentlichkeit an der Leine geführt werden und einen Maulkorb tragen. Die Pflicht zum Tragen eines Maulkorbs für Hunde aus der Liste entfalle, wenn die Vermutung ihrer Gefährlichkeit widerlegt werde, der Leinenzwang bleibe. Nach den bisher geltenden Polizeiverordnungen war es nicht möglich, die Einstufung als gefährlich, zum Beispiel durch einen sogenannten Wesenstest zu widerlegen. Viertens werde das Halten "neuer" Hunde aus der "Rasseliste" verboten; die bisher bestehende Ausnahmemöglichkeit werde abgeschafft. Damit dürften nur noch Hunde gehalten werden, die schon beim Inkrafttreten des Gesetzes gehalten werden durften.





23. April

Ausländerbehörde greift zur Zwangstürkisierung von Staatenlosen

Die Ausländerbehörde Bremen greift zu immer rabiateren Methoden, um die Abschiebung von libanesischen Bürgerkriegsflüchtlingen in die Türkei zu erzwingen. Währenddessen versucht sich die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts unter dem Vorsitz von Matthias Stauch, gleichzeitig Präsident des Verwaltungsgerichts, in der Beugung geltenden Rechts, um die Chancen der Betroffenen auf ein Bleiberecht zu untergraben. Das AntirassismusBüro Bremen (ARAB) und die Flüchtlingsinitiative Bremen nehmen den heute verhandelten Fall von Zeki E., der auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis geklagt hatte, zum Anlaß, die Machenschaften von Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht in einer gemeinsamen Presseerklärung darzustellen.

Zeki E. lebt seit 1988 und damit seinem 13. Lebensjahr in Bremen und arbeitet als ausgebildeter Schlosser seit mehreren Jahren in einem Zulieferbetrieb von Daimler-Chrysler. Er ist verheiratet, das Ehepaar Mona und Zeki E. hat zwei Kinder, wovon eines körperlich schwer behindert ist. Seit drei Jahren wird Zeki E. die Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis verweigert, da seine Eltern mit einem türkischen Paß nach Deutschland einreisten, und er in dem Paß seiner Mutter eingetragen war. Mona E. ist weder in der Türkei registriert, noch verfügt sie über irgendwelche türkische Dokumente.

Die Abschiebung des Ehepaares samt Kindern scheitert aus Sicht der Ausländerbehörde vor allem daran, daß Mona E. nachweislich nicht türkische Staatsangehörige ist. Um dieses Abschiebehindernis zu beseitigen, betreibt die Ausländerbehörde nunmehr die Registrierung von Mona E. in der Türkei. Zitat aus einem Schreiben der Ausländerbehörde vom 19. April 2001 an Zeki E.: "Frau Mona E. ist nicht in der Türkei registriert. Es wird seitens unserer Behörde zur Zeit versucht, Ihre Ehefrau in der Türkei nachregistrieren zu lassen, um eine gemeinsame Ausreise Ihrer Familie in die Türkei zu ermöglichen." Dieses Vorgehen widerspricht bindender Rechtssprechung, denn gemäß einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes kann niemand gegen seinen Willen dazu gezwungen werden, die Staatsangehörigkeit eine Staates anzunehmen.

Nachdem inzwischen offensichtlich ist, daß die vom Innensenator verbreitete Lesart von den "falschen Libanesen" nichts weiter als ein Lügengebilde ist, wird nun vom Innenressort unverhohlen auf kriminelle Mittel zurückgegriffen, um die Abschiebung der Betroffenen zu erzwingen. Nicht die Betroffenen sind "Asylbetrüger", die "Asylbetrüger" sitzen in der Innen- und Ausländerbehörde.

Als Richter Stauch im Zuge der Verhandlung die Rechtslage hinsichtlich der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis für Zeki E. erläutert, erklärt er, die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis gemäß der geltenden Altfallregelung sei für Zeki E. ausgeschlossen, da diese ein laufendes Asylverfahren voraussetze. Diese Aussage wird seitens der Richterbank - unter anderm mit Verweis auf entsprechende Erlasse des Innensenators - mehrfach bekräftigt. Im Laufe der Verhandlung zählt der Anwalt des Betroffenen, Jan Sürig, schließlich mehrere ihm bekannte Fälle auf, in denen Personen ohne laufendes Asylverfahren aufgrund der Altfallregelung eine Aufenthaltsbefugnis erhalten hätten. Richter Stauch und Richterin Gerwien kontern dies zunächst mit Verweis auf die "tatsächliche Rechtspraxis", wofür Einzelfälle nicht ausreichen würden. Als die Liste der Namen immer länger wurde, wird die Verhandlung unterbrochen, um der Vertreterin der Innenbehörde die Möglichkeit zu geben, bei der Behörde anzurufen und die derzeitige Praxis zu erfragen.

Nach Fortsetzung der Verhandlung erklärt die Vertreterin der Innenbehörde schließlich, daß ein laufendes Asylverfahren zwar für die Altfallregelung des Jahres 1996 Voraussetzung gewesen sei, dies jedoch nicht mehr für die Altfallregelung des Jahres 1999 gelte. Nachdem ihre bisherige Argumentation zusammengebrochen ist, versuchen Stauch und Gerwien eine neue Variante: Nunmehr legen sie der Vertreterin der Innenbehörde, Frau Gazey, mit einer rhetorischen Frage die Aussage nahe, daß es doch so sei, daß das Asylverfahren zumindest bis 1996 anhängig gewesen sein müsse. Frau Gazey, die eine derartige Lesart bis dahin nicht einmal ansatzweise vorgetragen hat, erklärt daraufhin, daß sie ihren Kollegen wohl so verstanden habe, sich aber nicht sicher sei. Herr Stauch sagt hierzu, daß er diese Aussage (wonach Frau Gazey ihren Kollegen so verstanden habe) dennoch zu Protokoll nehmen wolle. Frau Gazey meint, daß es ihr lieber sei, wenn diese Passage nicht ins Protokoll käme, da sie sich nicht sicher sei. Herr Stauch besteht jedoch erneut auf einer Protokollierung. Rechtsanwalt Sürig beantragt daraufhin die Ablehnung der RichterInnen Stauch und Gerwien wegen Befangenheit mit der Begründung, daß sie während der gesamten Verhandlung versucht hätten, der Vertreterin der Innenbehörde eine für seinen Mandanten negative Auslegung der Altfallregelung in den Mund zu legen.

Tatsächlich sind während der gesamten Verhandlung die Bemühungen der 4. Kammer, mit allen Mitteln einen für Herrn E. negativen Ausgang des Verfahrens herbeizuführen, mit Händen zu greifen. Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht haben einen perfiden Kreislauf etabliert, aus dem es für die Betroffenen kein Entkommen gibt. Die Ausländerbehörde betreibt mit allen Mittel die Existenzvernichtung von 500 Menschen und das Verwaltungsgericht gibt zu allem sein Plazet. Für Zeki E. bedeutet das neben der permanenten Bedrohung durch die Abschiebung, daß er zusätzlich zur Schichtarbeit und der täglichen intensiven Betreuung seines behinderten Kindes alle zwei Wochen einen Tag Urlaub nehmen muß, um bei der Ausländerbehörde die Verlängerung seines provisorischen Aufenthalts zu erreichen.





24. April

Im Verborgenen wirkendes Kriminalitätsphänomen

Der Senat beschließt die von Innensenator Bernt Schulte (CDU) vorgelegte "Konzeption zur Verbesserung der Situation der Opfer von Frauenhandel und Zwangsprostitution" und leitet sie an die Bremische Bürgerschaft (Landtag) weiter. Man werde nunmehr, so Schulte in blumigen Worten, das "im Verborgenen wirkende Kriminalitätsphänomen" des Menschen- und Frauenhandel, das an Skrupellosigkeit kaum zu überbieten sei, "an das Tageslicht zerren und mit aller Konsequenz bekämpfen".

Weltweit würden jedes Jahr Tausende von Frauen Opfer des Menschenhandels. Von "skrupellosen Kriminellen" im Herkunftsland vielfach mit falschen Versprechungen angelockt und nach ihrer Ankunft in Deutschland unter Androhung und Anwendung von Gewalt an ihre neue, menschenunwürdige Tätigkeit herangeführt, würden sie insbesondere in dem für die Menschenhändler lukrativen Bereich der Prostitution, aber auch als billige Arbeits- und Servicekräfte ausgebeutet. Dabei machten die der "organisierten Kriminalität" zuzurechnenden und international agierenden Täter sich bei der Anwerbung die schlechten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in den Herkunftsländern zunutze und drängen die oft mittellosen und später nicht selten als Touristinnen nach Deutschland eingereisten Frauen in die Illegalität.

Die skrupellose "Vermarktung" der "Ware Frau" im Rahmen des Menschenhandels und der damit verbundenen Zwangsprostitution beschränke sich nicht nur auf Bordelle und bordellähnliche Betriebe, sondern finde inzwischen, insbesondere in der Anonymität der Großstädte, in einer Vielzahl sogenannter Modellwohnungen statt. Diese Entwicklung sei in Bremen ebenfalls festzustellen.

Deshalb würden, so Schulte, sich die polizeilichen Maßnahmen des Landeskriminalamtes zur Bekämpfung des Frauenhandels und der Zwangsprostitution auf die etwa 250 in Bremen existierenden "Modellwohnungen" konzentrieren, "ohne daß die klassischen Nachtbars, Bordelle und bordellähnlichen Betriebe vernachlässigt werden". Nicht-Deutsche, die wegen Menschenhandels verurteilt worden sind, würden von den Ausländerbehörden gemäß §§ 45 ff Ausländergesetz "konsequent ausgewiesen" - ihre deutschen KollegInnen dürfen hier bleiben. Nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe - beziehungsweise, "zur Sicherung des generalpräventiven Aspektes der Freiheitsstrafe" eines größeren Teils der Haft - würden sie abgeschoben, es denn, es gäbe rechtliche oder tatsächliche Gründe, die dies unmöglich machten.

Menschenhändler seien am empfindlichsten und wirkungsvollsten über die schnelle Abschöpfung beziehungsweise Beschlagnahme ihres durch Straftaten erwirtschafteten Gewinns zu treffen. Bei der Kriminalpolizei in Bremen und Bremerhaven würden verfahrensunabhängige und verfahrensintegrierte Finanzermittlungen in enger Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft durchgeführt.

Aber nicht nur die Menschenhändler-Ausländer dürften - im Gegensatz zu ihren deutschen KollegInnen - nicht bleiben, auch die betroffenen Frauen sollen raus. Und zwar möglichst auf Kosten ihrer "Arbeitgeber" - die haben nämlich nach dem Ausländergesetz die Kosten der Abschiebung zu tragen, wenn er AusländerInnen ohne Arbeitserlaubnis beschäftigt werden. Bei der (Zwangs-)Prostitution treten die aber zumeist lediglich als "VermieterInnen" sogenannter Modelwohnungen auf. Hier werde derzeit geprüft, ob diese als VermieterInnen fungierenden Personen durch Schaffung entsprechender rechtlicher Regelungen zur Tragung der Kosten der Abschiebung von Ausländerinnen, die der Prostitution nachgegangen sind, herangezogen werden könnten - "unter Umständen ist hier eine Gesetzesänderung nötig", so der Innensenator.

Aussagewillige Opfer des Menschenhandels und der Zwangsprostitution könnten, sofern sie gefährdet seien, in das "Zeugenschutzprogramm" des Landeskriminalamtes kommen. Für Opfer von Menschenhandel, die nicht in das offizielle Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden könnten, weil sie die Voraussetzungen nicht erfüllen, werde eine psychosoziale Betreuung in Kooperation mit dem Amt für Soziale Dienste sicher gestellt.

Potentielle Opfer müssen bereits in ihren Heimatländern über die Gefahren des Menschenhandels in Westeuropa aufgeklärt werden. Dazu seien Maßnahmen der Bundesregierung im Zusammenwirken mit den Regierungen der Herkunftsländer der Menschenhandelsopfer erforderlich. Der Bremer Senat werde sich an gemeinsamen Initiativen beteiligen. Regional würden vom Fachkommissariat K 32 bereits heute Präventionsvorträge vor möglichen Opfergruppen von Menschenhandel, z.B. in Veranstaltungen von Aupair-Organisationen, gehalten. In Zusammenarbeit mit Einrichtungen wie Nitribitt e.V. würden allgemeine Flugblätter und Artikel mit dem Ziel erstellt, die "Nutznießer" (Freier, Männer, die sich zum Beispiel über Internet Partnerinnen, Ehefrauen oder Aupair-Mädchen suchen, um sie sexuell auszubeuten, oder vermeintliche Künstleragenturen) gesellschaftlich zu ächten.



"Walle wehrt sich"

Rund 500 Männer, Frauen und Kinder aus dem Stadtteil Walle demonstrieren am Nachmittag von der Nordstraße zum Wartburgplatz gegen die vom Senat geplante Ansiedlung des Großmarktes im Überseehafen. Befürchtet wird vor allem eine erhebliche Verschlechterung der Wohnqualität im Stadtteil, da die bestehende Infrastruktur das zusätzliche Verkehrsaufkommen nicht verkraften könne.





25. April

Ermittlungsgruppe verdoppelt

Die Umstrukturierungs- und Umzugsmaßnahmen im Arbeitsamt Bremen sind abgeschlossen. Nunmehr gibt es zwei sogenannte Hochschulteams für erwerbsarbeitslose AkademikerInnen, außerdem wurde Platz geschaffen für die um zehn auf 21 ErmittlerInnen aufgestockte Ermittlungsgruppe zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung. Die zusätzlichen zehn ErmittlerInnen wurden aus der inzwischen aufgelösten Ermittlungsgruppe, die eigens zur Weltausstellung EXPO 2000 eingerichtet wurde, abgezweigt. Die 21 FahnderInnen sind, so Arbeitsamtsdirektor Christian Hawel, rund um die Uhr im Einsatz, auch an den Wochenenden. Nach Hawels Angaben müßten auch in der Vergangenheit bereits kontrollierte Firmen, insbesondere im Baubereich, mit weiteren Kontrollen rechnen.





27. April

Quantensprung in der Schießausbildung

Innensenator Bernt Schulte (CDU) und Polizeipräsident Rolf Lüken weihen das neue Trainingszentrum der Bremer Polizei am Niedersachsendamm offiziell ein. Damit werde die Polizei Bremen "noch moderner. Die Qualität der Schießausbildung und Fortbildung unserer Polizeibeamten wird dadurch weiter erhöht", so Schulte. Und Polizeipräsident Rolf Lüken freut sich: "Damit ist uns ein Quantensprung in der Schießausbildung gelungen." Und, apropos Schießen: "Endlich können wir gemäß der bundesweit einheitlichen Polizeidienstvorschrift ein 'Schießen unter einsatzmäßigen Bedingungen' durchführen."

Das in 13 Monaten Bauzeit entstandene Trainingszentrum auf dem Gelände der Bereitschaftspolizei dient der Schießausbildung und -fortbildung der Polizeibeamten. Es ist Teil der "Logistiksäule", die zur Zeit am Standort Niedersachsendamm entsteht. Außerdem werden dort die Werkstätten der Polizei sowie die gesamten Informations- und Kommunikationseinrichtungen sowie das Waffen- und Gerätewesen konzentriert. Das Polizei-Trainingszentrum verfügt über zwei Schießstände mit einer Länge von 25 und 50 Metern. Jeder Schießstand enthält vier Bahnen.



Stille Alarmfahrt

Ein Streifenwagen der Polizei fährt in der Horner Heerstraße einen sechsjährigen Jungen um. Die beiden im Wagen sitzenden Polizisten sowie ihre KollegInnen unternehmen in den nächsten Tagen fast alles, die Geschehnisse zu verschleiern. Nach offizieller Lesart hatte die Streifenwagenbesatzung gegen 13 Uhr per Funk den Auftrag erhalten, auf der Autobahn 27 nach einem gestohlenen Wagen zu fahnden. Um schnell dorthin zu gelangen, benutzten die Polizisten des Horner Reviers den Gleiskörper der Straßenbahnlinie 4 in Richtung Autobahnausfahrt Universität. Während der Streifenwagen - ohne Blaulicht und ohne Martinshorn - durch die Horner Heerstraße raste, befanden sich in Höhe der Straße Alte Eichen mehrere Kinder auf den Gleisen, die gerade bei grüner Ampel die Straße überquerten. Zwei Kindern konnte der Fahrer gerade noch ausweisen, den Sechsjährigen habe er lediglich mit dem Außenspiegel gestreift. Zwar alles sehr tragisch, aber der Junge sei ansprechbar, außer einem vielleicht gebrochenem Arm sei nichts passiert, vermeldet der Polizeibericht noch am gleichen Tag.

Tatsächlich ist der Junge nach Zeugenaussagen erkennbar am Kopf verletzt und bewußtlos, er ist nicht ansprechbar. Der Sechsjährige muß noch an der Unfallstelle in ein künstliches Koma versetzt und wegen Hirnblutungen in der Intensivstation eines Krankenhauses behandelt werden. Er schwebt drei Tage lang in akuter Lebensgefahr und muß auch danach noch intensivmedizinisch behandelt werden. Gelogen hat die Polizei auch dabei, daß der Junge nur von einem Außenspiegel gestreift worden sei. Vielmehr ist die Windschutzscheibe des Streifenwagens zersplittert - offensichtlich eine Folge des Aufpralls. Auch hat die Streifenwagenbesatzung danach Spuren vernichtet. So raste der Wagen nach Angaben von ZeugInnen weit über die Unfallstelle hinaus, wurde dann aber zurückgesetzt. Somit läßt sich der Bremsweg, von dem auf die Geschwindigkeit geschlossen werden kann, nicht mehr ermitteln.

Während der 34jährige Fahrer des Streifenwagens von seinem Aussageverweigerungsrechts Gebrauch macht - gegen ihn läuft wegen dieser Sache ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung - und sein Beifahrer noch nicht vernommen wurde, vermag am 30. April Polizeisprecher Uwe Hoffmann "die schreckliche Sache, die uns unendlich leid tut", nicht zu erklären. Möglicherweise habe der Fahrer die rote Ampel schlicht übersehen. Aber der Einsatz von Blaulicht und Martinshorn sei ohnehin nicht vorgeschrieben, sondern liege im Ermessen der eingesetzten BeamtInnen. Nach Hoffmanns Einschätzung laufen allerdings die meisten Einsätze als sogenannte stille Alarmfahrten.





30. April

Freisprüche im "'Toros'-Prozeß"

Das Landgericht spricht zwei Männer frei, die im Juli 2000 im Keller des Imbisses "Toros" (Sielwall) eine Frau vergewaltigt hatten. Die Täter waren damals nach der Anzeige der heute 29jährigen aufgrund des schweren Tatverdachts und der schweren Beweislast, unter anderem aufgrund der DNA-Analyse eines Täters, direkt in Untersuchungshaft genommen worden. Die Freisprüche waren von den immer zahlreich vertretenen kritischen ProzeßbeobachterInnen spätestens seit Ende Februar erwartet worden, als die beiden Angeklagten aus der gut siebenmonatigen Untersuchungshaft entlassen wurden. Die Staatsanwältin legt sofort Revision, auch die Nebenkläger kündigt dies an. (Zum Prozeßverlauf siehe kassiber 45, Mai 2001, S. 25ff., sowie den Artikel "Nach-Denken über einen Vergewaltigungsprozeß: Die Macht der Bilder" in diesem kassiber.)

Während der Vorsitzende Richter das Urteil verkündet, kommen von den ZuhörerInnen zahlreiche empörte Zwischenrufe und Sprechchöre. Noch vor Ende der Verhandlung verläßt der Großteil des Publikums, zumeist türenknallend, den Raum, währenddessen fliegen von außen Eier an die Scheiben des Sitzungssaals.

Vor dem Gerichtsgebäude und in der Innenstadt demonstrieren rund 100 Frauen und Männer gegen sexualisierte Gewalt, Männerkumpanei und Männerjustiz sowie gegen die Freisprüche für die beiden Vergewaltiger. Das geschieht indes als "Trauerfeier" und unter dem Motto "In tiefer Trauer nehmen wir Abschied vom Grundgesetz. Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Artikel 3: Frauen und Männer sind vor dem Gesetz gleich". Das ist, um es vorsichtig auszudrücken, gar nicht schön, aber angesichts des Prozeßverlaufs hier zu vernachlässigen.



Wallpurgisnacht

Am späten Abend demonstrieren einige Dutzend feministische, autonome Frauen anläßlich der "Walpurgisnacht" lautstark durch das "Viertel". Eine kleine Kundgebung findet vor dem Imbiß Toros im Sielwall statt, in dessen Keller im vergangenen Juli eine Frau vergewaltigt wurde. Die Täter wurden heute mittag freigesprochen.



Alle Räder stehen still ... (II)

Um ihren Forderungen nach Tarifgesprächen über den Erhalt und die soziale Absicherung ihrer Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst Nachdruck zu verleihen, treten die Raumpflegerinnen am Kippenberg-Gymnasium und am Schulzentrum Schaumburger Straße in einen Warnstreik. Die von der Bildungsbehörde angeforderten Streikbrecherinnen einer privaten Reinigungsfirma ziehen angesichts von rund 30 Streikposten unverrichteter Dinge wieder ab.

Für den Bereich der Raumpflege der staatlichen Schulen, Behörden etc. gilt seit einiger Zeit ein Einstellungsstopp. Statt dessen werden immer mehr private Reinigungsfirmen eingesetzt. Aus Kostengründen: Während eine Raumpflegerin im öffentlichen Dienst immerhin noch 20 Mark brutto die Stunde erhält, liegen die Tarife im GebäudereinigerInnen-Gewerbe um vier bis sechs Mark niedriger. So gibt es zum Beispiel an den Bremer Schulen nur noch 482 Reinigungskräfte im öffentlichen Dienst. Die putzen 98 der insgesamt 170 Schulen, 34 Schulen werden von privaten Firmen gereinigt, an den anderen 38 Schulen sind öffentlich Bedienstete und Private gemeinsam tätig, und zwar zu unterschiedlichen Tarifen für die gleiche Arbeit.





1. Mai

Kampftag der Arbeiterklasse

Auch das Zugeständnis, daß die 1.-Mai-Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in diesem Jahr erstmals erst um 10.30 Uhr statt wie in den letzten Jahren um 9.30 Uhr am Osterdeich startet, bringt nicht den von den VeranstalterInnen erhofften Zugewinn an TeilnehmerInnen. Ein paar tausend Männer und Frauen finden sich zur Abschlußkundgebung auf dem Domshof ein, um sich die wenig kämpferischen Redebeiträge der Bremer DGB-Chefin und SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Helga Ziegert ("mehr betriebliche Mitbestimmung") und von Michael Sommer, stellvertretender Bundesvorsitzender der neuen Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) - er forderte das Ende der gewerkschaftlichen Bescheidenheit bei künftigen Lohnrunden, das ist immerhin etwas - anzuhören, vor allem aber, um bei gutem Wetter Frühschoppen an den diversen Bier-, Bratwurst- und Fischbrötchenständen auf dem Domshof zu machen. In diesem Jahr hatte der DGB, auch das ist eine Neuerung, kein Maizelt aufgebaut.





3. Mai

Mahnwache gegen Abschiebungen

Einige Dutzend Roma-Flüchtlinge aus dem Kosovo fordern mit einer Mahnwache auf dem Marktplatz eine Abschiebestopp für Roma, Aschkali, Ägypter und slawische Muslime in den Kosovo. Von den 150.000 Menschen, die aus diesen "Volksgruppen" einst im Kosovo gelebt hätten, seien inzwischen rund 130.000 in die Nachbarländer Serbien und Montenegro sowie nach Mazedonien vertrieben worden. Aufgrund der unsicheren Lage im Kosovo dürften in Deutschland lebende Flüchtlinge nicht dorthin abgeschoben werden. Gefordert wird von den Innenministern und -senatoren der Länder statt dessen eine mindestens einjährige Duldung.

Die im sachsen-anhaltinischen Schierke tagende Innenministerkonferenz beschließt am 10. Mai zwar ein Bleiberecht für Flüchtlinge aus dem Kosovo und anderen Regionen Jugoslawiens. Doch von den rund 150.000 derzeit in Deutschland lebenden Kosovo-Flüchtlingen können nur wenige die gestellten Bedingungen erfüllen: Sie müssen nämlich mindestens seit sechs Jahren hier leben, seit mindestens zwei Jahren sozialversichert arbeiten und dürfen nicht straffällig geworden sein. Flüchtlinge, die diese Voraussetzungen erfüllen, sollen eine Aufenthaltserlaubnis (Bleiberecht) für zwei Jahre bekommen, die anschließend verlängert werden könne.

Allerdings ist der Großteil der Flüchtlinge erst während des Kosovo-Krieges im Jahre 1999 nach Deutschland gekommen. Bremens Innensenator Schulte: "Die übergroße Mehrheit der Flüchtlinge muß wieder in ihre Heimat zurückkehren. Ein Bleiberecht für alle wäre das vollkommen falsche politische Signal."





7. Mai

Weiteres Gerangel um neues Bremer Polizeigesetz

Eigentlich hatten sich die Spitzen der großen Koalition Mitte Dezember vergangenen Jahres nach lang andauernden Zwistigkeiten auf einen "Kompromiß" in Sachen neues Bremer Polizeigesetz geeinigt (vgl. kassiber 44, Februar 2001, S. 12). Der ging dann in die Bürgerschaft und wurde dort im Frühjahr in erster Lesung behandelt. Doch kürzlich kartete die CDU erneut nach. Ihr Landesparteitag verpflichtete die christdemokratische Bürgerschaftsfraktion, der Novelle des Polizeigesetzes nur dann zuzustimmen, wenn darin der sogenannte finale Rettungsschuß verankert ist - den hatte man eigentlich im Dezember 2000 gemeinsam gekippt.

Die Sozis hingegen wollen zwar alle möglichen Schweinereien mitmachen, eine Regelung, die den Todesschuß ausdrücklich erlaubt, im neuen Polizeigesetz aber keinesfalls akzeptieren. SPD-Bürgerschaftsfraktionsvorsitzender Jens Böhrnsen macht jetzt einen Formulierungsvorschlag, der deutlich macht, wie gering die angeblich so großen Unterschiede zumindest zwischen den Innenpolitikern der Koalitionspartner eigentlich sind. So soll die insbesondere von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) geforderte Rechtssicherheit für die polizeilichen TodesschützInnen (daß sie nachher nicht von der Staatsanwaltschaft behelligt werden) gewährleistet werden: Der "finale Rettungsschuß" soll, so Böhrnsen, "auch dann nicht rechtswidrig" sein, wenn er "unvermeidbar zum Tode des Angreifers führt". Voraussetzung sei aber akute Lebensgefahr oder die Gefahr einer "schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit" für den Polizisten oder eine andere Person. Allerdings dürfe einem tötungsunwilligen Polizisten der "finale Rettungsschuß" nicht durch einen Vorgesetzten befohlen werden.



NPD-Aufmarsch erneut verschoben

Der Termin für den vor etwa vier Wochen angemeldeten Nazi-Aufmarsch in Bremen-Vegesack unter dem Motto "Gegen Globalisierung, für soziale Gerechtigkeit" wird, diesmal auf Wunsch der Faschisten, erneut verschoben, jetzt soll es der 23. Juni sein.





8. Mai

Bekleidungspauschale erneut gesenkt

Die Bekleidungspauschale für die rund 49.000 BremerInnen, die von und mit der Sozialhilfe leben müssen, wird erneut gesenkt. Die Deputation für Soziales, Jugend und Senioren beschließt in einer Sondersitzung eine Vorlage von Sozialsenatorin Hilde Adolf (SPD), mit der rund 4,2 Millionen Mark eingespart werden sollen. Von bisher 26 Millionen könnten die Ausgaben für Bekleidungsgeld damit aufrund 22 Millionen Mark gesenkt werden.

Demnach gibt es ab dem 1. Juli pauschal für alle Altersgruppen nur noch 540 Mark Kleidergeld pro Jahr. Bislang wurden 546 Mark jährlich für Kinder beziehungsweise 600 Mark für Erwachsene gezahlt, bis zur vorherigen Kürzung im September 1999 gab es für letztere sogar noch 678 Mark pro Jahr.

Weitere Nachteile ergeben sich für die SozialhilfeempfängerInnen daraus, daß die Wartezeiten verlängert werden. Gab es das Kleidergeld bisher für alle, die mindestens sechs Monate Sozialhilfe bezogen haben, entweder monatlich oder halbjährlich, wird es künftig nur noch halbjährlich gezahlt, und zwar zu den Stichtagen 1. Januar und 1. Juli. Wer zu diesen Daten seit weniger als sechs Monaten Sozialhilfe erhält - oder vergißt, den Antrag fristgerecht zu stellen -, muß auf den nächsten Stichtag warten. Im Schnitt würden sich damit die Wartezeiten, so die Vorlage der Sozialbehörde, auf neun Monate erhöhen, sie könnten aber auch bis zu elf Monaten betragen. Und diese Wartezeiten gelten künftig auch für Kinder, die davon bisher ausgenommen waren.



Verbände weisen pauschale Verdächtigungen gegenüber staatenlosen KurdInnen zurück

Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Hannover treten das Diakonische Werk der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers e.V., PRO ASYL und der Deutsche Caritasverband Versuchen entgegen, Tausende staatenloser libanesischer Flüchtlinge in Deutschland unter Generalverdacht zu stellen, sich ein Bleiberecht und Sozialhilfeleistungen in Deutschland "erschlichen" zu haben.

Im Rahmen der Pressekonferenz berichtet Rechtsanwalt Heinrich Freckmann (Hannover) über eine Recherchereise in den Libanon und in die Türkei, die er gemeinsam mit einem Vertreter des Niedersächsischen Innenministeriums unternommen hat, um vor Ort Hintergrundinformationen zur Situation der betroffenen Volksgruppe der arabisch sprechenden Kurden zu gewinnen. Anlaß der Recherchereise war die Abschiebeandrohung gegenüber Hunderten staatenloser kurdischer Familien aus dem Libanon, die seit Jahren in Deutschland leben.

In den vergangenen Monaten wurden in immer größerem Umfang türkische Registerunterlagen für diese Personengruppe vorgelegt, die Ausländerbehörden und Gerichte als Beweis für deren türkische Staatsangehörigkeit werteten. Den Personaldaten der Betroffenen aus dem Libanon wurde dagegen kein Glauben geschenkt. Im Gegenteil, sie wurden verdächtigt, sie hätten bei ihrer Einreise nach Deutschland die Behörden wissentlich über ihre wahre Identität getäuscht.

Das Ergebnis der durchgeführten Recherchen: Erstens wurde festgestellt, daß allein die Tatsache, daß eine Person/Familie in einem türkischen Register aufgeführt ist, das Vorliegen der türkischen Staatsangehörigkeit zwar als wahrscheinlich, aufgrund der Fortschreibung der Register für die vor 1930 Ausgereisten jedoch nicht als sicher erscheinen läßt. Zweitens wurden diese türkische Register ohne Kenntnis der Betroffenen fortgeschrieben, gleich ob diese im Libanon, in Deutschland oder anderswo auf der Welt leben. Auf diese Weise tauchen in einer Familie in diesen Registern auch mal mehr, mal weniger Kinder auf, Geburtsdaten und -orte sind häufig falsch.

Drittens sei davon auszugehen, daß sofern der Aufenthalt zumindest der Elterngeneration bereits im Libanon glaubhaft ist, daß Kinder und Kindeskinder keine Kenntnis von einer eventuellen türkischen Staatsangehörigkeit, türkischen Namen oder Fortführung der Familienverhältnisse in türkischen Registern hatten. Viertens komme türkischen Registerangaben im Falle der arabisch sprechenden KurdInnen, die sich im Libanon aufhielten, weniger Beweiswert zu als Registerunterlagen oder auch nur Bürgermeister-, Hebammen- Bescheinigungen pp. aus dem Libanon. Fünftens könnten im Libanon nichtregistrierte arabisch sprechende KurdInnen, die es in großer Zahl gab und jetzt noch gibt, weder Auszüge aus libanesischen Registern noch der Islamischen Gerichte bzgl. Ihrer Personaldaten vorlegen; dennoch seien ihre Angaben, wenn sie detailliert berichten, mindestens ebenso glaubwürdig wie türkische Register.

Gerade wegen der langen Aufenthaltsdauer der betroffenen KurdInnen und der großen Zahl der von Abschiebung bedrohten jungen Menschen müßten, so das Diakonische Wek, PRO Asyl und der Deutsche Caritasverband, Lösungen in Form eines Bleiberechts gesucht werden.





9. Mai

Verfassungsschutz für Schwule und Lesben

Schwule und Lesben dürfen zwar immer noch nicht heiraten, stehen dafür aber nun unter dem Schutz der Bremischen Landesverfassung. Bereits im Februar hatte die Bürgerschaft (Landtag) grundsätzlich der Erweiterung des Artikels 2 der Landesverfassung zugestimmt, jetzt beschließt der zuständige Bürgerschaftsausschuß die endgültige Formulierung. Nunmehr darf keine/r mehr "wegen ... seiner sexuellen Orientierung ... bevorzugt oder benachteiligt werden".





10. Mai

Alle Räder stehen still ... (III)

Hurra, hurra, die Schule stinkt. Nachdem aufgrund des Warnstreiks der RaumpflegerInnen die Toiletten des Schulverbunds Lesum am Steinkamp und Vor dem Heisterbusch seit drei Tagen nicht mehr geputzt wurden, fällt der Unterricht für die rund 1.000 SchülerInnen an diesem und am nächsten Tag aus. Streikposten hatten am gestrigen Abend verhindert, daß StreikbrecherInnen einer von der Bildungsbehörde engagierten privaten Reinigungsfirma in den Gebäuden putzen konnten.

Ebenso fällt am Schulzentrum Kornstraße heute ab viertel nach zehn die Schule für die etwa 500 SchülerInnen aus. Auch hier hatten Streikposten mehrmals den Einsatz von privaten StreikbrecherInnen verhindert.





11. Mai

Innensenator Schulte kündigt Rücktritt an

Auf der Klausurtagung der Bremer CDU kündigt Innensenator Bernt Schulte seinen Rücktritt zum Juli 2001 an. Während allen klar ist, daß dieser Rücktritt vor allem Ergebnis des nicht erst seit seinem Amtsantritt in der Innenbehörde im Juli 1999 andauernden CDU-internen Mobbings ist, verzichtet Schulte in einer persönlichen Erklärung auf jegliches Nachtreten. Er habe ohnehin schon vor einiger Zeit entschieden, für eine weitere Legislaturperiode als Senator nicht zur Verfügung zu stehen und möchte "mit diesem Schritt meiner Partei die Möglichkeit geben, rechtzeitig eine Nachfolgeregelung zu treffen".

CDU-PolitikerInnen hatten seit etwa einem Jahr auch ganz öffentlich an Schultes Stuhl gesägt. So zeigte ihm Bürgerschaftsfraktionsvorsitzender Jens Eckhoff im Sommer 2000 in einem Zeitungsinterview die "gelbe Karte" wegen "großer Unzufriedenheit" mit seiner Amtsführung.

Nun macht man sich auf die Suche nach einem Nachfolger. Parteiintern wird zunächst der rechtsradikale frühere CDU-Bundestagsabgeordnete und jetzige Vize-Fraktionschef Michael Theiser favorisiert. Doch der winkt ab, geht er doch angeblich davon aus, bei der nächsten Wahl wieder in den Bundestag einziehen zu können. Tags darauf wird schließlich der bisherige Innenstaatsrat Kuno Böse (CDU) als Schulte-Nachfolger nominiert.





Willi Leow


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kombo(p) - 24.10.2001