kassiber 46 - Juli 2001

Polizeipraxis und Rassismus in Bremen

Die "polizeiliche Drogenbekämpfung" im Spiegel der Statistik


Der Artikel ist ein stark gekürzter Zusammenschnitt von zwei Papieren zu Polizeipraxis und Rassismus, die das AntiRassismusbüro Bremen im August 1999 veröffentlich hat. Er beleuchtet die Aktivitäten der Bremer Polizei im Bereich der Drogenstraßenfahndung vor dem Hintergrund offizieller Ermittlungszahlen und beschreibt körperliche Durchsuchungen als Teil polizeilicher Alltagspraxis gegenüber bestimmten Gruppen - hier gegenüber Menschen mit schwarzer Haut. Die Darstellung basiert auf einer Dokumentation von Fällen, in denen Betroffene Strafanzeigen gegen Polizeibeamte erstattet haben.

Die Bremer Polizei hat ihre Aktivitäten im Bereich des Drogenstraßenhandels im Laufe der letzten Jahre permanent verstärkt. Dies schlägt sich nicht zuletzt in den Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) nieder. Vermehrte Polizeiaktionen ziehen quasi unmittelbar höhere Zahlen bei den registrierten Tatverdächtigen und Anzeigen nach sich, da Verstöße gegen das BtM-Gesetz zu den sogenannten Kontrolldelikten gehören. Der gesteigerte Polizeieinsatz dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, daß im Jahr 1996 in keiner anderen deutschen Großstadt pro Kopf mehr Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) registriert wurden als in Bremen. Andersherum sagen die Zahlen nicht aus, daß in Bremen mehr illegale Drogen konsumiert und gehandelt wurden als in Frankfurt oder Berlin.

Die Verfolgung von Kleindealern und KonsumentInnen wird in Bremen mit dem sog. Brennpunktkonzept umgesetzt, das die zeitgleiche Bekämpfung von RG-Kriminalität an den erkannten Brennpunkten zum Ziel hat. Zentraler Bestandteil ist die Erhöhung der polizeilichen Präsenz. Damit sollen das subjektive Sicherheitsgefühl der Anlieger gestärkt und die Attraktivität der Drogenumschlagsplätze für Anbieter und Kunden reduziert werden. Ziel ist es, eine nachhaltige Verunsicherung der gesamten Szene zu erreichen.

Die Ergebnisse der polizeilichen Aktivitäten lassen sich unmittelbar an der PKS ablesen. Sie weist für die Stadt Bremen seit dem Jahr 1993 bei der Zahl der Drogendelikte eine stetige Zunahme aus, die 1996 mit einem Anstieg um 20% gegenüber dem Vorjahr ihren bisherigen Höhepunkt erreichte. Die Zahl der registrierten Delikte im Jahr 1996 wurde 1997 erneut mit einem Plus von 6,5% überboten. Gleichzeitig ist festzustellen, daß die Menge der sichergestellten bzw. beschlagnahmten Drogen nicht mit der Entwicklung dieser Zahlen korrespondiert (Bild 1). Während in den Jahren von 1993 bis 1995 ein paralleler Trend nach oben bestand, verliefen die Entwicklungen 1995 bis 1997 vollkommen gegensätzlich: Steilen Anstiegen bei den registrierten Delikten stand ein Absturz bei den Drogenmengen gegenüber. Während 1995 insgesamt noch 46 kg Heroin und Kokain in Bremen sichergestellt/beschlagnahmt wurden, lag diese Zahl im Jahr 1996 mit 27 kg um 41% niedriger als im Vorjahr und schrumpfte im Jahr 1997 abermals um 18% auf nunmehr 22 kg. Damit befand sie sich auf dem niedrigsten Niveau seit 1990! Im mehrjährigen Vergleich lag die Zahl der in der PKS registrierten Drogendelikte 1997 um 36% höher als 1991; gleichzeitig wurden in Bremen 1997 aber 25% weniger Kokain und Heroin sichergestellt bzw. beschlagnahmt als sechs Jahre zuvor.

Bei den im Zusammenhang mit Verstößen gegen das BtMG erlassenen Haftbefehlen zeigt sich ein ähnliches Bild: Während die Zahl polizeilich festgestellter Drogendelikte 1996 um knapp 28% über dem Niveau des Jahres 1991 lag, reduzierte sich die Zahl der erlassenen Haftbefehle von 172 im Jahr 1991 kontinuierlich auf 47 im Jahr 1996 - ein Rückgang um 72 % innerhalb von fünf Jahren. Im Jahr 1997 verzeichnet die Statistik mit 59 Haftbefehlen erstmals wieder eine Zunahme gegenüber dem Vorjahr.


Die Bilanzen der Sondergruppen

Insgesamt betrachtet, schlagen sich die in den letzten Jahren verstärkten Polizeiaktivitäten somit weder in hohen Sicherstellungsmengen noch in einer wachsenden Zahl von Haftbefehlen nieder. Da auch die Aufklärungsquote bei den Kontrolldelikten kein Maßstab für erfolgreiche Polizeiarbeit sein kann, stellt sich die Frage, anhand welcher Kriterien die Arbeit bewertet werden soll. Die Gießener Kriminologen Jürgen Stock und Artur Kreuzer haben in dem im Jahre 1996 publizierten Standardwerk Drogen und Polizei - Eine kriminologische Untersuchung polizeilicher Rechtsanwendung darauf hingewiesen, daß den Ermittlungszahlen bei der Leistungsbewertung im Drogenbereich eine bedeutende Rolle zukommt: Schließlich wurde besonders für die Einheiten, die in der Bekämpfung der Straßenkriminalität eingesetzt werden, die Anzahl der Festnahmen als wichtige Größe für Arbeitsbelastung und Erfolgsmessung genannt. Dies könne dazu führen, daß allzu sorglos eingesperrt werde, meinte ein Beamter: Ich bin oft wütend, wenn ich sehe, was über Nacht alles eingesperrt wird, obwohl es keinen Haftgrund gibt. Marokkaner zu sein, ist hier der Haftgrund.

Tatsächlich sind es die Einsatzbilanzen der fünf Sondergruppen zur Bekämpfung der Straßen- und Rauschgiftkriminalität (SGs) und des Sondereinsatzkommandos (SEK), die die Auswirkungen des Bremer Polizeikonzepts deutlich machen. Diese Spezialeinheiten bilden das Rückgrat der Bremer Drogenstraßenfahndung, und die Bremer Innenbehörde weist deren Arbeitsergebnisse gesondert aus. Letztere firmieren unter dem Begriff Maßnahmen gegen Personen und umfassen die jeweilige Anzahl der vorläufigen Festnahmen, Identitätsfeststellungen, Strafanzeigen, Hausdurchsuchungen etc. Diese Zahlen korrespondieren unmittelbar mit der Steigerung der registrierten Drogendelikte (Bild 2). Das Jahr 1996 brachte auch hier einen Rekord. Mit 899 vorläufigen Festnahmen und 9.806 Identitätsfeststellungen übertrafen SGs und SEK die Werte des Vorjahres um über 27 bzw. 121 Prozent. Ein Vergleich mit dem Jahr 1994 zeigt, daß die Identitätsfeststellungen innerhalb von zwei Jahren um 260% und die vorläufigen Festnahmen um 185% nach oben gefahren wurden. Im Jahr 1997 wurde die Zahl der vorläufigen Festnahmen noch einmal um 35% auf nunmehr 1.219 hochgeschraubt, während sich die Zahl der Identitätsfeststellungen mit 9.476 gegenüber dem Vorjahr geringfügig reduzierte.

Kontinuierlich gestiegen ist in den letzten Jahren auch die Zahl der von den Sondereinheiten gefertigten Strafanzeigen im Zusammenhang mit BtM von 1.436 im Jahr 1994 auf 3.403 drei Jahre später. Die Zunahme fiel von 1996 bis 1997 mit 45% noch einmal besonders deutlich aus. Ebenfalls gewachsen ist der Anteil der von den Sondereinheiten gefertigten Strafanzeigen an den insgesamt registrierten BtM-Delikten, und zwar von 47% auf 76% zwischen 1994 und 1997.

Werden die Daten aus der PKS mit den Einsatzbilanzen von Sondergruppen und SEK abgeglichen und gleichzeitig die sichergestellten Drogenmengen mit einbezogen, kann dies nur zu der Schlußfolgerung führen, daß der Begriff Polizeiliche Drogenbekämpfung im besten Falle irreführend ist. Nicht das Auffinden größerer Drogenmengen steht im Zentrum, sondern permanente Kontrollen und ständiger Zugriff bilden den eigentlichen Kern der polizeilichen Arbeit, deren Aufwand seit 1995 enorm gestiegen ist (Bild 2). Betroffen sind vor allem Personen, die aus unterschiedlichen Gründen (sozial) auffällig werden. Das heißt, das Vorgehen ist selektiv und richtet sich nur gegen bestimmte Gruppen von tatsächlichen oder vermeintlichen DrogenkonsumentInnen und -händlern. Die Bezeichnung Sondergruppen zur Bekämpfung der Straßen- und Rauschgiftkriminalität ist in dem Sinne Programm, als der Druck auf der Straße in den letzten Jahren drastisch erhöht worden ist. Denn es versteht sich von selbst, daß die DrogenkonsumentInnen aus der Mittel- und Oberschicht nicht ins Visier der Sondereinheiten geraten. Zwar werden in diesen Kreisen beträchtliche Mengen umgesetzt. Dies wird jedoch nicht sozial auffällig, da die entsprechenden Personen nicht auf der Straße kaufen und konsumieren, sondern in internen Zirkeln. Drogenfahndung läuft somit im Wesentlichen auf die dauernde Verfolgung, Verunsicherung und Vertreibung einer sozialen Unterschicht hinaus.


Täterprofil und Feindbild

Im Zentrum des polizeilichen Zugriffs stehen die tatsächlichen oder vermeintlichen ausländischen Kleindealer. Sie tauchen in der einschlägigen Propaganda als die kriminellen Nutznießer des Drogenkonsums auf und werden zum Kristallisationspunkt von regelrechten Haßkampagnen, indem das Dealer-Stigma mit dem durch die Asyldebatte und die Diskussionen über die Ausländerkriminalität angeheizten Rassismus verbunden wird. Die ausländischen Kriminellen stehen sozusagen für alle sichtbar auf der Straße und zeigen, daß die Rede von den afrikanischen Drogenhändlern etc. zutreffend sein muß. Mildernde Umstände, wie eine etwaige Drogenabhängigkeit, werden diesen Menschen nicht zugebilligt. Im Gegenteil, der öffentlichen Meinung zufolge mißbrauchen sie ihr Gastrecht, weshalb sie besonders hart angegangen werden müssen. Das offene Auftreten wird dabei als demonstrative Dreistigkeit interpretiert. Diese Lesart stellt die Realität jedoch auf den Kopf. Kriminelle, die ihre Delikte in aller Öffentlichkeit begehen (müssen), sind nicht in erster Linie frech, sondern stehen in der Hierarchie meist ganz unten. Der Grund ist, daß viele Nichtdeutsche, insbesondere Illegalisierte und Asylsuchende, oftmals nur in spezifischen (illegalen) ökonomischen Nischen Beschäftigung finden. Konkret sind Nichtdeutsche oftmals gezwungen (nicht von der Mafia, sondern von den gesellschaftlichen Umständen), die miesesten und sichtbarsten illegalen Jobs zu machen, weil ihnen schlicht nichts anderes übrig bleibt: Sie unterliegen somit dem stärksten Verfolgungsdruck, während ihr Gewinn der bei weitem geringste sein dürfte.

Die eingesetzten Sondereinheiten garantieren durch ihre Spezialisierung auf ein bestimmtes Täterprofil eine sehr hohe Verfolgungsintensität. Aussehen, Herkunft, Hautfarbe, Alter und bestimmte - an und für sich relativ unspezifische - Verhaltensweisen begründen den Tatverdacht. Genau wie die Einheiten zur Bekämpfung der Straßenkriminalität in den USA arbeiten auch deutsche Sondergruppen mit einem Feindbild, das klar nach ethnischen Gesichtspunkten strukturiert ist. Zwangsläufig geraten ganze Gruppen von Nichtdeutschen bzw. ausländisch aussehenden Personen ins Fadenkreuz der Polizei.


Brennpunkt Bahnhof

In Bremen sind es insbesondere Schwarze, die seit Beginn der 90er Jahre intensiven polizeilichen Nachstellungen ausgesetzt sind. Einen Grund dafür bildete das Vorhaben, die Cliquen schwarzer Jugendlicher und Heranwachsender, die sich Mitte der 90er Jahre auf dem Bahnhofsvorplatz aufhielten, von dort zu vertreiben. Die Innenbehörde hatte den Bahnhofsbereich erstmals 1994 als neuen Brennpunkt des Straßenhandels durch schwarzafrikanische Dealer ausgemacht. Der Eindruck, wonach alle diese jungen Männer, die sich insbesondere in den Sommermonaten 1994 und 1995 am Bahnhofsvorplatz trafen, intensiven Drogenhandel betrieben hätten, geht allerdings fehl. Der Platz hatte in erster Linie eine soziale Funktion als Treffpunkt. Sie wurde ergänzt durch die informelle Ökonomie des Drogenstraßenhandels - Marihuana und Kokain, jene Nische am Markt des wirtschaftlichen Überlebenskampfes, die den jugendlichen Asylsuchenden aus Afrika zur Verfügung steht. Die Bekämpfung dieser Form von Kriminalität war nur vordergründig das Motiv der Polizeieinsätze. Tatsächlich ging es um die Möglichkeit, daß sich der Bremer Bahnhofsvorplatz zum Treffpunkt verschiedener sog. Randgruppen entwickeln könnte, die der Bremer law-and-order-Fraktion ein Dorn im Auge war. Werden die Drogengeschäfte am Bahnhof unterbunden, finden sie eben woanders statt. Diesen Verdrängungseffekt bestreitet die Innenbehörde auch gar nicht.

Mit Hilfe massiver Polizeipräsenz wurden die entsprechenden Gruppen vertrieben. Verstärkt seit Beginn des Jahres 1996 mußten und müssen Personen mit schwarzer Haut damit rechnen, selbst bei kürzesten Aufenthaltszeiten am Bahnhof von der Polizei kontrolliert zu werden. Vielfach werden die Betroffenen zu Polizeiwachen gebracht, wo sie sich regelmäßig nackt ausziehen und durchsuchen lassen müssen. Wiederholt konnten AugenzeugInnen beobachten, wie auf diese Weise binnen 15 Minuten alle sich am Bahnhofsvorplatz aufhaltenden Afrikaner von der Polizei abtransportiert wurden. Den Höhepunkt dieser Polizeistrategie bildeten Einsätze, in deren Rahmen sämtliche auf dem Bahnhofsvorplatz anwesenden Schwarzen auf einen Schlag festgenommen und weggefahren wurden. Diese Maßnahmen gründeten sich offensichtlich auf die Einschätzung der Polizei, daß es dabei schon ein paar Richtige treffen werde. Der seit Sommer 1995 amtierende Innensenator Borttscheller (CDU) verkaufte die Einsätze gleichzeitig als Schlag gegen die Drogenmafia und gab Anfang Mai 1996 auf einer extra einberufenen Pressekonferenz bekannt, daß es 50 BeamtInnen aus Sondergruppen und SEK im Rahmen einer einwöchigen, gezielten Polizeiaktion gelungen war, rund um den Bahnhof 113 Kügelchen Kokain, 104 Päckchen Heroin, 126 Gramm Marihuana und 30 Gramm Cannabis zu beschlagnahmen. Da die Kokainkügelchen klassischerweise 0,1 Gramm, die Heroinpäckchen etwa 0,2 Gramm umfassen, hatte Borttscheller - propagandistisch umgemodelt - den Fund von etwa 10 Gramm Kokain und etwa 20 Gramm Heroin bekanntgegeben. Auf jeder größeren Schicki-Micki-Party hätte die Polizei wohl mehr Drogen gefunden als bei diesem einwöchigen Großeinsatz.


Kontrollalltag und körperliche Durchsuchungen

Die skizzierte Selektivität des polizeilichen Handelns führt unter anderem dazu, daß Menschen mit schwarzer Haut in wesentlich höherem Maße Personalienkontrollen ausgesetzt sind als Weiße, und zwar nicht nur am Bahnhof, sondern ganz generell. Gleichzeitig ist die Wahrscheinlichkeit, daß sich diesen Überprüfungen körperliche Durchsuchungen anschließen, wesentlich größer. Schwarze haben uns in den letzten Jahren immer wieder geschildert, daß sie aus für sie nicht nachvollziehbaren Gründen an Bremer Polizeiwachen vorgeführt und dort nach Drogen durchsucht worden sind. Der zentrale Punkt dabei ist, daß diese Durchsuchungen in vielen Fällen nicht auf konkrete und begründete Verdachtsmomente zurückgehen, sondern Teil eines Routineprogramms sind, das mit der pauschalen Beschuldigung Verdacht auf BtM schematisch abgespult wird. Alltagserfahrung vieler Schwarzer ist, daß Personalienfeststellungen fast immer mit Durchsuchungen enden. Offenkundig ist hier eine polizeiliche Praxis etabliert worden, die weiße DurchschnittbürgerInnen nicht erleben, sich anschaulich kaum vorstellen können, und über die sie in aller Regel auch nicht nachzudenken brauchen.

Eine Kopplung dieser Maßnahmen an zureichende tatsächliche Anhaltspunkte auf eine zuvor begangene Straftat dürfte in einem großen Teil der Fälle - entgegen den Vorschriften der StPO - nicht gegeben sein. Das heißt dann, daß die Maßnahmen (rechtswidrig) in aller Regel der bloßen Ausforschung und Einschüchterung dienen.


Zur Systematik der polizeilichen Praxis

Eine Auswertung der von uns in den letzten Jahren geführten Gespräche und der dabei dokumentierten Fälle bzw. Strafanzeigen gegen Polizeibeamte zeigt, daß die Ereignisse in der Regel mit Personalienkontrollen begannen, ohne daß die Betroffenen durch ihr Verhalten einen konkreten Anlaß für die Kontrollen gegeben hätten. Seitens der Beamten wurden die Personenüberprüfungen hingegen stereotyp damit gerechtfertigt, daß die Betroffenen ihre Aufmerksamkeit erregt hätten.

In einem Fall aus dem Jahr 1996 gaben die Beamten gegenüber der Staatsanwaltschaft an, die drei betroffenen Jugendlichen hätten, als sie zusammen mit etwa 30 anderen Personen gegen 0 Uhr auf den letzten Bus warteten, ein eigentümliches Verhalten gezeigt: sie drehten sich mehrfach um, standen dicht gedrückt zusammen.

In einem anderen Fall wollte der Betroffene gerade von einer Bushaltestelle über den Bahnhofsvorplatz zu einer Toilette im Bahnhofsgebäude gehen, als ihm der Weg von zwei Polizisten versperrt wurde, die er nach seinen Worten bis dahin nicht einmal wahrgenommen hatte. Die Beamten stellten den Vorgang gegenüber der Staatsanwaltschaft so dar, als sei der togoische Staatsangehörige vor ihnen weggelaufen, während sie sich mit ihrem Streifenwagen näherten: Uns ist der Anzeigende erst aufgefallen, als er Blickkontakt zu uns hatte und sich dann schnellen Schrittes von der Straßenbahnhaltestelle der Linie 10 Richtung Bahnhofsgebäude entfernte. Wir beschlossen daraufhin, ihn zu kontrollieren, weil uns sein Verhalten auffällig erschien und wir den Verdacht hatten, daß er irgendetwas zu verbergen hatte.

Nachdem Fahnder der Sondergruppe Ost im September 1998 einen guineischen Staatsangehörigen im Bahnhofsgebäude überprüft, ihn anschließend zur Bahnhofswache geschleppt und dort durchsucht hatten, schrieb einer der beteiligten Beamten in seinem Tathergangsbericht, daß er auf ihn aufmerksam geworden sei, weil der Betroffene anfangs zum Ausgang geschlendert sei, sich nach fünf Minuten jedoch noch immer im Bahnhofsgebäude befunden habe. Weiterhin will der Fahnder ihn als Person erkannt haben, die er in der Vergangenheit bereits bei einer Hausdurchsuchung in einem Asylwohnheim angetroffen habe. Im Januar 1999 wurde er dann erneut einer Personalienüberprüfung mit anschließender körperlicher Durchsuchung unterzogen (wieder ergebnislos), weil er sich nach Darstellung der Beamten offensichtlich für die angrenzenden Grundstücke interessiert habe. Als die Beamten daraufhin langsam mit ihrem Zivilwagen an ihm vorbeigefahren seien, habe er Blickkontakt zu ihnen aufgenommen, sich von der Haltestelle entfernt, sei anschließend wieder umgedreht und langsam zurückgegangen. Dabei habe er sich immer wieder auffällig in alle Richtungen umgesehen. Nach kurzer Observationszeit entschlossen sich die Beamten dann nach eigenen Angaben zu einer Überprüfung. Zusammengefaßt tat der angeblich Verdächtige also nicht anderes, als - an einer Haltestelle stehend und auf den Bus wartend - die Umgebung zu betrachten und auf und ab zu schlendern.

Meist sind es bestimmte Standardkonstellationen, die dazu führen, daß auf eine solche Personalienüberprüfung schließlich auch noch eine Durchsuchung folgt. Kam es z.B. bei den Personalienkontrollen zu kleineren Zwischenfällen der Art, daß die Betroffenen protestierten oder sich gegen besonders forsches Vorgehen verwahrten, aus Sicht der Beamten nicht ausreichend kooperierten oder nur unzureichende Papiere (die bei weißen Deutschen ohne weiteres anerkannt würden) vorwiesen, wurde dies zum Anlaß für eine Vorführung an der Wache genommen.

So begründeten die Polizisten im Falle der o.g. drei Jugendlichen die Durchsuchung auf der Wache mit deren Versuch, den einfahrenden Bus bis zum Ende der Personalienkontrolle am Abfahren zu hindern: Aufgrund des von den Schwarzafrikanern gezeigten Verhaltens an der Bushaltestelle, insbesondere des Versuchs, sich der Personenkontrolle zu entziehen, drängte sich der Verdacht auf, daß diese Personen Betäubungsmittel bei sich führen könnten.

Daß auch korrekte Papiere und kooperatives Verhalten nicht vor Durchsuchungen schützen, zeigt unstrittig ein Fall aus dem Jahr 1998, in dessen Verlauf dem betroffenen Schwarzen zunächst auf offener Straße ohne jegliche Vorwarnung die Kiefer auseinandergedrückt wurden, woraufhin er zur Wache gebracht und dort (ergebnislos) durchsucht wurde. Nachdem er Strafanzeige erstattet hatte, gaben die beschuldigten Beamten im Rahmen ihrer Vernehmung an, keine konkrete Erinnerung mehr an das Geschehen zu haben. Die einzig existierende schriftliche Unterlage ist ein Vermerk im Gewahrsamsbuch der Wache Sandstraße, wonach der Betroffene dort wegen des Verdachts auf einen Verstoß gegen das BtMG durchsucht wurde. Diese Eintragung nahmen die Beamten bei ihrer Vernehmung rückwirkend zum Anlaß für die Behauptung, daß damals ein konkreter Verdacht vorgelegen haben müsse - ohne angeben zu können, worin dieser bestanden haben soll. Das Motto lautet also kurzgefaßt: Allein die Tatsache, daß der Mann wegen Drogen durchsucht wurde, zeigt, daß die Durchsuchung begründet war.

Ansonsten scheint zu gelten: Ist eine Person erst einmal wegen eines Verstoßes gegen das BtMG polizeilich registriert - egal, ob es Ermittlungsverfahren, Freisprüche oder sonstwas gab - steigt die Bereitschaft der BeamtInnen, sie unabhängig von den konkreten Umständen immer wieder zu durchsuchen, deutlich an. Wer sich einmal im Netz verfangen hat, kann davon ausgehen, daß die Verfolgung durch die Polizei eine Eigendynamik gewinnt, der nur schwer bis gar nicht zu entrinnen ist.


Fehlende Ermittlungsverfahren als Indiz

Eine körperliche Durchsuchung setzt als schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte einen Anfangsverdacht voraus; spätestens mit der Durchsuchung ist automatisch ein Ermittlungsverfahren gegen die von der Durchsuchung betroffene Person eingeleitet, das aktenkundig zu machen und an die Staatsanwaltschaft abzugeben ist. Nun ist allen von uns dokumentierten Fällen gemeinsam, daß die Durchsuchungen lediglich in den Gewahrsamsbüchern der jeweiligen Wachen festgehalten worden sind, d.h. in keinem Fall ein Ermittlungsverfahren gegen die durchsuchten Personen gemacht wurden. Hintergrund dieser Praxis ist ganz offensichtlich, daß die vorliegenden Verdachtsmomente auch aus Sicht der Polizeibeamten zu unbestimmt waren, um damit ernsthaft ein Verfahren gegen die von den Durchsuchungen betroffenen Personen begründen zu können. Verlaufen die Durchsuchungen aus Sicht der Beamten positiv, werden Strafanzeigen erstattet. Zeigen sie ein negatives Ergebnis, werden die Betroffenen entlassen, ohne daß der Vorgang als Ermittlungsverfahren (wie in der StPO zwingend vorgesehen) aktenkundig gemacht wird. Etwa nach dem Motto: Finden wir was, ist's gut. Finden wir nichts, ist's auch nicht weiter tragisch.. Bei solchen Streifen wird dann nach dem Polizeigesetz kontrolliert und durchsucht.(...) Bei den Nachtstreifen läuft es so: Ach, das is der und der, inn Hauseingang rein und schnell durchsucht. Wenn man was findet, geht's mit der StPO weiter.(1)


Absenkung der Verdachtsschwelle

Sämtliche von uns dokumentierten Strafanzeigen gegen Polizeibeamte blieben ohne Erfolg. Begründet wurde dies zum einen damit, daß die Aussagen der beschuldigten Beamten von den Schilderungen der betroffenen Schwarzen abwichen. Mindestens genauso wichtig für die Verfahrenseinstellungen war jedoch, daß die Anforderungen an den Anfangsverdacht extrem niedrig angesetzt wurden. Dadurch war es sowohl den beschuldigten Beamten selbst als auch der (General-)Staatsanwaltschaft möglich, die von den Polizisten ergriffenen Maßnahmen zu rechtfertigen. Die Schilderungen der Verdachtsgründe enthalten in der Regel kaum nachprüfbare Fakten. Sie basieren vielmehr auf subjektiven Wertungen an sich alltäglicher Verhaltensweisen, die von den Polizisten als verdächtig klassifiziert wurden. Entscheidend dabei ist, daß die betroffenen Personen von vornherein mit einer Art Grundsatzverdacht belegt sind, der die Hemmschwelle für das polizeiliche Einschreiten drastisch herabsetzt. Der Spielraum, der den BeamtInnen durch die nur noch als minimal zu bezeichnenden Anforderungen an den Anfangsverdacht - abgesegnet von der Staatsanwaltschaft - eröffnet wird, ist enorm. Denn es wird unter diesen Umständen fast immer möglich sein, durch allerlei Verbalakrobatik und notdürftig zurechtgezimmerte Verdachtsgründe im Nachhinein eine Rechtsgrundlage für eine körperliche Durchsuchung zu konstruieren: Viele Kollegen werden auf der Schule verunsichert. Früher bin ich durch die Stadt gelaufen und hab mich jedesmal nach der Rechtsgrundlage gefragt. Heute geht es peng, und das paßt. Und wenn was schiefläuft, guck ich hinterher ins Gesetz und mach es passend. Das unterscheidet den Praktiker vom Theoretiker. (2) Decken sich die Darstellungen der beschuldigten Beamten nicht mit den Wahrnehmungen der Betroffenen, steht Aussage gegen Aussage - mit dem Effekt, daß die Verfahren eingestellt werden.


Fazit

Körperliche Durchsuchungen stellen einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der bzw. des Betroffenen dar. Es ist ein ausgesprochen unangenehmes und meist auch demütigendes Erlebnis, an einer Polizeiwache vorgeführt zu werden und sich dort in Gegenwart der BeamtInnen nackt ausziehen zu müssen. Ergebnislose Durchsuchungen werden als schikanöse und willkürliche Behandlung empfunden, zumal die Betroffenen aus ihrer Sicht keinerlei konkreten Anlaß geliefert haben. Hinzu kommt, daß die Prozedur oft mit abfälligen Bemerkungen seitens der BeamtInnen verbunden ist. Aus Berichten betroffener Schwarzer wissen wir, daß Sprüche wie Was willst du hier?, Geh zurück nach Afrika!, Alle Schwarzen sind Dealer!, Du stinkst! und Beschimpfungen als Nigger, Arschloch, Affe etc. regelmäßig zum Begleitprogramm gehören. Offensichtlich haben wir es hier mit einem weiteren Baustein einer umfassenden rassistischen Sonderbehandlung zu tun. Im Schatten einer Diskussion, die die mit den Konzepten vorbeugender Verbrechensbekämpfung verbundenen Grundrechtseingriffe und die fortschreitende Erosion der Tatverdachtsschwellen vor allem für vergleichsweise aufwendige Maßnahmen wie verdeckte Ermittler, Lauschangriff etc. thematisiert und dabei eine gleichmäßige Gefahr für die Grundrechte aller prognostiziert, hat sich die polizeiliche Praxis nicht nur wesentlich weiter entwickelt. Sie ist auch hochgradig selektiv. Vorbeugende Verbrechensbekämpfung konzentriert sich in Form permanenter polizeilicher Intervention auf ganz bestimmte Gruppen, die anhand ethnischer (Stichwort Ausländerkriminalität und illegale Einwanderung), altersmäßiger (Stichwort Jugendkriminalität) und sozialer Kriterien eingegrenzt werden.


AntiRassismus Büro Bremen (arab)

AntiRassismus Büro Bremen (arab), Sielwall 38, 28203 Bremen, Tel. 0421-706444, Fax 0421-706445, http://www.is-bremen.de/~arab
Auf der Homepage können die ungekürzten Texte und Materialien zu Polizeipraxis und Rassismus nachgelesen werden.


Anmerkungen:
(1) Stock, J. & Kreuzer, A.: Drogen und Polizei - eine kriminologische Untersuchung polizeilicher Rechtsanwendung, Bonn, 1996.
(2) Aussage eines Hauptkommissars, ebenda.


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kombo(p) - 24.10.2001