kassiber 46 - Juli 2001

Solidarität statt Abschiebung - Bleiberecht statt Sparwahn

Rote Karte für den Innensenator!



Serag wurde 1982 geboren, lebt seit 12 Jahren in Bremen und macht in der Hauswirtschaftsschule seinen Realschulabschluss. Seine Freunde leben hier, seine Muttersprache ist deutsch. Jetzt soll er abgeschoben werden - in die Türkei, ein Land, dessen Sprache er nicht spricht, und das er nie gesehen hat. Herr C. lebt seit 1988 in Deutschland, hat eine Aufenthaltsberechtigung. Seine Kinder haben mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft. Er hat sich mühsam eine Existenz aufgebaut und betreibt einen kleinen Gemüseladen. Auch ihn will die Ausländerbehörde in die Türkei abschieben- auch für ihn in ein Land, dessen Sprache er nicht versteht, in dem er nie gelebt hat.

Nur zwei Beispiele von mehr als fünfhundert Schicksalen, die die Bremer Behörden ins Unglück stürzen wollen. Denn die beiden sind staatenlose Kurden aus dem Libanon. Seit gut 10, manchmal sogar 15 Jahren leben Flüchtlinge aus dem Libanon in Bremen, sind Kinder und Jugendliche hier aufgewachsen, gehen zur Schule, gehen ins Freizi, machen hier ihre Lehre oder Ausbildung, während ihre Eltern durch die Asylgesetzgebung und das bis heute währende faktische Arbeitsverbot auf den Bittstellerstatus verdammt sind: zum Nichtstun, zur organisierten Langeweile, zum ausgegrenzten Fremden.

Vor nunmehr anderthalb Jahren hat der Bremer Innensenator Bernt Schulte (CDU) zur Attacke auf diese Menschen geblasen. Seitdem sehen sie sich einem Trommelfeuer von Angriffen ausgesetzt, Medienattacken, Verwaltungsverfügungen und ignoranten Gerichtsurteilen. Erklärtes Ziel der Innenbehörde ist es, die Flüchtlinge in die Türkei abzuschieben - in ein Land, aus dem sie nicht kommen, das sie kaum kennen, dessen Sprache sie nicht sprechen, mit dem sie nichts verbindet. Ihnen soll zum Verhängnis werden, daß sie die Türkei vor 10 oder 15 Jahren als "Transitland" auf ihrer Flucht vor dem Bürgerkrieg im Libanon benutzt haben, sich dort für die "Weiterreise" türkische Papiere organisiert haben, um überhaupt weiter zu kommen. Der Vorwurf des großangelegten "Asylbetrugs", mit denen der Innensenator die staatliche Kampagne medienwirksam lostrat, hat sich längst in Luft aufgelöst. Die Behauptung, die Betroffenen stammten in Wirklichkeit aus der Türkei, hätten ihre Flucht aus dem Libanon nur vorgetäuscht, ist in sich zusammen gebrochen. Die Strafgerichtsverfahren, in denen den Flüchtlingen Betrug vorgeworfen wurde, sind samt und sonders gescheitert. Längst ist klar, daß die Innenbehörde die Wahrheit kennt, daß ihr Gerede von den "falschen Libanesen" nichts weiter als eine faustdicke Lüge war.

Das soll jedoch jetzt alles nichts mehr zur Sache tun. "Uns doch egal, wo sie herkommen" lautet neuerdings die dreiste Argumentation von Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht, "Hauptsache, die Türkei nimmt sie, wenn wir sie dorthin abschieben". Man leugnet schon gar nicht mehr, daß die betroffenen Familien in ein Land abgeschoben werden, mit dem sie nichts verbindet - stattdessen entscheiden diese Bürokraten mit einem Maß an Arroganz, zu dem nur Beamte und Juristen fähig sind: "Die Ausweisung stellt keine unzumutbare Härte dar, weil den Betroffenen zuzumuten ist, die Sprache vor Ort zu lernen, und sich dort eine Existenz aufzubauen." Der Innensenator, die Ausländerbehörde und das Verwaltungsgericht bilden ein Kartell, das sich weder von einfachsten menschlichen Erwägungen noch von rationalen Argumenten beeindrucken läßt. Sie kennen nur ein Ziel: die rücksichtslose Beseitigung der als unerwünscht abgestempelten Familien.

Doch diese Verleumdungs- und Abschiebekampagne ist nicht ohne Widerstand geblieben. Mit Demos, Aktionen, Veranstaltungen und Flugblättern haben die Betroffenen und antirassistische Initiativen dem Propagandagetöse Schultes, seiner "Spezialeinheit" der Bremer Polizei, und der Ausländerbehörde Paroli geboten. Die Leute wollen hier bleiben - wir wollen, daß die Leute hier bleiben! Wir, das heißt MitschülerInnen, KollegInnen, LehrerInnen der Betroffenen, aber auch einfach MitbürgerInnen, für die Familien mit Namen Sado, Al-Zein, El-Zein usw. genauso BremerInnen sind wie jeder Schulte oder Meier auch. Uns interessiert das Kriminalitäts-Bla-Bla des Innensenators nicht. Denn es ist Propaganda, es ist Diffamierung und Kriminalisierung von Menschen, die ihre Gründe hatten und haben, ohne gültige Papiere, ohne American-Express oder Mastercard zu fliehen; die dabei logischerweise auch irgendwelche Vorschriften mißachtet haben - und das womöglich auch in Zukunft tun müssen. Wer will uns eigentlich erzählen, wie die Flucht vor einem Bürgerkrieg, vor Terror und Gewalt aussieht, wenn nicht die Flüchtigen selbst?!

Über die Legitimation der Flucht, über die Hintergründe der Abschiebekampagne könnte hier noch vieles geschrieben werden. Aber reicht es nicht zu sagen, daß Menschen aus dem Libanon nicht in die Türkei abgeschoben werden sollten? Reicht es nicht zu sagen, dass Menschen nach 10 bis 15 Jahren möglicherweise eine Art "Heimat" gefunden haben, und Deutschland, als eines der reichsten Länder der Erde, entscheiden könnte, o.k., ihr bleibt hier? Reicht es nicht zu sagen, daß "Sonderermittlungsgruppen" der Polizei immer etwas vermeintlich Illegales finden - egal, ob sie Flüchtlingsgruppen, Jugendtreffpunkte oder Teestuben untersuchen?! Weil das einerseits schließlich ihre Bestimmung ist, andererseits mehrere Millionen Menschen in diesem Land versuchen, sich nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen.

Ein Hintergrund der Kampagne gegen die libanesischen Flüchtlinge ist Geld. Der Senat rechnet sich aus, wie viele Sozialgelder zu sparen wären, wenn die Familien in der Türkei ihrem Schicksal überlassen werden. Die Sozialsenatorin Hilde Adolf (SPD) hat daher der Ausländerbehörde aus ihrem Etat einen Millionenbetrag überlassen, damit diese Menschen schneller abgeschoben werden können - Millionen, die eigentlich als Sozialhilfe, Kleidergeld etc. bedürftigen Menschen zustünden. Und wenn die Sozial- und Innenbehörde dann argumentiert, daß die "falschen Libanesen" Millionen an Sozialhilfe zu Unrecht bezogen hätten, ist das zwar eine Lüge. Aber es spricht eine Menge Leute in diesem Land an: Nicht nur die Nazis, deren Programm dem der Innenbehörde manchmal so ähnlich klingt. Auch viele der tatsächlichen oder vermeintlichen Verlierer des sozialen Krieges aller gegen alle, weil sie wieder einmal ihre wirklichen Gegner mit den anderen Angegriffenen verwechseln. Ganz zu schweigen von den "Besserverdienenden", denen die Spar-Zwang-Ideologie der großen Koalition schon derart in Fleisch und Blut übergangen ist, daß auch eine hundertfache Existenzvernichtung ihren Beifall findet oder mindestens ihre abgrundtiefe Ignoranz. Diese Logik von Scherf, Schulte und Co ist nicht unser Ding! Wir haben mit einer Demonstration unsere Solidarität mit den Flüchtlingen aus dem Libanon zum Ausdruck gebracht. Wir stehen zu ihnen. Wir werden klar machen, daß sie zu uns gehören, daß sie Teil dieser Stadt sind. Gegen die "Sparpolitik" der Herrschenden, gegen die Abschiebepolitik, gegen Rassismus und Faschismus werden wir nur gemeinsam kämpfen können.

Die Leute wollen hierbleiben - Wir wollen, daß die Leute hierbleiben!


AntiRassismusBüro Bremen, "Widerstand jetzt!" - Bremer Jugend gegen Zersparpolitik, Aktionsgruppe Bluna, PDS Bremen, Gewerkschafter gegen Rassismus und Standortnationalismus, Flüchtlingsinitiative Bremen, SAV, FDJ, Solidaritätskomitee für die kurdischen Familien aus dem Libanon, ['Solid] - die sozialistische Jugend, Stadtteilkommune Alla Hopp, Kollegen von Daimler informieren, V99 e.V.

(Dieser Text war zugleich der Aufruf für einen Aktionstag am 21. Juni 2001 in Bremen.)


Inhaltsverzeichnis Kassiber 46
Bezugsmöglichkeiten


zurück!

kombo(p) - 24.10.2001