kassiber 46 - Juli 2001

Berliner Prozeß gegen angebliche ehemalige Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ)

Ein gut präparierte Kronzeuge



Am 17. Mai begann vor dem Berliner Kammergericht Moabit der zweite Anlauf des Prozesses gegen angebliche ehemalige Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ). Im Gegensatz zum Ende März begonnenen und nach wenigen Verhandlungstagen abgebrochenen ersten Anlauf, wird diesmal nicht nur gegen Axel Haug, Harald Glöde, Matthias Borgmann und Sabine Eckle verhandelt, sondern auch gegen Rudolf Schindler, dessen Verfahren auf Beschluß des Bundesgerichtshofs mit dem Verfahren der vier anderen Angeklagten verbunden worden war.

In den Anklageschriften wirft die Bundesanwaltschaft (BAW) allen fünf Beschuldigten neben der Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen einen Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) vom Februar 1987 vor. Matthias Borgmann, Harald Glöde und Axel Haug werden darüber hinaus beschuldigt, einen Anschlag auf die Berliner Siegessäule im Januar 1991 verübt zu haben. Axel Haug wird weiter des "Hantierens mit Sprengstoff" bezichtigt, er soll zwischen 1987 und März 1995 ein Waffen- und Sprengstoffdepot im Berliner MehringHof verwaltet haben. Außerdem wird er angeklagt, unerlaubt eine Waffe besessen zu haben, die im November 1999 in seiner Wohnung gefunden worden sei. Auch Harald Glöde ist des "Hantierens mit Sprengstoff" angeklagt. Er soll im März 1995 den restlichen Sprengstoff aus dem "MehringHof-Depot" im Keller von Tarek Mousli, dem Kronzeugen der Anklage, hinterlegt haben. Rudolf Schindler wird eine besondere Rolle zugeschrieben und ihm daher "Rädelsführerschaft" vorgeworfen.

Nicht mehr strafrechtlich relevant sind die "Knieschußattentate" auf den Leiter der Berliner Ausländerbehörde Harald Hollenberg im Jahr 1986 und auf den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht, Karl Günter Korbmacher, im Jahr 1987. Dennoch nehmen sie in der Anklageschrift einen breiten Raum ein. Von den fünf Angeklagten sollen sich am Anschlag auf Hollenberg Sabine Eckle, Matthias Borgmann, Axel Haug und Rudolf Schindler beteiligt haben. Beim Anschlag auf Korbmacher geht die Bundesanwaltschaft von einer Beteiligung aller fünf Angeklagten aus.

Die Bundesanwaltschaft glaubt beweisen zu können, daß es zwischen 1985 und 1990 in Westberlin zwei RZ-Gruppen gab. Weiterhin hätte es weitere Gruppen in Hamburg und Niedersachsen, dem Rhein-Main-Gebiet und in Nordrhein-Westfalen gegeben. Ab 1977 hätte sich die Rote Zora als feministischer Zweig gebildet, die sich - nach Ansicht der Bundesanwaltschaft - spätestens 1987 ideologisch von den Revolutionären Zellen getrennt habe.

Die einzelnen Zellen sollen "autonom" existiert und abgeschottet voneinander operiert haben. Gleichwohl, so die Bundesanwaltschaft, "waren sie doch dem gemeinsamen Ziel verpflichtet und suchten den gemeinsamen Zweck mit vereinten Kräften zu erreichen". Die Berliner Zusammenhänge hätten als "selbständige regionale Teilorganisation" agiert.

Die eine Berliner Zelle habe aus Sabine Eckle (Deckname "Judith"), Harald Glöde ("Sigi"), Rudolf Schindler ("Jon"), Lothar Ebke ("Sebastian"), gegen den derzeit in Kanada ein von den deutschen Behörden angestrengtes Auslieferungsverfahren läuft, sowie Gerd Albartus ("Kai"), der im Jahre 1987 von einer palästinensischen Gruppe ermordet wurde, bestanden. Der zweiten Zelle hätten Matthias Borgmann ("Heiner"), Axel Haug ("Anton") und ein Mann mit dem Decknamen "Toni", der bislang nicht identifiziert werden konnte, angehört.

Laut Anklageschrift seien "alle Mitglieder nach den Prinzipen der Organisation gleichberechtigt" gewesen, gleichwohl hätte es eine "Führungsposition" der langjährigen Mitglieder der Gruppen gegeben. Diese "führenden Mitglieder" hätten auf überregionalen Treffen der verschiedenen regionalen Zellen, den "Assemblea-" oder "Miez-Treffen" eine zellen- oder gruppenübergreifende Abstimmung gewährleistet. In der einen Berliner Gruppe sollen Sabine Eckle und Rudolf Schindler eine führende Rolle innegehabt haben. In der anderen Berliner Gruppe sei Matthias Borgmann ein besonderes Gewicht bei Entscheidungen zugefallen.

Alle Angeklagten lehnen es ab, sich zu den Vorwürfen der Bundesanwaltschaft zu äußern. Harald Glöde gibt aber am ersten Verhandlungstag eine umfangreiche persönlichen Erklärung ab, in der er sich mit der Prozeßführung des Kammergerichts sowie mit der Rolle des Bundeskriminalamtes (BKA) und der Bundesanwaltschaft im Aufbau des Kronzeugen Tarek Mousli auseinandersetzt. Der 1. Strafsenat des Kammergerichts inszeniere das Verfahren "gemäß den Vorgaben der Bundesanwaltschaft als ein Terroristenverfahren im Stil der siebziger und achtziger Jahre". Mit den überzogenen Sicherheitsvorkehrungen und den entwürdigenden ZuschauerInnenkontrollen werde eine "Atmosphäre von Bedrohung und Gefährlichkeit" geschaffen, die dazu diene, "die juristische Fragwürdigkeit des Vorgehens zu verschleiern". Der ablehnende Beschluß des Gerichts zum Antrag der Verteidigung auf Haftverschonung vom 12. April verdeutliche, daß eine ernstgemeinte Einzelfallprüfung nicht gewollt war. Vielmehr unterstreiche die darin ausgebreitete Argumentation des Gerichts den vorherrschenden Verurteilungswillen.

Unter der Überschrift "Wie schaffe ich mir einen Kronzeugen" faßte Harald G. seine Eindrücke darüber zusammen, wie der Kronzeuge Tarek Mousli durch das Bundeskriminalamt aufgebaut wurde. Seine durch genaues Aktenstudium untermauerte Rekonstruktion der mittlerweile sechsjährigen Ermittlungsgeschichte verdeutlichte, daß das BKA den späteren Kronzeugen über einen längeren Zeitraum unter zunehmenden Druck gesetzt hatte, bis dieser sich dafür entschied, die ihm angebotene Rolle zu übernehmen. Tarek Mousli war von der Bundesanwaltschaft - was für § 129a-Verfahren ungewöhnlich ist - schon zu einem sehr frühen Stadium ausführlich mit den Ermittlungsergebnissen bekannt gemacht worden. Somit konnte er seine Aussagen an den vorliegenden Ergebnissen ausrichten. Zwischen dem Kronzeugen und den Ermittlungsbehörden sei, so Harald Glöde, "eine Art von Schicksalsgemeinschaft" entstanden: "Dadurch, daß Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft sich schon relativ frühzeitig auf den Aufbau von Tarek M. als Kronzeugen festgelegt und ihre Ermittlungsstrategie darauf ausgerichtet hatten, konnten sie ab einem gewissen Zeitpunkt davon nicht mehr abrücken, ohne ihre bis dahin geleistete Arbeit grundlegend zu gefährden."

Aus der "zumindest teilweisen Interessenübereinstimmung zwischen dem Kronzeugen und den Strafverfolgungsbehörden" erklärt sich für Harald Glöde der in den Ermittlungsakten erkennbare "Zwang, Widersprüche in den Angaben des Kronzeugen zu übergehen und zu ignorieren und ihn durch entsprechende Vorhalte vor allzu offensichtlichen Falschaussagen zu bewahren" Die Vorgehensweise des Bundeskriminalamtes sei ohne die Zustimmung und Unterstützung der Bundesanwaltschaft, die letztendlich die Verantwortung für das Ermittlungsverfahren trägt, nicht denkbar. Vielmehr führe die Bundesanwaltschaft die "eingeschlagenen Linie der Manipulation und Steuerung des Verfahrens" im Zuge der Anklageerhebung und im Gerichtsverfahren weiter.

Der Auftakt dieses Prozesses war durch eine deutlich angespanntere Prozeßatmosphäre gegenüber der ersten Auflage Ende März/Anfang April gekennzeichnet. Im Kern ging es immer wieder darum, wer für die Verschleppung des Verfahrens verantwortlich zu machen sei. Zu Beginn des ersten Verhandlungstags stellten die RechtsanwältInnen Studinsky und Kaleck Befangenheitsanträge gegen die Vorsitzende Richterin des 1. Strafsenats des Kammergerichts Berlin, Gisela Hennig.

Direkt abgelehnt wurde ein Antrag auf Einstellung des Verfahrens, den Rechtsanwalt Kaleck bereits am in der ersten Auflage des Prozesses vorgetragen hatte. Die Art und Weise, wie es zu den Aussagen des Kronzeugen Tarek Mousli gekommen sei, sei ein Verstoß gegen das Rechtsprinzip des fairen Verfahrens. Die Verteidigung habe keine Möglichkeit mehr, Widersprüche in den Aussagen Tarek Mouslis - dem Hauptbeweismittel in diesem Prozeß - aufklären zu können, weil die Bundesanwaltschaft alles dafür getan habe, dieses Beweismittel unbrauchbar zu machen. Nach den monatelangen Vernehmungen durch BeamtInnen des Bundeskriminalamtes und der Bundesanwaltschaft sei davon auszugehen, daß der Kronzeuge lediglich eine Mischung aus konkreten Erinnerungen, Hinzu- und Weggedichtetem, Erlerntem und nach Vorhalten durch die Ermittlungsbehörden Korrigiertem im Prozeß vortragen werde.

Ohne irgendeine Beteiligung der Verteidigung war Tarek Mousli von Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt allein zwischen seiner Festnahme am 23. November 1999 und dem 24. Januar 2001 nach Aktenlage 44 Mal vernommen worden. Daneben fanden zahlreiche Vorgespräche, Gespräche, Besprechungen mit den Staatsschutzbeamten statt, von denen die Verteidigung weiß, die aber inhaltlich in den Akten nicht nachvollziehbar sind. In diesen Gesprächen ging es um die Kronzeugenregelung, Vergünstigungen für Tarek Mousli in der Haftfrage, das Zeugenschutzprogramm, inklusive der monatlichen Alimentierung von DM 2.400 plus Miete, Krankenversicherung, Mietwagen und Telefongrundgebühren, sowie nicht zuletzt um die Inhalte von Tarek Mouslis Aussagen.

Der zweite Prozeßtag, der eigentlich um 9.15 Uhr starten sollte, war geprägt durch eine mehrstündige Verzögerung des Verhandlungsbeginns. Sabine Eckle litt, als die JustizbeamtInnen sie in das Kriminalgericht Moabit bringen wollten, unter einem schweren Migräneanfall, und weigerte sich daher, mitzukommen. Während der dann in ihrer Abwesenheit gegen 13.20 Uhr einberufenen Verhandlung bescheinigte ihr ein als Zeuge anwesender Gerichtsmediziner Verhandlungsunfähigkeit. Bereits am ersten Prozeßtag war der Gesundheitszustand von Sabine Eckle, die im Frühjahr auf nur 43 Kilogramm Körpergewicht abgemagert war, während der Verhandlung thematisiert worden. Die für die den Frauenknast Pankow zuständige Anstaltsärztin bestätigte, daß Sabine Eckle seit Jahren von starken, immer wiederkehrenden Migräneanfällen betroffen sei, die mit starken Kopfschmerzen, Erbrechen und Übelkeit einhergingen. Wenn überhaupt, ließe sich die Migräne nur bekämpfen, wenn sofort nach den ersten Anzeichen eines Anfalls starke Schmerzmittel und Medikamente gegen Erbrechen eingenommen würden. Eine vorbeugende medikamentöse Behandlung sei unmöglich. Die Anstaltsärztin attestierte Sabine Eckle im Falle eines Migräneanfalls Verhandlungsunfähigkeit, weil dadurch die Konzentrations- und Aufnahmefähigkeit enorm eingeschränkt sei. Die Verteidigung von Sabine Eckle beantragte daher einen mündlichen Haftprüfungstermin, um die Haftfähigkeit der Angeklagten zu prüfen. Der wurde allerdings vom Gericht abgelehnt.


Vorlesestunde beim Kammergericht

Am dritten Prozeßtag wurden Auszüge aus zwei Entscheidungen von Oberlandesgerichten aus den Jahren 1980 und 1998 verlesen, da sie gerichtsbekannte Tatsachen über das Selbstverständnis, Aktionen und Organisationsgeschichte der Revolutionären Zellen beziehungsweise der Roten Zora, sowie das Verhältnis zwischen Rote Zora und Revolutionären Zellen enthalten würden.

So hatte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main am 22. Mai 1980 die Studentin Leyla B. zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe unter anderem wegen der Unterstützung der Revolutionären Zellen verurteilt. Die Feststellung einer einheitlichen Organisationstruktur der Revolutionären durch das Gericht stützte sich dabei auf ein weiteres Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 19. Januar 1979 gegen Gerd Albartus und Enno Schwall: Eine genaue Struktur, die Anzahl der Mitglieder und Ansätze für eine zentrale Steuerung und Planung der Aktivitäten ließen sich zwar nicht ermitteln, doch über die RZ-Zeitung Revolutionärer Zorn wurde eine organisatorische Einheit von Gleichgesinnten mit praktischer und ideologischer Schulung und dem Gefühl der Zusammengehörigkeit konstatiert. Weiterhin wurden den RZ in diesem Zusammenhang in der Zeit von 1973 bis 1978 über 20 Sprengstoff- und Branddelikte zugeordnet. Außerdem wurden weitere Dokumente im sogenannten Selbstleseverfahren in den Prozeß eingeführt, unter anderem das komplette Urteil des Kammergerichts gegen Tarek Mousli vom 18. Dezember 2000.


"Dramatischer Qualitätsverlust des Zeugen Mousli"

Zwar war schon einiges über die Präparierung des Kronzeugen Tarek Mousli durch Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft bekannt geworden, daß die Karlsruher Anklagebehörde ihm und seinem Anwalt Birkhoff aber sogar umfassende Akteneinsicht sowohl in die Akten des laufenden Verfahrens als auch in Berichte des OPEC-Verfahrens in Frankfurt am Main gegeben hat, wie die Verteidigung der Angeklagten am vierten Prozeßtag aufdeckte, ist selbst für sogenannte Kronzeugenprozesse ungewöhnlich (beziehungsweise, daß dies bekannt wird).

Der Vorgang wurde durch eine Aktennotiz der Vorsitzenden Richterin Hennig über ein Telefonat mit dem Kronzeugen-Anwalt im März bekannt. Nachdem Rechtsanwalt Euler diese Notiz aufgefallen war, erfuhr er in einem Gespräch mit der Vorsitzenden Hennig, daß die auch erst von Birkhoff vom Vorgehen der Bundesanwaltschaft informiert wurde. Auf Nachfrage Eulers beim damals zuständigen Bundesanwalt Griesbaum erwiderte der lediglich, er werde nur schriftliche Anfragen beantworten. Die Verteidigung forderte eine umfassende Aufklärung der Vorfälle sowie die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vorgehens der Bundesanwaltschaft durch das Gericht. Das Vorgehen der BAW führe, so Rechtsanwalt König, zu einem "dramatischen Qualitätsverlust des Zeugen Mousli". Auf einen derart präparierte Zeugen könne man in Strafverfahren nicht mehr zurückgreifen.


Zeuge, Sachverständiger oder sachverständiger Zeuge

Im Zentrum des fünften Verhandlungstags stand am 7. Juni die Zeugenvernehmung des Kriminalhauptkommissars a.D. Klaus Schulzke. Der seit November 2000 pensionierte Beamte des Bundeskriminalamtes war leitender Ermittlungsführer im Verfahren gegen Tarek Mousli. KHK Schulzke tat indes alles dafür, sich nicht festzulegen und die Art und Weise der Aussageentstehung des Kronzeugen weiterhin im Dunkeln zu lassen.

Bevor es zur Befragung des Zeugen kam, verlangte Rechtsanwältin Würdinger, daß ihr und den anderen Verfahrensbeteiligten bislang vorenthaltene Unterlagen zugänglich gemacht würden. An 43 Stellen in den Verfahrensakten würde auf Vermerke und andere Unterlagen zum Beispiel zu Anfragen an die Gauck-Behörde, das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Landesamt für Verfassungsschutz in Kiel verwiesen, die sich nicht in den Akten der Verteidigung befänden.

Schulzke begann daraufhin - gestützt auf schriftliche Unterlagen - mit einem Vortrag über die Geschichte der Revolutionären Zellen. Daraufhin entspannte sich ein Disput zwischen der Verteidigung und dem Senat beziehungsweise der Bundesanwaltschaft über den Status von Schulzke. Als Zeuge, so der Standpunkt der Verteidigung, müsse er von eigenem Erlebten berichten, ansonsten sei er als Sachverständiger zu betrachten. Mit der Äußerung, der Zeuge berichte über erlebtes Aktenstudium, ordnete der Senat die Fortsetzung der Zeugenvernehmung an.

Neben Anschlagserklärungen und der RZ-Zeitung Revolutionärer Zorn beruhten die Erkenntnisse des Bundeskriminalamtes nach Angaben von Schulzke auf den Aussagen von Herman Feiling Ende der siebziger Jahre und den diversen RZ-Prozessen. Angesprochen auf die Auflösungserklärungen der RZ von Anfang der neunziger Jahre, gab der führende BKA-Mann in Sachen Revolutionäre Zellen eine bezeichnende Antwort: Dazu könne er nichts sagen, da er sie nicht gelesen habe. Die Auflösungserklärung hat mich nicht interessiert.

Er selbst habe sich mit den RZ/Rote Zora ab 1994 beschäftigt. 1997 sei das BKA darauf gestoßen, daß es sich bei einem Sprengstoffund in Berlin im Jahr 1995 um Sprengstoff gehandelt habe, der 1987 in Salzhemmendorf entwendet worden war. Dieser sei in der Folge bei verschiedenen Anschlägen angewandt worden, für welche RZ-Gruppen die Verantwortung übernommen haben. Schulzke gab weiter an, ab 1998 an Ermittlungen in Sachen Berliner RZ beteiligt gewesen zu sein.

Hatte Schulzke zuvor angegeben, mit Tarek Mousli sei erst nach seiner dritten Festnahme im November 1999 über die Kronzeugenregelung gesprochen worden, mußte er nach Vorhaltungen der Verteidigung im Lauf der weiteren Vernehmung eingestehen, daß Tarek Mousli bereits im Frühjahr 1999 ein entsprechendes Angebot gemacht worden war. Gefragt, wann er das letzte Mal mit dem Kronzeugen zusammengetroffen wäre, erinnerte sich Schulzke an ein Treffen, daß nach dem Mousli-Prozeß im Dezember 2000 stattgefunden habe. Dieser habe sich bei ihm bedanken wollen. Auf Nachfrage beeilte er sich klarzustellen, daß dieses Treffen keine Siegesfeier gewesen sei.


Leichen im Keller?

Bundesanwalt Rainer Griesbaum, Referatsleiter der Bundesanwaltschaft (BAW) beim Bundesgerichtshof, wurde am sechsten Verhandlungstag als Zeuge vernommen. Zusammen mit dem ihm unterstellten und für demnächst als Zeugen geladenen Bundesanwalt Monka war er maßgeblich für das Zustandekommen der Kronzeugenregelung für Tarek Mousli verantwortlich.

Obwohl sich die vom Generalbundesanwalt erteilte Aussagegenehmigung lediglich auf ein Gespräch der Bundesanwaltschaft mit Tarek Mousli am 11. April 2000 bezog, an dem Griesbaum teilgenommen hatte, räumte der Zeuge zu Beginn ein, Mousli bei insgesamt drei Gelegenheiten persönlich getroffen zu haben. Darüber hinaus habe er alle Vernehmungen und Treffen, die zwischen Tarek Mousli und Monka stattgefunden haben, mit diesem vor- und nachbereitet.

Am 11. April 2000 habe er Tarek Mousli zum ersten Mal persönlich getroffen. Bei der Unterredung hätten außerdem sein Kollege Monka und der damalige Verteidiger von Mousli, Rechtsanwalt Püschel, teilgenommen. Ziel der Unterredung sei gewesen, eine "Zwischenbilanz" zu ziehen. Außerdem sei erörtert worden, ob der "Fahrplan", wie er im ersten Quartal des Jahres 2000 festgelegt worden war, eingehalten werden könne. Grundlage des "Fahrplans" sei die von Monka in einem Vermerk festgehaltene "Vereinbarung" vom 24. November 1999 gewesen. Rechtsanwalt Püschel und Tarek Mousli hätten wissen wollen, ob die Bundesanwaltschaft zu dieser Vereinbarung stehe. Er habe dann zugesagt, daß sich die Bundesanwaltschaft an die Vereinbarung halten werde. Das zweite Treffen mit dem Kronzeugen, an dem Griesbaum persönlich teilnahm, habe am Rande des Prozesses gegen Mousli im Dezember 2000 stattgefunden. Zum Inhalt des Gespräches äußerte sich der Zeuge nur sehr vage.

Das dritte und bisher letzte Gespräch habe am 4. April 2001 stattgefunden. Wer das Treffen anberaumt hatte, das ohne den Anwalt von Tarek Mousli "unter vier Augen" stattgefunden habe, blieb offen. Er, Griesbaum, habe den Eindruck gehabt, Tarek Mousli könne aufgrund der bevorstehenden Verhandlung das Bedürfnis haben, mit ihm ein vorbereitendes Gespräch führen zu wollen. Tarek Mousli hätte denn auch wissen wollen, wie er sich in der anstehenden Verhandlung "verhalten soll". Außerdem habe er sich erkundigt, ob er von den Gesprächen, die er während seiner Haftzeit mit Verfassungsschutzbeamten geführt hatte, vor Gericht "sprechen dürfe".

Griesbaum gab an, er habe mit diesem Gespräch primär das Interesse verbunden, mit Tarek Mousli über einige Veröffentlichung der linken Berliner Szene sowie über einen an ihn gerichteten offenen Brief in der taz sprechen zu wollen. In diesen Veröffentlichungen wäre zum Ausdruck gebracht worden, daß Tarek Mousli früher "bei Demos seinen Mann gestanden hat". "Ich habe ihn gefragt: Herr Mousli gibt es Leichen in ihrem Keller?" Tarek Mousli habe diese Frage verneint.

Auf Nachfrage der Anwälte erklärte Griesbaum, über keines der angeführten Gespräche und Treffen in seiner Eigenschaft als Referatsleiter der Bundesanwaltschaft Vermerke angelegt zu haben. Die Verteidigung kritisierte das Fehlen von Protokollen und Vermerken auch über andere Gespräche in den Ermittlungsakten. So sei ebenso das Treffen von Griesbaum und Monka "im Mai oder Juni 2000" in Berlin mit dem Vorsitzenden Richter des 2. Strafsenates des Berliner Kammergerichts, Eckhart Dietrich, zur Vorbereitung des Prozesses gegen Tarek Mousli nicht vermerkt worden. Das Treffen habe dazu gedient, den Vorsitzenden Richter auf die Vereinbarung zwischen der Bundesanwaltschaft und dem Kronzeugen hinzuweisen.

Auf die Frage der Verteidigung, ob ein entsprechender "Antrittsbesuch" auch im Rahmen dieses Verfahrens beim 1. Strafsenat des Berliner Kammergerichts gemacht wurde, zog sich Griesbaum auf seine eingeschränkte Aussagegenehmigung zurück. Diese Möglichkeit der Aussageverweigerung nahm er auch bei anderen Fragekomplexen in Anspruch.


Uninformierte Richterin trifft auf präparierten Kronzeugen

Am siebten Verhandlungstag war es soweit. Der Zeuge der Anklage Tarek Mousli hatte seinen ersten Auftritt. Nach Angaben zu seinem Lebenslauf wurde er zu seinem politischen Werdegang und zu seiner Entscheidung vernommen, sich den Ermittlungsbehörden als Kronzeuge zur Verfügung zu stellen. Der Prozeßtag endete in einem heftigen Disput zwischen Verteidigung und Gericht über die Frage, ob und in welchen Fällen Mousli ein Aussageverweigerungsrecht zustünde.

Zusammen mit vier BKA-Beamten des Zeugenschutzes und seinem Zeugenbeistand betrat Tarek Mousli den Gerichtssaal. Der 42jährige Tarek Mousli wurde im Libanon geboren, wo er bis zum Tod seines Vaters die ersten fünf Lebensjahre verbrachte. Danach siedelte er zusammen mit seiner Mutter nach Deutschland über. Nach seinem Abitur in einem Internat in St. Peter-Ording, studierte er zuerst in Kiel (Geschichte), dann in Hamburg (Mathematik). Seit 1982 lebte er in Berlin, wo er als Informatikstudent an der Universität eingeschrieben war.

Ab 1983 arbeitet er im Kollektiv Gegensatz, zwei Jahre später gründete er seine eigene Firma "Alpha Text", ab 1987 war er dann in anderen Firmen tätig, ab 1990 betreute er einen Schwerbehinderten. Vier Jahre später stieg er als Mitteilhaber in ein Fitness-Studio ein, daneben arbeitet er als Verbandstrainer für den Berliner und den Deutschen Karateverband.

Bereits in St. Peter-Ording engagierte Tarek Mousli sich in einer mit dem Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) sympathisierende Schülergruppe. Danach bewegte er sich in der Anti-AKW- und der HausbesetzerInnenbewegung. In Kiel arbeitete er in einer Gruppe mit, die sich mit Radiotechnik und dem Abhören des Polizeifunks beschäftigte. Über die Freundschaft mit einer Redakteurin der Zeitschrift radikal kam er 1982 nach Westberlin, wo er schnell Kontakt zum Umfeld der radikal bekam und in die Redaktion aufgenommen wurde, der er bis zum Verbot der Zeitschrift 1987 angehörte. Über den Karatesport habe er zudem im Kampfsportverein "Tung Dojo" im Mehringhof verkehrt. In diesem Zusammenhang habe er unter anderem die Angeklagten Axel Haug und Harald Glöde kennengelernt.

Zusammen mit Lothar Ebke und anderen habe er ab 1983 eine von ihm sogenannte Funkgruppe aufgebaut, die den Funkverkehr von Polizei und Verfassungsschutz abgehört habe. Finanziert habe sich die Gruppe durch Zuwendungen eines "Koordinierungsausschusses" (O-Ton Mousli), der Geld aus dem Vermächtnis des "Apothekers" an legale und illegale linke Projekte verteilt habe. Zwischen 1984 und 1991 habe die "Funkgruppe" von dort an die 70.000 Mark für technischen Equipment erhalten.

Die Befragung wurde zu Beginn vor allem von der Vorsitzenden Richterin Hennig geleitet. Souverän und präzise war ihr Vorgehen dabei nicht. Immer wieder forderte sie den Kronzeugen auf, Dinge auszuführen, die er bereits vorher geschildert hatte. Diese Nachfragen waren aber kein kritisches Nachharken, sondern schienen eher dem Umstand geschuldet zu sein, daß sie wenig aufmerksam der Befragung folgte. Die Qualität ihrer Fragen ließen zudem vermuten, daß sie sich nicht sehr intensiv mit den vorliegenden Akten auseinandergesetzt hat. Dagegen war Tarek Mousli erkennbar gut auf seine Vernehmung vorbereitet worden. Erst als der berichterstattende Beisitzer in die Vernehmung eingriff, änderte sich die Art der Befragung.

Unter Verweis auf Aussagen des Bundesanwaltes Griesbaum am 8. Juni wurde Tarek Mousli nach der Teilnahme an gewalttätigen Demonstrationen befragt. Bis 1986 habe er an solchen Demonstrationen teilgenommen und unterstützende Tätigkeiten geleistet, womit er vermutlich auf das Abhören des Polizeifunks während solcher Demonstrationen anspielte.

"Bis zum 23. November 1999 kam das für mich überhaupt nicht in Frage", so Mousli auf Fragen, warum er zum Kronzeuge wurde. War bis dahin gegen ihn nur wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ermittelt worden, wurde ihm nun "Rädelsfüherschaft" vorgeworfen. "Ich war partout nicht bereit, meinen Kopf für Sachen hinzuhalten, die ich nicht gemacht hatte, die ich nicht zu verantworten hatte", deshalb sei er auf das Angebot der Bundesanwaltschaft eingegangen.

Obwohl er zuerst einen anderen Eindruck vermitteln wollte, mußte er nach Verlesung von Vermerken und Protokollen der Telefonüberwachung zugeben, daß er von Anfang an vom Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft unter Druck gesetzt wurde, substanzielle Aussagen zu machen. "Die BAW wollte schon Erkenntnisse über weitere beteiligte Personen und Strukturen wissen." Es entstand der Eindruck, daß Tarek Mousli von BKA-Beamten gezielt eingeschüchtert wurde. In einem Telefongespräch mit seiner damaligen Freundin im April 1999 schilderte er die Ermittlungsmethoden des Bundeskriminalamtes. "Das hat Methode mich einzuschüchtern, mich weich zu kochen, um Aussagen zu machen." "Wir lassen sie laufen und so. Sie sind gar nicht wichtig", so haben ihn die Beamten zu verstehen gegeben, er solle doch an seine Zukunft denken und Prioritäten setzen.

Der Prozeß wurde am 21. Juni mit der Fortsetzung der Vernehmung des Kronzeugen fortgesetzt.


(Quellen: Auf der Website www.freilassung.de veröffentlichte Prozeßberichte)

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