kassiber 46 - Juli 2001

Vorwort

Vor zwei Jahren führte Deutschland im Rahmen der NATO Krieg gegen Jugoslawien. Der Krieg ist vorbei, aber die Auseinandersetzungen darüber bleiben. In ihrem Mittelpunkt steht die Frage: War dieser Krieg vermeidbar? Die Bundesregierung sagt: Nein, es gab keine Alternative. Sie hat allerdings auch nicht ernsthaft danach gesucht. Seit dem 16.Oktober 1998, an dem die deutsche Kriegsbeteiligung beschlossen wurde, ist sie Schritt für Schritt den Weg in den Krieg gegangen.

Alternativen zu suchen und aufzuzeigen, Voraussetzungen zu schaffen, daß Alternativen möglich werden, ist aber die Aufgabe der Politik. Auch in den fünf Monaten zwischen dem Oktober 1998 und dem Beginn der Bombenkrieges gab es an den entscheidenden Wegmarken Alternativen. Sie wären sicher nicht bequem für die Regierung gewesen. Aber sie wären nicht bei allen europäischen Partnern Deutschlands auf Ablehnung gestoßen. Als die Holbrooke-Mission im Oktober 1998 glückte, gab es Chancen für eine nichtmilitärische Lösung des Kosovo-Konfliktes. Aber die deutsche Bundesregierung hat ihren OSZE-Auftrag nicht ernst genug genommen - und versucht nun der Öffentlichkeit weiszumachen, sie habe auf dem Weltmarkt nicht kurzfristig die notwendigen 180 gepanzerten Fahrzeuge kaufen können, um ihre OSZE-Beobachter zu schützen.

Auch die Verhandlungen von Rambouillet hätten eine Chance zur Vermeidung des Krieges geboten, wenn die deutsche Regierung mit all ihrer Kraft auf echte Kompromißlösungen gedrängt hätte. Statt dessen haben die USA der Bundesrepublik Jugoslawien Bedingungen diktiert, die ihr einen weitgehenden Verzicht auf die eigenen Souveränitätsrechte zumuteten. Die Bundesrepublik stimmte diesem Vorgehen ebenso zu wie dem Herausdrängen Rußlands aus dem Prozeß der Konfliktlösung.

Die rot-grünen Regierungsparteien, einst selbst Teil der Friedensbewegung, haben ihr Prestige verspielt. Sie haben Tatsachen verschwiegen, Halbwahrheiten und Lügen in die Welt gesetzt und propagiert, um die Abgeordneten und die Bevölkerung für den Krieg moralisch "weichzuklopfen". Für einen Krieg, der mit dreifachem Rechtsbruch verbunden war, denn Völkerrecht, Verfassungsrecht und Vertragsrecht wurden eklatant verletzt. Um diesen Rechtsbruch zu legitimieren, fuhr sie starke Geschütze auf, die auf das moralische Empfinden der eigenen Bevölkerung gerichtet waren. Die Regierung behauptete die widerwärtigsten Massaker, die bis heute genauso wenig belegt sind wie die Existenz von Konzentrationslagern. Den brutalen Bürgerkrieg im Kosovo wertete sie zum Völkermord um, und sie setzte Milosevic mit Hitler gleich, um den NATO-Krieg als Widerstandstat auszugeben, mit der ein zweites Auschwitz zu verhindern sei.

Hat der Krieg tatsächlich, wie die Bundesregierung meint, zum Sturz Milosevics geführt und "die Entwicklung Südosteuropas in eine andere, positivere Richtung gelenkt"? Wir bezweifeln das, wir sehen auch nicht, daß mit dem NATO-Krieg die vorgegebenen Ziele erreicht, die ethnischen Konflikte entschärft wurden. Den friedlichen, demokratischen Weg zur Ablösung Milosevics hat die Bevölkerung Jugoslawiens selbst gefunden. Der NATO-Krieg hat diesen Weg nur erschwert und verlängert. Es geht uns nicht um einen Streit, wer Recht hat und wer nicht. Aber wir bestehen darauf, daß sich die politisch Verantwortlichen darüber klar werden, wohin die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland gehen soll. Der Krieg gegen Jugoslawien war der erste Krieg Deutschlands nach 1945. Dieser Krieg hatte keine rechtliche Grundlage. Er wurde dennoch möglich, weil die rot-grüne Regierung mit ihrer Zustimmung ihre Reputation und Handlungsfähigkeit im Bündnis beweisen wollte. Eine CDU-Regierung wäre auf breitesten Widerstand unter Einschluß der Grünen und der Sozialdemokratie gestoßen. Aber auch nach Beendigung des Krieges gibt es Alternativen: Wollen Parlament und Regierung den eingeschlagenen Weg zur Unterminierung erreichter Standards des Völkerrechtes fortsetzen, so wie es die neue NATO-Strategie nahe legt? Oder nehmen sie das ernst, was sie vor Beschluß der Kriegsteilnahme gesagt haben: Dieser Krieg als "ultima ratio" dürfe nicht zum Präzedenzfall werden?

Es ist mit Sicherheit kein Zufall, daß die Änderung der NATO-Strategie in die Zeit des Jugoslawien-Krieges fällt. Wenn der Beschluß des Parlaments vom 16. Oktober 1998 über die Teilnahme am Krieg nicht zugleich auch eine Richtungsentscheidung ohne Alternativen sein soll, dann muß in unserem Land eine offene Diskussion geführt werden über die Frage: Welche Rolle soll Deutschland spielen in dem gegenwärtigen Konflikt um die Auflösung völkerrechtlicher Normen, die Aufweichung des Gewaltverbotes und die Anmaßungen der NATO? Wie ernst nimmt die deutsche Regierung ihre eigene Verfassung?

Die PDS hat mit ihrer Organklage gegen die Bundesregierung vom Oktober 1999 diese für die künftige Rolle Deutschlands in der Weltpolitik so entscheidenden Fragen aufgegriffen, die vom neuen strategischen Konzept der NATO berührt werden. Die Bundesregierung muß sich der Frage stellen, ob sie zu den Prämissen ihres Koalitionsvertrages zurückzukehren gedenkt, wonach deutsche Außenpolitik Friedenspolitik ist. Die demokratische Öffentlichkeit aber muß sich rechtzeitig mit den möglichen Alternativen zur Regierungspolitik auseinandersetzen, damit nach dem Krieg nicht vor dem Krieg ist.


Wolfgang Gehrcke, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der PDS-Fraktion im Bundestag, April 2001





1 Ein verfassungspolitisch fragwürdiger Beschluß

Am 16. Oktober 1998 beschließt der Deutsche Bundestag die Teilnahme der Bundeswehr am NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Er will auf diese Weise den Beschluß legitimieren, den die Bundesregierung unter Kanzler Kohl am 12.10.1998, einen Tag vor der NATO-Ratstagung, gefaßt hatte. Doch dieser Bundestag war drei Wochen zuvor abgewählt worden.

Warum verhandelt über diese wichtige Frage von Krieg und Frieden nicht der neue Bundestag, fragte Gregor Gysi, der Vorsitzende der PDS-Bundestagsfraktion.

"Hier verhandelt ein abgewählter Bundestag, während der neugewählte nicht zusammengerufen wurde, obwohl es natürlich möglich gewesen wäre, Konstituierung und Sachentscheidung miteinander zu verbinden. Ich werde das Gefühl nicht los, daß man der neuen Mehrheit, insbesondere den Grünen, damit einen Gefallen tun wollte, dergestalt, noch nicht die Mehrheit zu sein und deshalb noch nicht in ihrer neuen Funktion entscheiden zu müssen. Ich halte das für völlig illegitim." (1)

Burkhard Hirsch, der Vizepräsident des "alten" Bundestags, hält sogar die Bundestagssitzung für verfassungswidrig; der alte Bundestag sei "weder verfassungsrechtlich noch politisch legitimiert". (2)

Sind diese Bedenken einer kleinen Minderheit nur Spinnereien parlamentarischer Sonderlinge? Unbehagen an diesem Verfahren wird zuvor schon in der deutschen Öffentlichkeit artikuliert. Ulrich Wickert fragt am 12.10.1998 in den Tagesthemen den noch amtierenden Bundesminister für Verteidigung Volker Rühe: "Was ist so wichtig, daß der alte Bundestag am Freitag noch zusammentritt?"

Rühe: "Deutschland zeigt damit, daß es voll handlungsfähig ist ..."

Wickert: "Aber die Amerikaner haben uns darum gebeten, nicht wahr?"

Rühe: "Nicht nur die Amerikaner ..., sondern ich habe auch als deutscher Verteidigungsminister heute morgen darauf hingewiesen, daß es schwerwiegende Konsequenzen hätte, wenn wir über Wochen hinweg die deutschen Soldaten hier ausklammern würden."

In der gleichen Sendung fragt Wickert auch den künftigen Kanzler Gerhard Schröder nach seiner Zustimmung zum Krieg. Schröder: "Für mich war das seit längerem klar. Ich hatte das dem amerikanischen Präsidenten bei meinem Washington-Besuch gesagt." In der Bundestagsdebatte am 16.10.1998 würdigt Schröder, daß die noch amtierende Regierung Kohl ihn vorab in die Beschlußfassung einbezogen habe: "Es war über den Tag hinaus wichtig, denke ich, zu zeigen, daß die demokratischen Kräfte unseres Landes zu verantwortungsvollem Handeln fähig sind, auch dann, wenn wir uns mitten in einem Regierungswechsel befinden. Die Bundesregierung hatte völlig unbestritten das Recht, allein zu handeln. Daß wir das zusammen getan haben, ist, glaube ich, ein Zuwachs an demokratischer Kultur." Auch ein Zuwachs an Verfassungstreue?

Den Beschluß mit Rücksicht auf die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland zu verzögern, hält Schröder für nicht akzeptabel. "Das wäre als deutsche Verweigerung angesehen worden ... Das Ergebnis wäre ein verheerender Ansehens- und Bedeutungsverlust für die Bundesrepublik Deutschland gewesen." (3)

Die neue Regierung will ihre Loyalität gegenüber den Bündnispartnern und ihre Handlungsfähigkeit beweisen - was zählen da verfassungspolitische Bedenken?


2 Ein Krieg, der nicht Krieg genannt werden darf

"Die heutige Sondersitzung des Deutschen Bundestages ist nötig geworden, um eine friedliche Lösung des Kosovo-Konfliktes durchzusetzen ... Es geht darum, durch die Drohung mit Gewalt schlimmere Gewalt zu verhindern." So der noch amtierende Außenminister Klaus Kinkel am 16.10.1998. (4)

Von einem angedrohten "Militärschlag" spricht Gerhard Schröder in dieser Parlamentsdebatte, die die Zustimmung zum Krieg bringen wird; von einem "Militäreinsatz" der spätere Außenminister Joseph Fischer, während Rudolf Scharping in der Bundestagsdebatte überhaupt nur von "militärischer Drohung" redet. Beschlossen wird der "Einsatz bewaffneter Streitkräfte ... zur Abwendung einer humanitärer Katastrophe im Kosovo-Konflikt".

Als der Krieg fünf Monate später, am 24.3.1999, beginnt, erklärt Gerhard Schröder, inzwischen Bundeskanzler, im Fernsehen: "Wir führen keinen Krieg."

Ob "Kampfeinsatz", "Mission" oder "Schritt" - weitere beschönigende Umschreibungen des Krieges -, die Sprachregelung der kriegführenden und -befürwortenden Parteien ist klar erkennbar: Ein Krieg findet nicht statt, denn dieser ist nach deutscher Verfassung und nach Völkerrecht nicht legitim. Die Parteien wissen es, die Regierung weiß es: Artikel 25 des Grundgesetzes erklärt die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zum Bestandteil des Bundesrechtes. Zu diesen allgemeinen Regeln gehört die Charta der Vereinten Nationen. Sie regelt in Artikel 2 Absatz 4, daß alle Mitgliedsländer der Vereinten Nationen sowohl die Androhung als auch die Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen zu unterlassen haben. Sie läßt nur zwei Ausnahmen zu: den Fall der Selbstverteidigung, auch der kollektiven Selbstverteidigung, und den Beschluß des Weltsicherheitsrates, im Falle einer Friedensgefährdung militärische Gewalt anzudrohen oder anzuwenden. Der Krieg verstößt auch gegen Artikel 2 des Zwei-plus-Vier-Vertrages vom 12.9.1990 und gegen Artikel 5 des NATO-Vertrages.

Die PDS, die diese Position in der Parlamentsdebatte und später immer wieder konsequent vertritt, hat einen Tag nach Kriegsbeginn, am 25.3.1999 Verfassungsklage erhoben, die aber vom Bundesverfassungsgericht nicht angenommen wurde. Die Beteiligung der Bundeswehr an Luftschlägen der NATO gegen Jugoslawien ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates sei ein Bruch des völkerrechtlichen Gewaltverbotes und damit ein Verstoß gegen das Grundgesetz.

In der Bundestagsdebatte vom 16. Oktober 1998 betonen die Kriegsbefürworter zwar die "akute humanitäre Notsituation großen Umfangs, die sofortiges Handeln erfordert", so Außenminister Kinkel. Aber da eine "humanitäre Katastrophe" kein völkerrechtlicher Tatbestand ist, versichern sie, daß dieser NATO-Beschluß "nicht zum Präzedenzfall werden" dürfe und das "Gewaltmonopol des Sicherheitsrates" erhalten bleiben müsse. Kinkels designierter Nachfolger Fischer bekräftigt, es gebe "keine Selbstmandatierung der NATO. Wir unterstützen nachdrücklich die Position, daß wir jetzt eine UN-Resolution mit einer eindeutigen, klaren Rechtsgrundlage brauchen."

Und weil es selbst Rudolf Scharping klar ist, daß der Krieg völkerrechtlich illegitim ist, formuliert er als Aufgabe: "Im übrigen werden wir uns für die Zukunft ... mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob man mit der Charta der Vereinten Nationen, ob man mit international respektierten oder auch reklamierten Grundsätzen von der universellen Geltung der Menschenrechte, ob man mit dem vorhandenen Instrumentarium, das aus der Zeit des Kalten Krieges und der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stammt, noch in der Lage sein wird, anderen, völlig veränderten Konfliktlagen innerhalb von Staaten und zwischen Staaten gerecht zu werden." (5)

Also doch ein Präzedenzfall, der neues Völkerrecht setzen soll?


3 Der Krieg war vermeidbar - doch er war gewollt

Heinz Loquai, Brigadegeneral a.D. und bis Juni 2000 in der deutschen OSZE-Delegation in Wien tätig, schildert, daß in der zugespitzten Phase des Oktobers 1998 der US-amerikanische Diplomat Richard Holbrooke zusammen mit seinem Kollegen Christopher Hill den jugoslawischen Präsidenten zu weitreichenden Zugeständnissen bewegen kann:

"Am Morgen des 13. Oktober erhielt Holbrooke von Milosevic die offizielle Zusage, daß die BRJ die Forderungen der UN-Resolution 1199 erfüllen werde und mit einer Verifikationsmission der OSZE und NATO-Luftüberwachung einverstanden sei. Holbrooke war ein Durchbruch gelungen." (6) Bis zu 2000 Verifikateure (KVM) werden ungehinderten und freien Zugang zum gesamten Kosovo haben. Die NATO kann mit unbewaffneten Überwachungsflügen die Realisierung der UNO-Resolution kontrollieren. Innerhalb einer bestimmten Zeit soll der Kosovo eine eigene Verwaltung und Polizei erhalten.

Diese Grundsatzvereinbarung wird innerhalb weniger Tage durch Einzelabkommen ausgestaltet. So erklärt sich Milosevic z.B. bereit, die Sicherheit der OSZE-Verifikateure zu gewährleisten, Verbindungsstellen zu den OSZE-Missionen herzustellen und diese durch die jugoslawische Armee und Polizei über Truppenbewegungen informieren zu lassen.

Warum scheitert diese Friedens-Chance?

Loquai sieht dafür mehrere Gründe:

* Ab Mitte Dezember 1998 nehmen die gewaltsamen Konflikte zwischen serbischen Sicherheitskräften und der UCK zu, zumal Teile der UCK-Führer die Vereinbarungen unterlaufen.

* Die Zahl der Kosovo-Verifikationsmissionen der OSZE entwickelt sich nur langsam. Zum einen fehlt es an geeignetem Personal, zum andern verzögert der Chef der OSZE-Mission Walker die Anerkennung von Verifikateuren über die Gebühr.

* Missionschef William Walker (7) versteht seine Aufgabe darin, die Kosovo-Politik der US-Regierung durchzusetzen. Von deren Interessen ist seine Interpretation des "Racak-Massakers" geprägt. Er propagiert im Frühjahr 1999 den raschen Abzug der Missionen, da sie angeblich zunehmend gefährdet seien und ihren Auftrag nicht mehr erfüllen könnten und untergräbt damit ihre Glaubwürdigkeit und Effektivität.

Der bewaffnete Schutz der OSZE-Missionen durch die Teilnehmerstaaten läuft nur schleppend an.

Loquai kommt zu dem Schluß: " ... das Hauptproblem lag bei den Teilnehmerstaaten selbst".

Auch die Haltung der Bundesregierung ist zwiespältig. "Doch allererste politische Priorität, so wie man es eigentlich von einer rot-grünen Regierung erhofft hatte, schienen die OSZE und diese wichtige Mission in der neuen Bundesregierung nicht zu haben. Andernfalls hätte Deutschland, auch für die anderen ein Beispiel gebend, mehr Personal angeboten und sie auch materiell rascher unterstützt." (8) Wie zutreffend Loquais kritische Einschätzung ist, läßt sich auch an der absurden Erklärung ablesen, die die Bundesregierung am 21.3.2001 in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der PDS-Fraktion gibt: "Beim Aufwuchs der KVM hatte die Sicherheit der Missionsmitarbeiter oberste Priorität." Für diese Sicherheit sei es notwendig gewesen, gepanzerte Fahrzeuge bereit zu stellen. "Insbesondere im Bereich der gepanzerten Fahrzeuge zeigte sich, daß größere Mengen (ca. 180) nicht kurzfristig auf dem Weltmarkt zur Verfügung standen."

Am 20. März 1999 verlassen die OSZE-Missionen das Kosovo. Das Argument Walkers, sie habe ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können, weist Loquai zurück: "Bei etwa 100 Einsätzen pro Tag wurden ... etwa 0,5 Prozent der Einsätze behindert. Dies spricht nicht gerade für eine durchgehend massive Behinderung und schon gar nicht für eine von der politischen Führung der BRJ bewußt gesteuerte Politik gegenüber der Mission." (9)

Unterstützt wird Loquai in seiner Auffassung vom CDU-Abgeordneten Willy Wimmer, der deutscher Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE ist. Wimmer erklärte: "Aber hier durften bestimmte Ergebnisse offensichtlich nicht erzielt werden ... Man muß den Eindruck haben, daß die Europäer deswegen nichts zustande bringen dürfen, damit die Vereinigten Staaten eingreifen können." (10)


4 Peinliche Widersprüche - die Lageberichte des Auswärtigen Amtes

Am 11. März 1999, 13 Tage vor Kriegsbeginn, lehnt das Oberverwaltungsgericht Münster den Asylantrag eines Kosovo-Albaners mit der Begründung ab:

"Albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo waren und sind in der Bundesrepublik Jugoslawien keiner regionalen oder landesweiten Gruppenverfolgung ausgesetzt." (11)

Das Oberverwaltungsgericht stützt sich dabei - wie üblich - auf den aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes. Entsprechend verfahren in dieser Zeit auch andere Gerichte in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg. Die "Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen" (12) haben dies in einer Presseinformation vom 29. April 1999 ausführlich dokumentiert.

Sogar wenige Tage vor Beginn der NATO-Luftangriffe, die doch angeblich eine humanitäre Katastrophe im Kosovo verhindern sollen, vertritt das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 17. März folgende regierungsamtliche Position: "Die Situation im Kosovo hat sich durch das zwischen der OSZE ... und der jugoslawischen Staatsführung erzielte Abkommen zur Befriedung der Region grundlegend geändert. ... Die ca. 50.000 Flüchtlinge, die sich vorübergehend in den Bergen und Wäldern ... aufgehalten hatten, sind seit dem Teilabzug der Sicherheitskräfte fast vollständig in feste Unterkünfte zurückgekehrt. ... Gleichwohl kommt es hin und wieder zu bewaffneten Zwischenfällen. Dabei handelt es sich überwiegend um Überfälle der UCK und deren Umfeld unter Einsatz terroristischer Mittel, auf die der jugoslawische Staat in deren Operationsgebiet gezielt reagiert." (13)

Was ist die Realität? Die humanitäre Katastrophe, die nach Meinung der Regierung es rechtfertigt, daß sie sich über geltendes Völkerrecht hinwegsetzt - oder die Verneinung der Gruppenverfolgung der Kosovo-Albaner?

Staatsminister Volmer, in den Medien mit diesem Widerspruch konfrontiert, zieht den Lagebericht des Auswärtigen Amtes, der schon in der Amtszeit der rot-grünen Regierung entstanden ist, zurück. Die Frankfurter Rundschau berichtet darüber am 30. April: "Staatsminister Ludger Volmer (Bündnis 90/Grüne) sagte am Donnerstag der Frankfurter Rundschau, er habe ‚angewiesen, den Lagebericht offiziell aus dem Verkehr zu ziehen'. Das Papier ‚entspreche nicht der empirischen Wahrheit, sondern war aus innenpolitischen Gründen von der alten Regierung so verfaßt worden', sagte Volmer zur Begründung. Er deutete damit den Vorwurf an, daß seine Vorgänger ihre Einschätzung an dem Ziel orientiert haben könnten, möglichst viele Asylbewerber abzulehnen."

Seit der Aufhebung der verfassungsmäßig garantierten Autonomie des Kosovo im Jahr 1989 nahmen die serbischen Repressionen gegen die Kosovo-Albaner zu. Viele flohen ins Ausland, nach Deutschland. Sie wurden, wie die Frankfurter Rundschau nahe legt, für die Kohl-Regierung ein so großes innenpolitisches Problem, daß das Auswärtige Amt falsche Lageberichte verfaßte, auf deren Grundlage Richterinnen und Richter das Asylbegehren von Kosovo-Albanern regelmäßig ablehnten. Die IALANA kritisiert, daß Opportunitätsgründe, wie die Reduzierung von Asylbewerbern, Vorrang vor Verfassungsrecht haben. Sie beharrt dagegen auf der Verantwortung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten, der die Bundesrepublik in Asylverfahren vertritt. Sie fragt, warum er es versäumt habe, "auf diese für die Asylbewerber folgenschwere und katastrophale Fehleinschätzung der Gerichte im Blick auf die Auskunftslage hinzuweisen und im Verfahren auf Klarstellung zu dringen?" (14)

Wenn das Auswärtige Amt der Kohl-Regierung aus "innenpolitischen Gründen" - um Asylanträge ablehnen zu können - "Gefälligkeits"-Berichte über die Lage im Kosovo erstellte, wie Staatsminister Volmer andeutet, dann stellt sich die prinzipielle Frage: Inwieweit ist auch einer rot-grünen Regierung und ihren Berichten und Informationen zu trauen? Hat sie nicht auch innenpolitische oder außenpolitische "Gründe", um das Parlament und die Öffentlichkeit mit gefälschten oder manipulierten Informationen zu täuschen, nämlich um den Krieg gegen Jugoslawien zu rechtfertigen?


5 Das "Massaker von Racak"

"Die Verantwortlichen müssen wissen, daß die internationale Gemeinschaft nicht bereit ist, die brutale Verfolgung und Ermordung von Zivilisten hinzunehmen". Auswärtiges Amt vom 17.1.1999

"Schreckliche Nachrichten. In Racak hat vorgestern ein Massaker stattgefunden, bei dem 45 Albaner ermordet wurden ... Intern erwägen wir Maßnahmen, um die Bereitschaft der NATO zum Handeln zu unterstreichen." Rudolf Scharping am 17.1.1999 in seinem Kriegstagebuch.

Diese Darstellung der Ereignisse in Racak hält Brigadegeneral a.D. Heinz Loquai für manipuliert, in der Absicht, die Öffentlichkeit auf den Krieg gegen Jugoslawien einzustimmen. In der ARD-Dokumentation "Es begann mit einer Lüge" bescheinigt der NATO-Sprecher Jamie Shea den deutschen Politikern Erfolg bei ihrer manipulativen Öffentlichkeitsarbeit. "Nicht nur Minister Scharping, auch Kanzler Schröder und Minister Fischer waren ein großartiges Beispiel für politische Führer, die nicht der öffentlichen Meinung hinterher rennen, sondern diese zu formen verstehen. ... Wenn wir die öffentliche Meinung in Deutschland verloren hätten, dann hätten wir sie im ganzen Bündnis verloren." Letzte Klarheit über die tatsächlichen Ereignisse in Racak gibt es noch nicht. Aber so viel ist bekannt: Nach Feuergefechten in dem kosovarischen Ort Racak, einer UCK-Hochburg, entdecken OSZE-Beobachter am Nachmittag des 15.1.1999 einen toten und fünf verletzte Zivilisten, darunter eine Frau und einen Jungen mit Schußverletzungen. Am nächsten Tag besichtigt Missionsleiter Walker mit einem Troß von 30 Journalisten den Ort des Geschehens. Danach spricht er in Pristina auf einer Pressekonferenz: Die Serben hätten ein Massaker an der albanischen Zivilbevölkerung, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Für die Ermordung von 45 Menschen, darunter drei Frauen und ein Kind, gibt er der jugoslawischen Regierung die Schuld.

Daraufhin verschlechtern sich die Beziehungen zwischen der jugoslawischen Regierung und der OSZE auf dramatische Weise. Die Milosevic-Regierung weist die Anschuldigungen sofort zurück, bestätigt aber Kampfhandlungen zwischen Sicherheitskräften und einer terroristischen Gruppe. Dabei seien ein Polizist verwundet und "mehrere Dutzend Terroristen" getötet worden. (15) Der OSZE-Missionschef Walker wird zur "persona non grata" erklärt. Serbische Staatsmedien, so Loquai, "bezichtigten den Leiter der KVM, er suche im Auftrag der CIA einen Vorwand für eine NATO-Intervention".

Außenminister Fischer weist am 20.1. 1999 namens der EU die jugoslawische Erklärung zurück, er spricht von "der Hinrichtung von 45 unbewaffneten Personen, darunter Frauen und Kinder". "Racak" wird zur "Wende" für die NATO-Partner. Zwei Tage später beginnen finnische Gerichtsmediziner mit der Untersuchung von 40 Toten von Racak. Zwei Monate nach dem angeblichen Massaker haben sie noch keine eindeutigen Beweise für das Massaker finden können. Als die FDP-Abgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Bundesregierung fragt, wie sie sich zu dem Vorwurf stelle, daß das "Massaker von Racak nicht in der auch von der Bundesregierung behaupteten Form stattgefunden habe", beschränkt sich Staatsminister Volmer auf die einseitige Interpretation des Berichtes, den die finnische Teamleiterin vorgelegt hat: "Es gibt keine Hinweise, daß es sich nicht um unbewaffnete Zivilpersonen handelte." (16) Volmer geht nicht auf die Zweifel und Schwachstellen des Berichtes ein, die längst in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Unbeantwortet bleiben auch die Fragen des Hamburger Friedensforschers Dieter S. Lutz aus dem Jahr 1999: "Warum ging die OSZE intern von einer Inszenierung aus. Warum vor allem wird die Gesamtexpertise des von der EU beauftragten finnischen Pathologenteams, die als Obduktionsbericht ... keine militärischen Geheimnisse enthalten kann, von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft unter Verschluß gehalten?" (17)

"Racak" leitet in der Tat eine Wende ein: Von nun an gibt es, vor allem bei Verteidigungsminister Scharping, kaum noch Skrupel, die Medien mit Horrorgeschichten über "die Serben" zu bedienen. Daß die sich später als reine Erfindungen erweisen, spielt schon keine Rolle mehr.


6 Rambouillet - Verhandlungen zum Schein

Mit der Story vom "Massaker von Racak" beginnt also die systematische Public-relations-Kampagne zur Einstimmung der Öffentlichkeit auf den NATO-Bombenkrieg. Der NATO-Sprecher Jamie Shea wird später in der Schweiz damit prahlen, wie er den Krieg erfolgreich verkauft hat: "Selling a conflict - the ultimate PR challenge". (18)

Das angebliche "Racak-Massaker" wird in den Reihen der NATO-Akteure als "Wendepunkt" bezeichnet, als Bestätigung für die den Krieg legitimierende "humanitäre Katastrophe". Der amerikanische Wissenschaftler Noam Chomsky, der die Berichte von OSZE, NATO und UNO für die Zeitspanne zwischen Dezember 1998 und Kriegsbeginn analysierte, konstatiert zwar schwerwiegende Verbrechen auf Seiten der jugoslawischen Regierung, kommt aber zu dem Ergebnis: "Innerhalb des Kosovo werden keine bedeutsamen Veränderungen zwischen dem Zusammenbrechen des Waffenstillstands im Dezember 1998 und der NATO-Entscheidung vom 22. März 1999, Luftangriffe aufzunehmen, festgestellt." Es besteht nach wie vor eine Bürgerkriegs-Situation im Kosovo, wie auch Experten vor Ort bestätigen. (19)

Als unmittelbarer Kriegsgrund, so scheint es, war das Racak-Massaker denn doch zu durchsichtig. So müssen erneute, letzte Friedensverhandlungen inszeniert werden, obwohl Ende Januar 1999 US-Präsident Clinton die Bombardierung Serbiens definitiv beschlossen hat - so der Friedensforscher Ernst-Otto Czempiel. (20) Er hält die Konferenz von Rambouillet für einen "Nebenschauplatz". Über die Autonomie des Kosovo war bereits im Oktober 1998 Einigung erzielt worden. Strittig war der Wunsch der UCK nach einem Referendum als Weg in die Unabhängigkeit. Aber eine unüberwindliche Barriere, so Czempiel, stellte die NATO-Forderung dar, "zur Überwachung des Abkommens quasi ganz Serbien zu besetzen". Über diese Forderung im Appendix B des Vertrages, der der serbischen Seite in letzter Minute präsentiert wurde, sagt Rudolf Augstein: "Die USA hatten in Rambouillet militärische Bedingungen gestellt, die kein Serbe mit Schulbildung hätte unterschreiben können." (21)

M. Paul de Waart, Professor für Völkerrecht an der Freien Universität Amsterdam, bezeichnet das in Rambouillet zu unterzeichnende Interimsabkommen als "einen illegalen Würgegriff gegenüber der BJR". Selbst wenn Milosevic unter der Androhung der NATO-Luftschläge das Abkommen unterzeichnet hätte, wäre es nach de Waart nichtig gewesen. Denn Artikel 52 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (1969) bekräftigt diese Unwirksamkeit, wenn ein Abkommen durch "Androhung oder Anwendung von Gewalt unter Verletzung der in der Charta niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts herbeigeführt" wurde. (22) Eric Suy, Völkerrechtsprofessor an der Universität von Löwen, verweist ausdrücklich auf das Münchner Abkommen von 1938, "das den Schöpfern des Artikel 52 als abschreckendes Beispiel vor Augen stand". Eric Suy: "Die betroffenen Staaten verletzten die zwingende Norm des Gewaltverbotes, als sie sich am Bombardement der Bundesrepublik Jugoslawien beteiligten, um diesen Staat zur Unterzeichnung des Interimsabkommens zu zwingen." (23)

In Rambouillet geht es um ein Abkommen, das in wesentlichen Punkten ein unverhandelbares Diktat seitens der USA darstellt. Es sind Verhandlungen zum Schein, zur Täuschung der Öffentlichkeit. Der EU-Sonderbeauftragte Petritsch, der als Mitglied der Konaktgruppe die Rambouillet-Verhandlungen leitete, gibt in seinem Spiegel-Interview vom 8. März 1999 zu: "80 Prozent unserer Vorstellungen werden einfach durchgepeitscht ... das Endergebnis wird wohl ein Diktat sein. Vor Ende April wird der Kosovo-Konflikt entweder formal gelöst sein oder die NATO bombardiert."

"Wir hängen die Latte bei den Verhandlungen bewußt so hoch, daß die Serben sie nicht überspringen können." So auch ein ranghoher Vertreter des US-Außenministeriums gegenüber ausgesuchten US-Journalisten. (24) Dieser Plan geht auf. Rambouillet scheitert, weil es scheitern soll.


7 Der Hufeisen-Plan

"Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem ‚Massaker von Racak' und dem ‚Hufeisenplan'. Der Leiter der KVM, Walker, zündete mit seiner unbewiesenen Version von ‚Racak' die Lunte zum Krieg gegen Jugoslawien. Scharping löschte mit dem ‚Hufeisenplan' die Kritik an diesem Krieg. Beide Anschuldigungen wurden, obwohl doch eigentlich Zweifel angebracht waren, ungeprüft für wahr gehalten und konnten so ihren Zweck erfüllen." (25)

Am 24.03.1999 beginnt die NATO ohne UNO-Mandat den Bombenkrieg gegen Jugoslawien, um - wie Kanzler Schröder im Fernsehen sagt - "weitere schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte (zu) unterbinden und eine humanitäre Katastrophe im Kosovo (zu) verhindern." An konkreten Beweisen legt der Bundeskanzler dem Parlament die Zahl von 250.00 Menschen vor, die aus ihren Häusern fliehen mußten oder vertrieben wurden. Verteidigungsminister Scharping behauptet, die jugoslawische Armee habe - entgegen internationalen Vereinbarungen - "40.000 Soldaten zusammengezogen". Das aber ist nach Berechnungen von Experten, so Heinz Loquai, nicht richtig. "Die Personalstärke der jugoslawischen Armee" hat "am 26. März allenfalls 20.000 Mann" betragen. (26) Diese Lüge ist Absicht, und es ist mit Sicherheit kein Zufall, daß nun auch der Begriff "Völkermord" - ein völkerrechtlicher Tatbestand - in die Parlamentsdebatte eingeführt wird - obwohl die UNO diesen Begriff für die Ereignisse im Kosovo vermeidet. Am 5. April 1999 erhält Scharping von Außenminister Fischer Informationen über eine serbische "Operation Hufeisen", die ihn "elektrisiert". Denn nun sieht er eine gute Möglichkeit, der wachsenden Kritik an den Bombardements entgegen zu treten. "Alles, was verhindert werden sollte, hat durch die Bombardierung eher zugenommen. Die Zahl der Vertreibungen ist gestiegen, und die Rückkehr der Flüchtlinge wird auch durch die Folgen der Bombardierungen erschwert, die neben den durch die serbische Soldateska angerichteten Zerstörungen weitere große Schäden angerichtet haben." (27) Der SPD-Abgeordnete Scheer steht mit dieser Auffassung nicht allein.

Gegen derartige Argumente soll die "Operation Hufeisen" eingesetzt werden. Scharping stellt der Öffentlichkeit Skizzen vor, die beweisen sollen, daß Milosevic die ethnische Säuberung des Kosovo schon lange geplant, vorbereitet und in Gang gesetzt habe. Die Bombardierungen habe er zynisch einkalkuliert, um die ethnischen Säuberungen der NATO anlasten zu können. Beweise für den Plan mag er aus Gründen der Geheimhaltung nicht vorlegen. In die gleiche Richtung argumentiert Bundeskanzler Schröder: "Vertreibung und Mord waren längst im Gange, als die NATO ihre Militäraktion begann".

Brigadegeneral a.D. Loquai und andere Fachleute haben inzwischen diese Behauptungen sehr detailliert zurückgewiesen. Sie werden durch die Geschehnisse im Kosovo nicht belegt. So räumt z.B. der frühere österreichische Außenminister Werner Faßlabend laut Hamburger Abendblatt vom 21.3.2000 ein, die Skizzen des "Hufeisen-Plans" stellten eine "grafische Aufarbeitung der von Januar bis April 1999 aus offenen Quellen erkennbaren Ereignisse" dar. Die Süddeutsche Zeitung vom 4.4.2000 berichtet unter Berufung auf den Direktor des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Dieter S. Lutz, "im Verteidigungsministerium gebe es einen Offizier, den man den 'Hufschmied' nenne. Der sitze bei der Nachrichtenauswertung und habe den Hufeisenplan quasi geschrieben."

Doch der Medienbeauftragte der OSZE, Freimut Duve, sagt als Rechtfertigung: Die NATO operiert im Krieg wie eine Firma, die am Erfolg gemessen wird, und dazu gehört die entsprechende Propaganda. (28) Halbwahrheiten, Übertreibungen und Lügen kennzeichnen diese Kriegspropaganda des Verteidigungsministers. Scharping bedient diese Propaganda-Maschinerie ohne Bedenken. Er behauptet die Ermordung eines albanischen Lehrers und seiner Schüler, die Morde an Journalisten, Lehrern, Geistlichen, berichtet, daß die Serben ihre Häuser mit S kennzeichnen, damit sie von den Brandschatzungen der jugoslawischen Barbaren verschont bleiben, erfindet Konzentrationslager (29), die scheußlichsten Massaker und Horrorszenarien wie das Grillen von Föten. Später, nach Ausstrahlung der ARD-Dokumentation "Es begann mit einer Lüge", wird der Stern (8/2001) den CDU-Abgeordneten Willy Wimmer zitieren: "Noch nie haben so wenige so viele so gründlich belogen wie im Zusammenhang mit dem Kosovokrieg". Scharping hat keine Beweise. Und vor Beginn des Krieges braucht er sie wohl nicht. Denn große Teile der Medien beteiligen sich an dieser perfiden Propaganda nach dem Motto: Nur was man erfindet, hat man exklusiv. (30)

Für Loquai ist der Hufeisenplan ein Beispiel, "wie leicht es sein kann, erfolgreiche politische Kampagnen zur Rechtfertigung des politischen Handelns zu führen, wenn der Nährboden bereitet ist." (31) Der Herausgeber von Konkret, Hermann L. Gremliza, ist in seinem Urteil weniger zurückhaltend: "Keiner soll sagen, man habe damals noch nicht wissen können, was man heute weiß, nämlich daß alles gelogen war. Es gibt einen Ton, der den Lügner verrät, und den hat Scharping präzise getroffen." (32)


8 Kosovo und die Rampe von Auschwitz

"Im Kosovo werden die Albaner verfolgt und vertrieben. Diese Tatsache allein ist schlimm genug; sie ist eine europäische Tragödie. Der Kosovo ist aber nicht die Rampe von Auschwitz, auf der die Verfolgten Europas selektiert und ins KZ getrieben werden." Wolfgang Gehrcke (PDS).

Seit dem Kriegsbeginn spitzen Außenminister Fischer und Verteidigungsminister Scharping ihre Kriegs-Demagogie weiter zu. Sie setzen Milosevic und seine Verbrechen denen der Nazis gleich, sprechen von Konzentrationslagern, Leichenbergen und Auschwitz. (33)

Der Vergleich mit den Nazi-Verbrechen ist Absicht. Die Bundesregierung will mit dieser Wortwahl alle, die sich gegen den NATO-Krieg wenden, auf die Seite der Nazi-Verbrecher rücken. Beweise, die diesen Vergleich rechtfertigen, haben Scharping und Fischer bis heute nicht vorgelegt. Im Gegenteil: Zwei Jahre nach dem Krieg zeigt sich, daß die entsetzlichen Greuelgeschichten nichts als üble Propaganda waren und sind. Heute prangern die bundesdeutschen Medien diese Kriegslügen an, ohne daran zu erinnern, daß sie es selbst waren, die sie verbreitet hatten.

Für den antifaschistischen Widerstandskämpfer Peter Gingold ist "die neue Auschwitzlüge ... nicht nur lediglich ein Beiwerk der NATO-Aggression gegen Jugoslawien ... sie spielt eine wesentliche Rolle bei der ideologischen Einstimmung der deutschen Bevölkerung auf diesen Krieg." Gingold: Es war kein Zufall, daß Scharping kurz vor Kriegsbeginn mit Bundeswehrsoldaten Auschwitz besuche, "um dort zu erklären, damit Auschwitz sich nicht wiederhole, müssen deutsche Soldaten in das Kosovo". Er und andere Überlebende des Holocaust sind "fassungslos über die infame Instrumentalisierung von Auschwitz für Kriegspropaganda". (34)

Von einem "gewissen schrillen Ton" in den Verlautbarungen der Bundesregierung fühlt sich der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas irritiert. Er sieht den "Overkill an fragwürdigen geschichtlichen Parallelen - so als müßten Fischer und Scharping mit ihrer hämmernden Rhetorik eine andere Stimme in sich selbst übertönen". Habermas fragt sich: "Ist es Furcht, daß das politische Scheitern des militärischen Einsatzes die Intervention in ein ganz anderes Licht rücken ... könnte? Würde dann nicht von dem ‚Polizeieinsatz', den die NATO hochherzig für die Völkergemeinschaft unternimmt, ein ordinärer Krieg übrig bleiben, sogar ein schmutziger Krieg?" (35)

Da Scharping und Fischer diese hochherzige Motivation für sich in Beschlag nehmen, müssen sie, je brüchiger ihre Version vom humanitären Krieg wird, ihren Opponenten die Rolle der Nazi-Verbrecher zuweisen. "Endlich treten wir nicht, wie so oft vor 1945, als Aggressor auf, sondern verteidigen die Menschenrechte..." Dies schreibt Verteidigungsminister Scharping am 11. April in sein Kriegstagebuch. (36)

Gegen diese Verkehrung der Tatsachen wendet sich der PDS-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke am 22. April 1999 im Bundestag: " Der Vergleich zwischen dem Kosovo und Auschwitz relativiert die Einmaligkeit dieses Menschheitsverbrechens, mehr noch: Der Vergleich nährt die Vorstellung, die Geschichte wiederhole sich; nur diesmal steht Deutschland auf der richtigen Seite, und die anderen sind die Hitlers. So verwandelt sich der jetzige Krieg gegen Jugoslawien unter der Hand zur Sühne für Auschwitz." (37)


9 Die UCK - Machen sich deutsche Minister mit Verbrechern gemein?

Der Hamburger Friedensforscher Dieter S. Lutz beschäftigte sich bereits 1999 mit den "schmutzigen Geheimnissen" des Kosovo-Krieges, zu denen er auch die Rolle der UCK und ihrer Führer zählt. Er stellt die (rhetorische) Frage, ob UCK-Führer Hashim Thaci in Kroatien wegen Waffenschmuggels gesucht werde, ob er - zusammen mit den UCK-Kommandeuren Azem Syla und Xhavit Hality - sechs ranghohe UCK-Rivalen habe liquidieren lassen? Lutz: "Wie finanziert sich die UCK? Durch Drogenhandel und andere kriminelle Straftaten, wie tagtäglich Meldungen glauben machen wollen? ... Ist es vorstellbar, daß sich deutsche Minister mit Verbrechern gemein machen?" (38)

Zu den "schmutzigen Geheimnissen" gehört zweifellos auch die Frage, welche Rolle der deutsche und der US-amerikanische Geheimdienst beim Aufbau der UCK gespielt haben. Erich Schmidt-Eenboom und Klaus Eichner sind von folgender Auffassung des amerikanischen Geheimdienst-Experten John Whitley überzeugt: Seit Anfang der 90er Jahre wird die "verdeckte Unterstützung der kosovarischen Rebellenarmee als gemeinsame Operation der CIA und des Bundesnachrichtendienstes geleitet". Erst später entwickeln sich Interessenkonflikte zwischen Deutschland und den USA. Deutschland hat ursprünglich den Aufbau und die Finanzierung der UCK übernommen. "Sie benutzten deutsche Uniformen, ostdeutsche Waffen und wurden teilweise durch Drogengelder finanziert." In der Zeitschrift European schreibt der französische Geheimdienstexperte Roger Faligot am 24.9.1998: "Sowohl der deutsche zivile als auch der militärische Geheimdienst sind damit befaßt, albanische Terroristen auszubilden mit dem Ziel, den deutschen Einfluß auf dem Balkan zu zementieren." (39)

Im westlichen Bündnis und auch in der UNO bleibt die UCK jedoch offiziell eine terroristische Organisation mit separatistischen Zielen. Noch im Februar 1998 bezeichnet der US-Sonderemissär Robert S. Gelbhard die bewaffneten Aktionen der UCK als Terrorismus. (40) Die Resolution des UN-Sicherheitsrates vom 31.3.1998 verurteilt die Gewaltanwendung der serbischen Polizei gegen Zivilisten ebenso wie die terroristischen Aktionen der UCK. Ausdrücklich wird die Unterstützung terroristischer Aktivitäten von außerhalb durch Finanzierung, Waffen und Ausbildung zurückgewiesen. (41)

Bis zum Juni 1998 gilt diese Einschätzung, so der Politikwissenschaftler August Pradetto, der an der Hochschule der Bundeswehr in Hamburg lehrt. Zu diesem Zeitpunkt nimmt der US-Diplomat Holbrooke eine Neubewertung der UCK als "Befreiungsbewegung" vor, eine Entscheidung, die nach Pradetto "wie ein Katalysator" auf die Auseinandersetzungen in Kosovo wirkte. (42)

Und so werden aus "Terroristen" und "Kriminellen" im Verlauf des Kosovo-Konfliktes schließlich "Freiheitskämpfer" und Bündnispartner, über deren Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen milde hinweggesehen wird. Zum Beispiel auch nach Beendigung des Krieges im Juni 1999, als UCK-Mitglieder - so die Human Rights Watch - "Morde, Vergewaltigungen und andere Grausamkeiten an Serben, Sinti und Roma" verüben. "Viele der ehemaligen Untergrundkämpfer entpuppen sich als grausame Rächer und Barbaren". (43)

Erst die jüngsten Ereignisse in Mazedonien zwingen die Bundesregierung, öffentlich auf Distanz zum Bündnispartner zu gehen.


10 "Wir führen keinen Krieg gegen die Serben" - die zivilen Opfer

"Die Zielplanung, d.h. die Auswahl des Ziels und die Wahl des Angriffsverfahrens, war so angelegt, daß mögliche Kollateralschäden, vor allem an Zivilpersonen, aber auch an der Umwelt vermieden wurden."

So die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von PDS-Abgeordneten. (44) Die Antwort geht zwar an der Realität vorbei, entbehrt aber nicht einer immanenten Logik: Da die NATO keinen Krieg geführt hat, gibt es auch keine Kriegsschäden. Und da die NATO-Luftangriffe nur dem Diktator Milosevic galten - "Wir hegen keine feindseligen Gefühle gegenüber dem serbischen Volk" (45) - konnte es auch keine zivilen Opfer geben. Dementsprechend sieht sich die Bundesregierung in ihrer Antwort nicht in der Lage, Angaben über die Zahl zerstörter Brücken, Flughäfen, Krankenhäuser, Schulen usw. zu machen. Sicher ist sie indessen, daß keine zivilen Ziele angegriffen wurden, "da Kriegshandlungen nur gegen militärische Ziele gerichtet werden dürfen".

Doch schon während die NATO-Luftwaffe ihre Bomben über Jugoslawien abwirft, werden erste Fakten über ihre zivilen Ziele und Opfer bekannt. Inzwischen liegen konkrete Daten und Schätzungen vor. Danach verloren zwischen 2.000 und 2.500 jugoslawische Zivilpersonen ihr Leben, unter ihnen 785 Kinder. Kinder machen auch zwischen 30 und 40 Prozent der Verletzten aus, deren Gesamtzahl auf 5.000 geschätzt wird. Unter den insgesamt 80.000 Zivilobjekten, die bombardiert wurden, befinden sich mehr als 2.000 Einrichtungen und Gebäude für Schulen, Hochschulen, Kitas, Studentenheime und Internate. 500 - 600.000 Arbeitsplätze fielen den NATO-Luftangriffen zum Opfer. (46) Diese umfangreichen Schäden treffen die Zivilbevölkerung, die ohnehin das Hauptopfer des seit 1991 verhängten und nur kurzzeitig unterbrochenen Embargos ist. Auch das Embargo richtete sich der offiziellen Sprachregelung zufolge - wie der Bombenkrieg - nur gegen die Milosevic-Regierung, nicht gegen die Bevölkerung. (47)

Der Begriff "Kollateralschaden", der harte, unangenehme Fakten verschleiern sollte, hat sich inzwischen in sein Gegenteil verkehrt: Er entlarvt die schlechte Absicht. Die serbische Zivilbevölkerung hat weit mehr als nur "Kollateralschäden" erlitten, zumal die ökologischen Langzeitfolgen der Bombardements noch nicht absehbar sind. Knut Krusewitz belegt mit zahlreichen Fakten, daß die NATO einen Umweltkrieg gegen Jugoslawien geführt hat. Scharf kritisiert er die Selbstentmündigung wichtiger ziviler Umweltinstanzen in den NATO-Ländern, die die "militärischen Geheimhaltungs- und Verschleierungsinteressen kritiklos übernahmen", statt das "Ausmaß der Umweltkriegsfolgen zu ermitteln". (48) Am Beispiel der Zerstörung der Chemieanlagen in der Stadt Pancevo erhärtet der Berliner Hochschullehrer den Vorwurf des "Umweltkrieges". (49)

Ökologische Zeitbomben ticken auch überall dort, wo die NATO Munitionsfabriken bombardierten. Dazu gibt es einschlägige Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg: Zerstörte deutsche Munitionsfabriken konnten bis heute nicht entsorgt werden und stellen ein unkalkulierbares Risiko für die Bevölkerung dar. "Mit Sicherheit", so prognostizieren Experten des Umweltbundesamtes, "geht von den in Folge der Zerstörung von Industriestandorten entstandenen Altlasten eine weit über das Kriegsende hinausreichende Gefährdung der Menschen in den betroffenen Regionen aus." (50)


11 Die Kosten einer verfehlten Politik - die Kosten des Krieges

Seit Beginn des Krieges spekulieren Politiker, Experten und Medien über die Kosten des NATO-Krieges und den Anteil, den Deutschland zu bezahlen hat. Nach Hans Thie im Freitag vom 30.4.1999 schwanken die Schätzungen zwischen 110 Millionen DM pro Tag und 500 Millionen DM pro Tag; das sind bei 79 Kriegstagen zwischen 8,690 Milliarden bzw. 39,5 Milliarden Mark. Den Anteil Deutschlands an den reinen Kriegskosten schätzt der CDU-Haushaltsexperte Dietrich Austermann (Tageszeitung vom 15.4.1999) auf 1,2 Milliarden Mark.

Diese Zahlen weichen beträchtlich von denen ab, die die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der PDS-Fraktion jetzt mitgeteilt hat. Ihre Zahlenangaben sind zum Teil so undurchsichtig, das nur von Verschleierungstaktik gesprochen werden kann.

Nicht enthalten sind Daten über die von den NATO-Bombardements verursachten Zerstörungen in Jugoslawien und den Anrainerstaaten.

Wie genau oder ungenau diese Zahlen auch sein mögen, sicher ist, daß die Ausgaben für militärische Zwecke bedeutend höher als die für zivile Zwecke sind. 1,2 Milliarden DM wird Deutschland für den Stabilitätspakt bezahlen. Genau so viel hat sie nach der Schätzung von Austermann aufgebracht, um Zerstörungen in einer noch unbekannten Größenordnung anzurichten. Vergleicht man die militärischen und zivilen Ausgaben pro Tag, fallen die Unterschiede noch deutlicher ins Auge. Danach zahlt die deutsche Regierung täglich 657.753 Mark im Rahmen des Stabilitätspaktes, also für zivile Zwecke. Dagegen hat sie täglich an reinen Kriegskosten (laut eigenen Angaben) 9,68 Millionen Mark, nach konservativen Schätzungen (Austermann) ca. 15,2 Millionen Mark aufgebracht.

Die EU schätzt die Kosten eines Marshallplanes für den Balkan auf 30 Milliarden. Mark. Unvorstellbar, wie sich die Balkanländer hätten entwickeln können, wenn die Mittel für den NATO-Krieg in die zivile Entwicklung investiert worden wären.


[Tabellen]

Militärische Kosten
in Mio.DM
Die Kosten der Bundeswehreinsätze während des Krieges betrugen 764,8
Hinzu kommen die Kosten für die Stationierung der
Bundeswehr von 1998 bis zum 31.12.2000 (inklusive ihrer Beteiligung
an humanitären Aufgaben in Mazedonien und Albanien) 2.220,6
Legt man einen Durchschnittswert aus drei Jahren
Stationierungs-Kosten zugrunde, kommen für 2001 weitere Kosten
hinzu in Höhe von 740,2
Gesamtkosten bis Ende 2001 3.725,6
Da die Bundeswehr mindestens fünf Jahre stationiert sein wird,
müssen die Kosten hochgerechnet werden auf insgesamt 6.686,4

(Quelle: Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der PDS-Bundestagsfraktion zur Kriegsbilanz, Drucksache 14/5677)


Zivile Kosten
in Mio DM
Für die UN-Mission im Kosovo hat Deutschland von 1998 bis 2000
an Pflichtbeiträgen geleistet 125,2
an freiwilligen Beiträgen für die UMIK rund 48,0
Für 2001 rechnet die Regierung mit weiteren 42 Mio. US-Dollar, ca. 86,0
Für humanitäre Zwecke wurden 1998 und 1999 zur Verfügung gestellt 229,0
im Jahr 2000 26,6
Für die Flüchtlinge in Deutschland wurden 1998 und 1999 verausgabt ca. 140,0
Für die Behebung von Umweltschäden wurden zugesagt 34,0
Für die Räumung der Donau wurden zugesagt 2,0
Für den Stabilitätspakt wird Deutschland bis 2004 zahlen 1.200,0
Insgesamt 1.890,8

(Quelle: Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der PDS-Bundestagsfraktion zur Kriegsbilanz, Drucksache 14/5677)


Jutta von Freyberg

Jutta von Freyberg, Jahrgang 1944, Journalistin, studierte Politik, Soziologie und Geschichte in Marburg, promovierte bei Prof. Wolfgang Abendroth.


aus: PDS im Bundestag: Fraktions-Blätter, Nummer 1, hrsg. von der PDS-Bundestagsfraktion, AG Internationale Politik, Mai 2001


Anmerkungen:
(1) Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages 13/248 vom 16.10.1998, S. 23142.
(2) in: Süddeutsche Zeitung vom 16.10.1998.
(3) Die verfassungspolitische Problematik hatte der künftige Bundeskanzler Gerhard Schröder zumindest erwogen. In der Plenardebatte vom 16. Oktober begründete er, warum er seine Bedenken zurückstellte: "Wir konnten nicht bei der ursprünglich auch von dem amerikanischen Präsidenten und anderen wichtigen Verbündeten akzeptierten Haltung bleiben, daß wir aus verfassungspolitischen - nicht aus verfassungsrechtlichen - Gründen eine Bundestagsentscheidung jetzt nicht herbeiführen können, weil es Legitimationsprobleme verfassungspolitischer Art gibt. Nachdem nicht mehr ausgeschlossen werden konnte, daß das deutsche Verhalten die Reaktionen in Belgrad wesentlich beeinflussen würde, war eine solche Haltung nicht mehr möglich. Das wäre als deutsche Verweigerung angesehen worden und hätte schwere, nicht leicht zu reparierende Schäden innerhalb des Bündnisses und wohl auch in der Europäischen Union angerichtet." Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998, S. 23138 f.
(4) Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998, S. 23128. An dieser Sprachregelung hält die Regierung Schröder konsequent fest. Auch in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der PDS-Fraktion (BT-Drucksache 14/3047) weist sie den Begriff Krieg stets zurück und spricht statt dessen von Luftoperationen und Luftschlägen. Bundestagsdrucksache 14/ 5677 vom 21.3.2001.
(5) Ebd. S. 23148.
(6) Heinz Loquai: Der Kosovo-Konflikt. Wege in einen vermeidbaren Krieg. Die Zeit von Ende November 1997 bis März 1999. Baden-Baden 2000, S. 27.
(7) Erich Schmidt-Eenboom und Klaus Eichner charakterisieren in ihrem Beitrag "Die Rolle der Geheimdienste bei der Vorbereitung und Durchführung des Krieges" den OSZE-Missionschef Walker wie folgt: "Im Oktober 1998 begann die OSZE mit dem Aufbau einer Beobachtermission in Pristina, im März 1999 zog sie sich nach Mazedonien zurück. Ihr Chef war der US-Karrierediplomat William Graham Walker, Jahrgang 1935, 37 Jahre im Dienst des State Department, der bereits während seiner früheren Diplomateneinsätze in Mittel- und Südamerika einige heikle Aufgaben für die CIA erledigt hatte. Die New Yorker ‚Workers World newspaper' vom 28.1.1999 beschreibt Walker in ihrem Artikel: 'Kriegsbeil hinter der US-Kosovo-Politik': ‚Es ist wichtig, daß die Welt weiß, wer Walker ist: ein Militärveteran des US-State-Department, der den schmutzigen Krieg gegen Nicaragua und El Salvador in den achtziger Jahren leitete und der über jeden Aspekt dieses Krieges log. 1985 wurde er stellvertretender Staatssekretär für Zentralamerika. Er war der Verantwortliche im Weißen Haus unter Reagan für die Operation zum Sturz der Regierung Nicaraguas. Geleitet wurde die Operation von den gerichtsnotorischen Oliver North und Eliot Abrams. Walker war beispielsweise verantwortlich für die Waffenlieferungen, die, als humanitäre Aktion getarnt, über den Flughafen Ilopango in El Salvador abgewickelt wurden, um die Contra-Banden gegen Nicaragua zu unterstützen. Später war Walker von 1988 bis 1992 US-Botschafter in El Salvador, dort herrschten zu jener Zeit die Todesschwadrone, von denen viele auf US- Militärschulen trainiert wurden.'" In: Wolfgang Richter, Elmar Schmähling, Eckart Spoo (Hg.): Die Wahrheit über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Schkeuditz 2000, hier: S. 171.
(8) Vgl. Loquai, a.a.O., S. 35.
(9) Ebd., S. 33.
(10) Freitag vom 26.02.1999.
(11) Vgl. IALANA-Pressinformation vom 29. April 1999. Abgedruckt in: Wolfgang Richter, Elmar Schmähling, Eckart Spoo (Hg.): Die deutsche Verantwortung für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Schkeuditz 2000, hier S. 33 ff.
(12) Die "Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen. Für gewaltfreie Friedensgestaltung" bilden die deutsche Sektion der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA).
(13) IALANA-Presseinformation vom 29. April 1999, a.a.O., S. 34.
(14) A.a.O., S. 36. Ein besonders plastisches Beispiel gibt der FDP-Abgeordnete Hildebrecht Braun, wie massiv und geradezu selbstverständlich Opportunitäts-Erwägungen Vorrang vor verfassungsrechtlichen Grundsätzen gegeben wird. Am 30.3.2001 sagte er im Bundestag: "Wir alle wissen, daß Millionen Kosovo-Albaner ..., die ihr Land wegen der serbischen Aggression verlassen mußten, nicht etwa in Mazedonien oder Albanien geblieben wären. Sie wären als Flüchtlinge nicht zuletzt in unser Land gekommen und hätten die Integrationsfähigkeit und Integrationsbereitschaft in Deutschland schlichtweg überfordert ... Um es konkreter zu sagen: Es glaube keiner, es wäre uns gelungen, die Republikaner aus dem Landtag von Baden-Württemberg herauszuhalten, wenn wir zusätzlich eine halbe Million Kosovo-Albaner im Land gehabt hätten." Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/162.
(15) Heinz Loquai, a.a.O., S. 24. Zweifel an der Version Walkers werden nach und nach in den Medien laut. Nachdem die Autoren Bo Adam, Roland Heine und Claudius Technau Einsicht in die Obduktionsunterlagen des gerichtsmedizinischen Teams aus Finnland nehmen konnten, veröffentlichten sie ihre Zweifel in der Berliner Zeitung vom 24.3.2000 unter der Überschrift "Ich spürte, da stimmte etwas nicht". Sie schreiben: "Das Ergebnis: All diese Berichte enthalten keine Beweise für ein Hinrichtungsszenarium. Bei einem einzigen Opfer haben die finnischen Gerichtsmediziner und ihre jugoslawischen und belorussischen Kollegen Spuren entdeckt, die auf einen Schuß aus ‚relativer Nähe' hindeuten könnten. In den anderen Fällen war das Ergebnis negativ. Auch das angebliche Fehlen von Schmauchspuren an den Händen ist nicht dokumentiert. Damit fehlt ein Nachweis, daß es sich bei den Opfern um Zivilisten handelte. Wir fragten Frau Ranta, wieso nicht. Nach kurzer Überlegung löste sie das Rätsel: Das finnische Team habe gar nicht danach gesucht. Bei den in der Pressekonferenz vom 17. März 1999 erwähnten Tests handelte es sich vielmehr um die Suche nach Spuren einer Hinrichtung durch aufgesetzte oder Nahdistanzschüsse. Es waren diese Tests, die negativ verliefen. ‚Das war in der Pressekonferenz etwas mißverständlich', gibt Frau Ranta heute zu. In der Tat. Doch dieses ‚Mißverständnis' berührt die wesentliche Frage des Falles Racak. Waren die Toten tatsächlich allesamt unbewaffnete friedfertige Dorfbewohner? Oder handelte es sich zumindest bei einem Teil um albanische UCK-Kämpfer?" Die Autoren meinen, daß die offiziellen Versionen von OSZE, Haager Tribunal und der EU wider besseres Wissen falsch sind. Racak war ein "befestigtes Dorf mit Schützengräben", zitieren die Autoren den französischen Kollegen Renaud Girard. Missionschef Walker, "ein Profi, was Massaker angeht", habe absichtlich das Gelände des angeblichen Massakers nicht abgesperrt und damit verhindert, daß Beweise gesichert werden können. "Er trampelte selbst herum und ließ die Journalisten an den Leichen fummeln, Souvenirs sammeln und Spuren verwischen. So Girard von Le Figaro, der dann ins Grübeln kam: 'Ich spürte, da stimmte was nicht.' Auch Christophe Chatelet von Le Monde hatte erheblich Zweifel. Er war am Tag des angeblichen Massakers in Racak gewesen und hatte, zusammen mit OSZE-Vertretern vier Verletzte getroffen und von einem Toten gehört. Er kann sich nicht erklären, wie die OSZE am nächsten Morgen so viele Leichen entdecken konnte. ‚Ich kann das Rätsel nicht lösen', so Chatelet."
(16) Vgl. 97. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 5. April 2000, Anlage 24.
(17) Dieter S. Lutz: Angriff und Verteidigung sind Siegerdefinitionen oder: War der Kosovo-Krieg wirklich unabwendbar? In: Dieter S. Lutz (Hg.): Der Kosovo-Krieg. Rechtliche und rechtsethische Aspekte. Baden Baden 1999/2000, hier S. 173.
(18) Neue Zürcher Zeitung vom 29.3.2000.
(19) Noam Chomsky: Zur Logik des militärischen Humanismus, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 4/2000, S. 425. Zu dieser Einschätzung gelangt auch die US-Diplomatin im Kosovo, Norma Brown: "Sicher, es gab humanitäre Probleme, und es gab viele Vertriebene durch den Bürgerkrieg. Aber das spielte sich so ab: Die Leute verließen ihre Dörfer, wenn die Serben eine Aktion gegen die UCK durchführten - und kamen danach wieder zurück. Tatsache ist: Jeder wußte, daß es erst zu einer humanitären Krise kommen würde, wenn die NATO bombardiert. Das wurde diskutiert: in der NATO, der OSZE, bei uns vor Ort und in der Bevölkerung." So im ARD-Bericht vom 8.2.2001, "Es begann mit einer Lüge".
(20) Der Friedensforscher Ernst-Otto Czempiel schreibt am 24.3.2000 in Die Woche unter der Überschrift "Im Stil einer Großmacht. Bei den Verhandlungen von Rambouillet wurde so gut wie alles falsch gemacht": "Die Dramaturgie von Rambouillet hingegen machte es Serben wie Kosovaren geradezu zur Pflicht, einen Erfolg zu verhindern. Er hätte den einen die Souveränität, den anderen die Hoffnung auf Unabhängigkeit genommen. Der NATO-Aufmarsch verschärfte dieses Dilemma noch und differenzierte es zugleich. Den Kosovaren wurde klar(gemacht), daß sie von einem Scheitern der Konferenz ungleich mehr profitierten als die Serben. Diese konnten nur zwischen Bombardierung oder Besetzung wählen. Dagegen konnten sich die Kosovaren sicher sein: Schlug die Konferenz fehl, wurde die NATO zur ‚Luftwaffe der UCK'. Die NATO saß zwar nicht am Tisch von Rambouillet, wohl aber in den Kulissen."
(21) Gerhard Stuby: Rambouillet oder von den Bemühungen, ein Gespenst loszuwerden! In: Joachim Hösler, Norman Paech, Gerhard Stuby: Der gerechte Krieg? Neue NATO-Strategie, Völkerrecht und Westeuropäisierung des Balkans. Bremen 2000, hier S. 117.
(22) Zitiert nach Gerhard Stuby, a.a.O., S. 116.
(23) Zitiert nach Gerhard Stuby, a.a.O., S. 116 f.
(24) Andreas Zumach in der Tageszeitung vom 18.3.2000.
(25) Heinz Loquai, a.a.O., S. 80.
(26) A.a.O., S.75. Loquai zu Regierungserklärung und Aussprache im Parlament am 26. März 1999, S. 74-76: "Die Information der Parlamentarier über die Situation vor Ort war, nimmt man das, was im Plenum von der Regierung präsentiert wurde, für einen Außenstehenden ebenso unglaublich schlecht wie bereits im Oktober 1998. Die spärlichen Informationen waren unpräzise, lückenhaft, ja sogar objektiv falsch. Die im Verteidigungsministerium und im Auswärtigen Amt vorhandenen zutreffenden Informationen über die tatsächliche Lage im Kosovo wurde dem Plenum vorenthalten. Deshalb konnte das Parlament gar nicht wirklich beurteilen, ob sich eine humanitäre Katastrophe anbahnte, die es abzuwenden galt. Von besonderer politischer Qualität ist die falsche Information des Verteidigungsministers über die jugoslawischen Streitkräfte im Kosovo. Er genießt das besondere Vertrauen des Parlaments, wenn es darum geht, die Streitkräfte anderer Länder zu bewerten; denn dies fällt in seine originäre Kompetenz. Scharping hat das Parlament falsch informiert. Nimmt man die tatsächliche Lage in der Provinz als Grundlage eines Urteils, so kann man feststellen, daß noch weniger als im Oktober 1998 im März 1999 eine Situation vorlag, die den Beginn eines Luftkrieges gegen Jugoslawien mit der Begründung der Abwehr einer humanitären Katastrophe rechtfertigte." S. 76.
(27) Hermann Scheer in der Tageszeitung vom 5.6.1999. Zuverlässige und eindeutige Zahlen über die Kosovo-Flüchtlinge liegen bis heute nicht vor. Aber selbst wenn man die Daten zugrunde legt, auf die sich die Bundesregierung stützt, muß man feststellen, daß mit Beginn der NATO-Bombardierung die Flüchtlingszahl schnell ansteigt. Die UNHCR schätzt am 24.3.1999 die Zahl der albanischen Kosovo-Flüchtlinge auf 193.000 und 10 Tage später auf mindestens 230.000. Bis zum Ende des Krieges vertrieben laut OSZE serbische Einheiten etwa 863.000 Kosovo-Albaner aus dem Kosovo. Darüber hinaus sind laut UNHCR zwischen Juni 1999 und November 2000 ca. 150.000 Serben und etwa 70.00 nicht-serbische und nicht-albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo geflohen. Auch diese 220.000 Menschen wurden infolge des Eingreifens der NATO zu Flüchtlingen. Vgl. auch die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der PDS-Fraktion vom 21.3.2001. Bundestagsdrucksache 14/5677, S. 10 ff.
(28) Hermann L. Gremliza: Deutsche Kriegsberichterstattung, in: Wolfgang Richter, Elmar Schmähling, Eckart Spoo (Hg.): Die deutsche Verantwortung für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, a.a.O., hier: S.164.
(29) Auf die Große Anfrage der PDS-Fraktion (Frage 86) bezüglich der Existenz von Konzentrationslagern im Kosovo antwortete die Bundesregierung im Jahre 2001: "Über Konzentrationslager liegen der Bundesregierung keine verifizierten Erkenntnisse vor."
(30) Rudolf Scharping: Wir dürfen nicht wegsehen. Der Kosovo-Krieg und Europa. Berlin 1999 (Kriegstagebuch). Zur Kriegsberichterstattung Scharpings und der Medien vgl. Gremliza, a.a.O., S. 163-171.
(31) Heinz Loquai, a.a.O., S. 79.
(32) Gremliza a.a.O., S. 169.
(33) Außenminister Joseph Fischer griff in der 40. Sitzung des Deutschen Bundestages am 7.5.1999 das Bild von den "killing fields" auf, von den Leichenbergen "rund um Djakovica". Auch diese "killing fields" werden von recherchierenden Journalisten nicht bestätigt. Sie sprachen von eher "verstreuten Morden". Der amerikanische Politikwissenschaftler Noam Chomsky zitiert aus dem Bericht der beiden Journalisten Daniel Pearl und Robert Block, abgedruckt im Wall Street Journal (WSJ) am 31.12.1999: Die WSJ-Analye kommt zu dem Schluß, daß "die NATO ihre Behauptungen über serbische ‚killing fields' dicker auftrug", als sie "sah, daß das ermüdete Presseheer sich der gegenteiligen Story zuwandte: der Tötung von Zivilisten durch NATO-Bomben." A.a.O., 425.
(34) Peter Gingold: Die neue Auschwitzlüge - nicht nur ein Beiwerk der NATO-Aggression gegen Jugoslawien. In: Wolfgang Richter, Elmar Schmähling, Eckart Spoo (Hg.): Die deutsche Verantwortung für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, a.a.O., hier S. 119.
(35) Jürgen Habermas: Bestialität und Humanität. Ein Krieg an der Grenze zwischen Recht und Moral. In: Dieter S. Lutz (Hg.): Der Kosovo-Krieg, a.a.O., hier: S. 221.
(36) Rudolf Scharping: Wir dürfen nicht wegsehen, a.a.O., S. 114.
(37) Drucksache 14/1788 vom 11.10.1999.
(38) Dieter S. Lutz, a.a.O., S. 172 f.
(39) Erich Schmidt-Eenboom und Klaus Eichner, a.a.O., S. 158 f.
(40) Michael Kalman: Krieg, Flucht und Vertreibung, in: Ulrich Albrecht, Paul Schäfer: Der Kosovo-Krieg. Fakten. Hintergründe. Alternativen. Köln 1999, hier: S. 128.
(41) Heinz Loquai, a.a.O., S. 11.
(42) August Pradetto: Moral, Interessen und Machtkalkül in der Außenpolitik. Schlußfolgerungen ein Jahr nach dem Kosovo-Krieg. In. Frankfurter Rundschau vom 24.3.2000.
(43) Matthias Z. Karadi: Terroristen oder Freiheitskämpfer? - Die Metamorphosen der UCK. In: Ulrich Albrecht, Paul Schäfer (Hg.), a.a.O., S. 119.
(44) Vg. Bundestagsdrucksache 14/1788.
(45) Bundeskanzler Gerhard Schröder am 16.10.1998 im Deutschen Bundestag.
(46) Horst Bethge: Der Krieg gegen Jugoslawien und die Kinder und Jugendlichen, in: Wolfgang Richter, Elmar Schmähling, Eckart Spoo: Die deutsche Verantwortung für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, a.a.O., hier: S. 139 und Miroljub Milanovic: Jugoslawien nach der NATO-Aggression, a.a.O., S.159.
(47) Peter Happe vom Arbeiter-Samariter-Bund Hamburg begleitete mehrere Transporte für humanitäre Hilfe nach Serbien. Über die Auswirkungen des Embargos sagt er, sie behinderten nicht den Machthaber in Belgrad, sondern verschlimmerten die Not der Bevölkerung. "Weder gibt es guter Städte, die Hilfe verdienen, noch schlechte Städte, die abgestraft werden müßten, sondern nur bedürftige oder nicht bedürftige Menschen." Peter Happe: Humanitäre Hilfsmaßnahmen in Serbien - Erfahrungen eines ASB-Mitarbeiters. In: Wolfgang Richter, Elmar Schmähling, Eckart Spoo: Die deutsche Verantwortung für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, a.a.O., hier: S. 154.
(48) Knut Krusewitz: Umweltkrieg - Ökologische und humanitäre Folgen. In: Ulrich Albrecht, Paul Schäfer: Der Kosovo-Krieg, a.a.O., hier. S. 146.
(49) Krusewitz berichtet u.a. von folgendem Beispiel: "Zwischen dem 15. und 18. April 1999 griff die NATO mit Cruise Missiles in Pancevo eine Petrochemie- und Düngemittelkomplex, eine Ölraffinerie und eine Vinylchlorid-Monomer- und eine Ethylen-Anlage an und zerstörte sie. In Pancevo leben 140.000 Menschen und es liegt nur ungefähr 15 Kilometer entfernt von Belgrad mit seinen über zwei Millionen Einwohnern. Der Angriff auf diese Destruktionspotentiale setzt enorme Mengen unterschiedlicher Gifte frei, darunter Vinylchlorid, Phosgen und Quecksilber. Vinylchlorid, das beim Verbrennen giftige Gase und Dämpfe bildet, ist ein Carcinogen. Bereits zehn Tonnen gelten unter Störfallchemikern als ‚kritische Menge', deren Austritt katastrophale Auswirkungen hätte. Unmittelbar nach der Bombardierung wurden stark erhöhte Vinylchlorid-Konzentrationen - ein unbestätigter Bericht nannte 10.000fach höhere Werte - in der Umgebung der VCM-Fabrik gemessen. Etliche Tonnen des krebserzeugenden Ethylendichlorid leiteten Fabrikarbeiter in die Donau, um zu verhindern, daß es explodiert." Krusewitz zitiert den unveröffentlichten Bericht des Umweltbundesamtes: "Da PVC-Anlagen in der Regel mit Anlagen zur Chlorerzeugung verbunden sind, ist ferner ein Austritt von Quecksilber und Natronlauge in Boden und/oder Wasser sowie Chlor in die Luft zu rechnen." A.a.O., S. 155.
(50) Umweltbundesamt, Erste Einschätzungen zu den ökologischen Auswirkungen des Krieges in Jugoslawien, unveröffentlichtes Manuskript, Berlin, 5. Mai 1999, S. 5. Zit. Nach: Knut Krusewitz, a.a.O., S. 155. Demgegenüber beruft sich die Bundesregierung auf einen Bericht der Balkans Task Force (BTF), wonach "der Kosovo-Konflikt ... keine Umweltkatastrophe bewirkt" habe, "welche die gesamte Balkanzone in Mitleidenschaft ziehe. In Pancevo, Kragujevac, Novi Sad und Bor seien jedoch ökologische Problemzonen mit lokal begrenzten, schweren Umweltschäden identifiziert worden, die jedoch zum Teil nicht auf die unmittelbaren Einwirkungen des Kosovo-Konfliktes, sondern auf langjährige Vernachlässigung der Umweltbelange in der Region zurückzuführen seien." Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der PDS-Fraktion, a.a.O., S. 41. Selbst aus dieser verharmlosenden Feststellung der BTF ist erkennbar, daß die NATO-Luftangriffe durchaus eine Umweltkatastrophe hervorgerufen haben, diese aber nur Teile der "gesamten Balkanzone" betreffe. Die schweren Umweltschäden in Pancevo, Kragujevac, Novi Sad und Bor, die die BTF identifizierte, waren nur zum Teil auf "langjährige Vernachlässigung der Umweltbelange" zurückzuführen, zum Teil eben doch auf den Bombenkrieg.


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kombo(p) - 24.10.2001