kassiber 46 - Juli 2001

Debatte anläßlich der Gerichtsprozesse gegen angebliche Mitglieder der Revolutionären Zellen

Die militanten Panthertanten finden an jedem Tisch Kanten


Wie schon die Leute vom "Runden Tisch der Militanten" (Interim 498 / 30.März 2000) treffend feststellten, erweist es sich als sehr schwierig, in der "Militanz-Debatte" gemeinsame Einschätzungen zu formulieren - selbst innerhalb einer Gruppe. Auch ich habe mit anderen früheren oder auch heutigen Militanten versucht, eine gemeinsame Stellungnahme zuwege zu bringen, die den Bogen spannt von der RZ-Geschichte über militante Politik allgemein bis zum "Fall Tarek Mousli". Nach einem halben Jahr haben wir es immer noch nicht hingekriegt. Darum schreibe ich meine Gedanken jetzt mal alleine auf, als Beitrag zur Diskussion.

Vorweg schicken möchte ich, daß ich seit etwa zwanzig Jahren praktisch und theoretisch mit klandestiner Organisierung zu tun habe. Zu dem "Runden Tisch" hätte ich auch einiges zu sagen, aber eine genaue kritische Analyse würde den Rahmen sprengen, darum hier nur ein zusammengefaßter Eindruck: Ich finde den Text nicht so schlimm, wie es in manchen anderen Reaktionen darauf anklang. Vielen allgemeinen Aussagen darin stimme ich zu, aber es gibt leider sehr viele allgemeine Aussagen, die oft phrasenhaft werden. Der Text schreibt letztlich in meinen Augen eine "bewegungsautonome" politische Tendenz fort, die vieles behauptet, aber wenig umsetzt. Es wird von "aus der Geschichte lernen" geredet, von neuen Strategien, von sozial tragfähigen Strukturen, von "Militanz ist ein Mittel, kein Programm". Wenn es dann konkret wird, kommt dabei heraus: es wird alles so weiter gemacht wie bisher; statt Strategien werden neue Modethemen benannt; schön, daß wir mal drüber geredet haben; die nächste Kampagne kommt bestimmt. Daß bei all dem "Köpfe heiß geredet" worden sein sollen, muß wohl an der Enge des (Vorstellungs-)Raumes gelegen haben, in dem die Beteiligten sich befanden und bewegten; und was dann schließlich aus den heißen Köpfen rauskam, war - na was wohl? - viel heiße Luft!

Darin manifestierte sich die gängige Position der "Militanz-Debatte", die sich zusammenfassen läßt in den drei goldenen Regeln deutscher Amtsstuben ("Das haben wir schon immer gemacht, das machen wir nie anders, da könnte ja jeder kommen."). Die andere zeigte sich in der Interim 502 (18.Mai 2000), wo unter der Überschrift "Clandestino" eine militante Gruppe sich bitter beklagte über die Schere zwischen den schlimmen gesellschaftlichen Verhältnissen und abfallenden radikalen Linken. Dieser Absatz, der über die Jahre in vielen Texten zur "Militanz-Debatte" aufscheint, versucht, argumentativ herbeizureden, was materiell nun einmal nicht (mehr) vorhanden ist. Das führt zu richtigen Analysen (die gründlicher sind als die der ersten Position, weil sie auch selbstkritisch sind), aber auch zu seltsamen Kausalketten bezüglich der Macht des Reformismus (fast schon eine Verschwörung) oder Existenz geheimnisvoller "vermeintlich vorrevolutionärer Phasen", die eigenartigerweise immer vor etwa zehn Jahren lagen und damals militante Praxis legitimierten. Hat das etwa etwas mit der Biographie der Personen zu tun, die die Analyse vornehmen? Anfang Zwanzig die "vorrevolutionäre" Drangphase, über Dreißig dann die nachdenkliche Rückschau?

Die "Militanz-Debatte" holpert über die Jahre und Szene-Generationen voran, und jeder Beitrag, der für sich in Anspruch nimmt, sie zu "beginnen" oder "neu anzustoßen" ist ein Teil davon. Nur vorwärts kommt sie leider kaum. Nun versuche auch ich mal, in die Speichen zu greifen.


Militanz-Begriff und Geschichtslosigkeit

Ich denke, in der Militanz-Debatte geraten manchmal einige Begriffe durcheinander. Es wird immer mal wieder gerne kritisiert, daß die militante Strategie fehle in der militanten Politik der Linksradikalen. Diese Feststellung ist weitgehend abgekoppelt von einer Analyse der politischen Gesamtlage der (radikalen) Linken (trotzdem in keinem Text der Abschnitt über die Krise der Linken fehlt), und die alte Frage "Was bedeutet eigentlich Militanz?" wird an dieser Stelle meist zum Bumerang. Denn während im Grundsatz häufig betont wird, daß der Begriff Militanz nicht gleichgesetzt werden sollte mit Gewalt, und daß militante Gruppen nicht zwingend Gruppen sein müssen, die konspirativ arbeiten und Anschläge verüben, schleicht sich ebendiese verkürzte Sichtweise normalerweise durch die Hintertür wieder hinein, wenn es um militante Strategien geht. Denn dann diskutieren militante Gruppen, und siehe da, das sind doch "nur" die konspirativ arbeitenden Gruppen, die Anschläge verüben. Diese Verkürzung der Subjekte (die da diskutieren) auf klandestine Gruppen, bewirkt die Verkürzung des Themas (Strategie, Politik) auf ihre Aktions- und Organisationsform. Und das bedeutet nichts anderes, als daß der Schwanz mit dem Hund wedeln will, denn die Frage der militanten Strategie ist eine Frage der linksradikalen Politik insgesamt, während klandestine Gruppen und deren Anschläge lediglich eine bestimmte Ausdrucksform davon sind.

Diese Verwechslung hat nicht nur in der Theorie Folgen, sondern auch ganz praktisch. Ein passendes Beispiel dafür ist das Projekt K.O.M.I.T.E.E. 1994/95, dessen Mitglieder der Meinung waren, strategische politische Orientierungen für sich und die radikale Linke durch militante Aktionen (=Anschläge) und die Texte dazu erarbeiten zu können. Diese Überschätzung von sich selbst und der gewählten politischen Ausdrucksform wurde ihnen zurecht von einigen um die Ohren gehauen, nachdem sie sie in ihrer Auflösungserklärung im Herbst 1995 beschrieben hatten.

Dieses Beispiel eignet sich gleichzeitig, den Blick auf die (Entwicklungs-)Geschichte jener politischen Ausdrucksform zu lenken, die ich jetzt weiterhin "militante Gruppen" nenne (weil dabei vermutlich alle LeserInnen eben an konspirative Gruppen denken die Anschläge durchführen, und nicht an einfache radikale linke Gruppen). Denn eine weitere Kritik an der Gruppe K.O.M.I.T.E.E. war, daß sie keine Analyse der vorhergegangenen Erfahrungen anderer militanter Gruppen vorgenommen und darum Fehler, die andere Jahre vorher schon öffentlich benannt hatten, wiederholt habe.

Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit, denn es gab und gibt Menschen, die eine solche Analyse für sich in Anspruch nehmen, aber keine oder ganz andere Fehler sehen bei den militanten Gruppen der Vergangenheit. Wie das unrühmliche Beispiel der AIZ (Anti-Imperialistischen Zellen) Mitte der 90er gezeigt hat, gab (gibt?) es auch Menschen, die alte Konzepte der RAF weiterhin für richtig halten...

Dennoch müßten eigentlich alle, die von so etwas wie "Strategien" reden, zumindest eine Analyse der Vergangenheit vorweisen können und sagen, wo sie Fehler sehen - und wo nicht. Daß das K.O.M.I.T.E.E. eine solche Analyse nicht vorweisen konnte, sondern stattdessen die Politik der radikalen Linken an sich analysierte, verweist auf die anfangs erwähnte Begriffsverwechslung: Sie kritisierten einen Inhalt, das Ergebnis der Kritik war aber ein formal-konkretes. Sie kritisierten z.B. die mangelhafte Solidarität der Linken mit dem Kampf in Kurdistan und schlossen daraus nicht etwa auf die Notwendigkeit einer stärkeren politischen Initiative, sondern darauf, daß militante Aktionen nötig seien.

Diese Verschiebung von Analyse und Folgerung ist aber gar nicht so verwunderlich, wenn ich eine grundsätzliche Geschichtslosigkeit voraussetze, die die radikale Linke allgemein durchzieht und ein wesentliches Merkmal auch der militanten Gruppen ist. Dabei ist es nicht etwa so, daß die einzelnen Menschen darin sich nicht mit der Vergangenheit beschäftigen würden. Doch je kollektiver es wird, desto mehr verschwindet die Geschichtsanalyse hinter der Gegenwart. Gruppen äußern sich schon kaum mehr dazu (dafür gibt es "Broschüren", deren Halbwertzeit ca. sechs Monate beträgt, danach erinnert sich niemand mehr daran, und sie verstauben in Archiven und WG-Regalen). Die diffuse militante Szene insgesamt (Gruppen, befreundete Individuen etc.) blickt gerne in die Zukunft ("Was könnte die nächste Kampagne sein?" ...), in die Vergangenheit jedoch meist nur, wenn sie von außen dazu geprügelt wird. Danke, Herr Generalbundesanwalt, für diese Initiativen zum Geschichtsbewußtsein!

Deswegen ist es kein Wunder, daß die Gruppe K.O.M.I.T.E.E. kommentarlos ein Konzept aufgriff, das keine fünf Jahre vorher in der Diskussion um die Auflösung zumindest einer RZ-Gruppe eingehend besprochen und kritisiert worden war, nämlich die Initiierung politischer Bewegung durch militanten Eingriff. (Anmerkung: Ich subsumiere unverschämterweise die Rote Zora unter den RZ-Begriff, weil ich das Konzept der Organisierung als dasselbe ansehe.) Ich glaube dabei noch nicht einmal, daß die K.O.M.I.T.E.E.-Leute alle so jung waren, daß sie die Debatten von 1990/91 nicht mitbekommen hatten, sondern vielmehr, daß sie die Dynamik, in der sie selbst agierten, nicht mitbekamen, weil sie keine ordentliche Analyse der Ausdrucksform "militante Gruppen" vorgenommen hatten.

Ja, ja schlaumeiern können wir alle hinterher, ich weiß. Leider stimmen ja zwei Vorwürfe, die gut zusammenpassen: Zum einen, daß die militanten Gruppen bzw. die Leute daraus fast nie etwas dazu erklären, warum sie aufhören oder anders weitermachen, und daß sie nur wenige Erfahrungen daraus weitergeben. Ein rühmliches Gegenbeispiel ist hier das sonst von mir gescholtene K.O.M.I.T.E.E.! Zum anderen, daß die nachkommenden Jüngeren solche Erklärungen oft auch gar nicht hören wollen. Und das ist auch einer der Knackpunkte für die behauptete kollektive Geschichtslosigkeit der radikalen Linken: Die einzelnen Menschen politisieren sich, bilden sich, lernen, werden älter, und je mehr sie lernen (oder zu lernen glauben), desto weniger teilen sie mit. Oder sie entfernen sich in Elfenbeintürme der Theorie und Spezialisierung.

Irgendwann verabschieden sie sich aus der ganzen Szene, und die, denen sie mitteilen könnten, warum, sind die, die es sowieso wissen, weil sie derselben Generation entstammen. Ich will nicht behaupten, daß es allen so ergeht. Manche versuchen, sich vor dieser Zentrifugalkraft (das ist die Kraft, die dich vom Karussell schleudert) zu schützen, indem sie sich einfach nicht entwickeln und versuchen, auch mit vierzig Jahren noch wie zwanzigjährige Autonome zu rödeln. Manche verschwinden schon nach drei, vier Jahren wieder: weil es ihnen zu langweilig wurde, sie sich die Hörner abgestoßen haben, sie eingeschüchtert wurden durch äußere oder innere Repression - an öffentlicher Klage ist ja nie Mangel gewesen, und die Gründe, aus der linksradikalen Szene auszusteigen, sind regelmäßig in der Interim nachzulesen.

Es gibt in Deutschland für Einheimische heute nahezu keine Not oder Repression in einem Ausmaß, die offenkundig zum Widerstand im eigenen materiellen Interesse zwingt. Es gibt keine autonome Partei. Es gibt kein autonomes Manifest. Es gibt keine übergeordneten linksradikalen Disziplinierungsorgane, es wird höchstens ständig darum gestritten. Es gibt in der Szene keine individuellen Absicherungen, die mit Institutionen wie Familie oder Rentenkasse konkurrieren könnten. Es gibt viele Möglichkeiten, sich anderweitig zu "verwirklichen". Das heißt, das Bewegen in der linksradikalen Szene ist ein ständiger Kampf um Sicherheiten und Wege, und alle sind freiwillig drin und können sich jederzeit anders entscheiden. Es ist eine Frage des Bewußtseins, keine materielle (du kannst auch in Schwedt gegen Nazis sein, ohne linksradikal sein zu müssen). Das ist anstrengend, und viele halten es nur begrenzte Zeit durch.

Wer linksradikale Bewegungs-Hochzeiten mitgemacht hat, weiß, daß solche Zeiten nicht nur viel Zulauf an Menschen bringen, sondern den einzelnen auch viel Kraft für die Zukunft mitgeben. Solche Hochzeiten gab es in der Vergangenheit ungefähr im Zehnjahres-Rythmus: 1969-72, 1980/81, 1990/91. Aber die Zeiten änderten sich auch jedesmal wieder, und mit dem Abflauen der Massenmobilisierung verschwanden auch viele Leute wieder aus der Szene, für die es ein Abenteuer (der Jugend), ein Irrweg oder was auch sonst gewesen war. Übrig blieben Menschen, die aus der Bewegungszeit Optimismus, Ungeduld, Radikalität und intensive Politisierung mitgebracht hatten - letztere oft so stark, daß alle anderen Lebensperspektiven (Ausbildung, Beruf, Kinder...) dahinter nahezu verschwanden. Für diese Menschen war es nur folgerichtig, die kollektive Bewegung weiterzuführen - einzeln und/oder gemeinsam in Gruppen. Das führte für viele in die militante Gruppe - ein Entwicklungsprozeß, der meist ein paar Jahre dauert.

So ist es kein Wunder, daß die Hochzeiten militanter Gruppen einige Jahre nach dem Bewegungshoch liegen, also Mitte der siebziger (RAF, RZ, 2. Juni) und achtziger Jahre (RZ, autonome Gruppen, "kämpfende Einheiten"). Was die Neunziger angeht, ist es wegen der zeitlichen Nähe schwer zu klassifizieren - möglicherweise läßt es sich als "autonome Gruppen im Antifa- und Anti-AKW-Bereich" zusammenfassen. Dieser Entwicklungsprozeß ist unabhängig von den Interessen der beteiligten Subjekte. Es ist ein objektiver geschichtlicher Prozeß, der von den Beteiligten oft so nicht oder nur teilweise wahrgenommen wurde (mich eingeschlossen) und sich meist erst im Rückblick offenbart.

So betrachtet, gibt es aber keine "militanten Strategien", sondern die militanten Gruppen sind eine Konsequenz linksradikaler Bewegungen und stehen und fallen mit der Politik der radikalen Linken an sich: ist diese Politik offensiv, initiativ, entfaltet Breitenwirkung, zieht Menschen an, so wachsen und gedeihen damit auch automatisch militante Gruppen. Sie fügen sich in die politischen Strategien der Bewegung dann soweit ein, daß sie sie militant begleiten, manchmal zuspitzen, hier und da Punkte der Aufmerksamkeit setzen. Geht es bergab mit der Bewegung, versuchen die militanten Gruppen, deren "Geist" weiterzutragen, wobei ihre Praxis sich meistens nicht unterscheidet von der vorherigen - der Bezugskreis "radikale Linke", der die militanten Gruppen politisch stützt und ihre Aktionen wahrnimmt, ist eben einfach kleiner oder defensiver geworden.


Selbstwahrnehmung und Analyse, Tellerrand und Einkreisung

Wenn Menschen aus militanten Gruppen zum Thema "politische Perspektiven" nicht mehr zu sagen haben, als mögliche nächste Anschlagziele zu benennen und zu betonen, daß es nötig ist, den ganzen bösen Moloch anzugreifen (wie geschehen im "Runden Tisch der Militanten"), dann verweist das einmal mehr auf die oben genannte Begriffsverwechslung. Denn weder reden sie über mögliche Formen militanter Organisierung und deren Interventionsmöglichkeiten (außer mal eben "Neue Technologien" zu hypen, von denen sie offenbar nicht viel wissen), noch reden sie über politische Perspektiven linksradikaler Politik. Und das, obwohl einige Seiten vorher alle Beteiligten klar gemacht haben: "Militanz ist ein Mittel, kein Programm". Im Grunde sagen sie nur, alles geht so weiter wie bisher. Und das wird es vermutlich auch. Alte Leute, alte Gruppen verdünnisieren sich, neue kommen und wissen nicht, wo die Alten geblieben sind. Es ist auch nicht ganz abwegig, anzunehmen, daß es tatsächlich keine Alternative dazu gibt, und daß das ganze aufgeregte Suchen nach dem "Neuen" nichts anderes ist als ein blindes Nachbeten der Fortschrittsmythen, die zum Motor des Herrschaftssystem gehören, das wir bekämpfen.

RAF und RZ hatten das Potential zu mehr, da sie Organisierungen waren, die lange bestanden. Sie haben sich entsprechend bemüht, politische Analysen in die radikale Linke zu tragen, was der RZ auch teilweise gelungen ist. (Die RAF hatte sich Ende der Siebziger bereits soweit entfernt vom Großteil der radikalen Linken, daß ihre Analysen kaum noch jemand erreichten außerhalb des Anti-Imp-Spektrums. Wie die Broschüre "Das Ohr auf die Schiene der Geschichte des bewaffneten Kampfes in der BRD", Stuttgart 1997, zeigt, haben einige aus dieser Szene das bis heute nicht bemerkt.)

Die Analysen der RZ waren oft wichtig und auch "orientierend" für viele Menschen, vor allem in der ersten Hälfte der Achtziger. Es läßt sich schwer sagen, ob die politische Wirkung von Analysen der Friedensbewegung oder des Startbahn-Widerstands größer oder kleiner gewesen wäre, wenn darunter nicht "RZ" sondern "Analysegruppe XYZ" gestanden hätte - vermutlich hätten nicht mehr oder weniger, sondern einfach andere Menschen den Text gelesen. Die Tatsache, daß die RZ in der Lage waren, nicht nur Bomben zu legen, sondern auch differenzierte Analysen abzuliefern, hat aber in jedem Fall viel zu ihrem Mythos beigetragen: sie waren die klugen Militanten, oder, um auf eine einstmals in Berlin berühmt-berüchtigte Formulierung von Anfang der 90er zurückzugreifen: sie vereinigten "Mut" und "Schlauheit" in einer Gruppe, während es ringsum oft nur eins von beiden zu geben schien.

Doch auch die RZ mußten Anfang der Achtziger erkennen, daß sie nicht unabhängig von Zeit und Raum agieren, nicht ihre eigene Bewegung machen konnten. Sie waren denselben objektiven Zwängen unterworfen wie jede x-beliebige autonome Kleingruppe, nur daß eben ein großer Eisberg langsamer wegschmilzt als eine kleine Eisscholle und auch nicht so rasch wieder neu entsteht. Und ihre Fallhöhe war größer: Einzelne militante Kleingruppen tauchten aus der Bewegung auf und verschwanden wieder, ohne daß jemand davon viel Notiz nahm. Die RZ dagegen ließen ein Vakuum zurück, das auch deutlich machte, daß sie an einem Punkt der RAF näher waren als gedacht: Beide waren auf Gedeih und Verderb festgelegt auf militante Aktion. Im Fall der RAF wurde das sichtbar an dem Projekt "gesellschaftliche Gegenmacht" Anfang der 90er, mit dem ihre politische Analyse im Verhältnis zur radikalen Linken etwa im Jahre 1981 angekommen war. Die RAF wollte damit nach ihrem politisch-militärischen Scheitern ihr Projekt ins Politisch-Zivile retten, mußte aber feststellen, daß sie auf dem ersteren Terrain ein Tiger, auf dem letzteren ein Mäuschen war, dessen Piepsen fast niemand hörte. Und die RZ mußten bemerken, daß sie mit dem Einstellen der Aktionen fast augenblicklich und nahezu spurlos verschwunden waren - aus dem früheren Vorteil der öffentlichen Ungreifbarkeit und anonymen Einbettung in eine diffuse linksradikale Szene wurde nun der Nachteil, weder als Mensch noch politisch identifizierbar zu sein.

Es wird auch in Zukunft eine radikale Linke geben, und es wird militante Gruppen geben, die in und aus dieser Szene heraus agieren. In der Broschüre "Als das K.O.M.I.T.E.E. ein Osterei legte" (Berlin 1999) wird das Verhältnis zur Szene als "nicht orientierend, sondern eher kommentierend" beschrieben. Und wenn die radikale Linke keine Orientierung hat, kann auch die schlauste RZ dies nicht ersetzen.

Solange das so ist, liegt die Aufgabe der militanten Gruppen nicht in erster Linie darin, politische Strategien zu entwerfen, sondern sich selbst ins Verhältnis zu möglichen praktischen Strategien der radikalen Linken zu setzen, den eigenen Standort zu bestimmen, die eigene Organisierungs- und Aktionsform kritisch zu durchleuchten.

Das geht aber nur, wenn es dabei auch eine Analyse der Vergangenheit und eine differenzierte Selbstwahrnehmung gibt. Es ist mir bis heute ein Rätsel, wie die Gruppe K.O.M.I.T.E.E. es 1995 fertiggebracht hat, in zwei direkt aufeinanderfolgenden Sätzen erst festzustellen, daß "revolutionäre Politik hier in den letzten Jahrzehnten gesellschaftlich immer nur eine Randposition" ohne "realistische Strategie" innehatte und dann zu behaupten, "konsequente militante Praxis könnte einer der Hebel sein, den Kreislauf der Linken von Glaubwürdigkeitsverlust nach Außen und Mutlosigkeit und Anpassung nach Innen zu durchbrechen". Beim "Runden Tisch der Militanten" wurde das als "völlig richtige Einschätzung" zitiert, aber in meinen Augen ist es ein völlig abwegiger Spagat zwischen erst realistischer Einschätzung der "politischen Großwetterlage" und sodann vollkommen irrealer Überschätzung der Bedeutung des eigenen Projektes und militanter Gruppen überhaupt. Da hilft alle politische Analyse nichts mehr, wenn die Wahrnehmung der eigenen Wirklichkeit so verzerrt ist. Auch die befragten Anti-Imps in der o.g. Broschüre "Das Ohr auf die Schiene der Geschichte..." scheinen bis zum Erscheinungsdatum 1997 nicht reflektiert zu haben, in welchem Ausmaß sie die eigene politische Stärke in den 70ern und in den 80ern herbeiphantasiert hatten, und wie sehr sie persönliche Erfahrungen von relativ begrenzter Breitenwirkung mit starker politischer Bewegung verwechselt haben.

Das wirkt jetzt ein bißchen wie Nachtreterei, aber es spielt eine Rolle, weil es eine alte Wunde der militanten Gruppen berührt: die Selbstüberschätzung. Es ist zwar seit rund zehn Jahren üblich geworden, daß militante Gruppen sich bescheiden äußern, lieber von Nadelstichen als von Machtfrage reden, aber es fragt sich, ob das in Einklang steht mit der persönlichen Gefühlswelt. Denn wer schon einmal etwas gemacht hat mit allem Drum und Dran - Organisierung verdeckter Kommunikation, sichere Treffen, technische Infrastruktur klarmachen, taktische Planung usw. usf., bis hin zu dem Moment, wo du in einem "feindlichen" Objekt drinstehst und den Zeitzünder plazierst, oder auch bis zu dem Moment, wo das BKA dir morgens um sechs Uhr die Tür eintritt und die Knarre an den Kopf hält -, weiß, daß das Leben der Beteiligten davon in einem Ausmaß absorbiert und bestimmt wird, daß sie gar nicht anders können, als die militante Ausdrucksform für sehr wichtig zu halten. Und die Antwort des Staates mag gesamtgesellschaftlich betrachtet unbedeutend sein, individuell gesehen ist sie gewaltig.

In Zeiten der Bewegung, wie sie weiter oben beschrieben wurden, ist die Abschreckungswirkung der Repression geringer - nicht etwa, weil es weniger Repression gibt, sondern weil sie erstens ein starkes Gegenüber hat im Wir-Gefühl der Bewegten, und weil zweitens die Wahrscheinlichkeit, selbst getroffen zu werden, geringer scheint. Die militanten Gruppen haben in den Jahren danach aber das Problem, daß sie wenig Nachwuchs haben und nach und nach personell immer enger eingekreist werden von der Gegenseite. Es muß hier auch einmal aufgeräumt werden mit zwei Mythen. Der erste sagt, die Staatsschutzorgane hätten nie jemanden von der RZ gekriegt, und die RZ-Leute seien lauter völlig unauffindbare Phantome gewesen. Der zweite sagt, die Erfolglosigkeit der Staatsschutzorgane gegen die militanten autonomen Gruppen sei auf deren geschickte Konspirativität zurückzuführen.

Erstens: Die Geschichtsschreibung des BKA in Sachen RZ ist sicherlich eine andere. Das BKA hat 1978 durch das folterähnliche Verhör Hermann Feilings nach dessen Bomben-Unfall etliche Namen ermittelt. Die Betroffenen mußten untertauchen. Damit war vermutlich nach BKA-Einschätzung die Ur-RZ aus dem Rhein-Main-Gebiet weitgehend zerschlagen. Desweiteren wurden in der gleichen Zeit zwei Leute als RZ-ler vom BKA verhaftet und später zu mehrjährigen Knaststrafen verurteilt, ein dritter tauchte ab, stellte sich 1982 und kam relativ glimpflich davon. Den aufmerksamen BKA-LeserInnen des "Revolutionären Zorn" Nr. 6 (Januar 1981) ist sicher nicht entgangen, daß gleichzeitig die RZ eine Art (personellen) Bruch und Neuanfang durchmachten. Daß das BKA zwischen 1978 und 1986 (als das "Wecker-Programm" anlief) untätig in Sachen RZ war, ist höchst unwahrscheinlich. Das persönliche Umfeld der als RZ-Mitglieder oder -UnterstützerInnen angesehenen Personen ist garantiert im Auge behalten worden. Ebenso dann 1986/87, als über die Markierung von Weckern und das Filmen der KäuferInnen mehrere Personen ins Raster gerieten, von denen einige abhauten, andere verhaftet wurden. Das BKA hat sicher Personen- und Umgebungsprofile angefertigt und über die Jahre so das Netz um die potentiellen RZ-Mitglieder immer enger gezogen. Ob sie da die Richtigen im Visier hatten, ganz oder zum Teil, ist zwar eine andere Frage; daß sie aber völlig im Dunkeln tappten, ist nicht mehr als ein naiver Wunschtraum.

Und dasselbe gilt für die autonomen Gruppen. Solange es bedeutendere Ziele wie RAF und RZ gab, hat der Sicherheitsapparat sich mit denen beschäftigt und die "Guerilla diffusa" eher nebenbei bearbeitet. Das hatte zur Folge, daß Durchsuchungen oft schlampig waren und Dinge unentdeckt blieben, oder daß Fehler der militanten Gruppen bei der Durchführung von Aktionen nicht auffielen. Die Spurensicherung einer lokalen Kripo ist eben etwas anderes als die des BKA - sie hat weniger Geld, weniger Mittel, weniger Leute, weniger Wissen, weniger politische Motivation. Der Berliner Staatsschutz ist (oder war) bundesweit berühmt für seine Erfolgs- und Lustlosigkeit. Andererseits wurde bei den meisten politischen Durchsuchungen der 90er Jahre, die in Sachen militante Gruppen stattfanden, belastendes Material gefunden, und zwar in jeder denkbaren Konstellation: Bei Leuten mit jahre-/jahrzehntelanger Erfahrung. Bei Leuten die wußten, daß eine Razzia bevorsteht. An Orten, die erwiesenermaßen polizeibekannt waren. Material, das seit langem hätte vernichtet sein müssen. Texte, in denen ausdrücklich stand, daß sie weg müssen. Auf Computern oder Disketten, die problemlos rechtzeitig hätten gereinigt oder gesichert werden können...

Dieses Material muß deswegen noch lange nicht juristisch verwertbar sein, es muß nicht unmittelbar mit den von der Durchsuchung Betroffenen zu tun haben, und es kann die Behörden auch durchaus zu falschen Schlüssen verleiten. In der Gesamtheit fließt es aber in die Staatsschutz-Analysen mit ein, zusammen mit der Auswertung von Texten (wie auch diesem hier), Observationen, Telefonüberwachungen, Ermittlungsverfahren, Hinweisen anderer Behörden, Spitzelberichten. Auch die autonome militante Szene ist durchaus personell eingekreist. Wenn schon ein popliger Berliner Staatsschutz-Kommissar Koch im Jahr 1996 einen Bericht abliefert, von dem er wissen muß, daß er früher oder später die autonome Szene erreichen wird, in dem über personelle und strukturelle Verflechtungen sehr detailliert (und teilweise schon eher krankhaft) spekuliert wird - wie sehen dann wohl die geheimen Analysen des Verfassungsschutzes und des BKA aus?

Daß die juristischen Folgen aus dieser Einkreisung des militanten Spektrums nicht vergleichbar sind mit der Wucht, die die RAF und ihr Umfeld stets traf, liegt nicht daran, daß die Gegenseite überhaupt keine Namen hätte, die sie auf die Anklagebank zerren könnte. Es liegt vielmehr an der Aktionsform, den Aktionsmitteln und vermutlich auch an der politischen Dimension. Knapp gesagt: Wenn Menschen aus den Kreisen der Machtelite getötet werden, wenn Schußwaffen und "echter" Sprengstoff (kein Selbstlaborat) benutzt werden, und wenn drittens internationale Verflechtungen militanter Gruppen vermutet oder bekannt werden, etwa zu Guerillas oder fremden Geheimdiensten, dann "hört der Spaß auf". Deswegen wurde die RAF so grausam bekämpft - und nicht, weil sie eine große politische Gefahr für das System, eine bedeutende revolutionäre Gegenmacht darstellte.

Bei den Staatsschutzorganen gibt es aufgrund der jahrelangen Ermittlungen sicher umfangreiche Listen mit potentiellen Militanten; diese Leute werden z.B. in die polizeiliche Beobachtung mit einbezogen, also bei jedem amtlichen In-Erscheinung-Treten registriert, ebenso wird zu beobachten versucht, wo und zu welcher politischen Thematik sie sich engagieren. Solche Listen sind zwar "juristisch unsichtbar" weil es keine Anklagen gibt, aber die Auswirkungen auf militante Gruppen sind dennoch sehr konkret (auch wenn manche das nicht wahrhaben wollen). Für diejenigen, bei denen der Staatsschutz mit seiner Vermutung richtig liegt, stellt sich die Frage nach dem "wie weiter" nicht nur politisch, sondern auch technisch: kann ich überhaupt weiterhin so etwas machen, und wenn ja, wen außer mir selbst gefährde ich noch alles?

In einer Zeit, wo mehr Leute aufhören als neue anfangen, ist das natürlich fatal, denn es bedeutet, daß erfahrene Militante aus den Gruppen ausscheiden müssen, der Ausdünnungsprozeß so verstärkt wird, und die Neugekommenen dieselben Fehler wie die Alten machen - und darüber auch wieder schneller als nötig in das gegnerische Raster geraten. Angesichts der Rahmenbedingung, daß nämlich radikale Opposition überhaupt und militante im besonderen hierzulande eine reine Bewußtseinsentscheidung ist und nicht materiell erzwungen, ist es für viele Menschen nicht mehr sehr verlockend, sich militant zu organisieren. Soviel Risiko und soviel Streß für sowenig Ergebnis? Da mache ich doch lieber meine Ausbildung fertig und gehe wandern oder surfen. Dieses Problem läßt sich nicht organisatorisch-formal lösen und auch nicht durch die militanten Gruppen selbst, sondern nur durch eine radikale Linke, die mehr Initiative und Ausstrahlung gewinnt.

Dann würde auch die Debatte über "militante Perspektiven", deren Fehlen oder deren Diskontinuität so oft beklagt wird, wieder lebendiger werden. Es ist ja nicht so, daß - wie manchmal behauptet - die böse staatliche Zensur eine solche Debatte unmöglich machte. Sondern es ist das geringe Interesse bzw. die geringe Zahl der Interessierten, die die Debatte hemmt. Es stimmt zwar, daß ich auf einer öffentlichen Veranstaltung auch deshalb nicht große Reden über militante Organisierung schwinge, weil ich befürchten muß, dadurch (über Spitzel) im Raster der Staatsschützer festgehalten zu werden, was meine reale Organisierung in einer militanten Gruppe gefährdet. Aber das ist ein anderer Grund als die immer wieder angeführte Angst vor der allgemeinen zensierenden Repression. Dies ist ein vorgeschobener Grund, der eigentlich vor allem das Gefühl der Isoliertheit ausdrückt.


Wahl und Hierarchie der Mittel

Dazu ist schon viel Richtiges gesagt worden: Eigendynamik der Gruppe, Leistungsdenken, Mythen. Ich glaube allerdings nicht, daß Leute, die in den RZ dabei waren, ihre jeweilige politische Meinung wegen dieses Namens plötzlich nur noch in Form von Bomben ausdrücken konnten. Nur, warum sollten sie überall "RZ" darunter schreiben? Daß eine Gruppe, die ein bestimmtes technisches und analytisches Niveau erreicht hat, unter einem identifizierbaren Namen arbeitet, finde ich vernünftig - die Vergangenheit zeigt, daß Debatten über Aktionen oder Texte dadurch befördert wurden, weil es Anknüpfungspunkte gab - es entstand außerdem ganz nebenbei Geschichte. Das ist in der Tat ein "Orientierungspunkt" für die Linke, wenn auch bescheidener, als 1995 vom K.O.M.I.T.E.E vermutlich gemeint. Daß ein fester Name für Qualität bürgt, ist wiederum Quatsch. Wer zehnmal Mist verzapft und zehnmal denselben Namen darunter schreibt, wird um so deutlicher die Quittung dafür bekommen, siehe AIZ. Schräg wird diese Identifizierbarkeit dann, wenn die Beteiligten sich selbst soweit gleichsetzen mit dem Projekt, daß sie nicht mehr autonom davon agieren können.

Die Hierarchie der Mittel existiert und läßt sich nicht wegreden mit "Ich werfe nicht nur Mollis, gehe auch mal sprühen". Verschiedene Mittel erfordern verschieden gründliche Qualifikationen. Wichtig ist, sich über das Nebeneinander der verschiedenen Ausdrucksformen klar zu werden. Um am Beispiel zu bleiben: Ein militanter Anschlag ist ein materieller Angriff. Er soll Sachschaden anrichten und damit den Blick auf das Zielobjekt und dessen ideologische "Umbauung" richten. Eine gesprühte Parole ist eine andere Ausdrucksform, nämlich eine Aussage, ein Appell, ein Aufruf. Es gibt leider massenhaft Sprühereien, die zu nichts anderem dienen als zur Selbstbestätigung der Szene und zur Herstellung des angenehmen Gefühls, selbst etwas Verboten-Subversives getan zu haben. 95% der Menschen, die diese Parolen sehen, verbinden damit nichts weiter als Farbe auf der Hauswand. Dadurch verschiebt sich die Ausdrucksform "Sprühen als schriftliche Propaganda" hin zu "Sprühen als militante Tat", was eigentlich völlig albern ist.

Wer es damit ernst meint, daß die militante Aktion nur eine Ausdrucksform neben anderen ist, sollte kein Problem damit haben, zu sagen: Wenn ich in einer Gruppe militant agiere, agieren wir auf dem Niveau, das wir gemeinsam beherrschen, und wenn wir etwas anderes machen, dann gilt dasselbe - sei es schriftliche oder mündliche Propaganda, Demonstration, Aufklärungsarbeit, Kampagne, Weiterbildung, Feste feiern. Also kann ich auch sprühen gehen und Plakate kleben, ohne dabei das Gefühl zu haben, mein Aktionsniveau "verraten" zu haben. Hindern kann mich daran allenfalls die Abwägung, ob ich dadurch andere Tätigkeiten gefährden könnte, die mir wichtiger sind.

Was die Wahl der Mittel militanter Gruppen angeht, gab es über die letzten dreißig Jahre viel "Versuch und Irrtum". Dabei wurden einige Aktionen gemacht, die von anderen von vornherein als falsch kritisiert wurden. Es ist also nicht so, daß von einem allgemeinen gleichmäßigen Lernprozeß gesprochen werden kann. Insofern mißtraue ich der manchmal von älteren Militanten vertretene Sichtweise auf die (frühen) siebziger Jahre, derzufolge es damals darum ging, militante Aktionsformen in Deutschland überhaupt erst denkbar zu machen durch die beispielhafte Tat und Erprobung. Dieser "Wir-haben-bei-Null-angefangen"-Mythos macht die Geschichte gar zu glatt und einfach.

Die Frage der Anwendung von bestimmten Mitteln wie von gewerblichem oder militärischem Sprengstoff und von Schußwaffen war stets vielschichtig. Zum einen ist dazu eine erheblich höhere Qualifikation nötig. Zum zweiten ziehen diese Mittel einen viel größeren Repressionsapparat direkt auf sich. Drittens ist die allgemeinpolitische Repression hier viel größer. Viertens erhebt sich die Frage nach Leben und Unversehrtheit von Menschen (die, das sollte nicht vergessen werden, sich bei Brand- und Hakenkrallen-Anschlägen genauso stellt). Für viele Militante, auch für mich, ist diese vierte Frage schon Grund genug gewesen, auf absehbare Zeit auf den Einsatz militärischer Mittel zu verzichten. Das bedeutet nicht, sich nicht mit diesen Mitteln zu beschäftigen und sie nicht auch im Arsenal der potentiellen Möglichkeiten zu haben. Übrigens, lieber Antonio vom "Runden Tisch", Herrhausen wurde 1989 nicht erschossen, sondern von einer Bombe getötet. Dabei hatte die RAF entweder sehr großes Glück, oder sie zog eine ausgesprochen scharf kalkulierte Konsequenz aus der Debatte über die Gefährdung Unbeteiligter bei Aktionen, denn die Sprengladung explodierte so exakt, daß der Fahrer des Autos überlebte.

Die RZ-Schüsse auf die Knie von Schreibtischtätern 1986/87 waren ein Fehler, weil sie nicht der Entwicklung der politischen Kämpfe zu dieser Thematik entsprachen. Die RZ handelten subjektivistisch: sie hatten einige Jahre ihre eigene Kampagne durchgeführt und eskalierten diese nun ohne ausreichende Rücksicht darauf, ob jemand mitgegangen war. Die Schüsse 1986 auf Hollenberg (Leiter der Ausländerpolizei) wurden von der RZ nicht ausführlich legitimiert, die auf Asylrichter Korbmacher 1987 dann sehr wohl, vielleicht als Reaktion auf Kritik aus der radikalen Linken an der Aktionsform. In dieser Legitimierung, die beim "Runden Tisch" von Jonny zustimmend erwähnt wird, haben die RZ viel dazu gesagt, wieso jemand wie Korbmacher ein Schwein ist und die Schüsse verdient hat und wie sie wirken sollen, aber nichts dazu, in welchem Verhältnis die Aktionsform zur politischen Situation rundum steht. Das heißt, die Aktion war Teil des Privatkriegs "RZ gegen das Böse in der Welt" und nicht Teil einer linksradikalen Strategie - und deswegen war sie falsch, so sehr sie dem individuellen Gefühl einiger entgegenkommen mag.

Wie subjektiv beeinflußt die Frage nach der Vermittelbarkeit und dem Rückhalt solcher entscheidender Aktionen ist, zeigt sich immer wieder auch in der Theorie. Als die RAF 1985 den MTU-Chefmanager Zimmermann erschossen hatte, kritisierte eine RZ dies mit dem Tenor, bei seinem Tod habe niemand "aufgeatmet", anders wäre es gewesen, wenn Altnazi Reder erschossen worden wäre. Eine andere RZ antwortete empört, der sei doch nun gar nicht richtig, sondern wenn, dann der österreichische Außenminister. Im Nachhinein ein gespenstischer Wortwechsel...

Als 1987 die Rote Zora ihre erfolgreiche Kampagne gegen die Firma Adler zur Unterstützung der streikenden Frauen in Südkorea durchführte, gab es laute Stimmen der Kritik daran aus der bestehenden Solidaritätszene, die meinten, jegliche andere politische Solidarität mit dem Streik sei dadurch zerstört worden. Beim "Runden Tisch der Militanten" erklärt Antonio aber dazu, die Zora-Aktionen seien in vielen Ländern des Trikont begeistert aufgenommen worden. Ich frage mich, woher Antonio das weiß. Und falls es stimmt und nicht - wie ich vermute - stark übertrieben ist, erhebt sich ja dennoch die Frage, was wichtiger ist: die Ablehnung der einen oder die Zustimmung der anderen? Wessen Zustimmung legitimiert sie, macht sie undurchführbar? Diese Fragen können nur von Gruppen vernünftig beantwortet werden, die den Bezug zur Realität und zu ihrer eigenen Rolle darin behalten haben.

In einigen militanten Gruppen wurde beispielsweise schon Ende der 80er diskutiert, ob es richtig oder gar notwendig sei, führende Nazi-Kader zu töten. Es war zum einen Humanismus, der entscheidend dagegen sprach - nicht durch die Aktionsform dem ähnlich zu werden, das du bekämpfst -, zum anderen aber auch die oben erwähnte dritte Frage, nämlich: Wäre eine solche Aktion eingebettet in eine politische Szene, die den Folgen standhalten kann - sei es staatlicher Repression, sei es der Rache von (zweifellos besser bewaffneten) Nazis? Die Anwort damals war ein klares Nein. Also: es muß nicht alles ausprobiert werden, manchmal genügt es auch, vorher ein paar Fragen zu stellen.


Der Fall Tarek Mousli und die "Solidaritätsbewegung"

Und zuletzt noch ein paar Bemerkungen zu Tarek Mousli und dem ganzen Schlamassel drumrum. Da es bisher im Text um militante Gruppen allgemein und die RZ im besonderen ging, muß ich hier zuerst betonen, daß ich mir die Darstellung der Bundesanwaltschaft nicht zu eigen mache. Das heißt, ich meine zwar, wer in der radikalen Linken von Tarek spricht, muß auch von der RZ sprechen, dies jedoch nicht, weil ich die staatlichen Mitgliedschafts-Konstrukte unterstützen will, sondern weil der Angriff der Staatsschutzbehörden sich hier gegen das politische und strukturelle Konzept "RZ" richtet. Die RZ sind, wie oben beschrieben, im politischen Nirwana verschwunden und können sich zu dem Angriff nicht äußern - wobei damit natürlich nicht gesagt ist, daß sie es täten, wenn sie noch da wären. Die Antwort auf den Angriff muß von den radikalen Linken kommen, soweit sie irgendeinen Bezug zu militanter Politik haben oder wenigstens hatten - sei es praktisch, theoretisch, persönlich, politisch... Das Verschwinden der RZ macht es dabei schwieriger, Anknüpfungspunkte für eine Diskussion zu finden. Was es an Texten dazu gibt, liegt überwiegend acht Jahre zurück. Das Fehlen eines erkennbaren politischen Umfelds rächt sich nun, da scheinbar (fast) niemand sich verantwortlich für die Thematik fühlt.

Eine mögliche Antwort findet sich in dem Text "Milis Tanz auf dem Eis", den die Rote Zora 1993 veröffentlichte (der im Untertitel benannte "Versuch, Boden unter die Füße zu kriegen", scheiterte offenbar in der Folgezeit). Zum Repressionsschlag von 1987 schreiben sie da auf Seite 30 u.a.: "Anstatt daß die Themen der Antirepressionskampagne die Aktionen der Roten Zora und die Fehler oder Richtigkeit unserer Politik und die Fragen der Organisierung zentral mit eingeschlossen hätten, wurde unsere Politik ebenso totgeschwiegen, wie grundsätzlich die Fragen um Probleme und Aufgaben praktischen Frauenwiderstandes aus der Diskussion ausgegrenzt blieben." Déjà vu...!?

Doch erst einmal etwas zu Tarek Mousli.

Wenn ich im folgenden von seinem "Verrat" spreche, dann deswegen, weil der Begriff insgesamt am treffendsten Tareks Verhalten beschreibt, obwohl die Frage des Wahrheitsgehaltes seiner Aussagen ungeklärt im Raume steht. Die erkennbare Absicht und die Form und Umstände seiner Aussagen scheinen mir den Begriff des "Verrats" zu rechtfertigen. Wen und was er verrät, kann und will ich hier nicht diskutieren.

Selbstverständlich müssen sich alle, die mit ihm irgendwo organisiert waren, fragen, wie gut sie ihn kannten, was sie von ihm wußten - und sie werden wahrscheinlich an ihrer Menschenkenntnis zweifeln. Aber die in diesem Zusammenhang unausgesprochen herumgeisternden Phantasien davon, wie jemand schon zehn Jahre vorher als zukünftiger Verräter identifizierbar sein soll, oder wie die allseitig vertrauenswürdige autonome Normalperson aussehen könnte, sind blödsinnig. Wer von euch gibt mir Brief und Siegel, wo er oder sie in zehn Jahren ist? Oder die zahlreichen Menschen, mit denen er oder sie in der Vergangenheit das eine oder andere angestellt hat? Verratsfälle der einen oder anderen Art hat es auch früher gegeben, aber wer kennt heute noch Namen wie Gerhard Müller oder Volker Speitel? Oder wer weiß noch zu sagen, wer nach den Startbahnschüssen 1987, wo zwei Bullen erschossen wurden, welche Aussagen gemacht hat? Der scheinbar "nie dagewesene Verrat" ist vor allem ein Zeichen schon immer dagewesener Vergeßlichkeit Linksradikaler.

Ich gehe jede Wette ein, daß die Wahrheit ziemlich einfach ist: jemand hat mit einer Phase seines Lebens abgeschlossen, und das durchaus nicht nur in Frieden, sondern auch in Bitterkeit einigen Menschen gegenüber. Dann hat er sich jahrelang in anderer Richtung orientiert. Er hat keine oder fast keine Loyalitäten mehr gegenüber der Vergangenheit, weder politisch noch persönlich. Die Vergangenheit holt ihn aber unvermutet ein, sei es durch ein Konstrukt des BKA, sei es durch irgendwelche Fehler und Irrtümer, sei es, weil er einen Schritt zurück zu dieser Vergangenheit getan hat zu einem Zeitpunkt, wo er das niemals hätte tun dürfen, eben weil er schon viel zu weit weg davon war. Nun bricht der Boden unter ihm weg, und er greift nach dem letzten Halt, den er sieht (den anderen, wie etwa sozialen und politischen Rückhalt, hat er über die Jahre freiwillig aufgegeben) - ganz egoistisch, weil er nicht in den Knast will. Einmal in den Fängen des BKA, kann er nicht mehr zurück und wird jetzt von denen eingemacht. Punkt.

Nein, noch nicht Punkt: Es sollte nicht vergessen werden, daß Tarek in all dem auch Mensch und Subjekt ist, im Guten wie im Schlechten. Wenn von der Kronzeugen-Regelung die Rede ist, klingt das oft, als ob der Kronzeuge ein fremdgesteuertes Werkzeug ist, das nichts anderes tut, als zu unterschreiben, was ihm vorgelegt wird, und dessen einzige "selbstbestimmte" Handlung das Erfinden von Beschuldigungen ist, sobald der Liebesentzug seitens der Verhörenden droht. Ich denke, die Bundesanwaltschaft wäre froh, wenn es so wäre; wahrscheinlicher dürfte aber sein, daß die Aussagen Tareks von allerlei persönlichen Interessen und Eigenarten gefärbt sind, die nicht alle deckungsgleich mit denen von BKA und BAW sind. Sei es, daß er alte Rechnungen begleicht, sei es, daß er aus persönlicher Eitelkeit den großen Alleswisser spielt, sei es, daß er sich lückenhaft und falsch an Dinge erinnert, sei es, daß er sich in einem Spiel mit hohem Einsatz sieht und versucht, so cool wie möglich alle abzuzocken (auch Klaus Steinmetz in Wiesbaden soll ja geglaubt haben, er könne mit dem BKA spielen - wie die Maus mit der Katze).

Im übrigen wird mit dem Schlagwort "Kronzeuge" zu viel herumgeworfen, wie ich meine. Dieses Gesetz hat letztlich nur etwas juristisch vereinfacht, was es in der einen oder anderen Form immer schon gab: den Strafnachlaß für Verräter und Abschwörer. Gäbe es kein Kronzeugengesetz, würde sich an der aktuellen Situation kaum etwas ändern, denn der Druck auf Tarek, nur durch umfassende Aussagen einer Anklage wegen Rädelsführerschaft in den RZ entgehen zu können, wäre derselbe.

Ich glaube, das Schockierende an dem Fall Tarek Mousli ist nicht der Verrat an sich. Vielmehr ist es erstens ein Schlag gegen den letzten überlebenden Mythos militanter Tradition: die Unverwundbarkeit der RZ und damit des Modells autonomer militanter Zellen an sich, für die die RZ Taufpate stand. Das tut weh.

Zweitens ist es der vorläufige Höhepunkt einer Serie von Repressionsschlägen der letzten zwölf Jahre, die die vorher lange relativ "erfolgsverwöhnte" Berliner Szene durchgeschüttelt haben: 1988 der VS-Bulle Benzig, der zwei GenossInnen in Sachen "Amazonen"-Anschläge in U-Haft brachte, 1992/94 der "Fall Kaindl", 1995 die Razzien in Sachen K.O.M.I.T.E.E. und Radikal mit Haftbefehlen gegen diverse Menschen, 1997 die Razzia gegen die Interim, 1999 die Razzien wegen Anti-Castor-Anschlägen, und dazwischen noch allerlei kleinere Aktivitäten, zum Beispiel gegen die Antifa-Szene... Das hinterläßt Spuren.

Drittens, und damit rücken wir vor bis zur Gegenwart, hat meiner Meinung nach auch die Reaktion der potentiell Betroffenen zum Dilemma beigetragen. Das Gegeneinander von Rede- und Denkverboten von der einen Seite und die wüsten Spekulationen von der anderen Seite wirken lähmend. Es gibt faktisch keine politische Solidaritätsbewegung mit den Gefangenen, sondern im Wesentlichen eine Struktur zum juristisch-technischen Umgang mit der Situation, die notwendigerweise völlig dominiert ist von den RechtsanwältInnen.

Ich gehe davon aus, daß diese die Interessen ihrer MandantInnen vertreten und aus professionellen Erwägungen heraus handeln, wenn sie - wie bisher geschehen - massiv "deckeln" und politische Aspekte aus dem Verfahren auszublenden versuchen. Deswegen mache ich auch den AnwältInnen keinen Vorwurf (obwohl es durchaus auch die Position gibt, ein offensiv-öffentlicher Umgang mit dem Verfahren sei auch juristisch ein sinnvoller, was allerdings sofort im Dezember 1999 hätte eingeleitet werden müssen...). Im Gegenteil: Von den AnwältInnen ist genau diese beschriebene Herangehensweise zu erwarten.

In der Zwickmühle sitzen die UnterstützerInnen und FreundInnen der Betroffenen. Sie kommen aus unterschiedlichen Bereichen und haben sicher alle Mühe damit, ihren Kreis zusammenzuhalten und sich nicht an internen Konflikten aufzureiben. Informationshierarchien, Sozialprestige, Konkurrenz, Mißverständnisse, Überlastungen... Und dann wird von außen erwartet, die Leute sollen politische Orientierung für eine Soli-Bewegung geben. Die Beispiele der letzten 15 Jahre zeigen, daß diese Last noch keine Soli-Gruppe schultern konnte - es sei denn, die Betroffenen kamen alle aus derselben sozialen und politischen Ecke, oder es gab klare Vorgaben von Seiten der Gefangenen (wie im Falle der RAF). Angesichts der Mehrfachbelastung von Gruppen- und Plenums-Streß und der notwendigen Verknüpfung teils widersprüchlicher Interessen von Gefangenen, Angehörigen, FreundInnen, AnwältInnen, Mitbetroffenen und Politszene werden die Soli-Plena traditionell rasch kleiner und schweigsamer, und drumherum blühen allerlei Gerüchte und Mißstimmungen. Und diese Gerüchte werden überall produziert, von allen Beteiligten - oft, ohne es zu merken. Ich will mich lieber gar nicht daran erinnern, wieviel Quatsch mir in den letzten Monaten auch von alten, erfahrenen GenossInnen erzählt wurde - und manches davon habe ich auch noch anderen weitererzählt...

Ich bin nicht der Meinung, daß sich das ändern würde, wenn die Aussagen Tareks veröffentlicht würden. Ich glaube, daß viele, die eine Offenlegung fordern (sind es überhaupt so viele?), anders reden würden, wenn ihre eigenen Namen darin die Hauptrolle spielen würden. Andererseits entsteht Solidarität nicht nur aus Wissen und Anteilnahme, sonst wird's schnell zu Gehorsam aufgrund von Disziplin - die Partei verordnet Solidarität, und wir schwenken Fähnchen... Die immer wiederkehrende Trotzreaktion auf diese Überlegung ist: Aber wieso denn? Weshalb müssen die Leute so viel wissen, um solidarisch zu sein? Die wollen doch nur Infos haben aus purer Neugier! Das stimmt zwar auch, aber so sind sie nun mal, die Leute. Ah, ich sehe, gerade kommt der olle Brecht ins Zimmer und flüstert mir ins Ohr: Wer das nicht aushalten kann, löse die alte Szene auf und wähle sich eine neue.

Was mich richtig nervt, ist, daß sich bei einigen Leuten plötzlich die ganze Welt um den eigenen Bauch zu drehen scheint, wodurch sich ihre persönlichen Interessen und Ängste auf irritierende Weise mit politischen Debatten vermischen. Und das gilt für Menschen aller verwickelten Fraktionen, ob sie nun für die politische "Öffnung" eintreten oder für einen defensiven Umgang. Die Unfähigkeit, andere Sichtweisen zu akzeptieren (oder überhaupt nur zu begreifen) und damit umzugehen, macht sicher einen großen Teil des Stresses aus, unter dem alle leiden - auch die, die ihn selbst produzieren.

Aber die "Biographisierung" der radikalen Linken scheint ja gerade in Mode zu sein. Die Geschichte der militanten Politik v.a. der bewaffneten Gruppen wird kaum von aktiven Gruppen oder Einzelnen thematisiert, sondern in den persönlichen Erinnerungen Einzelner abgehandelt. Diese Biographien haben ihre Berechtigung, aber das kann doch nicht alles gewesen sein!? Auf der politischen Bühne scheint sich die Parole "Das Private ist politisch!" so verselbständigt zu haben, daß linksradikale Politik im Wesentlichen von den persönlichen Befindlichkeiten der Einzelnen gesteuert wird.

Ebensowenig will ich mich damit zufrieden geben, daß - meistens in den letzten Jahren - politische Verfahren und Prozesse zur Privatangelegenheit mehr oder weniger zufällig Betroffener und ihrer AnwältInnen werden. Der Repressionsschlag rund um Tarek Mousli richtet sich, wie gesagt, nicht gegen den Mehringhof und nicht gegen antirassistische Arbeit, sondern gegen militante linksradikale Organisierung, völlig unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Aussagen. Damit hat sich die radikale Linke zu befassen und - angesichts der offensichtlich angeschlagenen Verteidigungsstrategie - nicht die AnwältInnen und nicht die unmittelbaren UnterstützerInnen der Beschuldigten.

Es ist auch klar, daß die im Raum stehenden Knaststrafen so hoch sind, daß gerade die Gefangenen sehr vorsichtig und gründlich jedes öffentliche Wort abwägen müssen und werden. Die Konsequenz daraus scheint mir, daß - wie erlebt bei den beiden bisherigen Veranstaltungen in Berlin, Humboldt-Uni (am 23. März 2000) und Kato (am 6. Juni 2000)- jeder Versuch, alles unter einen Hut zu bringen, zu einer weiteren politischen Demobilisierung und Lähmung führt. Wer die Soli-Bewegung der letzten Jahre miterlebt hat, wendet sich mit Grausen ab angesichts des Wiederholungszwangs und denkt sich, daß jede Szene die Soli-Bewegung bekommt, die sie verdient. Es ist dasselbe Prinzip wie oben beschrieben in Sachen militanter Politik: Wo keine offensive, mutige politische Szene ist, ist auch kein entsprechender Ausdruck der Solidarität.

Es gab in der Vergangenheit schon einige öffentliche Stellungnahmen dazu, wobei ich vor allem die Interim 497 (23.März 2000) empfehlen möchte mit dem Text "Wo soll das alles enden?" (von "Dave Boman") und "Akte RZ ungelöst" (aus der Zeitung Libertad). Es gibt an beiden Texten auch manches auszusetzen - unter anderem die unkritische Übernahme von Spekulationen und Kolportagen etwa aus dem Focus. Was die politische Einschätzung zum "Fall Tarek" und der Soli-Bewegung angeht, sind sie aber in meinen Augen unverändert aktuell und legen den Finger auf die richtige Wunde.

Dennoch bleibt eines klar: Schlaue Interim-Beiträge oder in "äußeren" Medien lancierte Veröffentlichungen (wie jüngst in Tagesspiegel und taz am 23.6.) sind nichts als bedrucktes Papier, solange dahinter nicht solidarisches Interesse und Engagement von vielen Menschen erkennbar wirken.

Die Erscheinungsform der "Soli-Bewegung" als verkniffene wortkarge Geldsammel-Agentur wird sich von selbst nicht ändern.

Es liegt an allen Menschen drumrum, selbst tätig zu werden und die politische Initiative zu übernehmen!


Egon Enzian, Juni 2000


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kombo(p) - 24.10.2001