kassiber 46 - Juli 2001

Editorial


"Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen!" war eine Losung der AktivistInnen in der DDR. In dem kleineren der beiden mittlerweile von der politischen Landkarte verschwundenen Arbeiter- und Bauernstaaten hatte 1948 der erste Aktivist, Adolf Hennecke, vor einem Wald aus Kameras die Leistungsnorm der Bergarbeiter steil in die Höhe getrieben (auf 387 Prozent) - mit Hilfe einiger Vor- und Zuarbeiter, die allerdings nicht auf den Fotos auftauchten. Wer glaubt, Henneckes Konterfei noch nie gesehen zu haben, erinnere sich an das Agitpop-Plakat vor einigen Monaten - ja, das mit dem sympathischen, kohlebeschmierten Arbeiter, der einen Preßlufthammer in seinen Händen hält.

Eine Serie verschiedener Duftwässerchen mit dem Namen Activist (siehe Titelblatt) ist übrigens kürzlich wieder aus dem Angebot genommen worden. Vielleicht hat sich der Vertrieb ja bei dem Versuch, das Zeug in den "neuen Bundesländern" zu verticken, ein paar eingeschlagene Fensterscheiben eingehandelt. Oder in den Filialen der sogenannten alten Bundesländer gingen die Scheiben zu Bruch, als die Geschäftsleitungen um die Auslage des neuen Sortiments herum plötzlich Scharen herumstreunender Schmuddelzecken entdeckten und versuchten, die wieder rauszuwerfen. So oder so - jedenfalls kein wirklicher Verlust, meint die leidgeprüfte Redaktion, deren eines Mitglied das entsprechende Duschgel im Selbstversuch getestet hatte. Und das kurz vor Drucktermin.

Auch in Göteborg war die Fenster-Zerfallsrate vorübergehend recht hoch - unserer Meinung nach allerdings zum Teil in den falschen Gebäuden. Der Göteborger Polizei aber war jede einzelne Scheibe ans Herz gewachsen, und so schoß sie kurz entschlossen in die Menge - um die Gewalt zu stoppen nämlich. Ihre in größeren Rudeln auftretenden europäischen KollegInnen werden wohl demnächst, in Genua zum Beispiel, versuchen, die Presse weniger zu verschrecken. Wenn das Abriegeln und vorbeugende Verhaften nicht ausreichen sollte, werden aber auch sie nicht zögern, so richtig reinzuprügeln. Der Plan muß ihnen versaut werden! Aber NICHT NUR VON GIPFEL ZU GIPFEL SCHWINGEN, mahnt Indymedia. Es sollen auch politische Alternativen aufgezeigt werden. Na, der "heiße Gipfel-Sommer" hat ja gerade erst angefangen. Wir hoffen, ab jetzt - gemeinsam mit der Wettervorhersage - nicht mehr über Tiefs berichten zu müssen.

Wer jetzt schon vor Hitze nicht einschlafen kann, sollte es mal mit dem Artikel DER NATO-KRIEG GEGEN JUGOSLAWIEN IN DER PROPAGANDA DER DEUTSCHEN BUNDESREGIERUNG probieren. Um sich weiterzubilden natürlich, nicht als Mohnersatz. Obwohl der Text auch ein paar Längen hat, zugegeben. Analysen sind eben nicht immer super aufregend.

Aufgeregt hat sich hoffentlich nicht nur die Redaktion über die neue Werbeaktion der Stadt, mittels derer die BremerInnnen wohl trotz Staus, ausgedehnten Bahnfahrts- und Wartezeiten, Dreck, Lärm und ...zig Millionen Mark, die in die Baustellen versenkt werden, ihren Humor wiederfinden sollen. Nicht nur, daß hier für eine Stadtsanierung, die sich zum größten Teil nur an Kommerz und Kontrolle ("Innere Sicherheit") orientiert, plötzlich Summen flüssig gemacht werden können, die jedem Vergleich mit den ach so notwendigen Einsparungen z.B. im Jugend- und Sozialbereich spotten! (SIELWALLHAUS BLEIBT!!) Darüberhinaus dienen als Werbeträger auch noch vier niedliche Maulwürfe (auch in Plüsch zu haben, billich-made in Südostasien), die den bewußt zweideutig gehaltenen Namen "die neuen Aufreißer" tragen. Angeblich sind die "neuen Aufreißer" sehr beliebt. Wundern kann mensch sich ja nicht mehr über solche Peinlichkeiten. Schlimmer ist bloß, daß solche jämmerlichen Scherze einen erschreckend realen patriarchalen Hintergrund haben.

Der sich auch in Verlauf und Ausgang des "Toros-Prozesses" gezeigt hat. Nachdem uns eine Prozeßbeobachterin für die letzte Ausgabe einen Zwischenbericht geliefert hat, unternimmt sie nun in DIE MACHT DER BILDER den Versuch, einmal gründlicher nachzuvollziehen, was in diesem Prozeß eigentlich abgelaufen ist.

Ein ausführlicher Artikel zu Neugründung und Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinde in Bremen zwischen 1945 und 1961 verbirgt sich hinter dem Titel IMMER WIEDER KÄMPFEN MÜSSEN. Selbst gebürtige BremerInnen können hier sicherlich noch die eine oder andere Wissenslücke schließen.

Die Erfolge der Bremer Polizei in der "Drogenbekämpfung" wollen wir dem geneigten Publikum natürlich auch nicht vorenthalten: Zwar werden jetzt nicht mehr Drogen gefunden oder Großdealer ausfindig gemacht als sonst (in betuchteren Gegenden wurde vielleicht auch gar nicht so akribisch gesucht). Dafür gibt es immer mehr vorläufige Festnahmen von "Verdächtigen". Bravo! Nachzulesen in: POLIZEIPRAXIS UND RASSISMUS IN BREMEN. Ach ja, verdächtig können sich Menschen natürlich schon allein dadurch machen, daß sie so aussehen, als besäßen sie keinen deutschen Paß ...

Da wir gerade beim Thema sind: Nicht vergessen, die aktuellen Infos zur Verhinderung der Abschiebung der kurdischen LibanesInnen einzuholen! Unter STOP DEPORTATION! findet ihr auch den Text für die Protest-Unterschriftensammlung. Im Anschluß haben wir noch einmal das Flugblatt vom 21.Juni abgedruckt: ROTE KARTE FÜR DEN INNENSENATOR!

Zur Diskussion um die RZ bringen wir diesmal den Artikel MILITANTE PANTHERTANTEN FINDEN AN JEDEM TISCH KANTEN, den wir der LeserInnenschaft sehr ans Herz legen möchten. Der Text ist eine gute Grundlage für Diskussionen über militante Politik, vielleicht gerade weil er selbst einige Kanten besitzt, an denen mensch sich stoßen kann.

Nach einer Serie desaströser nächtlicher Computerabstürze ist nun nicht nur das Redaktionsmitglied, das für dieses Mal zum Schreiben des Editorials verknackt wurde, ziemlich fertig. Zum Glück gibt es demnächst wieder etwas Aufwind aus der linken Zeitungslandschaft: Die radikal hat sich wieder zu Wort gemeldet. Während die alte Redaktion noch titelt: AUCH WENN'S NICHTS ZU LESEN GIBT: BLEIBT RADIKAL!, schreit die neue schon aus vollem Halse: JA, TANZEN!

Na, denn man los. Aber linksrum!


Die Redaktion, 24. Juni 2001


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kombo(p) - 24.10.2001