Ein Auszug aus - kassiber 45 - Mai 2001

Wieder ein Naziaufmarsch in Bremen-Nord

AntifaschistInnen sorgten für erhebliche Unruhe bei Nazis und Polizei


Am 17. März fand in Bremen-Vegesack ein Naziaufmarsch mit etwa 130 TeilnehmerInnen statt. Dieser war ursprünglich in Weyhe geplant, als "Protest" gegen einen "Aktionstag gegen Rechts", wurde dann aber auf Grund "unzumutbarer" Auflagen von den Nazis nach Vegesack verlegt.

Organisiert wurde der Aufmarsch von NPD und JN sowie den "Freien Kameradschaften". Als Anfang der neunziger Jahre viele Nazi-Organisationen und -Parteien verboten wurden, erhielt die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) enormen Zuwachs. Zusammen mit ihrer Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) ist sie heute eine der wichtigsten neofaschistischen Organisationen der BRD. Als legaler Arm der gesamten neofaschistischen Szene läßt sich hier das ganze rechtsradikale Spektrum von Altnazis bis zu jungen Skins finden. So ist die NPD/JN nicht mehr als reine Wahlpartei zu sehen, sondern vor allem als Organisation, die lautstark den Kampf auf der Straße propagiert und in den vergangenen Jahren zahlreiche Aufmärsche organisiert und unterstützt hat. Im Land Bremen hat die NPD an die 60 Mitglieder, tritt unter anderem zu Bürgerschaftswahlen an und organisiert Infotische. Nachdem ihr Versuch, am 1. Mai 1999 in Bremen zu marschieren scheiterte, fanden am 23. Mai 1999 in Blumenthal und am 15. Januar 2000 in Weyhe Aufmärsche statt.

Die andere Organisierungsform aktiver Neonazis besteht aus über das gesamte Bundesgebiet vernetzten Kleingruppen. In Norddeutschland haben sich diese zum "Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland" zusammengeschlossen. Der "Nationale Widerstand Bremen" sieht sein Hauptaktionsfeld im Ausbau von Strukturen in Stadtgebieten und Umlandgemeinden, vor allem da, wo es keine oder wenig linke Subkultur gibt. So kommt es vermehrt vor, daß sich Nazikader in ländlichen Gebieten, in denen sie wenig Widerstand zu befürchten haben, niederlassen. In diesen Dörfern und Gemeinden mobilisieren sie junge Nazis und versuchen, durch Plakatier- und Aufkleberaktionen rassistische und faschistische Positionen salonfähig zu machen.

Die beiden Organisierungsansätze - legale Partei und "Freie Kameradschaften" - arbeiten je nach Region mehr oder weniger eng zusammen. In Bremen und Umgebung gibt es mittlerweile an die acht Kameradschaften, die oft direkt mit NPD/JN zusammenarbeiten. Das zeigte sich erneut in Vegesack.

Die Aktivitäten der Bremer Nazis beschränken sich nicht auf das Zuplakatieren einzelner Dörfer und das Mitmarschieren bei Aufmärschen. So gab es zwischen Januar und September 2000 mehr als zehn Anschläge auf linke Einrichtungen und PKWs (davon allein vier auf das Büro der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten/VVN-BdA). Außerdem kommt es immer wieder zu Übergriffen auf MigrantInnen und Linke und zu Störaktionen bei antifaschistischen Infoveranstaltungen. Der Sprengstoffund bei L., einem Mitglied der Kameradschaft Bremen-Nord, im Oktober 2000 verdeutlicht, wie militant die hiesige Naziszene ist.

Gleich nach Bekanntwerden der Anmeldung für Vegesack durch den NPD-Vorsitzenden Jörg Wrieden war die Reaktion des Stadtamtes, ein Verbot des Aufmarsches dort gar nicht erst anzustreben. Damit war Vegesack als Aufmarschort besiegelt und eine Durchsetzung desselben mit massiven Polizeieinsatz wahrscheinlich. Einzig die hanebüchenen Auflagen - keine Springerstiefel, keine Bomberjacken etc. - zeigten einen Anflug von Einschränkung. Der Unsinn solcher Auflagen wird allerdings schnell deutlich, wenn man sich die Bilder des Aufmarsches ansieht, und sie berühren die politischen Aussagen der Nazis rein gar nicht.

Trotz der kurzen Mobilisierungszeit gelang es antifaschistischen und autonomen Gruppen, rund 300 Menschen auf die Straße zu bringen, die aktiv versuchten, den Aufmarsch zu verhindern. Weil in den ersten Tagen nach Bekanntwerden der Nazianmeldung das Verhalten von Kirchen, Gewerkschaften und anderen bürgerlichen AntifaschistInnen unklar blieb, wurde von verschiedenen antifaschistischen Gruppen und Initiativen aus Bremen und umzu eine eigene Kundgebung angekündigt. Diese war dann auch die einzige Veranstaltung, die rechtzeitig (das heißt zeitig vor dem Termin der Nazis) stattfinden sollte.

Die für diese Kundgebung anreisenden Antifas wurden gleich zu Beginn am Vegesacker Bahnhof von einem Großaufgebot der Polizei in Empfang genommen und unter Zuhilfenahme der polizeilichen Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) rund um die Fußgängerzone herum zu einem angemeldeten Kundgebungsort eskortiert. Unmißverständlich wurde klargemacht, daß es keine Möglichkeit geben sollte, geschlossen auf die Route der Nazis zu gelangen und diese wie geplant zu blockieren - oder auch nur als Demozug durch die Fußgängerzone zu laufen.

Daraufhin verließen kleinere Gruppen die Kundgebung und versuchten, sich in der Stadt und in der Nähe der Naziroute wieder zu treffen. Das ist erstaunlicherweise gut gelungen, so daß in den folgenden Stunden praktisch überall "Nazis raus"-Rufe ertönten ...

Es beteiligten sich etliche Vegesacker Anwohnerinnen an den Protestaktionen. Zu einer Kundgebung des DGB kamen nochmal 300 Leute, die sich letztendlich auch in Richtung Naziaufmarsch bewegten. Die Polizei mußte die Antifas immer wieder in die Seitenstraßen abdrängen, wobei es einige Male zu Schlagstockeinsätzen kam. Doch gelang es nicht wenigen Leuten, nah an die Nazis heranzukommen, und es kam zu Stein- und Eierwürfen auf den Aufmarsch.

Nach der Abschlußkundgebung gab es eine Schlägerei zwischen GegendemonstrantInnen und Nazis, woraufhin mehrere Personen verhaftet wurden. Zum gleichen Zeitpunkt kam es zu einem Auffahrunfall zwischen zwei Naziautos, da der eine Fahrer den GegendemonstrantInnen mehr Aufmerksamkeit schenkte als dem Verkehr. Bei der folgenden Abfahrt wurden mehrere Naziautos mit Steinen beworfen, wobei einigen Scheiben zu Bruch gingen. In dieser Situation kam es auch zu dem in der Presse vom 18. März erwähnten Schußwaffeneinsatz eines Polizeibeamten. Entgegen der offiziellen Darstellung gab es jedoch keinen Grund für dieses lebensgefährliche und vollkommen unverhältnismäßige "Rambo-Verhalten". Der Polizist wurde in keinster Weise bedroht oder angegriffen, sondern lediglich ignoriert. Daraufhin hielt er es offenbar für nötig, seiner Anwesenheit durch das Abfeuern von etwa fünf Schüssen, knapp über die Köpfe der vor ihm stehenden Personen, Ausdruck zu verleihen. Als er auf seine Aktion angesprochen wurde, sprühte er den Personen Pfefferspray ins Gesicht.

Die Nazis ließen in ihrer Pressemitteilung danach verlauten, sie pfiffen auf den polizeilichen Schutz. Doch nach Aussage der Polizei "sind das so markige Sprüche. Im Vorfeld fragen die Rechten immer ganz ängstlich an, ob denn auch genügend Polizei da ist." Außerdem kündigen sie einen erneuten Aufmarsch in den nächsten Wochen in Bremen-Nord an. (Wir hoffen dann ohne polizeilichen Schutz)

Im Gegensatz zur antifaschistischen Gegenmobilisierung in Blumenthal 1999, wo die Antifademonstration sehr leicht von den Nazis getrennt gehalten werden konnte, gelang es diesmal, wenn auch ohne effektive Blockade, zumindest auf der Straße zu sein, für Unruhe bei den Nazis und der Polizei zu sorgen und als antifaschistische GegendemonstrantInnen allgegenwärtig zu sein. In Blumenthal wurde noch daran festgehalten, daß die Demonstration zusammen bleiben sollte und als solche auf die Route der Nazis zu gelangen. Ins Abseits geschoben, wurde bis an die Polizeiketten demonstriert, an denen kein Durchkommen war, während die Nazis zwar auf einer verkürzten Route und im Eiltempo, im übrigen aber ungestört, marschieren konnten. Dieses Mal wurde die Kundgebung als Anlauf- und Sammelpunkt genutzt, auf der auch der Lautsprecherwagen und damit die Durchsagen in unserer Hand waren, doch dann wurde flexibler zu einem dezentralen Konzept gewechselt. Dieses war nicht weiter und vielleicht zu wenig vorbereitet, kann aber auch gar nicht wirklich geplant werden, sondern hängt von der Eigeninitiative der Leute ab. Das Erfreulichste an Vegesack war denn auch, daß ganz viele verschiedene Leute und Gruppen ganz viele verschiedene große Erlebnisse hatten.


Kick it!


bezugsmöglichkeiten


zurück!

kombo(p) - 16.05.2001