Ein Auszug aus - kassiber 45 - Mai 2001

Berliner RZ-Prozeß begann Ende März


Am 22. März begann im Berlin Kriminalgericht Moabit der vorläufig bis zum 17. August terminierte Prozeß gegen vier angebliche ehemalige Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ). Axel Haug, Harald Göde, Matthias Borgmann sowie Sabine Eckle sollen an folgenden Anschlägen der "terroristischen Vereinigung" beteiligt gewesen sein: An den "Knieschußattentaten" auf den Leiter der Berlin Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, im Oktober 1986 sowie auf den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Günter Korbmacher am 1. September 1987, am Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) im Februar 1987 und am Anschlag auf die Siegessäule in Berlin-Tiergarten Anfang 1991 (vgl. kassiber 44, März 2001, S. 45f).

Verhandlungstage sind jeweils am Donnerstag und Freitag im Saal 500 des Kriminalgerichts Moabit, Turmstraße 91, 10559 Berlin. Bisher gibt es noch keinen veröffentlichten Ladungsplan. Es ist aber davon auszugehen, daß sich das Gericht in den ersten Wochen mit folgenden zwei Themen beschäftigen wird: Einerseits die Geschichte der Revolutionären Zellen, andererseits die Aussageentstehung des Kronzeugen Tarek Mousli.

Beim ersten Komplex ist zu erwarten, daß verschiedene RZ-Erklärungen sowie relevante Urteile aus früheren RZ-Verfahren verlesen werden. Beim zweiten Komplex ist es vorstellbar, daß der "Ermittlungsführer" des Bundeskriminalamtes (BKA) zur Entwicklung der Aussage des Kronzeugen gehört wird. Sollte es bei dieser Planung bleiben, ist mit dem Erscheinen des Kronzeugen Tarek Mousli vor Gericht nicht vor Ende April/Anfang Mai zu rechnen.

Die erste Prozeßtag wurde bereits nach etwa zwei Stunden aufgrund fehlender Unterlagen, die zur Überprüfung eines möglichen Verfahrensfehlers notwendig sind vertagt, ohne daß es zur Verlesung der Anklageschrift kam. Die Rechtsanwälte Becker und Eisenberg hatten im Namen aller RechtsanwältInnen einen Antrag auf Unterbrechung der Hauptverhandlung gestellt. Um prüfen zu können, ob tatsächlich die zuständigen Ergänzungsrichter ihr Amt wahrnehmen - ihnen kommt im Falle der Erkrankung der Beisitzenden Richter die Aufgabe zu, diese zu vertreten -, fehlten den StrafverteidigerInnen wesentliche Unterlagen. Erst wenige Tage vor Prozeßbeginn - so Becker und Eisenberg - sei ihnen von der Kammergerichtspräsidentin auf Anfrage mitgeteilt worden, daß der Beisitzende Richter Alaban bereits im Vorfeld des Prozesses die Zusammensetzung der Ergänzungsrichter in einem Schreiben kritisiert hat. Dies habe allerdings nicht zur Prüfung geführt. Der Kern des Problems sei, so die Rechtsanwälte, daß ein nicht ordnungsgemäß zusammengesetztes Gericht gegen Artikel 19 Grundgesetz (Jeder Beschuldigte hat das Recht auf einen gesetzlichen Richter) ebenso verstoße wie gegen wesentliche Teile der Strafprozeßordnung und des Gerichtsgesetzes. Sollten also nicht rechtmäßig berufene Ergänzungsrichter zum Einsatz kommen, wäre dies ein Grund, etwaige Gerichtsentscheidungen anzufechten.

Weiterhin wurde am ersten Verhandlungstag der Gesundheitszustand von Sabine Eckle erörtert. Sie wies darauf hin, daß sie seit Jahren an Migräneanfällen leidet, die im Normalfall zwei bis drei Tage andauern. Ihr Gesundheitszustand habe sich durch die seit ihrer Festnahme am 19. Dezember 1999 andauernde Untersuchungshaft deutlich verschlimmert: schwere Anfälle dauerten inzwischen acht bis zehn Tage an und gingen mit unerträglichen Kopfschmerzen und Erbrechen einher. Inzwischen wiege sie noch 43 Kilogramm.

Rechtsanwältin Edith Lunnebach monierte die vom Gericht angeordneten "Sicherheitsvorschriften", vor allem, daß die Ausweispapiere der ProzeßbesucherInnen kopiert würden und daß die Personenschützer des Bundeskriminalamtes (BKA) für den Kronzeugen Tarek Mousli zu dessen Schutz im Gerichtssaal Waffen tragen dürften. Dafür bestände keinerlei Notwendigkeit. Das erste und letzte Mal, so Edith Lunnebach, daß sie bewaffnete Kräfte in einem Gerichtssaal erlebt habe, sei vor einem Militärgericht in der Türkei gewesen.

Rechtsanwalt Becker warf der Bundesanwaltschaft vor, sie würde als Teil einer Inszenierung auf das bewaffnete Erscheinen der BKA-Beamten beharren. Für die Öffentlichkeit solle die Atmosphäre von Terroristenprozessen der siebziger Jahre entstehen. Gleichzeitig erinnerte er daran, daß der Kronzeuge Tarek Mousli der einzige war, der bei seinen Prozeßauftritten in Berlin und Frankfurt am Main ein schußsichere Weste getragen habe. Von einer angeblichen Bedrohungssituation für den Kronzeugen könne aber keine Rede sein: "Die Hauptbedrohung geht von ihm selber aus."

Kurz vor Beendigung des ersten Verhandlungstages monierte Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, daß einigen ProzeßbesucherInnen der Eintritt in den Saal 500 verwehrt worden sei, obwohl noch genügend Plätze zur Verfügung standen. Außerdem sei es auch einer Delegation internationaler ProzeßbeobachterInnen nicht gestattet worden, Schreibzeug und Papier mit in den Gerichtssaal zu nehmen. Das galt im übrigen auch für alle anderen ProzeßbesucherInnen.

Am zweiten Prozeßtag wurde zunächst die angekündigte, das Gericht betreffende Besetzungsrüge durch die Verteidigung vorgetragen. Danach stellte Rechtsanwalt Kaleck den Antrag, das Verfahren einzustellen, weil ein nicht behebbares Verfahrenshindernis bestehe. Es liege ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahren vor, da der Grundsatz der Waffengleichheit der Verfahrensbeteiligten und die Ausgestaltung des Gerichtsverfahrens als kontradiktorisches Verfahren nicht mehr gegeben sei. Damit sei der Verteidigung die Möglichkeit genommen, Widersprüche in den Aussagen von Tarek Mousli - dem Hauptbeweismittel - aufklären zu können. In seinen Ausführungen beschuldigte er die Bundesanwaltschaft, alles dafür getan zu haben, daß eben dieses Beweismittel unbrauchbar gemacht wurde. Nach den monatelangen Vernehmungen durch Beamte des Bundeskriminalamtes und der Bundesanwaltschaft sei davon auszugehen, daß Tarek Mousli lediglich eine Mischung aus konkreten Erinnerungen, Hinzu- und Hinweggedichtetem, Erlerntem und nach Vorhalten durch die Ermittlungsbehörden Korrigiertem in der Hauptverhandlung vortragen werde. Von einem fairen Prozeß könne angesichts dessen nicht mehr gesprochen werden.


Weitere Informationen

www.freilassung.de - Die gut gepflegte und immer aktuelle Homepage des "Berliner Bündnisses für Freilassung" enthält aktuelle Prozeßberichte, eine umfangreiche Pressedokumentation zum laufenden Prozeß, zu dem gegen Tarek Mousli sowie zum Frankfurter "OPEC-Prozeß". Außerdem Einschätzungen und Diskussionsbeiträge aus linksradikalen Zusammenhängen, Informationen zur Solidaritätsarbeit, zur Kronzeugenregelung, Briefe von den Gefangenen und anderes mehr.

Berliner Bündnis für Freilassung, Soli-Büro im Mehringhof, Postanschrift: Gneisenaustraße 2a, 10961 Berlin, Tel: 030-6935670, Fax: 030-69508643, eMail: info@freilassung.de, Öffnungszeit: montags, 16-19 Uhr.


Spendenkonto

Martin Poell, Kontonummer 2705-104, Postbank Berlin (BLZ 100 100 10), Stichwort "Freilassung"


bezugsmöglichkeiten


zurück!

kombo(p) - 16.05.2001