Ein Auszug aus - kassiber 45 - Mai 2001

In Gefahr und höchster Not scheint der Mittelweg Gebot

In einem weiteren Diskussionspapier anläßlich der Gerichtsprozesse gegen angebliche Mitglieder der Revolutionären Zellen gibt es neben Zustimmung zu den im auf diesen Seiten abgedruckten Text vertretenen Positionen auch Kritik, und zwar zu der Frage, ob der Verrat (Tarek Mouslis) erst mit den Aussagen vor Gericht begangen wird. Und ob sich der Umgang im Rhein-Main-Gebiet mit Aussagen und Aussagenden nach den Schüssen an der Startbahn West im Jahre 1987 nahtlos auf Tarek Mousli übertragen läßt. Wir veröffentlichen das Diskussionspapier von "einige[n] Autonomen" aus Berlin, die sich bereits im Sommer 2000 (vgl. interim 505) zu Wort gemeldet hatten, stark gekürzt. Vollständig findet es sich in der interim 520 vom 22.2.2001 sowie im Internet unter www.freilassung.de - hier allerdings mit einigen wohl durch das Einscannen bedingten Fehlern. (kassiber-Redaktion)

[...] Das, was die GenossInnen zu dem Verhältnis Autonome - RZ/Rote Zora schreiben, finden wir ganz gut und können uns dem weitgehend anschließen. Wo beginnt aber Verrat? Für die Berliner und Frankfurter GenossInnen beginnt der Verrat des Kronzeugen erst vor den Schranken des Gerichts. Das sehen wir anders. Den Bullen sind nicht nur sechs Beschuldigte ans Messer geliefert worden. Tarek hat mit seinen Aussagen dermaßen viel über linksradikale Strukturen und Personen den Bullen preisgegeben - und sich von den besonders militanten Aktionen immer schön distanziert. Erinnert sei zum Beispiel an Tareks Aussagen, wonach der Funkverkehr des Berliner Verfassungsschutzes und des Observationstrupps des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) der Polizei lückenlos abgehört wurde (Zitat Tarek aus früheren Szenetagen: ,,Macht euch keine Sorgen. die haben wir im Griff").

Ebenso schwerwiegend ist Tareks Umgang mit seiner Geschichte, auch wenn seine alten Bezüge und politischen Beziehungen sich aufgelöst haben. An diesem Punkt kannst du eben nicht ,,Privatier" werden. Hier bleibst du Zeit deines Lebens ein politischer Mensch mit Verantwortung für dich, die anderen und die Sache, für die du gekämpft hast. Dafür ist es unerheblich, ob jemals in den alten Gruppen ,,Übereinkünfte" abgemacht worden sind, wie mensch sich in der weiteren Zukunft zu der gemeinsamen (militanten) Geschichte verhält. Dies ist und bleibt ein ungeschriebenes Gesetz, was in den letzten 30 Jahren auch nur gelegentlich durchbrochen worden ist. Wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Angesichts der vielen linksradikalen militanten Gruppen, die es in den siebziger und achtziger Jahren gab, hat es sehr wenig Verrat gegeben. ,,So anders als die meisten in der Szene ist der nicht", schreiben die Berliner und Frankfurter Autonomen in dem "Diskussionspapier" zu Tarek. Wir haben genau die gegenteilige Auffassung, sein Verhalten ist ganz anders als es 'normal' in der Szene war und ist.

Die AutorInnen des ,,Diskussionspapier" haben den Umgang im Rhein-Main-Gebiet nach den Startbahnschüssen 1987 mit Aussagen und Aussagenden nahtlos auf Tarek übertragen. Dies geht nicht, da völlig andere Voraussetzungen vorliegen. Damals schwer verunsicherte und überforderte GenossInnen, die unter dem Eindruck eines Doppelmordvorwurfes Aussagen machen, sich aber - zumindest teilweise - weiterhin in der Szene verorten und bereit sind, sich Diskussionen zu stellen und über ihre Fehler zu reflektieren. Hier der unter der alleinigen Verfügbarkeit der Bundesanwaltschaft stehende, kalt kalkulierende und berechnende Mathematiker Tarek (sieben Jahre für mich abzüglich sechs weitere Gefangene macht zwei Jahre auf Bewährung) - unerreichbar für jegliches Papier, jegliches Anreden, jegliche Diskussion. Die Hoffnung auf Rücknahme seiner Aussagen war naiv, der Seitenwechsel war total und das von dem Moment an, wo er sich entschlossen hatte, mit den Bullen zu kooperieren. Solche Typen haben nur Verachtung zu erwarten: Nicht umsonst können fast alle in der Gesellschaft die Parolen ,,Der größte Lump im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant" oder ,,Alle lieben den Verrat, aber niemand den Verräter" unterschreiben. Selbst die vernehmenden BKA'ler dürften Tarek nicht als Sympathieträger sehen, sondern als Informanten, als Zuträger, der um seiner selbst willen bereit war und ist, alles und alle zu verraten und zu belasten. Die ,,Endgültigkeit" des Verrats (so das ,,Diskussionspapier") entscheidet sich nicht erst im Gerichtssaal. [...]


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kombo(p) - 16.05.2001