Ein Auszug aus - kassiber 45 - Mai 2001

Eine Antwort auf die melange-Broschüre "We don't like your love song"

Authentische Guerilla-Fans antworten der vestra-culpa*-Fraktion


Am 13. Oktober fand unter dem Titel "Zeiten des Zorns - Zur Geschichte und Politik der Revolutionären Zellen" eine vom Antifaschistischen Komitee und einigen anderen Genossen und Genossinnen organisierte Veranstaltung statt. Anlaß waren die Verhaftungen mehrerer Frauen und Männer, denen unter anderem Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen vorgeworfen wird. Als Referenten waren Klaus Viehmann und Stefan Wisniewski eingeladen. Die zwei ehemaligen Aktivisten der Stadtguerillagruppen "Bewegung 2.Juni" beziehungsweise RAF waren bereits in diversen anderen Städten mit dieser Veranstaltung aufgetreten und machten jetzt in Bremen Halt.

Bereits im Vorfeld der Veranstaltung wurde ein ziemlich mieses Flugi unter dem Titel "'Zornige Deutsche?'"verteilt. Darin wurden in Frageform Befürchtungen geäußert, wie zum Beispiel: "Geht es um eine Begründung für einen antizionistischen und somit (sic!) antisemitischen Antifaschismus? Oder wird der dumpfe Antiimperialismusbegriff der achtziger Jahre wiederbelebt?" Zudem wurde das Plakat, das auf die Veranstaltung hinwies, kritisiert.

Einige Zeit nach der Veranstaltung wurde mit der Broschüre "We don`t like your love song. Kritik des Antizionismus der Revolutionären Zellen und anderer Linker heute" noch mal nachgelegt. Auf diese Broschüre versuchen wir im folgenden einzugehen. Vorweg jedoch noch eine Anmerkung zum Vorgehen der AutorInnen.

Ihr beschwert euch in eurer Broschüre allen Ernstes darüber, daß sowohl VeranstalterInnen als auch das Publikum mit "Schweigen" (zum Antisemitismus) "aufgefallen" seien. Wenn ihr Fragen und Kritik habt, wäre es ja wohl eure Sache, diese zu äußern. Wenn ihr mutmaßt, daß die Veranstaltung zur "Begründung für einen ... antisemitischen Antifaschismus" herhalten soll (von euch durch ein Fragezeichen abgesichert) - dann erstaunt vor allem, daß ihr - und nicht diejenigen, die eure "Fragen" gar nicht teilen - euren Mund gehalten habt. Auch ansonsten finden wir Euer Vorgehen merkwürdig. Ihr kennt Leute, die die Veranstaltung mitorganisiert haben, mindestens teilweise persönlich. Ihr habt es aber nicht für nötig und sinnvoll befunden, diesen eure Kritik und Fragen mitzuteilen, sie auf das Plakat anzusprechen oder eure Befürchtungen zu äußern. Trotz eures massiven Mißtrauens, eurer Bedenken und des von euch behaupteten Anliegens habt ihr nicht mal versucht, anzufragen, ob auf der Veranstaltung auch Antisemitismus thematisiert werden soll, beziehungsweise vorzuschlagen, selbst in einem kurzen Beitrag darauf einzugehen. Auf der Veranstaltung selbst habt ihr eure Positionen überhaupt nicht vertreten. Es drängt sich der Eindruck zumindest auf, daß es euch vielleicht eher darum geht, Abgrenzungen zu konstruieren, als um Diskussionen, bei denen ihr euch auch selbst der Kritik und Nachfragen aussetzen müßtet.

Und jetzt zur Broschüre.

Eine Auseinandersetzung um Antisemitismus in der Linken zu führen, halten wir im Prinzip für richtig. Nur muß mensch sie dann auch führen. Ihr weicht jedoch jeder politischen Auseinandersetzung gerade aus. Ihr verwendet den Begriff der Projektion plump-pauschal auf eine vielfältige, über 30jährige Geschichte der Linken in diesem Land, auf unterschiedlichste Situationen, Fraktionen, die sich teils heftigst bekämpften, auf verschiedenste Positionen und Diskussionsprozesse. Nicht nur eure Interpretation der Geschichte ist dabei fragwürdig, schon eure bloße Darbietung derselben ist nur noch erbärmlich. Ihr spart sie einfach aus. Ihr seid offensichtlich nicht gewillt, reale Kämpfe und gesellschaftliche Auseinandersetzungen, Fragestellungen, Erfahrungen, Positionskämpfe und -veränderungen auch nur zur Kenntnis zu nehmen. PalästinenserInnen zum Beispiel tauchen bei euch bloß als Phantome im Rahmen antisemitischer Projektionen deutscher Linker auf. Aber es gibt sie tatsächlich und es gibt einen realen Konflikt, um es freundlich auszudrücken, den ihr als solchen - obwohl er gerade für antizionistische Positionen eine wesentliche Rolle spielt - einfach vollkommen außen vor laßt.

Selbst die Verhältnisse, Bedingungen und politischen Überlegungen, die auch zu antisemitischen Aktionen und Äußerungen tatsächlich führten, und auch zu Kritik daran, eine kritische Analyse und Aufarbeitung - sie interessieren euch gar nicht.

Ihr kritisiert die Entebbe-Aktion - geschenkt. Das haben Berufenere schon vor zehn Jahren getan und damit niveauvollere und teils selbstkritische Reflexionen auch anderer linker Gruppierungen ausgelöst.

Wenn ihr meint, Antizionismus als Antisemitismus dechiffrieren zu können: warum tut ihr's dann nicht? Warum schreibt ihr nichts zum Zionismus, dessen Geschichte, Entwicklung, verschiedenen Strömungen und seit seinen Anfängen bestehende innerjüdische Kritik an ihm und eurer Position dazu? Warum geht ihr nicht auf antizionistische Positionen ein und kritisiert sie? Das hieße allerdings, sie auch wahrnehmen zu müssen, sie einer inhaltlichen Kritik zu unterziehen und die eigene Position zu entwickeln. Das hieße, Palästina, Staatsverständnis ("künstliches Gebilde"), Zionismus, (nationale) Befreiungsbewegungen und so weiter nicht auszusparen, sondern gerade darauf einzugehen, die eigene Position und Kritik überhaupt kenntlich zu machen. Zumindest, wenn mensch Denk- und politische Klärungsprozesse befördern und sich nicht bloß in platten Abgrenzungen üben will. Stattdessen zimmert ihr euch mit Fundstücken von Freud bis Adorno eine Pseudo-Psychologie zurecht, mit der sich alles "erklären" läßt. Zum Beispiel auch, daß ihr euren Wunsch, "gut" zu sein und eure Unfähigkeit Widersprüche zu ertragen, auf "die Linken" projiziert.

Gefährlich wird es, wenn ihr versucht, auf diesem Weg eine deutsche Volksgemeinschaft zu konstruieren, die geradezu notwendig antisemitisch sei. Eine Erklärung dafür, warum und in welcher Weise eigentlich, müßt ihr durch eure unkritische und ahistorische Vorgehensweise schuldig bleiben. Dafür wartet ihr mit einer tautologischen Erklärung des Antisemitismus auf (speziell des deutschen): "Die historische Tradiertheit des Antijudaismus und die den modernen Antisemitismus kennzeichnende Denkform über Juden und Jüdinnen erlauben diese Projektion und ermöglichen es dem einzelnen Subjekt, speziell in Deutschland, sich in die nationale Gemeinschaft einzuordnen." (S. 16) Also: weil es Antisemitismus gibt - tradiert und modern - ermöglicht er antisemitische Projektionen, zwecks - anscheinend ebenfalls einfach gegebener - "Notwendigkeit" nationalen Gemeinschaftsgefühls. Das erklärt ... nichts. Im Gegenteil: Es schreibt unaufhörliche Wiederholung geradezu fest. Ihr behauptet den Antisemitismus als ein immer schon Gegebenes, das sich quasi aus sich selbst heraus beständig reproduziert. Ihr naturalisiert und verewigt den Antisemitismus (und vermittels dessen auch "Völker" und nationale Gemeinschaften), anstatt ihn einer radikalen Kritik zu unterziehen. Ihr schreibt: "Die Logik dieser Projektion besteht darin, daß sie überhaupt nicht enden kann, weil sie in keinster Weise die Ursprünge oder gar die Strukturen in Angriff nimmt." (S.15) Ihre Logik besteht nicht in der Unendlichkeit, sondern in ihrem Wirkmechanismus. Daß es überhaupt nie enden kann, ist allein eure Behauptung, mit der Antisemitismus wiederum als unausweichlich zementiert werden soll.

Eure weiter oben zuerst zitierte Aussage folgt in eurer Broschüre direkt auf ein Zitat von Horkheimer/Adorno (über Projektion). Diese selbst ziehen andere Schlüsse und fahren unmittelbar fort: "Die Umwendung hängt davon ab, ob die Beherrschten im Angesicht des absoluten Wahnsinns ihrer selbst mächtig werden und ihm Einhalt gebieten. In der Befreiung der Gedankens von der Herrschaft, in der Abschaffung der Gewalt, könnte sich erst die Idee verwirklichen, die bislang unwahr blieb, daß der Jude ein Mensch sei. (...) Die individuelle und gesellschaftliche Emanzipation von Herrschaft ist die Gegenbewegung zur falschen Projektion." (Dialektik der Aufklärung, S.209**) Horkheimer/Adorno beziehen sich in den "Elementen des Antisemitismus", wie auch im ganzen übrigen Buch, auf die Geschichte des abendländischen Zivilisationsprozesses und nicht auf die von euch angenommenen "Einordnungsbedürfnisse" deutscher Linker als "gute Deutsche". Allerdings ging es ihnen auch nicht darum, Antisemitismus als ewigen festzuschreiben, geschweige denn, ihn zu der Eigenart eines - und besonders des deutschen - Nationalcharakters zu erklären.

Sie bemühten sich darum, zu erkennen, wie der Vernichtungswille, der sich nicht nur im Antisemitismus ausdrückt, gesellschaftlich produziert wird, seinen Charakter und seine Ursachen zu begreifen. "Die thesenhafte Erörterung der 'Elemente des Antisemitismus' gilt der Rückkehr der aufgeklärten Zivilisation zur Barbarei in der Wirklichkeit. Nicht bloß die ideelle, auch die praktische Tendenz zur Selbstvernichtung gehört der Rationalität seit Anfang zu, keineswegs nur der Phase, in der jene nackt hervortritt. In diesem Sinne wird eine philosophische Urgeschichte des Antisemitismus entworfen. Sein 'Irrationalismus' wird aus dem Wesen der herrschenden Vernunft selber und der ihrem Bild entsprechenden Welt abgeleitet." (Dialektik der Aufklärung, S. 6f)

Auch den "Haß", um dessentwillen ihr sie zitiert, betrachten sie keineswegs als urdeutsche Emotion und sein Objekt als immer schon vorgegeben: "Die Wut entlädt sich auf den, der auffällt ohne Schutz. Und wie die Opfer untereinander auswechselbar sind, je nach der Konstellation: Vagabunden, Juden, Protestanten, Katholiken, kann jedes von ihnen anstelle der Mörder treten, in derselben blinden Lust des Totschlags, sobald es als die Norm sich mächtig fühlt. Es gibt keinen genuinen Antisemitismus, gewiß keine geborenen Antisemiten." (Dialektik der Aufklärung, S. 180)

Euer Verständnis des Antisemitismus, das in drei eigenen Sätzen vage sichtbar wird, in denen Auschwitz irgendwo zwischen "tradiertem" und "modernem" Antisemitismus auch noch als "besondere deutsche Tat" (!) auftaucht, bleibt (notwendigerweise?) nebulös. Ihr begegnet dem Antisemitismus allein mit moralischen Kategorien, die zum Verständnis seiner Ursachen nichts beitragen können. Moral kann sicherlich ein Motiv sein, sich mit Antisemitismus oder auch Rassismus, Ausbeutung, patriarchaler Unterdrückung und so weiter auseinanderzusetzen und sie ist auch unabdingbar bei der Bestimmung von Kriterien und Zielen, an denen die eigene Politik sich orientieren soll, wenn sie denn von einem humanistischen Menschenbild getragen wird beziehungsweise motiviert ist. Aber zur Analyse des Antisemitismus taugt sie nicht.

Eine "moralische" Legitimierung der manchmal nur halb durchschauten "Wut" auf die "Bonzenschweine" zum Beispiel reicht eben nicht nur alleine nicht aus, sondern birgt die stete Gefahr - wenn das Moment von (Selbst)Reflexion aufgegeben wird - antisemitische Klischees (raffendes Finanzkapital) zu bedienen und am Ende gegen "die da oben" mit dem deutschen Michel "zusammen zu kämpfen".

Ähnlich einfach macht ihr es euch mit dem Antisemitismus. Ihr ersetzt Analyse durch Schuldzuweisung, Verantwortung durch Rückzug aufs Bekenntnis zur Nation, nur andersrum: Ihr seid nicht stolz, ihr seid halt beschämt, Deutsche zu sein. Wenn das Euer Ausgangspunkt wäre, Motiv, sich mit Antisemitismus, wie auch mit dem eigenen politischen Selbstverständnis als Linke auseinanderzusetzen: okay. Das Tragische ist nur, es ist Euer Endpunkt. Daher müßt ihr "die Deutschen" quasi in historische Sippenhaft nehmen (bis ins wievielte Glied eigentlich?), über eine "Verstrickung in Schuld" nachgeborener Enkel, wenn nicht schon Ur-Urenkel fabulieren und so kräftig an fragwürdigen nationalen Mythen mitstricken. Ihr bleibt in national-völkischen Kategorien gefangen. Die "Bösen", die Täter, d i e Deutschen: und denke keiner, er könne seiner völkischen Schicksalsgemeinschaft entkommen, und auf der andern Seite die "Guten", die Opfer, d i e Juden: dito!

Wir hoffen, daß sich in euren Ausführungen vor allem euer Dilemma und nicht Euer Denken ausdrückt.

Für uns gilt nicht, sich für Auschwitz zu schämen, Antisemitismus als nationalen "Wesenszug" festzuschreiben und letztlich national-völkische Mythenbildung auch noch von links zu bedienen. Daß Auschwitz sich nie wiederhole, halten wir nicht nur für die geschichtlich aufgegebene Verantwortung deutscher Linker - und aller andern Linken auch -, sondern es ist auch unser ureigenstes Anliegen, eben als Linke, für gesellschaftliche Verhältnisse einzutreten und zu kämpfen, in denen Menschen nicht versklavt, unterdrückt, vergewaltigt, verfolgt und ermordet werden, in denen alle menschenwürdig leben können, in denen die Herrschaft des Menschen über den Menschen abgeschafft ist und die "Herrschaft der versachlichten Verhältnisse über den Menschen" (Marx) zurückgenommen wird in die Wirkmächtigkeit der und die bewußte gesellschaftliche Gestaltung durch die Frauen und Männer selbst.


Einige aus dem Kreis der VeranstalterInnen


Anmerkungen
* mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa: meine Schuld, meine Schuld, meine sehr große Schuld! Religiöses Bußgebet. "vestra" (lat.):"eure".
** M. Horkheimer/ Th. W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt/Main: Fischer, 1990.


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kombo(p) - 16.05.2001