Ein Auszug aus - kassiber 45 - Mai 2001


Editorial


Deutschland ist wieder stolz. Auf so ziemlich alles. Die Wenigen, die wie Rau und Trittin versuchen, wenigstens sozialdemokratische Standards des albernen Verfassungspatriotismus der 70er Jahre aufrechtzuerhalten, werden gnadenlos ausgezählt.

Nicht nur die Bild-Zeitung spielt wieder Volksempfänger: Hier und anderen Orts dürfen die Volksgenossen gleich serienweise "Gründe, auf Deutschland stolz zu sein" vortragen. Den einen schwillt die Brust beim Gedanken an deutsches Braun-..., äh, Schwarzbrot, andere heften sich die Reputation eines Albert Einstein ans Revers, weil der auf demselben Breitengrad das Licht der Welt erblickte. Stolz ist man ebenfalls auf den deutschen Computer, auch wenn jetzt gemeinerweise ausgerechnet die USA "ihr großes Geschäft" damit machen. Und - immer wieder - auf die Trümmerfrauen.

Die CDU/CSU tat denn auch gleich beleidigt, als der Verdacht aufkam, hier würde einer altbekannten faschistischen Parole zum Eintritt in die Mainstream-Politik verholfen. "Stolz sein" hieße doch nicht, auf andere herabzublicken. (Weil es dann "groß sein" heißt?) Dem soll von dieser Warte aus jedoch ein trotziges "Doch!" entgegengeschleudert werden. (Auch ein Trittin findet mal ein Korn ...) Ohne den Vergleich, die Konkurrenz - deine gegen meine Wirtschaft / Fußballmannschaft / Armee / Wissenschaft / Leistung / Backwerktradition usw. - funktioniert das mit dem Stolz, dem nationalen zumal, eben nicht.

Bietet der Blick auf diese Debatte nur Grund zu Ärger, so zeigt eine Illustrierten-Anzeige der Modefirma "Diesel" - wie ein stadtbekanntes markenbewußtes Redakionsmitglied meint - "in brillanter Weise das Schicksalhafte der Dialektik von Geburtsort und Paß auf": Unter einem Foto up-to-date-gekleideter AfrikanerInnen erscheint nämlich die Titelseite der fiktiven Zeitschrift "Daily African". Dort wird in einem Leitartikel der Zukunft die Rückständigkeit des überbevölkerten Europas beklagt, die unter anderem mit der katholischen Religion und allgemeinen Alkoholproblemen begründet wird ("In Italy the local liquid drug Grappa may be blamed for the high sexual activity"). Wir wollen auch mal ein bißchen Mitleid und warten nun auf den afrikanischen Wirtschaftsboom.

[Statt Fußnoten hier einige Worte zum Zustand der Redaktion: Aus Angst vor der drohenden weiblichen Machtübernahme flüchtet sich der männliche Teil zunehmend in studentische Schwatzhaftigkeit (s.o.), altersbedingte(?) Renitenz oder ins Ausland. "Das ist biologistisch! Frauen an die 'bambule' abzugeben!" wird da aus den hinteren Reihen gepöbelt.] Doch nun zum Inhalt dieser Ausgabe des kassiber.

Gutes in schlechten Zeiten gibt es frisch vom letzten CASTOR-TRANSPORT zu berichten. Wir haben die Chance genutzt und einige lokale AtomkraftgegnerInnen dazu interviewt. Aber Gorleben ist bekanntlich überall, wie ihr in den Artikeln ZUM ATOMKONSENS und über die ATOMSTADT BREMEN nachlesen könnt. Damit keine(r) denkt, damit wäre es jetzt erstmal vorbei mit dem Anti-AKW-Widerstand.

Grölen gegen den Haß durfte man letztens in der Stadthalle. Die angebliche Wandlung der Böhzen Onkelz zu guhten, die uns ausgerechnet die Ausländerbeauftragte Bremens weismachen will, wird in BÖHSE ONKELZ UND NEUE DEUTSCHE HÄRTE unter die Lupe genommen.

Nähere Betrachtung aus gebührlicher Distanz erfordert auch das Gebaren der Männerjustiz im TOROS-Prozeß: siehe den ZWISCHENBERICHT ZU EINEM GANZ 'NORMALEN' VERGEWALTIGUNGSPROZESS. Ohne Rücksicht auf die Folgen scheinen hier Richter und Anwälte ausgerechnet einen Vergewaltigungs-Prozeß als Arena für persönliche Schaukämpfe zu nutzen. In juristischen Fragen haben wir uns daher lieber woanders beraten lassen - im INTERVIEW MIT DER RECHTSANWÄLTIN B. SCHARRELMANN.

Schlechtes in schlechten Zeiten gibt es leider aus der Türkei zu berichten. Nach dem MASSAKER AN DEN POLITISCHEN GEFANGENEN Ende letzten Jahres wird dort nun ein neues Gefängnissystem durchgesetzt: STAMMHEIM AM BOSPORUS ...

Wir wünschen unseren Leserinnen und Lesern einen kämpferischen 1. Mai.


Die Redaktion, 8. April 2001



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kombo(p) - 16.05.2001