Ein Auszug aus - kassiber 45 - Mai 2001

Die gegenwärtige Berliner Sexismus-Debatte ist geprägt von Destruktivität und Ausgrenzung

Ein Schritt vor, drei zurück


Die Sexismus-Debatte infolge der Vergewaltigung einer Frau in Berlin-Friedrichshain im Dezember 1998 durch ein damaliges Mitglied der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) (vgl. kassiber 43, Oktober 2000, S. 36ff) ist teilweise auf einem jämmerlichen Niveau geführt worden. Inzwischen verfestigt sich der Eindruck, daß eine ganze Reihe der Beteiligten, seien es Antifas, Frauen/Lesben oder zum Beispiel die Bahamas-Redaktion, sie im wesentlichen einfach nur dazu nutzen wollen, seit Jahren offene Rechnungen zu begleichen. Da werden Frauen aus allen Lagern von den anderen als "Fotzen" beschimpft, die Antifas als "Pöbel" und "Meute", die Bahamas und die AAB als "schwachsinnig". Und da werden Papiere gefälscht und als angeblich authentisch unter dem Namen anderer DebattenteilnehmerInnen veröffentlicht. Als wäre das nicht genug, eskalierte die Auseinandersetzung im vergangenen Herbst weiter - und wurde fortan auch auf der Ebene körperlicher Gewalt zwischen verschiedenen Gruppen ausgetragen. Da gab es Rangeleien, Schlägereien und Hinauswürfe aus Szene-Etablissements. Und zum schlechten Schluß mußte die Abschlußparty d e r Berliner Szene-Kneipe "EX" Ende Januar ausfallen - weil eine Massenschlägerei drohte.

Diese Debatte läßt sich weitestgehend in der Berliner Szene-Zeitschrift interim nachvollziehen. Hier sind fast alle Beiträge abgedruckt worden. Eine ihrer Redaktionen, die der Nummer 519, hatte Anfang Februar die Schnauze voll. Denn die seit fast zwei Jahren andauernde Sexismus-Debatte habe "sehr wenig an emanzipatorischen Elementen befördert". Vielmehr besteche sie durch "ihre Destruktivität und (gegenseitige) Ausgrenzung". Dies könne nur eine Konsequenz haben: "Innehalten. Kopf einschalten. Nach anderen Wegen suchen." Wir dokumentieren den "Aufruf zum Innehalten", lediglich um zwei auf die interim-Ausgabe 519 bezogene Sätze am Schluß gekürzt. (kassiber-Redaktion)


Ein Blick zurück

Einmal angenommen, ihr säßet in Plauen oder Lemgo in einer Kneipe mit einer kritischen Gewerkschafterin und solltet erklären, womit sich die linksradikale Szene Berlins gerade so beschäftigt. Und angenommen, ihr solltet erklären, warum das Bündnis gegen Rechts aus Leipzig deshalb aus dem Bundesweiten Antifatreffen ausgeschlossen wurde, und warum ein Berliner Kollektiv, das es 20 Jahre lang gegeben hat, nicht mehr Abschied feiern kann - wäre die Antwort dann, weil im Dezember 1998 in einem Berliner Bezirk ein Mann eine Frau vergewaltigt hat? Und hättet ihr auf die Frage, wie und warum die Fronten so verlaufen, eine befriedigende Antwort?

"Die Schwierigkeit damit umzugehen beginnt allerdings schon bei dem Versuch, anderen mitzuteilen, wer hier und heute eigentlich mit wem über was genau streitet", schreibt Sven Glückspilz in der letzten interim. Eine präzise Zusammenfassung. Die Debatte begann in grauer Vorzeit mit einem Vergewaltigungsvorwurf gegen einen Mann aus der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB): Im Dezember 1998 habe Florian J. eine Frau aus Friedrichshain vergewaltigt. Im März 1999 wurde ein bis dahin in Friedrichshain kursierendes Flugblatt schließlich in der interim veröffentlicht. Zuerst weitete sich der Vorwurf gegen Florian J. auf seine Gruppe, die AAB, aus. Schließlich rückte die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisierung (AA/BO) in die Diskussion, dann Gruppen, die mit der AAB und der AA/BO zusammenarbeiten. In einem Seitenstrang wurden dann massive Vorwürfe gegen Franz und Mandy Meiser und deren Papier "Let's take a walk on the wild side" erhoben, das in der Sexismus-Debatte neben schwarzen und weißen Farben auch für das Anerkennen von Grauschattierungen plädiert. (Beide Meisers stammen aus der klassischen autonomen Szene Kreuzbergs und sind vielen Leuten gut bekannt und der AAB-Nähe unverdächtig.)

Schließlich spielten noch Vorwürfe sexistischen Verhaltens zweier Männer in der Köpi in Berlin und in der Antifa-Szene in Dresden eine Rolle, wenngleich dies nur ein Nebenaspekt war. In dieser Debatte haben viele aufrichtig nach einem emanzipatorischen Umgang mit dem Vergewaltigungsvorwurf, mit der mangelnden Auseinandersetzung etwa durch die AAB, mit der Definitionsmacht der Frau und mit antisexistischen Strukturen gesucht, uns eingeschlossen. Heute - da wir uns den Verlauf der Debatte noch einmal angesehen haben, siehe Chronologie - müssen wir feststellen, daß wir uns des Eindrucks nicht erwehren können, daß es einigen Gruppen um mehr als das Thema Antisexismus gegangen ist: Um eine gezielte Eskalation. Die Mehrzahl der an dem Konflikt beteiligten Gruppen gewinnt ihre eigene Identität durch Ab- und Ausgrenzung des jeweils anderen. Wer in die eigene Weltsicht nicht hineinpaßt, wird niedergemacht. Um ein kleines Beispiel zu geben: Als sich eine interim-Redaktion nach dem Frauen-Überfall deutlich distanzierte (interim 485), hieß es in einer Antwort: "bleibt noch die frage (und nicht nur für den staatsschutz) wie sich die redaktionen der interim bilden. kann da jede/r mitmachen oder kommen die redaktionen (speziell 485) wirklich aus (unseren) zusammenhängen?" (Interim 486) Ist jetzt auch die interim von wem/welchen auch immer unterwandert? Das Leben wäre auf jeden Fall leichter, wenn die Welt eine Scheibe wäre.


Die Fraktionen: Die Friedrichshainer Frauen ...

... werden von uns der Einfachheit halber so genannt, weil sie im Szene-Tratsch so bezeichnet werden, obwohl wir wissen, daß der Zusammenhang nicht homogen ist und es auch für Frauen keine Verpflichtung gibt, in Friedrichshain zu wohnen. Darunter ist etwa die "Schlagt-die-Sexisten-wo-Ihr-sie-trefft-GmbH" gefaßt sowie Teile derjenigen, die Weihnachten 2000 eine Frau aus dem Umfeld der AAB aus dem EX geschmissen haben. Den Friedrichshainer Frauen gebührt der Dank, die AAB mit dem Verhalten eines ihrer Mitglieder konfrontiert und die Vergewaltigung überhaupt erst zum Thema gemacht zu haben. Sie haben das Flugblatt der betroffenen Frau mit verbreitet und sie geschützt. Uns ist schon vor dem Erscheinen des allerersten Flugblatts mit einem Lächeln angekündigt worden, "daß da noch einiges kommen wird".

Die Eskalation war nach unserem Wissensstand so gewollt und geplant. Die Frauen und Lesben haben, nachdem der Fall öffentlich bekannt war, - unterstützt von anderen - in drei Intervallen die Eskalation vorangetrieben: Im Spätsommer 1999, als die "Schlagt-die-Sexisten-wo-ihr-sie-trefft-GmbH" (im folgenden nur GmbH genannt) die linke Kneipe Schnarup Thumby überfiel, im Herbst 2000, als sie die Bahamas-Veranstaltung angriff und Ende 2000/Anfang 2001, als sie durchgesetzt hat, daß einige Personen aus dem Umfeld der AAB Hausverbot im EX erhalten. Nachdem eine interim-Redaktion die GmbH im September 1999 bat, sich genauer zu äußern, legte die Gruppe eine zweiseitige Erklärung vor, die relativ genau den politischen Standpunkt erklärt. Darin grenzt sich die Gruppe explizit von der gemischtgeschlechtlichen autonomen und antifaschistischen Szene ab, und erklärt diese implizit zum politischen Gegner: "Im Kampf gegen das Patriarchat stehen Männer auf der Seite der HERRschenden, und es wäre naiv, auf sie bauen zu wollen."

Die Erklärung endet mit den Sätzen: "Für uns heißt emanzipatorische Politik in erster Linie, aus gelaufenen Diskussionen Konsequenzen zu ziehen und Grenzen zu setzen und zu verteidigen. Unser Politikverständnis richtet sich deshalb eindeutig an FrauenLesben und nicht an eine gemischtgeschlechtliche linke Szene." Folgerichtig wird die Auseinandersetzung, noch bevor sie richtig begonnen hat, beendet: "Da wir jedoch keinen Bock auf eine Auseinandersetzung in einer gemischten Zeitung haben, wird dies unsere letzte Erklärung dazu sein." (interim 484) Das ausdrückliche Ablehnen eines Bezugs auf eine gemischtgeschlechtliche Szene sowie die Proklamation, Männer stünden auf der anderen Seite der Barrikade, hat zu einem bemerkenswerten Ergebnis geführt: In der Debatte verteidigen einzelne Männer und gemischtgeschlechtliche Gruppen, die von der GmbH als Gegner betrachtet werden, in einer gemischten Zeitung die Positionen der Frauen und Lesben und machen sich damit zu Stellvertretern von deren Positionen, da sich die Frauen und Lesben als jenseits der Kritik definiert haben. Was uns im Rückblick aufgefallen ist, ist, daß von niemandem ein Versuch unternommen worden ist, den Konflikt ohne Gewalt zu lösen. Das linke Kneipenkollektiv hätte vorher schlicht (etwa per Flugblatt oder persönlich) darauf aufmerksam gemacht werden können, daß dort offensichtlich ein Vergewaltiger sein Bier getrunken hat (auch die GmbH weiß nur von einem einzigen Besuch in der Kneipe). Schließlich handelt es sich beim Schnarup Thumby um eine Szene-Kneipe, und das Kollektiv hat, als Florians Anwesenheit bekannt wurde, sich umgehend schuldig bekannt (interim 485). Die Schnarup-Leute kritisieren aber gleichzeitig, der Überfall habe Kinder, Gäste und Unbeteiligte gefährdet und "angst über unverständnis bis hin zu aggressionen und wut" hervorgerufen. Es ist sicher richtig, daß manchmal ein Signal gesetzt werden muß, damit Leute nachzudenken beginnen. Wir glauben aber, daß sich das Ziel, einen Vergewaltiger aus linken Räumen auszuschließen und sich damit zu beschäftigen, weniger martialisch hätte erreichen lassen können.

Die GmbH rechtfertigt dies mit dem Vergleich, eine Kneipe, in der ein Vergewaltiger trinken dürfe, sei wie eine Fascho-Kneipe. Das halten wir für groben Unfug: Eine Nazi-Kneipe wird von Leuten (Nazis eben) gemacht und besucht, die einer prinzipiellen Ideologie von wertem und unwerten Leben anhängen und Menschen nach ethnischen Kriterien selektieren. Weder das Schnarup-Kollektiv verfolgt eine Politik, Menschen nach wert und unwert zu selektieren, noch die AAB und auch Florian J. hat - ohne die Vergewaltigung in irgendeiner Form zu bagatellisieren - in seiner tagtäglichen Praxis über Jahre keine Ideologie und Praxis verfolgt, Menschen zu selektieren. Ein Vergleich einer linken Kneipe, in der ein Mal ein Vergewaltiger Bier trinkt, mit einer Fascho-Kneipe stimmt hinten und vorne nicht. Aber solche Punkte sind in der Debatte kaum diskutiert worden. Statt dessen bekannte sich auch das Schnarup-Kollektiv auf Aufforderung schuldig: "Wir sind Täterschützerlnnen gewesen" (interim 485).


Die AAB ...

... hat sich nur sehr ungern und unter Druck mit der Vergewaltigung durch eines ihrer Mitglieder auseinandergesetzt und verfolgt noch immer die Strategie, den Konflikt auszusitzen. Im März 1999 erschien eine dürre Stellungnahme, in der im wesentlichen die Gruppenmitgliedschaft von Florian J. dementiert wird. Eine inhaltliche Positionierung fand unter dem Titel "Neue Sachlichkeit" erst im Februar 2000, ein Jahr nach Erscheinen des Flugblatts, statt. Die AAB hat bis heute eine genaue Stellungnahme zu ihrem Verhältnis zu Florian J. verweigert und versteckt sich hinter dem Prinzip, zu Gruppenmitgliedschaften nichts zu sagen. Dann tun wir es hiermit: Florian J. war Mitglied der AAB, ist aber nach Bekanntwerden der Vergewaltigung (noch vor der Veröffentlichung des Flugblatts in der interim) aus der AAB ausgetreten bzw. de facto ausgeschlossen worden, indem er auf dem Plenum mit der Vergewaltigung konfrontiert wurde und Konsequenzen gefordert wurden. Seitdem hat die Gruppe keinen Kontakt mehr zu ihm. Insofern ist der Vorwurf an die AAB weniger ein praktischer - sie schützt Florian J. nicht mehr konkret als Gruppenmitglied -, sondern eher ein politischer: Wie geht die AAB damit um, daß ein ehemaliges Mitglied der Gruppe eine Frau vergewaltigt hat?

Der Text "Neue Sachlichkeit", der nach über einem Jahr erschien (interim 493), ist unserer Meinung nach nicht in allen Teilen eine Frechheit. Der von der AAB entwickelten Definition einer Vergewaltigung - "Vergewaltigung ist eine mit physischer oder psychischer Gewalt oder unter Androhung dieser herbeigeführte sexuelle Handlung" - würden wir beispielsweise ohne Probleme zustimmen. Auch die Differenzierung, "nicht jede Form der sexuellen Grenzüberschreitung ist eine Vergewaltigung", halten wir für notwendig, um die graduellen Unterschiede sexistischer Gewalt erfassen zu können. Auch über die Ablehnung der Koppelung von Definitionsrecht und Sanktionsrecht kann mensch, wenn auch sehr kontrovers, diskutieren. Schlimmer macht den Text das, was nicht drin steht: Die AAB setzt sich in keiner Form mit dem konkreten Fall auseinander, reflektiert beispielsweise nicht kritisch, daß Florian im Schnarup Thumby bei ihrem Kneipenabend auflief - mitten in Friedrichshain, wo die Gefahr groß ist, daß seine Ex-Freundin ihm begegnet.

Bei der AAB, die eine der wenigen Antifa-Gruppen ist, die sich zumindest theoretisch immer mal wieder mit dem Zusammenhang von Antifa, Herrschaft und Patriarchat beschäftigt (etwa in der Kampagne zum 8. März Mitte der Neunziger oder in ihrer Grundsatz-Broschüre), klafft eine große Lücke zwischen Theorie und Praxis. Was die AAB allerdings bis heute nicht begriffen hat, ist die Verletzung der Frau. Die AAB arbeitet sich in einem technischen Duktus seitenlang an der Szene und ihren Regulationsmechanismen ab, ohne sich um die betroffene Frau groß Gedanken zu machen. Forderungen wie "Damit kann jedoch nicht die Verbannung aus allen linken und sozialen Zusammenhängen begründet werden" oder der, daß ein Frauenplenum der AAB von der sexuell mißbrauchten Frau einen Sachstandsbericht möchte, bekommen erst in diesem Gesamtkontext eine Dynamik, die mehrere Antifa-Gruppen dazu gebracht hat, die Zusammenarbeit mit der AAB einzustellen. Da der Text "Neue Sachlichkeit" wohl der am meisten zerrissenste der Debatte ist (nachzulesen in verschiedenen interim-Ausgaben) ersparen wir uns detaillierte Wiedergaben. Es ist allerdings typisch für den (Nicht)Diskurs, daß ein internes, wesentlich ausführlicheres und gruppeninterne Positionen besser vermittelndes Papier der AAB, das unauthorisiert im November 2000 veröffentlicht wird (interim 513) bis heute praktisch nicht diskutiert wurde - weil dort die Schwarz-weiß-Sicht "AAB=Täterschützer=Böse" so einfach nicht mehr durchzuhalten wäre?

Die Charakterisierung des Verhaltens der AAB läßt sich jedoch nicht ausreichend und umfassend anhand der Gruppendiskussionen und Gruppenstellungnahmen fassen. Innerhalb und am Rand der AAB hat der Konflikt, der mit der Frauenfraktion und der Rest-Szene nicht erst seit der Vergewaltigungsdebatte, sondern längst vorher geführt wurde, offensichtlich erstens zu einer Identität in der Ausgrenzung geführt, die konstruktiv-kritische Debatten gar nicht mehr möglich gemacht hat. Zum anderen aber hat sich dort in der Ausgrenzung eine Art Kampfeslust entwickelt, die darin gipfelt, daß sich Teile offenbar auf tätliche Auseinandersetzungen nicht nur vorbereiten, sondern diese offenbar auch gewünscht haben. Auf der Bahamas-Veranstaltung, auf der wahrlich nicht nur eine Seite zu körperlicher Gewalt gegriffen hat, eskalierte die gegenseitige Ausgrenzung, die schon von Beginn an, wenn auch nicht vorwiegend, körperlich gewaltförmig war und zeigte sich als Zerstörungswut. Wer mit Mundschutz-Vorbereitung zur innerlinken Saalschlacht kommt, hat wirklich nichts begriffen.

Die vorwiegende Unfähigkeit (oder der Unwillen) der AAB, mit den Vorwürfen und der Debatte umzugehen, ebenso wie die Fixierung einiger auf eine gewaltförmige Auseinandersetzung spiegelt natürlich einiges dessen wieder, wofür die AAB lange schon kritisiert wird: die Wortgewaltigkeit, hinter der in Teilen kein ausreichendes praktisches emanzipatorisches Bewußtsein steht und die damit vielfach zur Hülle wird. Eine Hülle, die angesichts der inhaltlichen Inkonsistenz zur notwendigen Identitätsbildung angelegt wird und vielen außerhalb zur martialischen Farce wird. Die AAB bewegt sich seit ihren Gründung an dieser schwierigen Grenze: Zum Zwecke der politischen Wahrnehmbarkeit eine wieder erkennbare Marke zu konstruieren und dabei Vielfältigkeit und Differenzen zu überdecken, also der Gefahr der Uniformierung und all deren Implikationen anheimzufallen. Dieser Grenzgang hat natürlich auch viel mit dem laufenden Konflikt zu tun.


Die Bahamas ..

... ist nach unserem Gefühl eigentlich nicht wichtig genug, um sich mit ihr länger zu beschäftigen. Teile der Redaktion haben den Konflikt gezielt genutzt, um alte Rechnungen mit der autonomen Szene im allgemeinen und mit der Frauen- und Lesben-Szene im konkreten auszutragen. Die Texte sind überwiegend unerträglich, aber die Berührungspunkte gering. Wir schlagen vor, die Bahamas Bahamas sein zu lassen und sie auf Abstand zu halten.


Die restliche Szene ...

... reagiert im wesentlichen so, wie es Sven Glückpilz in der letzten Interim beschrieben hat: "Laß mich mit dem Kindertheater in Ruhe" oder "Zum Glück habe ich mit beiden Fraktionen nichts zu schaffen." Ein Genosse fühlte sich an sein schwäbisches Dorf erinnert, wo die Familienclans mit den gleichen Methoden der Ausgrenzung gearbeitet hätten. Dennoch haben sich insbesondere zu Beginn der Auseinandersetzung viele verschiedene Gruppen und Einzelpersonen an der Debatte beteiligt. Vielfach, weil man/frau immer wieder mit solchen Situationen sowohl praktisch als auch theoretisch konfrontiert ist. Vielfach, um die praktische Solidarität auf Seiten der Frau zu zeigen und sich damit gegen die AAB zu stellen, die sich gerade nicht auf deren Seite gestellt hatte. Nach und nach beteiligen sich immer weniger an der Debatte, was sich auch an der Wiederholungsauffälligkeit der exakt gleichen Argumente zeigt. Viele derjenigen, die den ernsthaften Willen hatten, praktische Veränderung herbeizuführen und das Bewußtsein zu stärken, haben sich abgewandt, da ihnen das Konfrontationsniveau nicht eingeleuchtet hat oder sie sich nicht für ganz andere Kämpfe instrumentalisieren lassen wollten. Allerdings kam auch in der autonomen Szene manchen Gruppen der Vergewaltigungsvorwurf gegen einen AAB'ler nahezu recht, so paradox sich das anhören mag. Wer aufgrund der beschriebenen Kritik an der AAB noch eine individuelle oder größer angelegte Rechnung mit jener Gruppe offen hatte, trägt sie seitdem über die Vergewaltigungsdebatte aus. In einem Flugblatt, das an der Freien Universität Berlin von der "Feministischen FrauenLesben Liste" und anderen Gruppen verteilt wurde, ist zum Beispiel vom "Pöbel von der Antifaschistischen Aktion Berlin" die Rede. Der AAB wird Schwulenfeindlichkeit vorgeworfen, die Gruppe als "Mob" bezeichnet, der im wesentlichen Gewalt gegen Andersdenkende im Sinn habe. Die Bahamas wird schließlich des "Schwachsinn" bezichtigt. Ist der Ruf des Gegners erst ruiniert, lassen auch revolutionäre Linke gerne mal die Sau raus. All das hat mit nachvollziehbaren Kategorien von Politik nur noch wenig zu tun. So rechtfertigten zwei Frauen den Rausschmiß einer Jugendlichen aus dem AAB-Umfeld bei der Weihnachtsparty mit den Worten: "Weil sie Konflikte mit Gewalt lösen wollte" (auf der Bahamas-Veranstaltung). Nach dieser Argumentation müßten zwei Drittel aller Autonomen aus dem EX geschmissen werden, und selbst wenn dies konkret auf die Vergewaltigungsdebatte bezogen sein sollte, müßten dann zuerst die Frauen der GmbH rausfliegen, die sich ausdrücklich zu einem gewaltsamen Überfall bekennen. Nach der verwunderten Nachfrage mehrerer Gäste sagte eine Frau an der Theke schlicht: "Tja, Schicksal, jetzt hat es halt XY getroffen."

Wie verschwommen die Kriterien sind, zeigt auch die Wiedergabe. Lange hielt sich die Mär, die StörerInnen hätten friedlich gepfiffen (okay, auch ein paar Kabel rausgerissen), seien dann aber brutal angegriffen und geschlagen worden. Mittlerweile haben einzelne StörerInnen wenigstens ehrlicherweise zugegeben, zuerst getreten und geschlagen zu haben, bevor sie getreten und geschlagen wurden (daß AAB'lern in die Eier getreten wurde, bestätigt freundlicherweise selbst die "Feministische FrauenLesbenListe" in dem besagten FU-Flugblatt). Um nicht falsch verstanden zu werden: Man/frau kann eine Veranstaltung stören, aber wenn man/frau selbst Gewalt anwendet und dann direkt Gewalt zurückbekommt, ist das kein gutes Argument für einen Kneipenausschluß geschweige denn eine qualifizierte Debatte über die Frage, wann Gewalt legitim und wann illegitim ist.

Daß unter dem Deckmantel des Antisexismus frühere Rechnungen beglichen werden, zeigt auch die Störung der Bahamas-Veranstaltung, zu der sich ausgerechnet Frauen- und Lesbengruppen im Bündnis mit autonomen KommunistInnen (die der AAB wegen des 1. Mai Opportunismus vorwerfen und selbst im Streit mit den "klassischen Autonomen" liegen) zusammenfanden. Und bezeichnenderweise sind aus der AA/BO ausgerechnet die beiden Gruppen in Solidarität zu den Frauen ausgetreten, die sonst immer wegen ihres "patriarchalischen, stalinistischen Politikverständnisses" in der Szene kritisiert wurden (besonders von Frauen/Lesbengruppen): Die Berliner RAI und das Antifa Plenum Braunschweig. Beide Gruppen waren die aktivsten Gegenspielerinnen der AAB in der BO und werfen der AAB seit langem Pop-Politik vor.


Kollateralschäden

Der Konflikt hat mittlerweile über einen lokalen Kiezkrieg hinaus zu einem Eklat mit bundesweiten Konsequenzen geführt. Neben den schon erwähnten beiden Gruppen, die aus der AA/BO ausgetreten sind, weil sie dieses Verhalten nicht mittragen wollten (Antifa Plenum Braunschweig, Rote Antifaschistische Initiative Berlin) haben mehrere Gruppen der AAB die Zusammenarbeit aufgekündigt. Etwa die Antifa Saar aus dem Saarland oder die Berliner Gruppen Antifa Rote Dornen und Antifaschistische Gruppe im Prenzlauer Berg. Das Antifa Infoblatt, das in seiner Jubiläumsnummer 50 eine Debatte um Perspektiven der Antifa-Politik auch mit der AAB geplant hatte, brach die Debatte wegen der "Neuen Sachlichkeit" im Sommer 2000 ab. Mehrere Boykott-Aufrufe gegen die AA/BO erschienen. Allerdings machte der Konflikt auch vor dem Bundesweiten Antifa-Treffen (BAT) nicht halt. Zuerst wurde die Rote Antifaschistische Aktion Leipzig aus dem BAT ausgeschlossen, dann vor kurzem auch noch das Leipziger Bündnis gegen Rechts, das sich differenziert zur AAB geäußert hatte. Damit hat ein Vergewaltigungsfall in Friedrichshain dazu geführt, daß Gruppen aus Leipzig, Hamburg oder Köln nicht mehr zusammen in einem Bündnis sitzen und über Strategien gegen Nazis diskutieren.


Die Konsequenzen

Wir fordern diejenigen auf, die wie wir ein Interesse haben, das Zerstörungspotential aufzuhalten, die Debatte in dieser Form zu beenden. Worum es unserer Meinung nach jetzt gehen muß, ist, die Frontstellung zurückzunehmen und einen neuen Ansatzpunkt für eine Kultur der Auseinandersetzung zu finden. Es wird unstrittig sein, daß die AAB weder das Patriarchat erfunden hat noch eine Brutstätte für Vergewaltiger ist, erfunden hat sie natürlich ebensowenig den glaubhaften Bruch mit patriarchalen Strukturen. Es wird ebenso unstrittig sein, daß es richtig und wichtig ist, über patriarchale Strukturen, Sexualtität und Sexismus sowie den Umgang mit Vergewaltigern zu diskutieren.

Die Debatte bisher hat die allermeisten Punkte bestenfalls angerissen. Spannende, wenn auch kontroverse Papiere wie "Let's take a walk on the wild side" sind nur angekratzt oder beschimpft worden. Der Versuch, des Antifa Infoblatts, vor einiger Zeit über Mackerverhalten im Kampf gegen Nazis zu debattieren, ist zum Beispiel kläglich im Nichts versandet - mangels Resonanz, auch von denen, die jetzt den großen Feldzug gegen die AAB führen. Schließlich liegt seit Oktober in Nachfolge von Diskussionen auf dem Grenzcamp 2000 ein Papier von zwei bekannten Frauen aus der Berliner Autonomen-Szene vor, das sehr provokative Thesen beinhaltet, aber durchaus diskutierenswert ist.


"Begrabt mein Hirn an der Biegung des Flusses"

Im allgemeinen werden beim Thema Sexismus von der Hegemonial-Meinung abweichenden Äußerungen wütend attackiert und ausgegrenzt. Wir sind gespannt, ob dies diesmal anders sein wird. Wie ernstzunehmend noch kommende Stellungnahmen in der Debatte sind, wird sich auch an der Wortwahl messen lassen müssen: Beschimpfungen und Diffamierungen gab es schon zuviel. Die autonome und antifaschistische Szene ist unserer Meinung nach kein Selbstverwirklichungs-Workshop zum Austoben unverarbeiteter Aggression (oder sollte es zumindest nicht sein). Wir würden gerne an einer Politik mitarbeiten, die eine gesellschaftliche Ausstrahlung entwickelt und emanzipatorische Impulse geben kann. Was wir mit Sicherheit nicht mehr machen werden, ist das weitere Verbreiten von Dreckwäsche. [...]

No means no - alles andere ist zu diskutieren.


interim-Redaktion 519

[aus: interim 519, 8.2.2001]





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Chronologie der Berliner "Sexismus-Debatte"


Dezember 1998: Vergewaltigung in Berlin.

Februar 1999: Flugblatt der betroffenen Frau.

März 1999: Das Flugblatt wird in interim 471 veröffentlicht, erste Stellungnahme der "gruppe venceremos".

März 1999: Erste Stellungnahme der AAB (Dementi der Gruppenmitgliedschaft von Florian J.).

27. Juli 1999: Überfall mit Schüssen durch CS- und Pfeffergasspray auf die Kneipe "Schnarup Thumby".

26. August 1999: Erklärung der "Schlagt-die-Sexisten-wo-Ihr-sie-trefft-GmbH" (interim 482) - die Redaktion hat allerdings noch kritische Fragen.

23. September 1999: Zweite Erklärung der "Schlagt-die-Sexisten-wo-Ihr-sie-trefft-GmbH" in interim 482 als Antwort auf Fragen.

7. Oktober 1999: Erneutes interim-Vorwort, diesmal kritischer, sowie Text vom Infoladen "Politik und Rausch" und Flugblatt von "Schnarup"-Leuten (interim 485).

21. Oktober 1999: Text von "Stefanie und Uschi", der das Definitionsrecht der Frau in Frage stellt. Zwei Texte, die die interim anprangern. (interim 486)

25. November 1999: Erneuter Text von "Politik und Rausch" an interim: "Niemand hat Legitimation zu entscheiden, was nun die wahrhaft autonome Position in dieser Frage ist und also noch in die interim kommt und was nicht." (interim 488)

10. Februar 2000: Der Text "Neue Sachlichkeit" der AAB erscheint, worin sie ihre Definition einer Vergewaltigung darlegt: "Vergewaltigung ist eine mit physischer oder psychischer Gewalt oder unter Androhung dieser herbeigeführte sexuelle Handlung."

März 2000: Gefälschtes Flugblatt von vermeintlichen Aussteigern aus der AAB, in dem von "Votzen" die Rede ist (interim 496).

März 2000: Kurzes Dementi der AAB, daß das Flugblatt von Ex-Mitgliedern stammt. Die "Antifaschistische Gruppe im Prenzlauer Berg" (AGiP) fordert die AAB auf, sich aufzulösen und boykottiert die Gruppe. (interim 497)

20. April 2000: Das "Bundesweite Antifa-Treffen" (BAT) schließt die "Rote Antifaschistische Aktion Leipzig" (RAAL) aus, weil sie sich mit Vergewaltigern solidarisiere. Längerer Text von Frauen und Lesben unter anderem zu Täterarbeit. (interim 500)

18. Mai 2000: Die "Antifa Saar" erklärt, nicht mehr mit der AAB zusammenzuarbeiten und ruft zum Boykott auf (interim 502).

Sommer 2000: Das "Antifa Plenum Braunschweig" und die "RAI" erklären ihren Austritt aus der AA/BO.

Herbst 2000: Der Text "Let's take a walk on the wild side", der die Friedrichshainer Vergewaltigung als Anlaß nimmt, erscheint nach längerer Zensur (interim 509).

7. September 2000: Das Leipziger "Bündnis gegen rechts" (BgR) erklärt, daß das Definitionsrecht bei der Frau liegt, wendet sich aber gegen eine prinzipielle Distanzierung von der AAB (interim 514).

17. Oktober 2000: Bahamas-Veranstaltung im EX, bei der es zu Rangeleien kommt, nachdem eine Gruppe von Frauen/Lesben und Autonomen die Veranstaltung angreift.

Herbst 2000: Mehrere Antifa-, Frauen-und-Lesben- sowie Antira-Gruppen verteilen an der FU Berlin ein Flugblatt, in dem der AAB "Bandenvergemeinschaftung", "Schlägertum" und "Schwulenfeindlichkeit" vorgeworfen wird, sowie die AAR und die RAAL als "Pöbel", "selbsternannte Avantgarde" sowie "Meute" bezeichnet werden. Trotz des Dementis wird aus dem gefälschten angeblichen Ex-AAB-Flugblatt zitiert. Zum Schluß wird der Bahamas und der AAB "Schwachsinn" vorgeworfen. (interim 515)

2. November 2000: Verschiedene Diskussionspapiere zur Veranstaltung. Ein internes, differenziertes Papier der AAB wird veröffentlicht. Mehrere Flugblätter zu einem sexuellen Übergriff im autonomen Zentrum "Köpi" erscheinen. (interim 513)

9. November 2000: Die Schule für Erwachsenenbildung schmeißt die Bahamas aus ihren Räumen.

24. Dezember 2000: Eine Jugendliche aus dem AAB-Umfeld, die bei der Bahamas-Veranstaltung in Rangeleien verwickelt gewesen sein soll, wird bei der Weihnachts-Party aus dem EX rausgeschmissen. Dabei wird sich auf einen umstrittenen Plenums-Beschluß bezogen. (interim 519)

Ende 2000: Das BAT schließt das Bündnis gegen rechts aus Leipzig aus.

27. Januar 2001: Die EX-Abschlußparty fällt wegen der drohenden Schlägerei aus (interim 519).


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kombo(p) - 16.05.2001