Ein Auszug aus - kassiber 34 - Februar 98

Die Erforschung neuronaler Grundlagen kognitiver Prozesse an der Universität Bremen

Grober Unfug: Von Professoren; Affen und Erkenntnis


Seit Oktober ist der umstrittene "Affenfolterer" Kreiter als Professor an der Universität Bremen - bislang allerdings affenlos. Der bei Tierversuchen vorgeschriebene Genehmigungsantrag liegt der Ethikkommission der zuständigen Senatsbehörde für Frauen, Umwelt, Gesundheit und Alles Mögliche vor. Bis von diesem Gremium über den Antrag entschieden wird, mag aber noch viel Wasser die gleichfalls in den Zuständigkeitsbereich dieser Behörde fallenden Weser hinunterfließen.

Stellungnahmen verschiedener Fachinstitute sollen eingeholt werden: Dann wird man weitersehen. Das Öffentlichkeitsreferat der Senatsbehörde gibt darüber Auskunft, daß sich die Kommission "in absehbarer Zeit mit dem Thema auseinandersetzen" wird. Wie lange das dauern werde? Da es in Bremen noch nie Versuche an Primaten gegeben habe, also keine vergleichbaren Fälle existierten, könne man über die Dauer dieses Verfahrens "keine Prognose" abgeben.

Wir werden sehen. Währenddessen wird an einem Gehege zur Unterbringung der Makakenaffen im Botanischen Garten geplant. Vielleicht gibt sogar schon eine Baustelle zu besichtigen? Aber an der Uni werden nicht nur bauliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der "Affenschande" ergriffen. Einige ProfessorInnen verfaßten ein Memorandum (abgedruckt in der Frankfurter Rundschau) gegen die Primatenversuche. Andere ProfessorInnen konterten mit einer Stellungnahme, die die GegnerInnen der Versuche offen diffamierte: Mit Bestrebungen (so der Tenor), die Freiheit der Forschung einzuschränken, habe man ja gerade in der deutschen Geschichte nicht so gute Erfahrungen gemacht ...

Ca. 50 HochschullehrerInnen haben sich bis jetzt die Verteidigung der "Freiheite der Forschung" auf die Fahnen geschrieben. Uni-intern sind die VerteidigerInnen dieser Position aber auch kräftemäßig klar in der Defensive: Das Memorandum gegen die Primatenversuche wurde inzwischen von 105 HochschullehrerInnen und von 470 wissenschaftlichen und sonstigen MitarbeiterInnen unterzeichnet.

An der Uni, stärker aber noch in der allgemeinen öffentlichen Auseinandersetzung über Sinn und Unsinn von Kreiters Forschungsvorhaben, verlaufen die Argumentationen pro und contra anhand sattsam bekannter und unergiebiger Linien. Die eine Seite beruft sich auf die Freiheit der Forschung und die von ihnen gepflegte "vorurteilsfreie" wissenschaftliche Grundhaltung. Darüberhinaus wird - auch ein beliebtes Argument! - der Nutzen von Tierversuchen bei der Bekämpfung menschlicher Krankheiten hervorgehoben. Die andere Seite hält Tierversuche überhaupt und Primatenversuche im besonderen aus ethischen Gründen für unzulässig und verweist auf das Problem der Übertragbarkeit der Ergebnisse von Tierversuchen auf den Menschen.

Neben der moralischen Frage, ob es zulässig ist, aus wissenschaftlicher Neugier Affenköpfe aufzuschrauben und zu zerstören, stehen aber auch theoretische und wissenschaftspolitische, die in der bisherigen Auseinandersetzung zumeist ausgeklammert werden: Wer erforscht was? Warum wird ausgerechnet das erforscht? In welchen institutionellen Kontexten steht diese Forschung? etc. Wer allein moralisch gegen die Primatenversuche Kreiters argumentiert, übersieht leicht, daß auch dann gute Gründe gegen sein Forschungsprojekt gäbe, wenn es nicht mit Affenversuchen verbunden wäre.

Ein solcher Grund ist die Tendenz zu "naturalisierenden" und "reduktionistischen" Erklärungsansätzen in der Hirnforschung, das heißt: der Versuch, Bewußtseinsphänomene auf Gehirnprozesse zu reduzieren oder zumindest zurückzuführen. Manchmal wird das auch so formuliert, daß es verschiedene "Beschreibungsebenen" eines Phänomens gäbe, und es gelte, die Beschreibung von Bewußtseinsprozessen auf die Beschreibung physikalischer Prozese zurückzuführen. Dies ist im späten 20. Jahrhundert (anders als zu Marxens Zeiten?) offensichtlich kein emanzipatorisches Projekt. Daß das Sein das Bewußtsein bestimmt ist hier im rein physikalischen (bzw. neurophysiologischen) Sinne gemeint: "Bewußtsein ist das Produkt eines Informationsverarbeitungsprozesses; es ist das Produkt der repräsentationalen Aktivität des Nervensystems." (So der Bremer Prof. Flohr, Denken und Bewußtsein, S. 351) Und leicht bedauernd (man ist ja liberal) wird konstatiert: "Die wichtigste - und erschreckendste - Konsequenz dieser Entwicklung [einer naturalistischen Erklärung des Bewußtseins] wird sein, daß das Konzept des Subjekts, die Idee, daß ein 'Ich' diejenige Instanz sein wird, die Träger mentaler Phänomene ist, fragwürdig und hinfällig werden wird." (Ebd., S. 352). Prof. Roth (ebenfalls an der Bremer Uni tätig) hat dies auf die unsinnige These zugespitzt, daß Willensfreiheit nur eine Illusion sei, die 'uns' unser 'Gehirn' vorgaukele.

Prof. Roth und Prof. Flohr sind beide Mitglieder sowohl des interdisziplinär ausgerichteten "Zentrums für Kognitionswissenschaften" an der Bremer Universität als auch des neuen Sonderforschungsbereichs "Neurokognition" bzw. "Kognitive Leistungen und ihre neuronalen Grundlagen", der prestigeträchtig und großzügig mit 4,5 Millionen DM von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird. Diesem Sonderforschungsbereich (SFB) ist auch die Professur von Andreas Kreiter zugeordnet: "Das Ziel des SFB 'Neurokognition' ist die Untersuchung der Frage, wie im Gehirn von Tier und Mensch kognitive Leistungen, d. h. Wahrnehmungen, zeitliche und räumliche Orientierung, Lernen, Erkennen, Erinnern, Vorstellen, Denken, Planen und Verhaltenssteuerung zustandekommen," heißt es in der Selbstdarstellung des SFB vom Dezember 1995. Auf dieser Grundlage versucht Kreiter zu erforschen, wie im Falle visueller Wahrnehmung im Gehirn Bedeutungen entstehen. Während den Affen Bilder von durchgehenden oder unterbrochenen Balken vorgeführt werden, wird in ihrem Gehirn die neuronale Aktivität gemessen.

Diese Art von Forschung kann aber die Frage nach dem Entstehen von Bedeutungen prinzipiell nicht beantworten - weil sie die Möglichkeit bewußt ausklammert, daß die Erforschung der Entstehung von Bedeutungen sinnvollerweise in sozialen und kulturellen (statt in neuronalen) Kontexten angesiedelt wäre. Anders ausgedrückt: Sogar wenn sich erforschen ließe, was angesichts einer gegebenen Wahrnehmung der Gehirnzustand des wahrnehmenden Subjektes wäre (und daß hier ernsthafte Schwierigkeiten bestehen, räumt ja auch Kreiter ein (1)), wäre das Phänomen der Bedeutung, die aus einer unbestimmten Wahrnehmung erst ein sinnhaftes Vorkommnis macht, nach wie vor völlig ungeklärt. Es ist die erklärte Absicht des SFB "Neurokognition", zu einer Erklärung "kognitiver Leistungen" (Denken, Erkennen, Wahrnehmen, Erinnern etc.) beizutragen. Dabei wird allerdings ein höchst eingeschränkter Erklärungsbegriff zugrundegelegt: "Eine Erklärung kognitiver Leistungen besteht in der Angabe gesetzmäßiger Zusammenhänge zwischen neuronalen Prozessen und beobachtbaren kognitiven Leistungen (einschließlich der Berichte von Versuchspersonen über innere Erfahrungen)." (Selbstverständniserklärung vom Dezember 1995) Da wundert es nicht, wenn zwar Interdisziplinarität beschworen wird, in der allein kognitive Leistungen wirklich erforscht werden können (Roth im April 1996) - gleichzeitig (kritische) Sozial- und Geisteswissenschaften aus dem Forschungsvorhaben aber ausgeklammert bleiben.

Daß die Bremer Gehirnforscher sich nicht selbst als in sozialen und kulturellen Zusammenhängen Handelnde reflektieren, versteht sich von selbst. Was hätte auch Gehirnforschung mit der sozialen Positionierung ihrer AkteurInnen zu tun? Ob erklärtes Ziel oder nicht: Gehirnforschung à la Kreiter, Roth und Flohr trägt dazu bei, Perspektiven einzuschränken: "Der Mensch" wird auf ein naturwissenschaftliches Phänomen reduziert, und soziale, kulturelle und damit auch politische Dimensionen werden ausgeblendet, verschwinden aus dem als relevant wahrgenommenen Bereich. Diese Einwände gegen Kreiters und andere Forschungsprojekte bestehen unabhängig von stattfindendenden oder nicht stattfindenden Affenversuchen. Es geht hier letztendlich auch nicht um Affenversuche, sondern um die Definitionsgewalt über Bedeutungen. Eine rein moralische, vom Inhalt der Forschung losgelöste Kritik an Kreiters Versuchspraktiken greift darum zu kurz.

Wenn all dies mit der von Roth und Co. beschworenen Verbesserungen bei der Krankheitsbekämpfung nicht viel zu tun zu haben scheint, dann liegt das daran, daß es damit tatsächlich nichts zu tun hat. Der Hinweis auf zu gewinnende Erkenntnisse für die Behandlung irgendwelcher schrecklichen Krankheiten wie Alzheimer, Multipler Sklerose oder Schizophrenie hat bloß legitimatorischen Charakter. Dies muß genauso deutlich gemacht werden wie die Mahnung an TierschützerInnen, daß das Problem der Gehirnforschung auch über die Frage der Tierversuche hinausgehende Dimensionen hat.

Susanne Klickerklacker



Anmerkung:

(1) Vgl. z.B. die Eiunleitung in seine Dissertatiton, S.8f


Literatur:

Lesetip der Redaktion zum Thema Hirnforschung:


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kombo(p) - 16.02.1998