Ein Auszug aus - kassiber 34 - Februar 98

Ein Leserbrief

Hauptsache Abschiebung?


"... wie in Bremen schlägt der Fall Wellen in den hessischen Medien. Im mütterlich-feministisch geprägten Diskurs geht es allerdings hier wie da weniger um die rassistischen Abschiebungen an sich, sondern vielmehr um den 'Skandal' der Trennung während der Abschiebehaft." (Kassiber, Nr. 33, November 1997, "was bisher geschah": 15. Juli)

Ich versuche mal grob zusammenzufassen, was damit ausgesagt ist:

1. Die Trennung von Margret A. und ihrem Kind, dessen Zwangsunterbringung in einer "Pflegefamilie" bzw. Aufbewahrung in wechselnden Institutionen, sind nur in Anführungszeichen ein Skandal.

Selbstverständlich wären weder Abschiebungen noch Abschiebehaft weniger rassistisch, würden sie ohne solche Trennungen ablaufen. Trotzdem kritisiere ich (und Ihr auch) auch z.B. schlechte Knastbedingungen oder Folterungen während der Abschiebehaft. Was ist diese Trennung für ein zweijähriges Kind anderes als seelische Folter, nur eben nicht (nur) mit rassistischer, sondern mit patriarchaler, einfach menschenfeindlicher Grundlage?

2. Mütter und/oder Feministinnen sind dominant genug, um durch ihre Wortmeldung zugunsten von Gefühlsduselei den antirassistischen Diskurs in den Hintergrund zu drängen.

Leicht verkürzt gesagt wirft hier ein Mann Feministinnen vor, sie würden antirassistischen Kämpfern wie ihm in den Rücken fallen. Früher hieß das wohl, "die Betonung des Nebenwiderspruchs ist objektiv konterrevolutionär". Überinterpretiert??

Überhaupt ist die Wortschöpfung "mütterlich-feministisch geprägter Diskurs" eine interessante. Daraus lese ich

3. Parteinahme für das Recht von Margret A., mit ihrem Kind zusammen zu sein, und das Recht des Kindes, mit einer vertrauten Person zusammen zu sein (meistens, nicht unbedingt Mütter!), ist nicht einfach feministisch und menschen/kinderrechtlich, sondern nur "mütterlich-feministisch". Kritik an der Behandlung von Margret A. geht bei "Willi Leow" noch irgendwie als feministisch (also politisch) durch. Dagegen ist der Hinweis, daß ein zweijähriges Kind so eine Trennung und Zwangsbetreuung wohl nicht besonders gut findet gar nicht mehr politisch sondern nur "mütterlich". Unvorstellbar, daß ein Mann (und noch dazu ein linksradikaler) dagegen auch nur redet. Sich dagegen einzusetzen ist sozusagen emotionale Privatsache von Frauen. Kinder und (deren) Gefühle sind Sache des mütterlich feministischen Diskurses, "rassistische Abschiebungen an sich" Sache von "Willi Leow"

Ich habe (offenbar im Gegensatz zu Euch) nichts gegen Mütterlichkeit einzuwenden, und bin auch nicht der Meinung, daß "Kinder zur Mutter gehören", wie vielleicht Elisabeth Motschmann (und ihrem Handeln nach auch die meisten linken Männer). Viele Mütter und viele Kinder wollen das aber unter den gegebenen Umständen so und haben deshalb ein Recht drauf. Die Einforderung dieses Rechts richtet sich gegen die auch patriarchale Logik der Abschiebemaschine und sollte von Euch nicht als bürgerlich und unpolitisch denunziert werden, schon gar nicht mit sooo einem Spruch.

Aber daß Frauen für euch nicht ernst zu nehmen sind, wird ja auch ein paar Zeilen weiter unten deutlich, wo von der "Nazisse" Elisabeth Motschmann die Rede ist. Da "Nazi eine Kurzform ist, müßten eigentlich auch Nationalsozialistinnen gemeint sein: Die Nazi. Die meisten verstehen unter "Nazis" aber nur Männer, genau wie bei "Studi, AWi, usw., dann müßte aber doch wenigstens von "die Nazi-in" die Rede sein. "Nazisse" bewegt sich auf dem gleichen Niveau wie "Politesse" statt Polizistin und nimmt die Frauen auch als Gegnerinnen nicht ernst, stuft sie unter den männlichen Gegnern ein. Mit anderen Worten: "Willi Leow" bedient sich eines Sexismus, um politische Gegnerinnen zu diskreditieren. Die rechten und bürgerlichen Frauen greift er nicht nur als Rechte, sondern auch (und sogar vor allem, denn sie sind ja keine richtigen "Nazis", nur "Nazissen") als Frauen an.

Abgesehen von diesem offenen Sexismus, ist Elisabeth Motschmann in meiner Wahrnehmung keine Nazi, sondern katholisch-erzkonservativ, was nicht unbedingt viel besser, aber was anderes ist. Wer zwischen bürgerlichen Rechten und Faschistlnnen nicht unterscheiden kann oder will, ist in meinen Augen nicht besonders radikal, sondern besonders dumm.

Mit in diesem Fall unsolidarischen Grüßen

Willi Wiberg





Eine Antwort

Eben nicht!


Durchschnittlich etwa 50 bis 60 Flüchtlinge werden jeden Tag aus der BRD in das Ausland abgeschoben, rund 20.000 waren es 1996, die Zahlen für das vergangene Jahr wurden meines Wissens nach noch nicht veröffentlicht. Einige hundert dieser Abschiebungen finden jedes Jahr von Bremen aus statt, z.B. über den hiesigen Flughafen. Widerstand dagegen regt sich, auch in 'der' Linken, kaum, von Ausnahmen wie dem Antirassismus-Büro oder der Asylgruppe Ostertor abgesehen. Im kassiber ist es leider auch nicht wesentlich anders, schon seit einer ganzen Reihe von Heften ist kein Hintergrundinformationen und Analysen liefernden Artikel mehr zum 'Thema' Abschiebungen, die ja zumindest Teilbereich des (rassistischen) Alltags sind, erschienen. Und so bleibt es dem Autoren überlassen, zumindest die bekanntgewordenen 'Fälle' - und eventuellen Widerstand dagegen - in der Rubrik "Was bisher geschah" möglichst lückenlos zu erfassen.

Der Diskurs zu diesem Thema ist wesentlich bestimmt durch die Politik, die sog. Asyldebatte in den Medien (zu dieser beiden Zusammenhänge und Wechselwirkungen sind in den letzten Jahren einige schlaue Diskursanalysen erschienen) und nicht zuletzt den virulenten Rassismus in großen Teilen der deutschen Bevölkerung. Diejenigen, die versuchen, den Abschiebungen auch praktisch etwas entgegenzusetzen, Flüchtlinge vor den ihnen drohenden Abschiebungen zu bewahren, begreifen dies oftmals nicht Teil eines allgemeinpolitischen Widerstands, sondern versuchen vor allem, Lobbyarbeit für "Einzelschicksale" bzw. bestimmte "Volksgruppen", z.B. bosnische Flüchtlinge, zu machen. Argumentiert wird da zumeist mit "Menschenrechten", vor allem wird die zumindest bedrohliche Lage in den so Herkunftsländern herausgestellt. Hingegen ist die Forderung "Bleiberecht für alle" (Flüchtlinge), die Abschiebungen - egal wer und wohin - ad absurdum führen könnte, nur höchst selten zu hören. Wiederum von Ausnahmen abgesehen: insbesondere denjenigen Gruppen und Personen, die sich bundesweit der Kampagne "Kein Mensch ist illegal" angeschlossen haben.

Und dann gibt es da noch diejenigen, die auch in diesem Punkt ihren Frieden mit dem System schon lange geschlossen haben bzw. ihn nie aufgekündigt hatten: die deutsche Sozialdemokratie, Bündnis 90/Die Grünen, Behörden genauso wie "Hilfsorganisationen" und SozialarbeiterInnen, die sich z.B. bereit erklärt haben - aufgrund vertraglicher o.ä. Abmachungen Kinder von Müttern oder/und Vätern, die sich derweil in Abschiebehaft befinden, zu betreuen. (Die in der Kürze angelegte Plattheit sei mir hier verziehen, das Redaktionskollektiv wollte aber die eingeforderten 20 Seiten nicht genehmigen.)

Was ist also in der im Leserbrief kritisierten "Was bisher geschah"-Meldung der Skandal bzw. der Skandal in Anführungszeichen? Der Rassismus als Strukturelement der hiesigen Gesellschaftsformation; die massenhaften Abschiebungen; die Tatsache, daß sich kaum jemand dafür interessiert, wenn nicht z.B. "Einzelschicksale" zum "'Skandal'" (!) aufbereitet werden; der Fakt, daß die Mitwirkenden im berichteten "Fall" nicht gegen sondern FÜR die Abschiebung von Mutter und Kinder waren; "'Willi Leow'" oder gar der Leserbrief?

Natürlich bin auch gegen die Trennung von Mutter und Kinder - dies ist in vergangenen kassiber-Ausgaben nachzulesen, denn das war nicht das erste Mal, daß in "Was bisher geschah" über diese Praxis der hiesigen Behörden berichtet wurde - und die Zwangsunterbringung der Kinder in wechselnden Institutionen. Ich vermag allerdings nicht einzusehen, warum dies für das Kind wesentlich 'schlimmer', denn seelische Folter, als für die Mutter sein soll: nicht nur die zahlreichen Suizide in Abschiebehaft sprechen klar dagegen - auch zum Thema "Abschiebehaftbedingungen" gibt es zahlreiche Veröffentlichungen, die meiner Meinung nach dagegen sprechen. Fast genausowenig leuchtet mir die "patriarchale[], einfach menschenfeindliche[] Grundlage" ein, was aber daran liegen mag, daß ich es mit dem "Menscheln" im allgemeinen nicht so habe.

Kritisiert bzw. wie es der Leserbrief nahelegt: denunziert wurde nicht 'der' Feminismus pauschal, sondern Wortmeldungen bzw. eine Praxis von sich größtenteils - soweit dies in der Presse o.ä. verlautbart wurde - feministisch gerierenden Abgeordneten, Sozialarbeiterinnen u.a., denen es aber eben NICHT GEGEN die Abschiebung von Margret A. und ihrem Kind ging, sondern die diese Abschiebung (indirekt) unterstützen und - unfreundlich formuliert - eben nur wollen, daß Mutter und Kind, wenn schon, dann GEMEINSAM in der Abschiebehaft sitzen und gemeinsam ABGESCHOBEN werden. (Und ich bin schon der Meinung, daß selbst ein Mann das kritisieren darf.) Wer hingegen "schlechte Knastbedingungen oder Folterungen während der Abschiebehaft" im konkreten "Fall" kritisiert, ist zumeist zumindest nicht mit der jeweiligen Abschiebung einverstanden. Zugespitzt taucht die Frage auf: Was ist die Trennung von Mutter und Kind in der Abschiebehaft gegen die dann anschließende Abschiebung in Verfolgung, Folter oder Tod?

So ging es in der Bürgerschaftsdebatte am 10. Juli über den Tagesordnungspunkt "Mütter in Abschiebehaft" ausweislich des Protokolls Bündnis 90/Die Grünen und ihrer Rednerin, der Abgeordneten Spieker, nicht darum "eine Debatte um die Berechtigung von Abschiebung oder um die Sinnhaftigkeit von Abschiebehaft (zu) führen, sondern (um) eine Debatte ..., die vom Wohl des Kindes ausgeht. Das ist mir hier noch einmal ganz wichtig zu sagen, denn ich spreche hier als Jugendpolitikerin und nicht als Fachfrau für Ausländerpolitik." Und: "Wenn man versucht zu sagen, die müssen ausreisen, und wir müssen sicher sein, daß das Verfahren läuf,t kann man sich zum Beispiel in der Ausländerbehörde auch überlegen, daß es eine enge Meldepflicht gibt, daß zum Beispiel diese Personen sich öfter in der Woche melden müssen, so daß man in dem Sinne eine Kontrolle darüber hat, aber es muß nicht zu diesen unnötigen Härten kommen, die dann zu Lasten der Kinder gehen." Daß es zu NÖTIGEN wie auch zu unnötigen Härten in puncto Abschiebung kommen muß, diese Ansicht und Politik haben die Grünen in vier Jahren Ampelkoalition mitvertreten. Dennoch: mich überzeugt haben sie nicht.

Wie gesagt: Mit keinem Wort sprachen sich Bündnis 90/Die Grünen, obwohl von vornherein klar war, daß der Antrag abgelehnt werden würde, hier gegen die Abschiebung von Frau A. und ihrem Kind bzw. anderen Frauen, Kindern und Männern aus. Auch Frau Wulff, die zu den wenigen einigermaßen fortschrittlichen SPD-Bürgerschaftsabgeordneten gehört, will abschieben und findet, daß es "dem Senat gut an(stände), wenn er in dieser Frage das Angebot der Wohlfahrtverbände annehmen würde, eine alternative Unterbringungsmöglichkeit zur Verfügung zu stellen". Im übrigen hofft sie, daß der Umzug auch des Polizeigewahrsams zur Kaserne in der Vahr bald stattfindet: "Dann wäre es sicherlich auch gleich gut zu berücksichtigen, daß dann auch Männer und Frauen getrennt untergebracht werden können, so daß es dann vielleicht auch möglich ist, ein Kind zu der Mutter zu bringen." (Und zwar im polizeilichen Abschiebegewahrsam!) Auf die Debattenbeiträge der Abgeordneten Marken (AFB) und Motschmann (CDU) sowie Innensenators Borttschellers soll hier nicht weiter eingegangen werden.

Aus den o.g. Gründen erscheint eine Kritik, die sich nur auf das vermeintlich Wohl des abzuschiebenden Kindes bezieht, deutlich zu kurz gegriffen. Ich würde eher sagen, daß wer von (tagtäglichen) Abschiebungen zumindest schweigt bzw. an ihnen (indirekt) mitwirkt, auch hier das Maul halten könnte.

Ähnlich verhält es sich mit Elisabeth Motschmann. Wer von diesen Aktivitäten, die zumindest für die Vergangenheit bewiesen sind, nichts wissen will, sollte sie zumindest nicht als "bürgerliche Rechte" bzw. "katholisch-erzkonservativ" entschuldigen - schließlich sind wir hier nicht bei der taz Bremen, wo Frau Motschmann gern "Frau Pastor" oder die "Pfarrersgattin" genannt wird. Die studierte Theologin und Pädagogin, die ihren Religionslehrerinnen-Job "der Familie und den drei Kinder zuliebe" aufgegeben hat, und im Bürgerschafts-Handbuch "Journalistin" als Beruf angibt, ist erstens evangelisch, wie ihr Herr Gemahl. (Der Pastor der Bremer St.-Martini Gemeinde ist ein übles rechtsradikales Subjekt und wird zumindest in der Leserbriefspalten von Weser-Kurier und Bremer Kirchenzeitung unwidersprochen als "rassistisch", "sexistisch", "rechtsaußen", zum "äußersten rechten Rand" gehörend und dergleichen mehr beschrieben.)

Zweitens ist die stellvertretende Landes- und Fraktionsvorsitzende der CDU sowie frauen- und wissenschaftspolitische Sprecherin der Bürgerschaftsfraktion und Sprecherin der Kulturdeputation nicht nur verbal-radikale Abtreibungsgegnerin, "Lebensschützerin" sowie Kummerkasten-Tante bzw. "Lebensberaterin" in der Springer-Zeitung "Funk Uhr", sondern kämpfte auch mit der "Konservativen Aktion", als sie schon längst Mitglied der CDU war, für die Freilassung des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß, gegen die "Überflutung Deutschlands durch Ausländer" sowie mit "allen anständigen Deutschen auf der Seite der Polizei gegen den roten Straßenpöbel". In dieser doch wohl kaum "erzkonservativen" Organisation brachte sie es immerhin zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden (1982/83); 1987 veröffentlichte sie in der zur sog. Neuen Rechten gehörenden Zeitung "Mut". Daß sie ihre Meinungen in den letzten Jahren wesentlich geändert hat, ist durch nichts deutlich geworden.

Wer behauptet, daß der Autor in "Was bisher geschah" nicht zwischen bürgerlichen Rechten und Nazis unterschieden kann, muß sich zur Strafe die entsprechenden Rubriken der letzten etwa 25 Ausgaben durchlesen - und darf dabei zugleich überprüfen, daß rechte und bürgerliche Frauen dort nicht "als Frauen" angegriffen und nicht nicht ernstgenommen werden. Die Titulierung Elisabeth Motschmanns als "Nazisse" bildet da eine Ausnahme. Zwar sollte "Nazisse" nicht die weibliche Form von "Nazi", hier halte ich es in den seltenen Fällen aus politischen Überlegungen doch eher mit der "Faschistin", sondern vielmehr eine Art Mittelding zwischen bürgerlicher Rechter und Faschistin sein, doch ist diese Bezeichnung natürlich schon, da keine männliche Entsprechung existiert, sexistisch. Dahingehend gelobe ich Besserung.

Willi Leow


bezugsmöglichkeiten


zurück!

kombo(p) - 16.02.1998