Ein Auszug aus - kassiber 34 - Februar 98

Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode

Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Abgeordneten Christina Schenk und der Gruppe der PDS

- Drucksache 13/5757 -


Genitalanpassungen in der Bundesrepublik Deutschland

Nach Berichten von Betroffenen ist es üblich, bei Kindern, deren äußerliche Geschlechtsmerkmale nicht einer bestimmten Norm entsprechen, mit Hilfe chirurgischer Eingriffe Anpassungen vorzunehmen. Bei einigen Kindern lassen sich physische Charakteristika beider Geschlechter in einer Person oder eine dem äußeren Geschlecht widersprechende Chromosomenzusammensetzung feststellen. Diesen Kindern wird ein Geschlecht zugewiesen und eine entsprechende chirurgische und / oder hormonelle Behandlung eingeleitet. In den meisten Fällen werden Kinder mit männlicher Chromosomenzusammensetzung und uneindeutiger Geschlechtsmerkmale zu Mädchen gemacht, da es als einfacher gilt, weibliche Geschlechtsteile künstlich zu bilden als die männlichen. Die Arbeitsgemeinschaft gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie weist darauf hin, daß derartige Eingriffe für die Betroffenen häufig mit außerordentlichen physischen und psychischen Belastungen - oft lebenslang - verbunden sind.
  1. Ist der Bundesregierung bekannt, in welchem Ausmaß Operationen und Hormonbehandlungen an Kindern vorgenommen werden, um ihre Genitalien normentsprechend zu formen?
  2. Ist der Bundesregierung ferner bekannt,
    a) ob bei entsprechenden Eingriffen bestimmte Normen beachtet werden (z. B. Klitorisgröße im Kindesalter nicht über 1 cm Länge und Penisgröße bei der Geburt nicht unter 2,5 cm), und wo diese ggf. festgelegt sind,
    b) ob entsprechende Normvorgaben auch bei entsprechenden chirurgischen Eingriffen an anderen Körperteilen beachtet werden,
    c) welche Gründe für die Beseitigung uneindeutiger Geschlechtsmerkmale maßgeblich sind,
    d) woraus sich die Notwendigkeit ergibt bereits im Säuglings- oder Kindesalter ein Geschlecht durch chirurgische Eingriffe zuzuweisen,
    e) auf welcher rechtlichen Grundlage bei Kindern die Neuschaffung einer Vagina oder die Verkleinerungen der Klitoris mit dem Risiko einer Einschränkung, wenn nicht eines Verlusts des Lustempfindens vorgenommen wird?
  3. Ist der Bundesregierung bekannt, welche medizinische Indikation für eine Neuschaffung einer Vagina bei Kindern vorliegt?
    Wenn keine, auf welcher rechtlichen Grundlage wird nach Kenntnis der Bundesregierung dieser Eingriff durchgeführt?
  4. Welche möglichen physischen und psychischen Beeinträchtigungen der Betroffenen aufgrund derartiger Behandlungen sind der Bundesregierung bekannt?
    Wenn keine, beabsichtigt die Bundesregierung sich um entsprechende Informationen zu bemühen?
  5. Warum werden juristisch nur zwei Geschlechter anerkannt, obwohl bekannt ist, daß es schon immer Menschen gegeben hat und gibt, die weder dem Geschlecht männlich noch dem Geschlecht weiblich zugewiesen werden können oder sich nicht zuordnen wollen?
  6. Wird die Bundesregierung entsprechende Aufklärungsarbeit gewährleisten?
    Wenn nein, warum nicht?
    Wenn ja, in welcher Form?

Antwort der Bundesregierung

Die Fragen 1 bis 6 werden zusammengefaßt wie folgt beantwortet:

Wenn das äußere und innere Genitale nicht eindeutig weiblich oder männlich ist oder die Genitalentwicklung nicht mit den Keimdrüsen übereinstimmt, spricht man von somatischer Intersexualität. Die Behandlung der betroffenen Kinder erfolgt individuell nach den spezifischen Gegebenheiten des einzelnen Krankheitsbildes und den besonderen Umständen des betroffenen Kindes. Um psychische Auswirkungen zu vermeiden, wird eine notwendige Geschlechtskorrektur in der Regel vor Vollendung des zweiten Lebensjahres vorgenommen. Die Behandlung erfolgt nach entsprechender Beratung der Eltern und deren Einwilligung. Die Eltern finden auch Unterstützung bei den Selbsthilfegruppen, z. B. der Selbsthilfegruppe Adreno-Genitales-Syndrom, der über 180 Mitglieder angehören.

Der Bundesregierung ist bekannt, daß hormonelle und operative Korrekturen am Geschlecht von Kindern national und international bei folgenden Entwicklungsstörungen vorgenommen werden:
Fachexperten der pädiatrischer. Endokrinologie suchen im Einzelfall in Zusammenarbeit mit Kinderchirurgen oder Urologen, Gynäkologen und Psychologen unter Einbeziehung der Eltern nach Lösungen, die dem betroffenen Kind eine rechtzeitige Geschlechtsrollen-Identifikation ermöglichen. Die medizinische Indikation für operative Maßnahmen bei den betroffenen Kindern ist im Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Schaffung einer eindeutigen Basis für die Entstehung der Geschlechtsidentität zu sehen. Der Eingriff ist Teil der Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels. Je mehr die somatischen und psychosozialen Einflüsse bei der Entstehung der Geschlechtsidentität miteinander im Einklang stehen, desto früher und desto stabiler kann die Identität etabliert werden.

Mit der fachlichen und wissenschaftlichen Bearbeitung der Thematik sind entsprechende medizinische Gremien befaßt, z. B. die Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendgynäkologie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie sowie die Arbeitsgemeinschaft Endokrinologie der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, die gerne bereit sind, zu einzelnen fachspezifischen Fragen Auskunft zu geben.

Für die Frage, welche Eingriffe der Arzt zur Behandlung somatischer Intersexualität durchführen darf, gelten die allgemeinen Regeln über die Heilbehandlung hinsichtlich Einwilligung und Aufklärung sowie ggf. hinsichtlich der gesetzlichen Vertretung Einwilligungsunfähiger.

Die rechtliche Grundlage ist der medizinische Behandlungsvertrag, der im Wissen um das Schicksal nicht behandelter an diesen Krankheiten Leidender mit den Eltern abgeschlossen wird. Durch gemeinsame Beratung (Pädiater, Kinderchirurg, Gynäkologe; Psychologe) werden auch ethische Gesichtspunkte berücksichtigt.

Soweit in den rechtlichen Regelungen des bundesdeutschen Rechts der Begriff des "Geschlechts" gebraucht wird, ist dieser immer eindeutig den alternativen Kategorien "männlich" und "weiblich" zugeordnet. Da die rechtlichen Regelungen nicht aussagen, was unter diesen Begriffen zur verstehen ist, müssen diese Begriffe nicht juristisch, sondern medizinisch-naturwissenschaftlich bestimmt werden.



Presseerklärung zur Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der PDS zu Genitalanpassungen in der Bundesrepublik Deutschland vom 29.10.96


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kombo(p) - 16.02.1998