Ein Auszug aus - kassiber 34 - Februar 98

Schwerpunkt

Eine Bewegung in der Falle ihrer neuen Freunde?



Als Studierende die Frankfurter Börse besetzen wollten, wurden sie freundlich hereingebeten, mit heißem Kirschsaft bewirtet, mit 26 Computern sowie zehn weiteren Praktikumsplätzen beschenkt und mit Ratschlägen eingedeckt: Examen nach sechs Semestern, Graduiertenstudium vielleicht nach einer Zeit der Bewährung im Beruf, Konkurrenz zwischen den Unis um die Student(inn)en und wohl auch zwischen den Abiturient(inn)en um die begehrteren Studienorte. So berichtete die "Frankfurter Rundschau". Die räumlich benachbarte "Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland", die Präsidenten der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände und der Rektorenkonferenz sowie der Bundeskanzler bekundeten Verständnis für die Aktionen der Studierenden.

Da nach einer einflußreichen sozialwissenschaftlichen Lehre Politik als Marktverhalten interpretiert werden kann, in dem es auf Stimmen-Maximierung ankommt, und da andererseits auch Gewerbeunternehmen - nämlich große Zeitungen - an der Würdigung des Protests beteiligt sind, lohnt es sich, den Vorgang auch unter diesem Aspekt zu betrachten. Dabei lernt man nicht unbedingt, wie die Welt wirklich ist, aber wie sie angeschaut wird und welche Konsequenzen aus dieser Wahrnehmung gezogen werden.

1,8 Millionen Studierende sind ein interessantes Marktsegment, das sich - im Unterschied zur Landwirtschaft - überdies rasch erneuert. Die Absolvent(inn)en bleiben auch nach dem Examen als Kundinnen und Kunden erhalten. Die zahlreichen Anzeigenzeitungen, die zu Beginn jedes Semesters in den Universitäten verteilt werden und ausschließlich auf ein jungakademisches Publikum zielen, entstehen aus diesem Kalkül. Aus dem gleichen Grund machen die drei großen Wochenzeitschriften im April und Oktober gern mit Hochschul-Themen auf.

Studierende waren nicht nur von jeher mobilisierungsfähig (wodurch sie sich zumindest gegenwärtig von Sozialhilfeempfängern unterscheiden), sondern die Intelligenz, zu der sie gehören, ist heute - anders als früher - eine Massenschicht. Im Umgang mit ihr lohnt sich eine spezielle, auf sie abgestimmte Politik. Diese ist zugleich notwendig, da 1968 zumindest gezeigt zu haben schien, daß Akademiker sich aus ihrer historischen Anhänglichkeit an die Machteliten zu lösen vermögen. Das ist schlecht für Staat und Kapital. Schon vorher, 1942, hatte Schumpeter darauf hingewiesen, Kopfarbeiter würden gefährlich, wenn sie sich vor allem als kritische Intellektuelle benehmen. Dieselbe Befürchtung äußerte 1975 ein Bericht an die Trilaterale Kommission.

Intelligenzpolitik wird deshalb immer wieder auch darin bestehen, eine Bindung dieses Potentials an die politischen und ökonomischen Eliten entweder zu erhalten oder wiederherzustellen. Hier sind antagonistische Kooperationen möglich, bei denen selbst Protestbewegungen mehr im Interesse der tatsächlichen Machthaber funktionieren, als dies auf den ersten Blick sichtbar wird.

Unter diesem Aspekt wäre eine Erinnerung an die Dialektik der Studentenbewegung von 1967/68 ratsam. Zu ihren Ergebnissen gehörte immerhin auch die Durchsetzung einer durchaus kapital-dienlichen Hochschulreform, welche die staatlichen Administrationen ohne diese Unterstützung kaum gegen die Ordinarien hätten verwirklichen können.

Ideologisch hatte sich das allerdings etwas anders dargestellt. Für das Verhältnis von roter Fahne und objektiven Ergebnissen des Protests gilt alles, was bereits der sehr junge Marx über die Beziehung von Idee und Interesse notiert hat. Auf der anderen Seite war es ebenso: Während das politische Establishment aufatmend die Chancen nutzte, welche sich durch die Erschütterung der Ordinarienherrschaft boten, wurde da und dort einmal das Verbot des SDS gefordert, und Tote gab es ja auch.

Das konfliktgeladene produktive Wechselspiel zweier ungleicher Partner wurde auch noch einige Zeit fortgesetzt, nachdem die gewerkschaftlich orientierte Studentenbewegung an die Stelle der antiautoritären getreten war. Selbst die Berufsverbote ab 1971 taten der - nennen wir es mal so: - Freundschaft kaum Abbruch.


Dann kam 1973

Dieses Datum erweist sich im nachhinein als das Schlüsseljahr der gesellschaftlichen Entwicklung nicht nur in der Bundesrepublik. Es war die allerletzte Zeit jener Vollbeschäftigung, die später als "Überbeschäftigung" gelten sollte. Die Lohnzuwächse waren noch einmal hoch, auch unter dem Druck reger Streiktätigkeit. Gleichzeitig, fast ruckartig, wurden Gegensteuerungen bemerkbar. Am wichtigsten war die Aufkündigung des Wechselkurs-Regimes von Bretton Woods. Die Bundesbank triumphierte: nunmehr, nach der Ausschaltung von Außenstörungen, könne sie sich dem Hauptziel der Bekämpfung der Inflation, die in diesem Jahr tatsächlich einen Höhepunkt erreicht hatte, widmen. Das war zu früh gefreut, denn im Herbst zeichnete sich ab, daß ein neues internationales Großereignis auf den Binnenmarkt einwirken werde: die Ölkrise. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung deklamierte: "Gleicher Rang für den Geldwert". In der Praxis sollte das heißen: wenn die Rohstoffe teurer werden, müssen die Löhne sinken. Die Öffentlichen Hände stellten sich auf den Stop der Expansion ein.

Am 31. Mai desselben Jahres verbot das Bundesverfassungsgericht die Drittelparität in den Hochschulgremien bei Entscheidungen über Berufungen und Fragen der Forschungsorganisation.

Die gesamte Bildungspolitik der beiden nachfolgenden Dezennien bestand - etwas verallgemeinert ausgedrückt - im Nachvollzug der 1973 getroffenen Entscheidungen, auf diesem Feld am deutlichsten sichtbar in der Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes 1975 (es ist 1976 in Kraft getreten), in seinen späteren Novellierungen, in den daran orientierten Veränderungen der Landeshochschulgesetze sowie in der Stagnation und schließlichen Rückführung der Wissenschaftsetats.

Es gab in den Folgejahrzehnten immer wieder Hochschulstreiks - zum Beispiel 1977,1988,1993,1996 - von beträchtlicher Breite. Sie fanden in den Medien kaum Resonanz. Tatsächlich handelte es sich nur noch um die Verteidigung der Reformen von gestern. Der Gleichklang mit den Interessen der politischen und ökonomischen Eliten bestand nicht mehr. Die Kooperation mit den Gewerkschaften war zwar von einigen Studentenverbänden gewünscht, doch ihre Bitte um Kooperation stieß de facto auf Ablehnung.

Im Ergebnis dieser Mißerfolge regredierte die Studierendenbewegung seit ca. 1980 zur Selbstverwaltung im schlechten Sinn - mit den Finanztöpfen des jeweiligen AStA als Lebensmittelpunkt.

Ihr nunmehriges Erwachen findet zeitgleich mit der Forcierung eines neuen Projektes vor allem durch die medialen und ökonomischen Eliten statt. Es geht um die Umwandlung der Hochschulen nach betriebswirtschaftlichem Modell zum Zweck der Behauptung im sogenannten globalen Standortwettbewerb.

Gegner eines solchen Vorhabens sind nicht in erster Linie die Professoren. Da es sich ihnen in Form von Drittmittelforschung eher reizvoll präsentiert, haben sie wenig dagegen und gehören zum Protestpotential deshalb auch nur dort, wo über die finanzielle Austrocknung der Hochschulen zu klagen ist.

Das ehemalige Feindbild des Ordinarius ist durch das der Kultusbürokratie und überhaupt einer zu wenig dynamischen politischen Klasse ersetzt. Das "Focus"-Uni-Ranking 199~ und Herzogs zweite Ruck-Rede zählen hier zu den wichtigsten ideologiepolitischen Quellen.

Überraschenderweise werden die Studierenden dabei als potentielle Verbündete wahrgenommen. Die Aufforderungen, welche zu Streikbeginn in sie hineingerufen wurden, stießen keineswegs ausschließlich auf taube Ohren. In Vollversammlungen war schon mal zu hören, man wolle ja zügig und durchaus auch karriere-orientiert studieren, aber die dürftige Ausstattung der Hochschulen hindere solches Vorankommen und sei auch schlecht für den Standort Deutschland. Dies war kompatibel mit dem, was ein Kommentar in Wickerts "Tagesthemen" verlauten ließ.


Kein breites und komfortables Integrationsangebot

Im Fortgang des Streiks hat sich das da und dort wohl wieder gelegt. Das egalitäre Motiv wurde in den Vollversammlungen lauter, vielleicht auch deshalb, weil diejenigen Studierenden, denen es zunächst um eine nur eher ständische Interessenvertretung ging, teils wegblieben, teils sich relativ rasch nach links politisierten. Der Anteil an Erstsemestern lag durchgehend hoch, und wohl auch deshalb gingen Lemprozesse schnell. Die Säle wurden zunächst nicht leerer.

Es bleibt aber, daß die Vorgabe von rechts oben: Hochschulen als Kombination aus Berufsakademie für viele und Graduiertenkolleg für wenige, zur Zeit das einzige durchgearbeitete Modell bietet, so daß es leicht als alternativlos erscheint. So lange das so bleibt, hat es seinen bauernfängerischen Appeal.

Wichtiger als eilige " Gegenmodelle " ist vielleicht die Festigung und Begründung von egalitären Impulsen, die im Lauf der Streikbewegung doch spürbar wurden. Einige Formeln, die noch aus den verlorenen Kämpfen um die Reformen von einst herüberwehten - z. B.: " Geld ist genug da " -, hatten hier immerhin eine Art Initialfunktion. Es läßt sich schnell begreifen, daß die Mehrzahl der Studierenden bei der Verwirklichung des wissenschaftspolitischen Betriebswirtschafts-plus-Elite-Modells keine Chance hätte. Dieses gehört nämlich zu dem gesellschaftlichen Großversuch "Ungleichheit als Projekt". Hierfür zu kämpfen lohnt sich für die meisten Student(inn)en wirklich nicht. Der Konsum der Medien, welche streikführend zu agieren sich bemühten, kann durchaus lehrreich sein. Ein älterer "Spiegel" - aber noch von 1997 - nannte die Jahrgänge, deren studentischer Teil jetzt protestiert, die "unerwünschte Generation". Sie sind als Kund(inn)en willkommen, auf dem Arbeitsmarkt aber schwer unterzubringen.

Dies erst ist der wahre Unterschied zur Revolte der Damen und Herren Eltern. Ihnen wurde damals ja tatsächlich ein sehr breites und komfortables Integrationsangebot gemacht, das heute nur noch für eine Minderheit gilt. Deshalb schlägt die ideologiepolitische Spekulation auf ein Bündnis zwischen den Studierenden und den machtpolitischen Eliten vielleicht doch fehl. Es könnte nämlich sein, daß die angeblich auf Null nivellierten Gesamtschulen und Gymnasien ihre Absolvent(inn)en doch nicht so unbedarft entlassen haben, wie sie sein müßten, wenn sie sich durch ein letztlich recht plumpes Manöver für dumm verkaufen ließen.

Georg Fülberth

Georg Fülberth ist Hochschullehrer an der Universität Marburg
(aus: Blätter für deutsche und internationale Politik)


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kombo(p) - 16.02.1998