Ein Auszug aus - kassiber 34 - Februar 98

Die Autonomen


Die Literatur von und über "die Autonomen" ist, jenseits der reichlich vorhandenen, aber außerhalb der Szene relativ schwer zugänglichen "grauen" Literatur, dünn gesät. Um so mehr Aufmerksamkeit verdient es, wenn in kurzem Abstand gleich zwei umfangreiche Bücher über die Autonomen, ihre Geschichte und ihre politischen Perspektiven erscheinen (zumal die Dokumentation zum Autonomie-Kongreß ebenfalls Anfang 1997 im Unrast Verlag erschien). Die beiden Bücher behandeln in unterschiedlicher Weise die Autonomen als - und hier fangen die Probleme auch schon an, als was eigentlich? Als wichtigsten Bestandteil außerparlamentarischen politischen Protestes der 80er Jahre? Als eine an ihr Ende gekommene soziale Bewegung? Als linksradikalen politischen Widerstand, dessen Ende schon oft konstatiert wurde (das erste Mal 1981/82), der aber, dank seines kulturellen "Unterbaues" das Ende der neuen sozialen Bewegungen überleben wird bzw. überlebte?

Für Thomas Schultze und Almut Gross sind Die Autonomen der in die Krise geratene linksradikale Flügel der neuen sozialen Bewegungen. Sie legen in ihrem, aus einer überarbeiteten politikwissenschaftlichen Diplomarbeit entstandenen Buch eine Geschichte der autonomen Bewegung, der Entwicklung ihrer Theorie und Praxis und einen kleineren Abschnitt zur autonomen Frauen- und Lesbenbewegung vor. Eingeleitet wird der Text, bei einer akademischen Arbeit wohl unvermeidlich, mit einem theoretischen Teil, der die neuen sozialen Bewegungen aus der Krise des fordistischen 'Modells Deutschland` ableitet. Dann werden die Autonomen organisations- und ideengeschichtlich dargestellt und der operaistisch-sozialrevolutionäre Blickwinkel von Zeitschriften wie Autonomie (Neue Folge) und wildcat kritisch diskutiert, ebenso wird auf die radikal eingegangen. Hervorhebenswert an dem Band ist, daß große Teile autonomer Theorie abgedeckt und in ihrer historischen Herausbildung untersucht werden. Das stark ich-bezogene und von der Vorstellung geprägte autonome Politikverständnis, der Wille des/der einzelnen sei relevant für die gesellschaftliche Entwicklung, wird sehr deutlich. Diese Politikvorstellung ist aber durch den Wandel autonomer Politik in den 80er Jahren von der Politik in erster Person zu der einer Politik autonomer Gruppen und erst recht durch die Organisierungsdebatte der 90er Jahre heute nicht mehr so vorherrschend, wie Schultze schreibt.

Das Buch liefert, wenn auch nicht lückenlos oder fehlerfrei, Daten und Informationen zu bestimmten Ereignissen, wie etwa Demonstrationen, Kampagnen oder Kongressen. Die beiden AutorInnen untersuchen die autonome Politik begründenden Merkmale (Identität, Militanz, Staatskritik, Antiinstitutionalismus), ihre Erweiterungen (Bündnispolitik, Patriarchatskritik, Triple oppression) und ihre Widersprüchlichkeiten, etwa in Bezug auf Organisation. Interessant ist, daß die AutorInnen zur Illustration autonomer Selbstkritik Zitate verwenden, die aus Texten aus heutigen Tagen stammen könnten (etwa aus der FelS oder Antifa/M-Debatte). Aber, im Gegenteil, weit gefehlt: Sie sind aus den frühen 80er Jahren und beweisen, daß die in heutiger Zeit geäußerten Kritiken und Selbstanalysen die autonome Bewegung schon immer begleitet haben.

Glut und Asche ist die dritte Veröffentlichung des Berliner Autonomen Geronimo. Der unter Pseudonym schreibende Geronimo verfaßte 1990 das mittlerweile in fünfter Auflage verbreitete Buch "Feuer und Flamme. Zur Geschichte und Gegenwart der Autonomen". In dem neuen Band erzählt er vier Beispiele linksradikaler Politik der beginnenden 90er Jahre nach: Die Kampagne gegen Berlin als Olympiastandort (Berlin - NOlympic City!), den Tod des faschistischen Funktionär Kaindl und die nachfolgende Repressionswelle, die Diskussion um den Spitzel, der den folgenreichen GSG-9-Einsatz in Bad Kleinen 1993 ermöglichte und schließlich den bundesweiten Autonomie-Kongreß 1995. Geronimo geht sehr detailliert vor, untersucht die Vorgänge und ihre Bearbeitung in autonomer Politik. Als Kondensat gewinnt er sein Anliegen einer Verteidigung "des Politischen"; ihm geht es um Streit im, wie er es nennt, "heißen" Sinne des Wortes und nicht um platte "Benimmregeln". Diese entstanden aus dem durch die Frauenbewegung angestoßenen Grundsatz "Das Private ist politisch", der patriarchale Strukturen und Männerverhalten kritisierte. Heute führe er aber dazu, "Politik" mit richtigem "Verhalten" zu verwechseln. Eine "gesellschaftstheoretische Bankrotterklärung ersten Ranges" sei es, so Geronimo, wenn es von Seiten Autonomer nicht einmal mehr problematisiert werde, daß autonome Politik heute in der Verteidigung des Status quo bestehe und "kein Platz für gesellschaftliche Gegenentwürfe" mehr bestünde.

Gross/Schultze unternehmen einen ideengeschichtlichen Zugang, der die Autonomen vorrangig aus der Krise fordistischer Vergesellschaftung ableitet und so das Gewicht von "Strukturen" zu stark macht. Geronimo demgegenüber gibt zu, daß seine Gewichtungen in erster Linie subjektiv sind. Sein Anliegen einer Verteidigung eines "Politischen" erinnert im Hinblick auf die gesellschaftliche Totalität und Realität schon fast an die Forderungen zivilgesellschaftlich gewendeter Ex-Linker. Er setzt unter Bezug auf einen Politikbegriff, der dem Willen zum Handeln die Möglichkeit der Freiheit zuschreibt, auf "Selbstaufklärung", Spontaneität und die Bewahrung des "Eigensinns", die anzustreben oder zu schützen seien und wendet sich gegen die in autonomen Kreisen existierende Sehnsucht nach "Political Correctness".

Gross/Schultze haben keine politische Perspektive anzubieten, die über Anforderungen an ein "Überleben" des "autonomen Widerstandes" hinausgehen. Sie stellen fest, daß die Autonomen - ganz wie die neuen sozialen Bewegungen - nur im Reproduktionsbereich agieren würden und kritisieren richtig die Vorstellung befreiter Räume und den Bezug auf "unser Viertel", gleichzeitig sehen sie aber bestimmte "sozialmoralische Milieus" als Bedingung autonomer Politik an.

Die beiden Bücher sind streckenweise schon veraltet, eine Positionierung der AutorInnen zu den auch aus einer Kritik an autonomer Theorie und Praxis entstandenen Strömungen der Kulturlinken, der Antinationalen oder, noch wichtiger, der Organisierungsversuche (AA/BO, FelS ...) erfolgt leider nicht. Geronimo gehört zur "autonomen Mitte", für die die Bedingungen von Politik, die Spontaneität und die Selbstorganisierung manchmal wichtiger als die Inhalte zu sein scheinen. Thomas Schultze ist Redakteur der lesenswerten antideutschen (Kultur-)Zeitschrift 17° C und damit etwas eindeutiger verortbar. Er vertritt stellenweise eine verhaltene, antinational begründete Kritik an autonomer Massenorientierung. Im Widerspruch dazu steht aber sein eher sozialrevolutionärer Wunschgedanke, die Autonomen hätten eine Verbindung zu und eine Verankerung im Produktionsbereich zustandegebracht.

Ein bißchen sind die Texte, vor allem der von Gross/Schultze, Geschichtsschreibung der Sieger. Die Verstummten, die Resignierten, die aus der Szene Verschwundenen, die durch ihre Zeit bei den Autonomen an Seele und Körper Verwundeten und Verletzten kommen nicht vor, obwohl es seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, mehr Ex-Autonome als Autonome geben dürfte. Sie müßten, wenn mensch die Autonomen an ihrem selbstgesetzten Anspruch der Abschwächung der Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit mißt, erwähnt werden. Zumal eine Perspektive "von unten" Teil einer Untersuchung der Geschichte der Autonomen sein müsste. Ein solcher Blick ist in einem Lesebuch besser eingelöst, das im Vorfeld des Autonomie-Kongresses erschien und 18 Gespräche über linksradikale Politik enthält (Der Stand der Bewegung, Berlin 1995, noch erhältlich).

Die Bücher haben mit dem Widerspruch zwischen und dem Verhältnis von "Struktur" und "Handlung" zu kämpfen. Dies ist nicht weiter verwunderlich. Daß dieses Problem den AutorInnen aber wenig bewußt ist, verwundert schon: Die eigene Sprechposition, die unterschiedlichen Absichten, Motivationen und Methoden werden nicht ausreichend reflektiert. Während Geronimo sich, außer über sein Alter von ungefähr 35 Jahren, über seine Alltagsexistenz in Schweigen hüllt, geben Gross/Schultze an, heute Sozialpädagogin in einem Frauenprojekt bzw. linker Buchändler zu sein. Sie haben damit den Lebensverlauf der erfolgreichen Reste radikaler Oppositionsbewegungen hinter sich, der in einer Institutionalisierung in den Sektoren mündet, die durch die eigene Polit-Aktivität teilweise erst geschaffen wurden. Diese Biographie ist von der der 68er oder der Grünen nicht verschieden und sollte Anlaß zur kritischen Betrachtung sein.

Weitere Beiträge zur Situation und den Perspektiven linksradikaler Politik am Ende diesen Jahrhunderts sind dringend nötig. Sie könnten weiter klären helfen, ob die Autonomen mit den Ende des Fordismus auch ihr Ende gefunden haben. Im auf Integration und Kontrolle basierenden Fordismus konnte Selbstghettoisierung und das Beharren auf "Anders-sein" und Ausstieg noch oppositionell codiert werden und Freiräume schaffen. Im Postfordismus geht die Drohung mit Ghettoisierung und dem Ausstieg aus dem "System" eher vom polit-ökonomischen System aus, hat insofern sein Drohpotential und seine emanzipative Kraft verloren. Vielleicht finden weitere Beiträge auch den Weg zwischen dem Reduzieren von Geschichte auf Ereignisse und Strukturen (wie bei Gross/Schultze), einer Sichtweise, aus der dann auch keine Konfliktualität mehr entstehen kann und der idealistisch gesetzten Annahme, wie bei Geronimo, daß aus der Asche autonomer Politik doch wieder ein Phönix entsteige. Dieser werde dann die Glut weitertragen, eine Sichtweise, die doch stark an das Pfeiffen im Keller erinnert. Die Autonomen sind weder 'Asche` noch 'Feuer und Flamme` und auch die Metapher der 'Glut` verdeckt, daß die Autonomen Produkt der Gesellschaft sind, wie auch die Gesellschaft Produkt der Autonomen ist. Wer und welche an einer kritischen Auseinandersetzung mit autonomer Politik und Geschichtsschreibung interessiert ist, dem/der sei die vergleichende und kritische Lektüre beider Titel angeraten. So können die jeweiligen Defizite teilweise aufgefangen werden.

Heiner Winkel



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kombo(p) - 16.02.1998