Ein Auszug aus - kassiber 33 - November 97

Bremer Drogenpolitik

Verwaltungsgericht: No-go-areas für Junkies illegal


Das Verwaltungsgericht hat in einem Urteil das einem Drogengebraucher auferlegte Verbot, sich in bestimmten Bereichen der Stadt aufzuhalten bzw. diese zu durchqueren, für rechtswidrig erklärt. Das Stadtamt hatte dem Betroffenen wie zahlreichen anderen Junkies und als Dealern verdächtigten schwarzen Flüchtlingen per Verfügung untersagt, das Steintorviertel und Teile des Ostertorviertels sowie die Bahnhofsvorstadt zu betreten, davon ausgenommen wurde nur "das direkte Aufsuchen der DROBS" (1).

Die 2. Kammer revidierte damit ihre bisherige Auffassung, nach der diese "No-go-areas" rechtmäßig waren. Doch nicht zu früh gefreut, denn die Richter wollten nicht etwa die deutsche Drogenpolitik sabotieren, sondern kamen vielmehr zu dem Ergebnis, daß "der Gesetzgeber gesellschaftspolitisch möglicherweise umstrittene Grundentscheidungen im Prozeß der parlamentarischen Willensbildung selbst treffen muß und sie nicht an die Verwaltung oder die Gerichte delegieren darf". Soll heißen, daß die Bremische Bürgerschaft - wenn von ihr gewünscht - solcherlei Verbote per Gesetz beschließen muß und sie nicht aufgrund von Allgemeinverfügungen nach dem Polizeirecht erlassen werden dürfen. Und natürlich haben Borttschellers SchreibtischtäterInnen Berufung gegen das Urteil eingelegt.

Das Urteil betrifft allerdings nur Verfügungen gegen deutsche Junkies, die immer auch als DealerInnen verdächtigt werden. 13 BremerInnen hatten 1996 solche Verfügungen - Geltungsdauer: sechs Monate - erhalten, die teilweise auch verlängert wurden; wie viele in diesem Jahr ist unbekannt. Hier ist jedoch mit einer deutlich höheren Zahl zu rechnen (2). Ferner wurden nach Angaben des Stadtamts im vergangenen Jahr 41 und bis Mitte 1997 zehn Flüchtlingen die "No-go-area"-Verfügungen zugestellt. Deren Grundlage war aber nicht das Bremische Polizeigesetz (BremPolG), sondern das rassistische Asylverfahrensrecht (3).

Geklagt hatte ein Junkie, dem am 23. Juli 1996 per fünfseitigem Vordruck - nebst anliegendem Stadtplan, in dem die entsprechenden Zonen umrandet wurden - zum wiederholten Mal verboten worden war, sich in o.g. Gebieten aufzuhalten bzw. sie "in öffentlichen oder privaten Verkehrsmitteln (Bus, Straßenbahn, Taxi, Kfz, Fahrrad usw.) bzw. zu Fuß zu durchqueren". Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von DM 200 angedroht. Sollte die "Beitreibung des Zwangsgeldes ohne Erfolg versucht worden [sein] oder feststeh[en], daß sie keinen Erfolg haben wird", wäre mit jeweils einem Tag "Ersatzzwangshaft" zu rechnen. Der Kläger war zwischen dem 12.1. und dem 21.5.1996 bei insgesamt 23 Verstößen gegen ein zuvor verhängtes Aufenthaltsverbot von der Polizei erwischt worden.

Zur Begründung seiner Verbotsverfügung hatte das Stadtamt behauptet, daß die "'offene Drogenszene' eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt". Demzufolge könne das Stadtamt als zuständige Polizeibehörde nach § 10 BremPolG die "notwendigen Maßnahmen" zur Gefahrenabwehr treffen. Ansonsten dräute die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft Gefährendes, denn "öffentliche Sicherheit ist die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des einzelnen sowie der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt (§ 2 Ziffer 2 BremPolG)". Die Junkies also als eine Art Menetekel des drohenden Untergangs dieser Gesellschaftsformation, ist doch schon die "Gefahr eine Sachlage, bei der im einzelnen Falle die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, daß in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit eintreten wird (§ 2 Ziffer 3a BremPolG)".


Deutsches Kulturgut

Ein kleiner Exkurs: Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Eduard Lintner (CSU), äußerte sich am 14. Juli zu dem Vorschlag, auf Bier- und Schnapsflaschen den Warnhinweis "Alkohol gefährdet ihre Gesundheit" o.ä. anzubringen. Angesichts der gravierenden Folgen des "Mißbrauchs von Alkohol" müsse etwas getan werden. Doch sei ein generelles Alkoholverbot nicht sinnvoll. Schließlich habe sich der Konsum von Alkohol "über Jahrhunderte und Jahrtausende hier eingebürgert" und gehöre damit zum deutschen Kulturgut. Auch eine Einschränkung oder ein Verbot der Werbung lehnt Lintner ab. Ziel der Werbung sei nicht die Verführung, sondern der Erwerb von Marktanteilen, meinte der Drogenbeauftragte der Bundesregierung (4).

Zurück zur Verbotsverfügung des Stadtamts: Die "offene Drogenszene", der der Betroffene angehöre, halte sich im Bahnhofs-, Ostertor- und Steintorviertel im Bereich Bahnhofsvorplatz, Am Dobben, Ostertorsteinweg, Sielwallkreuzung, Vor dem Steintor, Haltestelle der Straßenbahnlinien 2, 3 und 10 / Ziegenmarkt auf und diene Dealern dazu, "gezielt Betäubungsmittel zu verkaufen bzw. Verkaufsgespräche aufzunehmen". Doch nicht nur "an erkennbar Abhängige" würden Drogen verkauft, "sondern die Szenebildung wird auch dazu genutzt, um an Personen außerhalb dieser Szene Drogen im Schutze der Menge zu verkaufen".

Was eigentlich wenig verwunderlich ist, stellen die vielleicht 200 Junkies der "offenen Szene" doch - dies verschweigt die Drogenpolitik gern - nur einen Bruchteil der wohl mindestens 3.000 HeroingebraucherInnen in Bremen dar. Daß diese oftmals in quasi bürgerlichen Existenzen lebenden Männer und Frauen aber (bis auf Ausnahmen) den Stoff in der "offenen Szene" kaufen, darf genauso bezweifelt werden wie die Mär vom Anfixen potentieller neuer KundInnen: "Angesprochen werden nicht nur Drogenabhängige, sondern auch labile Personen und Minderjährige, um diese zum Einstieg in den Drogenkonsum anzuhalten." Außer natürlich, man gehört zu den ExekutorInnen der Drogenpolitik oder hat - wie große Teile des ja auch mal jünger gewesenen "Viertel"-Bürgertums - die dazu für sich relevanten Informationen von Christiane F., ähnlichen Schmonzetten oder Spiegel TV, Stern TV und anderen immer wieder gern über die Schrecken der Bremer Szene gedrehten Fernsehsendungen bezogen, in denen devote Junkies für ein paar Mark jede Geschichte, die die MacherInnen, aber auch die ZuschauerInnen sehen wollen, zum besten geben.

Es kann und soll hier nicht die in vergangenen kassiber-Ausgaben (5) regelmäßig geübte Kritik der Drogenpolitik - nach der alles, was mit dem Gebrauch illegaler Drogen zu tun hat, strafbar ist - wiederholt werden, doch gibt es verschiedene Gründe, weswegen Frauen und Männer nicht Teil der deutschen Alkohol-Kultur sind, sondern Heroin konsumieren: Gerade auch, weil sie - salopp formuliert - den Verhältnissen etwas entgegenzusetzen versuchen, sich nicht integrieren lassen wollen, nicht "produktiv" sein wollen (6); nicht aber, weil sie von der "offenen Szene" dazu "angehalten" werden. Aber wie meinte doch der Drogenbeauftragte Lintner: Ziel der Werbung ist nicht die Verführung, sondern der Erwerb von Marktanteilen ...


"Ansätze zur Anwendung des Faustrechts"

Doch ist nicht nur jeder Junkie ein Dealer und der Dealer - dies wissen wir seit den Kampagnen der späten 70er Jahre - immer der Mörder, nein, er "beeinträchtigt" "durch die Szenebildung ... auch die Einwohner der Stadt, insbesondere aber die dort jeweils Ansässigen, erheblich". "Belegt wird dies durch Beschwerden und ständige Berichterstattung in den Medien. Die Inhaber von Geschäften, die in unmittelbarer Nähe des jeweiligen Aufenthaltsortes der Szene liegen, klagen über einen erheblichen Käuferrückgang und fürchten um den Fortbestand ihrer Existenz, da Passanten die von der 'offenen Szene' blockierten Flächen meiden."

Und wie der Neger oder Kurde den Rassismus, fördert der Junkie "die Bereitschaft von Betroffenen ..., Maßnahmen zum Selbstschutz oder zur Vertreibung der Szene zu überlegen und umzusetzen". Nun ist, das lehrte uns Olaf Dinné, die Organisierung des Volkszorns gegen unerwünschte Elemente im "Viertel", die quasi privatisierte Variante des aktuell wieder vielbeschworenen Law and order, kein labour und auch kein conservative, sondern sozusagen eine green issue (7). Aber von Leuten, die in der Gegend zu 40 Prozent Bündnis 90/Die Grünen, zu fast zehn Prozent das faschistoide BürgerInneninitiativenkonglomerat "Wir im Viertel" und demnächst vielleicht den Kandidaten Schröder oder - "aus Protest" - die DVU, keinesfalls aber die CDU wählen werden, will das Stadtamt sich nicht das staatliche Gewaltmonopol in Frage stellen lassen: "Im Hinblick auf Anlieger und Passanten gilt es, massive Störungen, körperliche Auseinandersetzungen, Verschmutzungen zu verhindern und ggfs. vorhandenen Ansätzen zur Anwendung des Faustrechts entgegenzutreten."

Die Verfügung des Stadtamtes vom 23.7.1996 wurde dem Betroffenen am 9.9.1996 zugestellt. Zur "sofortigen Vollziehung", denn "die mit ihrem Aufenthalt im beschriebenen Bereich verbundenen Gefahren für so bedeutende Individualschutzgüter wie Gesundheit, Leben und Eigentum unbeteiligter Personen sind so schwerwiegend, daß nicht erst der Abschluß eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens abgewartet werden kann. [...] Von einer Anhörung wurde [...] abgesehen, da die zu befürchtenden Gefahren für die wichtigsten zu schützenden Rechtsgüter Gesundheit, Leben und Eigentum ein sofortiges Einschreiten erfordern. Das Interesse der Öffentlichkeit an der Verhinderung schwerwiegender Straftaten ist höher zu bewerten als Ihr individuelles Interesse an vorherigem rechtlichen Gehör." Entsprechend wurde über den Widerspruch des Klägers vom 10.9.1996 beim Stadtamt nicht entschieden. Am 30.10.1996 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ab. Über die am 11.9.1996 erhobene Klage wurde dann am 29. Mai vor dem Verwaltungsgericht verhandelt (8).

Der Drogengebraucher und seine Anwältin Marion Küstner hatten die Klage vor allem damit begründet, daß er sich durch die Verfügung in seinem Recht auf freie Gestaltung des Lebensraumes verletzt sehe. Er sei nicht bereit, irgendwelche sozialen und gesellschaftlichen Beziehungen in dem durch die Verfügung für ihn gesperrten Bereich abzubrechen. Schon während der Geltungsdauer eines ihm zuvor erteilten Aufenthaltsverbotes habe er keine Verstöße von der Art begangen, wie sie zu Begründung der Verfügung angeführt wurden. Der Besitz von Betäubungsmitteln sei zwar verboten, lasse aber keine Rückschlüsse auf den Handel mit Drogen zu und rechtfertige deshalb für sich allein nicht den Erlaß der Verfügung.


"Gesellschaftspolitisch möglicherweise umstrittene Entscheidungen"

Die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts urteilte jetzt - im Gegensatz zu ihrer Entscheidung vom 30.10.1996 -, daß die Verfügung nicht rechtmäßig erlassen worden war. Die sog. Generalermächtigung nach § 10 BremPolG komme als gesetzliche Grundlage für ein Aufenthalts- und Durchquerungsverbot nicht in Betracht. Denn dieses Verbot greife in das Grundrecht des Art. 11 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ein - "Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet" -, das nach Art. 11 Abs. 2 GG nur in ganz bestimmten, dort geregelten Fällen eingeschränkt werden dürfe (9).

Das Stadtamt hatte in seiner Verfügung behauptet, daß der "Aufenthalt lediglich zum Zwecke der Verabredung bzw. Begehung von Straftaten nach dem BtmG dient", die Verbotszone also nicht "der Mittelpunkt Ihrer Lebensbeziehungen" sei. "Die mit dem Aufenthalts-/Durchquerungsverbot verbundene Einschränkung Ihres Grundrechts auf Freiheit der Person ist nicht so hoch zu bewerten wie die angestrebten Ziele, die Verhinderung und/oder Verringerung von Gefahren für die genannten Rechtsgüter. Ein anderes, milderes Mittel, das denselben Zweck erfüllt, steht nicht zur Verfügung."

Demgegenüber bekräftigte das Gericht, daß die Möglichkeit des Klägers, seinen Aufenthaltsort auch innerhalb der Grenzen einer Gemeinde frei wählen zu können, die sog. interlokale Freizügigkeit, unter den Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG fällt. Wobei das entscheidende Merkmal dieses Schutzbereichs die "Fortbewegung zwecks Ortswechsels" sei. Insofern unterscheide sich Art. 11 Abs. 1 GG vom durch das Stadtamt angeführten Art. 2 Abs. 2 GG (Freiheit der Person).

Der Aufenthalt des Klägers, dem am 20.4.1997 eine weitere Verbotsverfügung mit sechsmonatiger Dauer zugestellt wurde, in der "no-go-area" während bestimmter Tageszeiten sei "Ausdruck seiner Lebensgestaltung". Er unterhalte dort gesellschaftliche und soziale Beziehungen, Freunde und Bekannte, die er besuchen wolle, wohnten dort. Ebenso befinde sich dort seit 15 Jahren sein Hausarzt. "Auch wenn Personen wie Dealer und Drogenabhängige ihre gewohnten Plätze zu verschiedenen Tageszeiten aufsuchen, ist dieses als die von ihnen getroffene Aufenthaltsbestimmung anzusehen, weil sie sich dort innerhalb ihrer 'Szene' bewegen. Auch in diesen Fällen handelt es sich um Orte, die für die Betroffenen 'wichtig' sind und ihren Lebensinhalt zu einem Gutteil ausmachen, sei dieser noch so fremdartig oder gar verwerflich."

Natürlich könne das Grundrecht auf Freizügigkeit, wenn es zu strafbaren Handlungen mißbraucht werde, gesetzlich eingeschränkt werden (Art. 11 Abs. 2), aber eben nicht unter dem Vorbehalt der "öffentlichen Sicherheit". Denn dieser Begriff schließe nicht nur allgemein die Verhinderung von Straftaten ein, sondern geht darüber weit hinaus: "Öffentliche Sicherheit" meine nämlich auch die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des einzelnen sowie der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt.

Da will das Gericht dem Stadtamt nicht folgen: Bei den Verstößen gegen das BtmG oder anderen Straftaten handele es sich um schnöde Kriminalität, während sich Borttschellers SchergInnen bei der Verfügung, scheint's, auch aus dem mehr als 1064 Jahre alten Handbuch der Volksgesundheit bedient hatten: "Der effektiven Bekämpfung des besonders gemeinschaftsschädlichen Handels oder Gebrauchs von Betäubungsmitteln kommt eine herausragende Bedeutung zu, um der damit verbundenen Beschaffungskriminalität, Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung und permanenten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu begegnen." (Herv. durch den Autor)

Eine Auslegung des § 10 Abs. 1 BremPolG als Gesetz im Sinne des Art. 11 Abs. 2 GG aber ist nach Auffassung der Kammer auch nicht möglich. Aus "rechtsstaatlichen und systematischen Gründen" müsse der dortige Vorbehalt eng ausgelegt werden, denn die tatbestandliche Differenzierung in dieser Verfassungsvorschrift wolle gerade generalklauselartige Ermächtigungen zur Einschränkung der Freizügigkeit vermeiden. Die "einschränkende Auslegung des § 10 BremPolG bei Freizügigkeitsbeschränkungen würde den Polizeibehörden die Einschätzung der generellen und damit an sich vom Landesgesetzgeber zu beantwortende Frage eines Einschreitens durch Aufenthaltsverbote gegen die 'offene Drogenszene' oder bei vergleichbaren Sachverhalten überlassen".

Das aber gehe aus Gründen der Gewaltenteilung nicht an: Der Gesetzgeber müsse in grundlegenden, normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen, auch "gesellschaftspolitisch möglicherweise umstrittene" Entscheidungen selbst treffen. Sie dürften nicht an die Verwaltung oder die Gerichte delegiert werden.


Bremer Drogenpolitik

Was das für die Bremer Drogenpolitik, zu deren Chef sich der Polizeisenator Borttscheller angesichts einer rückgratslosen und zur Verwalterin eines weiter expandierenden Methadonprogramms degenierten Sozialsenatorin Tine Wischer (SPD) - ihre Vorgängerinnen beteuerten wenigstens noch, von der Senatsmehrheit an einer anderen Drogenpolitik gehindert zu werden - bedeutet, bleibt abzuwarten. Gern hätten einige "Sicherheits"politikerInnen der Bremer Großen Koalition ein Gefahrenabwehrgesetz, wie das in Niedersachsen durch die Schrödersche SPD beschlossene, nach dem sich nicht nur Chaostage, Silvester-Riots und Großdemonstrationen bekämpfen, sondern eben u.a. auch Aufenthalts- und Durchquerungsverbote verhängen ließen, doch dürfte die notwendige parlamentarische Mehrheit (in der SPD-Fraktion) dafür zur Zeit - noch - nicht vorhanden sein.

Wahrscheinlicher ist es da schon, daß alles so weiter geht wie in den letzten Jahren - und wie in anderen deutschen Großstädten auch: Aufgrund der Kriminalisierung nach dem BtmG leben DrogenverbraucherInnen (nicht nur) in der "offenen Szene" in miserablen sozialen Bedingungen, werden weiter durch die Polizei drangsaliert- wobei Tote billigend in Kauf genommen werden -, in Entzugsmaßnahmen bzw. in den Knast geschickt, vielen wird aber auch ein Methadonprogramm - die sozialdemokratische Variante der Repression - offeriert. Nur das gewünschte Heroin, die im Vergleich mit diesen Maßnahmen unschädliche Alternative, sollen sie nicht erhalten.

Geradezu lächerlich erscheint es da, daß Borttscheller auf seiner diesjährigen war-on-drugs-Pressekonferenz bekannt gab, man habe 1996 4.220 Straftaten nach dem BtmG registriert, 20 Prozent mehr als 1995, und dies als Beleg für "den hohen Einsatz der Polizei und die Effizienz ihrer Maßnahmen" wertete. Denn strafbar ist nach dem BtmG alles, was mit dem Gebrauch illegaler Drogen zu tun hat, auch der Besitz zum Eigenverbrauch, sogar der Konsum. Diese Straftaten sind aber - das sagte Borttscheller nicht - vor allem bei den tagtäglich mehrmaligen und staatliche Aktivität demonstrierenden Kontrollen der "offene Szene" - die aber nur einen Bruchteil der rund 3.000 Bremer DrogengebraucherInnen ausmachen - zur Anzeige gebracht worden.

Trotzdem behauptete Borttscheller, das Entdeckungsrisiko in Bremen sei heute höher als in den meisten vergleichbaren deutschen Städten. Zugute hält er sich ferner, die "Visitenkarte" Bremens, den Bahnhofsvorplatz, vom Drogenhandel, gemeint sind vor allem aufgrund ihrer Hautfarbe pauschal verdächtigte afrikanische Flüchtlinge, gesäubert zu haben. Deshalb habe er schon Anfragen, wie er das denn geschafft habe, aus anderen Städten, in denen das Gesindel nach wie vor vor den Bahnhöfen herumlungere, erhalten (10). Die Lösung des Problems könnte nach Ansicht des Innensenators - wie des Bundes-Drogenbeauftragten Lintner oder des bayerischen Innenministers Beckstein - darin liegen, DrogengebraucherInnen in Lagern oder ähnlichen Einrichtungen zu konzentrieren. Auch wenn Borttscheller natürlich weiß, daß mindestens 95 Prozent sogar der "freiwilligen" Therapien, die Junkies zumeist zur Vermeidung einer Haftstrafe antreten (müssen), "scheitern", fordert er, DrogengebraucherInnen zwangsweise unter Betreuung zu stellen - was dann im Betreuungsrecht verankert werden müsse: "Wenn schon heute nach dem Seuchengesetz Bürger zum Schutze der Allgemeinheit zwangsweise eingewiesen werden können, muß man darüber nachdenken, ob nicht eine Zwangstherapie von Schwerstabhängigen zum Selbstschutz dieser Menschen sinnvoll ist." (11).

Blieb dieses Weser-Kurier-Interview ohne politische Reaktion, schlug ein erneuter publizistischer Vorstoß, einmal mehr im rechtspopulistischen Focus, einige Wellen. Im Juli hatte Borttscheller dort ebenfalls die Zwangstherapie von DrogengebraucherInnen propagiert. Hatte Focus den Bremer Innensenator aber noch mit den Worten "Gemeinsam mit Bayern planen wir eine Bundesratsinitiative" zitiert, was selbst Sozialsenatorin Wischer zu einem Dementi herausforderte, trat Pressesprecher Luft danach den Rückzug an. Borttscheller habe lediglich gemeint, daß Bremen sich einem entsprechenden bayerischen Antrag in der Länderkammer anschließen solle.


Willi Leow

Anmerkungen:
(1) DROBS = Drogenberatungsstelle ("Tivoli-Hochhaus"/Bahnhofsplatz). Außerdem heißt es in der Verfügung, daß "weitere Ausnahmen auf Antrag gestattet werden" können. Inwieweit davon Gebrauch gemacht wurde bzw. ob Anträge genehmigt wurden, ist dem Autor unbekannt. Text und Gestus der Verfügung sprechen aber klar dagegen.
(2) Vgl. die in kassiber 32, Juni 1997, von uns dokumentierten Äußerungen Innensenator Borttschellers und insbesondere des Inspektionsleiters der Polizei, Peter Wagemann, zum Vorgehen gegen die Frauen vom Drogenstrich in der Humboldtstraße: "... wie die Motten das Licht" (S. 38-43, hier: S. 41f).
(3) Klagen von Flüchtlingen gegen diese Verfügungen gab es bisher nicht.
(4) Lintner-Interview mit dem Saarländischen Rundfunk; nach: Weser-Kurier vom 15.7.97
(5) S. z.B.: Willi Leow, Neue Wege in der Drogenpolitik?, in: kassiber 25, Mai 1995, S. 24ff.
(6) Vgl. ebd. Ein Gegenbeispiel bieten zugegebenermaßen viele der systembejahenden und tablettenfressenden Techno-JüngerInnen.
(7) S.: Von der Sanierung eines lebendigen Viertels, in: kassiber 17, Februar 1992, Schwerpunkt-Beilage "Dav Viertel", S. 16ff.
(8) Da die auf sechs Monate befristete Verfügung sich inzwischen erledigt hatte, wurde umgestellt auf die Beantragung der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verfügung vom 23.7.1996.
(9) Art. 11 [Freizügigkeit] (1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. (2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahren, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.
(10) Weser-Kurier vom 9.8.1997.
(11) Weser-Kurier vom 3.7.1997.


bezugsmöglichkeiten


zurück!

kombo(p) - 16.11.1997