Ein Auszug aus - kassiber 31 - Dezember 97

Vor einem dreiviertel Jahr ist die Debatte um die pädosexuelle Tätergruppe im Rat&Tat-Zentrum (R&T) wieder heftig entbrannt. In Offenen Briefen an das schwullesbische Zentrum wurde gefordert, der Gruppe keine Räume mehr zur Verfügung zu stellen. FrauenLesben und antipatriarchaleZusammenhänge schlossen sich dieser Forderung an. Das R&T hatte sich lange Zeit nicht geäußert, wie es sein Verhältnis zu den "Pädophilen" sieht. Ab Dezember wurde es daher einmal im Monat - zum jeweiligen Termin der pädosexuellen Gruppe - blockiert. Im Moment ist unklar, ob die Gruppe weiter im R&T bleibt oder nicht.
Im Dezember hatte im FrauenLesbenladen auch eine Veranstaltung zum Thema stattgefunden. Diskussionen und Offene Briefe folgten. Aus dieser Diskussion heraus ist dieser Artikel entstanden.
Die Redaktion


Zur Diskussion um die pädosexuelle Tätergruppe im Rat&Tat-Zentrum

Seit Sommer 1996 ist die Debatte um die pädosexuelle Tätergruppe im Rat&Tat-Zentrum heftigst entbrannt. So gab es am 8.12.96 eine Veranstaltung im FrauenLesbenladen, der weitere Diskussionen und einige Offene Briefe folgten. Der letzte der Offenen Briefe war für mich mit Anlaß, noch einmal in diesem Artikel mit bestimmten Gedanken nach außen zu gehen.

Ich möchte mit diesem Text nicht eine weitere Interpretation/Information zum Stand der Dinge geben, sondern versuchen, deutlich zu machen, in welchem Kontext diese ganze Auseinandersetzung für mich steht. Denn für mich hat das Ganze mittlerweile eine viel größere Tragweite gewonnen, als daß es mir hier 'nur' um die Existenz dieser Gruppe im R&T ginge. Mich interessieren in diesem Zusammenhang vor allem diejenigen, die sich zu AnwältInnen dieser Gruppe machen - und deren eigenständige Positionen darin. Tatsächlich geht es hier um Formen der Auseinandersetzung, die als progressiv deklariert werden, als fortschrittlich im Gegensatz zu linken Positionen bzw. denen einer feministischen FrauenLesbenszene. Faktisch graben diese in meinen Augen zur Zeit jeder gemeinsamen Basis das Wasser ab. Was ich damit meine, will ich im folgenden verdeutlichen. Und eigentlich sind die Gräben, die sich hier auftun, keine neuen.

Eine für meine Begriffe wichtige Grundvoraussetzung, um gegen sexualisierte Gewalt angehen zu können, ist das Wissen darum, daß diese Gewaltform (wie andere Gewaltformen im übrigen auch) eine strukturelle Grundlage und Ursache hat, daß sie sich daher nicht als persönlicher Zug oder gar Veranlagung begreifen läßt. TäterInnen sind aber nicht Opfer irgendwelcher Umstände - es ist eine Entscheidung gefallen, mit anderen Menschen auf diese Art und Weise umzugehen und sich Macht über sie zu verschaffen. Sexuelle Gewalt und Ausbeutung ist eine extreme Form davon, sich Zugriff auf einen anderen Menschen zu verschaffen und diesen aufrecht zu erhalten. Ich möchte nicht alles auf diesen strategischen Moment reduzieren - das wäre sicherlich nicht zutreffend. Ich möche ihn aber deshalb herausheben, weil meiner Ansicht nach das strategische Verhalten von Tätern und Täterinnen in vielen Fällen viel zu wenig betrachtet wird. Immer wieder wird stattdessen die Frage gestellt, woher 'das' kommt, und oftmals Psychoanalyse der TäterInnen betrieben. Oft genug wird dabei über kurz oder lang die Perspektive der TäterInnen, der TäterInnen-Blick, eingenommen.

Wenn ich mich schon mit den TäterInnen selbst beschäftige - so hat es doch eher um die Frage zu gehen, wie hier etwas reproduziert, um- und fortgesetzt wird und wie hier eingegriffen werden kann. Dazu gehört, ein strategisches Vorgehen als solches zu entlarven.

In diesem Zusammenhang möchte ich als erstes einmal auf die immer wiederkehrende Darstellung des R&T eingehen, die "Pädo-Gruppe" sei eine Selbsthilfegruppe. (Wenn ich R&T schreibe, meine ich damit vor allem die Position, die massiv vom Vorstand nach außen vertreten wird. Es mag sein, daß dies nicht allen gerecht wird, die sich im R&T engagieren. Tatsächlich gibt es ja bis heute keine Stellungnahme vom R&T an sich zum Thema. Es wäre wohl an der Zeit, daß die Positionen und eventuellen Unterschiede darin mal deutlicher nach außen getragen würden.) Auf dieses Argument und darauf, daß sich die meisten Mitglieder der Gruppe in Therapie befinden würden, wird sich von seiten des R&T immer wieder zurückgezogen, wenn es darum geht, die Existenz dieser Gruppe zu legitimieren - und der Begriff "Selbsthilfegruppe" scheint als positiv besetzter in diesem Zusammenhang tatsächlich die Gemüter anzusprechen. Auch ein Sich-in-Therapie-Befinden scheint hier synonym damit verwendet zu werden, daß das eigene gewalttätige Handeln oder Denken verändert wird. Ich möchte hier noch mal auf den Inhalt von Therapie hinweisen, der nurmehr Unterstützung heißt - in welche Richtung die eigene Entwicklung geht, werde schon selbst bestimmt. Daraus eine Garantie in irgendeine Richtung abzuleiten, ist schon höchst spekulativ.

Zurück zur "Selbsthilfe" - die Frage ist doch letztendlich, was Selbsthilfe hier eigentlich heißt. Die Gruppe gründete sich 1986 im allgemeinen Klima der "sexuellen Revolution". Anliegen der Gruppe war, "Pädosexuellen eine Möglichkeit zu bieten, sich mit Gleichgesinnten über ihre Sorgen und Nöte unterhalten zu können und interessierten Personen Informationen und Antworten zu Fragen über Pädosexualität zu geben" (s. kassiber Nr. 15). Also in der Tat der klassische Weg, den ich beschreite, wenn ich mit einer bestimmten Thematik in eine wie auch immer geartete breitere Öffentlichkeit will. Und in bezug auf andere Thematiken will mir für diese Art der Organisation sehr wohl der Begriff der Selbsthilfe, den ich hier indes verheerend finde, in den Kopf. Mit einem ganz prekären Unterschied allerdings: Den Begriff der Selbsthilfe behalte ich schon der Selbstorganisation von Betroffenen vor - jenen also, die Gewaltstrukturen innerhalb dieser Gesellschaft ausgesetzt sind/waren. Dies können auch selbstzerstörende Strukturen sein, die ja auch in der Regel ein Ergebnis sind (wobei ich den Begriff Selbstzerstörung da ganz eingeengt begreife!). Sich dagegen zu wehren, TäterInnen an ihrem Handeln zu hindern, um sich dieser Gewalt nicht mehr auszusetzen, ist sinnvolle Folge. Gesellschaftlich ist es so, daß hier Erfolge nur schrittweise erkämpft werden können und heftige Rückschläge nicht lange auf sich warten lassen.

In bezug auf die "Pädophilen"-Gruppe wird dieser Begriff hier auf einmal auf TäterInnen ausgedehnt - dieser Begriff wurde ja nicht mal von der Gruppe selbst gewählt. Der Begriff der Selbsthilfe wird in diesem Zusammenhang zumindest von einigen Rat&Tat-Lesben so benutzt, als daß in dieser Gruppe eine kritische Auseinandersetzung mit den Strukturen stattfinde (solche Aussagen wurden auch auf der Veranstaltung am 8.12.96 getroffen). Dem zufolge gäbe es in der Gruppe neben den Typen, "die auch nach Bangkog fliegen", solche, die sehr unglücklich wären mit ihren Empfindungen und diese auch nicht praktizieren würden - und um der Auseinandersetzung willen in der Gruppe wären. Egal was praktiziert wird oder nicht, mir stellt sich erstmal die Frage, was da eigentlich für ein Verständnis davon besteht, was kritische Auseinandersetzung mit (eigenen) TäterInnenstrukturen eigentlich bedeutet. Da scheint mir doch einiges im argen zu liegen.

Das jüngst erschienene Flugblatt der "Pädogruppe Bremen" enthält eine Selbstdarstellung, in der nur zu deutlich wird, wie sie "Pädophilie" sehen: "Lange Zeit war man der Ansicht, daß bei uns 'eine Schraube locker' sein muß. Inzwischen hat man immerhin erkannt, daß Pädophilie als eigene Sexualform sowenig oder soviel mit Krankheit zu tun hat wie Hetero- oder Homosexualität. Sie ist eine Veranlagung, die wir uns nicht ausgesucht haben, mit der wir aber sehr gut leben können - vorausgesetzt, wir stehen dazu."

Das zeigt erstens, daß es den Urhebern darum geht, "Pädophilie" als feststehende Tatsache zu zementieren und damit als unabänderlich zu legitimieren (auf den verheerenden Vergleich zu [Homo]Sexualität muß ich wohl nicht eingehen!). Und genau das ist für mich der erste Schritt einer Strategie, wo ein Status quo gesichert wird, in dem Grenzüberschreitungen eben einfach so 'passieren' können. Das Veranlagungsmodell hat ja schon oft genug dafür hergehalten und verschleiert, wie sehr die Position von TäterInnen selbstausgesucht ist. Ebenso auch die derjenigen, die sie nicht für ihr Verhalten zur Verantwortung ziehen.

Das Argument "Wir sind ja alle diskriminiert", woran sich die Bremer "Pädo-Gruppe" so gern als der Märtyrer vom Dienst hochzieht, in diesem Zusammenhang aufzugreifen, wie es des öfteren im Verlaufe der Debatte der Fall war, heißt u.a., genau diesen Tatbestand nicht mehr anzugreifen und in Frage zu stellen. (Außerdem ist es ja wohl mehr als fraglich, ob sich da mit jeder "diskriminierten" Gruppe zu solidarisieren wäre.) Das paßt der "Pädo-Gruppe" natürlich gut in den Kram, hat sie doch mit einem Gutteil ihrer Strategie Erfolg gehabt.

Es geht in der Selbstlegitimation auch immer um eine Isolation und Diffamierung der Betroffenen, um ein Machtverhältnis aufrechtzuerhalten. Die entsprechenden Auswirkungen bedürfen wohl keines weiteren Kommentares, es reicht die Lektüre der entsprechenden Offenen Briefe (s. Bambule, Sommer 1996).

Zweitens find ich spätestens nach diesem Abschnitt die Behauptung, daß sich in dieser Gruppe welche befinden, die eine kritische Auseinandersetzung wollen und führen, ziemlich unglaubwürdig. Gelinde gesagt, wäre das ein Armutszeugnis für die Qualität dieser Auseinandersetzung.

Eine kritische Auseinandersetzung mit eigenen TäterInnenstrukturen bedeutet zunächst, daß ich diese Anteile auch bei mir nicht länger will, sie weder innen noch außen dulden will. Was also erstmal Voraussetzung ist, ist, mich klar dagegen auszusprechen, ferner, dem auch in meinem persönlichen und politischen Verhalten angemessen Ausdruck zu verleihen, mich kritisierbar zu machen, meine Macht abzugeben. Nun komme ich in der Auseinandersetzung mit verschiedenen Machtmechanismen - bei einer gewissen Selbstreflexion - zwangsläufig an den Punkt, zu sehen, wie ich selbst von Gewaltverhältnissen profitiere und mich nach ihnen verhalte, also unter Umständen selbst zur Täterin werden könnte. Nun kann ich angesichts dieser Erkenntnis in Selbstmitleid versinken. Die Frage ist doch, wie ich jetzt weiter damit umgehe. Wenn ich auf diese Erkenntnis damit reagiere, mich angegriffen zu fühlen, wenn die Betroffenen die Zustände anprangern - nun gut. Wenn das dann bedeutet, mich mit ausgesprochenen TäterInnen verbunden zu fühlen, "ach ja wir sind's ja alle", mich mit ihnen an einen Tisch setze und ihnen ihr Verhalten nachsehe - nun ja, dann habe ich wohl kapituliert vor der Auseinandersetzung, mehr noch, dann habe ich ganz eindeutig und auf verheerende Weise Stellung bezogen!

Ich möchte jetzt noch einmal auf ein mindestens ebensooft gebrauchtes Argument zur Legitimierung der Existenz dieser Gruppe eingehen. Dazu möchte ich aus der offiziellen Erwiderung des R&T-Vorstands auf die Forderung nach dem Rausschmiß dieser Gruppe zitieren: "Wir sind der Ansicht, daß das Problem mit einem schlichten schmeißt sie raus nicht lösbar ist. Es wird leider keinen einzigen Pädo weniger geben, nur weil wir ihnen die Räume verweigern - sie würden allerdings wieder 'unsichtbarer' und genau das erscheint uns gefährlich." (s. Bambule, Sommer 1996)

Ich stimme durchaus zu, daß das Problem damit nicht gelöst ist. Genug Legitimationen und Freiräume für sexuelle Ausbeutung von Kindern gibt es ja nun - nehmen wir da als Beispiel den Sextourismus, der ja auch ein Ergebnis verschiedenster Machtstrukturen ist. Genauso zahlreich wären ja auch die Möglichkeiten, hier zu handeln, z.B. hier gegen die entsprechende Branche anzugehen etc. - wäre also tatsächlich daran gelegen, der Basis von "Pädophilie" das Wasser abzugraben, gäbe es da ein weites Betätigungsfeld und bestimmt eine Notwendigkeit, sich zu organisieren, um auch die "unsichtbaren" TäterInnen ans Licht zu zerren. Die Frage ist nur, wo organisieren. Gewiß nicht dort, wo ich mir mit einer pädosexuellen Tätergruppe die Klinke in die Hand gebe.

Es ist ja auch nun gar nicht so, daß die Pädophilen sich zur Zeit groß unsichtbar machen würden - abgesehen von ihrem konkreten Handeln, aber da wären sie ja auch schön blöd -, nehmen wir da mal Rüdiger Lautmann & Co. mit ihrer 'wissenschaftlichen' Legitimierung von "Pädophilie" oder die entsprechenden dumm-dreisten Veröffentlichungen der Bremer "Pädo-Gruppe" im Internet ("Aufklären statt Diskriminieren"). In allen Medien, auch - und gerade - in sich selbst links nennenden wie taz und junge Welt finden wir reichlich Artikel jener Wortverdreher, die die pädosexuellen Täter zu Wohltätern an Kindern stilisieren und der durch die böse Zensur beschnittenen sexuellen Befreiung hinterherjammern - ja, früher war bekanntlich alles besser.

Ihre eher zum Kotzen reizenden Legitimationskampagnen betreiben die pädosexuellen Täter und ihre VertreterInnen auf jeden Fall - auch wenn das R&T Lautmann nicht zur Podiumsdiskussion einlädt. Der von R&T gesuchte "Dialog" erscheint vor diesem Hintergrund entsprechend hilflos.

Und wenn wir jetzt schon mal bei der Diskussion um Gegenstrategien sind, so bin ich doch mittlerweile zu dem Punkt gekommen, daß es da wohl sehr grundlegende Unterschiede im Politikverständnis gibt. Bestehende Herrschaftsverhältnisse zu ändern funktioniert nach meinem Verständnis nicht über endlose Pro-und-Contra-Diskussionen - obwohl allgemeinhin beliebt und manchmal einem differenzierten Blick dienlich. Irgendwann kommt aber der Punkt, wo ich eindeutig Stellung beziehen muß, um handlungsfähig zu sein bzw. solidarisch sein zu können mit denen, die von Machtstrukturen betroffen sind. Die können sich nämlich in der Regel keine Endlos-Diskussionen leisten.

Doch Positionen zu beziehen scheint ja in jedem Fall zu bedeuten, keine differenzierte Auseinandersetzung zu führen - so lautet zumindest die gängige Unterstellung. Hierzu eine Stilblüte aus dem letzten Offenen brief, der an den Infoladen geschickt wurde: "Nicht genug damit, daß ihr deutlich eure Grenzen zu pädophil veranlagten Personengruppen bekundet (die habe ich auch), und sodann eine bodenständige Auseinandersetzung verweigert. (...) Diese Umgehensweise scheint doch recht einfach zu sein, befreit sie doch von sozialer Verantwortung. Leider führt dies nur nicht zu sinnvollen Umgehensweisen mit uns (noch?) befremdlichen und schwierigen Themen bzw. Gruppierungen. So läßt sich euer Aufruf zur Gewaltbereitschaft nur als krimineller Unfug begreifen, mit dessen Hilfe intellektuelle Überforderung kompensiert werden soll."

Also, dazu fällt mir dann in der Tat nichts mehr ein.

Lydine
c/o FrauenLesbenLaden, Kreuzstraße 29, 28203 Bremen


Demnächst erscheint ein Reader (Preis: 5 Mark), der die jahrelange Auseinandersetzung um die "Pädo-Gruppe" im Rat&Tat-Zentrum dokumentiert. Er ist u.a. erhältlich im Infoladen "Umschlagplatz", St.-Pauli-Str. 10/12, und im FrauenLesbenLaden (s.o.).



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kombo(p) - 21.06.1997