Ein Auszug aus - kassiber 30 - Dezember 96

Über die bremische 'Kontroverse' zur geplanten "Wehrmachts-Ausstellung"

"Die Neurose verleugnet die Realitaet nicht, sie will nur nichts von ihr wissen" (Freund)


Im Mai 1997 kommt die Wanderausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" des Hamburger Instituts fuer Sozialforschung fuer zwei Monate nach Bremen. In den letzten eineinhalb Jahren war sie unter anderem zu sehen in Hamburg, Berlin, Wien, Muenchen und Nuernberg. An allen Orten, in denen die Ausstellung zu Gast war, gab es Auseinandersetzungen, Debatten, und Anfeindungen von rechter Seite. In Bremen jedoch wurde die geplante Ausrichtung in der unteren Rathaushalle als Anlass genommen, einen Koalitionskrach zwischen CDU und SPD vom Zaune zu brechen.
Wie weit sich die Diskussion inzwischen auch ausserhalb der Parlamentsdebatten abspielt, wurde beispielsweise in den Lokalnachrichten von "Buten & Binnen" deutlich. Dort wurde ein lebhafter Streit dokumentiert, welcher sich an von der VVN auf dem Marktplatz aufgestellten Infotafeln entzuendet hatte und der vornehmlich von aelteren Frauen und Maennern der Kriegsgeneration ausgetragen wurde. Ein ehemaliger Soldat legitimiert sich und seine pauschale Kritik an der Ausstellung durch einen Griff in die Brieftasche, welcher ein zeitgenoessisches Bild in Unifrom zutage foerdert. Das dort abgebildete "Eiserne Kreuz" und Verwundeten-Abzeichen (O-Ton: "Das kriegt man nicht mal eben so!") sprechen fuer sich, die "Ehre der sauberen Wehrmacht" und natuerlich gegen die Ausstellung.
Eine aeltere Frau, greift die beiden VVN-Aktivisten persoenlich an und will sich "nicht sagen lassen, dass mein gefallener Bruder ein Verbrecher ist". Im folgenden allgemeinen Chaos des Streits, kommt die Kamera nicht mehr mit, es wird ausgeblendet. Eine exemplarische Situation fuer die gesamte Auseinandersetzung.

Ein Tabu wird gebrochen

Die Ausstellung fusst auf einem historischen Forschungsstand, der so neu nicht ist. Er wird nun aber einer breiten Oeffentlichkeit nahegebracht und damit eine gesamtgesellschaftliche Diskussion ueber Schuldfrage an den Verbrechen der juengsten deutschen Vergangenheit provoziert, wie dies schon lange nicht mehr der Fall war.
Im Zusammenschluss der beiden Aspekte der Wehrmacht als Institution und als Ensemble von etwa 18 Millionen Soldaten und eben nicht der als "verbrecherisch" eingestuften Einheiten der SS, liegt die Brisanz des Ausstellungsthemas:
"Die WehrmachtÕ ist nicht nur eine Institution ..., sondern in wesentlich diffuserer Weise als ein Betrieb, eine Standesorganisation, eine Terroreinheit, Teil der Bevoelkerung. 'Verbrechen der Wehrmacht' sind von der Formulierung her Verbrechen des Jedermann, Verbrechen von Jedermanns Mann, Vater, Bruder, Onkel, Grossvater." (1).
Die Folge dieser Brisanz ist eine emotional aufgeladene Debatte in einer Zeit, in der versucht wird, einen Schlussstrich unter die Verantwortung fuer deutsche Taten zu ziehen, um deren Bremswirkung fuer einen erneuten Aufbruch ins Nationale auszuschalten. Gerade in einer Zeit, wo die allgemeine Hoffnung in Deutschland ueberwiegt, nun mit jeglicher Vergangenheitsbewaeltigung abgeschlossen zu haben, ergeht mit der Debatte ueber die Thesen Goldhagens und eben der "Vernichtungskrieg"-Ausstellung an die deutsche Gesellschaft die Aufforderung, sich gerade auch die individuelle Verantwortung der einzelnen bewusst zu machen. So wird nicht gesagt, die Wehrmacht per se sei eine verbrecherische Organisation und alle ihre Mitglieder somit in gleichem Masse Verbrecher, sondern die Frage nach dem verbrecherischen Anteil eines jeden einzelnen formuliert:
"Von der Ausstellung ging eine Irritation des Publikums aus, in der unterschiedliche Erfahrungen, Informationen und Selbstbilder, generationsspezifische Einstellungen und geronnene Legitimationsmuster ("Lebensluegen") aufeinanderstiessen. (...) An allen Ausstellungsorten entluden sich Spannungen unter den Besuchern, fanden emotionalisierte Kontroversen statt, Anklagen und Selbstbezichtigungen wurden ausgetauscht. Oft gerieten Kriegsteilnehmer untereinander in Konflikt." (2).
Ohne dass die Ausstellung hier in Bremen schon gezeigt wurde, laesst sich an den Diskussionen, wie sie sich auf den LeserInnenbriefseiten des Weser-Kuriers abspielen, eben jener oben genannte Konflikt darstellen. Sie sind auf der einen Seite gepraegt von einer individuellen Verleugnungstradition, die die Verdraengung in Angriffen gegen die Ausstellung und ihre MacherInnen und Relativierungen von Verbrechen sucht: "Eine reisserische Selbstdarstellung von Leuten, welche jeden Partisanen-Haeuptling zum Freiheitskaempfer hochstilisieren, Soldaten als Moerder sehen und Deserteuren Denkmale setzen." "Aber wurde seine (Reemtsmas, Leiter des Instituts; d. V.) Familie nicht noch reicher durch die grossen Zigarettenlieferungen an die Wehrmacht und die Waffen-SS?" "(...) man beachte nur die Lebenslaeufe der Herren Reemtsma und Heer (Historiker der Ausstellung, d.V.)!"
Auf der anderen Seite gibt es bei einigen wenigen auch die Bereitschaft zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit: "Am vierten Tag wurde eine Gruppe russischer Gefangener von unseren Leuten erschossen. Das war nicht die SS, es war die Wehrmacht. (...) Unsere Soldaten schossen auf die Gefangenen von sich aus, nicht unter drohender Strafe wegen Befehlsverweigerung. Es ist nicht richtig, alle Soldaten als Moerder zu bezeichnen. Doch es ist dumm und schlimm, die Wehrmacht zu verteidigen, nach allem, was geschehen ist!" (3).
Die mannigfaltigen Relativierungsversuche dieses deutschen Revanchismus, wie er in den ersten drei Zitaten deutlich wird, sind Ausdruck einer Verweigerungshaltung gegenueber eigenen Verantwortlichkeiten. Eine innere Auseinandersetzung fand und findet nicht statt bei diesen Taetern, um so mehr wird sich dagegen verwahrt, dass diese nun von aussen eingefordert wird.

Die Ausstellung als Ausloeser einer parlamentarischen Debatte

Ausgeloest wurde die gesellschaftliche Debatte und ihre mediale Inszenierung von Seiten der Bremer CDU-Fraktion, die zu Beginn versuchte, die Ausstellung aus der Rathaushalle zu verbannen und dadurch einer breiteren Oeffentlichkeit zu entziehen: Gerade in dem Zeitraum fuer den die Ausstellung angesetzt war, sollte die untere Rathaushalle renoviert werden. Somit waere, ohne eine politische Auseinandersetzung zu fuehren, das Problem aus der Oeffentlichkeit entfernt worden, eine Taktik, die bezeichnenderweise auch "Gefreitendienstweg" genannt wurde. Vermutlich kannte mensch in der Bremer CDU die Stuttgarter Debatte, wo CDU, FDP und DVU gemeinsam die Durchfuehrung der Ausstellung im Landtag verhinderten. In Bremen allerdings gelangten kurz darauf aus der CDU-Fraktion die Beweggruende fuer die geplante Sanierung an die Presse, woraufhin die Partei, um nicht zu sehr als Intrigantin dazustehen, in die Offensive ging:
Zwar koenne an den einzelnen Quellen wohl nicht gezweifelt werden, doch gehe es um den "Eindruck". Der naemlich sei, dass alle Soldaten der Wehrmacht "potentielle Moerder" seien. (4).
Es folgte ein Antrag der CDU im Senat gegen die Durchfuehrung der Ausstellung im Rathaus, der mit 4:4 Stimmen in der grossen Koalition nicht durchkam. Mit der Berufung auf "unzaehlige Anrufe" aufgebrachter BuergerInnen in ihrer Geschaeftsstelle, verfolgte die CDU ihre Ablehnungshaltung gegen die Ausstellung weiter und am 13.11. wurde die "Vernichtungskrieg"-Ausstellung Thema einer Aktuellen Stunde in der Bremer Buergerschaft.
Waehrend der Debatte wurde sich von allen Seiten erst einmal in "Schadensbegrenzung" geuebt, Buergermeister Scherf erklaerte: "Die Koalition wird an dieser Frage nicht auseinandergehen." (5).
Soweit waren sich alle einig. Doch inzwischen ging es schon nicht mehr um die Ausstellung an sich, sondern um die politische Verortung von SPD und CDU als Parteien innerhalb der grossen Koalition. So der CDU-Landesvorsitzende Neumann: "Insbesondere in Zeiten einer grossen Koalition mit der SPD ... (muss) ... das besondere Profil der CDU (...) sichtbar sein." (6).
Gebuhlt wird hier von der CDU in erster Linie um eine reaktionaere Klientel gerade innerhalb der Kriegsgeneration. Diese wird in der Folge fuer die politischen und ideologischen Interessen der Partei argumentativ vereinnahmt: "Die Truemmerfrauen nehmen es nicht hin, dass der eigene Mann von der Opfer- auf die Taeterseite geschoben wird." (Major a.D. Perschau, CDU) (7).
Auf der anderen Seite bemueht sich die SPD, auf ihrem Weg zur Selbstfindung in einer grossen Koalition, sich einen historisierten Antifaschismus zu eigen zu machen, in klarer Abgrenzung zur rechten Verortung der CDU: In den Pausen der Buergerschaftssitzung lasen einzelne SPD-ParlamentarierInnen aus Soldatenbriefen von der Ostfront vor. Horst Isola, SPD, machte in der Debatte noch einmal den Anspruch seiner Partei auf das "Gedenken" deutlich: "Wir muessen uns diesem schmerzhaften Diskussionsprozess stellen, sonst koennen wir nicht den Anspruch erheben, an Gedenktagen wie dem 9. November oder an anderen Tagen mit bewegenden Worten ueber die Opfer des Nationalsozialismus zu klagen." (8).
Die Debatte wurde in der Buergerschaft nicht mehr inhaltlich gefuehrt, mit Ausnahme der Rede von Hermann Kuhn (B90/Gruene): "Vor Auschwitz lag Eroberungskrieg, der Vernichtungskrieg im Osten. In Auschwitz selber waren vielleicht wenige beteiligt, aber an der Gesamtgeschichte des Holocaust, an der Gesamtgeschichte dieses Vernichtungskrieges waren sehr viel mehr Deutsche beteiligt, als nach 1945 die Leute wahrhaben wollten. (...) Weil die Aelteren erlebt haben, dass aus normalen Maennern ploetzlich Mittaeter wurden. Und weil sie auch erlebt haben, wie aus Mittaetern wieder normale Maenner wurden nach 1945. Gerade deshalb sind diese Fragen so hoechst schmerzhaft, irritierend und bohrend." (9).
CDU und AfB (Arbeit fuer Bremen - SPD-Rechtsableger) gehen in ihren Beitraegen auf diese inhaltlichen Fragen nicht ein, sondern zielen darauf ab, die Ausstellung formal zu kritisieren: "Diese Ausstellung leistet keinen Beitrag zu einer objektiven Aufklaerung. Vielmehr ist diese Ausstellung eine demagogische Inszenierung und eine willkuerliche Aneinanderreihung von Fotos." (Neumeier, CDU) "Und wenn Sie sich die bildnerische Darstellung der Ausstellung angucken, ueber die sehr wohl diskutiert werden muss, dann erschoepft sie sich in der Darstellung von Greueltaten und Verbrechen." (Major a.D. Perschau, CDU) (10). Der Landesvorsitzende Neumann ging sogar soweit, von Faelschungen zu sprechen. Daraufhin kuendigte Jan Philipp Reemtsma an, er werde auf Unterlassung klagen, falls Neumann diese Aussage nicht zuruecknehmen wuerde.
Somit in Zugzwang geraten, praesentierte Neumann zwei Tage spaeter die "Fachleute", auf die er sich in seiner verleumderischen Aussage berufen hatte. Es handelte sich hierbei um drei ehemalige Soldaten. Zuersteinmal wird der Generalleutnant a.D. und ehemaligen Inspekteur des Heeres, Hans Poeppel, der heute Vizepraesident der "Gesellschaft fuer Wehr- und Sicherheitspolitik" ist, von Neumann zitiert: "Die Methode bewusster Diffamierung ist dabei sehr geschickt, indem sie die Uebereinstimmung von Nationalsozialismus und Wehrmacht mit scheinbar tragfaehigen Argumenten untermauert." (11). Als zweites nimmt Neumann Bezug auf den Brigadegeneral a.D. D. Roth, der zu erkennen glaubt: "Die Ausstellung laesst jegliche wissenschaftliche Methodik und Akribie vermissen." (12). Als Dritter im rechten Bunde wird noch der Publizist Ruediger Proske erwaehnt, Verfasser einer Streitschrift "Wider den Missbrauch der Geschichte deutscher Soldaten zu politischen Zwecken", ueber den Ausstellungsmacher Hannes Heer lapidar bemerkt: "(...) ein ueber England abgeschossener Kampfflieger, der als Stichwortgeber von Alt- und Neonazis Erfolg hat" (13)..
Zu einer Anklage ist es daraufhin ersteinmal nicht mehr gekommen, hat doch Neumann selbst seine Argumentation durch den Bezug auf Revanchisten als reine Ideologie blossgestellt und sich selbst damit im Zusammenhang mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung disqualifiziert.

Ausdrucksformen kollektiver Verleugnung

Die bis hierher deutlich werdenden Mechanismen der Verdraengung, einhergehend mit der Ablehnung einer Auseinandersetzung mit den Verbrechen, sind seit den Nachkriegsjahren nicht mehr derartig in Erscheinung getreten wie jetzt anhand dieser Ausstellung.
Die eigenen Taeter(Innen)-Anteile nahmen die Deutschen in der Regel nicht wahr: "Die Bundesrepublik ist nicht in Melancholie verfallen, das Kollektiv all derer, die einen 'idealen Fuehrer' verloren hatten, den Repraesentanten eines gemeinsam geteilten Ich-Ideals, konnte der eigenen Entwertung dadurch entgehen, dass es alle affektiven Bruecken zur unmittelbar hinter ihnen liegenden Vergangenheit abbrach. Dieser Rueckzug der affektiven Besetzungsenergie (14)., des Interesses, soll nicht als ein Entschluss, ein beabsichtigter Akt verstanden werden, sondern als ein unbewusst verlaufendes Geschehen, das nur wenig vom bewussten Ich mitgesteuert wird. (...) Mit dieser Abwendung der inneren Anteilnahme fuer das eigene Verhalten im Dritten Reich wurde ein in ungezaehlten Faellen kaum zu bewaeltigender Verlust des Selbstwertes und damit der Ausbruch einer Melancholie vermieden", sagten die Mitscherlichs 1966 in ihrer Psychonanalyse der deutschen Verdraengung (15)..
Es ist nicht zu leugnen, dass das Wertesystem des Nationalsozialismus von der uebergrossen Mehrzahl der Deutschen und OesterreicherInnen in einem Masse verinnerlicht wurde, dass eine Wahrnehmung eigener TaeterInnenanteile mit groesseren (eigen-)therapeutische Anstrengungen verbunden haette. Dementsprechend fand diese, zumindest als gesamtgesellschaftlicher Prozess, nicht statt. So ist die "demokratische" Gesellschaftsstruktur nach 1945 nur als von aussen oktroyiert zu verstehen.
Zur Veranschaulichung der Intensitaet des Verinnerlichten: Im Jahre 1949 fuehrte die amerikanische Militaerbehoerde in Bremen eine Umfrage im Rahmen der "Entnazifizierung" durch: "Auf die Frage, wofuer sie sich entscheiden wuerden, wenn sie zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus zu waehlen haetten, entschieden sich 52% der Befragten fuer den Nationalsozialismus, 4% fuer den Kommunismus und nur 43% wollten sich fuer keine der beiden Alternativen entscheiden, wobei 22% den Kommunismus und nur 3% den Nationalsozialismus als am wenigsten akzeptabel fanden." (16).
Zusaetzlich gesagt werden muss, dass in den Nachkriegsjahren, wie heute, die Prozesse kollektiver Verdraengung von der herrschenden Politik mitvollzogen, gestuetzt und nicht zuletzt gestaltet wurden, daher also einen nicht nur gesellschaftlichen sondern auch politischen Konsens darstellten.
Anstatt sich einer Reflexion der eigenen Mitschuld auszusetzen, wandten sich der und die Deutsche den millionenfach verbreiteten Buechern und Illustrierten-Serien zu, die dem nationalen Kollektiv seinen Persilschein ausstellten: "Wir waren keine Banditen" von H.G. Kernmayr; der Kino-Film "So war der deutsche Landser"; "Wir werden weiter marschieren" von G. Kramer etc.
Hier fand sich als durchgehende Aussage die Auffassung, "verfuehrt" worden zu sein, verbunden mit einer narzisstischen Selbsttitulierung als eigentliche "Opfer". Dies wurde in der Bremer Debatte bereitwillig vom Major a.D. Perschau (CDU) aufgenommen, dessen Analyse besagt, dass die Wehrmacht "in grossem Umfang aus Opfern" bestanden habe und deren Soldaten durch die Ausstellung daher "von der Opferseite auf die Taeterseite geschoben" wuerden. (17). Wogegen Hermann Kuhn von den Bremer Gruenen feststellt, diese Ausstellung "sei die erste seit 50 Jahren ueber dieses Thema - dies ist der eigentliche Skandal" (18).
Fuerwahr war das Nachkriegs-Deutschland mit der monomanen Ausrichtung auf die Erschaffung des "Wirtschaftswunders" und dem damit verbundenen Aufbau einer neuen nationalen Identitaet ueber den Bezugspunkt der Wirtschaftskraft, zu beschaeftigt, um sich diesem Thema zu widmen, so es denn ueberhaupt gewollt waere. Das "Wirtschaftswunder", und die dadurch begruendete globale oekonomische Vormachtstellung Deutschlands bis heute, verhinderte zudem die Verarbeitung des Bruches in den individuellen und kollektiven Lebenszusammenhaengen, da dem "Zusammenbruch" nahtlos der "Aufbau" folgte.

Deutsche Soldaten als Opfer

In der Debatte wird von rechter Seite, der CDU und AfB, die individuelle Verantwortung ausgeklammert, wird die Taeterfrage nicht gestellt. Waehrend sowohl im Parlament als auch auf den LeserInnenbriefseiten immerwaehrend der Vorwurf erhoben wird, die Ausstellung stelle "pauschal alle Wehrmachtsangehoerigen als Verbrecher" dar (19)., wird selbst durchgehend pauschal von den Wehrmachtssoldaten und der deutschen Bevoelkerung als "Opfer" gesprochen: "(...) mit einer solchen einseitigen Ausstellung (...), die darauf verzichtet, die Opferseite darzustellen und nur die Taeterseite darzustellen ..." (Major a.D. Perschau) (20)..
So wird sich der altbekannten Ideologie bedient, den Soldaten an sich vom nationalsozialistischen System zu trennen und in der Tradition des deutschen Soldaten etwas grundsaetzlich "ehrenhaftes" zu sehen.
Dies stellt eine voellige Ausblendung der Tatsache dar, dass Ideologie und Ziele des deutschen Militarismus eben nicht parallel oder sogar widerspruechlich zum Nationalsozialismus verliefen, sondern zum allergroessten Teil deckungsgleich mit dessen Ideologie waren. Schliesslich hat gerade der deutsche Militarismus sowohl als Institution als auch in Form der normativen Verinnerlichung den Nationalsozialismus zu einem grossen Teil konstituiert.
In der bundesweiten wie auch der Bremer Debatte ging es bisher nicht bloss um eine historische Auseinandersetzung mit der Wehrmacht, sondern auch gerade um den Zusammenhang mit der Bundeswehr, die sich im wiederformierten Grossdeutschland neu, eben nicht mehr als reine "Verteidigungsarmee", definiert.
Dabei ist zuallererst die Bundeswehr die Nachfolgerin der Wehrmacht, dies bringt der Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, auf den Punkt: Die Bundeswehr wisse "sich als Erbe der deutschen Geschichte und Militaergeschichte mit ihren Hoehen, aber auch ihren Tiefen. (...) Militaerische Tradition verbindet die Generationen ueber die Zeit hinweg." (21).
Deshalb geht es der wehrkraftfoerdernden CDU um eine Reinwaschung des Soldaten an sich, auf den sich obengenannte Tradition begruenden laesst: "Ich glaube, wir muessten eigentlich, wenn es uns um Aufklaerung geht, auch bereit sein, uns zu oeffnen dafuer, dass Soldaten, auch Soldaten der Bundeswehr, unsere Freiheit verteidigen, unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat." (Neumeier, CDU) (22).

Ausdiskutiert?

Das politische Scheingefecht im Parlament scheint vorerst vorueber, die Meinungsfronten (um mehr ging es in der Auseinandersetzung zwischen SPD und CDU auch gar nicht) sind geklaert. Durch den unueberlegten Vorstoss der CDU wurde jedoch eine gesellschaftliche Diskussion in Gang gesetzt, deren Ende noch nicht abzusehen ist.

Guenther Feind


Annerkungen:
(1). Jan Philipp Reemtsma, Eroeffnungsrede, zitiert nach: Mittelweg 36, H. 1/96.
(2). Aus: Mittelweg 36, H. 1/96.
(3). Aus: Weser Kurier vom 19.11.96.
(4). Aus: taz Bremen vom 13.11.96.
(5). Aus: Weser Kurier vom 14.11.96.
(6). Aus: Weser Kurier vom 15.11.96.
(7). Aus: Weser Kurier vom 14.11.96.
(8). Aus einem Mitschnitt der Buergerschaftsdebatte am 13.11.96.
(9). Ebd.
(10). Beide Zitate aus o.g. Mitschnitt.
(11). Neumeier, ebd.
(12). Aus: taz Bremen vom 19.11.96.
(13). Ebd.
(14). D.h. die Leidenschaft, mit der einzelne Elemente des Nationalsozialismus verinnerlicht wurden.
(15). Alexander und Margarete Mitscherlich: Die Unfaehigkeit zu trauern, Muenchen 1977.
(16). Karl Ludwig Sommer: Vom Truemmerhaufen zur Musterstadt - Bremen in den 50er Jahren, in: Scenen in Bremen, hg. vom Bremer Blatt, 1986.
(17). Aus o.g. Mitschnitt.
(18). Ebd.
(19). Aus taz Bremen vom 16.11.96.
(20). Ebd.
(21). Aus: Zeit-Punkte, 3/1995.
(22). Aus o.g. Mitschnitt


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kombo(p) - 07.02.1997