Ein Auszug aus kassiber 29 - September 96

VerbraucherInnenprofile durch KundInnenkarten

Konsum, Karte, Kontrolle.

In Großbritannien hat seit einem Jahr die verschärfte Konkurrenz unter den führenden Supermarktketten auf die einzelnen VerbraucherInnen eine erstaunliche Konsequenz: Nach Jahren der Entpersonalisierung und Rationalisierung in Mega-Märkten wie "Tesco", "Safeway" oder "Sainsbury" soll wieder auf die individuellen Wünsche der KundInnen eingegangen werden.

Natürlich wird hier nicht die persönliche Bindung zwischen KonsumentIn und VerkäuferIn à la "Tante-Emma-Laden" revitalisiert, sondern die Chefetagen setzen nun auf eine EDV-gestützte Kundenprofil-Bestimmung.

Den Anfang machte Britanniens größte Kette, Tesco, im vergangen Jahr. Unter dem Kampfbegriff "micro-marketing" wird von ihrer Planungsabteilung angestrebt, kleine Gruppen von KonsumentInnen und sogar einzelne KundInnen in ihren Konsumgewohnheiten zu "identifizieren" und ihnen genau das Produkt zu verkaufen, das sie angeblich brauchen.

Mit genannter Identifizierung beginnt ein gewaltiger Durchleuchtungsaufwand: Zuerst einmal müssen bei Tesco die KundInnen geködert werden, ihre persönlichen Daten abzugeben. Einkaufende bei Tesco werden umworben, sich ihre persönliche "Clubcard" ausstellen zu lassen. Dies ist keine Kreditkarte im herkömmlichen Sinne, sondern ein elektronisches Bonheft, in dem jedes einzelne Produkt eines jeden Einkaufes gespeichert wird - ab einer bestimmten Einkaufssumme winken Vergünstigungen auf "Tesco"-Produkte.

Diese Datensammelwut ermöglicht es Tesco, schon nach kurzer Zeit bestimmte Vorlieben ihrer regelmäßigen KundInnen ausfindig zu machen.

Dann kann es passieren, daß die Kundin - mit ihrer Zuneigung zu einer bestimmten Art von Keksen - auf einmal ein Werbeangebot geschickt bekommt, das ihr ein neues Produkt ähnlichen Geschmacks schmackhaft machen will. Oder es geht an den Haushalt, der regelmäßig guten Rotwein kauft, eine Einladung von Tesco zu einer Weinprobe im Supermarkt - alles ganz unverbindlich und natürlich nur im Sinne der VerbraucherInnen.

Über 150 Millionen Pfund (rund 400 Millionen Mark) an Gutscheinen und Vergünstigungen für die ca. 6,5 Millionen Clubkarten-BesitzerInnen hat sich Tesco diese Kampagne bisher kosten lassen (1).
Auf der Jagd nach dem möglichst genauen KundInnenprofil lohnt sich diese Investition schon jetzt. Langfristig spart Tesco so Milliarden durch Optimierung ihrer Werbestrategie, da jetzt, bis auf eine einzelne Person genau, gezielt für ein Produkt geworben werden kann.

Die sonst üblicherweise mitumworbene Menge von KonsumentInnen, für die jenes spezifische Werbeangebot gar nicht erst in Frage kommt, bleibt ausgespart. Zudem versucht Tesco so, im heißumkämpften Markt der "hypermarkets" seine KundInnen durch die Verlockungen des beständigen Bonuspunkte-Sammelns an sich zu binden. Im Hintergrund aber geht es noch um einen ganz anderen Markt: den Handel mit KundInnenprofilen.

Milliardendeals mit Privatdaten. Eine US-Marktforschungsfirma (2) spricht von 2/3 aller Großunternehmen, die neuerdings auf "data warehouses" genannte Datenbanken zurückgreifen. Eine solche Datenbank sammelt und speichert alle KundInnen-Informationen, zu denen eine Firma Zugang hat, und analysiert sie, um Markttrends ausfindig zu machen und VerbraucherInnenprofile kleinerer Gruppen zu erstellen. Die Datenbankfirma Oracle stellte kürzlich ein "data warehouse" mit vier Terabytes Speicherkapazität vor - auf Britannien bezogen wären dies rund 200 Megabytes pro Haushalt (3).

So kommt Tesco nicht nur durch eine rationalisierte Marketingstrategie zu einer Steigerung seiner Profitrate, sondern mischt nun ebenso im Milliardenmarkt der KonsumentInnendaten mit, indem die gesammelten Profile an andere Firmen weiterverkauft werden.

Inzwischen findet ein reger Austausch dieser Daten statt - zwischen Supermärkten wie Tesco (Somerfield und Safeway zogen vor kurzem auch mit eigenen Clubkartensystemen nach) und Firmen wie der Fluggesellschaft Air Miles oder Shell, mit teilweise übertragbaren Vergünstigungen beim Konsum von Firma zu Firma (4). Die Nobelhotelkette Ritz-Carlton z.B. sucht auch weiterhin, "die unausgesprochensten Wünsche und Bedürfnisse" ihrer Gäste zu erfüllen und hat aus diesem Grund schon die "unausgesprochenen Wünsche" von 120.000 Personen gespeichert (5).

Bald auch hier ... In der BRD ist die Entwicklung noch nicht so weit. Allein die schon immer mit KundInnenkarten arbeitenden Großhandelsketten wie z.B. Metro haben im Moment die Möglichkeit, das Einkaufsverhalten ihrer KundInnen zu speichern und auszuwerten. Bei der Metro ist jedes einzelne Produkt, welches einE KundIn gekauft hat, auf dem Computer abrufbar. Aufgrund dieser Datenbank, werden halbjahresweise Metro-KundInnen benachrichtigt, daß sie erst für weniger als DM 500,- dort eingekauft haben (6).

Die Daten für ein ausgereiftes KundInnenprofil sind bei der Metro also schon jetzt vorhanden. Gerade Kreditkartenunternehmen verfügen auch hierzulande über eine Fülle von Daten ihrer KundInnen, denn jeder einzelne Einkauf mit Karte bleibt bis zu sechs Jahre gespeichert. Die American Express Corporation (Amexco) z.B. verdient sich ein Zubrot mit dem Verdealen von KundInnenprofilen. Ein Partnerhotel der Amexco wendet sich aus werbestrategischen Gründen an diese und bekommt prompt eine Datei mit 48.000 potentiellen KundInnen, die in den vergangen 12 Monaten in vergleichbaren Hotels in den USA nächtigten (7).

Inzwischen werden von den Kreditkartenunternehmen KundInnenprofile auch zu deren angeblichen Schutz benutzt: Über die Jahre hinterläßt der oder die KartenbenutzerIn eine Datenspur, die einen Eindruck des jeweiligen Konsumverhaltens vermittelt. Taucht nun auf einmal eine dem Profil ganz und gar nicht entsprechende Buchung auf, reagiert das System mit einer Sperrung der Karte.

Dieses System wird in den USA und in den Niederlanden (Eurocard) schon angewandt, in der BRD allerdings noch nicht (8). Wir stehen hier erst am Anfang einer Entwicklung, und da gerade in der BRD die Öffentlichkeit im Bereich Datenschutz sensibler reagiert als in den USA oder Großbritannien, ist die Umsetzung dieser neuen "Konsumleitsysteme" jenen Ländern noch etwas "hinterher". Modellversuche wie die "elektronische Geldbörse" aber zeigen, daß es auch hier nur noch eine Frage der Zeit ist, bis wir als KonsumentInnen gläsern werden.

Kontrollmöglichkeiten??
Neben der intensivierten Steuerung von Konsumverhalten fährt gerade das profitable Weiterverdealen von Datenprofilen zu einer ungeheuren Sammelwut größerer Firmen, welche bald sicherlich die der staatlichen Instituionen in den Schatten stellen wird. Gerade im Bereich der Wirtschaft läßt sich aber das Sammeln von Daten und der Umgang mit ihnen noch viel weniger kontrollieren und reglementieren - dem Datenschutz bietet sich hier in Zukunft kaum eine Möglichkeit zum Eingreifen.

Staatlichen Stellen gegenüber müssen Datenbestände zwar eigentlich gemeldet werden, doch wird dieses gesetzeswidrigerweise oft nicht getan (9) und es bleibt ohnehin anzuzweifeln, ob so ein wirklicher Schutz gewährleistet werden kann. Die KonsumentInnen erfahren in der Regel sowieso nicht, ob sie in ihrem Konsumverhalten gerade gespeichert werden oder nicht.

Mahmout el Khalil


bezugsmöglichkeiten


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kombo(p) - 20.11.1996


















Anmerkungen:
(1) The Observer, 7.4.96.
(2) "Forrester Research" aus Massachusetts; nach: The Guardian, 7.12.95.
(3) The Guardian, 7.12.95.
(4) Ebd.
(5) Ebd.
(6) Auskunft in einem Gespräch mit einer Ex-Angestellten der "Metro".
(7) Beat Leuthardt: Leben online, rororo aktuell, Reinbek 1996, S. 141.
(8) Ebd., S. 140.
(9) Ebd., S. 142.