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3.
Frauenhandel
In der EU gibt es eine große
Anzahl von Frauen, die von Frauenhandel betroffen sind. Die Öffentlichkeit
schenkt ihnen keine Beachtung. Seit den neunziger Jahren geraten hauptsächlich
mittel- und osteuropäische Frauen in Abhängigkeits- und Gewaltverhältnisse,
in denen sie ihres sexuellen Selbstbestimmungsrechts beraubt werden. Dieser
Entwicklung liegt der Umbruch 1989/90 in den ehemaligen sozialistischen
Staaten zugrunde, durch die sich die wirtschaftliche Lage der meisten
Menschen und insbesondere der Frauen grundlegend verändert hat. So unterschiedlich
sich der Umbruch in den ehemaligen sozialistischen Ländern (aufgrund von
geschichtlichen, politischen und kulturellen Bedingungen) vollzogen hat,
sehen wir doch ähnliche Gegebenheiten, besonders wenn es um die Konsequenzen
der sogenannten Wende geht.
Wenige
oder keine sozialen Absicherungen, rapid ansteigende Arbeitslosigkeit,
plötzlich auftretende und gleichzeitig nicht immer leicht nachvollziehbare
Veränderungen im gesamten gesellschaftspolitischen und alltäglichen Leben
sollen hier nur als einige Beispiele der gravierenden und übergreifenden
Folgen des Umbruchs angeführt werden. Wie überall auf der Welt sind es
auch in den mittel- und osteuropäischen Ländern besonders Frauen, die
von Armut betroffen sind. Die oben genannten Bedingungen zwingen oder
bewegen viele Frauen dazu, in die reicheren Staaten (EU) zu migrieren,
um ihre Existenzgrundlage zu sichern und/oder ihre ökonomische Situation
zu verbessern. Auf ihrem Weg, oder nachdem sie schon ihren Zielort erreicht
haben, geraten sie oft in Abhängigkeitsverhältnisse, ganz gleich welchen
Beruf sie ausüben - ob als Prostituierte, Hausangestellte oder als Au-Pair-Mädchen
- oder ob sie sich aus wirtschaftlichen Gründen entscheiden, eine Heirat
mit einem EU- Bürger zu schließen. Die rassistische Gesetzgebung der EU,
insbesondere der BRD schränkt die Möglichkeiten, in einem Land der EU
leben und arbeiten zu können, drastisch ein. Das verschärfte Ausländergesetz
und die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten bei Einreise und Aufenthalt
(z.B. Paßformalitäten, Visumsangelegenheiten und vor allem Schikanen bei
Ämtergängen vorort) bringen viele Migrantinnen dazu, auf kaum bezahlbare
»Hilfe« zurückzugreifen. "Aus mangelnder Kenntnis der Realitäten und der
Bestimmungen in den Zielländern, Unerfahrenheit im Umgang mit den notwendigen
Formalitäten und den Gesetzen in den Herkunftsländern können die Frauen
getäuscht und ausgenutzt werden. Obwohl frühere Tabus wie physische und
psychische Gewalt an Frauen auch dort inzwischen gebrochen und immer stärker
thematisiert werden, gibt es immer noch ein Informationsdefizit, in welche
Gefahren die Frauen bei der Migration geraten können"1. Damit sei betont,
daß nicht nur die wirtschaftlichen Migrationsgründe, sondern auch die
Gesetzeslage der EU den Frauenhandel hervorrufen und stärken. Ähnlich
wie in anderen EU-Staaten gibt es auch in der BRD eine ausgeprägte Frauenhandelsstruktur.

Diejenigen Personen, die vom
Frauenhandel profitieren " (...) bringen die Mädchen und Frauen, die in
der BRD leben, in Konflikte mit dem bestehenden Straf- , Polizei- und
Ausländerrecht und hierdurch (...) in kaum mehr auflösbare Abhängigkeiten."2
Paradoxerweise ist es die gleiche Bundesregierung, die durch ihre Gesetzgebung
den Frauenhandel ermöglicht und gleichzeitig die betroffenen Frauen für
ihre Lage verurteilt. "Maßnahmen [die von der Bundesregierung ergriffen
werden] richten sich (...) in erster Linie gegen die Frauen, während die
Heiratshändler (...) unbehelligt bleiben. Die Bundesregierung hält an
ihrer bisherigen Abschiebepraxis fest."3 Die Frauen werden grundsätzlich
abgeschoben, es sei denn, es gibt ein Interesse der Behörden an der Verwertbarkeit
ihrer Aussagen (d.h. wenn die Frauen als Zeuginnen benutzt werden; auch
dann werden sie nach Prozeßende umgehend ausgewiesen). Juristisch gesehen
(§ 180b StGB Menschenhandel und § 181 StGB schwerer Menschenhandel) stehen
diejenigen Personen unter Strafe, die die Zwangslage und die mit einem
Aufenthalt in einem fremden Land verbundene Hilflosigkeit einer Person
ausnutzen, um sie zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bringen.
Fälschlicherweise wird oft unter Menschenhandel auch die Fluchthilfe verstanden,
die im Gesetz als »Einschleusung von Ausländern« eingestuft und bestraft
wird. Wir wollen diese beiden Begriffe auseinanderhalten.4
Vorraussetzungen für Menschenhandel
sind gegeben, "wenn Personen unter den Prämissen ihrer strukturellen Benachteiligung
in ein fremdes Land, wie bspw. die Bundesrepublik gebracht werden und
sie in dieser Situation von anderen Personen ausgenutzt, von ihnen fremden
Interessen bestimmt werden. Von Menschenhandel ist jedoch erst dann zu
sprechen, wenn diese Personen unter Anwendung von Gewalt, Zwang oder Täuschungsmanöver
ihres sexuellen Selbstbestimmungs-rechtes beraubt werden."5
Der Begriff "Menschenhandel"
beinhaltet, daß mit Menschen gehandelt wird, daß sie "aus Tätersicht in
ihrer Gesamtheit zur Ware deklariert werden. Grundsätzlich können Männer
so wie Frauen von Menschenhandel betroffen sein"6, aber aufgrund des patriarchalen
Systems sind es jedoch fast ausschließlich Frauen. "Sie sind nach wie
vor weltweit primäres Ziel von sexualisierter Gewalt."7 Um die spezifische
Situation von Frauen sichtbar zu machen, sprechen wir von Frauenhandel,
im Gegensatz zum Menschenhandel, der für uns ein juristischer Begriff
bleibt. Wichtig für uns ist aber auch die klare Trennung zwischen Frauenhandel
und Prostitution. Die Annahme, daß Migrantinnen in der Prostitution automatisch
Opfer von Menschenhandel seien, betrachten wir als klischeehaft und rassistisch,
denn viel zu oft wird Migrantinnen in der Prostitution generell die eigene
Entscheidungsfreiheit für oder gegen die Sexarbeit abgesprochen. D.h.
es hängt nicht davon ab, welcher Tätigkeit eine Frau nachgeht, ob sie
in Abhängigkeits- und Gewaltverhältnisse gerät (s.o. bspw. Haushaltsangestellte,
Au-Pair-Mädchen, Heiratsmigration). Und umgekehrt: " [Es] ist zu berücksichtigen,
daß Migrantinnen auch freiwillig, aus eigenem Entschluß in der Prostitution
arbeiten (...), um beispielsweise ein höheres Einkommen zu erzielen. Oder
Frauen können sich selbstbestimmt aus pragmatischen Gründen in die Ehe
vermitteln lassen, weil sie ihre eigene Zukunft sowie die ihrer Familien
damit abgesichert wissen. (...) Den Betreffenden ist ihre Entscheidung
(...) zuzugestehen."8
Es ist wichtig, daß jede Frau
die Unterstützung, die ihrer Situation und ihren Bedingungen entspricht,
bekommt.
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