kolinko: hotlines - call center | untersuchung | kommunismus. 9/2002 ******************************************************** webversion auf [www.nadir.org/kolinko] kontakt: kolinko@prol-position.net ******************************************************** Inhalt: 1 Wir wollen euch was erzählen 2 Untersuchung: Begreifen, Eingreifen 3 Auswertung: Drei Jahre in Call Centern Konkrete Ziele der Untersuchung? Was haben wir getan? Wie sehen wir das heute: Interviews, Website, Flugblätter, Maloche Wie wurde das in der Linken aufgenommen? Was hat uns bewegt, was würden wir heute anders machen? 4 Call Center: In den Strudeln der Zirkulation Dienstleistungshölle, oder wie?! Was ist ein Call Center? Don’t believe the hype! Entwicklung der Call Center Boom, Boom, Bang! Was macht die Krise? 5 Arbeitsalltag Agents – Woher kommen und was wollen sie? Einstellung – Assessment Center Qualifikation – Wer kann’s noch nicht, wer hat schon mal? Arbeitsschritte – Eingeloggt und aus der Traum Zusammenarbeit – Von der produktiven zur subversiven Kooperation Maschinerie – Never mind the Call Master Hierarchie – Here is the Team-Leiter Telefonieren – Was für ein Service? ArbeiterInnenverhalten – Survivaltechniken Gesamteindruck – Bericht aus einem der Scheißläden 6 Auseinandersetzungen: Von kollektiven Kampfadern... Konfliktpunkte: Arbeitsverhältnisse, verschärfte Ausbeutung, Kontrolle, Verarsche Kampflinien: Sabotage, Appelle, Streiks Organisationsformen: (Basis)Gewerkschaften, Unterstützungsini, Selbstorganisierung Fazit 7 Vorschlag: Die nächsten Schritte... Untersuchung Austausch www.prol-position.net 8 Anhang Fragebögen hotlines-Flugblätter Call Center-Liste Literatur und Links Glossar ******************************************************** 1. Einleitung: Wir wollen euch was erzählen ...von Callmastern und Teamleitern, Trennwänden und Betriebsräten, Kommunikationsschulungen und Standardformulierungen, Saboteuren und Warteschleifen, Eingabemasken und Basisgewerkschaften, Momenten der Revolte, Fragebögen und Flugblättern... Was Im Sommer 1999 entschieden wir, in Call Centern arbeiten zu gehen, um die Leute dort zu treffen und mitzukriegen, was abgeht. Wir wollten unsere Wut auf die tägliche Ausbeutung und das Verlangen und die Suche nach Kämpfen zu ihrer Überwindung zusammenbringen. Dazu mussten wir die Klassenrealität an diesem Punkt verstehen, in den Konflikten mitmischen, eingreifen. Drei Jahre und ein Jahrtausend später haben wir jetzt einen Teil der Erfahrungen aufgeschrieben, aus unseren Erlebnissen in über zehn Call Centern, in denen wir selber schwitzten, aus den Ergebnissen der Gesprächen mit FreundInnen in England und Italien, die auch in Call Centern arbeiten und dort was versuchen, aus den Berichten von anderen Call Center-ArbeiterInnen aus den USA, Frankreich, Australien, aus den Interviews, theoretischen Diskussionen, aus Auseinandersetzungen über die Methoden von Untersuchung und Intervention... Für wen Wir schreiben das, weil jetzt was raus muss. Wir haben in den letzten drei Jahren so viel Kram diskutiert, versucht, forciert und wollen dies in die weitere Diskussion einbringen. Für wen wir das schreiben? Für alle, * die verstehen wollen, wie die Ausbeutungsrealität in Call Centern aussieht, wie die Leute zusammenkommen, wie sie die Arbeit machen und sich gegen sie auflehnen; * die Wege suchen, mit anderen Leuten den alltäglichen Scheißsituationen in der Ausbeutung entgegenzutreten; * die die Schnauze voll haben von den diversen Vertretern von Parteien oder Gewerkschaften und die Sachen selber in die Hand nehmen wollen; * die wie wir die revolutionären Tendenzen aufspüren wollen, welche die ausbeuterischen Verhältnisse beizeiten wegfegen werden. Warum Wir schreiben das auf, weil wir eine Diskussion provozieren wollen, wie wir nicht nur Call Center abschaffen, sondern das Ausbeutungsverhältnis insgesamt aufheben. Wir fordern euch auf, unsere Erfahrungen kritisch aufzunehmen und ähnliche Versuche zu machen. Nicht etwa, weil wir darin eine "Pflicht" erkennen oder eine "historische Mission". Wir überwinden die linke Vertreter- und Aufopferungskultur nur, wenn wir uns auf die konkreten Ausbeutungsbedingungen beziehen, sie untersuchen und intervenieren. Das ist unser Kampf, um die Kontrolle über unser Leben, gegen Wecker und Schichtplan, den Maschinentakt, den rassistischen Vorarbeiter, die geschlechtliche Arbeitsteilung und die Kriegstreiber. Dafür brauchen wir klare Gedanken, offene Diskussionen, solidarische Verantwortung, bestimmte Methoden und konkrete Ziele. Dies ist ein Beitrag zum Prozess. Dies ist eine, ist unsere Perspektive. Wir sind keine Journalisten, Wissenschaftler, Schriftsteller, Funktionäre. Wir haben das als ArbeiterInnen geschrieben, welche die tägliche Ausbeutung erleben und bekämpfen, und gleichzeitig als Kollektiv, das eine revolutionäre Chance sucht, ohne die wir das Ausbeutungsverhältnis nicht los werden. Konzepte In unseren Versuchen beziehen wir uns auf verschiedene Konzepte, Theorien, Methoden, die wir in den letzten Jahren diskutiert haben:[1] die kritische Diskussion des Marxismus, unter anderem von Socialisme ou Barbarie in den Fünfzigern in Frankreich und der Quaderni Rossi in Italien in den Sechzigern, welche die konkreten Bedingungen der Ausbeutung und die Möglichkeiten für eine neue Klassenbewegung untersuchten; die links- und rätekommunistische Kritik am Leninismus, als Ideologie und staatliche Politik, welche die ArbeiterInnen in Russland in ein neues (sowjetisches) Ausbeutungsregime zwang; die Kritik an positiven Bezügen auf die kapitalistischen Produktivkräfte, auf die angeblich "neutrale" Technologie, die Vorstellung, dass es ausreichen würde, die Bosse durch Funktionäre zu ersetzen, um zum Kommunismus zu gelangen; Kritik der leninistischen Avantgardekonzepte und der Trennung von "ökonomischem" und "politischem" Kampf, mit denen immer wieder Schichten von Kleinbürgern und Intellektuellen ihren Führungsanspruch gegenüber den ArbeiterInnen durchsetzen wollen; Kritik der Vorstellung von Arbeiterselbstverwaltung, bei der die Fabriken durch Komitees von (Fach-)ArbeiterInnen übernommen und weiter betrieben werden, ohne dass die kapitalistische Form der Produktion und Reproduktion aufgehoben wird... Wir benutzen diese Kritiken sowie Konzepte von Klassenzusammensetzung und Untersuchung:[2] Eine revolutionäre Klassenbewegung kann sich nur aus den materiellen Bedingungen der Ausgebeuteten, aus ihren Formen der Kooperation und der Kämpfe selbst herausbilden. Dabei entwickeln diese, ausgehend von ihren Bedingungen, unterschiedliche Kampfformen. Wir sind Teil des Prozesses und versuchen, bei der revolutionären Umgestaltung dieser Welt mitzumischen. Wir wollen eingreifen, wo es gilt, die kommunistischen Tendenzen in den Kämpfen zu unterstützen, und verhindern, dass diese an den Fallstricken der kapitalistischen Versprechen und Illusionen hängen bleiben. Unsere Ausgangsfragen sind also: * Wie sieht die Klassenzusammensetzung aus, in unser Region, weltweit...? * Wie wird heute produziert, gearbeitet, was ist Fabrik? * Wie sehen die Bedingungen der Reproduktion aus? * Was ist unsere Position in den Auseinandersetzungen? Die Untersuchung in Call Centern war ein Versuch, ein Anfang. Wir laden euch ein, uns durch einen Teil der Klassenrealität, den wir da untersucht haben, zu folgen. Ihr werdet Ecken und Kanten in diesen Text finden, Infos, Fragen, Kritiken, Vorschläge. Das ist ein Lesebuch. Ihr könnt es von vorne bis hinten durchlesen, aber auch rumschmökern und springen. Inhalt Nach dieser 1. Einleitung kommt was zu unseren Ausgangspunkten: 2. Untersuchung: Begreifen, Eingreifen. Worauf beziehen wir uns? Welche Hoffnungen verbinden wir damit? Danach beschreiben wir, was wir gemacht haben: 3. Auswertung: Drei Jahre in Call Centern. Welche Probleme hatten wir bei den Interviews oder Flugblättern? Welche Sachen haben hingehauen? Was können wir besser machen? Unter 4. Call Center: In den Strudeln der Zirkulation erklären wir kurz, was Call Center überhaupt sind und wie diese vom Boom in die Krise gegangen sind. In 5. Arbeitsalltag wollten wir kapieren, was täglich abläuft, wie die ArbeiterInnen kooperieren, wie sie mittels der Maschinerie zur Arbeit gebracht werden und in welchen Situationen sie das ausbeuterische Verhältnis angreifen (können). Dabei flossen vor allem unsere eigenen Erfahrungen und die Interviews ein. Im Teil 6. Auseinandersetzungen: Von kollektiven Kampfadern sind wir aus einer anderen Perspektive an die tägliche Ausbeutung rangegangen. Wir haben uns gefragt, welche Konflikte es gibt, welche Erfahrungen und Probleme zum Beispiel mit Sabotage oder Streiks und welche Rolle Formen der Organisierung darin spielen: Betriebsräte, (Basis-)Gewerkschaften, Unterstützungsinitiativen. Dabei haben wir uns vor allem auf die Berichte und Flugblätter aus "unseren" und anderen Call Centern bezogen. Am Schluss haben wir die Erfahrungen zusammengebracht: 7. Vorschlag: Die nächsten Schritte... auch als Aufforderung zur Diskussion. Als weitere Anregung findet ihr unter 8. Anhang unsere Fragebögen für die Untersuchung, einen Teil unser Flugblätter, eine Kurzbeschreibungen der im Text erwähnten Call Center, eine Liste mit Literatur/Links und ein Glossar (mit Call Center- Vokabular). Viel Spaß beim Lesen. Und denkt dran: Wir wollen eure Meinung, Kommentare, Geschichten... love and rage! kolinko, Rhein/Ruhr, Sommer 2002 ******************************************************** 2. Untersuchung: Begreifen, Eingreifen Phase In den letzten Monaten, in denen wir an dieser Auswertung schrieben, wurde spürbar, dass sich der Kapitalismus immer weniger über seine Zukunfts- und Glücksversprechen über Wasser halten kann. Versprechen, die er sowieso kaum und wenn, dann nur für wenige einhalten konnte. Vielmehr produziert er immer neue Krisen, Einbrüche des Wirtschaftswachstums, Entlassungen, Anziehen der Ausbeutungsschraube - von Asien über Lateinamerika und die USA bis ins Euroland. Es wurde klar, dass trotz HiTech und Überproduktion die Schufterei, der Verzicht, die Bedrohung durch Verarmung weitergehen werden. Ihre New Economy ist am Arsch, tauscht sich aus gegen den New War in Afghanistan und Palästina... Aber uns erreichen auch Meldungen über die Aufstände in Argentinien, Generalstreiks in Südkorea, Italien und Spanien, die zeigen, dass sich die Auswirkungen des kapitalistischen Alltags nicht wegbomben lassen, sich der Mangel an Zukunftsversprechen nicht dauerhaft durch Drohungen aus der Vergangenheit ersetzen lässt. Doch wo geht's hin? Wie verbinden sich die Kämpfe und wie finden sie einen Weg zu einer neuen Klassenbewegung? "Eine andere Welt ist möglich!" ist das Motto der Anti-Globalisierungsmobilisierung, doch bisher richtet sich der lauteste Teil dieser vermeintlichen "Bewegung" nur an die Verwalter der alten. Entweder sehen sie diese als Verantwortliche des Übels - Politiker, Konzernbosse, IWF-Fuzzis - oder als Ansprech- und zukünftige Verhandlungspartner wie in Sachen (Tobin-) Steuerpolitik. Beides geht daran vorbei, dass diese Funktionäre und ihre Treffen bloße Aushängeschilder der bestehenden Verhältnisse sind. Proteste während ihrer Gipfel bleiben in erster Linie ein symbolischer Ausdruck von "Wir haben die Schnauze voll!" Aber wie können wir als ArbeiterInnen[3] unsere Wut auf das Bestehende über die halbjährlichen Demonstrationen hinaus ausdrücken? Wo verändert die Bewegung nicht nur kurzzeitig das Stadtbild, sondern findet im Kampf gegen den Alltag die Ansätze und den Weg hin zu einer neuen Gesellschaft? Orte Um die Verhältnisse wirklich zu verändern, müssen wir das Kapitalverhältnis angreifen, da wo wir täglich zusammengebracht werden: am Fließband, in Großraumbüros, in Schul- oder Umschulungsklassen... Hier (re)produzieren wir das Kapitalverhältnis täglich neu, hier liegt auch die Möglichkeit der Subversion. Eine andere Welt muss aus den Kämpfen entstehen, die sich aus diesem materiellen Zusammenhang und den täglichen Erfahrungen der Prols entwickeln. Diese Kämpfe finden auf dem Hintergrund aller Widersprüche und Spaltungen wie Rassismus und Sexismus statt. Ihre Sprengkraft bestimmt sich danach, inwieweit sie diese überwinden und zu einer Bewegung werden, in der die Kämpfenden weltweit entlang der Produktionsketten und Migrationswege zusammenkommen. Sicher sind in allen Bereichen der Ausbeutung[4] Kämpfe möglich und wichtig, nicht nur von "LohnarbeiterInnen", sondern auch "Arbeitslosen", SchülerInnen, HausarbeiterInnen... Aber wir sehen zwei Kriterien, nach der wir die Möglichkeit und Macht von Kämpfen abschätzen: * Finden die Ausgebeuteten zusammen, weil es einen gemeinsamen "Ort" gibt, an denen sie sich treffen, kooperieren, kämpfen? Das ist zum Beispiel bei "Arbeitslosen" immer dann schwierig, wenn sie sich nur ab und an auf dem Arbeitsamt einfinden, ansonsten aber nicht zusammenkommen. * Haben die Kämpfe direkte Auswirkungen auf andere Sektoren und ArbeiterInnen, weil sie die Anhäufung von Kapital unterbrechen? Das Problem ergibt sich zum Beispiel bei ArbeiterInnen in der Gastronomie, deren Streik wenig unmittelbare Folgen für die Kapitalschöpfung insgesamt hat. Wobei diese "Schwäche" auch für viele andere Bereiche zutrifft: Universitäten, Putzsektor... und die meisten Call Center. Untersuchung Die Erfahrung und Entwicklung von Macht, die Möglichkeit, die scheinbare Natürlichkeit des ausbeuterischen Verhältnisses aufzubrechen, all das findet seinen Ausgangspunkt in den Kämpfen vor Ort. Wenn wir uns als proletarische Kollektive mitbewegen wollen, müssen wir es dort tun: den Kampf der BahnreinigerInnen unterstützen, Streik-News von McDonald's-ArbeiterInnen verbreiten, die Konflikte auf den Spargelfeldern verstehen, im Viertel zusammen mit anderen versuchen, die Pfändungsmaschine lahm zu legen, in die miesen Buden der New Economy reingehen und mitmischen... So verstehen wir unsere Untersuchung und Intervention in Call Centern in den letzten drei Jahren: als revolutionäres Projekt, das in einem bestimmten Bereich versucht, die Gesamtheit des kapitalistischen Verhältnisses zu verstehen und zu kritisieren. Untersuchung ist einerseits die Form, wie wir uns selbst organisieren: gemeinsame Diskussion, Arbeitengehen, Interviews, theoretische Auseinandersetzung... Andererseits ist sie unser Verhältnis zur Klassenrealität: Erfahrung der täglichen Ausbeutung, Versuche, ihr zu entgehen, Intervention, gemeinsame Kämpfe... Untersuchung bedeutet, den Zusammenhang zwischen der täglichen Kooperation der ArbeiterInnen und ihren Kampfformen zu verstehen und die Tendenzen einer neuen (kommunistischen) Gesellschaftlichkeit darin zu finden. Dabei müssen wir die Wirklichkeit in ihrer Widersprüchlichkeit analysieren. Wir haben nichts von einer Glorifizierung von Streiks oder Sabotage, von einer Beschwörung der "Einheit der Arbeiterklasse". Unsere Aufgabe muss sein, die Möglichkeiten und Stärken eines Kampfes an Beispielen deutlich zu machen, aber auch die Grenzen und Schwächen aufzuzeigen, die Gegenmaßnahmen der Bosse, das Unterlaufen durch den Betriebsrat, die Engstirnigkeit der "Berufsstolzen", den Rassismus. Und wir müssen rausstreichen, wie die Konflikte und Kämpfe auf dem Hintergrund der Klassenverhältnisse stattfinden, und wo die Ansätze zu deren Abschaffung und einer Perspektive von Befreiung liegen. Diese Kritik und die konkreten Erfahrungen können dann in die nächsten Auseinandersetzungen einfließen. Wir als Kollektiv haben an einem Punkt damit angefangen. Aber nur innerhalb einer Bewegung, wenn die Kämpfenden selbst ihre Bedingungen und Verbindungen analysieren, wird aus der Untersuchung eine gemeinsame Suche nach einer neuen Welt... ******************************************************** 3. Auswertung: Drei Jahre in Call Centern Diesen Teil haben wir folgendermaßen gegliedert: 1 [Konkrete Ziele der Untersuchung] 2 [Was haben wir getan?] 3 [Wie sehen wir das heute: Interviews, Flugblätter...?] 4 [Wie wurde der Vorschlag in der Linken aufgenommen?] 5 [Was hat uns bewegt, was würden wir heute anders machen?] 3.1 Konkrete Ziele der Untersuchung Als wir im Herbst 1999 in Oberhausen zusammenhockten und die ersten Schritte für eine "Untersuchung und Intervention" in Call Centern planten, hatten wir vor allem folgende Hoffnungen: * zu verstehen, was in einem bestimmten Bereich der Ausbeutung abgeht; * innerhalb der Linken andere Leute anzutörnen, sich für die Klassenrealität um uns rum und für ihre eigene Situation als Prols zu interessieren; * uns selbst weiterzubringen, theoretisch und praktisch neu zu organisieren. Aber mal eins nach dem anderen... Die Klassenrealität Wir fanden uns selbst in der Situation, dass wir zwar ab und zu Streikberichte aus Frankreich oder wissenschaftliche Studien über Umstrukturierungen in der Automobilindustrie in die Finger bekamen, aber wenig darüber wussten, wie ArbeiterInnen in unserer Region auf die Veränderungen der Ausbeutung reagieren. Die Entscheidung, sich auf einen Bereich - Call Center - zu konzentrieren, sollte es uns angesichts beschränkter Kräfte ermöglichen, die Situation dort genauer zu kapieren. Wir wollten unsere vorherigen Diskussionen über die Ausbeutungsorganisation mit anderen ArbeiterInnen fortsetzen dadurch weiter kommen. Und nicht zuletzt setzten wir darauf, durch die Kontakte auf Arbeit oder durch die Flugblätter auch eine Menge fitter Leute kennen zu lernen, als ersten Schritt zu neuen proletarischen Runden. Die Linke Wir wollten über unsere Kritik an vielen Linken, dass sie bauchnabel- und nicht klassenrealitätsinteressiert seien, hinauskommen. Wir hatten den Eindruck, dass unsere bisherigen Versuche (zum Beispiel das Subversion des Alltags-Papier von Ende 1999)[5] folgenlos blieben, weil wir zwar kritisierten, aber nichts Konkretes vorzuschlagen hatten. Da wir wussten, dass auch viele Linke in Call Centern arbeiteten, hatten wir die Hoffnung, an diesem Punkt die "politische Bewegung" und den Kampf gegen die eigene Ausbeutung näher zusammenbringen zu können. Wir wollten die halbpersönlichen und zufälligen Diskussionen mit anderen Gruppen und Einzelpersonen der "revolutionären Klassenlinken" auf etwas Gemeinsames konzentrieren. Der Vorschlag zur gemeinsamen Untersuchung sollte die internationale Diskussion über momentane Aufgaben von RevolutionärInnen kicken und uns dabei mit neuen souligen GenossInnen zusammenbringen. Wir selbst hatten die Vorstellung, dass die "Untersuchung" auch für uns ein "Befreiungsschlag" ist. Wir wollten uns nach Monaten zäher kleingruppiger Grundsatzdiskussionen rund um das Subversion des Alltags-Papier wieder Realität um die Nase wehen lassen. Nicht nur lesen und schreiben, sondern auch sehen, hören, fühlen, kreativ werkeln, trouble machen und dabei die bestehenden Erfahrungsunterschiede zwischen uns aufheben. Außerdem war den meisten von uns "ArbeiterInnenuntersuchung" bis dato zwar durch Überlieferungen älterer GenossInnen und der italienischen Mythologie[6] bekannt, aber wir wollten es jetzt auch selbst ausprobieren. Einige hatten zwar Erfahrungen auf Baustellen, in Restaurants und Fabriken eingesteckt und Flugblätter ausgeteilt, aber manche dieser Aktionen waren Einzeltaten und wenige Resultat gemeinsamer Diskussionen. Wir hofften also, uns durch die kollektive Untersuchung auch selbst weiterzubringen: in der theoretischen Debatte, in der Auseinandersetzung mit den Schergen der Ausbeutung, im Organisieren und Sortieren von Infos, im Hin und Her von Arbeitsalltag und gemeinsamer Planung der proletarischen Intervention. Warum Call Center? Wir hatten im Sommer 1999 noch andere konkrete Gründe, mit einer Untersuchung von Call Centern anzufangen: * Bei der Citibank hatte es Ende 1998 einen Streik gegeben. Wir fragten uns, ob dieser Zeichen für das Entstehen einer neuen Militanz in diesem Bereich sein könnte. * In unser Region, dem Ruhrgebiet, wurde ein Call Center nach dem anderen eröffnet. Die Zahl der Call Center-ArbeiterInnen ging schnell in die Tausende. Immer mehr junge Leute, auch aus unserem Freundeskreis, gingen dort hin zum Arbeiten. * Die meisten Jobs in Call Centern waren für Ungelernte. Uns eröffnete das die Chance, da eingestellt zu werden. Aber wir sahen darin auch eine Chance, jenseits von Berufsstolz und dem Mythos des "besseren Angestellten", Konflikte und Kämpfe zu finden. * Spannend fanden wir, dass hier neue Konzentrationen von ArbeiterInnen entstanden, mit hundert, zweihundert und vereinzelt mehr als fünfhundert ArbeiterInnen in einem Betrieb, die meisten mit gleichen Arbeitsbedingungen. Wir wollten rausfinden, ob das neue Kämpfe erleichtert. * Unternehmer, Politiker und auch viele Gewerkschaftsfunktionäre waren sich einig: Hier entsteht die "schöne, neue Arbeitswelt". Wir hatten von den sauberen Jobs gehört und wollten den Test machen. * Call Center entstanden nicht nur im Ruhrgebiet. Wir hörten von solchen in Dublin, Amsterdam, Paris, Dallas... Damit hatten ArbeiterInnen in verschiedenen Regionen ähnliche Bedingungen, sodass sich leichter Verbindungen herstellen und Erfahrungen austauschen ließen. Wenn die Callcenterisierung eine weltweite Tendenz ist, sagten wir uns, können wir das auch anderen GenossInnen als gemeinsames Untersuchungsprojekt vorschlagen. 3.2 Was haben wir getan? Es gab verschiedene Ebenen der Untersuchung. Die erste Ebene könnten wir "Voruntersuchung" nennen. Diese bestand aus: * Sammeln von Material zu Call Centern: universitäre Studien zur Ansiedlung von Call Centern in bestimmten Regionen, Zeitungsausschnitte, Material von Management und Gewerkschaft... * Theoretische Diskussionen, zum Beispiel über Arbeitsorganisation, Maschinerie und Kapitalbewegung (Zirkulation). Das haben wir auch als Selbstschulung verstanden, in der wir gemeinsam die Zusammenhänge besser erkennen lernten. * Vergleichen (und Weiterentwickeln) der "theoretischen Erkenntnisse" mit unseren Alltagserfahrungen im Call Center. Wir hatten entschieden, dass wir in unterschiedlichen Call Centern arbeiten gehen wollten (diverse Sektoren, im Inbound und Outbound), um unterschiedliche Bedingungen zu erfahren, aber auch mit der Hoffnung, so eher auf versteckte Konflikte zu stoßen. Die Entscheidung, "alleine" in einen Betrieb zu gehen, wurde im Verlauf der Untersuchung kontrovers diskutiert.[7] * Interviews mit uns selbst und anderen Call Center-ArbeiterInnen. Diese Interviews sollten uns einerseits helfen, ein genaueres Bild von Call Centern zu bekommen. Andererseits hofften wir, dass sie den Anfang von einer gemeinsamen Diskussion über den Ausbeutungsalltag und Kampfmöglichkeiten bilden könnten. * Rumschicken eines Vorschlags an andere RevolutionärInnen, sich in ihren Regionen an der Untersuchung zu beteiligen. Der Vorschlag wanderte dank elektronischer Wege mehr oder weniger rund um die Welt der revolutionären/klassenbezogenen Gruppen. Mit solchen in Italien und England entstand ein intensiverer Austausch.[8] Diese Voruntersuchung dauerte etwa ein Jahr. Beim Eintritt in die zweite Ebene ab Herbst 2000 wurde es dann heißer. Wir brachten die Flugblätter raus und installierten eine Website, auf der Flugblätter und Infos zu Konflikten in Call Centern und anderswo verbreitet werden konnten.[9] Zu den Flugblättern lässt sich sagen, dass wir schon früh entschieden hatten, gleich eine ganze Flugblattserie zu machen. Diese sollte aus vier Folgen bestehen (flexible Arbeitszeitverlängerung, Intensivierung der Arbeit, Un-Sinn der Arbeit und Kämpfe in Call Centern). Auch diese Entscheidung sehen wir im Nachhinein kritischer.[10] Zusätzlich haben wir Extra-Nummern zu konkreten Konflikten in einzelnen Call Centern rausgebracht: geplante Betriebsratswahlen, Standardformulierungen, vierzig Stunden unbezahlte Probezeit. Verteilt wurden die Flugblätter vor und in Call Centern der Region. In anderen Städten gaben GenossInnen sie weiter. Mit Flugblätter und Website wollten wir einen Ort des Austauschs von militanten ArbeiterInnen in verschiedenen Betrieben schaffen. Zudem ging es uns darum, unsere eigene Position in die alltäglichen Pausenraum-Diskussion zu werfen, um zu sehen, wie ArbeiterInnen und Unternehmensleitungen darauf reagieren. Momentan schweben wir hauptsächlich in der dritten Ebene der politischen Auswertung. Wir wollen unsere Erfahrungen mit anderen GenossInnen teilen und lernen... 3.3 Wie sehen wir das heute? Im Folgenden wollen wir die einzelnen "Bestandteile" der Untersuchung Revue passieren lassen. Interviews Wir wurden gefragt, ob der Fragebogen und die Interviews was gebracht haben. Wir hatten zu Anfang die Vorstellung, dass aus gegenseitigen Interviews eine politische Diskussion mit anderen ArbeiterInnen entstehen könnte, in der die alltägliche Arbeitsorganisation hinterfragt wird. Da wir insgesamt außer mit uns selbst nur mit zwei Handvoll anderer Leute den Fragebogen durchgegangen sind, lässt sich die Frage schwer beantworten.[11] Von diesen "Anderen" hatten wir nur wenige bei der Arbeit, die meisten über politische Kontakte kennen gelernt. Während der Interviews kam es schon zu Diskussionen, aber es waren einfach zu viele Fragen. Insgesamt hat der Fragebogen kein "repräsentatives" Ergebnis gebracht. Wir wissen auch nicht, ob er unabhängig von konkreten Interviews dazu beigetragen hat, anderen GenossInnen in Call Centern das Bewusstsein und die Pupillen zu erweitern. Wir haben nur wenige Fragebögen, die wir rumgeschickt hatten, beantwortet zurück bekommen, unter anderem aus einem schottischen und einem holländischen Call Center. Uns hat der Fragebogen in erster Linie dabei geholfen, unsere eigenen, oft sehr unterschiedlichen Arbeitserfahrungen zu strukturieren. Wir haben Zusammenfassungen der Interviews gemacht - zum Beispiel zu Maschinerie, Kooperation und Verhältnis zur Arbeit - die dann in unsere theoretische Diskussion einflossen. Im späteren Verlauf der Untersuchung haben wir den Fragebogen nicht mehr benutzt und hatten das Problem, dass die einzelnen "Betriebsberichte" beliebig wurden. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir drei unterschiedliche Fragebögen für unterschiedliche Situationen brauchen:[12] * Einen langen und genauen Fragebogen, wie wir ihn schon gemacht haben, für Interviews, in denen es um Fakten und Zusammenhänge geht (Arbeitsorganisation, Maschinerie, Hierarchie, ArbeiterInnenverhalten...). Es reicht, wenn wir das am Anfang einer Untersuchung mit drei oder vier ArbeiterInnen durchgehen. Schwerpunkt: Fakten, Überblick. * Eine kürzeren Fragebogen für Interviews oder Gespräche auf Arbeit, um uns selbst und allen beteiligten ArbeiterInnen zum Beispiel die Kooperation mit ArbeiterInnen verschiedener Abteilungen vor Augen zu führen. Hier geht es auch um Selbstreflektion und Selbstuntersuchung: Wie bewegen wir uns in alltäglichen Situationen im Betrieb? Auf was für Konflikte stoßen wir dort und wie stehen wir dazu? Dieser Fragebogen muss so angelegt sein, dass andere ArbeiterInnen ihn auch selbst beantworten oder in Diskussionen einsetzen können. Schwerpunkt: Diskussion, Agitation. * Einen weiteren kürzeren Fragebogen für Interviews mit AktivistInnen oder sonstigen Bekannten zu dem, was in "deren" Läden gerade abgeht. Dabei geht es vor allem um den Austausch von Kampferfahrungen, die wir auch weiter diskutieren und verbreiten können. Schwerpunkt: Reflektion, Austausch. Dieser Fragebogen kann auch für selbst geschriebene Berichte eingesetzt werden. Website Wir haben auf der Website viele Texte und Berichte von uns und anderen veröffentlicht, die ansonsten wahrscheinlich in Ordnern oder auf Festplatten verstaubt wären. Das Berichteschreiben hat uns einiges gebracht: rausfinden, auf was es ankommt, wie mensch das literarisch umsetzen kann. Leider lässt sich schwerer als zum Beispiel bei Flugblättern einschätzen, ob diese Berichte - zu Streiks in Italien oder über das Leiden junger Datentypisten - auch gelesen und diskutiert werden. Konkret haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Website nicht wie geplant zu einem Forum geworden ist, an dem andere ArbeiterInnen teilnehmen, indem sie ihre Erfahrungen einbringen. Berichte wurden nur vereinzelt eingesandt. Es ist die Frage, ob hier ein elektronisches Medium überhaupt weiter hilft. Daneben hat die Website aber als Referenzpunkt funktioniert. GenossInnen wie ArbeiterInnen konnten jederzeit Flugblätter, Berichte und Übersetzungen lesen und runterladen. Das hat die Kommunikation erleichtert, weil wir nicht auf Verschicken von Texten angewiesen waren. Zudem konnten wir zum Beispiel das hotlines-Flugblatt aus Brighton/England und Material aus Italien dokumentieren. Sicher ist, dass Kontakte über die Website zustande kamen, die sich schwerlich über andere Medien ergeben hätten. Eine wichtige Kritik war, dass die Berichte auf der Website zu kurz und die behandelten Punkte beliebig waren. Sie taugen wenig für Vergleiche oder gemeinsame Lernprozesse. Sinnvoll ist da eine Frageliste, nach der die Berichte geschrieben werden. In Zukunft steht das Problem auf der Matte, wie wir zu einer "globaleren" Website kommen können, welche die Situationen in mehr Bereichen der Ausbeutung aufgreift und Infos zu Kämpfen liefert. Infos, die aber nicht den bürgerlichen Medien entnommen sind, sondern von revolutionären Initiativen vor Ort kommen. Aber das ist schon wieder eine ganz andere Frage...[13] Flugblätter Wir hatten zu Anfang Auseinandersetzungen darüber, ob wir überhaupt allgemeine Flugblätter schreiben sollten, das heißt Flugblätter, die sich nicht auf konkrete Diskussionen oder Konflikte in einem speziellen Betrieb beziehen, sondern auch allgemein was zu Ausbeutung sagen. Für die konkreten Flugblätter (die wir dann ja auch gemacht haben) sprach die Hoffnung, dass sie intensivere Diskussionen und vielleicht sogar Reaktionen auslösen, in die wir uns direkter einmischen könnten. Für die allgemeinen Flugblätter[14] sprach, dass wir selbst mehr Raum hätten, die ganze Bandbreite der Ausbeutung darzustellen: von den Versuchen, die Arbeit zu intensivieren, über den Widerspruch zwischen Qualität und Quantität bis zu der Frage der gewerkschaftlichen Vertretung. Zudem wollten wir die Flugblätter nicht nur vor "unseren" Call Centern, sondern in der ganzen Region und darüber hinaus verteilen. Die letztendliche Entscheidung, eine Flugblattserie zu verschiedenen "Themen" zu machen, war auch durch die Einschätzung beeinflusst, dass die momentanen Konflikte in Call Centern nicht allzu offen und zahlreich auftreten. Die Serie hat uns aber - im Nachhinein betrachtet - einige Probleme gebracht: Wir haben versucht, zwischen allgemeiner politischer Analyse und konkreter Situation eine Brücke zu schlagen, indem wir zu den einzelnen "Themen" konkrete Berichte aus Call Centern hinzufügten. Dabei sind wir zwischen den Ebenen hängen geblieben. Wir hätten statt dessen einerseits "politischere" Flugblätter schreiben können, mit Bezug auf die allgemeine Lage (Krieg, Krise, Umbau der Ausbeutung, Rolle der Gewerkschaften). Andererseits wäre es möglich gewesen, uns speziell auf einen Betrieb zu stürzen, um die Veränderungen der Ausbeutung, wie der gesamten Betriebsorganisation, genauer zu analysieren und zu kritisieren. Allerdings hätte es dann ebenso einen Balanceakt gegeben: Einerseits in der "Weltsicht" nicht den Bezug zur konkreten Situation der ArbeiterInnen verlieren, andererseits nicht im Betriebssumpf versacken... Es ist schwer einzuschätzen, ob wir wirklich brauchbare "Kampfinformationen" mit den Flugblätter liefern konnten, was unser eigentlicher Anspruch war. Wir haben in den ersten drei Flugblättern der Serie in erster Linie über die unterschiedlichen Bedingungen schreiben können, plus allgemeine Infos, zum Beispiel in welchen Städten es andere Call Center des Unternehmens gibt. Im letzten Flugblatt gab es zwar ein paar Schlüsse aus Kämpfen in Call Centern, wie zur Rolle der Vertretungsorgane, Schwierigkeiten mit Unterschriftenlisten und das Problem des Ausweichens auf nicht-bestreikte Call Center. Aber es gab kaum Konflikte, in denen diese Schlüsse auf die Probe gestellt worden wären. Reaktionen Wir stellten fest, dass die Flugblätter zu Konflikten in einem speziellen Call Center die heftigeren Reaktionen provozierten, sowohl vonseiten der ArbeiterInnen, als auch vom Management. Beim Verteilen eines Flugblatts zu erzwungenen "Standardformulierungen" bei Quelle hat sich dass zum Beispiel so geäußert: Ich war allein und abends vor der Quelle. Die ersten zwei waren erst desinteressiert, aber als sie hörten, dass es um die Standardformulierungen geht, waren sie erstaunt und haben ein Flugblatt genommen. Kurz danach kam eine große Teamleiterin und eine kleine dicke Betriebsrätin. Die Teamleiterin, welche die Teile schon in der Hand hielt, erklärte mir, dass wir zu wildem Streik aufrufen würden, das nicht rechtens sei und die Geschäftsleitung ein paar Schritte unternehmen wird. Sie wollte auch meinen Namen haben. Zwei andere ArbeiterInnen kamen raus, ein älterer Herr fragte, ob er auch eines haben könne und in Richtung Teamleiterin, ob er es auch lesen dürfe. Sie lachte etwas hysterisch und meinte: "Wenn sie mal richtig lachen wollen, Herr Vorname/Nachname. Da beklagt sich wirklich wer, dass er vom Wecker geweckt wird". Der Betriebsrätin war das dann doch etwas zu unsachlich und wandte sich etwas vertrauensvoller an mich: "Die Sache ist doch zum Scheitern verurteilt! Selbst wenn wir hier 300 Leute unter einen Hut kriegen und 15 Minuten die Arbeit niederlegen, dann sind wir weg vom Fenster, rein rechtlich gesehen. Engagiert euch doch in der Gewerkschaft". Ich erzählte ein wenig über die Reallohnverluste und den Arbeitsplatzabbau, den mir meine Gewerkschaft in den letzten Jahren erkämpft hat, was sie auch lächelnd zur Kenntnis nahm. Der Teamleiterin wurde es dann ein wenig zu vertrauensvoll: "Bald sind ja Betriebsratswahlen, da könnte man sich ja auch beteiligen. Ansonsten darf ich wohl davon ausgehen, dass hier weiterverteilt wird?!" Jo. Nach einem Toilettenbesuch "Beim Püppchen" traf ich zurück vor dem Eingang noch auf einen jungen Typ, der mir mit den Worten "Macht weiter!" auf die Schulter klopfte, was angesichts der niedrigen Außentemperaturen eine angenehme Wärme hinterließ. Zusammen mit meinem verspäteten Flugblattverteil-Genossen kam dann noch ein Schwung von ArbeiterInnen. Alle wollten ein Flugblatt haben. Eine erhob direkt theatralisch die Stimme und wir ahnten Fürchterliches. "Könnt ihr es eigentlich verantworten, die Arbeitsplätze von anderen Menschen zu gefährden". Wir wussten, dass wir jetzt mit dieser Unperson vor den anderen ArbeiterInnen zu battlen haben werden und wir hatten schweren Stand, da sie einige Beifallsbekundungen wie "Ich arbeite auch gern hier" etc. bekam. Wir erzählten was von "nicht auf den Knien rumrutschen", "nicht alles für den Arbeitsplatz" und "kein Ausspielen gegeneinander" etc. Die Tuse versuchte dann, mit einer wirklich magensäurepegelhebenden Rhetorik à la "Pass mal auf, Schätzchen" uns einzuschüchtern und wiederholte Folgendes einige Male: "Das Unternehmen kann den Laden jederzeit dicht machen; wir können stolz auch unsere Arbeit sein; wir leisten gute Qualität; nur zehn Prozent des Telefongesprächs sind Standardformulierungen; ich bin auch Anhänger von sozialistisch-kommunistischen Ideen; wenn es deinen Kollegen hier nicht passt, können sie ja woanders anfangen oder sich selbständig machen... Da die anderen ArbeiterInnen recht schnell abhauten und die Tuse so sehr von sich und ihrem Unternehmen überzeugt war, machte es nach einer Zeit einfach keinen Spaß mehr und wir wünschten noch einen schönen Tag... Später stellte sich dann heraus, dass die "Tuse" die Chefin von dem Laden war. Sie schrieb noch eine betriebsinterne Mitteilung an alle ArbeiterInnen, in der sie auf einfallslose Art und Weise vor dem Flugblatt warnte. Ein anderes prominentes Beispiel ist die Reaktion der Firma ISI auf ein hotlines-Flugblatt gegen die Bedingungen dort. Erst schickten sie den VerteilerInnen die Bullen auf den Hals - allerdings erfolglos - dann dem Provider die Justicia. Es war auch das ISI-Flugblatt, dass ArbeiterInnen in die Hände bekamen, bevor sie vom Arbeitsamt zu ISI geschickt wurden. Sie schrieben uns dankbar, dass ihnen das Flugblatt geholfen hatte, den Job nicht zu bekommen. So was freut...[15] Die sonstigen Reaktionen auf die Flugblätter vonseiten der ArbeiterInnen reichten vom Schultergeklopfe bis zu etwas mitleidigen Mienen, vom Weiterkopieren der Flugblätter auf dem betriebseigenen Kopierer bis zum unverhohlenen Desinteresse. Im Betrieb sorgten die Flugblätter meist für Aufregung... für ein oder zwei Tage. Die meisten ArbeiterInnen fanden vor allem die Berichte aus anderen Call Centern gut. Zu den allgemeinen politischen Teilen überwog die Meinung: "Ja und? Das wissen wir doch. Und was sollen wir nun tun?". Das spricht einerseits gegen die Beunruhigung einiger GenossInnen, dass ArbeiterInnen bevormundet oder abgeschreckt werden, wenn mensch seine Analyse der Verhältnisse offen darstellt. Andererseits ist es ernüchternd für all die anderen, die meinen, dass mensch den ArbeiterInnen erst noch alles erklären muss, damit sie "revolutionär werden". Was sich festhalten lässt: Die Flugblätter haben einzelnen Unzufriedenen Zuspruch gegeben und konnten für kurze Zeit Bezugspunkt in der Pausenraumdiskussion sein. So zum Beispiel in der konkreten Diskussion, ob es etwas bringt einen Betriebsrat zu wählen oder nicht... Wir hatten uns zu Beginn der Flugblattaktionen entschlossen, nicht zu allgemeinen Call Center- ArbeiterInnentreffen aufzurufen, aufgrund der Erfahrung, dass in bewegungsarmen Zeiten kaum Bedürfnis danach besteht, sich außerhalb der Arbeit mit "anderen ArbeiterInnen" zu treffen, um über die Arbeit zu diskutieren. Außerdem halten wir es in einer solchen Lage für wichtig, die Diskussionen direkt am Ort der Auseinandersetzung, in diesem Fall im Call Center zu führen, weil die Gefahr besteht, sonst die aktiveren ArbeiterInnen noch aus den konkreten Konflikten rauszuziehen. Zwar hofften wir, dass wir durch die Flugblätter in Kontakt mit Leuten kommen würden, um mit ihnen ihre Situation und mögliche Aktionen zu diskutieren. Aber wir erwarteten, dass sich diese Leute eher "politisch" für unser Treiben interessierten. Die elektronischen Antworten auf die Flugblätter bestätigten diese Einschätzung: Wir bekamen kaum Antworten von "ArbeiterInnen" aus der Region, die über ihre Lage berichteten. Die meisten Reaktionen kamen erstens von Teamleitern und anderen Schergen, die sich über unsere Aufrufe zur Sabotage beschwerten, zweitens von Leuten von der Gewerkschaft, die sich an unseren Interpretationen, zum Beispiel des Citibank-Streiks störten, und drittens von anderen Linken, die in Call Centern arbeiteten. Letztere kamen allerdings kaum aus unserer Region. Uns erreichten mehr Antworten aus Italien, den USA oder Australien als aus Düsseldorf oder Dortmund. Das hatten wir anders erwartet: Mit Blick auf die Situation zum Beispiel in Berlin[16] dachten wir, dass mehr "Linke" in den Call Centern des Ruhrgebiets sitzen würden, die an Rabatz interessiert wären. In Bezug auf den Sinn und Zweck von (Flugblatt-)Interventionen bleiben einige offene Fragen: * In welcher Situation können Flugblätter als Katalysatoren wirken, und in welchen Situationen dienen sie eher der Unternehmensleitung als Konfliktbarometer und ermöglichen es ihr, zu reagieren und Druck rauszunehmen? * Sollen wir überhaupt über die Bedingungen in anderen Orten der Ausbeutung schreiben? Wann trägt es dazu bei, die eigene Lage zu kompensieren ("Woanders ist es noch übler!")? Wann wird deutlich, dass sich nur durch gemeinsame Aktionen was verbessert ("Woanders ist es auch nicht anders!")? * Wann sind Flugblätter angebracht, und wann sind direktere Formen der Kommunikation besser und auch möglich? * Die FreundInnen von der Call Center Offensive in Berlin kritisieren, dass wir uns zu sehr "zurücknehmen" würden: Wir machen keinen Rabatz, wir schlagen keine öffentlichen Treffen oder anderes vor. Vielleicht hätte ein offensiveres Vorgehen polarisieren können, vielleicht wäre es aber auch bei einer spontanen Aktion (mit anschließendem Rausschmiss) geblieben. Maloche Das Verhältnis zu anderen Ausgebeuteten ist kein "taktisches" - wie zwischen Funktionär und revolutionärem Subjekt - noch ist es ein "aufklärerisches". Das Verhältnis zwischen RevolutionärInnen und ArbeiterInnen ist das eines gemeinsamen Prozesses: wo liegt die Möglichkeit von ArbeiterInnenmacht und Selbstbefreiung in der täglichen Praxis der Ausbeutung... [kolinko, Subversion des Alltags, Oktober 1999] Insgesamt haben die Hälfte von uns während der Untersuchung in rund zehn verschiedenen Call Centern gearbeitet, von der Katalogbestellannahme über Abo-Verkauf und Computer-Hotline bis zur Kontenstandansage, in Deutschland und zwei anderen europäischen Ländern. Wir haben angefangen, dort zu arbeiten, bevor wir den Fragebogen entwickelt und die theoretischen Diskussionen geführt haben. Durch die Entscheidung, nicht zusammen in einem Call Center zu arbeiten, konnten wir einerseits unterschiedliche Erfahrungen zusammenbringen. Andererseits beschränkte uns das Alleine-im-Betrieb-Sein im Arbeitsalltag meist auf bloßes Beobachten und Diskutieren. Zwar trafen wir oft auf ziemlichen Unmut und Schimpfkanonaden, aber selten auf Situationen, wo gemeinsame Aktionen gegen den Arbeitsstress möglich waren. Wir haben nur wenige Gelegenheiten genutzt, um die Diskussion über unseren Kreis hinaus auszuweiten, zum Beispiel als wir FreundInnen aus einem "unser" Call Center einluden, um über ein Flugblatt und ein Streikinterview zu diskutieren. Andere "Diskussionszusammenhänge" entstanden direkt bei der Arbeit. Eigentlich hatten wir auf gerade diese Treffen gesetzt, um von einer Intervention - Flugblätter vor dem Call Center verteilen... - zu anderen Formen übergehen zu können. Aber dazu später mehr. Insgesamt lässt sich nicht verallgemeinern, dass unsere "Betriebszugehörigkeiten" zu lang oder zu kurz (sie reichten von zwei Monaten bis zu zwei Jahren) oder wir zu zurückhaltend oder zu lautstark waren. Uns war klar, dass wir keine Konflikte lostreten können. Trotzdem gab es auch Frustration darüber, dass zum Beispiel die Flugblätter so wenig Folgen hatten. Wir hatten zu wenig über das konkrete Verhalten von "RevolutionärInnen" im Betrieb diskutiert und verhielten uns dann auch unterschiedlich: Bei der Bank habe ich erstmal geschaut. Nach zwei Wochen gab es eine Diskussion darüber, was wir machen können, damit wir mehr Lohn kriegen. Immerhin hatten die Chefs angefangen, uns mehr Aufgaben zuzuschanzen. In der Diskussion habe ich versucht, die Frage des Lohns nicht auf die Aufgaben zu beziehen, sondern darauf, dass wir besser leben wollen, was mit mehr Lohn einfacher ist. Das lief als Zweier-Diskussion und zum Teil als gemeinsames Gespräch mit allen. In späteren Diskussionen habe ich zum einen versucht, mit den Citibank-Streikenden ihre Erfahrungen zu klären (was war wichtig am Streik, was ist jetzt anders, welche Probleme haben wir hier...). Einigen habe ich erzählt, warum ich da bin. Die Reaktionen waren Zustimmung, dass es wichtig ist, was zu machen; zum Teil Unverständnis, warum in dieser Art... [Duisburg, 2000] Oder so: Mit denen, die schon länger da arbeiten, habe ich diskutiert: Was sie über die Lohnsenkung denken, wie sie damit klar kommen, was sie über die Firma denken... Die Reaktionen war: Scheißladen, mit dem Geld komme ich nicht klar, suche mir was anderes... Bei den Neuen habe versucht rauszukriegen, warum die da arbeiten (die fragen mich das auch...). Für die meisten eine Zwischenlösung, bis sie was Besseres kriegen. Der erste Eindruck von dem Laden ist bei allen negativ: chaotisch, die behandeln die Leute schlecht. Positiv dagegen der Eindruck von den anderen ArbeiterInnen. Es ist leicht, mit denen zu diskutieren. Einige haben schon in anderen Call Centern gearbeitet... Dann gab es gleich eine Story: In meinem Team arbeitet ein Arschloch, von dem viele wissen, das er andere beklaut. Keiner kann ihm was nachweisen, aber der schleicht halt rum und dann sind die Sachen weg. Erst dachte ich, das ist Mobbing, aber diejenigen, die das erzählen, sind keine Idioten. Dann gibt's in meinem Team noch ein Arschloch, der neuen Leuten falsche Infos gibt, angeblich weil er nicht will, dass die "besser" werden als er. Eher so ein Weicheiarmesschweintyp, der keine mehr abkriegt. Einige von uns Neuen haben sich verständigt, dass die beiden a) eins auf die Finger kriegen und b) wir uns untereinander abstimmen und gemeinsam reagieren, falls was passiert. [Köln, 2001] Einige von uns waren offener, haben relativ schnell mit anderen ArbeiterInnen über unsere Versuche diskutiert, die Flugblätter weitergereicht... Andere haben sich eher zurückgehalten, wollten keine krasse Konfrontation, keinen schnellen Rausschmiss riskieren. Dieses unterschiedliche Verhalten hing zum einen davon ab, ob sich andere korrekte ArbeiterInnen finden ließen, mit denen wir offen umgehen konnten. Zum anderen spielte aber auch unsere unterschiedliche Mentalität eine Rolle, ob wir uns gerne mit den Teamleitern anlegen und Zoff machen, ob wir eher auf die stille Tour Kontakte zu anderen ArbeiterInnen aufbauen wollten... Wir haben nicht viele rebellische Leute gefunden - oder sie uns. Sonst hätten wir offensivere Maßnahmen ergreifen können. Wir hatten zum Beispiel eine Besetzungsaktion geplant, um nicht nur lahm vor dem Call Center zu stehen und Flugblätter zu verteilen, sondern den Arbeitsalltag wirklich durcheinander zu bringen. Leider waren wir dann aber zu wenig Leute, um die Aktion durchzuziehen. Aber auch hier hätte die Gefahr bestanden, die Passivität der ArbeiterInnen durch eigene Aktivität wettmachen zu wollen. Abschließend lässt sich festhalten, dass die Abwesenheit von offenen Kämpfen unseren eigenen Bewegungsspielraum beschränkte. So blieben wir in der Trennung von Flugblätter vor dem Tore- Verteilen und Mitdiskutieren auf Arbeit hängen. Wenn sich in Kämpfen keine neuen Fragen stellen, ist unsere Position eine - wenn auch radikalere - Meinung neben anderen. Wir haben uns gefragt, was Flugblätter oder andere Formen der Intervention überhaupt bringen, wenn sie nicht auf eine Selbstaktivität der ArbeiterInnen Bezug nehmen können. Wir glauben nicht, dass Interventionen in der Flaute zwangsläufig zu avantgardistischen oder gewerkschaftlichen Aktionen verkommen, aber sie werden äußerlich bleiben. Das mag auch der Grund sein, warum die Untersuchung in unseren Händen blieb und keine ArbeiterInnen-Selbstuntersuchung wurde, in der wir mit anderen ArbeiterInnen über den politischen Inhalt des Arbeitsalltags diskutieren, um gemeinsame Strategien für den Kampf zu entwickeln. 3.4 Wie wurde der Vorschlag in der Linken aufgenommen Vielen Reaktionen nach zu urteilen - Reaktionen von Linken und anderen, die in Call Centern arbeiten - ist es momentan schwer zu vermitteln, wie Interventionen in der Ausbeutung und eine Perspektive gesellschaftlicher Veränderung zusammenhängen. Wir konnten nicht rüberbringen, dass wir Untersuchung weder als gewerkschaftliche Ergänzung zu den sonstigen politischen Aktivitäten vorschlagen, noch als Betriebsarbeit begreifen, sondern als eigenständige Methode sehen, sich am Montageband, unterm Headset oder in der Ämterschlange gegen die Klassengesellschaft zu organisieren. Eine Methode, in der sich die Trennungen zwischen politischem und ökonomischem Kampf und Aktivist und Proletarierin aufheben.[17] Das führte dazu, dass wir zwischen den Welten hingen: Auf der einen Seite verteilten wir unsere Flugblätter zur Ausbeutung vor und in Call Centern, in denen wenig über unsere sonstige Sicht auf die Welt (Krise, Krieg, politische Bewegungen) steht. Auf der anderen Seite diskutierten wir politisch mit der Linken über Anti-Globalisierung und Konsorten und versuchten zu vermitteln, wie unsere Interventionen in den Betrieben mit unserer Kritik an der Bewegung zusammenhängt. Gründe dafür liegen auf verschiedenen Ebenen. Zuallererst an der momentan realen Trennung von ArbeiterInnenkämpfen und politischer Bewegung. Da es in unser Region wenig Kämpfe gibt, können sich weite Teile der Linken in Selbstgenügsamkeit zurückziehen oder weiter Bewegung spielen und in ihrem politischen Sandkasten buddeln. An dieser Situation lässt sich wenig ändern. Wichtiger ist rauszufinden, wo wir selbst durch die Trennung von politischen Untersuchungsvorschlägen und Flugblättern "für die ArbeiterInnen" solche Etiketten wie "politisch" oder "gewerkschaftlich" reproduzierten. Wir haben durch und während der Untersuchung Diskussionen mit unterschiedlichen Gruppen der "Linken" gehabt. Diese Diskussionen lassen sich recht schematisch wie folgt unterteilen: * Diskussionen mit anderen Gruppen, die einen ähnlichen Bezug zur Klassenrealität haben wie wir selbst. Hier ergab sich durch die Untersuchung ein regelmäßiger Austausch mit Gruppen in verschiedenen Regionen. Leute schickten uns Material aus Frankreich, Spanien, den USA... Der Untersuchungsvorschlag und die Flugblätter wurden auch übersetzt und weiterverbreitet. Durch die Untersuchung hat sich auch eine intensivere Zusammenarbeit mit Gruppen in England und Italien ergeben, mit denen wir sowohl über den Ansatz der Untersuchung, über Arbeitsalltag in Call Centern, als auch über die konkreten Flugblätter diskutieren. * Diskussionen mit linken Initiativen (StudentInnen-Gruppen, Diskussionszirkel, LinksgewerkschafterInnen), die sich in erster Linie für das "Thema Lohnarbeit" interessierten. Für Veranstaltungen wurden wir als "Experten" für Call Center als moderner Form der Ausbeutung eingeladen. Das Interessante bei den Veranstaltungen war, dass unterschiedliche Leute zusammenkamen: Call Center-ArbeiterInnen,[18] Linke, die im Call Center jobbten und wissen wollten, was daran jetzt politisch wichtig sein soll, und solche, die sich für uns als "politische Initiative" interessierten. Auch hier hatten wir Schwierigkeiten, den politischen Ansatz der Untersuchung rüberzubringen: Untersuchung und Intervention nicht als ein Teilbereich neben vielen anderen "linken Themen", sondern als umfassender Ansatz, sich innerhalb der Klassenrealität zu organisieren. Unsere Entscheidung, uns auf einen bestimmten Sektor zu konzentrieren, hat es uns dabei nicht einfacher gemacht. Oft wurde es so missverstanden, dass wir uns für Call Center interessierten, weil dort die Ausbeutung besonderes übel sei, oder eben weil es irgendwie modern ist. Besonders deutlich wurde dieses Verhältnis vieler Linken zur Ausbeutung beim Zensurversuch gegen "ISI- Kampagne".[19] Etliche linke Gruppen und Medien griffen diesen Fall auf. Aber für sie stand meist nicht die Frage im Vordergrund, wie mensch sich direkt gegen die kapitalistische Drangsalierung in einem solchen Laden wehren kann, sondern die "besonders miesen" Bedingungen und der Zensurversuch von ISI gegen einen Internetprovider. Insgesamt denken wir, dass die Untersuchung und die Flugblätter etliche Leute inspiriert haben. Von vielen Seiten bekamen wir zu hören, dass unser Ansatz "korrekt" sei, weil wir nicht nur über das "Thema Arbeit" reden, sondern konkret was machen, und weil wir weder auf bestehende Vertretungsorgane setzen, noch neue aufbauen wollen. Aber die mangelnden Kämpfe vonseiten der Klasse bringen auch in Bezug auf die Linke die gleichen Probleme mit sich, wie wir sie auf Arbeit hatten: Wenn es keine Selbstaktivität der Ausgebeuteten gibt, scheinen die klassischen linken oder gewerkschaftlichen Organisationsformen die einzig praktikable Möglichkeit, was zu tun oder zu verbessern. Zum Beispiel werden viele so lange zu den "Events hoppen", wie nichts Aufregenderes in unserer Umgebung passiert, oder so lange zum Vertrauensmann rennen, bis sie Vertrauen in ihre eigene Stärke gefunden haben. Was hätten wir an diesem Punkt trotzdem anders machen können? Erstens einige Sachen deutlicher machen: * die Kritik daran, wie sich die Linke - die Anti-Globalisierungsmobilisierung, die Interessengruppen, die Parteien - auf die Klassenrealität bezieht oder nicht bezieht; * dass wir keine andere "politische Organisation" wollen; * dass wir nicht bei einer bloßen Kritik stehen bleiben, sondern einen Austausch von Initiativen vorschlagen, die sich an verschiedenen Orten innerhalb dieser Klassenrealität bewegen und dabei auch ihre eigene Situation als Proletarisierte in den Mittelpunkt stellen. Eher im Stil "direct action auch in deinem Call Center". Wir haben das an verschiedenen Stellen gesagt, aber nicht auf einen zentralen Punkt gebracht. Zweitens hätten wir uns energischer in die Debatte zur New Economy einmischen können, um den hype vieler Linken um Linux und andere "open source"-Software sowie den Firlefanz um "immaterielle Arbeit"[20] auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. 3.5 Was hat uns bewegt, was würden wir heute anders machen Erstmal zu dem, was uns gepusht hat. Es gab eine Bewusstseinserweiterung, vor allem die Erfahrung, dass wir den theoretischen Diskussionen was Praktisches folgen lassen und Theorie, Erfahrungen bei der Arbeit und politisches Handeln zusammenkommen können. Es hat Bock gemacht, die Flugblätter zu verteilen und zu sehen, dass sie für etwas trouble sorgen, sich die kleinen Chefs darüber aufregen. Die Untersuchung hat uns auch mehr Verbindungspunkte zu anderen GenossInnen gegeben, die Diskussionen und der Austausch mit Leuten aus verschiedensten Regionen wurde intensiver, das Gefühl der Isolation schwächer. Es gab aber auch Sachen, die anstrengend bis nervig waren: Die lange Voruntersuchung hat uns viel Puste gekostet, die uns nachher fehlte. Wir fragen uns, ob wir die Flugblätter nicht auch nach zwei Monaten Lesen, Diskutieren und Arbeitserfahrung hätten schreiben können. Die Entscheidung, eine Serie zu machen, hat uns unter Druck gesetzt, unsere Spontaneität unterdrückt. Die Diskussionen über die Flugblätter wurden zuweilen haarspalterisch, und indem wir jedes Wort dreimal umdrehten, verloren die Flugblätter an Esprit. Auch haben wir die Rolle des geschriebenen Wortes nicht so in Frage stellen können, wie erhofft: Wir hatten gedacht, dass wir auch andere Formen des kreativen Ausdrucks - Plakate, Happenings... - fänden, welche zudem die gruppeninternen Hierarchien von Viel- und WenigschreiberInnen zerrütteln könnten. Dabei spielte auch eine Rolle, dass wir uns unter Zeitdruck gesetzt haben. Das sind mehr oder weniger strategische Fehler. An manchen Punkten schien uns, als gingen miese vibes ab, die in fast jeder politischen Gruppe zu finden sind und die daher mit dem Wesen von Gruppen zusammenhängen müssen. Wir können erstmal nicht mehr, als dies beschreiben: Einige hatten ein Gefühl von Außendruck. Jedes geschriebene und veröffentlichte Wort sollte hieb- und stichfest sein...[21] Das führte dazu, dass wir unsere Texte mehr oder weniger den gängigen Forme(l)n anpassten, aber auch, dass die politischen Texte als das Zentrale und Wichtigste der Gruppe erschienen. So veränderte das Produkt auch den Prozess: Die Diskussionen wurden zuweilen kleinlich und die Schreiber, die diese "politischen Forme(l)n" beherrschen, auch. Wir wissen selbst nicht genau, wie so ein Außendruck entsteht, denken aber, dass sich in der momentan lauen Lage des Klassenkampfs RevolutionärInnen zwangsläufig in kleinen Gruppen zusammenfinden, die sich dann tendenziell zu viel mit sich selbst beschäftigen. Die politische Äußerung in dem linken Mikrokosmos wird wichtiger als die Auseinandersetzung mit den konkreten Erfahrungen. Aber wir wollen auch nicht warten, bis wir mit der Klassenbewegung verschmelzen können. Gibt es also Formen, die über die Gruppen hinausgehen? Unser Verlangen nach größeren, offeneren Treffen wächst. Wir sollten versuchen, aus den Zirkeln kein Zuhause zu machen...[22] Bei unseren nächsten Versuchen werden wir einige Sachen anders machen. Hier sind Fragen, die wir dazu diskutieren: * Wie lässt sich die Trennung von erst Voruntersuchung und dann Intervention aufweichen, um dadurch die Durststrecke von Materialsammeln und Analysieren zu sparen und gleich in spannendere Auseinandersetzungen zu kommen? * Wie lässt sich ein Vorschlag zur Untersuchung schreiben, eine kürzere, zündendere Version, die neben den eingefleischten MarxistInnen auch andere anspricht? * Sollen wir uns nur auf einen Bereich stürzen, oder verstellt das den Blick auf andere interessante Ausbeutungssituationen in der Region? * Sollen wir uns auf zwei oder drei Orte, Betriebe, Call Center konzentrieren und dazu konkretere Flugblätter schreiben? * Wie schaffen wir es, weg von der Fixierung auf "Texte-Produktion", andere Kommunikationsmittel zu entwickeln und einzusetzen? * Sollen wir zu mehreren in einen Betrieb gehen, um den Alltag genauer diskutieren zu können und dort mehr Rückendeckung zu haben? * Wie können wir im Betrieb mehr Radau machen, anstatt in erster Linie zu beobachten? * Wir fragen uns, ob es auch angesichts unserer begrenzten Kräfte strategisch richtig ist, sich zwei oder drei Jahre auf einen Bereich zu konzentrieren, in dem klassenkampfmäßig vorher nicht viel passiert ist (und dann andere Konflikte etwas aus dem Blick zu verlieren). Welche Schlüsse wir daraus ziehen, erfahrt ihr im letzten Teil... (damit's hier noch spannend bleibt). ******************************************************** 4. Call Center: In den Strudeln der Zirkulation 1 [Dienstleistungshölle, oder wie?! Was ist ein Call Center?] 2 [Don't believe the hype! Entwicklung der Call Center] 3 [Boom, Boom, Bang! Was macht die Krise?] Es gibt mittlerweile altpapiercontainerweise Material zu Call Centern, ihrer Funktion und Entwicklung. Viel von diesem Material produziert aber die Call Center-Management-Liga selbst, ist von daher geschönt und aktienkursverträglich. Es geht in diesem Teil um einen groben Überblick. 4.1 Dienstleistungshölle, oder wie?! Was ist ein Call Center? Wesen Call Center stellen keinen eigenen Sektor dar. Sie sind bestimmt durch eine besondere Arbeitsorganisation, die in verschiedenen Sektoren angewandt wird. Grob zusammenfassend lässt sich sagen, dass ArbeiterInnen in einem Call Center als humane Schnittstelle zwischen einem Datenspeicher (Kundendateien, Produktinfos, Internet...) und einer Anruferin oder einem Angerufenen funktionieren. Mit dem Datenspeicher sind sie über einen Computer verbunden, mit "dem Kunden" meistens über Telefon, aber auch über Fax und Email. Im sogenannten Inbound[23] - Kunde ruft an - muss die ArbeiterIn den Anrufenden mit den gewünschten Infos aus dem Datenspeicher versorgen (Kontenstand, technische Ratschläge...) oder seine Infos dort eingeben und weiterleiten (Produktbestellung...). Beim Outbound - ArbeiterIn ruft an - werden Infos vom Angerufenen verlangt (Marktumfrage...) oder er/sie mit Infos versorgt, meist um ihm/ihr etwas zu verkaufen. Das Telefonieren und die Arbeit mit dem Computer passieren meist zeitgleich, was durch das Headset (Einheit von Kopfhörer und Mikrofon) ermöglicht wird. Beim Inbound werden Systeme eingesetzt, welche die eingehenden Anrufe automatisch an die verschiedenen ArbeiterInnen weiterleiten. In manchen Call Centern sorgt die Verbindung von Telefongespräch und Datenspeicher dafür, dass die ArbeiterIn bei der Begrüßung automatisch die Kundendaten des Anrufenden auf dem Bildschirm hat. Im Outbound gibt es auch eine Software, die automatisch Kunden anruft und den Anruf einer freien ArbeiterIn zuordnet.[24] Call Center stellen keine neue Dienstleistung her, sondern die Arbeit von VerkäuferInnen, BankarbeiterInnen oder Versicherungsagenten wird anders organisiert. Call Center als neue Arbeitsorganisation ergibt sich aus dem Zusammenspiel: * einer ausgeweiteten Arbeitsteilung; zum Beispiel werden die verschiedenen Aufgaben einer Bankarbeiterin - Ansage des Kontenstands, Wertpapierberatung, Kreditberatung - jetzt auf verschiedene Call Center-ArbeiterInnen verteilt; und * einer neuen Technologie; die zunehmende Standardisierung zum Beispiel der Bankarbeit macht den Einsatz von Computern möglich, die diese Standardisierung weiter beschleunigen; die ausgeweitete Arbeitsteilung und die Vernetzung von Computern und Kommunikationsanlagen schaffen die Grundlage dafür, dass die Arbeit "am Telefon" zu erledigen ist.[25] Einsatz Zum Warmwerden erstmal ein paar Beispiele: Ascend Communications hat ein Call Center in Sophia-Antipolis/Cote d'Azur/Frankreich aufgebaut. Hier werden Kunden aus Europa, dem Mittleren Osten und Afrika betreut. Der Standort wurde gewählt, weil die Bedingungen für die Angestellten dort attraktiver und besser seinen als in Paris oder Brüssel (so ein Firmenvertreter), und weil in der Gegend viele ausländische Arbeitskräfte mit den notwendigen Fremdsprachenkenntnissen wohnen. [Les centres d'appels attisent les convoitises, L'Usine Nouvelle, 23. April 1998] Cegetel hat als Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen in Toulouse/Frankreich ein Call Center aufgebaut, in dem Mitte 1999 bis zu 750 Agents arbeiten sollen. Cegetel hat dort vierzig Millionen Franc investiert und 7,5 Millionen. Franc Subvention von der Stadt und der Region bekommen. [Les centres d'appels attisent les convoitises, L'Usine Nouvelle, 23. April 1998] EasyJet verkauft seine Flugtickets direkt über ein Call Center in Luton/England. Die Umgehung der Reisebüros hat die Kosten um zehn Prozent verringert. Anrufe aus verschiedenen Ländern werden automatisch an die Agents mit den entsprechenden Sprachkenntnissen durchgestellt. Im Moment wird ein "internet-booking system" aufgebaut. Außerdem wird mit Heimarbeit experimentiert, um die Kosten für die Center zu reduzieren. [Clegg, Alicia: Coming in from the cold, Management Today. 1999] Fastphone Telemarketing betreibt seit 1994 ein Call Center in Pasewalk/Mecklenburg- Vorpommern. 95 Prozent der 240 Beschäftigten arbeiten in Teilzeit, in der Regel zwischen 5 und 7,5 Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Die monatliche Arbeitszeit von 110 Stunden schwankt plus/minus 30 Stunden, Ausgleichszeitraum ist ein Jahr. Das Durchschnittsalter beträgt 27 Jahre. Der Brutto-Stundenlohn lag 1994 bei 10 DM, 1998 bei 11,50 DM. Nach einer Betriebsvereinbarung bekommen die ArbeiterInnen pro Anruf fünf Pfennig drauf (circa 80 DM monatlich). [Gewerkschaftliche Praxis, Nr. 1, Februar 1999] Lufthansa hat seine vormals 211 Call Center zu 9 zusammengefasst, um die Produktivität zu steigern. Die Center liegen in unterschiedlichen Zeitzonen, die sich rund um die Uhr bei der Anrufannahme abwechseln (Dublin, Kassel, Melbourne...). So machen die meisten Beschäftigten Tagesschichten, die billiger sind (keine Zulagen) und bei den ArbeiterInnen populärer. In Dublin arbeiten zweihundert ArbeiterInnen in neun europäischen Sprachen. Sie geben unter anderem Fluginformationen und machen Reservationen. Die Call Center sind miteinander verbunden, so dass ein Anruf, für den die notwendige Sprache in Dublin gerade nicht verfügbar ist, automatisch nach Kassel oder in ein Center in den USA gelegt werden kann. [Take-off for Lufthansa's 200-Agent Centre, Business and Finance, October 1998] Volvo hat für die europäischen Kunden der Abteilungen Lkw, Busse und Schiffsmotoren Call Center in Gand/Belgien und Rugby/England. In Gand bedienen siebzig Agents jede Woche um die 20.000 Anrufe von Händlern, Importeuren und Kunden. Ein "breakdown- service" soll garantieren, dass allen Kunden mit technischen Problemen innerhalb von 24 Stunden geholfen wird. Nach einem Anruf wird ein Dossier in Englisch geschrieben und an die lokalen oder regionalen Stützpunkte durchgereicht, welche die Hilfsaktionen einleiten. Dabei werden die Aktivitäten von 1.200 Händlern und 500 Volvo-Stützpunkten koordiniert. Früher wurden alle Probleme innerhalb eines Landes gelöst. Jetzt übernehmen die beiden Call Center mit sechs Sprachgruppen alle Anrufe. [Le paysage des call centers cartographie, Bulletin de la FEB, Juni 1999] Walter TeleMedien Gruppe ist nach eigenen Angaben Deutschlands größter Call Center- Betreiber und hat Call Center unter anderem in Ettlingen, Bremen und Magdeburg (insgesamt zehn Standorte mit 21 Call Centern und zusammen circa 3.000 Beschäftigten). Die Gruppe hat 200 Kunden (darunter Deutsche Bank, Allianz, Beiersdorf, Deutsche Telekom) unter anderem in den Bereichen Versicherungen, Kreditvermittlung, Hotlines (Produktinformationen), Tele-Shopping, E-Commerce. [Berliner Zeitung vom 22.6.1999][26] Wir haben uns die Frage nach der Funktion von Call Centern bei der Anhäufung von Kapital gestellt, um einschätzen zu können, welche Auswirkungen ArbeiterInnenkämpfe haben können. Zum Beispiel ist entscheidend, ob ein Streik über betriebliche Grenzen hinaus andere ArbeiterInnen betrifft, oder ob - abgesehen vom bestreikten Unternehmen - nur "PrivatkundInnen" betroffen sind oder auch andere Produktionsstätten. Innerhalb eines Betriebes ist die Frage, ob andere Abteilungen oder der gesamte Produktionsprozess gestört werden...[27] Die meisten Call Center produzieren eine Dienstleistung für "Privatpersonen". Es folgen Call Center für andere "Dienstleistungsfirmen". Wie viele Firmen Call Center einsetzen, die direkt mit dem Produktionsprozess verbunden sind - zum Beispiel bei der Steuerung von Anlieferung oder Abtransport... - lässt sich schwer abschätzen.[28] Call Center sind hauptsächlich in diesen Bereichen aktiv: Banken und Versicherungen, Informationstechnologie- und Telekommunikationsbranche, Marketing/Vertrieb und Marktforschung.[29] Dabei sind die wichtigsten betrieblichen Funktionen: Informationsquelle (Produkte, Verkaufsorte...), einfache Dienstleistungen (Bestellungen, Überweisungen...), Kundenbetreuung (wie After-Sales-Support, Garantie...), Verkauf, Interviews (Marktforschung...)... Der Anteil von Inbound-Call Centern liegt bei achtzig bis neunzig Prozent.[30] Daneben gibt es zahlreiche Firmen, die sich auf Software oder Innenarchitektur für den Call Center-Einsatz spezialisiert haben, und die üblichen Unternehmensberatungen und Qualifizierungsträger. Betriebsgröße Es ist uns direkt ins Auge gesprungen, dass mit den Call Centern wieder mehr ArbeiterInnen unter einem Dach zusammengebracht werden... in einer Region, in der sonst ausgelagert und betriebsverkleinert wird bis zum Abwinken. Call Center mit zweihundert bis dreihundert ArbeiterInnen, oft viele teilzeitbeschäftigt, sind keine Seltenheit. Technisch gesehen gibt es durchaus die Möglichkeit, ArbeiterInnen einzeln bei sich zu Hause arbeiten zu lassen. Einige Firmen haben auch HeimarbeiterInnen, die über Software- und Kommunikationstechnik kontrolliert werden. Warum aber setzen die Call Center-Betreiber trotz dieser Möglichkeit weiter auf die Konzentration vieler ArbeiterInnen in einem Büroraum und/oder Gebäude? Unter anderem wegen der notwendigen unmittelbaren Kooperation (Zusammenarbeit) der ArbeiterInnen. Aus unseren Erfahrungen können wir sagen, dass in den meisten Call Centern ein direkter Kontakt zu anderen ArbeiterInnen und "Vorgesetzten" notwendig ist, um auf Kundenanfragen oder (technische) Probleme reagieren zu können. In anderen ist eine direkte Kommunikation der ArbeiterInnen wegen der vielen Anrufe, Lärm und Trennwände erschwert, aber die Kontrollmaßnahmen oder Schulungen erfordern die Konzentration in einem Büro.[31] ArbeiterInnen Alter: Viele Call Center-ArbeiterInnen sind jung. Es gibt je nach Branche und Qualifizierung Unterschiede, aber insgesamt sind zwei Drittel aller Call Center-ArbeiterInnen jünger als 35 Jahre.[32] Schulbildung: Das Schulmissbildungsniveau in Call Centern ist hoch: Vierzig Prozent haben Abitur haben und/oder ein abgeschlossenes Studium. Vom Schuldbildungsniveau lässt sich aber nicht darauf schließen, dass diese ArbeiterInnen dann auch "qualifiziertere" Tätigkeiten machen. Eher im Gegenteil: Gerade in den Dienstleister-Call Centern (Marketingforschung) werden mit etwa sechzig Prozent besonders viele StudentInnen eingesetzt.[33] Geschlecht: Über sechzig Prozent aller ArbeiterInnen in Call Centern sind Frauen. In manchen Branchen liegt ihr Anteil bei achtzig bis neunzig Prozent, vor allem Handel, also den eher "unqualifizierten" Jobs.[34] Hierarchie: Es wird viel von "flachen" Hierarchien in Call Centern gefaselt. Meist kommt ein Teamleiter (Vorarbeiter) auf zehn bis fünfzehn TelefonterroristInnen. Neben den Teamleitern gibt es noch Coaches (Ausbilder), drüber stehen Abteilungsleiter und Management.[35] Fluktuation: In der Boom-Phase beklagten die Call Center-Betreiber die hohe Fluktuation. Raten von dreißig bis vierzig Prozent galten und gelten als "normal".[36] Auch das ist ein internationales Phänomen: In Deutschland, Britannien oder Australien wird von ähnlichen Zahlen ausgegangen. Die Höhe der Fluktuation hat zum einen mit der Zusammensetzung zu tun, weil die vielen SchülerInnen und StudentInnen schneller den Job wechseln. Zum anderen spielt das Verhalten der ArbeiterInnen eine Rolle und die Möglichkeit oder Hoffnung, woanders was Besseres zu finden ("Alter, mach die Papiere fertig..."). In Britannien ist die Fluktuation bei den Vollzeitstellen wesentlich höher als bei den Teilzeitarbeitsplätzen. Viele Call Center verloren über die Hälfte der Neueinstellungen innerhalb des ersten Jahres. Im Durchschnitt liegt die Fluktuation bei 23 Prozent im Jahr. Ein ähnlich verheerendes Bild haben die Berater beim Krankenstand ausgemacht. Nahezu jedes dritte Call Center hat einen Krankenstand zwischen sechs und fünfzehn Tagen im Monat. [Frankfurter Allgemeine Zeitung am 7. Februar 2000 zur Hay Management Consultant Studie, 1999] Arbeitszeit Teilzeit/Vollzeit: Der Anteil von Teilzeit-ArbeiterInnen liegt in Call Centern etwa bei fünfzig Prozent und damit relativ hoch. Dabei arbeiten zwanzig Prozent der Männer Teilzeit und achtzig Prozent der Frauen.[37] Der Anteil von Aushilfen - wie geringfügig Beschäftigten - liegt bei etwa zehn Prozent, wobei es sich dabei vor allem um Frauen handelt und der Anteil von Aushilfen in den inhouse-Call Centern geringer, in den externen Call Centern höher ist.[38] Schicht- und Wochenendarbeit: Mit den Call Centern kommt auch der ehemalige "Angestelltenbereich" in den Genuss von Drei-Schicht- und anderen "Maloche-rund-um-die-Uhr"- Modellen. Über achtzig Prozent der Call-Center-ArbeiterInnen machen Schichtarbeit. Fast drei Viertel davon arbeiten zwischen 6 und 22 Uhr.[39] Auch Samstags- und Sonntagsarbeit ist in vielen Call Centern die Regel. Lohn Lohnhöhe: Die Lohnhöhe ist je nach Call Center-Typ unterschiedlich. Bei den Call Center- Dienstleistern wird weniger verdient. Im Ruhrgebiet liegt der Bruttolohn dort bei etwa 1.300 bis 1.400 Euro für einen Vollzeit-Job. Verglichen mit anderen Jobs im "Dienstleistungsbereich" (Restaurant, Putzen...) ist das relativ viel. Der Durchschnittslohn für neueingestellte Call Center- ArbeiterInnen in ganz Deutschland liegt brutto bei etwas über 1.500 Euro.[40] Lohnkosten: Die Lohnkosten machen einen vergleichsweise hohen Anteil an den Gesamtkosten aus. Er liegt bei 60 bis 85 Prozent (in einer Autofabrik bei drei bis fünf Prozent).[41] Stress Viele ArbeiterInnen klagen über körperliche Folgen des Arbeitsstresses: Tinnitus, Augenbeschwerden, Kopf- und Nackenbeschwerden, Überlastung der Stimmbänder, Schlafstörungen, Gereiztheit. Als Grund für den Stress geben sie neben dem hohen Anrufaufkommen, langen Anrufzeiten, Bildschirm- und Schichtarbeit, auch die Kontrolle durch Technologie und Teamleitung an. Vertretung Trotz starker Bemühungen seitens der Gewerkschaften ("Call Center-Beauftragte", Call Center- "Basisgruppen"...) sind bis auf die internen Call Center in Handel, Banken und Versicherungen die meisten Call Center "unorganisiert". Aber selbst für den Bereich Direktbanken gehen Schätzungen nur von einem Organisationsgrad von fünf bis zehn Prozent aus.[42] 4.2 Don't believe the hype! Entwicklung der Call Center Entstehung Formen von Call Centern gibt es schon eine ganze Weile, zum Beispiel als Telefonauskunft, Schreibsäle oder Rechenstuben. Einen wirklichen Boom mit entsprechenden Management- Strategien, Berufsbildern und öffentlichem hype sehen wir ab Anfang/Mitte der neunziger Jahre. Fast achtzig Prozent der Call Center sind in Deutschland erst nach 1991 gegründet worden.[43] 1997 nutzen dreißig Prozent der Unternehmen in Deutschland ein Call Center. Zwei Drittel davon haben in das bestehende Unternehmen integrierte Call Center (inhouse), das übrige Drittel beauftragt externe Dienstleister.[44] In den USA beanspruchten bereits 1995 etwa achtzig Prozent aller Unternehmen den Einsatz eines Call Centers.[45] Der Boom fand in Deutschland auf folgendem Hintergrund statt: * Rationalisierungsoffensive in Banken, Handel, Versicherungen: Die alte Angestelltenfigur (lange Ausbildung, relativ hohe Löhne) gerät unter Druck. Es gibt seit Jahren Filialschließungen bei den Banken bei gleichzeitiger Ausweitung des Geschäftsvolumens. Bankgeschäfte sollen vorwiegend am Automaten erledigt werden. Wer damit nicht klarkommt, kann ja im Call Center anrufen...[46] * Rationalisierungsoffensive im Zuge der Privatisierung der Telekommunikationsunternehmen: Dabei hat zum Beispiel die Deutsche Telekom ganze Bereiche ausgegliedert, andere in Call Center umgewandelt. * Ausweitung des (mobilen) Telefonverkehrs: Noch 1998 besaßen in Deutschland knapp unter zehn Prozent ein Mobiltelefon, im Jahr 2000 waren es fast dreißig Prozent, heute liegt die Zahl über fünfzig Prozent. Die Gesprächspreise wurden gesenkt, (gebührenfreie) "Service-Nummern" eingerichtet. Die Telefonmarketing-Ausgaben der Unternehmen stiegen erheblich.[47] * Boom der "New Economy": Es wurde mehr Hard- und Software verkauft, für die es eine (telefonische) Betreuung geben soll. In vielen Fällen existieren keine Fachläden mehr, zu denen mensch bei technischen Problemen hingehen könnte. Jetzt gibt es die "Supermarkt-PC's". * Ausweitung der (regionalen) staatlichen Subventionen für "neue Arbeitsplätze": So gab es in der Anfangsphase einige "Skandale", da bis zu 50.000 DM pro neu geschaffener Arbeitsstelle kassiert wurden, die durchschnittliche Investitionssumme für einen Call Center-Arbeitsplatz aber bei 15.000 DM lag. In vielen Bereichen hat somit eine technische Neuzusammensetzung stattgefunden: Vor allem im Bankbereich ermöglichte die neue Arbeitsorganisation "Call Center" die bisherige Position der Angestellten anzugreifen. Die Aufgaben einer "formal hochqualifizierten" Bankarbeiterin, die eine mehrjährige Ausbildung hinter sich hat, werden jetzt von Call Center-ArbeiterInnen nach zwei Tagen Anlernzeit erledigt, die dabei einer weitaus rigideren Kontrolle und Arbeitsdichte unterworfen sind und nur circa zwei Drittel des Lohns bekommen. Konzentration Call Center finden sich weltweit vor allem in Westeuropa, den USA und einigen Ländern Asiens. In den USA sollen mehrere Millionen in Call Centern arbeiten, in Britannien eine halbe Million, in Ländern wie Deutschland, Frankreich, Australien jeweils zwischen 150.000 und 250.000.[48] Dabei handelt es sich weitgehend um Schätzungen, weil Call Center keinen eigenen Sektor bilden und deswegen keine genauen Zahlen verfügbar sind. In West-Europa waren bis Ende der Neunziger Britannien und Irland die Vorreiter in Sachen Call Center, was vor allem mit der sprachlichen Qualifikation der dortigen ArbeiterInnen zu tun hat: Viele multinationale Unternehmen siedelten dort ihre Call Center an, um auf Arbeitskräfte mit englischer Muttersprache backgreifen zu können. Im Zuge der regionalen Konzentration von Call Centern bildete sich auch eine Art internationale Call Center Arbeitskraft heraus: zum Beispiel gehen ItalienerInnen erst nach Irland, um dort im Call Center zu jobben, und telefonieren später in niederländischen Call Centern. Wie groß diese Anzahl der WanderarbeiterInnen ist, lässt sich schwer sagen, eine Seltenheit sind sie nicht.[49] Auch innerhalb eines Landes gibt es regionale Konzentrationen: in Deutschland zum Beispiel Bremen, Hamburg, Ruhrgebiet, Saarland, Mecklenburg-Vorpommern. In Britannien konzentrieren sie sich unter anderem in Schottland, Nordengland, Wales und London. Es gibt verschiedene Gründe für eine regionale Konzentration von Call Centern: * genug zur Verfügung stehende Arbeitskräfte (durch hohe Arbeitslosigkeit und/oder StudentInnen); * Vorqualifikation dieser ArbeiterInnen durch vorherige Arbeit in Call Centern oder Schulung durch sogenannte Call Center-Akademien; * Fördermittel und staatliche Subventionen für "strukturschwache Regionen" - damit zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen verbunden eine generelle Freigabe der Sonn- und Feiertagsarbeit in Call Centern ab Mai 1998; * sonstige "technische" Zulieferung (Installation, Instandhaltung der technischen Anlagen) oder Nähe zu den "Kunden" (Medienunternehmen, Softwareindustrie). Bevorzugte Orte für Ansiedlungen sind daher entweder Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit oder Universitätsstädte mit hohem Anteil an (mehrsprachigen) JobberInnen. Auslagerungen Ein Call Center ist mobiler als ein Stahl- oder Bergwerk. Erstens können Telefonanrufe ohne größere Probleme umgeleitet werden, das heißt, ein Anrufer merkt nicht unbedingt, ob er mit einem Engländer in Leeds oder Amsterdam redet. Zweitens ist eine Telefonanlage nicht so schwer und teuer wie ein Schmelzofen. Die Auslagerung funktioniert unterschiedlich: * Alle Anrufe werden von externen Call Center-Dienstleistern beantwortet oder gemacht. * Die einfachen Anrufe (Informationen...) werden extern erledigt, während zum Beispiel die Verkaufsgespräche oder After-Sale-Betreuung im internen Call Center gemacht werden. * Für spezielle Verkaufsaktionen wird ein externes Call Center beauftragt, das besseres Know- how für diese Art Anrufe hat. * Da das eigene Call Center zum Beispiel nur tagsüber in der Woche erreichbar ist, werden die Anrufe in der übrigen Zeit von einem externen Call Center bearbeitet. * Wenn das eigene Call Center durch viele Anrufe belegt ist, werden die weiteren Anrufe - der overflow - statt in die Warteschleife an ein externes Call Center weitergeleitet.[50] Alle diese Formen der Auslagerung können wir seit Jahren feststellen. Insbesondere wird das durch die steigenden und bereits relativ hohen Löhne in den inhouse-Call Centern wie in den regionalen Konzentrationen ausgelöst. Hier einige Beispiele: * Mitte der neunziger Jahre verlagerte British Airways das Call Center von Süd-London nach Glasgow, wobei die Lohnunterschiede ausschlaggebend waren. * Seit Ende der Neunziger hören wir von englischen und US-amerikanischen Firmen, die ihre Calls in Indien beantworten lassen, zum Beispiel GE Capital (Finanzen) oder American Express (Kreditkarten).[51] * Im Jahr 2001 hat Atento (Telekommunikation) in Spanien, hervorgegangen aus der Telefonica (spanische Telekom) die Eröffnung von Call Centern in Marokko geplant, wo es scheinbar genug spanischsprachige Leute gibt. * Ähnliche Tendenzen auch in Deutschland: Das Versandhaus Otto drohte im Jahr 2000, das Call Center in Essen nach Ostdeutschland zu verlagern, falls die ArbeiterInnen nicht auf 500 DM Lohn verzichteten.[52] * Aus Ostdeutschland wiederum hören wir, dass sich Call Center an der Westgrenze Polens ansiedeln, wo viele Menschen Deutsch sprechen... Nicht immer wird auf die regionale Verlagerung gesetzt. In manchen Fällen reicht den Kapitalisten auch die Auslagerung in externe Firmen. Hier ein Beispiel, das zeigt, wie die ArbeiterInnen gespalten und unter Druck gesetzt werden: Hewlett Packard (Computer, Drucker...) hat eine Pyramide von firmeninternen und externen Call Center-Firmen aufgebaut, die benutzt wird, um - wie die Chefs sagen - die "Kosten niedrig zu halten". In einem zentralen europäischen Call Center in Amsterdam werden die Aufgaben eines Teils dieser Call Center koordiniert. Bestimmte Abteilungen werden inhouse gehalten, zum einen, um die Probleme und Rückfragen der Kunden mitzukriegen (Call Center sind auch eine Art Ohr, in dem die Firma mithört, was funktioniert, wo es Probleme gibt, was einem Produkt fehlt...). Zum andern werden die bevorzugten Kunden mit hohem Umsatz direkt betreut. Die anderen werden ausgelagert. In Amsterdam läuft das über die internationalen Call Center-Buden Sykes und Sitel, in Deutschland auch über Medion... Ebenfalls outsourced ist ein Teil der Kundenqualifizierung im ersten Level. Die Bedingungen in diesen Call Centern sind härter, die Kontrolle perfider. Die Erster-Level-Agents haben die Vorgabe, jeden Anruf unter neunzig Sekunden zu halten. Auch der Lohnunterschied zwischen den ArbeiterInnen inhouse und outsourced ist erheblich. Die ArbeiterInnen im HP-Call Center in Amsterdam verdienen etwa dreißig Prozent mehr als die von Sykes, die im Call Center eine Strasse weiter im Prinzip die gleiche Arbeit machen. Ideologie Es gab und gibt viel ideologisches Geschwaller rund um die Call Center. Anfang/Mitte der neunziger Jahre waren die VertreterInnen des Kapitalismus auf hektischer Suche nach neuen Legitimationsgründen für ihr System: Unternehmensberatungen, Universitäts- und Wirtschaftsinstitutionen, PolitikerInnen und Vertreter von Arbeitgeberorganisationen. Sie verpackten den Kapitalismus wieder mal als "Dienstleistungsgesellschaft" und betonten, wie sehr wir die Call Center als "neuen Service" brauchen. Dieser Mythos zerlegt sich, wenn ArbeiterInnen und "KundInnen" merken, dass der "Service" nicht aus einem neuen Bedürfnis entsteht, sondern weil nichts anderes übrig bleibt: Mit der Eröffnung des Call Centers schließt die Filiale. Mensch arbeitet neuerdings im Schichtdienst und kann nicht zu den "normalen" Öffnungszeiten Sachen erledigen, muss also die Bankgeschäfte nachts und telefonisch machen. Beim Kauf von technischen Geräten gibt es keine direkten Ansprechpartner in den Läden mehr, mensch muss also die Hotline anrufen. Die "Call Center-Agents" können aber oft auch nicht weiterhelfen, und sie selbst erleben die Arbeit oft als "Kundenabfertigen"... Also mussten neue Mythen herhalten: New Economy, Informationsgesellschaft. Das Problem bei dieser New Economy war aber, dass sie sich zunächst auf einen exquisiten Teil des Arbeitsmarkts beschränkte: Programmierer, Kleinunternehmer...; wenig massentauglich. Call Center wurden dann als eine Art "New Economy für Ungelernte" verkauft: JedeR hat einen Computer; die Arbeit ist eigentlich gar keine, sondern Kommunikation mit anderen; das Ambiente ist modern und sauber; Call Center bringen neue Arbeitsplätze für rostige Schwermetallregionen und überlaufene Universitätsstädte. All das waren und sind nicht einfach leere Versprechungen, sondern mitunter handfeste Gründe, den Job als Friseuse zu schmeißen und sich was im Call Center zu suchen. Trotzdem tauchten schon in der Anfangsphase des Call Center-Booms die ersten Widersprüche auf, die dieses Bild der "leichten Tätigkeit" hinterfragen. Call Center wurden mit "Legebatterien" und "Kommunikations-Fließbändern" verglichen. Diese Vergleiche stützen sich auf die Erfahrungen vieler ArbeiterInnen: laute Großraumbüros, Anrufakkord, Stress allgemein. Nachdem Fabriken out sind, werden Call Center zu neuen Spielwiesen alter Industriesoziologen und Arbeitsweltverbesserer. Papiere mit Titeln wie "Call Center: Organisatorische Grenzstelle zwischen Neotaylorismus und Kundenorientierung" entstehen. Hauptforderung dieser Kritiker ist die "Anreicherung" der Tätigkeit und Qualifizierung der Beschäftigten. Angesichts der Entstehungsgeschichte der Call Center und der Erfahrungen aus der Diskussion um Humanisierung der Arbeit und Gruppenarbeit in den Fabriken[53] nicht gerade einfallsreich... Bunte Schraubenzieher, neue Kaffeeautomaten, Flachbildschirme oder der Popanz mit der "Teamarbeit" ändern nichts an der grundlegenden Tendenz, unsere Arbeitskraft möglichst effizient auszubeuten. 4.3 Boom, Boom, Bang! Was macht die Krise? Anhaltspunkte Es gibt noch kein genaueres Bild davon, wie sich die Krise auf die Call Center auswirkt. Wir stellen fest, dass die noch im Jahr 2000 lauthals angekündigten Wachstumsraten von jährlich 20 bis 25 Prozent Unternehmer-Geblubber waren. Wir hören vermehrt von Pleiten, Schließungen und Entlassungen, und das Angebot gerade für bessere Call Center-Jobs - zum Beispiel in einigen Banken, im technischen Support - hat in letzter Zeit abgenommen. Hier ein paar Beispiele:[54] * Ende November 2001 kündigte die Deutsche Bank 24 an, ihr Call Center in Duisburg- Rheinhausen zu schließen. Von der Schließung sind über zweihundert Leute durch Kündigung betroffen.[55] * Ende März 2002 kündigt British Telecom die Entlassung von 2.200 Call Center-ArbeiterInnen an. 53 von 104 Call Center sollen in den nächsten zwei Jahren geschlossen werden.[56] * Mitte April 2002 kündigt E-Plus die Auslagerungen seiner Call Center an, wovon 2.400 ArbeiterInnen in Deutschland betroffen sind. Entlassungen werden befürchtet.[57] * Mitte Mai 2002 kündigt die Swisscom die Schließung von sechs Call Centern an. 250 ArbeiterInnen werden gekündigt. Bis 2004 sollen die übrigen elf Call Center auf zwei reduziert werden.[58] * Mitte Mai 2002 kündigt die Comdirect Bank AG weiteren Stellenabbau an. Seit Ende 2001 wurden bereits zweihundert Stellen gestrichen, momentan sind rund dreihundert Leute auf Kurzarbeit.[59] * Im Juli 2002 kündigt die Citibank die Schließung ihrer Call Center in Aachen und Nordhorn mit über achthundert ArbeiterInnen an. Lediglich zwei- bis dreihundert sollen im zentralisierten Call Center in Duisburg übernommen werden. In der letzten Zeit konnten wir feststellen, dass auch die Jobsuche mit der Krise schwerer geworden ist. Bei den "guten" Jobs gibt es Gedränge und viele Unternehmen stellen jetzt eher über Zeitarbeitsfirmen ein. Gründe für den Einbruch finden sich hier: * Auswirkungen der allgemeinen Krise, gerade im "New Economy"-Bereich: So hat zum Beispiel kurz nach der Bekanntgabe des Konkurses des Medienkonzerns von Kirch auch ein Call Center-Unternehmen, das in erster Linie für die Kirch-Gruppe telefonierte, die Pleite angekündigt. Ähnlich sieht es bei AOL und HP aus, die ebenfalls bei ihren Call Centern streichen. Die Unternehmen sparen dort ein, wo es sich am ehesten verschmerzen lässt, eben beim "Service". Hier zeigt sich, dass der Service-Schmuh in vielen Fällen nur ein Beiwerk zum Produkt ist. * Konjunktureller Einbruch und "Reinigungsprozesse" durch verschärfte Konkurrenz: Dazu meinte zum Beispiel ein Geschäftsführer eines Call Center-Dienstleisters Anfang 2002: Die Preise [für abgerechnete Info-Anrufe] sind bis zu vierzig Prozent gesunken. Die Call Center können bei Minutenpreisen von dreißig bis vierzig Cent für ein Servicegespräch mit Kunden kaum noch profitabel arbeiten. Er führt dies vor allem auf die Konkurrenz durch "Billiganbieter" aus dem Ausland zurück...[60] * Entlassungen durch Freisetzung von Arbeitskraft aufgrund von neuen Technologien: In einigen Bereichen wurde in letzter Zeit mit Sprachcomputern und Internet-Kommunikation experimentiert. "Einfache" Tätigkeiten wie Bestellannahme oder Kontenstandansagen werden zum Teil schon mit diesen Technologien erledigt. Schon Ende 1999 gab es Stimmen aus dem Gewerkschaftslager, dass auf diese Weise in den kommenden Jahren Zehntausende "geringer qualifizierte" Jobs in Call Centern verloren gehen würden. Damit ginge es ihnen nicht anders, als den Damen von der Telefonvermittlung nach der Einführung der Relais oder den Großraum- Buchhaltern nach der Verbreitung der Computer... Trends Noch ist unklar, wie es mit den Call Centern weitergeht. Fast alle mittleren und großen Unternehmen in den kapitalistischen Metropolen haben bestimmte Aufgaben in interne oder externe Call Center verlagert. Zudem werden weitere Bürobereiche callcenterisiert, wie zum Beispiel Teile der öffentlichen Verwaltungen.[61] Denkbar ist hier eine breite Entwicklung in Richtung weiterer Arbeitsteilung: Ein Call Center nimmt alle direkten "Kunden-Kontakte" auf (front office), spezialisierte SachbearbeiterInnen analysieren und entscheiden (back office). Gleichzeitig werden weiterentwickelte Technologien eingesetzt, mit denen die Arbeit intensiviert wird: Software zur gleichzeitigen Bearbeitung von In- und Outbound-Calls, Integration unterschiedlicher Datenbanken, Standardisierung von Eingabemasken... Die Automatisierung bestimmter Arbeitsschritte - zum Beispiel die Qualifizierung von KundInnen - wird in bestimmten Bereichen zum Abbau von Jobs führen. Woanders führt die Verbindung unterschiedlicher Medien - Anrufe, Faxe, Emails... - zu neuen Arbeitsbelastungen. Die Taylorisierung der Kommunikation wird alle Bereiche der Büroarbeit betreffen. Die konkrete Abpressung von Mehrarbeit im taylorisierten Büro wird unterschiedliche Arbeitsweisen hervorbringen: die "massenhafte" Annahme von Bestellungen, wie die "kreative" Kundenberatung oder die "intelligente" technische Problemlösung. Dabei werden auch weiter verschiedene Formen von Kooperation eine Rolle spielen, mit den anderen ArbeiterInnen im Call Center, telefonisch mit ArbeiterInnen außerhalb... Die Bosse der Call Center werden auch weiterhin drauf angewiesen sein, immer neue ArbeiterInnen in die Call Center zu saugen: * weil die Arbeit in vielen Call Centern über längere Zeit unerträglich ist; * weil die meisten Call Center-ArbeiterInnen nach einigen Monaten genug Tricks gelernt haben, um langsam zu arbeiten, Pausen zu machen... ******************************************************** 5. Arbeitsalltag Diesen Teil haben wir folgendermaßen aufgebaut: 1 [Agents - Woher kommen und was wollen sie] 2 [Einstellung - Assessment-Center] 3 [Qualifikation - Wer kann's noch nicht, wer hat schon mal] 4 [Arbeitsschritte - Eingeloggt und aus der Traum] 5 [Zusammenarbeit - Von der produktiven zur subversiven Kooperation] 6 [Maschinerie - Never mind the call master] 7 [Hierarchie - Here is the Team-Leiter] 8 [Telefonieren - Was für ein Service?] 9 [ArbeiterInnenverhalten - Survivaltechniken] 10 [Gesamteindruck - Bericht aus einem der Scheißläden] Wenn die revolutionäre Bewegung schwach ist, dann nicht deshalb, weil eine politische Organisation, eine starke Gewerkschaft oder kommunistische Partei fehlt. Die Ursache der Schwäche liegt in den realen Bedingungen innerhalb der Ausbeutung. Wir müssen uns fragen, warum die Ausgebeuteten in der momentanen Situation keinen kämpferischen, befreienden Ausdruck ihrer produktiven Macht finden. [kolinko, Subversion des Alltags, Oktober 1999] Warum eine genaue Untersuchung der Arbeits- und Ausbeutungsorganisation? Wie schon im Zitat angedeutet: Wir können die Krise der Bewegung vielleicht an irgendwelchen Statistiken zu Lohn- und Streikentwicklungen oder an Konfliktäußerungen ablesen, sie dadurch aber nicht erklären oder ihr entgegentreten. Uns geht es bei der Untersuchung darum, sowohl die Hintergründe der Krise zu kapieren, als auch die Ansätze für eine neue Bewegung zu finden: in den realen Bedingungen der Ausbeutung. Diese sind nicht auf "den Betrieb" reduziert, sie umfassen die allgemeine Organisation der Gesellschaft: die "Aufzucht" und Reproduktion der Arbeitskraft in den Haushalten, ihre "Missbildung" in Schulen und Universitäten, ihre Auspressung in den diversen Mühlen, ihre Korrekturen in Heimen und Knästen. Der Produktionsprozess interessiert uns als Ort, wo Ausgebeutete aus verschiedenen Ecken zusammenkommen und - ob sie wollen oder nicht - miteinander klarkommen müssen. Wo sie dem Kapital oder Staat nicht nur als Opfer und Bittsteller gegenüberstehen, sondern den Reichtum dieser Gesellschaft produzieren und sie dadurch materiell verändern. Daher gilt unsere Aufmerksamkeit den bandscheibenfressenden Ernten auf Erdbeerfeldern, der Metallbude, dem Transport der Erzeugnisse und der "Dienstleistungshölle" Call Center. Hier geht es um die Frage, wie sich der Zwang zur Arbeit verändert und unter welchen Bedingungen wir unsere Arbeitskraft verkaufen müssen. Wie werden wir im Zusammenspiel von Maschinerie, Arbeitsteilung und damit verbundener Hierarchie tatsächlich ans Arbeiten gebracht? Die Organisation der Ausbeutung ist Spiegel des aktuellen Kräfteverhältnisses und Grundlage für neue Kämpfe und ihrer möglichen Selbstorganisierung. Ausbeutung und Produktionsprozess begreifen wir nicht als "ökonomisches Problem". Es geht nicht nur um den Profit, den jemand aus unserer Arbeit zieht, sondern auch darum, dass das ausbeuterische Verhältnis unser ganzes Leben bestimmt. Es unterwirft unseren Lebensrhythmus den Schichtplänen, passt unsere Bewegungen den Anforderungen von Maschinen an und verändert unsere sozialen Beziehungen. Bei der Untersuchung der Call Center haben wir einen Schwerpunkt auf den Arbeitsalltag gelegt. Der folgende Teil beruht auf unseren eigenen Erfahrungen und den Interviews mit anderen ArbeiterInnen.[62] 5.1 Agents - Woher kommen und was wollen sie?[63] Noch mal grob: In Call Centern arbeiten mehr Frauen als Männer, außer in einigen technischen Bereichen. Viele arbeiten Teilzeit, darunter viele Frauen, solche mit Kindern, StudentInnen, Azubis, SchülerInnen. Alle ArbeiterInnen müssen die jeweilige Landessprache sprechen. In den internationalen Call Centern in Dublin, Amsterdam, Paris, Milano werden zusätzlich noch andere Sprachen verlangt. Im Ruhrgebiet arbeiten in manchen Call Centern auch MigrantInnen aus der zweiten oder dritten Generation, die dann Anrufe in Deutsch und ihrer Muttersprache bearbeiten. Bei den Vollzeitjobs überwiegen Leute mit irgendeiner Ausbildung, oft im kaufmännischen Bereich, aus anderen Dienstleistungsjobs oder der Pflege, aber auch einzelne aus Industrie und Handwerk. In einem Call Center haben wir im ersten Level eine auffallend hohe Anzahl Arzthelferinnen und Rechtsanwaltsgehilfinnen getroffen. Im Vergleich zu diesen Jobs wird der im Call Center besser entlohnt. Die Arbeitszeiten sind besser und als Call Center-ArbeiterIn bist du nicht nur mit zwei anderen Arzthelferinnen und dem Chef, sondern mit vielen anderen ArbeiterInnen zusammen. Im zweiten Level, der fast ausschließlich mit Männern besetzt ist, sind einige ehemalige Schlosser. Sie haben den Job im Call Center dem in der Werkstatt oder Fabrik vorgezogen, weil er sauber ist, sie bereits ihren Rücken ruiniert haben oder gar keinen gutbezahlten Schlosserjob mehr finden können. Einige erklärten, dass sie mit dem Wechsel ins Call Center ihr Hobby zum Beruf gemacht hätten. Viele ArbeiterInnen kommen mit der Idee ins Call Center, dort einen ruhigen, sauberen Job zu haben, mit einem hippen Arbeitsklima und ein wenig Verantwortung. Sie wissen, dass sie mit Menschen zu tun haben, aber diese nicht angucken oder anfassen müssen. Für eine Weile mag man es dort aushalten. Hier Zitate von Call Center-ArbeiterInnen: Es ist eine leichte Arbeit. Man muss nicht viel nachdenken, macht sich nicht dreckig, und muss nicht schuften, keine Steine rumtragen, oder so was. Und man kriegt Geld... Du kannst deine Arbeitszeiten ungefähr frei einteilen oder verschieben. Als Elektriker macht man halt mehr körperliche Arbeit. Man darf auch keine Fehler machen. Im Call Center macht man Fehler, kriegt aber nichts mehr davon mit, das hat nicht so große Auswirkungen. Mir macht die Arbeit als Elektriker aber mehr Spaß. [Duisburg, 2000] Das ist viel weniger anstrengend, aber auch nerviger. Ich habe vorher gekellnert und das ist halt mit mehr Verantwortung und auch körperlich anstrengender. Aber es ist auch lustig im Call Center. Wir dürfen uns viel unterhalten. Aber ich glaube auch, dass es auf die Dauer ausbrennt. [Amsterdam, 2000] Auf dem Bau kannst du einfach deine Arbeit machen, Steine schleppen, Kabel ziehen, ranklotzen, Pausen schinden usw. Irgendwie kriegst du den Tag rum, ohne Nachdenken über die Arbeit selber. Wenn es Stress gibt, kannst du wie alle Rumbrüllen, den Chef anmachen, einfach deine Meinung sagen, weil das alle so tun. Im Call Center ist das anders: Du musst ständig auf der Hut sein, weil das Kopfarbeit ist. Zwar kriegst du auch mal einen Rhythmus hin, aber dafür musst du auf stulle schalten und einfach nichts denken. Alle achten irgendwie auf den Umgangston. Das ist auch in anderen Büros so. [Oberhausen, 2002] Ein Unterschied zur Fabrik ist zuallererst, dass die Arbeit nicht körperlich anstrengend ist. Im Call Center muss man nicht viel wissen oder viel können, im Unterschied zu irgendwelchen Stahlarbeitern. Wenn sie einen Fehler machen ist alles hin. [Duisburg, 2000] In den Call Centern, in denen die Arbeitszeiten nicht so ausgefranst sind und sich die gleichen ArbeiterInnen öfter sehen, bilden sich Cliquen. Sie sind kulturell bestimmt und reichen oft in die "Freizeit" rein. So gibt es oft die Müttercliquen, die StudentInnen, die TürkInnen und andere Gruppen von ArbeiterInnen, die sich zusammentun. Sie spielen bei der Organisation der Arbeit eine große Rolle - und bei ihrer emotionalen Bewältigung. Eines haben die ArbeiterInnen gemeinsam, unabhängig von Alter, Geschlecht und elterlicher Herkunft: Sie reden gerne. Die meisten sind offen, und es ist einfach in Kontakt zu kommen. JedeR hat eine Geschichte zu erzählen, und ist das Headset erstmal vom Kopf, geht es erst richtig los. Diese Gespräche - zwischen den Anrufen oder in den offiziellen Pausen - drehen sich um das ganze Leben, um die Gemein- und Schönheiten der Welt genauso wie um die Lebenspläne. Diese sind so unterschiedlich wie die ArbeiterInnen selbst. Von Beziehungsproblemen und -freuden ist die Rede, Lösungsvorschläge für Palästina werden gemacht, tagespolitische Querelen erörtert... und immer wieder die Arbeit, die Absurdität der Kundenfragen, die Tatsache, dass man die Arbeit viel besser machen könnte, wenn man sie selber organisierte, die Unverschämtheit der Vorgesetzten und dass die Arbeit eine Hölle ist und wie man ihr entfliehen kann. Dabei gibt es nicht viele Möglichkeiten, wenn man ein Haus abbezahlen muss und seinen Lebensstandard nicht verschlechtern will: Für einige Frauen, deren Ehe noch intakt ist, bietet sich das Kinderkriegen an.[64] Vorhaben, wie große Reisen in ferne Länder, bleiben Wünsche, und radikale Träume von der Abschaffung der Arbeit werden nicht ernsthaft angegangen. Die meisten enttäuschten Illusionen enden dann im Krankenschein oder an der Jobbörse im Internet. Interessant ist, dass viele dann wieder einen Job im Call Center suchen. Vielleicht, weil es ein bekanntes Terrain ist? Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit bei Arbeit am Telefon liegt niedrig, nach unseren Beobachtungen im Outbound bei einem halben Jahr, im Inbound zwischen einem und zwei Jahren. Dann ist entweder der Burn-out erreicht oder einfach alles unerträglich geworden. 5.2 Einstellung - Assessment Center Bevor man sich ausbrennen lassen kann, muss man eingestellt werden. In den Call Center- Stellenanzeigen klingen die Jobs akzeptabel. Da wird nach der Qualifikation des "Lächelns am Telefon" gefragt. Natürlich kann jeder am Telefon lächeln, das ist ja nicht so schwierig. Aber wer hätte gedacht, dass damit gemeint ist, dass man während des Lächelns auch noch reden soll und das den ganzen Tag? Dann wird noch nach Stressresistenz gefragt. Man wundert sich kurz, vergisst das und bewirbt sich. Das Management ist sich dieses Widerspruchs zwischen Lächeln und Stress bewusst und gestaltet oft schon die Einstellungsprozedur entsprechend: das Assessment Center.[65] Hier Beispiele aus Bank-Call Centern: Der Herr im Nadelstreifenanzug fragt die BewerberInnen, die um das Tische-U sitzen: Er fragt den Philosophiestudenten, warum er nicht Theologie studiert habe, er war doch acht Jahre auf einer Klosterschule. Die Abiturientin, die in ein paar Monaten ein Betriebswirtschaftsstudium beginnt, verkauft jetzt schon nebenher Brötchen. Sie wird von dem Herrn im Nadelstreifenanzug gefragt, ob sie denn auch Brötchen von gestern für welche von heute verkaufen kann. Die Frau mit IHK-Abschluß Call Center Agent hat ein Kind. Ob sie sich vorstellen könne, einen viel jüngeren Vorgesetzten zu haben, wird sie von dem Herrn im Nadelstreifen gefragt. Die ehemalige Flugbegleiterin muss auf Fragen über Stressresistenz antworten. Der junge Mann in blauen Anzug hat eine Banklehre hinter sich, er hält viel auf sein Äußeres. Der Herr im Nadelstreifenanzug fragt ihn, was er an einer Bank denn so toll findet. Im Raum sitzen elf Leute, die sich auf eine Stelle in einem Banken Call Center beworben haben. Vor ihnen stehen drei Chefs in Anzügen, der Herr im Nadelstreifenanzug, Call Center-Leiter, die Dame im Kostüm, Leiterin der Personalabteilung, der legere Herr, Teamleiter. Sie spielen ihre Rolle erwartungsgemäß flüssig. Der Herr im Nadelstreifenanzug stellt die Fragen. Die Dame im Kostüm, dank ihrer entspannten Weiblichkeit, beruhigt, vermittelt und erzählt sogar, dass sie gerne Aerobic macht. Der Teamleiter hält sich zurück. Ein paar der BewerberInnen springen schwanzwedelnd vor und machen Männchen, die meisten antworten nur auf die Fragen, die sie gestellt bekommen. Mir ist unglaublich kalt. Ich versuche die Aussicht, die man hier aus dem 17. Stock des Bankhochhauses hat, zu genießen. Von den Antworten, welche die BewerberInnen geben, will ich gar nichts wissen. Ich will nicht hören, wie sich einzelne verzetteln, im Versuch eine gute Figur abzugeben. Die kleine Blonde da vorne geht mir schon die ganze Zeit auf die Nerven. Wie kann man sich so erniedrigen? Am liebsten würde ich ihr eine reinhauen. Einige sind kreidebleich und selbst die Coolen fühlen sich unwohl. Warum stehe ich nicht einfach auf und gehe. "Sie Wichser, was ist das überhaupt für eine Scheiße hier!", denke ich, sage aber: "Nein, natürlich habe ich mir überlegt, warum ich in einem Banken Call Center arbeiten möchte..." Meine Lügengeschichte ist so lückenlos und so perfekt, dass der Herr im Nadelstreifenanzug keine Chance hat, einzuhaken und mich fertig zu machen. Nachdem jedeR den eigenen Lebenslauf erzählt und fünf bis zehn Fragen beantwortet hat, gestatten die Gutgekleideten eine Pause. Inzwischen sind wir schon fünf Stunden hier. Aus einem Topfit-Automaten können wir uns schlechtesten Kaffee ziehen und den dann im Call Center verschütten. Sechs ArbeiterInnen sitzen an Tischen und telefonieren, der Raum ist sehr groß, aber ohne Fenster. In einem Hotel wäre das der Lagerraum für Putzmittel und Bettwäsche. Hellgrauer Teppich, hellgraue "Call-Inseln" und Neonlicht. Nach der Pause legen die drei sich noch mal richtig ins Zeug und stellen ihre Jobangebote vor. Wir dürfen nun wählen, ob wir In- oder Outbound machen wollen. Will eigentlich noch irgendjemand? Danach werden wir zu Einzelgesprächen aufgerufen: Der Philosophiestudent hat leider versagt. Er hat nicht den passenden Eindruck hinterlassen, während er ausführte, warum er Philosophie studiert und nicht konsequenterweise Theologie. Außerdem fehlt ihm sowieso der Bankenesprit. Die Abiturientin hat es geschafft. Wer Brötchen von gestern für welche von heute verkauft, verkauft auch unsinnige Kredite. Mütter mit Kindern sind per se raus. Und ein gelernter "Banker" entlarvt den Job zu schnell und stellt Anforderungen, raus. Auf dem Weg nach draußen begegnet mir noch die sympathische Ex-Flugbegleiterin. Sie erzählt mir, dass sie den Job so satt hatte, weil sie nicht mehr automatisch lächeln könne. Aber hier habe es auch nicht geklappt. Man sagte ihr, sie habe nicht genügend "Herzenswärme" ausgestrahlt. [Essen, 2000] Personaltante und Teamleiter und Getränke. Absoluter Horror. Spielen das Spiel "guter Bulle, böser Bulle". Der Böse ist natürlich mein potentieller Vorgesetzter. Ich verkack direkt am Anfang, weil ich gar nicht weiß, für welche Stelle ich mich eigentlich beworben hab. Der Böse macht mir den Job dann auch direkt mies, weil der ja so verdammt hart ist, und ich nach Feierabend auf'm Zahnfleisch gehen werde. Dass er ausflippt, falls ich zu spät komme, dass der Teufel los ist, wenn ich meinen Arbeitsplatz nicht aufräume. Aye aye, Sir! Ich lächle nur noch nett und denke, mein Gott, was regt der sich jetzt schon so auf. Ich hab den Job doch noch gar nicht und weiß auch gar nicht, ob ich ihn überhaupt will. Und schon hab ich ihn... [Duisburg, 2000] Bei der Bank haben sie einen Riesenaufriss mit einem Assessment Center gemacht. Für 100 Jobs wurden 300 Leute eingeladen, jeweils in Gruppen von etwa 15. Die mussten dann einen ganzen Tag (acht Stunden) mehrere "Prüfungen" bestehen, wobei diese entweder von den vier LeiterInnen (zwei von einer Personaldienstleistungsfirma mit Psycho-Hintergrund, einer aus der Personalabteilung und eine Teamleiterin) oder - bei den schriftlichen Test - per Computer beurteilt wurden. Dabei gab's so spaßige Sachen wie - ein Gruppengespräch mit vorgegebenem Thema, bei dem vier Beobachter beurteilten, wie mensch sich dort verhält (laut, schüchtern, regelnd, passiv...); - ein Intelligenztest (der nicht so hieß), bei dem mensch auf einem Bogen Fragen beantworten, Wörter zuordnen und Figuren erkennen musste; - ein Testgespräch, wo der Personalchef hinter einer Trennwand als nörgelnder Kunde rummacht und darauf geachtet wird, wie du reagierst und ob du alle wichtigen Fragen stellst, die dir vorher auf einem Zettel kurz erklärt wurden. - ein Fragebogen mit 400 Fragen, wo jeder mögliche Schwachsinn auftauchte ("Mögen Sie dicke Frauen"...) und der darauf angelegt war, deine "Persönlichkeit" zu testen (lügst du etwa; bist du konservativ...). - ein Einzelgespräch, bei dem nach deiner Motivation für die Bewerbung gefragt wurde. Dazu kamen noch Firmenpräsentationen usw. Am Ende haben sie dir dann in einem weiteren Einzelgespräch bekannt gegeben, was für eine "Persönlichkeit" du hast. Der Computer lag meist völlig daneben, aber darum ging es ja auch nicht. Offensichtlich wollten die testen, ob du den Schwachsinn mitmachst, ohne auszurasten oder abzuschalten. Für einen miesen Telefonjob, bei dem du Kontenstände ansagen, Überweisungen annehmen und Infos rausgeben sollst, war das der absolute Witz. Mir fiel aber ein, dass Johnson Controls für einen Fabrikjob (Sitze-Fertigung) ähnlichen Aufwand betrieben hatte... [Duisburg, 2000] 5.3 Qualifikation - Wer kann's noch nicht, wer hat schon mal? Schulung Wie bei jeder Einführung einer neuen Arbeitsorganisation hatten (und haben) die Vertreter des Kapitals auch während der Anfangsphase der Call Center das Problem, dass sie selbst nicht wussten, wie der Laden ohne größere Probleme ans Laufen zu kriegen wäre. Gerade in solchen Phasen müssen sie experimentieren und sich die Kenntnisse der ArbeiterInnen aneignen, welche diese sich im täglichen Arbeitsablauf erworben haben. Um ihre Abhängigkeit an diesem Punkt zu verschleiern, stellen die Kapitalisten die Arbeit als "unqualifiziert" da und versuchen, den Eindruck zu erwecken, dass sie bereits eine voll funktionsfähige Arbeitsorganisation am Start haben. Bei der Darstellung der Call Center-Arbeit als "unqualifiziert" helfen ihnen (auf mehr oder weniger bewusste Weise) viele linke oder gewerkschaftliche KritikerInnen des "Telefon-Taylorismus", die ebenfalls betonen, dass die ArbeiterInnen ja eigentlich nur Anhängsel des Call Masters seien. Beim näheren Hinsehen stellt sich aber heraus, dass die ArbeiterInnen bereits viele Qualifikationen mitbringen und sich im Laufe der Arbeit selbst weiter "qualifizieren", und zwar nicht in den offiziellen Schulungen, sondern durch die Erfahrungen und deren Austausch im Arbeitsprozess. Alle ArbeiterInnen, die diesen Job anfangen, können Dinge, die vom Management einfach vorausgesetzt werden: die jeweilige Verkehrssprache, Kommunikationsfähigkeiten, Erfahrung im Umgang mit Tastatur und Maus. Trotzdem: An jedem Eingang der "Dienstleistungshölle" steht die Schulung. Die kann zwischen zwei Tagen und sechs Wochen dauern. Geschult wird die interne Software zur Kundenverwaltung, die Produkte. Manchmal gibt es ein Kommunikationstraining. Die Schulungen sind alle auf training-on-the-job ausgelegt, das heißt die meisten Sachen werden später bei der Arbeit "gelernt". Bei der Schulung geht es mehr darum, von allem schon mal was gehört, als alles verstanden zu haben oder sich wirklich auszukennen. Oft dienen die Schulungen auch nur zur Motivation, sprich: Gehirnwäsche zur Identifizierung mit dem Betrieb und dem Produkt. Und was so adrett als Kommunikationsschulung daher kommt, entlarvt sich oft als Vorgabe der Standardformulierungen. Hier einige Eindrücke: Natürlich war es notwendig, das hausinterne Programm mit den Masken zu lernen. Danach haben sie dich zu einer Kollegin gesetzt, zum Mithören, die hat mich dann wirklich geschult. Aber die wichtigsten Qualifikationen: Kommunikationstechniken und die Abläufe im Betrieb lernst du erst mit der Zeit. [Medion, Mülheim, 2000] Andere Schulungen wie Sprachtraining, Kommunikationstraining, wie man mit Leuten umgeht, Höflichkeitsregeln musst du alles selber entwickeln oder am Besten mitbringen. Es zeigt dir auf jeden Fall keiner. Du machst das halt irgendwie. [Client Logic, Duisburg, 2000] Als wir endlich anfingen, die Börsensoftware zu bedienen, Order anzunehmen und an der Börse zu platzieren, haben wir keine erneute Schulung bekommen. Die es am ehesten gecheckt hatten, haben es an die anderen weitergegeben. Trotzdem ist in den ersten Tagen vieles schiefgelaufen. Nach einigen Tagen hieß es dann von den Teamleitern, es gäbe jetzt auch keine weitere Schulung mehr dazu, weil wir das ja nun selber gelernt hätten und das Wissen denjenigen, die das noch nicht mitgekriegt hätten, weitergeben könnten. [Deutsche Bank 24, Duisburg, 2000] Wir genossen zu Beginn eine Schulung, die vier Tage dauerte. Die ersten beiden Tage bestanden aus einer Art Gehirnwäsche. "Die Citibank ist deine Familie, arbeitet im Team, damit ihr auch im Leben weiterkommt"... Der Grund ist wohl der, dass sich die Leute durch die langweilige Arbeit nicht abschrecken lassen sollen. (...) Viele haben sich durch das Gelaber begeistern lassen und waren dementsprechend enttäuscht, als sie merkten, dass arbeiten immer noch arbeiten bedeutet (...) Alle erwarten von dir, dass du die Citibank mit Leib und Seele vertrittst. [Citibank, Duisburg, 2000] Da saßen wir nun. Zehn Leute, alle froh, zwei Tage nicht telefonieren zu müssen. Zwei Tage Kommunikationsschulung. Die Lehrerin hatte alle Standards drauf. Die Schulung sollte interaktiv laufen. Wir sollten uns einbringen, gestalten, fragen, mitmachen. Erstmal waren wir aufgefordert, alles vorzubringen, was wir in der Schulung lernen wollten: Kunden verstehen, zuhören, besser ausdrücken, mit Stress umgehen... Die Lehrerin schrieb die Vorschläge auf große Papierbögen. Was fehlte, ergänzte sie, was nicht reinpasste, strich sie durch. So hat sie das zwei Tage lang gemacht. Danach hat sie den Ablauf der zwei Tage vorgestellt: Begrüßung lernen, Eingehen auf den Kunden, Dialogtechnik, Gesprächsführung, Verabschiedung. Wir durften nun einen Filmausschnitt mit Robert Redford ("Ist doch ein toller Mann, nicht?!") anschauen. So eine Szene, wo er in ein Bürohaus geht und da liegen nur Tote rum. Er rennt raus und ruft über eine Telefonzelle irgendeine Notstelle an. Der Kerl dort nimmt den Anruf an und stellt kurze, präzise Fragen, um schnell rauszukriegen, was passiert ist. Hier hat die Lehrerin den Film gestoppt. Alle waren unruhig. Wäre schön gewesen, den weiter anzuschauen... "Also, was ist euch hier aufgefallen?" Wir strampelten uns wieder ab, sie schrieb alles auf eins der großen Bögen. Zu "unfreundlich", zu "knapp", aber "präzise"... Das alles als Vorbereitung für die erste Grafik: "Es gibt vier Arten von Personen und ihrer Art des Telefonservice." Freezer sind unfreundlich und wenig effizient, Friendly Zoo sind freundlich aber wenig effizient, Factory sind unfreundlich und effizient, Quality Member Service ist freundlich und effizient. "Und wie schätzt ihr euch ein?" Wir mussten dann mit unseren Nachbarn Telefongespräche simulieren und auf Tonband aufnehmen. Die hörten wir danach an und der Nachbar sollte uns kritisieren. Die Kritik wurde dann mit allen diskutiert. Langsam wurde es öde. Die erste Pause rettete uns. In dem Stil ging es weiter. Wir sollten in zwei Gruppen alles aufschreiben, was mensch beim Telefonieren nicht machen soll. "Schlafen", "Essen", "mit Kolleginnen quatschen"... Hier waren wir sehr kreativ und fanden fünfzig Sachen. Die Lehrerin murmelte was von "subversiv", wir hatten etwas Spaß. Zwischendurch gab es Belohnungsmarken, die auf den von der Firma gespendeten Hefter geklebt wurden, wenn jemand was Schlaues gesagt hatte oder die eigene Gruppe irgendeinen Wettbewerb gewonnen hatte ("Wer weiß mehr Unworte, die wir beim Telefonieren nie sagen sollten? Schreibt die doch alle mal ganz spontan so auf einen Bogen!"). Klar, irgendwann kam die Liste mit den Sachen, die mensch machen soll, wenn er mit Kunden telefoniert: "Lächeln", "Zuhören", "Ausreden lassen"... Wir kannten den Kram schon. Für einige war es nicht die erste Schulung. Dann eine Grafik zum "Denken" und "Fühlen" und wie wichtig doch der "nonverbale" Eindruck für die Kommunikation ist, später "offene" und "geschlossene" Fragen, Feedback-Techniken, "aktives Zuhören", Problemlösung... es ging quer durch. Einmal sind wir raus in den Hof und haben so eine Art "Reise nach Jerusalem" gespielt. Alle laufen durch die Gegend und müssen sich auf Zuruf der Lehrerin in Zweier- oder Dreiergruppen anfassen. Eine Person bleibt immer übrig und scheidet aus. Am Ende bleiben zwei über. Die Sieger. Sehr lustig. Manchmal war es wie Kindergeburtstag, manchmal wie Schule kurz vor Ende der vierten Stunde: Alle sind schlapp, aber du musst noch so lange da sitzen. Das alles hatte mit dem täglichen Telefonieren wenig zu tun. Darum ging es auch gar nicht. War mehr so eine Art Motivationstraining. Zwischendurch haben sich einige Luft gemacht: "Wir haben andere Probleme. Die Software ist scheiße. Wir können oft nichts nachschauen. Die Leute am Telefon sind genervt, weil sie keine Infos kriegen...". Die Lehrerin zeigte sich betroffen, aber zog ihren Stoff durch. Natürlich immer freundlich und interaktiv. Nachher hat sie die Beschwerden dann an eine der TeamleiterInnen weitergetragen... [Fiat, Milano, 2002] Zertifikate Wie vieles im Kapitalismus ist auch diese Strategie des Kapitals widersprüchlich: Die Behauptung, die ArbeiterInnen seien "unqualifiziert", hatte zur Folge, dass sich diese noch weniger mit ihrer Arbeit identifizierten.[66] Call Center-Vertreter klagten seit langem über die zu hohe Fluktuation der ArbeiterInnen und führten dies auf mangelnde "berufliche Perspektiven" zurück.[67] An diesem Punkt setzte das übliche Gelaber über zu schaffende "Berufsbilder" und formale Qualifikationen ein. Auch hier war und ist die Gewerkschaft direkt mit dabei und forderte, dass es auch im Call Center "vernünftige Berufe" geben sollte: "Qualifiziert die ArbeiterInnen! Manager nutzt die Kreativität dieser Geschöpfe für euren Erfolg. Arbeiter ihr seid schlau, ihr habt was Besseres verdient." So saßen sie zusammen - Gewerkschaftsvertreter, Industrie- und Handelskammer und Arbeits- ämter - und kreierten einen Beruf: Call Center-Agent. In dieser Phase entstanden viele Call Center Akademien. Für einen zwei- bis zwölfmonatigen Kurs gibt es ein Zertifikat. Für die Unternehmer hat das Vorteile: Sie wissen bereits bei der Einstellung, dass die Person mit dem Zertifikat immerhin für einen gewissen Zeitraum regelmäßig irgendwo erschienen ist und schon mal eine Tastatur und ein Headset gesehen hat. Außerdem, und das ist wohl das entscheidende, kann mit der Verbreitung dieser formalen Qualifikation eine Hierarchisierung des Arbeitsmarktes durchgedrückt werden: Call Center-ArbeiterInnen sollen in qualifiziert und unqualifiziert gespalten werden, mit den dazugehörenden Unterschieden in Sachen Arbeitsbedingungen, vor allem Lohn. Diese Tendenz hat sich aber noch nicht durchgesetzt, auch wenn bei Einstellungsgesprächen immer öfter nach diesen "Zertifikaten" gefragt wird. Die ArbeiterInnen, die solche Kurse machen, versprechen sich teils eine bessere Stelle, teils sehen sie das als kurzweilige Alternative zum lästigen Telefonierjob, wenn der Betrieb solche Maßnahmen finanziert.[68] Hier aus einem Interview mit einer Teilnehmerin einer IHK- Zertifikatschulung für "Call Center Agents": * Was war das für eine Schulung? Es gibt einen Kurs, der vom Arbeitsamt gefördert wird und einen von der Europäischen Union, bei dem Leute teilnehmen, die Sozi beziehen oder sonst keine Förderung vom Arbeitsamt bekommen. Insgesamt so zweimal dreißig Leute auf Vollzeit plus zwei Teilzeit- Kurse. Der Vollzeit-Kurs dauerte drei Monate. Der Abschluss des Kurses ist ein IHK- Zertifikat. * Wie sind die Leute aus deinem Kurs dahin gekommen? Über den Kurs vom Arbeitsamt kann ich nicht viel sagen. Einige sind bestimmt vom Arbeitsamt da hingeschickt worden. Bei uns waren es vor allem Frauen ab dreißig, die wieder in den Job zurück wollten. Viele waren vorher Einzelhandelskauffrauen oder haben andere kaufmännische Ausbildungen. Die andere Gruppe sind Jüngere ohne Ausbildung. Drei von den dreißig haben vorher schon mal in einem Call Center gearbeitet, war aber schon lange her. Insgesamt ist circa ein Drittel wieder abgehauen, ohne die Prüfung zu machen. * Wie sah der Kurs aus, was wurde da gelehrt? Prüfungsfächer waren EDV, Kommunikationstraining, Kaufmännische Grundlagen, "Was ist ein Call Center?", Dienstleistungen und "Training on the job". Und dann gab es noch so Fächer wie Stress- und Motivationstraining. Beim "Training on the job" haben viele dann gemerkt, dass der Job nichts für sie ist, jedenfalls kein Outbound. Ansonsten meinten die meisten, dass man im Kurs nichts Vernünftiges lernt. Vielleicht ein bisschen EDV für Leute, die noch nie am Computer gesessen haben. Bei den kaufmännischen Grundlagen wollten sie dir nur verklickern, was eine AG und eine KG ist. Keine Ahnung, was man damit anfangen soll. Beim Dienstleistungsunterricht lernst du halt all die Sprüche, die sie bei Vorstellungsgesprächen hören wollen: "Ich will dem Kunden blablabla". Aber beim Job kannst du das auch haken. * Was haben euch die von der Kursleitung denn versprochen? In erster Linie, dass man mit dem Papier einen Job kriegt, 70 Prozent Anstellungen in Banken. * Wo habt ihre die Praktika gemacht? Na ja, ein richtiges Praktikum machst du nur bei der sechsmonatigen Schulung. Da arbeitest du einen Monat in einem anderen Unternehmen. Wir haben nur eine Woche in der Call Center-Akademie telefoniert. Alle möglichen Unternehmen bieten sich an, PraktikantInnen zu nehmen und stellen sich auch bei der Akademie vor, wenn sie Leute suchen. * Worin besteht der Unterschied zur sechsmonatigen Schulung? Die drei Monate sind für den normalen Call Center-Agent. Nach sechs Monaten bist du "Call Center-Agent-Spezialist". Keine Ahnung, was daran dann so speziell ist. * Suchen die Unternehmen eher nach Leuten mit Zertifikat? Klar, die sparen sich schon etwas Vorschulung damit und können anhand der Noten auch ein bisschen aussieben. Wenn du ein gutes Arbeitszeugnis von einem anderen Call Center hast, zählt das wahrscheinlich genauso viel. Ich habe in anderen Call Centern noch nicht viele getroffen, die ein Zertifikat haben. Abgesehen von einem Vorstellungsgespräch in Bochum, da hatten alle fünf eins. [Duisburg, 2001] 5.4 Arbeitsschritte - Eingeloggt und aus der Traum Wir halten die Analyse der Arbeitsschritte und der Kooperation schon aus historischen Gründen für wichtig: Die Arbeitsweise im Call Center ist kein Zufall oder Produkt eines Master-Plans, sondern ist Resultat von Klassenauseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte und hat mit dem ArbeiterInnenverhalten zu tun. Am Beispiel der Banken lässt sich erkennen, dass es bei diesem Wandel um die Frage geht, wie ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Position von ArbeiterInnen gebrochen werden kann, um die Ausbeutung zu intensivieren. Die Ausbildung einer oder eines Bankangestellten nimmt viel Zeit in Anspruch,[69] und auch die Erwartungen der BankarbeiterIn steigen mit der Qualifizierung. Die Löhne im Banksektor waren und sind vergleichsweise hoch, und die ArbeiterInnen konnten aufgrund ihrer zahlreichen Tätigkeiten den Arbeitsprozess stärker kontrollieren. Frühere Versuche, die Ausbeutung durch einen Angriff auf die Löhne, durch neue Formen der Arbeitsteilung und höhere Anforderungen zu verschärfen, gingen den Kapitalisten nicht weit genug oder schlugen fehl, nicht zuletzt durch eine Reihe von Streiks in Italien, Deutschland und anderen Ländern Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre. Die Position der Bank-ArbeiterInnen konnte nur durch eine neue Arbeitsorganisation gebrochen werden, die auch Schluss mit der "Bastion" der ArbeiterInnen machen sollte: der Filiale. Im Call Center wurden die Aufgaben einer Bankangestellten auf mehrere Call Center-ArbeiterInnen verteilt. Diese können so innerhalb von ein bis zwei Wochen angelernt werden, weil ihr jeweiliger Arbeitsschritt einfach und kurz ist. Das erleichtert den Unternehmern auch, die Arbeitsintensität (auch durch Einsatz von neuen Technologien) zu verschärfen, bis zu dem Punkt, dass die einzelne ArbeiterIn Hunderte von Kontoständen am Tag ansagt. Call Center spiegeln also die Tendenz des Kapitals wider, die Arbeit zur Herstellung eines bestimmten Produkts unter dem Druck des ArbeiterInnenverhaltens in kleinere Segmente zu teilen und diese auf mehr ArbeiterInnen zu streuen. Diese konkreten Arbeitsschritte werden dann zu einem neuen Kampfterrain. Hier zwei Berichte aus dem Arbeitsalltag in Bank-Call Centern: Ich sage den Leuten am Telefon ihren Kontenstand an, führe Überweisungen und Daueraufträge aus und, wenn sie wollen, sage ich ihnen ihre Kontenbewegungen der letzten 90 Tage an und bestelle ihnen Schecks. Für manche Arbeiten muss ich KundInnen auch in andere Abteilungen oder ins Call Center nach Aachen durchstellen. In meiner Abteilung machen noch 150 andere Agents die selbe Arbeit, 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Ich krieg die Calls direkt auf das Ohr, das heißt ich höre nur ein Piepsen und weiß, dass der nächste Kunde dran ist. Das ganze passiert so um die zweihundert Mal am Tag, manchmal kriege ich aber auch mehr als vierhundert AnruferInnen rein. Der Computer zählt, wie lange ich Pause mache, wann ich anfange und aufhöre, wie lang meine durchschnittliche Anrufdauer ist. Ich habe vorher noch nie im Bankgewerbe gearbeitet, muss man für diesen Job auch nicht gemacht haben. Bei den Einstellungsgesprächen wollen sie in erster Linie, dass du kommunikativ, offen und servicebereit rüberkommst. Wir hatten dann vier Tage Schulungen, wobei sich die ersten zwei Tage nur um das Unternehmen drehte und wie toll es sei. Die nächsten beiden Tage bestanden aus einer Produktschulung rund ums Girokonto, Datenschutz in der Bank usw. Nach dieser 'Schulung' haben wir uns noch zwei Tage neben erfahrene Agents gesetzt, die uns die Computermaske erklärten, dann ging's los... [Citibank, Duisburg, 2000] Ich arbeite mit etwa 100 Agents im Inbound-Bereich, in dem Anrufe von Kunden eingehen, die Überweisungen machen oder Börsenorder erteilen wollen. Sachen wie Wertpapiergeschäfte, Kreditbearbeitung, Kundenstammdaten oder Online-Probleme stellen wir zu anderen Abteilungen durch. Im Call Center selbst gibt es noch 200 Outbound- ArbeiterInnen, die KundInnen irgendwelche zusätzlichen Bank-Produkte andrehen wollen. Bei den Einstellungstests ging es darum, wie du reden kannst, es gab Intelligenz- und Konzentrationstests. Fachwissen hat keine Rolle gespielt. Bei der Arbeit geht's dann so ab: Die Calls landen auf deinem Headset. Dann schaust du auf dein Display, um zu sehen, was das für ein Anrufer ist: Kunde oder Interessent (die haben unterschiedliche Telefonnummern. Dann bringst du deinen Begrüßungsspruch. Da normalerweise die Kundenanrufe erst im Sprachcomputer landen, wo die Kunden sich über ihre Konto- und Geheimnummer legitimieren, bekommst du automatisch ihre vom Computer rausgesuchten Kundendaten auf den Bildschirm. Du hörst dir an, was die Kunden wollen, machst die Überweisung, Börsenorder, schickst denen Informationen, nimmst Daten auf oder eine Reklamation. Während des Gesprächs drückst du auf den Nacharbeit-Knopf, damit nicht bei Auflegen des Kunden gleich der nächste Anruf kommt. Dann hast du Zeit, noch Sachen zu verschicken, Kommentare für andere Abteilungen zu schreiben etc. Wenn dann ein Call nach dem anderen kommt, ist das wirklich wie am Fließband. Die Leute sind dir scheiß egal, du erledigst das wie eine Maschine... [Deutsche Bank 24, Duisburg, 2000] Alltag - Die Arbeit Die Vorstellungen über die Arbeit in Call Centern sind sehr unterschiedlich. Sie reichen vom "selbstbestimmten arbeiten", bis zur linken Vorstellung der Dienstleistungshölle, in der die hundertprozentige Überwachung durchgesetzt ist und die ArbeiterInnen zu Sklaven der affektierten Freundlichkeit erniedrigt sind. Beide Vorstellungen sind nicht völlig falsch. Aber um zu verstehen, wovon wir in den theoretischen Ausführungen sprechen, wollen wir zuerst den Arbeitsalltag beschreiben. Was machen Call Center-ArbeiterInnen? Ankommen Im Personalprogramm einloggen Computer hoch fahren, am Programm anmelden Intranet hochfahren, News begutachten, eventuell Mails lesen Am Telefon anmelden Headset einstöpseln Telefon auf "bereit" stellen und loslegen Mit Kunden reden, mit Vorgesetzten reden, mit KollegInnen reden, Dateneinträge machen, Mails verschicken, Formulare ausfüllen, Pause machen, Kaffee trinken, chatten, flirten, lügen, Magazine lesen, sich Infos besorgen, streiten, langweilen Headset ausstöpseln Am Telefon abmelden Am Softwareprogramm abmelden Computer runterfahren Im Personalprogramm abmelden Abhauen Das ist eine allgemeine Kurzfassung der täglichen Arbeitsschritte. Hier vier Beispiele, an denen das konkreter wird: Inbound, erster Level Computerhotline Es ist Montag, wir haben Frühschicht. Bevor ich einen Handschlag tue, muss ich mich erstmal am Personalprogramm einloggen. Dass mache ich am Rechner vom Teamleiter. So, ab jetzt bekomme ich alles bezahlt, was ich tue. Das ist ja wenigstens etwas. Ich gehe zu "meinem" Platz und mache den Computer an, gebe ihm mein Password und melde mich am Telefon an. Auch das verlangt nach einem Password. Der Computer ist inzwischen hochgefahren, ich melde mich also auch noch am Programm an. So können die sehen wer, wann, was in Kundendatensätzen vermerkt hat. Ich wundere mich, dass ich diese ganzen Passwords nicht durcheinander schmeiß. Ist mir noch nie passiert. Wahrscheinlich haben sie sich längst in mein Hirn eingebrannt und ich kann sie nie mehr löschen. Ich habe ein paar Voicemails, die höre ich ab, vielleicht ist ja was Privates dabei. Man hat ja Träume. Es ist kurz nach sieben und ich werde hier irgendwie bis 15 Uhr ausharren. Das habe ich schon ein paar mal geschafft und dann werde ich es auch heute hinkriegen, obwohl ich weiß, dass ich zwischendrin öfter mal zweifeln werde. Ich habe 72 Minuten Pause, wobei eine halbe Stunde festgelegt ist und ich mir die andere Zeit auswählen kann. Glücklicherweise rufen so früh am morgen nicht so viele Kunden an. Ich würde sterben, wenn ich jetzt einen von diesen gutgelaunten Spaßvögeln hätte. Weil also noch nicht so viel los ist, der Teamleiter selber noch im Pausenraum rumhängt, gehe ich erstmal Kaffee holen, ohne mich am Telefon abzumelden. Wenn ich zurückkomme hat entweder irgendjemand von meinen Freundinnen den Call angenommen oder das Telefon steht auf "ohne Grund abwesend". Das schlägt sich in meiner Statistik nieder und geht auf meine Pausenzeit, aber wen interessiert das schon größer? Das Telefon klingelt. Das tut es dreimal, und wenn ich nicht rangehe, stellt die ACD-Anlage zum "nächsten freien Agenten" durch. Wenn ich aber doch rangehe, was ja erwartet wird, habe ich eine von vier Standardsituationen: Kunden registrieren, Kunden zum Techniker durchstellen, Kunden über den Bearbeitungsstand ihrer defekten Geräte informieren, oder eine Bestellung aufnehmen. Oder ich habe etwas Exotisches, was detektivisches oder sozialarbeiterisches Talent erfordert. Märkte suchen ein Notebook oder ein Kunde braucht jemanden, der ihm versichert, dass er nicht der einzige ist, der mit der kapitalistischen Warenwelt nicht klar kommt. Zwischendurch stelle ich mein Telefon auf "Nacharbeit", so dass keine Anrufe bei mir ankommen. Ich mache dann Einträge in die Kundendatensätze oder nutze die Zeit für ein Schwätzchen mit meinen KollegInnen. Irgendwann ist es soweit: Die Telefone klingeln um die Wette. Ich stelle also unendlich viele Kunden zur Technik durch, renne ein paar mal zwischen meinem Platz und dem von meinem Teamleiter hin und her, stelle Kunden zu anderen Abteilungen durch, rufe einen Kunden zurück und schreibe Zettel und E-Mail Formulare an andere Kollegen. Wie durch ein Wunder ist es 15 Uhr geworden. Ich logge mich aus dem Programm aus, verabschiede mich vom Rechner, melde mich am Telefon ab und logge mich schließlich auch aus dem Personalprogramm aus. Gut, dass Zeit irgendwie immer vergeht. Inbound: zweiter Level einer Computerhotline "Hallo, Blablub-Firma... Mein Name ist... Was kann ich für Sie tun?" Die Calls laufen bei mir über zwei Linien: Deutsch und Englisch. Es geht um Computer. Außer Calls kommen manchmal Emails von Kunden, außerdem Faxe. Die meisten Anrufe betreffen kleinere und größere technische Defekte oder Softwareprobleme (Schätzung: 80 Prozent). Der Rest sind Anrufe wegen Verlust des Passworts, Infos... Ab und an rufst du auch Leute an. Meist um was zu fragen, manchmal auch, weil die einen Rückruf wollen. Zwischen den Anrufen/Faxen ist Zeit für andere Sachen. Entweder surfe ich im Internet und lese dort Zeitung; oder ich mache meine "privaten" Emails; oder ich mache, was wir machen sollen: ich hole mir ein Gerät und probiere irgendwas aus. Installation des neuen DVD-Laufwerks, Einstellung eines bestimmten PCMCIA-Modems, die neue Docking Station... Von der Acht-Stunden- Schicht telefoniere ich im Schnitt 1,5 bis 2 Stunden, mache noch 2 Stunden andere Sachen, die mit den Anrufen zu tun haben, eine Stunde probiere ich was aus; etwa 3 Stunden mache ich irgendwas wie Surfen, Lesen, Emails, mit KollegInnen quatschen... alles jeweils verteilt über den Tag. Ab und an kommt auch eine der Teamleiterinnen vorbei und kontrolliert, was du machst. Dafür ist es ratsam, mal irgendwelches technisches Zeug aufzubauen - um dann doch zu surfen. Manchmal kommen sie auch und wollen dich "motivieren" oder maßregeln. Grundsätzlich gehen alle Calls erst an den ersten Level. Die Agents dort nehmen sie auf: Kundennummer, Gerätenummer... und qualifizierten sie: Welche Linie ist zuständig (Drucker, PCs, Notebooks...), welches Problem hat der Kunde (ganz grob). Das schreiben die in einen Datensatz, rufen unsere Linie an und werden von der ACD-Anlage an einen freien Agent bei uns durchgestellt. Wir nehmen den Call an und reden erstmal mit der oder dem vom ersten Level. Der oder die sagt uns die Bearbeitungsnummer des gerade angelegten Datensatzes und wir rufen den auf unserem PC auf. Manchmal gibt es noch einen kurzen Plausch, aber die im ersten Level haben eine Vorgabe von neunzig Sekunden, in denen sie den Fall aufnehmen und an uns loswerden müssen. Dann stellen sie den Call durch. Du hast grundsätzlich in der Call-Bearbeitungssoftware eine Inbox, in der alle Fälle verzeichnet sind, die du gerade bearbeitest und noch nicht geschlossen hast. Wenn du zum Beispiel einen Call bekommst und nicht gleich eine Lösung findest, bleibt der Fall in der Inbox. Wenn du am nächsten Tag eine Lösung hast, rufst du den Kunden an - oder er/sie dich - schaust, ob das Problem dann gelöst ist und schließt dann nach dem Anruf den Fall. Oder der Kunde muss erst selber was machen (Neuinstallation...) und ruft dann wieder an; solange lässt du den Fall offen. Manchmal kriegst du auch von denen vom Ressource Desk einen Fall zurück, die bei komplizierteren Fragen eine Lösung suchen, und rufst dann erst den Kunden an... Die Teamleiter haben die Kontrolle darüber, was bei dir in der Inbox ist (und schauen sich das über ihren Rechner auch regelmäßig mal an). Zurück zum Anruf: Wir stellen erstmal Nachfragen oder fangen schon mit der Erklärung an, was zu tun ist, um das Problem zu beheben: bestimmte Softwareeinstellungen, Hardware-Austausch, Neuinstallation... Wenn wir nicht weiter wissen, stellen wir den Kunden auf Musik und haben dann vier Möglichkeiten: a) wir schauen in unsere Unterlagen, b) wir suchen im Intra- oder Internet; c) wir fragen einen anderen Agent, d) wir gehen zum Ressource Desk (erfahrene Ex-Agents, die Nachfragen der Agents beantworten, verzwickte Fälle untersuchen). Alles kommt regelmäßig vor, allerdings nehmen die Gänge zum Ressource Desk mit der Erfahrung kontinuierlich ab. Wenn du eine Lösung hast, holst du den Kunden wieder in die Leitung (falls du ihn in die Warteschleife gestellt hast; das kann nach zwei oder nach zwanzig Minuten sein) und sagst ihm die Lösung oder was du dafür hältst. Oder du sagst, dass das nicht die Angelegenheit von uns ist und er oder sie woanders anrufen muss... Dann verabschiedest du dich und legst auf. Nachher musst du dann alles in den Datensatz des Kunden schreiben - was die AnruferIn wollte, was du gemacht hast, was die nächsten Schritte sind (zum Beispiel, weil die was einschicken müssen oder du was rausschicken sollst...). Dann klickst du noch diverse Buttons an, wenn was rausgehen soll und der Fall ist beendet. Outbound: Terminvereinbarung Telefonvertragverkauf Es ist entweder 7.45 oder 10.15 Uhr. Scheißegal, denn in beiden Fällen muss ich in einer Viertelstunde an die Arbeit. Erstmal zum Tisch, wo die Zettel mit den heutigen Arbeitsaufgaben liegen. Jeden Morgen die gleiche Suche nach meinem Namen. Wie immer ist der Zettel ganz unten. Auf den Zetteln wird jedem Agent ein Außendienstmitarbeiter zugeteilt, für den er heute telefonieren muss. Dann gibt's noch Zettel mit den Wiedervorlagen des jeweiligen Außendienstmitarbeiter. Die werden zuerst abtelefoniert. Vorher hole ich mir noch mein Kästchen, in dem Skripts und interne Infos liegen. Ich setze mich also auf meinen Platz. Fange ich um 8.00 Uhr an, ist die Chance auf einen Systemausfall am größten. Danach klappt meistens alles mit dem Anmelden. Ich melde mich also mit meiner User-ID an und gebe die Daten vom Zettel in eine bestimmte Maske ein. Der Computer spuckt dann die zu telefonierenden Adressen des Außendienstmitarbeiters aus, zum Beispiel 132. Dann wird bei eins losgelegt und telefoniert. Eigentlich haben wir einen Button, mit dem wir automatisch die Nummer wählen. Ist aber meistens kaputt. Deshalb wird von Hand gewählt. Die meisten Adressen werden sowieso zum bestimmt fünften Mal angerufen, deshalb steht dann da auch schon unser Ansprechpartner drin, das heißt, der, der Entscheidungen für Telekommunikation trifft. Reden dürfen wir so, wie wir wollen, Hauptsache wir telefonieren mit Erfolg. Natürlich gibt's ein paar altbewährte Redewendungen, die jeder anwendet, weil sie einfach funktionieren. Hauptsache ist, dass wir uns nicht sofort abwimmeln lassen: Es tutet und der Herr Müller ist sofort am Apparat: "Schönen Guten Tag, mein Name ist... aus dem Hause Blök-Line, bin ich richtig verbunden mit der Firma... auf der Strasse... (Adressqualifikation ist sehr wichtig, wird aber auch oft ausgelassen, ist halt ein blöder Gesprächseinstieg.) Herr Müller, sie entscheiden ja über Telekommunikation in Ihrem Hause? Wir hatten vor einigen Monaten schon miteinander telefoniert. Sie baten mich, zum jetzigen Zeitpunkt noch mal anzurufen. Haben sie Zeit, mir einige Fragen zu beantworten?" Der Kunde hat zwar noch überhaupt nicht verstanden, worum es geht, aber erstmal musst du deine Angaben kriegen: Wie hoch ist die Telefonrechnung, wer ist zuständig... Wenn er dir wieder keine Angaben machen wollte, denkste dir manchmal einfach welche aus. Wenn du keine Angaben bekommst, sieht das immer scheiße in der Statistik aus. Ich beende dann das Gespräch, das so circa drei Minuten dauert. Wenn was Wichtiges war, mache ich noch eine Notiz. Lag die Telefonrechnung bisher nur bei 300 DM, lege ich den Kunden nicht auf "Wiedervorlage", da er ohne Potential ist. Und schon ist der nächste dran. Wir dürfen eigentlich keine Adresse überspringen. Manchmal mache ich es aber, wenn wir zum Beispiel in der letzten Woche schon dreimal angerufen haben und die Sekretärin jedes Mal rumgebrüllt hat. Das muss ich mir dann ja nicht ein viertes Mal geben. Bei der nächsten Adresse ist die Sekretärin dran. Auch hier behaupte ich einfach, dass der Ansprechpartner meinen Anruf erwartet. Das ist die Kunst bei dem Job: Lass' dich nicht von der Sekretärin abwimmeln! Ist auch nicht gut für deine Quote. Ist sie drauf reingefallen und hat mich durchgestellt, beginnt wieder die Jagd um meine Angaben. Angenommen er hat Potential, dann tu ich erstmal so, als ob ich einen Augenblick nachdenken müsste um dann zu sagen: "Der Außendienstmitarbeiter Herr... ist nächste Woche in ihrer Nähe. Wann kann er denn mal für eine halbe Stunde vorbeikommen?" Meist klappt das Überfallkommando nicht, ist aber trotzdem die beste Möglichkeit Termine zu bekommen. Nach zwanzig bis dreißig Anrufen ist die erste Stunde rum. Zwischendurch motze ich kurz mit meiner Kollegin über die Kunden, aber immer nur circa dreißig Sekunden lang, dann wird wieder telefoniert. Nach einer Stunde kontrolliere ich meine Quote, die im unteren rechten Bildschirmrand steht (natürlich kontrolliere ich sie die ganze Zeit, aber nach einer Stunde, kann man schon mal messen, wo man heute so dran ist. 25 Anrufe, 7 Nettos (das heißt mit dem Ansprechpartner gesprochen), keinen Termin vereinbart. Ist okay. Ich gebe meiner Kollegin ein Zeichen und wir drücken auf die Pausentaste, rennen in den Pausenraum, ziehen uns eine Kippe rein, unterhalten uns kurz über die letzte Stunde und rennen wieder an unseren Platz. 4 Minuten und 34 Sekunden. Mann, waren wir wieder gut. Und weiter geht's: telefonieren und jede Stunde der Run in den Pausenraum. Outbound: Terminvereinbarung Rentenfondverkauf Arbeitsbeginn 9.00 Uhr. Das ist die Schicht der Hausfrauen und alleinerziehenden Mütter.... und auch meine. Erstmal hol ich mir mein Telefonbuch aus dem Schrank und suche verzweifelt die Seite, wo ich gestern aufgehört habe. Ich rufe Privatpersonen aus dem Telefonbuch an. Selber schuld, wenn die sich da reinschreiben lassen. Ich habe also das Telefonbuch von Langensalza, oder wie das Kaff heißt, vor mir liegen, und mein Skript, das die Mitarbeiter mehr oder weniger zusammen verfasst haben, an das sich aber auch keiner halten muss. Das Tolle ist, dass ein Telefonbuch so schön dick ist, und man auch gut manche Leute überspringen kann. Wir telefonieren für eine Firma, von der niemand etwas gehört hat, deren Name sich im Laufe der Aktion auch irgendwann mal geändert hat. Es geht um Terminvereinbarungen wegen irgendwelchen Rentenfonds. Das Blöde ist nur, dass keiner der Mitarbeiter irgendeinen Plan von der Scheiße hat. Wir haben auch kaum Infos bekommen, deshalb ist unsere Überzeugungskraft auch ziemlich gering. Derjenige am anderen Hörer hat meist viel mehr Plan, als man selber, weil er sich schon längst um seine Altersvorsorge gekümmert hat. Termine können nur mit Berufstätigen zwischen 20 und 45 Jahren vereinbart werden. Ich rufe also den ersten an: Rainer. Die so heißen, sind meist berufstätig, 35 und recht nett. Wahnsinn, was für Sympathie oder Antipathie man für Namen entwickelt. Ausländische Namen werden grundsätzlich übersprungen. Die Gefahr ist zu groß, dass wir uns nicht verstehen, und das kostet nur Zeit. Alle Adolfs und Alberts und Heinze oder Ottilie werden auch links liegen gelassen. Daniels und Sarahs sind meistens faule Studenten, und WGs lohnen sich auch nicht. Rainer und Volker, Sabine und Claudia, an die muss man sich halten, die kümmern sich um ihre Rente. Der erste ist an der Strippe, berufstätig und vierzig, na super. Jetzt muss ich ihm Angst machen, mit der neuen Gesetzgebung, und damit, dass er im Alter auf der Strasse sitzen könnte. Doch er ist Beamter. Die Nächste fragt erstmal zickig, wo ich ihre Nummer her habe (na aus dem Telefonbuch du dumme Kuh): "Also, sie haben irgendwann mal an einer Promotionsaktion teilgenommen." "Hab ich nicht!" "Müssen Sie wohl, sonst hätte ich doch gar nicht ihre Nummer..." Nach einer halben Stunde, wird sich erstmal zurückgelehnt, getrunken, gegessen und die Hausfrauen unterhalten sich über ihre Kinder und wie wichtig doch Altersvorsorge sei. Sie haben auch gleich schon einen Termin für sich selber vereinbart. Der Chef zahlt nämlich keinen Bonus oder so. Da gibt's Festgehalt, bar auf die Hand. Und bei 10 DM (bei längerer Betriebsangehörigkeit können das wohl auch 12 oder 14 DM sein) telefoniert man sich schließlich nicht die Ohren wund. Deshalb wird jede Stunde erstmal zehn Minuten gequatscht. Das Dolle ist, dass wir zu viert in einem kleinen Raum sitzen, immer zwei sich gegenüber, ohne irgendwelche Trennwände oder so. Wenn sich also zwei unterhalten, kannst du gar nicht mehr telefonieren, weil die Geräuschkulisse einfach zu krass ist. Bist sozusagen zur Pause gezwungen. Nach zwei Stunden wird im Hof eine Rauchen gegangen. Das wird auch immer brav in die Pausenliste eingetragen. Man ist meist unter sich, denn Teamleiter gibt's bei dem Betrieb zu dieser Zeit nicht. Es hört sich zwar lau an, doch es sind trotzdem circa zwanzig Calls in der Stunde, die Gespräche sind tierisch uninteressant, und die Hausfrauen eigentlich auch. Deshalb gehen sechs Stunden echt beschissen langsam rum... Offizielle zusätzliche Aufgaben In den oben angeführten Beispielen beschreiben wir die Arbeitsschritte im Idealfall, das heißt, wenn genug Leute anrufen und die ArbeiterInnen gut ausgelastet sind. Das ist nicht immer der Fall, aber es gibt ja zum Glück noch diverse andere Arbeiten, die man(agement) den ArbeiterInnen aufs Auge oder in die Hand drücken kann. Zum Beispiel: Wir übernehmen im Grunde noch Sekretärinnenarbeiten, also wir tippen die offenen Fragen ab (...) Insofern müssen die Texte natürlich alle auf Englisch übersetzt werden, das übernehmen wir auch (...). Diese Übersetzungen wurden am Anfang von speziell engagierten Übersetzern gemacht, das ist mittlerweile nicht mehr so, weil es scheinbar so einfacher ist. [Sofres, Paris, 2000] Am Anfang war nur die Rede von Überweisungen, Daueraufträgen usw. und Informationen weitergeben. Dann ging es plötzlich auch um Börsenorder. Später sind dann alle Anrufe bei der technischen Hotline zu uns gestellt worden, und wir sollten Kreditangebote machen. So kamen immer mehr Sachen dazu. [Deutsche Bank 24, Duisburg, 2000] Das ist ein wenig zweischneidig [die Zusatzaufgaben zum Telefonieren]. Klar, du musst halt mehr arbeiten, aber gleichzeitig bedeutet es für dich eine Menge Abwechslung. Manchmal bist du schon froh, wenn du einen Beschwerdezettel schreiben oder Pakete für den Versand fertig machen kannst. [Client Logic, Duisburg, 2000] Inoffizielle zusätzliche Aufgaben Neben den offiziellen Arbeitsschritten entstehen durch die ausgedehnte Arbeitsteilung viele inoffizielle Zusatzarbeiten, die Stress bedeuten und ohne die der Laden nicht laufen würde. Der kapitalistische Produktionsprozess erlaubt keine wirkliche und gemeinsame Koordination der ArbeiterInnen. Diese müssen über Trennwände und Abteilungs- und Betriebsgrenzen hinweg zusammenarbeiten. Diese "künstlichen" Trennungen sollen den Zusammenhang der ArbeiterInnen verschleiern, ihre tägliche Kooperation, die auch die Möglichkeit bietet, die Kapitalisten los zu werden und die Produktion selbst (anders) zu organisieren. Durch die "getrennte Zusammenarbeit" entsteht viel Chaos, das durch die zusätzlichen Arbeiten ausgeglichen werden muss. Als vereinzelte ArbeiterIn erleben wir diesen Widerspruch als "ineffektive Arbeitsorganisation" und unfähiges Management. Nur wenn wir uns die Gesamtheit ansehen, können wir erkennen, dass diese Probleme aus der kapitalistischen Produktionsweise entstehen.[70] Diese inoffiziellen Aufgaben bestehen unter anderem aus dem ständigen Besorgen von Infos, in der Improvisation beim Abdecken der Service-Lücken und Lieferschwierigkeiten, im Rausreden bei Unwissenheit oder fehlenden Informationen, im Ausgleich und der Behebung von Software- Problemen... 5.5 Zusammenarbeit - Von der produktiven zur subversiven Kooperation Wie schon angedeutet weitet das Kapital die Arbeitsteilung aus, um die Arbeit produktiver organisieren zu können: In den Großfabriken werden ArbeiterInnen entlassen, die Arbeit wird an Zulieferbetriebe ausgelagert, die durch einen ausgeweiteten Transport und Verwaltungsapparat miteinander verbunden werden... Darin liegt für das Kapital aber nur ein scheinbarer Ausweg aus der Misere und zugleich seine größte Bedrohung: Es bringt mehr ArbeiterInnen in eine gegenseitige Abhängigkeit voneinander, die diese in Zeiten der Auseinandersetzung gegen das kapitalistische Kommando wenden können. Wer zusammenarbeitet und dafür miteinander kommunizieren muss, kann dies auch zur Grundlage für die Organisierung des eigenen Kampfes machen. Ein Hauptanliegen der Vertreter des Kapitals ist daher, mit verschiedenen Mitteln (Technologie, Hierarchie...) diese ausgedehnte Zusammenarbeit auf der einen Seite zu verschleiern, auf der anderen Seite den flüssigen Arbeitsprozess nicht zu gefährden. Verdammtes Problem für sie! Aber es finden sich auch immer Ideologen, die ihnen dabei zur Hand gehen, nicht zuletzt eine (gewerkschaftliche) Linke, die stets auf der Isolation am Arbeitsplatz rumreitet und die Totalität der technologischen Überwachung betont, anstatt den Scheiß zu hinterfragen und den Zusammenhang der "modernen" Arbeitsplätze aufzuzeigen. Die Konzentration und Zusammenarbeit von Angesicht zu Angesicht Erstmal deutet die bloße Existenz von Call Centern darauf hin, dass das Zusammenarbeiten von vielen ArbeiterInnen in einem Gebäude trotz aller damit verbundenen (subversiven) Gefahren für das Kapital immer noch produktiver ist, als jede noch so gut kontrollierte und isolierte HeimarbeiterIn. War die Tele- oder Computerheimarbeit in den achtziger Jahren noch beliebte Horrorvision, so sieht es jetzt mau damit aus. Call Center sind Zeichen dafür, dass trotz oder gerade wegen der Maschinen die direkte menschliche (und hierarchische) Zusammenarbeit zentral für die kapitalistische Verwertung bleibt. Fragt man einzelne ArbeiterInnen, ob sie mit anderen zusammenarbeiten, werden die meisten mit "nein" antworten. Offensichtlich wird die Kommunikation mit KollegInnen nicht als "Arbeit" begriffen. Aber die Gespräche untereinander sind notwendige Voraussetzung für den Arbeitsprozess und täglicher Bestandteil des sozialen Miteinander im Call Center. Direkte Zusammenarbeit gibt es mit denen, die um mich rumsitzen und denselben Job machen, sowie die vom Ressource Desk, weil ich mit denen über die Fälle quatsche und wir gemeinsam Lösungen finden, uns Fälle weitergeben oder die Arbeit verfluchen. [Hewlett Packard, Amsterdam, 2000] Es ist die einfachste Sache der Welt, die KollegIn nebenan zu fragen, ob sie etwas weiß, was dir entgangen ist, ob sie Sachen verstanden hat, bei denen du nicht zugehört hast und ob sie Kniffe kennt, die du noch nicht entdeckt hast. Und so vielfältig ist diese Kommunikation auch. Genauso notwendig für die Arbeit im direkten Sinne, also entweder eine Form von Informationsbeschaffung oder auch eine Form die Arbeit weiterzureichen. [Medion, Mülheim, 2000] Es gibt eher eine informelle Kooperation, wo sich die KollegInnen absprechen, was neu ins Netz gekommen ist, wie zum Beispiel Euro Warentest. Es ist oft so, dass Neukunden nicht angekündigt sind und du sie einfach auf den Bildschirm bekommst, da ist es wichtig, dass es so eine informelle Kooperation gibt. [Client Logic, Duisburg, 2000] Zusammenarbeit über das Telefon Ein Teil der Kooperation läuft über das Telefon.[71] Im Call Center geht es dabei vor allem um das Weiterreichen von AnruferInnen und das Abfragen von Informationen. Bei der DB24 gab es die Zusammenarbeit, wenn du Kunden ins Backoffice weitergestellt hast, weil die spezielle Anliegen hatten (größere Kredite). Du hast dann da angerufen, kurz mit denen gequatscht und dann den Kunden weitergereicht. Oder du konntest eine Kundenfrage nicht beantworten. Dann hast du auch da angerufen und bei denen nachgefragt. [Deutsche Bank 24, Duisburg, 2000] Bei HP hatten wir immer erst den ersten Level an der Strippe, der angesagt hat, was für ein Kunde dran ist und was der für eine Kiste hat. HP hat mal versucht, das über IVR und CTI zu machen, aber dabei waren die technischen Probleme und das Kundengenörgel zu groß und es wurde wieder abgeschafft und "konventionell" gemacht. [Hewlett Packard, Amsterdam, 2000] Manchmal muss ich Sachen hinterher telefonieren, wenn zum Beispiel nicht klar ist, wo das Laptop nun abgeblieben ist. Dann rufe ich erst in der Werkstatt an, dann in der Reklamationsabteilung, später vielleicht noch beim Paketdienst der Post. [Medion, Mülheim, 2000] Letztens haben wir wieder eine neue Aufgabe bekommen. Der Zweigstelle wurde diese Aufgabe weggenommen: die sogenannten Umfinanzierungen. Wollen die Zweigstellen jetzt eine Umfinanzierung machen, müssen sie bei uns anrufen und wir prüfen das. Genehmigen müssen die Zweigstellenmitarbeiter sich das dann aber selber. Die sind natürlich stinkig, weil das alles komplizierter macht. Sie lesen sich die Arbeitsanweisungen dann nicht richtig durch und rufen uns an, um sich das erklären zu lassen. [Citibank, Duisburg, 2000] Zusammenarbeit über andere (elektronische) Wege Eine weitere Form der Zusammenarbeit passiert auf abstrakterer Ebene. Dabei haben wir es oft nicht mit einer konkreten Person zu tun, wenn wir zum Beispiel Infos weiterverarbeiten, die irgendeine andere ArbeiterIn in die Datenbank eingegeben hat, oder telefonisch einen Termin mit einem Anrufer vereinbaren, den dann ein Außendienstmitarbeiter oder jemand in der Filiale wahrnehmen muss. Oft bekommt mensch erst dann von "der anderen Person" zu hören, wenn irgendwas schief läuft, zum Beispiel wenn zwanzig Leute zur gleichen Zeit in der Filiale erscheinen oder die Plastikverkleidung für die Suzuki doch nicht an das Vereinshaus der Hells Angels geliefert werden sollte. Solche "kleinen" Störungen zeigen uns, dass wir nicht mit dem Computer zusammenarbeiten, sondern mit realen Menschen, die der Job oft genauso nervt, wie uns selbst. Im Fall einer Computer-Hotline ist die weitergehende Kooperation offensichtlich: Die Computerkomponenten werden in Malaysia, Indonesien oder China hergestellt, nach Ostdeutschland, Polen oder in die Tschechische Republik transportiert, dort zu einem Computersystem zusammenmontiert, in die Läden gebracht, gekauft und schließlich supportet. Die Call Center-ArbeiterIn stellt am Telefon fest, dass das CD-Laufwerk defekt ist, der Kunde schickt es zur sogenannten Herstellerfirma und bekommt ein neues CD-Laufwerk. In der Werkstatt kann man keinen Fehler feststellen, und das möglicherweise defekte Laufwerk kommt über Billiganbieter erneut in den Verkauf, wo es dann die Endlosschleife antritt oder auf dem Flohmarkt in Gelsenkirchen oder Mombasa landet. Vielleicht bekommt der Kunde aber auch kein neues CD-Laufwerk, weil die Hafenarbeiter in Singapur streiken, oder die Call Center-ArbeiterIn vergisst, den entsprechenden Button anzuklicken. Dann wird der Kunde früher oder später in der Reklamationsabteilung landen und vorher natürlich bei mehreren Anrufen von unterschiedlichen Call Center-ArbeiterInnen vertröstet oder belogen. 5.6 Maschinerie - Never mind the Call Master Die Zerlegung von Arbeitsabläufen in einzelne Arbeitsschritte und die Verteilung dieser Arbeitsschritte auf einzelne ArbeiterInnen ist Grundlage dafür, dass Maschinen ins Spiel kommen. Die Zerteilung der Arbeit im Büro hat vor der Herausbildung von Call Centern stattgefunden: Erst wurden die Schreibtische der Angestellten durchforstet, deren Papierdschungel katalogisiert; dann wurde das Rechnungswesen standardisiert, bis alles soweit verdaulich war, dass es in Nullen und Einsen abzuspeichern war. Aber allein die Tatsache, dass etwas auf einem Computer gespeichert ist und eine ArbeiterIn darauf zugreifen kann, unterwirft sie ja noch nicht zwangsläufig einem bestimmten Arbeitsrhythmus oder dem Diktat einer genauen Abfolge von Arbeitsschritten. Auch dann nicht, wenn sie nebenbei noch telefonieren muss. Was ist es also, das dieses Gefühl erzeugt, das viele ArbeiterInnen im Call Center beschreiben: "Ich krieg hier Anrufe wie am Fließband, eine Computermaske nach der anderen kommt angepoppt, und das saugt mich aus"? Wie entsteht dieses Gefühl, wenn doch ein Telefon und ein Computer an sich genommen noch nichts Bedrohliches haben? Um das zu klären, müssen wir den ganzen Apparat in seine Einzelteile zerlegen, um zu sehen, wie diese im Zusammenspiel zur Maschinerie werden. Am Anfang war die Standardisierung Das Problem des Managements besteht darin, dass sie komplexere Arbeitsabläufe oft nicht genau genug durchschauen und die Arbeitsverausgabung nicht messen, kontrollieren und letztendlich steigern können. Sie müssen zusehen, dass sie diese komplexeren Abläufe in überschaubarere Einzelschritte teilen. Das lief beim Übergang von Handwerkern zu FabrikarbeiterInnen so; das ist im Call Center nicht anders, auch wenn hier anstatt Metall oder Holz KundInnenfälle bearbeitet werden. In Call Centern sind es nicht Bewegungen, die analysiert werden, sondern Gesprächsabläufe und Dateneintragungen, die dann standardisiert werden. Denn wenn jedeR frei nach Schnauze reden würde, ließen sich "Arbeitsleistungen" schlecht vergleichen. So kann dann das eine Team, mit den erforderlichen zwanzig Anrufen pro Stunde und Arbeiterin, gegen das andere Team gestellt werden, welches die Vorgabe nicht geschafft hat. Damit werden Kontrollmaßnahmen legitimiert. Diese Standardisierung ist zunächst nicht an besonders hochentwickelte Technologien gebunden: In manchen Call Centern finden wir noch heute Bleistift und Papier statt Computern, vor allem im Outbound. Dort sind den ArbeiterInnen bestimmte Begrüßungsformeln, Verkaufsgesprächsphrasen, Deeskalationshilfen und Fragelisten vorgegeben. Hier ein paar Beispiele zu Skripten und Standardformulierungen:[72] Outbound Um acht Uhr muss ich an meinem Platz sitzen, mit all meinen Unterlagen, und den Hörer griffbereit für den ersten Call haben. Einen Computer hab ich nicht. Dann muss ich den wenigstens nicht einschalten, hat ja auch was Positives. Die Teamleiterin kommt mit einem Stapel Zettel vorbei. Kann man sich wie so kopierte Blätter aus den gelben Seiten vorstellen, sortiert nach verschiedenen Branchen. Du kannst dir jetzt aussuchen, ob du lieber versuchen willst, einem Tischler oder einem Immobilienmakler ein Zeitschriften-Abo anzudrehen. Jeder hat da so seine Favoriten. Dann werden die Zettel von oben nach unten durchtelefoniert, und nach jedem Call mache ich mir hinter die Adresse ein Zeichen, damit ich weiß, ob ich da noch mal anrufen muss. Jeder hat da seine eigene Methode, denn die Zettel behält man zur eigenen Wiedervorlage, bis endgültig alle auf dem Zettel erreicht wurden. Nachher verliert man sowieso den Überblick, mit den untereinandergequetschten Adressen und den eigenen Notizen. Neben den Adresszetteln ist das Skript das Wichtigste. Das tolle an dem Job ist nämlich, das du nicht nur nicht eigenständig denken sollst, nein, du sollst auch nicht eigenständig formulieren. Ein Gespräch soll zu neunzig Prozent aus dem vorformulierten Skript bestehen. Dabei sind nicht nur die Wörter vorformuliert, sondern auch die Betonungen, Hebungen und Senkungen der Stimme. Nach zwei Stunden haben alle zusammen dann eine Viertelstunde Pause, die auch nicht mit einer Minute überschritten werden darf. Nach der Schicht fühlst du dich wirklich nur noch wie eine Maschine die hundertmal den gleichen Text runtergeleiert hat. [Aboverkauf, Essen, 2001] Inbound Alles fing im Sommer diesen Jahres an. Bis dahin war uns freigestellt, wie wir mit den KundInnen reden. Doch dann kamen die Standardformulierungen und das Grauen nahm seinen Lauf. Erst kriegten wir eine freundliche Arbeitsanweisung, doch als die Geschäftsleitung merkte, dass wir trotzdem reden, wie es uns passt, fingen sie an uns zu testen und Druck zu machen. Jetzt bekommen wir täglich interne Kontrollanrufe und die Geschäftsleitung drohte mit Abmahnung wegen Verweigerung [besser: Missachtung] von Arbeitsanweisungen. [hotlines-Flugblatt zu Quelle, November 2000] Vom Papier zum Computer Die Standardisierung von Gesprächen und Datensammlung bildet eine Grundlage für die Kontrolle und die Intensivierung von Arbeitsverausgabung. Sie lässt den ArbeiterInnen aber noch Freiräume: Fragebögen gehen in der Zettelwirtschaft verloren, es dauert mal etwas länger, bis bestimmte Infos im Schnellhefter gefunden werden... Hier bedeutet die Einführung von Computern, dass das Papier weitgehend vom Tisch verschwindet und die ArbeiterIn durch eine bestimmte Software und Computermaske dazu gebracht wird, wirklich den Arbeitsschritten zu folgen. Zum Beispiel muss sie dann Einträge in einer bestimmten Reihenfolge machen, weil sie sonst im Software-Programm nicht weiter kommt. Auch lässt sich nun leichter kontrollieren, wie lange eine Call Center- ArbeiterIn für bestimmte Einträge braucht, weil diese Zeiten automatisch und elektronisch gespeichert werden. Der Computer schreibt dir genau vor, wie du die Zahlen eingeben musst. Erst die Kontonummer, dann anklicken, ob Überweisung, Dauerauftrag oder was auch immer. Dann bei Überweisung die Kontonummer des anderen Kontos usw. Wenn du einen Button falsch geklickt oder was vergessen hast, kommt eine Fehlermeldung. Oder es passiert einfach gar nichts. [Deutsche Bank 24, Duisburg, 2000] Wir haben ein uraltes Programm, das so nach DOS aussieht. Du musst es mit Tastenkombinationen bedienen, also etwa "F7" für Speichern oder so. Alle Eingaben musst du in der vorgegebenen Reihenfolge machen. Wenn du was auslässt, kommst du nicht weiter... oder das Programm stürzt ab. Es gibt aber auch Tricks, die du nach ein paar Wochen Arbeit raus hast. Wenn dir zum Beispiel Infos fehlen, gibst du einfach Nullen in Zahlenfelder und irgendwelche Buchstaben in Textfelder ein. [Fiat, Milano, 2002] Direkt beim Telefonieren gibt es keinen, der oder die sagt, was du tun sollst. Der Computer holt dir die Infos zu den Kunden, die anrufen. Wenn du eine falsche Taste drückst, sagt er "Falsche Taste" usw. Der Computer gibt dir Hinweise... [Client Logic, Duisburg, 2000] Die Verbindung von Computer und Telefon Bis zu diesem Punkt wird der Computer in erster Linie eingesetzt, um die im Telefongespräch benötigten oder entstandenen Infos zu liefern und aufzunehmen. Das geht schneller als mit Papier, was schon eine Arbeitsintensivierung ermöglicht. Diese wird dann eher durch persönliche Kontrolle, als durch die Technologie selbst erzwungen. Eine qualitative Änderung findet erst an dem Punkt statt, wo Computer und Telefon miteinander verbunden werden. Erst dies befähigt die VertreterInnen des Kapitals, den ArbeiterInnen die Kontrolle über die Arbeitsschritte zu nehmen, die vor und nach dem Telefonat stattfinden: Rufnummer wählen oder Gespräch annehmen, passende Daten zum Kunden raussuchen, Auflegen, Nacharbeit... Auch die Länge der Gespräche oder die Zeit zwischen Klingeln und Annahme eines Calls können automatisch ermittelt und verglichen werden. Diese Verbindung von Computer und Telefon läuft auf drei Ebenen: Verbindung aller Arbeitsplätze mit zentraler, computergesteuerter Telefonanlage (ACD) Die ACD-Anlage (Automatic Call Distribution) nimmt im Inbound alle eingehenden Anrufe an und verteilt sie auf die ArbeiterInnen, die sich eingeloggt haben. Jede ArbeiterIn hat ein Profil, das angibt, welche Anrufe sie bearbeiten kann. Zudem registriert die ACD-Anlage, welche ArbeiterIn wann welche und wie viele Calls bekommen hat. Bei einem Anruf aus England zu einem Computerprodukt X ermittelt sie also, wer Englisch sprechen kann, wer dieses Produkt X supportet und wer an der Reihe ist oder länger keinen Call hatte. Manche Anlagen sind auch so eingestellt, dass einfach der erste "freie Agent", den Call zugestellt bekommt. Falls alle ArbeiterInnen gerade telefonieren oder Pause machen, stellt die ACD-Anlage den Call in die Warteschleife, wo er solange bleibt, bis der Anrufer auflegt oder eine ArbeiterIn wieder "bereit" ist. In vielen Call Centern wird darüber hinaus jeder Arbeitsschritt am Telefon registriert - Annahme des Calls, Dauer des Gesprächs... - und die ArbeiterIn muss am Callmaster, einer Art Telefon mit einer Fülle von Tasten, für jede Art Pause eine Taste drücken: offizielle Pause, aufs Klo, Training, Nacharbeit. Wenn sie wieder am Telefon hängt, muss sie die Bereit-Taste drücken.[73] Sobald ein Call an eine ArbeiterIn vermittelt wurde, gibt es zwei Möglichkeiten: * In vielen Call Centern muss sie ihn mittels Tastendruck annehmen, um ihn auf dem Headset zu haben. Nimmt sie ihn nicht innerhalb einer gewissen Zeit an, wird der Anruf zur nächsten "freien AgentIn" weitergeleitet. Auf der persönlichen Statistik, die die ACD-Anlage für jede ArbeiterIn erstellt, erscheint dann der Vermerk, dass ein Call nicht angenommen wurde. Dieses "Annehmen" der Anrufe gibt den ArbeiterInnen noch eine gewisse Kontrolle. Sie können es öfter mal "durchklingeln" lassen oder für andere KollegInnen mehrere Telefone beobachten, während diese Pause machen. * In anderen Call Centern werden die Calls deswegen direkt auf das Headset gestellt (direct-to- ear). Es klingelt kurz in der Leitung oder eine digitale Stimme sagt, dass zum Beispiel jemand auf der Infoline anruft. Die ArbeiterInnen müssen also den ganzen Tag das Headset auf dem Kopf haben oder sich immer abmelden, wenn sie mal plauschen oder aufs Klo wollen. Die ACD-Anlage bestimmt auf Basis der eingehenden Anrufe den Arbeitsrhythmus und ist oberstes Kontrollinstrument. Sie gibt alle Daten her, Pausenzeiten, Nacharbeit, "verpasste" Calls, durchschnittliche Dauer der Gespräche, Zahl interner oder externer Telefonate. Für die Call Center-Betreiber sind diese Daten in mehrerer Hinsicht wichtig: * Aufgrund der Daten versuchen sie die Schichtpläne zu machen. Wann sind Anrufspitzen, wann ruft kein Schwein an? Wie viele ArbeiterInnen brauche ich dann, wenn pro Stunde zweihundert Leute anrufen, ein Call drei und die Nacharbeit eine Minute dauert? Das klappt natürlich nicht richtig, weil eine genaue Vorhersage der Anrufzahl und -dauer nicht möglich ist. * Sie stellen die gesammelten Daten als "objektive" Größen dar, um die ArbeiterInnen anzutreiben und einzeln oder auf Team-Ebene gegeneinander auszuspielen. Dazu werden aufgrund der ACD- Daten willkürliche Kennziffern erfunden, wie der Service-Level, der angibt, wie viele Calls zum Beispiel weniger als drei Minuten in der Warteschleife waren. Bei Hewlett Packard hängen in einigen Abteilungen jeden Tag die ACD-Statistiken für einzelne ArbeiterInnen und Teams mit Namen und Rangfolge aus. Bei TAS gibt es die Daten täglich auf dem Bildschirm und bei der Citibank wird die Liste auf einer Computerscreen am Eingang gezeigt. Hier noch ein Beispiel: Zuerst sind uns die Daten vom ACD am Arsch vorbeigegangen. Wir können zwar unsere Pausenzeiten am Telefon kontrollieren, aber so ernst haben wir das nicht genommen. Doch dann hat sich die Call Center-Leitung ein Prämienmodell ausgedacht. Es ist etwas lustig. Offiziell haben sie zugegeben, dass zu viele Leute zu oft zu spät kommen und auch ihre Pausen nicht einhalten. Normalerweise würde das mit einem Teamleiter-Gespräch geahndet werden, aber das ist ihnen vielleicht zu viel Aufwand. Auf jeden Fall werden jetzt die "Skills" bewertet. Es gibt sogenannte harte Skills und softe. Für die harten Skills wird der ACD wichtig, auf jeden Fall ist klar, dass sie den ganzen Müll jetzt auswerten. Also bekommen wir einmal im Monat ein Schreiben in dem uns mitgeteilt wird, ob wir die Prämie bekommen haben oder nicht. Unsere Daten müssen unter einem bestimmten Durchschnitt liegen. Sie listen die einzelnen Daten auch auf: wie lange du angemeldet warst, wie viele Calls du hattest, wie viele Einträge du im Programm gemacht hast, wie lange deine Durchschnittscallzeit war, wieviel Zeit du für Nacharbeit gebraucht hast und natürlich die Pausenzeiten. Vielleicht ist es ja mal wichtig zu wissen, dass du im Monat vierzehn Stunden, zwölf Minuten und acht Sekunden auf dem Klo verbracht hast. Zuerst hatte dieser Schlag die Stimmung ziemlich verändert, plötzlich haben alle aufgepasst, dass sie nicht mehr zu spät kommen, wie lange sie Pause machen und dass sie immer ordentlich Einträge im Programm machen. Alle haben angefangen, die Daten untereinander zu vergleichen. Aber inzwischen hat sich das alles wieder beruhigt. Und der ACD nervt uns konkret nur dann, wenn der Teamleiter davor hängt und 23 Sekunden später bei dir steht und rumjammert, dass dein Call zu lange dauert oder dich sucht, weil du genau die Person bist, die zu viel auf Pause steht... [Medion, Mülheim, 2001] Verbindung von PC, Netzwerk und Telefon der einzelnen ArbeiterIn (CTI) In allen Call Centern, die Computer einsetzen, wird mit Datenbank-Software gearbeitet, die der Kundenregistrierung und der Nachhaltung von bearbeiteten Fällen dient. Bei Einsatz von ACD kommt ein Call bei der ArbeiterIn an, die fragt dann nach der Kunden- oder Bearbeitungsnummer, gibt das in eine Software-Maske der Datenbank ein und kriegt die entsprechenden Daten auf den Bildschirm. Da hier viel Zeit verloren gehen kann - und viele Call Center-ArbeiterInnen lassen sich auch Zeit damit - haben sich die Schergen was ausgedacht: Beim CTI (Computer Telephony Integration) wird die Telefonnummer der AnruferIn mit der Kundendatenbank abgeglichen. Der gefundene Datensatz wird dann automatisch auf den Bildschirm der ArbeiterIn geschickt, die den Call von der ACD-Anlage bekommen hat. Bei ihr kommen also Anruf und Datensatz gleichzeitig an.[74] Funktioniert dieser Prozess - und er funktioniert längst nicht immer - kann darüber das Arbeitstempo erheblich hochgesetzt werden. Automatisches Anwählen (Power- oder Predictive-Dialer) Beim Outbound rufen die ArbeiterInnen nacheinander Leute an, um ihnen was anzudrehen oder sie auszuquetschen. Dabei greifen sie auf bereits bestehende Kundenkarteien oder einfach auf das Telefonbuch zurück. Zum Teil läuft das noch über Papier und Bleistift. Aber es gibt auch Call Center, die versuchen, jede Sekunde rauszuholen und die ArbeiterInnen ständig an der Strippe zu halten. Bei Power- oder Predictive-Dialern sucht eine Software automatisch die Telefonnummern der anzurufenden KundInnen aus einer Datenbank raus und ruft sie an. Sobald die Anlage wählt, zum Teil auch erst, wenn die KundIn den Hörer abnimmt, wird der Call über die ACD-Anlage an einen "freien Agent" durchgestellt. In manchen Call Centern wird anhand von Anrufstatistiken festgestellt, wie viele Leute durchschnittlich zum Beispiel um 19 Uhr zuhause sind. Dann wird hochgerechnet, wie viele von diesen Leuten um diese Zeit schon telefonieren und deswegen nicht erreichbar sind. Nehmen wir an, dass von zweihundert Leuten hundert zu Hause sind, davon aber durchschnittlich zwanzig Prozent gerade telefonieren. Und nehmen wir an, dass im Call Center hundert ArbeiterInnen an den Telefonen hängen. Dann ruft der Power-Dialer gleichzeitig etwa 240 Leute an - die Hälfte ist ja nicht erreichbar, zwanzig Prozent sind besetzt - und stellt über die ACD-Anlage die restlichen, angenommenen Gespräche an die ArbeiterInnen durch.[75] Während fast alle Call Center ACD-Anlagen einsetzen, finden sich CTI und Power-Dialer in wesentlich wenigeren. Erst ab einer bestimmten Anzahl von ArbeiterInnen und Anrufen lohnt sich deren Einsatz. Zudem haben wir beobachtet, dass die Technologie zuweilen hakt, abstürzt, Chaos produziert... Den ArbeiterInnen tritt schon die ACD-Anlage im Zusammenhang mit dem Telefon und PC als Maschinerie gegenüber, weil sie auf Grundlage der Anrufe den Arbeitsrhythmus bestimmt. Die Anrufe kommen rein, die Maschinerie zwingt die ArbeiterInnen, sie anzunehmen. Als ArbeiterIn siehst du dich schnell im Kampf gegen den Rhythmus, gegen das pausenlose Telefonieren, und musst dir Mittel und Wege einfallen lassen, die Maschinerie zu überlisten. Bei Einsatz von direct- to-ear, CTI oder Power-Dialer findet dieser Kampf noch mal auf anderer Ebene statt. Bei der Deutschen Bank 24 kriegst du die Anrufe gleich aufs Headset und die Daten auf den Bildschirm. Es ist voll nervig, wenn du die Anrufe gleich im Ohr hast. Du musst ständig auf der Hut sein, kannst nicht noch mal durchatmen. Das Telefon diktiert dir, wann und wie du die Anrufe annimmst. [Deutsche Bank 24, Duisburg, 2000] Ich mache drei verschiedene Kundenlinien. Erst durch die Ansage im Telefon kriege ich mit, welcher Anruf reinkommt. Eine digitale Stimme sagt was von "Ersatzteile" oder "Garantiefall". Ich muss dann gleich meinen Begrüßungsspruch ablassen, weil der Kunde sofort in der Leitung ist. Das kommt irgendwann automatisch. Du hörst die Stimme und sagst den Spruch, ohne Nachdenken. Du machst dann den Anruf fertig, legst auf... und wieder die Stimme, Spruch, Anruf bearbeiten, Auflegen... [Fiat, Milano, 2002] Sprachcomputer Wo die Freundlichkeit, das Lächeln am Telefon, nicht entscheidender Bestandteil der Ware Telefondienstleistung ist, versuchen die Kapitalisten die Arbeitskraft ganz zu ersetzen. Auf der Grundlage von Standardisierung und Computereinsatz experimentieren die Unternehmensleitungen in einigen Bereichen mit der Einführung von Sprachcomputern (Interactive Voice Response, IVR). Besonders da, wo die Standardisierung besonders fortgeschritten ist und Unternehmen im Inbound ihre Kundenqualifizierung und die eigentliche Telefondienstleistung auf zwei Levels verteilt haben, wird versucht, das einfache Abfragen von Kundendaten im ersten Level durch automatische Anlagen zu ersetzen.[76] Ebenso bei Banken, wo die Kundenqualifizierung aufgrund von Datenschutz und möglichem Missbrauch besonders hoch ist. Hier ein Beispiel: Bei der DB24 klingelt es im Headset, dann öffnet sich auf dem Bildschirm ein Fenster, wo der Name und die anderen Daten des Kunden erscheinen. Du lässt dann deinen Begrüßungsspruch los und falls die Person nicht noch einmal ihren Namen sagt, fragst du, wer da spricht. Das klappt vielleicht zu achtzig Prozent. Bei den anderen haut das mit dem IVR nicht hin, weil sie dem per Stimme oder Tasteneingabe ihre Konto- und ihre Geheimnummer geben müssen, um dann per ACD/CTI zu uns durchgestellt zu werden. Etliche AnruferInnen sind auch genervt vom IVR, weil sie das grundsätzlich scheiße finden, mit einer Maschine zu reden, oder weil der ihre Eingaben nicht akzeptiert hat und immer wieder nach ihren Nummern fragt. Die sülzen uns dann voll... Einige haben sich auch drauf verlegt, gleich falsche Eingaben zu machen, um direkt bei uns zu landen. [Deutsche Bank 24, Duisburg, 2000] Dass die Einführung von Sprachcomputern für einfache Aufgaben bisher nicht flächendeckender passiert, liegt weniger an der umwerfenden Freundlichkeit der ArbeiterInnen, die Sprachcomputer noch nicht simulieren können, sondern am weiter bestehenden Unwissen der Kapitalisten über den Arbeitsablauf und unvorhersehbare Komplikationen. Bei der Citibank mussten die ArbeiterInnen während jedes Calls bestimmte Infos festhalten, die für die Einführung von Sprachcomputern wichtig sind: Hat der Kunde einen Sprachfehler? Spricht er hessisch? Stellt er unerwartete Fragen? Verhält er sich sonst irgendwie maschinenungerecht? Sie wollen für alle repetitiven Tätigkeiten, wie das Abnehmen von Wertpapierordern, Überweisungen und Daueraufträgen sowie Kursabfragen ("Wie viel kostet dieses Wertpapier?") Sprachcomputer einführen. Anscheinend haben sie aber noch gar nicht die Technik dafür. Auch der bisherige Sprachcomputer (Kontenstände ansagen) ist nicht sonderlich ausgereift, denn bei bestimmten Anruferzahlen bricht er zusammen. Anfang der Woche haben sie dann diesen Sprachcomputer vor alle Anrufe geschaltet, die uns gelten (bisher gab es eine separate Nummer für den Sprachcomputer). Das war ein Schuss in den Ofen. Die konnten wegen des Sprachcomputers die Leitungen nicht mehr dichtmachen, als das Anrufaufkommen zu groß wurde. Daher sind seit dem oft rund 140 Leute in der Warteschleife, vorher waren es nie mehr als 60. Alle meckern, aber keiner zieht an den Steckern... [Citibank, Duisburg, 2000] Bis jetzt haben die Sprachcomputer also noch nicht zu dem "rationalisierenden" Erfolg geführt, der vor allem von Gewerkschaftsseite angekündigt wurde. Die haben schon vor Jahren angekündigt, dass zigtausend Call Center-Jobs durch die Sprachcomputer wegfallen werden. Wie schon in den Achtzigern mit dem Bild der "menschenleeren Autofabrik", wird hier das Wissen und die Macht der Unternehmer überschätzt und damit auch bei den ArbeiterInnen das Gefühl der Machtlosigkeit und Ersetzbarkeit verstärkt. Verhältnis Mensch / Maschine Die kontrollierende und rationalisierende Funktion der Maschinen ist nur eine Seite. So sehr die Unternehmer auch versuchen, die ArbeiterInnen durch Einführung neuer Technologien zu entmachten und zu intensiverer Arbeit zu zwingen, so kommen sie nicht aus dem Widerspruch heraus, dass die Maschinen das bleiben, was sie (auch) sind: Arbeitsinstrumente. Will sagen: Es sind letztendlich die ArbeiterInnen, die den Maschinen "Leben einhauchen", die sie produktiv werden lassen. Welches Verhältnis entwickeln die ArbeiterInnen zu den Maschinen, zu dem Widerspruch, dass sie Arbeitsinstrument und gleichzeitig Mittel zu ihrer verschärften Ausbeutung sind? Eine Attraktivität der Arbeit im Call Center liegt darin, dass mensch mit diesen modernen Geräten zu tun hat. Computer sind im Privaten momentan hipper als Blutdruckmessgeräte oder Blechstanzen. Was verändert sich, wenn mensch jetzt plötzlich "auf Arbeit" im Internet surfen oder telefonieren muss? Hier einige Beispiele: Viele fluchen ständig rum, weil die Software langsam ist, hängen bleibt, vorübergehend ganz ausfällt usw. Du hast einen Kunden am Ohr, kannst aber nichts für den machen, weil du keine Infos bekommen hast. Das wird dann dem "blöden Computer" zugeschoben, aber auch Fiat, weil die keine besseren Kisten oder bessere Software einsetzen. Ausgleichen kannst du da nicht viel, weil der Computer meist die einzige Quelle von Infos ist. Die Kunden nölen rum, aber das bist du da sowieso gewohnt. Gleichzeitig nutzen viele den Computer für ihre eigenen Sachen: E-Mails checken und schreiben, Surfen, Chatten. Manche sind ständig dabei, obwohl das offiziell verboten ist und die Teamleiter Leute auch direkt drauf ansprechen. [2002] Surfen und E-Mails machen alle, ist aber auch nicht verboten. Schließlich gehört das auch zu deiner "Ausbildung". Ansonsten bist du angehalten, mit den Testrechnern (also nicht deinem Arbeitsrechner) rumzuspielen, Sachen einzubauen, zu installieren, auszuprobieren. Viele machen das auch, weil sie das interessiert... oder weil sie vor den Teamleitern Interesse zeigen wollen... oder um die Zeit rumzukriegen. [2001] Bei mir im Call Center war es so, dass sich viele ArbeiterInnen PC-Games auf ihre Computer geladen haben oder halt in den Pausen im Internet rumgesurft sind, private E- Mails geschrieben haben, oder so was. Dadurch wurden die Pausen natürlich nicht unbedingt kürzer, woraufhin das Management den Zugang zum Internet auf bestimmte Sites reduziert und alle Spiele usw. von den Computern gelöscht hat. Das einzige, was sie draufgelassen haben war so ein Malprogramm. Wir haben uns erst gefragt, warum gerade so ein beschissenes Malprogramm, das für die Arbeit wirklich nicht notwendig ist. In den Pausen konnte man dann beobachten, dass viele Leute mit diesem Malprogramm rummachten, und so weiter an ihrem Arbeitsplatz blieben, während andere halt am Kaffeeautomaten rumhingen und miteinander quatschten. Da wurde der Sinn und Zweck dieser Aktion doch noch deutlich... [2001] Na ja, ich meine es ist eine Computer-Hotline. Da haben welche "das Hobby zum Beruf" gemacht, und manche nutzen ihr Hobby um Programme zu hacken oder den Kaffeeautomat zu knacken. Einmal hatte die ganze Hotline ein Pop-up Programm gefunden, mit dem alle miteinander kommunizieren konnten. Am Anfang waren es nur fünf Leute, die miteinander gechattet haben, zum Schluss waren es aber alle durcheinander. Die Schichtleitung hat es von allen Rechnern runternehmen lassen. Aber es hat nicht lange gedauert, bis einige neue Wege gefunden haben, miteinander zu "quatschen". [2001] 5.7 Hierarchie - Here is the Team-Leiter Die Kombination von Kundenanruf, Software und ACD-Anlage gibt den Arbeitstakt an. Der Hass der ArbeiterInnen richtet sich aber selten auf die Maschinerie, weil die ACD-Anlage den Anschein von Objektivität vermittelt, sondern auf die Teamleitung. Solange die Datenerfassung nur in irgendeinem Computer stattfindet, ist das unangenehm, führt aber nicht zwangsläufig dazu, jeden Call anzunehmen oder sich nicht für eine Verschnaufpause auf Nacharbeit zu stellen. Wenn es da nicht die Teamleiter gäbe. Ihre Aufgabe ist es vor allem, mithilfe der Daten der ACD-Anlage Druck auf die ArbeiterInnen auszuüben. Der Arbeitszwang in Call Centern wird so vor allem mittels persönlich vermitteltem Kommando durchgesetzt. Um uns ans Arbeiten zu bringen und die Intensivierung der Arbeit durchzusetzen, werden uns Teamleiter, Supervisoren usw. vorgesetzt. Diese kontrollieren, ob wir genug Anrufe pro Stunde entgegennehmen, wie lange wir Pause machen, ob wir die Qualitätsanforderungen einhalten usw. Damit wir sie nicht nur als Aufpasser und Spione sehen, bekommen sie neben ihren Kontrollaufgaben oft noch andere Kompetenzen in der Organisation, Informationsbeschaffung usw. Wir sollen darauf angewiesen sein, sie anzusprechen, wenn was nicht klappt oder wir was brauchen - und gleichzeitig drücken sie uns Anrufstatistiken rein. Die Teamleiter sammeln so Informationen über den Arbeitsprozess und geben die an die Geschäftsleitung weiter. Diese benutzt die Informationen, um die Arbeit weiter zu intensivieren. Die Teamleiter spielen als erste "Ansprechpartner" aber auch die Rolle eines Puffers: wenn es Probleme gibt, uns was stinkt, sollen wir das am Teamleiter auslassen, statt gleich die Geschäftsleitung anzugreifen. Konflikte sollen so klein gehalten und begrenzt werden. Die Teamleiter sollen den Willen der Geschäftsleitung gegen uns durchsetzen. Je nachdem, welche Konflikte es gibt und was sie darin erreichen wollen, verhalten sie sich unterschiedlich: eher "kumpelhaft", was besonders die können, die vorher selber an den Telefonen gearbeitet haben; die lassen sich duzen und kümmern sich angeblich um die Klärung aller Probleme; oder "distanziert" und autoritär, wozu oft Teamleiter von außen eingestellt werden; die halten Abstand und ziehen offen Maßnahmen gegen uns ArbeiterInnen durch. [hotlines Nr.2, Dezember 2000] So entsteht eine Situation, wo einerseits viele ArbeiterInnen ständig mit ihren Teamleitern über Pausenzeiten, Schichtpläne und unzureichende Informationen streiten, während das Management "drüber steht" und getrost weiter Geld zählen kann. Andererseits laufen die Streits oft auf dem Hintergrund des Gequatsches von "Wir sind alle ein Team!", von Duzen und vertraulichem Getue: Die Chefs benehmen sich nicht wie Chefs. Sie heißen dann auch Mentoren und Supervisors, aber sie sind immer freundlich dabei. Der Besitzer von der Kneipe, in der ich gejobbt habe, hatte Spaß dabei, den kleinen Kellnerinnen zu sagen, dass sie irgendwelche Papierchen vom Boden aufheben sollen. Und das geht in eine Call Center-Strategie nicht rein. Da muss das kommen, dass wir als Gruppe etwas total Sinnvolles machen und dabei nett zueinander sind. [2000] Man duzt sich, ist oft gleich alt, pflegt die gleichen Hobbys... Die Teamleiter können zum Teil nur schwer ihre Autorität durchsetzen, und Ansprüche oder Konflikte werden auf einer persönlichen Ebene diskutiert: "Du! Willst mich nicht früher gehen lassen!"... [2001] Dies kann aber die Fronten nur oberflächlich verschleiern. Die Maschinerie gibt einen Arbeitsrhythmus vor, von dem sich die ArbeiterInnen nur durch Kappen der Verbindung zur Maschine befreien können: auf "Nacharbeit" stellen, Pausen machen, Calls ignorieren. Die Teamleiter versuchen das zu verhindern. Die ACD-Anlage kann lediglich Zahlen vergleichen, also die Quantität der Anrufe oder die Dauer der Pausen. Die Teamleiter müssen uns diese Zahlen immer wieder auf den Schreibtisch schmieren, uns damit "motivieren" oder Konsequenzen androhen, für den Fall, dass wir uns nicht "verbessern". Darüber hinaus kontrollieren sie aber auch die Qualität - Freundlichkeit, Einhaltung der Sprachvorgaben... Das lässt sich bisher durch keine Maschine überwachen. Die Teamleiter hören Gespräche mit - zuweilen ohne Wissen der ArbeiterInnen - geben Anweisungen, machen Schulungen. In manchen Call Centern werden dafür zusätzlich sogenannte Coaches eingesetzt.[77] 5.8 Telefonieren - was für ein Service? Es geht um das Reden, auf unterschiedliche Art und Weise, mit unterschiedlichen Funktionen und Absichten, flexibel oder standardisiert, zweihundertfünfzig mal am Tag die gleichen Floskeln oder nur zehn mal. Sich anschreien lassen, vollgetextet werden, nichts verstehen, besänftigen, zurechtweisen, beruhigen, versprechen, lügen, rausreden, stottern und gähnende Langeweile. Nicht zuhören und doch was zu sagen haben, auf Stichworte reagieren, nicht ausreden oder einfach labern lassen. Mit anderen durch das Telefon zu reden, bedeutet für beide Seiten zunächst Abstraktion. Das, was Kommunikation live und direkt mit einem tatsächlichen Gegenüber einfach macht, nämlich Gestik, Gesichtsausdruck, Körperhaltung und Kleidung, fällt beim Telefon weg. Stünde mir an einem Empfangsschalter ein etwa Zwanzigjähriger mit langen Dreads und Piercings im Gesicht gegenüber, käme es mir nicht in den Sinn, diesen Kunden zu siezen, und er erwartete es wahrscheinlich auch nicht. Am Telefon aber sieze ich sogar Siebenjährige. Call Center-ArbeiterInnen müssen sich einzig und allein auf die Sprache verlassen, auf die Wahl der Worte und die Betonung, auf alles, was Stimmen so hergeben. Und hoffen, dass ihr kulturelles Verständnis über Kommunikation mit dem der Anrufenden irgendwo eine Schnittmenge bildet. Bei diesem dünnen Eis wundert es doch, dass Kommunikation am Telefon überhaupt klappt. Oft genug eben auch nicht. Und eines ist klar, die Call Center-ArbeiterInnen sind diejenigen, die flexibel auf die Artikulationsfähigkeit und -unfähigkeit der Kunden eingehen müssen. Beispiele: Inbound, Computerhotline: Mein Telefon klingelt. "Computerhotline, schnelle Hilfe bei Computerproblemen, mein Name ist Griechenland, Guten Morgen. Dann geben Sie mit bitte mal ihre Kundennummer. Ok, ich stell' Sie zur Technik durch." "Computerhotline, schnelle Hilfe bei Computerproblemen, mein Name ist Griechenland, Guten Morgen. Da muss ich sie zu einem Techniker weitervermitteln. Haben Sie schon eine Kundennummer? Dann registriere ich Sie und stelle Sie dann durch. Nennen Sie mir die Seriennummer ihres Rechners. Ihr Nachnahme ist Basilikum? Der Vorname? Die Postleitzahl? Das ist in Grevenbroich? Und die Strasse. Mit der Nummer. Und zum Schluss bitte noch die private Telefonnummer mit Vorwahl. So, ich sage Ihnen ihre Kundenummer, notieren Sie die bitte: 1234568. Ich stelle Sie jetzt zu einem unserer Techniker durch." "Computerhotline, schnelle Hilfe bei Computerproblemen, mein Name ist Griechenland, Guten Morgen. Da muss ich Sie zu einem Techniker weitervermitteln. Haben Sie schon eine Kundennummer? Dann registriere ich Sie und stelle Sie dann durch. Nennen Sie mir die Seriennummer ihres Rechners. Ja, genau, der Computer. Nein, Sie müssen sie nicht auswendig kennen, die steht auf der Rückseite des Rechners, äh... Computers. Fängt mit XYZ S Schrägstrich N an und hat etwa zwölf Zeichen. Na, dann schauen Sie doch mal nach. Nein, das ist die Produkt-ID von Mircosoft. Ich brauche die Seriennummer vom Computer. XYZ S/N. Nein, nicht AJ, XYZ S/N. Bisschen weiter drunter. Ja, ja, auf dem weißen Aufkleber. Ihr Nachname ist Stock? Der Vorname? Postleitzahl? Dann fragen Sie Ihre Frau oder schauen Sie auf einen Brief, den Sie bekommen haben. Und die Strasse? Hausnummer? Ich sage Ihnen ihre Kundennummer: 1234590. Nein, das ist keine Telefonnummer, das ist ihre Kundennummer. Bleiben Sie dran, ich stell Sie durch." "Computerhotline, schnelle Hilfe bei Computerproblemen, mein Name ist Griechenland, Guten Morgen. Ich stell Sie durch." "Computerhotline, schnelle Hilfe bei Computerproblemen, mein Name ist Griechenland, Guten Morgen. Dann sagen Sie mir Ihre Kundennummer. Kleinen Moment, ich schau mal nach. Nein, der ist noch in Bearbeitung. Es gab da Probleme mit den Zulieferern. Wir erwarten täglich die Lieferung. Tut mir leid, da kann ich nichts beschleunigen. Natürlich ist es über die normale Lieferzeit hinaus. Nein, wir bieten keinen 24-Stunden Service, tut mir leid. Beschwerden richten Sie bitte schriftlich an das Haus. Ich verstehe Sie natürlich. Ja, ich kann mich in Ihre Lage versetzen, aber wenn keine auf Lager sind, kann ich auch keine rausschicken. Tut mir leid, wenn Ihnen da Unannehmlichkeiten entstehen. Wiederhören." "Computerhotline, schnelle Hilfe bei Computerproblemen, mein Name ... Sie möchten mit einem Vorgesetzten sprechen, kleinen Moment bitte." Outbound, Aboverkauf (Betonungen im Skript vorgegeben):[78] Und dann geht's los: "Führungskräften (betont) bietet Lokus Pokus ein Abo (betont) zu Vorzugs (betont) Konditionen (stimme bloß nicht senken!). Sie erhalten (betont) Lokus Pokus jeweils zehn (betont) Ausgaben lang völlig gratis (stimme bloß nicht senken) danach zwölf Monate lang zum Sonderpreis von nur 9,10 DM (betont) pro Doppelheft (Stimme immer noch nicht senken!) und der Clou, nach (betont) dem Jahr können sie jederzeit (betont) wieder kündigen, mit sofortiger (betont) Wirkung. Sie stecken also nicht in so einer (jetzt der schauspielerisch anspruchsvollste Moment! Ich tue so, als ob ich stark überlegen müsste, wie man diesen Zustand am besten ausdrücken könnte): Abofalle!!! (und jetzt total locker und selbstverständlich) Einverstanden?" Jetzt lacht sich der am anderen Ende meist einen. Erstens über dieses lächerliche Vorgelese, denn wir dürfen ja noch nicht mal im Ansatz so tun, als ob das freigesprochen wäre; nein, schön langsam und ganz doll betont; und zweitens über diesen dummen Trick: Einverstanden? Natürlich nicht, was denken Sie denn, aber netter Versuch und wirklich schön vorgetragen. Oder die andere Seite hat nur "Gratis" gehört und sagt sofort: Ja klar, nehme ich. Andere möchten sich's wenigstens überlegen und wollen was Schriftliches, was ja auch verständlich ist. Is' aber nich', weil es so etwas bei Sonderkonditionen von Telemarketing nicht gibt. Wenn Sie den Lokus Pokus nicht lesen, biete ich Ihnen doch rasch 'ne andere Zeitschrift an. Der Wolgaverlag hat eben alles. Aber streng nach Skript, versteht sich. Für jeden Einwand der richtige Satz. Peinlich wird's, wenn du den nicht findest oder 'nen Falschen vorliest. Weichst du zu sehr vom Skript ab, oder liest du zu schnell oder falsch betont vor, hast du entweder sofort die Teamleiterin im Nacken, oder eine Kollegin, die dich vor der Teamleiterin warnt. Das Verhältnis zur Dienstleistung Wie erleben diejenigen die "Dienstleistungsgesellschaft", die gezwungen sind, zu dienen? Welchen Sinn sehen sie in der Arbeit im Call Center und wie gehen sie mit dem Widerspruch um, einerseits "dem Kunden dienen zu sollen" (Qualität) und ihn andererseits möglichst schnell abfertigen zu müssen (Quantität)? Das mit der Freundlichkeit ist so eine Sache. Die meisten ArbeiterInnen wollen dem Kunden helfen, aber sie scheitern an Arbeitsorganisation und Tempo. Wenn keine Couchgarnituren auf Lager sind, lassen sich eben auch keine rausschicken. Wenn die Informationen, die der Kunde wünscht, nicht zu haben sind, muss die ArbeiterIn anfangen zu improvisieren, zu lügen oder sich kreativ aus der Affäre ziehen. Dies bestimmt auch das Verhältnis, das viele Call Center- ArbeiterInnen zu ihrer "Dienstleistung" haben: "Ich kann sowieso nichts ändern. Es klappt halt nicht alles. Ich bin die Blöde, die das durch Reden ausgleichen muss!" Die Probleme, Fehler, Unzulänglichkeiten - die Abwesenheit von "Service" - muss er oder sie wegreden. Und mancher Kunde entwickelt sich derweil zur Furie. Der stellt dich auf die Bühne, acht Stunden lang. Lass dir bloß nicht die Gesprächsführung nehmen, sonst bist du verloren! Wenn die AnruferIn anfangen sollte, die Rollen zu bestimmen, dann leg los: Vertröste sie, mach sie fertig, lüg sie an, wimmel sie ab, aber lass dir bloß nicht auf der Nase rumtanzen! Die sozialarbeiterischen und seelsorgerischen Fähigkeiten, die Call Center-ArbeiterInnen im Laufe der Zeit erlernen, sind enorm. Für sie entsteht ein Spannungsverhältnis: Sie müssen mit den AnruferInnen vernünftig reden und gleichzeitig irgendwie den Arbeitstag durchstehen.[79] Ohne das Call Center könnte Aldi keine Computer verkaufen, oder Aral oder Tschibo könnten keine Brenner oder Scanner verticken. Es sei denn, mensch würde eine Bibliothek an Büchern mitliefern. Es gibt Leute, die Fragen schon beim Kauf, ob es einen Support gibt, ob sie bei Problemen irgendwo anrufen können. Es ist auch eine psychologische Betreuung, dass die Leute das Gefühl haben, dass sie nicht mit dem Produkt und den Problemen alleingelassen werden. [Medion, Mülheim, 2001] 5.9 ArbeiterInnenverhalten - Survivaltechniken Wo immer das Kapital ArbeiterInnen zusammenbringt, entwickeln diese Formen der Verweigerung der Arbeit. Im unstillbaren Hunger des Kapitals nach Vermehrung liegt die Tendenz, uns ArbeiterInnen zu vernutzen und ausbluten zu lassen. In vielen Call Centern ist der Burn-out, das Ausbrennen, alltäglich. ArbeiterInnen hören - trotz netter KollegInnen und im Vergleich zu anderen Jobs scheinbar erträglicheren Bedingungen - nach sechs Monaten oder einem Jahr auf, weil sie merken, wie ihr Augenlicht verschwimmt, ihre Ohren schmerzen, die plärrenden Kundenbeschwerden sich in ihr Hirn einbrennen. Um nach der Schicht noch einigermaßen alle Sinne beisammen zu haben, lassen sich die ArbeiterInnen Mittel und Wege einfallen, sich Pausen zu verschaffen, Oasen der Ruhe, um mal durchzuatmen. Dafür geben sie vor, was Wichtiges zu tun zu haben, und bleiben dann zufällig am Kaffeeautomaten hängen. Sie machen falsche Computereingaben, um die Bearbeitung eines Calls abzukürzen, oder "Arbeit nach Vorschrift", aber eben langsam und gemächlich, damit auch ja nix falsch läuft. Wenn das alles nicht reicht, muss halt mal ein Krankenschein her. Nach ein paar Tagen im Bett und auf Partys kann mensch den Telefonterror dann wieder einigermaßen ertragen. Solche Formen der Verweigerung haben wir in allen Call Centern gefunden. Sie werden auch von vielen ArbeiterInnen eingesetzt, die ansonsten wenig rebellisch sind. Meist laufen sie individuell ab. Sie erleichtern das Überleben, aber sie untergraben das Ausbeutungsregime nicht. Vielmehr sind sie Bestandteil des Ausbeutungsprozesses, weil sie verhindern, dass wir unter der Arbeit zusammenbrechen.[80] Wie läuft das ab? Zum Beispiel melden sich die Call Center-ArbeiterInnen am Telefon, stellen das Gespräch aber auf stumm - sodass sie die AnruferIn hören, die aber nichts - und plaudern weiter mit der Kollegin. Zwischendurch haken sie wieder beim Kundengespräch ein, wenn Schlüsselworte gefallen sind. Das erfordert ein wenig Übung, ist aber möglich. Oder sie nehmen den Anruf entgegen, lesen aber ihren Artikel weiter und reagieren wieder erst auf Schlüsselworte. Dazu gehört Coolness, wenn man dann doch dreimal nachfragen muss. Aber zur Not war eben die Verbindung zu schlecht... Man versucht andere ArbeiterInnen aus anderen Abteilung zu erreichen und lässt sich ein bisschen Luft zwischen den Vermittlungen. Oder man quatscht erst ein mal fünf Minuten privat. Leider ist das nicht immer möglich. Nette Kunden werden möglichst lange in der Leitung gehalten, um mit ihnen ein bisschen nett zu plaudern. Da wird munter gescherzt, gebaggert, E-Mail-Adressen werden ausgetauscht. Das kann böse in die Hose gehen, wenn das ein Testanruf war... Manchmal bereiten Kunden auch handfeste Probleme. Dann muss man die Probleme aus der Welt oder die Kunden vom Ohr schaffen. Man kann sie in die nächste Warteschleife verbinden, man kann ganz plötzlich auf die falsche Taste kommen oder dem Kunden einfach genau das erzählen, was er hören will. Und man kann testen, wie dehnbar die ACD-Daten sind: Wie lange kann ich die Pause überziehen, bevor ich einen Anschiss bekomme? Wie oft kann ich die Annahme der Calls verweigern, bevor ich das erste Teamleitergespräch habe? Hier zwei weitere Beispiele, Zeichen von Solidarität unter den ArbeiterInnen, die meist zur Voraussetzung haben, dass diese schon einen Zusammenhalt untereinander entwickelt und Erfahrungen mit solchen Konflikten haben. Die Inbound-ArbeiterInnen sollten den AnruferInnen auch Kredite aufschwatzen. Die meisten haben die Anweisung einfach ignoriert. Erstens, weil das einfach eine peinliche Situation ist, wenn da jemand eine Überweisung machen will und du den noch mit einem scheiß Kredit volllaberst. Zweitens, weil etliche ArbeiterInnen meinten, dass es auch nicht korrekt ist, wenn Leute ohne Kohle auch noch in eine Kreditfalle gelockt werden. Drittens, wegen des Stresses, den eine langes Kredittelefonat produziert. [2001] Wir sollten unsere eigenen KollegInnen unter Druck setzen. Sobald ein Anruf zum Beispiel für die französischsprachige Linie auf dem für alle einsehbaren Display erscheint, sollten wir die "freien", französischsprachigen ArbeiterInnen auffordern, den Anruf anzunehmen. Das wurde ignoriert. Die meisten haben sich über die Anweisung lustig gemacht. [2000][81] Zwischen den Anrufen wird oft mit den anderen ArbeiterInnen gesprochen. Manche Kundengespräche sind emotional aufreibend: Man hat einem Kunden einen Kredit verwähren müssen. Der hat gerade seinen Leidensweg und diverse Schicksalsschläge ausgebreitet. Oder man wurde gerade das fünfte Mal angeschrieen, weil die Warteschleife so lang ist.[82] Um das zu verarbeiten, braucht man KollegInnen, damit nicht der Freund, die Freundin oder die Wohngemeinschaft jedes Mal dran glauben muss. Egal wie weit fortgeschritten die "professionelle Distanz" ist, ohne Leute, wo man das abladen kann, endet das im Nervenzusammenbruch. 5.10 Gesamteindruck - Bericht aus einem der Scheißläden[83] Die Arbeitsschritte, die Arbeitsorganisation, die Maschinerie, das ArbeiterInnenverhalten... das Elend der Arbeit ist mehr als nur der Zoff mit dem Teamleiter oder Nervereien mit abschmierenden Computermasken. Erst das Zusammenspiel all dessen erleben wir als Zwang zur Arbeit. Hier ein Beispiel für eine Gesamt-Beschreibung des Arbeitsalltags: das Fiat-Call Center in Milano/Italien: Erstmal sieht alles ganz nett aus, wenn du in das Call Center von Fiat in Milano kommst. Viel Platz, bunte Zwischenwände und Fähnchen, jede Menge junge Leute, die vor großen Monitoren sitzen, rumwuseln oder in der Automatenecke relaxt eine rauchen. Sie sprechen verschiedene Sprachen, Italienisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Holländisch, Polnisch... Eine Mischung aus Internetcafe, Kinderladen und einer dieser Zeitungsredaktionen aus einer amerikanischen Soap. Die Arbeit beginnt auch ganz locker. Du kriegst eine Schulung, bei der dir erzählt wird, dass das Call Center letztes Jahr prämiert wurde. Alle seien nett zueinander, weil dann die Arbeit Spaß mache. Wir sollten immer lächeln - auch am Telefon - weil dann die Kunden einen guten Eindruck bekommen und weiter die Fiats, Alfa Romeos und Lancias kauften. Einige Wochen und viele Anrufe später hast du kapiert, wo du gelandet bist. Das Ambiente kann dich nicht mehr verzaubern: Welcome to the world of call centers! Dort arbeiten siebenhundert Leute, mehrheitlich Frauen, in Vollzeit und Teilzeit. Etliche von ihnen sind in der Verwaltung, der große Teil aber sitzt an den Telefonen, aufgeteilt in verschiedene Abteilungen nach Sprachen, angebotenen Dienstleistungen und unterschiedlichen Aufgaben. Viele haben befristete Verträge für zehn oder zwölf Monate. Die Inbound-ArbeiterInnen empfangen Anrufe von Privatkunden, wie Reklamationen, Anfragen usw., und Händlern und Werkstattangestellten, die auf der Suche nach einem Ersatzteil sind, eine Bestellung stornieren wollen oder einen Garantiefall überprüfen müssen. Es gibt außerdem noch Outbound-Abteilungen, die Versicherungen und andere Services verkaufen, und einen Kundendienst, bei dem die Besitzer von Navigationsgeräten eine SMS schicken können und zurückgerufen werden. Manche ArbeiterInnen bedienen nur eine "Linie" (zum Beispiel die Navigationskunden), andere machen zwei, drei, vier verschiedene. Die Technik im Call Center besteht aus einem Sammelsurium von PCs, Telefonanlagen, alter und neuer Software, Faxgeräten... Mit dem verkabelten Headset bist du der Sträfling an der Kette. Oder ein Gehirnpatient, dessen Kopf mit dem Computer verdrahtet ist. Wie in anderen Call Centern werden die Anrufe über eine ACD-Anlage (Automatic Call Distribution) verteilt. Diese Anlage nimmt den Anruf an, kontrolliert anhand der anrufenden Telefonnummer, aus welchem Land er kommt, welche Abteilung zuständig ist, welche ArbeiterIn dort gerade "frei" ist und stellt den Anruf dahin durch. In einigen "Linien" gibt es noch CTI (Computer Telephony Integration). Das bedeutet, dass zum Beispiel bei den Anrufen für das Navigationssystem mit dem Anruf automatisch der Datensatz des Kunden bei dir ankommt: Der Anruf landet im Headset, der Datensatz erscheint gleichzeitig auf deinem Bildschirm. Dabei läuft das direct-to-ear: Die Anrufe werden direkt auf dein Headset gestellt - ohne Abnehmen. Du hörst einen Spruch und schon ist der Anrufer dran. Damit hast du keine Kontrolle über die Anrufe... Bei Schichtanfang musst du dich in mehrere Programme einloggen - je nachdem, welche Anrufe dir durchgestellt werden: unter anderem in Software zum Nachhalten der Anrufe, für die Ersatzteilbestellungen, für die Bearbeitung der Kundenanfragen, für die Navigator- Kunden, damit sie den Weg finden. Zum Teil sind die Programme wie Windows aufgebaut, mit Fenster und Buttons zum Anklicken, zum Teil noch DOS-ähnlich mit Codes und Tabulator-Taste... Die Rechner sind vernetzt und greifen auf zentrale Datenbestände zu. Im ersten Level musst du dich nicht groß mit der allgemeinen Arbeitsorganisation beschäftigen. Du machst einen Anruf, suchst die Infos raus. In manchen Linien bearbeitest du danach ein Fax, dann wieder einen Anruf. In der Regel kannst du die Sachen alleine bearbeiten. Manchmal fragst du andere ArbeiterInnen um Rat oder die Teamleiter. Bei "unlösbaren" Anfragen sagst du den Kunden halt, dass du nichts für sie tun kannst. Bei Ersatzteilen und Garantien gibst du die "Fälle" eventuell weiter, indem du die Anfragen und Informationen in ein Textfeld schreibst und dann über das Anklicken eines Buttons an den zweiten Level schickst. Bloß weg damit! Du kümmerst dich nicht darum, was danach mit den Fällen passiert. Ein Teil der ArbeiterInnen des zweiten Levels sitzt auch in Milano, andere in anderen Fiat- Filialen irgendwo in Europa. Sie kriegen die zwanzig Prozent der Fälle, die der erste Level nicht lösen kann, in ihre persönliche Inbox (Liste) und müssen die abarbeiten. Die Fälle bleiben so lange bei ihnen, bis sie eine Lösung gefunden haben. Sie rufen Leute an, die ihnen die Infos geben sollen, andere Fiat-Angestellte, Werkstätten, Lieferanten... Hier hast du mehr Verantwortung. Wo du im ersten Level auf dumm schalten und einfach warten kannst, ob was reinkommt, musst du dir im zweiten Gedanken machen, wie du die Sachen erledigt kriegst, die dir aufgelastet werden. Das ist stressiger. Die Arbeit besteht aus mehr als Telefonieren: Du nimmst Anrufe an, quatschst mit den Leuten, stellst Fragen, hörst zu, gibst selber Antworten, beruhigst sie, quetscht sie aus... Aber gleichzeitig bist du ständig mit dem PC am Machen: Eingabe von Zahlen und Daten, Anklicken von Befehlen, Eingabe von Codes, Suche nach Einträgen auf dem Bildschirm... Manche "Agents" sehen ständig so aus, als würden sie gleich in den Monitor kriechen... Diese Intensität der Arbeit fällt dir selbst oft gar nicht auf. Erschwert wird die Arbeit durch die diversen Software-Programme unterschiedlichen Alters, die öfters mal abkacken, während du einen ungeduldigen Kunden an der Strippe hast. Der Aufbau der Programme ist unübersichtlich, und du weißt erst nach Wochen, wo du was rausfinden kannst. Wenn du eine Info hast, ist nicht klar, ob die stimmt, weil die Zahlen oft veraltet oder falsch sind. Viele Anrufe gehen ohne viele Probleme rum. Die wollen was, du gibst es ihnen oder nicht. Für manche AnruferInnen bist du der Arsch, der für die Lieferschwierigkeiten von Fiat oder die technischen Unzulänglichkeiten der eingesetzten Software, Server, Telefonanlagen (die alle mitunter versagen) verantwortlich ist. Für andere bist du die Dienerin, die schnell, freundlich und gehorsam Infos rüberschieben soll. Du kriegst Anrufe von wütenden Kunden, die dich volllabern und nerven. Du kriegst Anrufe, bei denen du fast nichts verstehst, weil die AnruferIn auf einer Verkehrsinsel steht oder im Auto sitzt... oder weil die Verbindung einfach mal wieder scheiße ist. Du kriegst Anrufe, bei denen dein Computer abstürzt und du alles noch einmal eintippen darfst. Du kriegst Anrufe von Leuten, die einfache Fragen haben, aber du hast nicht die richtige Information, weil sie dir keiner gibt. Vor allem aber kriegst du Anrufe, Anrufe, Anrufe... Du hast das Fließband im Kopf. Nach der Bearbeitung eines Anrufes kommt der nächste, dann der nächste. Die Arbeit ist ermüdend. Weil sich dieselben Abläufe immer wiederholen; weil die Anrufer immer dieselben Fragen haben, du immer dieselben Antworten; weil du genau den Vorgaben der Software-Maske folgen musst: Name, Nummer, weitere Nummer, dritte Nummer...; weil du ständig auf den Monitor glotzt; weil du die Leute schlecht verstehst, weil es in der Leitung knackt... bis dir am Ende der Schicht der Kopf brummt und du nachher in der Metro nicht mal mehr die Zeitung lesen kannst. Viele ArbeiterInnen sagen offen, dass die Arbeit scheiße ist und ihnen am Arsch vorbei geht. Trotzdem sind sie irgendwie noch freundlich zu den Kunden, machen die anfallenden Sachen irgendwie... Die Tatsache, dass du mit Kunden zu tun hast, zwingt dich, die Arbeit doch "irgendwie" zu erledigen. Auch wenn die meisten nicht lange da arbeiten - und das wissen - richten sie sich irgendwie ein, um das alles zu ertragen. Sie versuchen, während der Arbeit gut mit den "KollegInnen" auszukommen. Sie entwickeln Techniken, die Softwaremasken durch "falsche" Eingaben zu überlisten. Sie gewöhnen sich daran, die genervten AnruferInnen ablaufen zu lassen... Einige versuchen auch, die Arbeit "gut" zu machen. All den Schwachsinn den ganzen Tag, ein Anruf nach dem anderen, die Händler, die seit Monaten auf ein Ersatzteil warten, die Kunden mit Neuwagen, die gleich kaputt sind... halten sie nicht aus. Sie hängen sich rein - zum Teil unter dem Spott der anderen - um doch noch so was wie "Service" rüberzubringen... Irgendwann geben das die meisten auch auf... Um die Arbeit, die Langeweile, den Stress einigermaßen zu ertragen, versuchen die ArbeiterInnen auch, sich irgendwie zu vergnügen. Kommunikationsfähigkeiten lassen sich auch bei privaten Gesprächen nutzbringend einsetzen (so ein Flirt zwischendurch...). Am PCs kann die eigene Email gecheckt werden. Nebenbei kannst du SMSe verschicken, surfen, chatten, lesen. Alles verboten... aber gleichzeitig wird es geduldet, weil sonst eine noch miesere Stimmung aufkäme... Es gibt eine Art Versteckspiel mit den Teamleitern: Du machst die Arbeit irgendwie, ohne dir ein Bein auszureißen und einen Anschiss zu kriegen. Du surfst oder vertreibst dir die Zeit, ohne dass die Chefs das mitkriegen. Die Teamleiter sind dabei unterschiedlich drauf. Manche schwingen die Knute, machen die Leute an. Ihre Funktion liegt vor allem darin, dich zu überwachen. Sie haben ein Programm, mit dem sie kontrollieren können, ob die "Agents" einen Anruf haben oder auf "bereit" stehen und somit einen annehmen können. Sie sehen auch, wie viele Calls angenommen werden, wie viele wie lange in der Warteschleife waren, wie viele aufgelegt haben. Sie schauen sich "Fälle" an, die ArbeiterInnen bearbeitet haben, und weisen diese zurecht, wenn sie was falsch gemacht haben. Manche Teamleiter waren vorher auch "Agents" und haben Ahnung von der Materie. Andere sind von "außen" und haben keine Ahnung. Manche setzen auf Karriere und machen auf hundertprozentig, andere wollen auch nur ihre Ruhe - sprich: keinen Stress mit den ArbeiterInnen. Viele Diskussionen der ArbeiterInnen drehen sich um KundInnen, Probleme bei der Arbeitsorganisation usw. Meist geht es um die blöden Teamleiter, die Kleiderordnung... Warum behandeln dich die Chefs schlecht, warum ist das Kantinenessen mies und warum müssen die Kerle eine Krawatte tragen? Eine Arbeiterin meinte dazu, dass es die Chefs wollten, dass wir uns über solche Sachen aufregen, nicht aber über die insgesamt miesen Bedingungen. Was bringt es auf den Küchenchef zu schimpfen... es geht nicht um das Essen, sondern die ganze verdammte Küche... Aufregung gibt es auch immer wieder um die "schlechte" Arbeitsorganisation. Eine ArbeiterIn fragte kürzlich, warum Fiat einem nicht einfach alle notwendigen Infos zur Verfügung stellt. "Doch nur deswegen, weil die Chefs die Kontrolle behalten wollen!", meinte sie. "Dabei könnten wir die Sachen viel besser erledigen, wenn die uns mehr erlaubten." Ein lebender Widerspruch, den die Call Center-ArbeiterInnen täglich ausgleichen sollen: Sie federn die Bosheit und das Generve der KundInnen ab, indem sie freundlich sind, und versuchen, die Tücken der Technik durch Improvisation zu umgehen. Sie entwickeln Mittel und Wege, um die Fehler der Programmierer und die Unzulänglichkeiten der Telefonanlage auszugleichen, damit die Chose überhaupt funktioniert. Dabei werden sie von den Teamleitern bespitzelt... Aber es gibt sogar eine gute Seite: Du triffst jede Menge junge Leute aus vielen Ländern. Da entstehen Freundschaften, Beziehungen... Trotz der Aufteilung in Sprachteams gibt es viele Kontakte zwischen den verschiedenen Abteilungen. Das erst macht die Arbeit überhaupt erträglich... Ansonsten bist du nur da, weil du die Kohle brauchst. Einige motzen auch andere ArbeiterInnen an, versuchen, den Frust an anderen auszulassen. Sie regen sich auf, wenn sie einen falschen Anruf bekommen und ihn nicht weiterstellen können, weil die zuständigen "Agents" nicht am Platz sind. Statt die Chefs anzuscheißen, die solche Anrufe an die "Nicht-Zuständigen" durchstellen lassen, versuchen sie, die Probleme auf andere ArbeiterInnen abzuladen. Das machen aber nur einige. Die Leute wissen, für wen sie arbeiten. Fiat hat einen miesen Ruf... "Klar ist die Arbeit scheiße, klar suche ich was anderes..." Es gibt aber wenige Diskussionen darüber, was wir anders machen können, ob wir diese Arbeit überhaupt brauchen, ob wir eine andere Gesellschaft schaffen können... In der Gewerkschaft ist kaum jemand. Das interessiert auch die meisten nicht. Sie arbeiten da ein paar Monate und suchen sich dann was anderes. Ob das dann besser ist? Einige träumen von gut bezahlten Stellungen, ein paar werden das schaffen. Die meisten sehen sowieso nur zwei Möglichkeiten: Aufhören, weil die Arbeit mies oder du sowieso weiterziehen willst (anderer Job, anderes Land...); oder Aufsteigen, sprich weg vom Telefon... Bei einer Blockade des Call Centers durch streikende Arbeiter der benachbarten Alfa Romeo-Fabrik, die gegen die drohende Schließung der letzten Produktionseinheiten kämpfen, kamen einige der Call Center-ArbeiterInnen schon um fünf oder sechs Uhr früh, um noch ins Gebäude zu kommen. Beim Generalstreik im April haben auch etliche "Agents" gestreikt. Allerdings war das in den Teams sehr unterschiedlich. In einem Team ist eine Teamleiterin rumgelaufen und hat erzählt, "streiken ist verboten". Alle sind zur Arbeit erschienen! In anderen Teams lag die Streikbeteiligung bei bis zu dreißig Prozent; in einem waren sogar achtzig Prozent im Streik. Eine Arbeiterin meinte, dass die "StreikbrecherInnen" gesagt hätten, dass sie die Kohle brauchten. Aber sie hielt das für eine Ausrede. Der Lohn ist wirklich mies (etwa 900 Euro netto bei Vollzeit), aber die Leute würden ja viele Überstunden machen, und an dem Tag wäre es wichtig, was zu machen. Stattdessen ginge es um was anderes: Die meisten seien jung, um die 25, und hätten keine Erfahrung mit Streiken. Und viele hätten keine Verbindung zu Italien, dass sie als WanderarbeiterInnen nur mal zwischendurch hier seien. Der Generalstreik drehte sich offiziell aber eben nicht um Fiat, nicht um die unmittelbaren Bedingungen, sondern grundsätzlich um die politische Situation und den gesetzlichen Kündigungsschutz... Eine Arbeiterin - mit Erfahrungen aus Generalstreiks in Frankreich - meinte, dass der Kündigungsschutz vielleicht nur durch einen unbefristeten Streik zu sichern sei... [Fiat, Milano, 2002] Das ist der Alltag! ******************************************************** 6. Auseinandersetzungen: Von kollektiven Kampfadern Diesen Teil haben wir folgendermaßen gegliedert: 1 [Konfliktpunkte] 2 [Kampflinien] 3 [Organisierungsformen] 4 [Fazit] Wir sind auf der Suche nach den Momenten des Aufbegehrens und der Subversion. Am Anfang der Untersuchung und Intervention in Call Centern hatten wir gehofft, dass wir diese zwischen all den Telefonanrufen und Qualitätsprüfungen finden und mitmischen können bei den Versuchen von ArbeiterInnen, ihre Situation in die eigenen Hände zu nehmen. So einfach war's aber nicht! Wir haben andere ArbeiterInnen getroffen, die rumgemotzt haben, die was ändern oder sich nichts gefallen lassen wollen - aber eben auch Situationen, in denen die meisten zaghaft und ängstlich blieben... oder gar ahnungslos verharrten oder bei den Kapos rumschleimten... Im folgenden Teil wird es um die Konfliktpunkte, Kampflinien und Organisierungsformen gehen. Zunächst setzen wir noch mal bei der täglichen Ausbeutung an. Die Konfliktpunkte entstehen im täglichen Ringen um die Arbeit, die Kontrolle, den Stress, die Langeweile. Es geht um Hire and Fire, Geld, "freie" Zeit und Würde.[84] Entlang der Punkte entstehen Kampflinien wie Sabotage oder Streiks. Wir schauen uns an, welche Erfahrungen die ArbeiterInnen darin machen und wo die Begrenzungen liegen. Entlang der Linien bilden sich wiederum Organisierungsformen: Vertretungsapparate wie Betriebsräte und Gewerkschaften, in Abgrenzung dazu zum Beispiel in Italien sogenannte Basisgewerkschaften, in Deutschland Unterstützungsinitiativen. Daneben gibt es Versuche der Selbstorganisierung von ArbeiterInnen. Wir haben uns das kritisch angesehen und Thesen für die weitere Diskussion formuliert. 6.1 Konfliktpunkte Call Center waren und sind ein Angriff auf die Weigerung vieler BüroarbeiterInnen, eine Verschlechterung ihrer Bedingungen hinzunehmen (in Banken, Versicherungen, bei Post, Telekom und in anderen Bürobereichen). Call Center, das bedeutet für viele ArbeiterInnen verlängerte Arbeitszeiten, Zwang zur Schichtarbeit, Dauerkontrolle und Intensivierung der Arbeit. Arbeiten im Call Center, das heißt mal Stress, mal Langeweile, Freundlichkeitszwang und Kunden-Abservieren, zu wenig Kohle und zu viele Stunden des Lebens für den Job. [hotlines Nr.1, Oktober 2000] Damit sind die wichtigsten Linien, an denen Konflikte und Kämpfe in Call Centern stattfinden, schon genannt. Wir können nicht alle Call Center über ein Headset scheren. Die Bedingungen sind unterschiedlich und reichen von einem Laden wie Atesia in Italien, wo die ArbeiterInnen formal "selbständig" sind, ihr Arbeitsgerät "mieten" müssen und der "Lohn" kaum zum Leben reicht, über Quelle in Deutschland, wo die ArbeiterInnen praktisch pausenlos Bestellanrufe bearbeiten, bis zu bestimmten Abteilungen von Hewlett Packard in den Niederlanden, in denen die ArbeiterInnen zum Teil kaum zwanzig Anrufe am Tag reinkriegen, aber wegen der ständigen technischen Neuerungen zu "freiwilligen" Selbstschulungen "motiviert" werden müssen.[85] Zwar ist die eingesetzte Maschinerie (PCs, Computernetze, Headsets, Telefonanlagen, Software) ebenso wie die Arbeitsorganisation (Schulungen, Teamleiter, Front/Back Office...) in den meisten Buden ähnlich, aber die Arbeitsaufgaben und Vertragsverhältnisse unterscheiden sich erheblich, was auch Auswirkungen auf die Konflikte und Kampfformen hat. Arbeitszwang und Arbeitsbedingungen sind keine einzelnen Konflikte, sondern bilden einen Zusammenhang, der unser Leben bestimmt. Bei unseren Untersuchungen und Interventionen muss es darum gehen, diesen Zusammenhang ins Zentrum zu rücken und klarzumachen, dass nur die Überwindung des Klassenverhältnisses auch eine endgültige Lösung der Konflikte verspricht. Das ist nicht einfach, wollen wir gleichzeitig auf die konkreten Bedingungen eingehen. Als Einstieg hier die Punkte, an denen Konflikte entbrennen: a [Unsichere Arbeitsverhältnisse] b [Auslagerungen] c [Arbeitszeitverlängerung, Lohndruck und Intensivierung der Arbeit] d [Überwachung und Kontrolle] e [Willkür und Verarsche] f [Fazit] Unsichere Arbeitsverhältnisse Die Kapitalisten versuchen, in Call Centern prekäre (ungesicherte) Arbeitsverhältnisse durchzusetzen: Zeitarbeit, befristete Arbeitsverträge, Praktika, Scheinselbständigkeit...[86] Call Center sind eine (relativ) neue Form der Arbeitsorganisation, insofern auch Spielwiese für die Consulting-Schergen und Arbeitswissenschaftler, auf der Suche nach der optimalen Ausbeutungsform menschlicher Arbeit. Hier einige Beispiele: Bei der British Telecom werden seit Jahren Leute über Zeitarbeitsfirmen eingestellt (unter anderem Manpower, Hays). Sie machen die gleiche Arbeit wie die Festangestellten, verdienen aber weniger. Einige werden so über zehn Jahre beschäftigt, ohne die gleiche Entlohnung und andere Leistungen der British Telecom. Andere werden nach kurzer Zeit wieder geschasst - wenn sie nicht selber kündigen. Bei Bertelsmann (Verlag) in Münster bekamen die ArbeiterInnen 2001 nur auf sechs Monate befristete Verträge. Nach Ablauf des Vertrages werden nur wenige weiter "beschäftigt"... wieder mit befristeten Verträgen. Auf die Art schafft es Bertelsmann jedes Jahr die Belegschaft komplett auszutauschen. Bei Blu (Mobilfunk) in Italien wurden 1999/2000 viele der vierhundert Leute im Call Center bei Firenze mit sogenannten Ausbildungsverträgen (CFL: contatto di formazione e lavoro) eingestellt, die auf ein bis zwei Jahre befristet sind. Anfang 2002 fand dort eine Auseinandersetzung statt, weil Blu die meisten Verträge nicht verlängert und einen Teil der Aufgaben ins Blu-Call Center in Palermo verlegt hat. Die Hauptaktionäre (unter anderem Benetton und British Telecom) wollen Blu ganz loswerden. Bei der Korea Telecom werden die meisten ArbeiterInnen mittlerweils mit befristeten oder "Teilzeit"-Verträgen eingestellt. Die Prekären (befristet Eingestellte, "TeilzeiterInnen"...) [bekommen] nur ein Drittel des Lohns (umgerechnet etwa 650 Dollar), arbeiten 56 Stunden die Woche, ohne Urlaub, ohne Sozialversicherung. Die ArbeiterInnen - TechnikerInnen, Call Center-ArbeiterInnen... - nehmen das auf sich, weil ihnen eine Festanstellung in Aussicht gestellt wird. [hotlines- Website, 7. November 2001] Bei Audioservice (Anzeigen, Ticketverkauf) in Berlin wollten die Chefs im Jahr 2000 verhindern, dass die ArbeiterInnen auch bezahlten Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bekommen und gaben Verträge aus, die auf Tagelöhner-Arbeitsverhältnisse rausliefen: Wer zur Arbeit kam, musste erstmal einen Vertrag unterschreiben, der am Ende des Arbeitstages endete. Jedes Aufbegehren konnte dazu führen, dass sie am nächsten Tag nicht mehr "eingestellt" wurden. Bei Atesia (Telekommunikation) in Italien versuchen die Schergen der Telecom Italia, einziger Anteilseigner der Firma seit Jahren, die Scheinselbständigkeit für Call Center-ArbeiterInnen durchzusetzen. Atesia steht am untersten Ende einer Kundenbetreuungs-Pyramide. Die Telecom stellt auch in ihren "eigenen" Call Centern Befristete ein, ZeitarbeiterInnen, PraktikantInnen... Bei Atesia aber werden keine "richtigen" Arbeitsverträge gemacht, sondern sogenannte cococo- Verträge (collaboratori, coordinati e continuativi). Wir müssen den Arbeitsplatz für 1.500 Lire pro Stunde mieten. Das müssen wir zahlen - ohne eine Lire zu verdienen - auch wenn wir für drei bis vier Tage krank waren. [Arbeiterin in Il Manifesto, 1. Mai 2002] Die ArbeiterInnen werden pro Anruf bezahlt. Wenn keine reinkommen, verdienen sie halt nichts. Wer rummeckert oder sich wehrt, kriegt keinen Arbeitsplatz mehr vermietet! Bei all diesen Maßnahmen geht es den Kapitalisten in erster Linie um dies: * Durch die Schaffung einer unsicheren Situation - die bevorstehende Entscheidung über eine Vertragsverlängerung oder die zweifelhafte Übernahme von ZeitarbeiterInnen oder PraktikantInnen - können die Bosse mehr Druck ausüben. Die ArbeiterInnen sollen ranklotzen, damit das mit der Übernahme klappt. Wenn sie nicht spuren, fliegen sie raus. * Durch den regelmäßigen Austausch der ArbeiterInnen und die Neueinstellung Unerfahrener wollen die Bosse verhindern, dass die ArbeiterInnen das Wissen über die Arbeit und deren Verweigerung weitergeben. Sie fürchten, dass sich Kerne von Renitenten bilden. Die haben in der Regel ein Auge auf die Bedingungen und wissen eher, was sie gegen Verschärfungen machen können, wo die Schwachstellen des Ladens liegen - zum Beispiel der Computerabsturz in der Zeit, wo die meisten Anrufe eingehen. Wer neu ist, schaut sich um, traut den anderen ArbeiterInnen nicht (und umgekehrt), hält sich bei der Arbeit ran, um erstmal die Probezeit zu überstehen. * Durch die Befristung von Verträgen, durch Einsatz von ZeitarbeiterInnen und PraktikantInnen können die Bosse auf die Schwankungen des sogenannten Marktes reagieren. Wir ArbeiterInnen sollen die Risiken tragen. Wenn viel los ist, stellen sie ein, in anrufschwachen Zeiten fliegen wir raus und müssen sehen, wie wir klar kommen. Atmende Fabrik à la Qual Center. Besonders pervers ist in diesem Zusammenhang die Beschilderung von Call Center-ArbeiterInnen mit Buttons, auf denen "selbständig" steht. Auslagerungen Darüber hinaus nehmen die Kapitalisten Firmen auseinander, setzen sie wieder zusammen, lagern Aufgaben in andere firmeneigene oder externe Call Center aus... eventuell gleich nach Marokko, Mecklenburg-Vorpommern oder Indien.[87] Hinter diesem Outsourcing steht dies: * Durch die Auslagerung von Betriebsteilen, Abteilungen oder bestimmten Arbeitsaufgaben schaffen die Kapitalisten kleinere Betriebseinheiten, in denen sie die ArbeiterInnen besser unter Druck setzen können. Wir können ein anderes Gefühl von Stärke entwickeln, wenn wir mit fünfhundert Leuten in einem Laden hängen als mit fünfzig - von denen wir die Hälfte wegen der krummen Schichtzeiten kaum sehen. * Durch die virtuelle Zusammenschaltung verschiedener Call Center und anderer Abteilungen entstehen zwar auch in diesem Bereich Kooperationsketten mit tausend und mehr ArbeiterInnen, aber die sind halt auf zig Firmen verteilt. Du siehst die "KollegInnen" nicht, auch nicht in der Pause, weil die auf einem anderen Stockwerk mit einem anderen Firmenschild sitzen - oder mit dem gleichen Firmenschild auf der anderen Seite des Planeten. Wir wissen nichts von den anderen ArbeiterInnen, ihren (ähnlichen) Bedingungen, dem letzten Streik... * Viele Firmen lagern Aufgaben auch aus, weil sich so eine Ausbeutungspyramide schaffen lässt, mit wenigen besser bezahlten SpezialistInnen, die vertraglich abgefedert und mit Firmenideologie und Motivationshampeleien vollgepustet werden, und Hire and Fire-ArbeiterInnen in den ausgelagerten Buden, die viel weniger verdienen und aufs Messer ausgepresst werden. * Kalkül der Bosse ist, dass sich so die ArbeiterInnen besser gegeneinander ausspielen lassen und gleichzeitig höhere Profite rauszuschlagen sind. Manchmal - so kalkulieren sie - reicht auch schon die Drohung mit Auslagerung, um Lohnsenkungen oder andere schlechtere Bedingungen durchzusetzen. Arbeitszeitverlängerung, Lohndruck und Intensivierung der Arbeit Die Kapitalisten haben zwei Mittel, um ihren Profit[88] zu erhöhen. Sie können den Arbeitstag ausdehnen und uns länger arbeiten lassen - auch um damit ihre Maschinerie besser auszunutzen - und werden damit die Ausbeutung steigern, Überstundenzuschlag hin oder her. Manchmal sparen sie sich damit auch die Einstellung weiterer ArbeiterInnen. Und sie können die Arbeit intensivieren: mehr Anrufe pro Stunde, Füllung der Zeiten ohne Anrufe mit anderen Arbeiten, Vermehrung der Aufgaben...[89] Arbeitszeit Schichtarbeit hört sich ganz harmlos an, und wer nur Teilzeit arbeitet - als StudentIn oder "ZuverdienerIn" - kommt vielleicht auch klar damit, dass mensch mal hier vier Stunden morgens und da sechs Stunden bis Mitternacht arbeiten muss. Aber wer das vierzig Stunden die Woche macht, für den sieht das mitunter richtig scheiße aus. Mit den Call Centern wurde die Schichtarbeit in den Büros erheblich ausgeweitet, zum Teil mit Sondergenehmigungen für Nacht- und Wochenendarbeit durch die Behörden oder Regierungen.[90] Beispiele: Im Call Center der Deutschen Bank 24 in Duisburg wurde im Jahr 2000 mal eben hier eine Schicht bis 22 Uhr und gleich morgens wieder um 7 Uhr angesetzt. Egal, ob du eine Stunde hin und eine zurück brauchst und vielleicht sechs Stunden zum Schlafen übrigbleiben. Hier gab es auch Stress, weil die Zusagen bei der Einstellung, dass gerade bei Frauen mit Kindern Rücksicht auf deren Kinderbetreuung genommen wird, nicht eingehalten wurden. Wenn du morgens die Kinder in den Hort bringen musst, ist das dein Problem, kann doch die Oma machen... In den Call Centern der Telecom Italia wird zum Teil rund um die Uhr gearbeitet, mit Früh-, Spät-, Nacht- und Wochenendschichten. Das gilt auch für viele andere Call Center, zum Beispiel auch für AOL in Duisburg, den ADAC in München... Schichtarbeit zerstört unseren Lebensablauf, vor allem wenn sie ständig wechselt. Wir müssen jeden Monat bei der Schichteinteilung rumrödeln, damit wir den Mittwoch freihalten und dann nach der Arbeit noch zum Yogakurs kommen. Am Sonntag langweilen wir uns mit den Banküberweisungen oder der Bestellannahme, während die FreundInnen noch zur after hour gehen (falls sie nicht auch malochen müssen). Nachtarbeit und die ständige Änderung des Schlafrhythmus macht uns auch fertig. Schlafstörungen, Kopfschmerzen, ständige Müdigkeit - aber die Arbeit ist ja "sauber" und "modern". Auch Überstunden spielen hier eine Rolle. Manche von uns sind gezwungen, sie zu machen, weil sie die Kohle brauchen, andere werden so dazu gebracht: Entweder du machst welche, oder du kriegst deinen Vertrag nicht verlängert. Oder die Chefs setzen dich unter Druck, indem sie damit "drohen", dass sonst die Firma pleite geht, oder dich zur AußenseiterIn machen wollen, weil du (angeblich) die einzige seist, die keine macht... Bei Medion (PCs, Hausgeräte) in Mülheim heißt es immer, wenn Aldi mal wieder eine berüchtigte PC-Verkaufsaktion macht, dass im dortigen Call Center die rote Lampe fast durchglüht. Die Geschäftsleitung setzt dann für alle Zwangsüberstunden an: Jede Woche sollen sie sechs Tage arbeiten, für vier, acht oder mehr Wochen. Außerdem gilt dann eine Urlaubssperre. Bei Verizon (Telekommunikation; sprich: verreisen ;-) in den USA ist die Situation ähnlich: Regelmäßig wurden bis zu 15 Überstunden die Wochen angeordnet, so dass in der Regel zehn Stunden am Tag gearbeitet wurden. Leute, die in der Woche keine Überstunden manchen können, müssen am Wochenende arbeiten. Außerdem gibt es Beschränkungen beim Urlaub und für Arztbesuche... [hotlines-Website, 8. Juni 2001][91] Bei Fiat/Milano machen viele ArbeiterInnen Überstunden, weil sonst der Lohn nicht reicht, um die hohen Mieten und andere Lebenshaltungskosten zu tragen. Was steht dahinter? * Sie lassen uns regelmäßig Überstunden machen und zahlen uns einen Grundlohn für zwanzig oder vierzug Stunden die Woche. Falls wir krank sind, in Urlaub fahren oder so, bekommen wir natürlich nur den Grundlohn weiter.[92] * Außerdem spart sich das Unternehmen die Einstellung anderer ArbeiterInnen. Wir sollen antanzen, wenn der Laden brummt und ohne Kohle zu Hause bleiben, wenn Rezession ist oder einfach Flaute. Die Firma will über unsere Lebenszeit entscheiden. Das ist ein ähnlicher Mechanismus wie bei den ungesicherten Vertragsverhältnissen, welche die Kapitalisten einsetzen, um uns schnell einstellen und wieder rausschmeißen zu können. Lohn Erst der Lohn ermöglicht uns das Überleben. Aber was tun, wenn du dich zwanzig, vierzig oder mehr Stunden abrackerst und kommst doch nicht über die Runden? In der modernen Soziologie heißt das working poor, arbeitende Arme. In Britannien, Italien, aber auch hier in Deutschland gibt es Call Center, die so wenig Lohn rausrücken, dass mensch davon kaum leben kann.[93] Atesia, wie schon erwähnt eine Tochter der Italia Telecom mit dem größten Call Center in Roma, beschäftigt fünftausend ArbeiterInnen, die formal selbständig sind und ihre Arbeitsplätze "mieten" müssen. Dafür bekommen sie "Verträge" für jeweils drei Monate... einige schon seit Jahren. Sie werden nach Anrufen bezahlt, wobei sie für manche Anrufe einen Euro, für andere nur zehn Cents bekommen, je nach Art und Inhalt. Das monatliche Einkommen schwankt je nach Anrufzahl und Honorar zwischen 150 und 1.000 Euro.[94] Im März 2002 haben die ArbeiterInnen in Roma zwei Stunden gestreikt, weil sie für eine Kampagne der Telecom 15 Cents pro Anruf bekamen und damit am Ende des Monats gerade mal 140 bis 150 Euro verdient hatten. Der Streik war erfolgreich. Das Honorar wurde auf 40 Cents erhöht.[95] An der grundsätzlichen Situation hat sich aber nichts geändert: Atesia-ArbeiterInnen verdienen in der Regel netto weniger als eine Monatsmiete für eine Ein-Zimmer-Wohnung. In anderen Läden ist der Lohn zumindest höher als bei anderen Jobs für "Ungelernte": Bei Audioservice (Anzeigen, Ticketverkauf) und Hotline GmbH (Call Center-Dienstleitungen) in Berlin oder Emnid (Umfragen), unter anderem mit Call Centern in Bielefeld, Berlin und Köln, bekamst du im Jahr 2001 irgendwas zwischen 12 und 18 DM. Bei Teilzeitstellen reicht auch das nicht weit.[96] Bei Läden wie Citibank und Deutsche Bank 24 in Duisburg ist klar, dass du mit deinen 3.000 DM plus brutto weit unter dem Banktarif liegst (etwa 25 bis 30 Prozent). Das ist ja auch ein Ziel der Schergen: Abbau der FilialarbeiterInnen, Taylorisierung der Arbeit und Callcenterisierung der Arbeitsorganisation. So können sie dann ungelernte ArbeiterInnen für ihre Telefonjobs ansaugen - und mies entlohnen. Bei der Telecom Italia lässt sich genau beobachten, wie die Bedingungen insgesamt, aber auch der Lohn den Bach runter gegangen sind. Der Lohn ist unter Einrechnung der Inflation zwischen 1990 und 2001 um sage und schreibe 25 Prozent gesunken.[97] Dazu kommen Formen unentlohnter Arbeit, zum Beispiel bei ISI (Call Center-Dienstleistungen, Abo-Verkauf) in Bochum, Düsseldorf... Die Teamleiterin... teilte mit, dass das zwölfstündige Probetraining und 28 Telemarketingstunden für beide Seiten kostenfrei sind (hört sich doch ganz gut an, oder: Ich darf arbeiten und muss dafür noch nicht mal was bezahlen. Wo gibt's so was heutzutage schon noch?!) [hotlines-Website, 20. März 2001] Erst nach dieser "Probezeit" entscheiden die (von uns besonders verehrten) Herren und Damen der Geschäftsleitung, ob sie dich nehmen... aber nur, wenn du genügend Abos verkauft hast. Bei IFB (Terminvereinbarung für Steuerberatung) in Toulouse/Frankreich bescheißt der Chef die ArbeiterInnen bei den Prämien. Wenn Ihr Euch bei der Firma bewerbt, wirbt man mit den Prämien, die es für jeden Verkauf gibt, und verspricht Euch Aufstiegschancen im Unternehmen. Mit der Wirklichkeit hat das wenig zu tun: Seit meiner Einstellung habe ich nur eine einzige Prämie gekriegt, und das, nachdem ich eine Zeitlang ständig darauf hingewiesen habe, dass es sehr erstaunlich ist, dass es bei den ganzen Terminen, die ich herbeitelefoniert habe, zu keinem Vertragsabschluss gekommen ist. [Flugblatt einer Arbeiterin, hotlines-Website, 29. Oktober 2001] Andere Firmen lassen sich weitere Formen einfallen, wie sie den Lohn der ArbeiterInnen senken oder diese zu unentlohnten Arbeiten zwingen können: Sie verlangen, dass diese eine Viertelstunde früher zu Arbeit kommen, um ihre E-Mails zu lesen, sie ziehen jede einzelne Piss-Pause von der Lohnabrechnung ab... Warum diese Schweinereien mit dem Lohn laufen, brauchen wir nicht weiter zu erläutern. It's all about money, baby! Die einzelnen Kapitalisten würden uns gar nicht entlohnen, wenn sie ihr "Humankapital" nicht am Leben halten müssten. Sie entlohnen uns mit peanuts, wenn sie damit durchkommen. Intensivierung Je mehr wir in einer Stunde schaffen, desto profitabler unsere Arbeit für die Chefs. Egal, ob uns die Ohren abfallen, die Finger schmerzen, der Rücken krumm wird. Die Intensivierung der Arbeit hat viele Gesichter: Bei Hewlett Packard in Amsterdam versuchen die Teamleiter, dir möglichst viele Produkte oder Sprachgruppen aufzudrücken. Kannst du ein bisschen Französisch? Klar, schalten wir dich auch noch in die Leitung. Wenn du vorher mal zwischen den Anrufen Zeit hattest, im Netz zu surfen oder Zeitung zu lesen, schwafelt dich so noch ein verzweifelter Franzose mit seinen Computer- Verdauungs-Problemen voll (eventuell in einer Sprache, die du nicht mal richtig kannst). Bei Verizon in den USA sollen die ArbeiterInnen bei den AnruferInnen, die ein technisches Problem haben, gleich den Spieß umdrehen, und denen was verkaufen. Call Center-ArbeiterInnen wird beigebracht, eine Unterhaltung, sagen wir von einer Anfrage zur Rechnung, zu einem Verkaufsgespräch zu machen. Verizon nennt das 'überbrücken'." [englisch: bridging] Zitat Arbeiterin: "Stell dir vor, du rufst an, weil du belästigende Anrufe kriegst und eine neue Telefonnummer willst. Wir müssen dann in deine Daten schauen, sehen, welche Produkte du hast, und dann versuchen, dir was zu verkaufen. Aber nicht nur eine Sache, das ist nicht gut genug. Ich muss dir Voicemail anbieten, wenn du es nicht hast, doppelte Verbindung, wenn du es nicht hast. Ich muss mein Bestes tun, funkeln und sprühen, und dich soweit bringen, das du sagst, 'Ok, ich nehm' das für einen Monat, nur weil sie so nett sind!'. [hotlines-Website, 8. Juni 2001] Dieses zusätzliche Verkaufen (Firmenjargon: cross-selling) gab es auch bei der Citibank in Duisburg, wo die ArbeiterInnen an Inbound-KundInnen Kredite verkaufen sollen. Dort wird auch eine andere Form der Intensivierung gefahren: ArbeiterInnen machen Outbound-Calls, müssen aber zwischendrin immer wieder Inbound-Calls annehmen. Du bist gerade dabei, einen Anruf raus zu machen, aber - ring ring - sitzt dir ein Kunde am Ohr und will was von dir... Um die Zeiten zwischen den Anrufen zu verkürzen, lassen sie zum Beispiel bei Seaboard (Elektrizität) in Portslade/England die Anrufe automatisch durchstellen: Gleich wenn du dich hingesetzt und angemeldet hast, kommen die Anrufe rein. Wenn du einen beendet hast, schickt dir der Computer automatisch den nächsten. Dazwischen gibt es keine Zeit für Durchatmen oder Erholung von stressigen und emotional anstrengenden Anrufen. Du bist immer auf Leitung außer in der 15-minütigen Pause alle sechs Stunden. [hotlines-Flugblatt aus Brighton, März 2001] Bei der Deutschen Bank 24 in Duisburg hast du zwar die Möglichkeit, zwischen den Anrufen auf Nacharbeit zu gehen. Die Teamleiter schauen sich aber genau an, wie lange du darauf stehst. Echt zum Kotzen ist, dass sie die Anrufe direkt auf dein Headset stellen (direct-to-ear). Es gibt keine Möglichkeit, noch mal kurz zu entspannen und dann abzunehmen. Du sitzt da und wartest auf das Klingeln wie das Karnickel auf den Fangschuss. Dann musst du gleich loslabern. Das gleiche läuft bei Fiat in Milano und in vielen anderen Call Centern.[98] Die Schließung der Poren der Arbeit, der "toten Zeit", der kleinen Pausen zwischendurch, des Blickes aus dem Fenster, der verlängerten Zigarette, des Schwatzes mit dem Nachbarn ist eines der wichtigsten Projekte der Industriesoziologen und anderen Schergen der Ausbeuter. Sie können die Arbeit zwar stundenweise ausweiten, aber da geraten sie schneller an Grenzen: Manche von uns weigern sich, Überstunden zu machen. Die meisten sind nach sechs oder acht Stunden am Telefon sowieso platt... und daran ändern auch die Zuschläge nichts. Also bleibt die Intensivierung der Arbeit: Direct-to-ear, cross-selling, Beschränkung der Pausen, direktes Durchstellen des nächsten Anrufes... sie nehmen uns die wenigen Verschnaufpausen und Erhöhen den Stress.[99] Überwachung und Kontrolle Die Intensivierung funktioniert aber nicht ohne Überwachung und Kontrolle. Neben der üblichen Überwachung durch Vorgesetzte (Teamleiter), werden in Call Centern diverse Formen der automatischen Sammlung und Auswertung von Leistungsdaten eingesetzt. Stellt euch das so vor: Schichtanfang - sowieso eine sensible Zeit, in der du gerade den Kaffee am Automaten verschüttet hast und beim Durchlesen der 119 wichtigen Emails der Verkaufsabteilung gleich wieder einen gesunden Hass auf dein Dasein als Telefonsklave bekommst. Und schon schiebt sich die Teamleiter-Hyäne von hinten an dich ran und lässt charmant die Statistik vom letzten Tag auf deine Tastatur segeln. Anrufzahl, Anrufdauer, Pausenzeit, Zeit auf Bereit, Zeit auf Nacharbeit, Zeit vom ersten Klingeln bis zum Abnehmen. Klingeling. Hier ist die Deutsche Bla Versicherung... Die Kontrolle läuft auf zwei Ebenen: Sie halten quantitativ alles fest, um deine Arbeitsleistung bewerten zu können. Software schneidet alle Zeiten mit und liefert jederzeit Statistiken für die Bewertung der ArbeiterInnen. Daneben haben sie Formen der Kontrolle, bei denen es nicht um die Anzahl oder Zeiten geht, sondern um die "Qualität". Sie setzen sich neben dich oder machen Testanrufe, um dich nachher für die Fehler, das Gestotter und die fehlende menschliche Wärme gerade zu machen.[100] Quantität Bei Pacific Bell (Computer) in San Francisco/USA überprüft ein beförderter Agent ständig die aktuellen Call-Zeiten der anderen ArbeiterInnen. In der Mitte des Raums ist der Hotcube. Der Hotcubist ist heute George. Es ist sein Job, die Anrufe zu überwachen, die Zeiten zu beobachten, reinzuhören, wenn nötig, und uns abzumahnen. Wenn du länger als 30 Minuten telefonierst, wird das notiert. Bleib auf "Nacharbeit" (Zeit zwischen zwei Anrufen) für länger als drei Minuten, erscheint dein Name im Logbuch. Deine "Gesundheits"-Pause [Pissen!] dauert länger als fünf Minuten, das wird notiert. Verlasse deinen Schreibtisch ohne Eingabe des richtigen Codes. Notiert. [Artikel im East Bay Express, Dezember 2000] Dabei werden diese Überschreitungen der vorgegebenen Zeiten nicht nur notiert, der Hotcubist ruft die ArbeiterInnen auch direkt an und scheißt sie zusammen. Ähnliches kennen wir von Teamleitern aus anderen Call Centern. Diese Kreaturen hängen vor ihren Monitoren und glotzen auf Zahlen und Statistiken. Wenn die Toleranzen überschritten sind und die Zahlen rot leuchten, schreiten sie zu Tat. Bei Hewlett Packard in Amsterdam werden - wie schon erwähnt - in einigen Abteilungen jeden Tag die Statistiken vom Vortag ausgehängt. Schön aufgeschlüsselt nach einzelnem Agent, der Sprachgruppe und für das gesamte Team. Du kannst also jeden Tag vergleichen. Wer hat die meisten Calls ignoriert, wer quatscht am längsten, wer ist am längsten auf Pause... Die Teamleiter benutzen das, um Leute einzeln unter Druck zu setzen: Gestern war wieder ein schlechter Tag. Ihr müsst nach einem Call wieder schneller auf Bereit. Du hast wieder zwanzig Minuten am Stück auf Pause gestanden... Dabei benutzen sie den sogenannten Service-Level als scheinbar objektive Kategorie. Wenn von hundert Calls 15 länger als drei Minuten in der Warteschlange schimmeln und die anderen rechtzeitig angenommen werden, kommt ein Service-Level von 85 Prozent raus. Das HP-Management legt diese Service-Level-Schiene an alle eigenen sowie die externen Call Center an, die für HP Anrufe beantworten. Den internen Call Center-ArbeiterInnen wird angedroht, dass die Calls bei Versagen ausgelagert werden, den externen Call Center- ArbeiterInnen wird angedroht, dass der Auftrag dann halt an einen anderen Externen geht. Scheiß Spiel. Die quantitative Kontrolle hat die Funktion, die uns zum Arbeiten zu bringen und die Lücken und Löcher des Arbeitstages ausnutzen. Wir sollen zudem den Eindruck haben, dass wir ständig kontrolliert werden. Unsere Arbeitskraft soll in der vorhandenen Zeit so effizient wie möglich ausgebeutet werden - pausenlose Verwertung.[101] Qualität Eine weitere Ebene der Kontrolle bei Hewlett Packard, Fiat und vielen anderen Call Centern sind Testanrufe von internen oder externen Kontrollettis, die dir fiktive Fragen stellen (mystery calls). Bei HP läuft das angeblich ohne Festhalten des Namens des Agents, bei anderen Firmen wirst du direkt und persönlich angesprochen, wenn du versagt hast. Bei der Deutschen Bank 24 in Bonn musst du fast jeden Monat Bewertungsgespräche über dich ergehen lassen. Druck gibt es aber über die verschiedenen Formen der Qualitätskontrolle. Einmal im Monat ist ein "Coaching", bei dem die fachliche Kompetenz bewertet wird: ein "Coach" setzt sich neben dich, hört sich ein paar Gespräche an, füllt einen Bewertungsbogen aus und bespricht den dann mit dir. Ebenfalls einmal im Monat gibt es eine "Supervising", wo es um die sprachliche Kompetenz geht: ein "Supervisor" hört sich Gespräche an und erzählt dir dann, dass du zu viele Negativausdrücke benutzt, die Konjunktivformen vermeiden musst, und dass die WPAs fehlen (Worte persönlicher Anerkennung, zum Beispiel "Das haben sie gut gemacht", "Vielen Dank für ihre Vorschläge"...). Das "Supervising" entscheidet auch, ob ein Agents in der Lohnstaffel höher eingestuft wird. Die sprachliche Bewertung ist subjektiv und wenn der Supervisor dich nicht mag oder es irgendwelche anderen Gründe gibt, wird das einfach genutzt, um dir eine höhere Einstufung zu verweigern. Außerdem gibt es dann noch alle zwei Monate Einzelgespräche mit den Supervisoren, wo sie Gespräche von dir vom Band abspielen und das dann "analysieren". Damit werden die Agents in peinliche Situationen gebracht. [hotlines-Website, 16. November 2000] Bei TAS (Terminvereinbarung für Telekommunikationsfirmen...) mit Call Centern in Mülheim und anderswo sieht es ähnlich aus. Durch monatliche Bandanalysen und "Training on the job" (ein Qualitätsmanager sitzt hinter dir und hört sich deine Gespräche live an) wird kontrolliert, ob du auch wirklich "qualitativ hochwertig" telefonierst und den Bonus verdient hast. Auch hier ist öffentlich, wer die "Qualität" bekommen hat und wer nicht. [hotlines Nr. 2, Dezember 2000] Aber was soll all das Getue um die Qualität? Die Unternehmer versuchen alles, um uns den Stress aufzuladen, der mit der Arbeit unter diesen widersprüchlichen Bedingungen verbunden ist. Wir sollen trotz billiger Schulungen, fehlender Infos, schlechter Produkte... möglichst viele AnruferInnen pro Stunde befriedigen. Dabei setzen sie uns - scheinheilig - vor allem mit der "Qualität" unter Druck. * Wenn sie offen sagen würden, dass es ihnen nur um die Kohle geht, dann würden wir nicht halb so gut arbeiten. Also ködern sie uns mit der "Qualität" des Produkts oder der tollen Firma, für die es sich zu arbeiten lohne. * Wenn sie offen sagen würden, dass sie uns kontrollieren wollen, damit wir schneller arbeiten, dann würden wir uns schneller wehren. Also begründen sie die Kontrolle mit der heiligen "Qualität". * Wenn sie offen sagen würden, dass sie eigentlich keine Ahnung von der Arbeit und ihrer Organisation haben, dann würde die Frage aufkommen, wozu die Unternehmer eigentlich gebraucht werden. Also verstecken sie sich hinter fetten Qualitätsmanagement- Programmen und fordern uns zu "Verbesserungsvorschlägen" auf, um so von uns zu lernen. Ihr gewonnenes Wissen setzen sie aber weniger dazu ein, um die "Qualität" zu verbessern, sondern um uns mehr Arbeit aufzuhalsen und die Produktion zu "rationalisieren". [hotlines Nr. 3, März 2001] Willkür und Verarsche Mit all dieser Scheiße, unsichere Arbeitsverträge, miese Bedingungen, schlechter Lohn, Schichtpläne, die dich und dein Leben zerreißen... trotzdem scheint Call Center für viele ArbeiterInnen immer noch besser zu sein, als Putzen zu gehen, auf dem Bau Steine zu schleppen, in der Fabrik am Band zu stehen oder als Bürotusse bei einem öden Doc zu malochen. Falls sie überhaupt die Wahl haben.[102] Was sind deine Alternativen? Wenn wir das Verzeichnis der Konflikte durchgehen, bleiben wir auch bei anderen Sachen hängen, die nicht unbedingt an den Geldbeutel gehen oder dir nicht direkt Angst machen wegen der Kröten für die nächste Miete. Sie nehmen dir etwas, dass mensch allgemein Würde nennt. Deinen Stolz, Mensch! Das läuft auf mehreren Ebenen. Zum einen bringt dich der Job ständig in Situationen, in denen du den Schädel für Sachen hinhalten musst, die du nicht zu verantworten hast: die Lieferung ging nicht raus, die Warteschleife ist ewig lang, du hast die gewünschte Information nicht, dein Computer stürzt ab oder kommt nicht zu Potte... Die KundIn pampt dich dann an und du fühlst dich genötigt, das irgendwie zu rechtfertigen... Zum anderen empfinden viele ArbeiterInnen die Kontrolle jedes Schrittes als entwürdigend, zum Beispiel wenn die Teamleiter einen Zettel aufhängen, wo drauf steht, wie lange deine Pisspausen von gestern waren... Du fühlst dich zudem eingesperrt. Eine ArbeiterIn aus dem Call Center von Blu in Calenzano bei Firenze/Italien unterschrieb ihren Bericht mit Ein Individuum aus dem Knast von Calenzano. [hotlines-Website, 6. März 2002][103] Vorschriften Aber das geht weiter: Konflikte gibt es besonders bei der Qualitäts-Überwachung in Bezug auf die Ausdrucksweise, Sprache, Gestik. Bei der Deutschen Bank 24 in Duisburg wird in der Schulung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass du gerade am Schreibtisch sitzen und lächeln sollst. Das hören die Kunden dann am Telefon. Überhaupt sollst du ja positiv denken, bla blub. Bei Quelle (Bestellversand) in Essen wird auf genaue Sprachformeln, sogenannte Standardformulierungen, bestanden. Hier geht es nicht um Schrauben, die einer DIN-Norm entsprechen müssen, sondern die verdammten Worte, die du über die Lippen bringen sollst: "Willkommen bei Quelle, mein Name ist Vorname Nachname. Was darf ich für Sie tun?" Standardformulierungen, jede, die bei Quelle arbeitet, kennt sie. Noch ein Beispiel? "Herr/ Frau... Wir machen gerade eine Kundenbefragung. Sind Sie interessiert an Werbemitteln zum Thema 'Hunde'?"... [hotlines-Flugblatt zu Quelle, November 2000] Bei Verizon/USA wird ebenfalls kontrolliert, wie die ArbeiterInnen was sagen: Eine Arbeiterin meinte, sie wolle weniger Vorschriften, wie sie zu reden habe... Sie muss nach jedem Anruf sagen, "Habe ich sie heute hervorragend bedient" (Did I provide you with an outstanding service today?), und fühlt sich dabei oft wie ein Idiot. Wenn sie den Satz nicht bringen, kriegen sie eine schlechte Bewertung und werden nicht befördert. [hotlines-Website, 8. Juni 2001] Bei der Telecom Italia ist das nicht anders: Gerade hat die Firmenleitung entschieden, die Effizienz zu erhöhen, ohne Kosten, indem sie die berühmte Kunden-Begrüßungs-Formulierung einführen und durchsetzen: Guten Tag, Telecom Italia, mein Name ist Filippo, in welcher Sache kann ich Ihnen nützlich sein?"[104] Toller Satz, mit theoretisch großer Wirkung, aber praktisch nutzlos. Die armen Agents sind gezwungen, das bis zum Schwachsinnigwerden zu wiederholen, sonst gibt es mündliche Zurechtweisung oder sogar schriftliche Sanktionen. Stellt euch den Kunden vor, der seit Tagen auf eine Reparatur wartet und nicht mal den Schatten eines Technikers gesehen hat, was soll der auf eine solche Frage antworten?... Warum nehmen sie [die Chefs] nicht zur Kenntnis, das wir menschliche Wesen sind und keine Maschinen. [Bip Bip, Zeitung der Basisgewerkschaft Flmu-Cub, Firenze, Februar 2002] Dieser letzte Punkt ist bezeichnend: Sie behandeln dich so, als wärst du eine Maschine, die sie programmieren können. Du sollst pissen gehen, wenn sie es erlauben, du sollst loslabern, wenn sie einen Anruf durchstellen, du sollst den Mund so bewegen, wie sie es befehlen. Sie machen das, um ihre Ware "Telefonservice" besser verkaufen zu können, aber auch, um unsere Arbeit zu standardisieren und die Produktivität zu erhöhen.[105] Oft funktioniert das mit den Vorschriften nicht, weil sich die ArbeiterInnen Mittel und Wege einfallen lassen, sie zu umgehen, oder sie einfach ignorieren. Besonders erfahrenere ArbeiterInnen kennen Mittel und Wege, die Anweisungen auszuhebeln. Trotzdem produzieren die Vorschriften für viele permanenten Stress und kommen als Gängelung und Willkür rüber. Motivation Um dem entgegen zu steuern, setzen viele Kapitalisten auf den Einsatz von Prämien oder Motivation. Hewlett Packard in Amsterdam lässt dich auch glatt einmal im Monat für zehn Minuten von einem Masseur durchkneten - wie neuerdings auch bei der Lufthansa in Berlin - und eine Glückliche wird jeden Monat Agent des Monats und kriegt ein Geschenk. Bei ISI in Bochum, Düsseldorf... gibt es gleich mehrere Lollis: Derjenige, der in der Woche am meisten Abos vertickt, darf das ganze Wochenende den hauseigenen roten BMW fahren. Und alle drei Monate gibt's für die besten Verticker ein Wochenende in einer europäischen Hauptstadt. Ich konnte mich kaum mehr auf meinem Stuhl halten. [hotlines-Website, 20. März 2001] Verizon in den USA lässt sich auch nicht lumpen. Überall stehen Schilder rum, was mensch für Prämien kriegen kann, wenn er oder sie viel verkauft: Pizzas, Süßigkeiten, Reisen in die Karibik. [hotlines-Website, 8. Juni 2001] Bei der Deutschen Bank 24 in Duisburg müssen die frisch programmierten Teamleiter ständig erzählen, dass du für den besten Laden der Welt arbeitest. Du hast schon dreimal vorher für jeweils den besten Laden der Welt gearbeitet und bist kein Stück reicher und glücklicher geworden. Klar, dass sich viele ArbeiterInnen verarscht vorkommen. Die Unternehmer [machen] ein Riesenspektakel, damit wir hübsch weiterarbeiten (und nicht "innerlich kündigen"). Sie erzählen uns, wie toll ihre Firma ist, was für ein Glück wir doch haben, dass wir in ihrem Team arbeiten dürfen, und was für wichtige Produkte da hergestellt werden (Bankkredite, Computerdrucker, Babywäsche). Dann kommen sie noch mit Zertifikaten, Prämien und T-Shirts... Wir sind jetzt Teil der Familie, alle ziehen an einem Strang. Stellt sich nur die Frage, wer ihn um den Hals hat!? [hotlines Nr. 3, März 2001] "Schlechte" Ausbildung und Organisation Dabei geht vielen Call Center-ArbeiterInnen auch quer, dass sie oft nicht mal richtig wissen, was sie da machen, also schlecht oder gar nicht geschult werden. Bei Hewlett Packard in Amsterdam werden die ArbeiterInnen nach Sprachkenntnissen eingestellt, egal, ob sie vorher schon Computer-Kenntnisse hatten. Nach zwei oder drei Wochen Produkt- Schulung werden sie dann auf die KundInnen losgelassen... und haben oft keine Ahnung von nichts. Erst nach einigen Wochen, kommen sie langsam in Trab. Die AnruferInnen sind entsprechend genervt, weil sie falsche oder keine Hinweise bekommen und dafür noch Telefongebühren zahlen. Die ArbeiterInnen sind genervt, weil das absolute Scheiß-Situationen sind, wenn du nichts weißt, dir keine weiterhilft (keine Zeit) und du das dann irgendwie auflösen sollst. Bei der Deutschen Telekom wurden in den letzten Jahren alle Abteilungen - nicht nur die Call Center - im Rahmen des Angriffs auf die dortigen ArbeiterInnen und der Auslagerungen völlig durcheinandergewürfelt. Die Call Center-ArbeiterInnen müssen ausbaden, dass wenig zusammenläuft, sie ständig falsche oder veraltete Informationen haben... und die KundInnen oft wütend werden. Viele von ihnen sind ZeitarbeiterInnen oder Befristete, die schlecht oder gar nicht geschult wurden. Hier spielt rein, dass heute jedes Unternehmen bei seinen Produkten eine Hotline-Nummer angeben will, um sich als "service-orientiert" hinzustellen und über Kundenkontakt Beschwerden oder Wünsche mitzukriegen. Da kann mensch dann anrufen, wenn die Milch schlecht ist oder der neue PC nicht funktioniert. Aber oft sind die Nummern auch nur fake: Du kannst den AnruferInnen sowieso nicht weiterhelfen, weil die Infos fehlen, du keine Ahnung hast, worum es geht, du die Leute nicht an die Verantwortlichen durchstellen darfst... Du als Call Center- ArbeiterIn sollst das verstecken und mit irgendeinem Geschwafel ausgleichen. Kundenverarsche Darüber hinaus wirst du in einigen Call Centern direkt angehalten, die Kunden zu verarschen. Bei der Deutschen Bank 24 in Duisburg wurde mal eben ein Agent zum Teamleiter, weil ein Kunde, der nach einem "Vorgesetzten" verlangte, ruhiggestellt werden sollte. Ebenso wie bei Pacific Bell in San Francisco: Der Kunde wurde zu mir durchgestellt. "Sind Sie der Supervisor?", fragt er sofort. Seit Anfang des Monats sind alle im Call Center zu Supervisoren gemacht worden. Brian, der gerade auf seinem Schreibtisch schläft, ist Supervisor. Ian mit seinen zu vergelten roten Haarensträhnen ist Supervisor. Ron, der gebettelt hatte, nicht zum Supervisor gemacht zu werden, ist Supervisor. Ich hoffe, dass, wer auch immer uns zu Supervisoren gemacht hat, uns nächsten Monat zu Vorstandsmitgliedern ernennt. "Ja, ich bin Supervisor." "Endlich", seufzt er. Er tut mir leid: Er denkt, dass er jemanden erreicht hat, der was zu sagen hat. [Artikel im East Bay Express, Dezember 2000] Scheiß drauf, könnte Agent jetzt denken... und tatsächlich ist das die Reaktion vieler. Wenn du am Tag mit hundert oder zweihundert Stimmen zu tun hast, von denen zehn Prozent versuchen, dich am Telefon einzumachen, dann hast du sowieso die Faxen dicke.[106] Außerdem gibt es richtige Säcke, die dich am Telefon vollschlammen und denen du am liebsten eine verpassen würdest.[107] Bei den anderen erlebst du das als Widerspruch: Das sind auch MalocherInnen oder einfach Leute, die ihre Probleme haben. Als Call Center-ArbeiterIn versuchst du, die Verarsche und schlechte Arbeitsorganisation durch Nettigkeit und Hilfsbereitschaft auszugleichen. Genau das, worauf die Bosse setzen. Täten wir das alles nicht, würden die Call Center nicht funktionieren. Unsere "menschliche" Arbeit, das Reden mit den Kunden, das Eingehen, Zuhören, das Abstimmen mit den anderen ArbeiterInnen ist notwendiger Bestandteil der Ware Telefondienstleistung. Auch das hindert sie am breiten Einsatz von Sprachcomputern.[108] Eine andere Art von Kundenverarsche ist noch widerlicher: Du sollst irgendeine Scheiße verkaufen, von der du weißt, dass sie die Leute rein- oder abzieht. Bei der Citibank und der Deutschen Bank 24, beide in Duisburg, sollen zum Beispiel Inbound-ArbeiterInnen den AnruferInnen auch gleich Kredite verscherbeln. Die ArbeiterInnen wissen genau, dass die Zinsen die Leute noch weiter in die Abgründe jenseits des Dispo ziehen werden - und sie damit nicht mehr aus der Schuldenfalle rauskommen. Für die Banken ein gutes Geschäft, wenn die Leute nur noch für die Bankzinsen schuften. Bei IFB in Toulouse/Frankreich wissen die ArbeiterInnen auch, was sie tun: Das Ziel des Spiels ist es, leitende Angestellte, Handwerker, Freiberufler, große Bosse oder einfache Privatleute telefonisch zu erreichen, um ihnen ein "kostenloses Beratungsgespräch zum Steuerrecht" vorzuschlagen. Das soll ihnen ermöglichen, weniger Steuern zu zahlen, dank einer individuell zugeschnittenen Prüfung, die 103 Gesetzestexte berücksichtigt. Das ist nichts als Verarsche! Im Endeffekt wird ein einziges Gesetz beachtet und der Ratschlag der Vertreter ist einfach: Er schlägt eine Investition in Immobilien vor, das heißt eine Wohnung zu kaufen (für circa 600.000 Franc = 100.000 Euro). Er schildert, wie die Wohnung vermietet wird und man mit den Mieteinnahmen den Kredit zurückzahlt. Dazu kommt man dann in den Genuss einer Steuersenkung, die in diesem Fall durch das Gesetz "Besson" gewährleistet wird. Kurzfristig kann das funktionieren, aber auf lange Sicht ist das sehr riskant - genauer gesagt, für die Zeit, die benötigt wird, um den Bankkredit zurückzuzahlen. [Flugblatt einer Arbeiterin, hotlines-Website, 29. Oktober 2001] Es gibt viele solcher Call Center-Jobs: Mahnanrufe für säumige Kunden, Verkaufsaktionen für irgendwelchen Mist... Die meisten ArbeiterInnen schaffen diese Arbeit nur, wenn sie die KundInnen eben nur noch als solche sehen: Dinge, die mensch manipulieren muss, damit sie sich dahin bewegen, wo mensch sie hinhaben will. Auch bei den "harmloseren" Jobs im Inbound gibt es den Druck, die Leute zu verdinglichen, aber du hast noch Mittel und Wege, die Leute einigermaßen korrekt zu behandeln. Fazit Hier passt nicht alles rein. Es gibt noch andere Auseinandersetzungen, wie um Lärm und Gesundheit, Ratten in den Arbeitscontainern bei Medion, versiffte Headsets bei Quelle... Oft entzünden sich Konflikte auch an diesen Punkten, werden sie zum Anlass genommen, den ganzen Ärger rauszulassen. Aber es geht auch weniger um die einzelnen Fragen. Die Projekte der Verschärfung treffen uns als geballter Angriff der Kapitalisten... nicht nur bei Firmen wie der Citibank, Telecom Italia, Hewlett Packard oder Verizon, die immer wieder Restrukturierungen durchführen, um die ArbeiterInnen durcheinander zu wirbeln und in eine Konkurrenz zwischen Abteilungen und Standorten zu zwingen. Wir müssen im Kopf behalten, dass die einzelnen Konflikte von den Kapitalisten benutzt werden, um vom Ganzen abzulenken. Bei einer Diskussion von ArbeiterInnen des Call Centers von Fiat in Milano meinte eine, dass der Konflikt um die Kleiderordnung (zum Beispiel Krawatten-Zwang für Männer) oder das miese Kantinen-Essen nur von der eigentlichen Frage ablenkt: Dass nämlich die Arbeitsbedingungen insgesamt beschissen sind. Die ArbeiterInnen sollen sich über irgendwelche Kleinigkeiten aufregen, ihren Zorn auf den nächsten Teamleiter oder den Küchenchef richten, statt die Arbeit an sich oder das Ausbeutungsverhältnis anzugreifen.[109] Entscheidend ist, dass es für einzelne Fragen verhandelbare Lösungen gibt (etwas mehr Lohn, Freitag ist offenes Hemd erlaubt...). Und solange verhandelt wird, ist die Ausbeutung nicht in Gefahr... Dieser Punkt wird noch einmal auftauchen, wenn wir uns mit Gewerkschaften und Betriebsräten beschäftigen.[110] Bis hier haben wir die einzelnen Momente beschrieben. Jetzt kommen wir zu den Mitteln, die sich die ArbeiterInnen dagegen einfallen lassen. 6.2 Kampflinien ...wenn die BüroarbeiterInnen nicht im Takt fremder PC-Eingaben malochen, sondern das Intranet zur Koordination des Streiks nutzen; wenn die Fließbandarbeiterin nicht der Montiererin vor ihr nachhetzen muss, sondern die Zusammenarbeit genutzt wird, um die gesamte Endmontage lahm zu legen; wenn die Kämpfe in den Schulen eine ganze kommende Generation von ArbeiterInnen versaut; wenn in den Kitas die gemeinsamen proletarischen Einkäufe oder Mietstreiks organisiert werden... entwickeln [Kämpfe] eine materielle Macht, weil sie die Kapitalakkumulation unterbrechen und den Staatsapparat zersetzen können. Nur in diesen Konflikten, die sich in den täglichen Strukturen der erzwungenen Zusammenarbeit ergeben, ist die Selbstorganisierung des Kampfs durch die Kämpfenden möglich. In diesen Auseinandersetzungen verändern sich die Beziehungen und Bedürfnisse. Dabei können wir erkennen, dass Mittel und Möglichkeiten gegeben sind, eine andere, nicht-kapitalistische Gesellschaftlichkeit zu schaffen. In diesen Kämpfen steckt die Chance, die vermeintliche Übermacht des Kapitals, die scheinbare Unabhängigkeit des Staates und Natürlichkeit der Geschlechterbeziehungen als Papiertiger zu outen. Weil sich die praktischen Verhältnisse untereinander und zu den Produktionsmitteln verändern und sich im Kampf ohne kapitalistische Vermittlung herstellen lassen. Diese reale Bewegung innerhalb der kapitalistischen Ausbeutung nennen wir Klassenkampf. [kolinko, Subversion des Alltags, Oktober 1999] Eine neue (revolutionäre) Klassenbewegung kann nur auf den Kämpfen fußen, die wir in den Klitschen, auf den Baustellen, den Montagehallen, Ämtern, Büros und Verkaufstempeln führen. Dabei können diese an den Orten der Ausbeutung die Initiative zu erlangen und den Bossen einheizen. Aber uns geht es um mehr: Um die Fähigkeit der ArbeiterInnen als Klasse, das Ausbeutungsverhältnis zu zerstören und die Gesellschaft grundlegend umzukrempeln. Deswegen interessieren uns auch die Verhaltensweisen und Kämpfe der ArbeiterInnen in Call Centern. Aber wo finden sich dort die Kämpfe? Können die ArbeiterInnen da überhaupt kämpfen? Wir wollen uns das an Beispielen ansehen: a [Sabotage] b [Appelle] c [Streiks] Sabotage In einigen Call Centern haben ArbeiterInnen Formen der Sabotage gefunden, wie zum Beispiel die Technik abkacken zu lassen, wenn es zu viel Stress gibt. Ctrl-Alt-Del... und du hast drei Minuten Pause, bis der Rechner wieder gebootet hat. Einen Call auf deinem Apparat verhungern lassen... und du kriegst erstmal keinen neuen. Ein bisschen an den Kabeln gefummelt... und der Techniker muss kommen und den Fehler finden (ok, armes Schwein...). Der wahrscheinlich häufigste Grund für Sabotage ist das kreative Ausdrücken des Hasses auf oder Frustes bei der Arbeit. Es gibt tatsächlich Leute, die ihr Arbeitswerkzeug - Headset, Computer, Software... aus purem Zerstörungswillen demolieren. Auch diese Sachen laufen meist individuell. ArbeiterInnen merken, dass sie zusammen nichts hinbekommen, um den Stress zu stoppen. Folglich schmeißen sie den Holzschuh in die Maschine.[111] Andere ArbeiterInnen reagieren mit Sabotage auf konkrete Verschärfungen. Bei der Deutschen Bank 24 in Bonn haben die Bosse im Jahr 2001 Trennwände eingeführt und durchgesetzt, dass den ArbeiterInnen bei Schichtbeginn bestimmte Plätze zugeordnet werden. Sie wollten verhindern, dass diese sich in ihren Cliquen zusammensetzen und dann auch mal zwischendurch zusammen Späßchen machen. Immerhin hat die Nachtschicht es dann regelmäßig auf die Reihe bekommen, die Trennwände wieder abzubauen. Bei Streiks wird Sabotage zu einem Mittel, um mehr Druck auszuüben oder Streikbruch zu erschweren. In der Zeit des Streiks bei der British Telecom im Jahre 1999 ließen sich die ArbeiterInnen einiges einfallen: Es wird berichtet von einer großen Anzahl von Anrufen nach Übersee, die mit insgesamt 15.000 Pfund zu Buche schlugen. Bei einem Anruf der Zeitansage in Zimbabwe soll der Hörer die Nacht über neben der Telefonanlage liegengeblieben sein; außerdem wurden Haushalte mit kaputten British Telecom-Geräten mit der besten Ausrüstung, die am Lager war, beliefert. Viele machten nur Dienst nach Vorschrift, verweigerten alle "Extra"- Aufgaben, die nicht in ihrer vertraglichen Arbeitsbeschreibung auftauchen. Und während die Atmosphäre im Büro zuvor verkrampft und feindlich war, war sie nun belebend, mit ArbeiterInnen, die fröhlich quatschend die Füße hochlegten und so ihre Weigerung zum Ausdruck, irgendeine Arbeit zu erledigen. [Undercurrent Nr. 8, Brighton, Sommer 2000] Auch beim Streik bei Verizon in den USA haben ArbeiterInnen Sabotage eingesetzt, unter anderem um den Streikbrechern aus dem mittleren Management, die in den Call Centern und in der Instandsetzung eingesetzt wurden, das Leben schwer zu machen. Es gab Sabotage-Aktionen (von 450 Fällen wurden 230 aus New York City gemeldet): Leitungen wurden durchgeschnitten und nach Angaben von Verizon leitende Angestellte mit faulen Eiern, Flaschen und Steinen beworfen; in einem Fall wurde ein Service-Truck abgefackelt; ein anderer wurde in einem Tor eingeklemmt und dann demoliert; bei anderen wurden die Radmuttern gelockert... In den Zeitungen wurde über Fälle von "Vandalismus" berichtet (Schlagzeile: "Tausende von New Yorkern ohne Telefon während des Streiks"). [hotlines-Website, 8. Juni 2001][112] Appelle Die meisten ArbeiterInnen in Call Centern haben wenig Erfahrungen mit kollektiven Kampfformen. Oft wissen sie wenig darüber, wie die Bosse reagieren könnten oder welche wirksamen Mittel sie selbst einsetzen können. Das liegt zum einen daran, dass dort viele junge ArbeiterInnen eingestellt werden, zum anderen auch an den wenigen Streiks und Kämpfen der letzten Jahre. So bleiben die ArbeiterInnen dann in ihren Versuchen, sich zu wehren, oft bei vorgezeichneten, "demokratischen" Formen hängen. In einigen Auseinandersetzungen sind die ArbeiterInnen darauf gekommen, dass eine Unterschriftenliste soviel Druck erzeugen könnte, dass der Boss dann schon einsieht, dass er dies und jenes nicht durchziehen kann. Schließlich ist er ja auch nur ein Mensch und gemäß dem demokratischen Mythos entscheidet ja die Mehrheit... Bei der schon erwähnten Auseinandersetzung bei Audioservice in Berlin um Tagelöhner-Verträge und die Verweigerung von Urlaubsentgelt und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall machten die ArbeiterInnen eine Unterschriftenliste ("Liebe Geschäftsführung..."), die etwa dreißig ArbeiterInnen unterschrieben. Sie erwarteten, dass die Chefs angesichts dieser offenen Unmutsäußerung auf ihre Forderungen eingehen müssten. Statt dessen wurde etwa der Hälfte von ihnen gekündigt. Die Chefs suchten die aus der Liste raus, die sie für die "RädelsführerInnen" hielten oder sowieso loswerden wollten. Ähnlich war der Fall bei ADM in Berlin, wo über siebzig ArbeiterInnen Anträge auf die Gewährung von Urlaubsentgelt stellten. Bald darauf wurden einige der ArbeiterInnen entlassen, andere in Einzelgesprächen unter Druck gesetzt. "Entweder ihr nehmt den Antrag zurück, oder ihr könnt gehen!" Bei Medion gingen schon mehrfach Unterschriftenlisten rum, zum Beispiel um die Aufschaltung weiterer Calls (zu anderen Produkten) zu verhindern. Diese wurden dann dem Betriebsrat übergeben, damit der das gegenüber der Unternehmensleitung durchsetzt. Die Sachen versandeten... Bei einer Unterschriftenliste denkt mensch an nichts Böses, aber die Teile sind eine Falle: Vielleicht werden die Namen einfach nur vermerkt und bei anderen Auseinandersetzungen wieder rausgekramt; im schlechten Fall weiß die Geschäftsführung aber sofort, wer da aufmüpfig wird, und leitet Maßnahmen wie Abmahnung, Mobbing, Kündigung... ein. Bei Audioservice haben ArbeiterInnen vor dem Arbeitsgericht gegen die Kündigungen geklagt. Ebenso bei den Kündigungen bei Hotline GmbH in Berlin, wo ArbeiterInnen rausgeschmissen wurden, weil sie gegen eine Kündigungswelle protestierten und die Gründung eines Betriebsrates vorbereiteten. In beiden Fällen sprangen Abfindungen zwischen 500 und 5.000 DM raus. Mit Klagen vor dem Arbeitsgericht verlangen wir vom Staat, uns gegenüber den Kapitalisten zur Seite zu stehen.[113] Wir wollen niemand davon abhalten, zum Arbeitsgericht zu gehen und wenigstens Kohle rauszuschlagen, aber das ist ein Sache, die wir einsetzen, weil wir keine anderen Wege finden oder zu schwach sind, uns durchzusetzen. Wenn du mit dem Rechtsanwalt vor so einer Richternase sitzt, fällt dir alles mögliche ein, aber nicht der kollektive Kampf gegen ein Verhältnis, das dich am nächsten Tag wieder aus dem Bett und unters Headset zwingt. In den beschriebenen Fällen hat sich letztlich auch nichts geändert: Die Call Center haben halt Leute entlassen und neue eingestellt, einige ArbeiterInnen haben etwas Kohle bekommen und werden jetzt woanders ausgebeutet... Streiks Der Streik bei der Citibank war einer der Ausgangspunkte für unsere Untersuchung und Intervention. Dieser und andere Streiks zeigen deutlich, wo in den konkreten Auseinandersetzungen in Call Centern die Macht der ArbeiterInnen liegt - und wo ihre Grenzen sind. Sehen wir uns an Beispielen an, was bisher passiert ist: Citibank 1998 Fangen wir mit dem Streik an, der Ende 1998 im Ruhrgebiet dafür sorgte, dass die Situation in Call Centern öffentlich diskutiert wurde. Ausgangspunkt war die Ankündigung der Citibank- Unternehmensleitung, die Call Center in Bochum, Duisburg und Gelsenkirchen (und weitere, unter anderem in Frankfurt) zu schließen und die Aufgaben in einem neuen Call Center in Duisburg zu konzentrieren. Die alten Verträge der ArbeiterInnen sollten aufgelöst werden und es war klar, dass nicht alle in Duisburg wieder eingestellt würden. Zudem waren die Bedingungen im neuen Call Center von vorne herein schlechter: niedrigerer Lohn, längere Arbeitszeit, weniger Urlaub... Im Bochumer Call Center gab es einen Betriebsrat, der unter anderem aus Leuten bestand, die schon politische Erfahrungen im Asta[114] an der Ruhruniversität Bochum gesammelt hatten. Der Betriebsrat schaltete aber auch die Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (hbv) ein. Er forderte die Aufnahme von Tarifverhandlungen mit dem Ziel, dass die Bedingungen der "alten" Call Centern auch für das neue in Duisburg gelten. Es wurde schnell deutlich, dass die Citibank darauf nicht eingehen würde. Betriebsrat und Gewerkschaft organisierten über die vorgesehenen Wege - Betriebsversammlung, Urabstimmung - drei mehrstündige Streiks, die über Wochen verteilt stattfanden. Als die Unternehmensleitung der Citibank sich auch weiterhin nicht ernsthaft bewegte, veranstaltete der Betriebsrat Kundgebungen und Öffentlichkeitsaktionen, um mehr Druck auszuüben. Tatsächlich ließ er so den Kampf mit symbolhaften Aktionen leer laufen und verhandelte schon über einen Sozialplan. Mitte 1999 wurden dann die "alten" Call Center dichtgemacht und nur wenige in Duisburg wieder eingestellt. Basierend auf Gesprächen und Interviews mit Citibank-ArbeiterInnen heißt es in einem Bericht: Ein Problem der Kommunikation während des Streiks bestand in der Tatsache, dass siebzig Prozent der ArbeiterInnen auf Teilzeit arbeiteten. Die Betriebsversammlungen konnten so nicht von allen ArbeiterInnen besucht werden. Viele bekamen daher erst spät oder unmittelbar am Streiktag von Aktionen mit. Während des Streiks standen die ArbeiterInnen vor dem Unternehmensgebäude, das durch Wachpersonal gesichert wurde, während drinnen StreikbrecherInnen weiter arbeiteten. Die Zeit während der Aktion wurde dazu genutzt, sich gegenseitig über den Stand der Verhandlungen etc. zu informieren. Von Betriebsrat und Gewerkschaft wurde dann auch zu den Innenstadt-Aktionen (Verteilen von Postkarten mit Boykottaufrufen...) mobilisiert. Die Stimmung schwankte zwischen Euphorie, Aggression und Enttäuschung. Euphorie darüber, dass etwas passierte, was den normalen Arbeitsalltag unterbrach. Aggressionen über die Reaktionen der Geschäftsleitung, die Partys für Streikbrecher organisierte. Enttäuschung, als klar wurde, dass die Aktionen die Schließung nicht verhindern werden und die Streikbeteiligung am dritten Aktionstag stark nachließ. Es wurde auch Unmut über die Strategien der Gewerkschaften und des Betriebsrats laut: Meistens wurde an Samstagen gestreikt, wo weniger ArbeiterInnen Schicht hatten. Nur wenige forderten einen dauerhaften Streik über eine Woche bzw. zu Zeiten mit höherem Kundenvolumen. Eine einheitliche Linie unter den ArbeiterInnen wurde auch dadurch erschwert, dass sie unterschiedliche Perspektiven hatten: viele waren Studis, die den Job eh nur als vorübergehendes Übel ansahen, für andere war es "ihr Arbeitsplatz", der ihnen auch zukünftig die Lebensgrundlage sichern musste. Viele Studis waren kämpferischer eingestellt, da sie scheinbar weniger zu verlieren hatten. Als klar wurde, dass wohl niemand einen Vertrag bekommen würde, überwog bereits der Frust, mit den Aktionen nichts erreicht zu haben. [hotlines-Website, 25. Juni 2001] Hier werden schon einige Widersprüche deutlich: * Die ArbeiterInnen hatten unterschiedliche Ziele im Kampf. Während einige tatsächlich den Job in Duisburg mit gleichen Bedingungen haben wollten, war für andere klar, dass sie sowieso nicht nach Duisburg wechseln.[115] Einige setzten also von vorne herein auf Abfindungen und andere Jobs. * Zwar fühlten sich die streikenden ArbeiterInnen in der Aktion stärker ("Endlich zeigen wir es denen mal!"), aber das führte nicht zu einer "spontanen" Übernahme der Initiative. Die Organisierung des Streiks und der Kundgebungen lag weiter in den Händen der Betriebsräte. * Die Citibank war entschlossen, die Schließung durchzuziehen. Es gab wenig Raum für einen Erfolg des Streiks. * Die ArbeiterInnen haben es nicht geschafft, die Streikaktionen effektiver einzusetzen. Streik nur für ein paar Stunden und vorher angekündigt, sodass sich die Unternehmensleitung vorbereiten kann: Das bleibt ein schwaches Druckmittel. Das lässt sich aber nicht einfach auf den mäßigenden Einfluss der Betriebsräte (und der Gewerkschaft hbv) zurückführen, die dafür sorgten, dass alles seinen gesetzlich abgesegneten Gang geht. Die ArbeiterInnen hatten einfach auch keine Erfahrung mit Streiks und waren zu unentschlossen, um die Initiative zu übernehmen und unangekündigt die Arbeit hinzuschmeißen, wenn gerade die Warteschleife brummt. Bei den angekündigten Streiks hatte die Citibank viel Zeit, den Streikbruch zu organisieren: Die Unternehmensleitung unternahm verschiedene Maßnahmen, um den Streik zu brechen bzw. seine Auswirkungen zu schwächen. Erstens wurden viele Anrufe von Bochum zur Direktbank nach Aachen "umgeroutet", das heißt die TelefonistInnen in Aachen mussten zusätzlich Anrufe entgegennehmen, die für Bochum bestimmt waren. Zwischen den ArbeiterInnen in Bochum und Aachen bestand durch den Arbeitsablauf (Weiterleiten von KundInnen) täglich Kontakt. Nach den Aktionstagen kam es so auch zu Austausch über den Streik, was von Ablehnung ("Ihr mit eurem Scheiß-Streik. Wir hatten wieder totalen Stress!") bis zu solidarischeren Äußerungen reichte. Viele KundInnen, die durch die Presse vom Streik wussten, waren entgegen aller "Service über alles"-Ideologie überraschend unterstützend und forderten neben der Information über ihren aktuellen Kontenstand dazu auf, "sich nichts gefallen zu lassen". Zweitens wurde eine Parallelabteilung in Duisburg aufgebaut. Teamleiter aus Bochum wiesen dort ArbeiterInnen ein, die bereits zu schlechteren Verträgen die selben Aufgaben erledigten, wie die ArbeiterInnen in Bochum. Ihnen wurde mündlich versprochen, später in das neue Gebäude in Duisburg wechseln zu können. Wir wissen nicht, ob diese ArbeiterInnen vom Streik wussten und sich klar waren, dass sie Streikbrecherarbeit leisteten, wenn sie an Streiktagen die Anrufe aus Bochum entgegennahmen oder die sich häufenden Sabotageakte von Bochumer ArbeiterInnen (AnruferInnen aus der Leitung schmeißen...) ausglichen. Drittens wurden während der Streikaktion etwa vierzig Leute über Leihfirmen (Manpower, ...) im Bochumer Call Center beschäftigt. Streikbrechende TeamleiterInnen oder ArbeiterInnen wiesen sie ein, was bei der gering qualifizierten Arbeit möglich war. [hotlines- Website, 25. Juni 2001] Das Unterlaufen eines Streiks durch Umrouten der Anrufe in anderen Call Center wird später wieder auftauchen. Hier wird aber auch die Schwächung deutlich, die in der Spaltung der ArbeiterInnen in verschiedene Call Center, Abteilungen oder Vertragsverhältnisse (Zeitarbeit, Teilzeit...) liegt. British Telecom 1999 Beim Streik bei der British Telecom war genau das einer der Ausgangspunkte: Vor Weihnachten 1999 traten ArbeiterInnen von British Telecom das erste Mal seit dreizehn Jahren wieder in Streik. Diese Streiks fanden in den Call Centern für technische Störungen statt und gelten als erster Streik in Call Centern in Großbritannien. Eine Serie von drei Ein- Tages-Streiks wurde von der Gewerkschaft der KommunikationsarbeiterInnen (Communication Workers' Union, CWU) ausgerufen, als Protest gegen die zunehmende Beschäftigung von ZeitarbeiterInnen (was von den festangestellten ArbeiterInnen als das angesehen wird, was es ist: eine Strategie, um die Löhne zu senken und sie letztendlich durch geringer bezahlte ArbeiterInnen von Zeitarbeitsfirmen zu ersetzen) und gegen den starken Druck und die Intensivierung der Arbeit, die das Management den ArbeiterInnen auferlegt hat. Allerdings fand nur einer der drei Streiktage tatsächlich statt, weil die CWU und das Management, wie üblich, zu einer Vereinbarung über eine umfassendere Anerkennung der Gewerkschaft am Arbeitsplatz kamen. [Undercurrent Nr. 8, Brighton, Sommer 2000] Am Streik waren 4.000 ArbeiterInnen aus 37 Call Centern beteiligt. Die ZeitarbeiterInnen streikten nicht, was auch an ihrem unsicheren Status liegt: die British Telecom kann sie quasi von einem Tag auf den anderen nach Hause schicken. Zudem kann in Britannien auch die Zeitarbeitsfirma die Leute sofort kündigen, wenn der Auftraggeber (also in diesem Fall die British Telecom) die Leute nicht mehr will. Auch hier haben die ArbeiterInnen nur kurz gestreikt und wenig bis nichts durchgesetzt. Zwar hat der Streik gezeigt, dass auch in diesen taylorisierten Telefonierfabriken gekämpft werden kann, weswegen er - wie der bei der Citibank - dann auch ein breites Echo vor allem in der linken Medienlandschaft gefunden haben. Die Gewerkschaft hat aber auch diesen Streik lediglich benutzt, um sich als Verhandlungsführer anerkennen zu lassen. Es gab keine Kerne von ArbeiterInnen, welche die Initiative übernehmen konnten. Gegenüber den Ausbeutern blieben die Aktionen schwach. Auch hier steht die Zersplitterung der ArbeiterInnen in verschiedene Call Center und Vertragsverhältnisse dahinter. Die ArbeiterInnen haben keine Formen gefunden, diese Schwäche auszugleichen. Verizon 2000 Die ArbeiterInnen von Verizon in den USA haben mit ihrem Streik im August 2000 mehr rausgeholt - unter anderen Voraussetzungen. Über 86.000 ArbeiterInnen - Call Center- ArbeiterInnen, TechnikerInnen... - traten in mehreren US-Bundesstaaten in den Streik, nachdem der alte Tarifvertrag ausgelaufen war. Die Streikenden waren in zwei Gewerkschaften organisiert, der Großteil in der Communication Workers Union (72.000) und der Rest in der International Brotherhood of Electrical Workers (14.000). Bei dem Streik ging es offiziell vor allem darum, dass die Gewerkschaften auch in den neuen "Boomsparten" Mobilfunk und Internetdienstleistungen Mitglieder organisieren können. Hintergrund ist, dass Verizon dort schlechtere Bedingungen durchsetzte und auch ArbeiterInnen aus anderen Bereichen in diese Sparten verschieben wollte. In den 15 Tagen, in denen der Streik andauerte, fanden täglich Hunderte von Streikposten- Aktionen statt. Die große Mobilisierung lässt sich darauf zurückführen, dass es im Streik auch um die insgesamt beschissenen Bedingungen ging: viele Pflichtüberstunden, Stress durch die hohe Arbeitsintensität... Während des Streiks konnte Verizon den Telefonverkehr aufrechterhalten, weil 98 Prozent aller Anrufe automatisch vermittelt werden. Einige ArbeiterInnen ergriffen Maßnahmen, die Situation zu verschärfen, und zerstörten vor allem in New York City Telefonrelais: Ein Uni-Prof zu den Anschlägen: "Verizon-Arbeiter haben eine besonders effektive Waffe, weil sie die komplizierte Verkabelung New Yorks kennen - und wegen der breiten Öffentlichkeitswirkung, die ihnen sicher ist, wenn das Netz gestört wird. Sie kennen die Infrastruktur, weil sie die aufgebaut haben." [hotlines-Website, 8. Juni 2001] Der Einsatz von etwa 30.000 Streikbrechern aus dem unteren und mittleren Management sollte einen Minimalservice aufrechterhalten, aber dies scheiterte oft an deren Unfähigkeit. In der Telefonauskunft, wo die Call Center-ArbeiterInnen normalerweise 1.000 bis 1.200 Auskünfte geben, schafften die streikbrechenden Sesselpuper ein Viertel dessen... Zehntausende warteten auf einen Neuanschluss, Reparaturen wurden nicht ausgeführt. Es gab lange Wartezeiten und Ausfälle in den Call Centern. [hotlines-Website, 8. Juni 2001][116] Auch in diesem Streik gab es Widersprüche: Im Mobilfunkbereich wurde nicht gestreikt, ebenso in Bereichen, die einem anderen Tarifvertrag unterlagen. Und auch hier benutzten die beteiligten Gewerkschaften den Streik, um sich gegenüber den Bossen als Verhandlungsführer und Garanten eines Tarifabschlusses neu zu profilieren. Der Abschluss nach zwei Wochen Streik sah Lohnerhöhungen und Leistungsprämien, eine Begrenzung der Überstunden und die Möglichkeit für die Gewerkschaft vor, die ArbeiterInnen in der Mobil- und der Internet-Sparte als Mitglieder zu werben. Wie sagte doch der CWU-Gewerkschafts-Präsident Morton Bahr nach dem Streik zum Tarifabschluss: "Dieses Ergebnis sichert die Zukunft unser Mitglieder in dieser Firma und hilft auch Verizon, seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen". [hotlines-Website, 8. Juni 2001] Telecom Italia 2001 Eine andere Variante der Streikauseinandersetzungen läuft seit einiger Zeit bei der Telecom Italia. Dort organisieren ArbeiterInnen mit Unterstützung von Basisgewerkschaften[117] kurze Streiks gegen die Arbeitsintensivierung, Auslagerungen, Entlassungen und die miesen Löhne. Die Flmu- Cub in Firenze/Italien ruft zum Beispiel jeden Monat zu Streiks an bestimmten Tagen auf, bei denen unter anderem Nacht- oder Wochenendarbeit verweigert wird. An diesen Aktionen nehmen schon mal Hunderte ArbeiterInnen teil. Dazu heißt es in einem Flmu-Flugblatt: Telecom Italia ist dabei, zahlreiche Arbeitsplätze zu streichen und weitere zu verlegen. Außerdem werden neue Arbeitszeiten und eine neue Arbeitsorganisation eingeführt, insbesondere in den "online"-Sektoren, die sich als weiterer Angriff auf die "Würde" der ArbeiterInnen darstellen, durch die technologische Kontrolle, die Willkür der "Verantwortlichen" etc. All das mit dem Ziel, Arbeitsplätze zusammenzustreichen und die in höherem Maße prekäre und flexible Arbeit einzusetzen. (...) Um diesen Prozessen was entgegenzusetzen und "humanere" Arbeitsbedingungen durchzusetzen, ruft die Basisgewerkschaft Flmu-Cub für den 15. Oktober alle ArbeiterInnen (...) zum Streik auf. - Gegen die Prekarisierung und Flexibilisierung - Gegen die Verlagerung und Auslagerung der Arbeit und der ArbeiterInnen - Gegen die neuen Arbeitszeiten und die Organisation "Modell Call Center" - Für den Verbleib der Arbeitsplätze auf lokaler Ebene - Für humanere Arbeitsbedingungen und das Beibehalten von Schicht-Tausch - Für die Einhaltung der Gesundheits- und Sicherheits-Standards [Flugblatt der Flmu-Cub, Firenze, Oktober 2001] Es ist schwer einzuschätzen, welche Auswirkungen diese Form der regelmäßigen, kurzen Streiks tatsächlich haben. Es scheint, als seien sie bis zu einem gewissen Grad auch von den Kapitalisten akzeptierte Ausdrucksformen des Unmuts, bei dem Druck abgelassen wird. Das Streikrecht sieht in Italien vor, dass eine Gewerkschaft einen lokalen Streik lediglich zehn Tage vorher ankündigen muss.[118] Für die Streikenden bedeutet dies, dass sie in dem Fall nicht entlassen werden - sofern sie nicht in der Probezeit sind - aber halt keinen Lohn für die gestreikten Stunden sehen. Die Telecom Italia setzt gleichzeitig in Bezug auf die Call Center auf zwei Strategien, um die Auswirkungen der Streiks zu begrenzen: * Kurzfristig leitet sie die Anrufe in andere Call Center um. Daraus ziehen die AktivistInnen der Flmu-Cub den Schluss: Wir müssen die Kampfformen den Änderungen in der Arbeitsorganisation anpassen: Wenn heute die ArbeiterInnen der 187 [technischer Support] der Telecom Italia in der Toskana streiken, auch mit hoher Beteiligung, hat das schwerlich Auswirkungen auf die Firma, weil der Streik in der Toskana durch die 187 in Ligurien "aufgehoben" wird. Dasselbe gilt für die anderen Call Center. [Flugblatt der Flmu-Cub, Firenze, Dezember 2001] * Langfristig zerlegt sie die Call Center immer weiter in räumlich getrennte Einheiten, lagert bestimmte Bereiche aus oder vergibt sie an Fremdfirmen. Dazu wieder die AktivistInnen: Außerdem werden die Streiks zu einer "stumpfen Waffe", weil die Arbeit auch an andere Firmen weitergegeben wird: Bei der 187 werden die Anrufe zu Atesia geleitet. Die logische Konsequenz ist, dass Kampfinitiativen auf alle Call Center einer Firma ausgedehnt werden müssen, um Wirkung zu zeigen. Nicht nur das: Es ist notwendig, auch die verbundenen Unternehmen in den Kampf einzubeziehen, wie zum Beispiel Atesia. [Flugblatt der Flmu-Cub, Dezember 2001] Blu 2002 Noch ein Beispiel: Blu (Mobilfunk) in Firenze. Nachdem das Call Center vor etwa zwei Jahren mit großem Tamtam und Staatsknete gefördert aufgemacht wurde, wollen die Groß-Aktionäre (unter anderem Benetton) nun das ganze Unternehmen verkaufen, was die Schließung der Call Center bedeuten kann. Seit Februar 2002 werden nach und nach die Leute mit auf zwei Jahre befristeten sogenannten Ausbildungsverträgen rausgeschmissen. Hier Auszüge aus einem Interview: Als am 13. [Februar] gesagt wurde, dass kein Vertrag verlängert wird, war das wie ein Schock. Nicht nur für die 24 an dem Tag Betroffenen, sondern für alle anderen, die auch solche Verträge haben. Als die Nachricht am Vormittag kam, hörten alle sofort mit Telefonieren auf. Die meisten Manager waren an dem Tag nicht zu sehen. Von den Teamleitern waren ja auch einige betroffen. Die anderen haben sich zurückgehalten. Es gab wütende Diskussionen. Die Leute haben sich verraten gefühlt. Sie hielten sich für die "guten Agents", die Erfahrenen, waren zum Teil schon aufgestiegen... und jetzt das. Zudem hatten gerade die an dem Tag Entlassenen auch persönliche Kontakte zum Management, was unter anderem aus der Anfangszeit herrührte, als alle zusammen noch wenige waren. Die Diskussionen dauerten einige Stunden an. Die Anrufe für die Privatkunden-Linie wurden ins zweite Call Center von Blu umgeleitet, das sich in Palermo befindet. Wahrscheinlich gab es dann dort Engpässe. Die Situation in der Geschäftskunden-Linie spitzte sich zu. Da hier die Anrufe nicht umgeleitet werden konnten - und weil die Geschäftskunden natürlich auch wichtiger sind - versuchte der Manager, die Leute wieder an die Telefone zu bringen. Die haben sich geweigert, weswegen es zu heftigen Wortwechseln kam. Am späten Nachmittag wurde dann wieder telefoniert. Allerdings waren da die meisten von der Tagschicht schon nach Hause gegangen. Am nächsten Tag (14. Februar) organisierten die Gewerkschaftsvertreter von der Cgil und Uil[119] eine Betriebsversammlung, bei der sie insbesondere den Manager der Geschäftskunden-Linie wegen seiner verbalen Ausfälle in Schutz nahmen. Und dass, obwohl der sogar schon Konsequenzen für die ArbeiterInnen angedroht hatte, die sich im entgegengestellt hatten. Für diese Verteidigung wurden die Gewerkschafter auf der Versammlung scharf angegriffen. Die Atmosphäre insgesamt hatte sich aber schon verändert. Am Tag des wilden Streiks hat sich kaum wer über die Konsequenzen Gedanken gemacht. Am nächsten Tag schon. Die meisten der Leute haben auch keine Erfahrung mit solchen Auseinandersetzungen. Für den 15. Februar, einen Tag später, war ein landesweiter Streik der Basisgewerkschaften angesetzt. Als etwa zwanzig Leute, einige Blu-ArbeiterInnen und Leute von der Basisgewerkschaft Flmu-Cub, vor dem Blu-Gebäude auftauchten, war auch die vorher benachrichtigte Presse da. Die ArbeiterInnen im Call Center haben die kleine Gruppe von drinnen gesehen. Von den etwa zweihundert Anwesenden sind hundert rausgegangen und haben draußen die Kundgebung mitgemacht, wobei die Stimmung angesichts dessen hervorragend war. Die schon genannten Vertreter von Cgil und Uil sind runtergekommen und haben die ArbeiterInnen aufgefordert, die Arbeit wieder aufzunehmen, weil der Streik "nicht autorisiert" sei. Die meisten ArbeiterInnen sind aber erst nach etwa einer Stunde, als die Kundgebung vorbei war, wieder reingegangen. Die Vertreter der Cgil und Uil haben auch weiterhin versucht, die Aktionen der ArbeiterInnen zu sabotieren, indem sie zeitgleich mit anderen Veranstaltungen Betriebsversammlungen einberiefen... [Aus der Zusammenfassung eines Interviews mit einem der Streikenden, April 2002] Bei Blu passierte nach einer weiteren Kundgebung von Blu- und Telecom Italia-ArbeiterInnen am 19. März nicht mehr viel. Mittlerweile sind die bisher beschäftigten ZeitarbeiterInnen draußen und zudem etwa hundert Leute entlassen worden, wovon die meisten gleich andere Jobs gefunden haben. Die verbleibenden 150 reißen sich auch kein Bein mehr aus, weil etliche von ihnen nur noch Verträge für wenige Monate haben und die Zukunft des Call Centers weiter unklar ist.[120] Interessant bei den Auseinandersetzungen bei Blu ist vor allem, dass es vor dem wilden Streik am 13. Februar keine offenen Auseinandersetzungen gab. Vielmehr hatten die ArbeiterInnen mit den befristeten Verträgen zwei Jahre stillgehalten, weil sie auf eine Übernahme und den Aufstieg in andere Jobs - weg von den Telefonen - hofften. Die Gewerkschaftsvertreter der Cgil und Uil spielten in den Auseinandersetzungen offen die Rolle der Bremser und Kapos, die den Betriebsfrieden garantieren und Aktionen von ArbeiterInnen in den Griff kriegen wollen. Das ist die zweite Seite der Medaille: Wir haben vorher gesehen, wie Gewerkschaften Streik auch als Mittel einsetzen, um sich gegenüber den Kapitalisten als Vertreter der "ArbeiterInnen-Interessen" zu profilieren. Das können sie aber nur, wenn sie gleichzeitig "wilde" Streikaktionen verhindern können, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen - wie in diesem Fall versucht. Fazit Wir sind hier nur auf einige Streiks eingegangen. Wir wissen von weiteren in Frankreich, Italien, Spanien, Südkorea, Britannien. Die Streiks, die wir gesehen haben, liefen meist nur in einem Laden. Fast alle fanden in einem Sektor statt, in dem es in den letzten Jahren drastische Veränderungen gegeben hat: Telekommunikation. Bei der Telecom Italia, der British Telecom, Verizon, der Deutschen Telekom und anderen Konzernen, die aus den früheren staatlichen Telefongesellschaften hervorgegangen sind, läuft seit Jahren eine Umstrukturierung der Arbeit. Viele Verwaltungs- und Serviceaufgaben werden nach dem "Modell Call Center" organisiert. Damit einher geht eine Taylorisierung der Arbeit, eine Dequalifizierung der Angestellten, die Ausdehnung der Schichtarbeit, die Auslagerung ganzer Unternehmensbereiche... Die Tatsache, dass in den dortigen Call Centern der Widerstand größer scheint als in anderen Bereichen, hängt damit zusammen, dass - zumindest in Ländern wie Italien, Britannien, USA - eine gewisse Tradition von Kämpfen existiert, inklusive einer gewerkschaftlichen Organisierung. Die Gewerkschaften legitimieren sich darüber, dass sie sich als Verteidiger der bestehenden Bedingungen erweisen - wenn es sein muss, mit einer Eskalation der Auseinandersetzungen bis zum Streik. Das bedeutet aber auch, dass die Gewerkschaften bei Konflikten gleich die vorgegebenen Bahnen der Sozialpartnerschaft einschlagen. In den "neuen" Bereichen spielen die Gewerkschaften diese Rolle noch nicht. Aufgrund des rechtlichen Monopols der Gewerkschaften auf legale Streiks existieren hier also auch wenig Erfahrungen mit dieser Art "offener Kämpfe". Die Frage ist, ob das Fehlen des Rituals der gewerkschaftlich geführten "Verteidigung der Bedingungen" gegen Angriffe des Kapitals Raum geben kann, für "unkontrollierte" Formen des Kampfes? Aber wo noch keine gewerkschaftlichen Strukturen bestanden, die einen Streik im Rahmen der Tarifauseinandersetzung hielten, entstanden Initiativen, die erstmal selber versuchten, einen Kampf zu organisieren... um dann meist wieder auf Gewerkschaften oder gewerkschaftsähnliche Organisationsformen zurückzugreifen (Citibank, Blu, Telecom Italia). Streiks können zwar Perioden kollektiver Erfahrungen sein, in denen ArbeiterInnen einen Zusammenhalt aufbauen und ihre Macht erkennen, aber solange sie in keine breitere Bewegung eingebunden sind, bleiben sie begrenzt. Die Gewerkschaften können die Streiks als bloßes Druckmittel in Tarifauseinandersetzungen benutzen. Sie kanalisieren die Konflikte auf kontrollierte Streikmobilisierungen, um dann mit dem Abschluss eines Tarifvertrags die weitere Ausbeutung mit zu verwalten. Unser Blick gilt deswegen den Kämpfen und Verhaltensweisen, die diese Funktion der Gewerkschaft in Frage stellen und angreifen. Damit sind wir bei: 6.3 Organisierungsformen Wir haben in den Call Centern und im Zusammenhang mit der hotlines-Intervention viele Diskussionen über die Frage der Selbstorganisierung und die Gründung von Betriebsräten geführt. ArbeiterInnen, welche die Schnauze voll haben von den Bedingungen, suchen nach Auswegen. GewerkschafterInnen mit Erfahrungen in anderen Sektoren, wollen auch hier Betriebsgruppen oder Betriebsräte aufbauen. Linke AktivistInnen, die sich auch auf die Ausbeutungsrealität beziehen, starten Initiativen, um Konflikte zu verstehen und einzugreifen... Wir wollen das hier genauer angehen und an Beispielen diskutieren: a [Gewerkschaften/Betriebsräte] b [Basisgewerkschaften] c [Unterstützungsinitiative] d [Selbstorganisierung] Gewerkschaften/Betriebsräte Betriebsräte sind gewählte Institutionen, die auf betrieblicher Ebene als Vertretungsorgan der ArbeiterInnen fungieren und Betriebsvereinbarungen mit den Bossen abschließen. Sie setzen sich in der Regel aus GewerkschaftsvertreterInnen zusammen. Auf regionaler und landesweiter Ebene spielen die Gewerkschaften diese Rolle der "Interessenvertretung". Ihre Funktionäre verhandeln mit den Vereinigungen der Kapitalisten über Tarifverträge und mit dem Staat über die Sozialpolitik... Betriebsräte und Gewerkschaften versuchen den Unmut der ArbeiterInnen aufzunehmen, fassen ihn in konkrete Forderungen, verhandeln und vermitteln, um die Bedingungen der ArbeiterInnen zu verbessern und den "sozialen Frieden" zu garantieren.[121] Gewerkschaften Anhand der Konflikte in Call Centern lässt sich erkennen, dass die Gewerkschaften als vertretende Organisationsform der Entwicklung hinterherhinkt und nur als Apparat überlebt. Für eine neue Generation von ArbeiterInnen - in Zeitarbeitsfirmen, mit befristeten Verträgen, in Call Centern... - die ihre Perspektive nicht mehr im Beruf oder dem lebenslangen Arbeitsplatz finden kann, ist dieser Apparat ein Bremsklotz auf der Suche nach eigenen Kampfformen. Die Funktionäre der Gewerkschaften setzen darauf, über die weitere Kooperation mit den Unternehmern ihren Platz am Verhandlungstisch zu erhalten. Sie spielen - ob gewollt oder nicht - in der Hand der Unternehmer, indem sie die Konflikte im rechtlich abgesicherten Rahmen halten. Damit die Gewerkschaften auch in Call Centern die Funktion als Vermittlerinstanz zwischen den Bossen und ArbeiterInnen spielen können, müssen sie zwei Sachen erreichen: * Sie sind darauf angewiesen, die ArbeiterInnen in ihren Verein zu kriegen, um sie dann auch (ver)treten zu können. Dafür hat zum Beispiel die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di "Call Center- Beauftragte" ernannt, von der Gewerkschaft bezahlten Funktionäre, die sich Konzepte einfallen lassen sollen, wie sie die Leute in den Call Centern zu Mitgliedern machen können. Zudem gründet und fördert ver.di diverse Initiativen, die sich auf die Bedingungen in Call Centern oder anderen Buden der New Economy beziehen (zum Beispiel Callz in Dortmund, connex.av...), bildet Chatrooms für Call Center-ArbeiterInnen... * Die Gewerkschaften müssen sich gegenüber den Unternehmern auch in Call Centern als Verhandlungspartner etablieren, die Tarifverträge abschließen und gegenüber den ArbeiterInnen durchsetzen können. Dafür betreiben sie die Gründung von Betriebsräten, fordern die Einhaltung von "Mindeststandards" und schlagen die Aufnahme von Tarifverhandlungen vor. Die Gewerk- schaft ver.di zeigt sich in letzter Zeit besonders aktiv. Bei der Vorstellung eines Forschungs- projekts mit dem Titel "Soziale Gestaltung der Arbeit in Call Centern" erklärte deren stellvertretender Vorsitzender: "Wir wollen Standards für eine arbeitnehmerorientierte Gestaltung der Arbeit in Call Centern entwickeln, so genannte soziale Benchmarks." Dabei gehe es auch um "ein Ende der hire-and-fire-Mentalität." Er stellte auch die Gründung einer "Consulting-Firma für soziale Call Center" in Aussicht.[122] Das liegt ganz auf der Linie der Darstellung der Gewerkschaft als modernes Dienstleistungsunternehmen. Nach Abschluss eines Tarifvertrags für die Call Center-ArbeiterInnen bei der Lufthansa in Berlin- Schönefeld sagte die ver.di-Verhandlungsführerin: "Starke Betriebsräte, ein hoher gewerkschaftlicher Organisierungsgrad und - wenn erforderlich - die Bereitschaft zu Arbeitskampfmaßnahmen sind der einzige Weg heraus aus dem Niedriglohnsektor... Nur so kann es gelingen, dass ein gerechter Lohn für die anspruchsvollen Tätigkeiten in der gesamten Branche zukünftig dazugehört."[123] Bei der Unterzeichnung eines Call Center- Tarifvertrages mit dem Hamburger Einzelhandelsverband ging ein ver.di-Funktionär noch weiter: "Durch die Einführung sozialer Standards soll das Image der Branche verbessert werden."[124] Ein anderer Funktionär und ver.di-Betriebsrat meinte: "Ein gutes Klima und Betriebsfrieden schafft auch Motivation und Verlässlichkeit." Ok, es ist langweilig, der Gewerkschaft ihre biedere Beschränktheit vorzuwerfen. Aber die genannten Leute wollen uns ans Arbeiten kriegen. Sie verschleiern die Ausbeutung, indem sie von "gerechtem Lohn" reden. Sie wollen die Verweigerung und Wut der ArbeiterInnen kanalisieren und auf die Forderung nach "sozialen Standards" festlegen. In Call Centern treffen sie auf viel Skepsis, versuchen aber massiv, da einen Fuß reinzukriegen, indem sie sich "modern" oder "basisorientiert" darstellen. Sie schieben sich zwischen die ArbeiterInnen und die Bosse, vermitteln, entschärfen, befrieden auch hier, damit die Ausbeutung etwas "sozialer" weitergeht. Betriebsräte Die Chefs von Unternehmen mit Betriebsräten[125] wissen, dass sie diese gut gebrauchen können, um aufkommende Konflikte mitzukriegen ("Geh erstmal zum Betriebsrat, die regeln das!"). Vielleicht müssen diese Firmen mehr Kohle für Raucherräume, Nachtschichtzulagen und die Weihnachtsfeier hinlegen, weil der Betriebsrat da ein Auge drauf hat, aber dafür haben die Bosse mit dem Betriebsrat eine Zwischeninstanz, die für sie die Probleme abscannt und als geordnete Anliegen an sie "heranträgt". Wo Erfahrungen mit Mitbestimmung vorliegen [hat man] gelernt, dass Betriebsräte keineswegs Konflikte in den Betrieb bringen, sondern in der Lage sind, auf Grund ihrer Legitimation durch die Belegschaft und ihrer klaren gesetzlich geregelten Rechtsstellung zur zivilisierten Lösung von Konflikten beizutragen. (...) Größenwachstum und Differenzierung der Arbeits- und Organisationsstrukturen im Betrieb erfordern ein professionelles arbeitsteilig agierendes Management. Wird in dieser Situation der traditionelle paternalistische Führungsstil beibehalten, kommt es immer wieder zu Blockaden innerhalb der Unternehmensführung und zu Konfrontationen zwischen einzelnen Belegschaftsgruppen und dem Management (...) Hier wäre eine vermittelnde und konfliktbewältigende 'neue Kraft im Betrieb' dringend notwendig. Betriebsräte erfüllen diese Funktion... [Wolfram Wassermann, Die Angst des Unternehmers vor dem Gewerkschafter, Frankfurter Rundschau, 1. Februar 2001][126] Aber das ist nicht unser Problem. Gewerkschaften haben diese Funktion, Gewerkschaften und Betriebsräte spielen diese Rolle. Problematisch ist, dass auch in Call Centern und HiTech-Buden der inzwischen alt aussehenden Neuen Ökonomie einige der fittesten ArbeiterInnen selbst darauf kommen, einen Betriebsrat zu gründen. In den Konflikten erscheint ihnen das als Möglichkeit, was an ihren Bedingungen zu verbessern... und das noch gesetzlich geschützt, was die Gefahr der Kündigung zu mindern scheint. Aber welche Erfahrungen haben ArbeiterInnen tatsächlich damit gemacht? Bei der Hotline GmbH (Call Center-Dienstleister) in Berlin wurden Ende 2000 wegen Wegfall eines Auftrags über fünfzig Leute gekündigt. Einige haben sich überlegt, dass ein schnell gegründeter Betriebsrat solche Kündigungen in Zukunft verhindern könnte. Als die Chefs - Ex- Linke, die annahmen, dass sie als Ausbeuter auf der Sonnenseite stehen - das mitbekamen, haben sie gleich etwa zwanzig Leute entlassen, die sie hinter den Betriebsrats-Plänen vermuteten. Später wurde dann eine Betriebsratswahl durchgezogen, bei der hauptsächlich Teamleiter und Leute aus der Personalabteilung gewählt wurden. Dieser Betriebsrat soll jetzt für den reibungslosen Ablauf der Telefonarbeit sorgen. Bei Medion in Mülheim diskutierten die ArbeiterInnen Ende 2000 über die miesen Bedingungen und den Stress während der Aldi-Verkaufsaktionen.[127] Die Gewerkschaft hbv (heute Teil von ver.di) leitete kurz darauf die Vorbereitung einer Betriebsratswahl ein. Bei der Betriebsversammlung hat die Geschäftsleitung erfolgreich Leute aus der Verwaltung, Schicht- und Teamleitung auf die Listen gehievt. Bei der anschließenden Wahl kam ein Betriebsrat raus, der im Herbst 2001 dafür sorgte, dass die Bedingungen bei der Aldi-Weihnachtsaktion so beschissen waren wie im Jahr davor. Ein Beispiel zeigt, wie sich ArbeiterInnen in ihren Versuchen im Gestrüpp der gesetzlichen Regelungen verheddern: Frontline (Bestellservice für Skater-Sachen) in Hannover. Dort telefonieren vor allem StudentInnen. Hier zusammengefasst aus Äußerungen von Frontline-ArbeiterInnen: Die Arbeitsbedingungen sind schon mies, die Arbeit wurde dann noch bei gleichem Lohn intensiviert. Es gab ein Gespräch unter KollegInnen, was mensch machen kann. Erstmal wollten wir einen Betriebsrat, um Kündigungsschutz zu genießen. Wir sind zur Gewerkschaft (ver.di), die dann zu einer Betriebsversammlung eingeladen hat. Ein Wahlvorstand wurde gewählt, nach drei Monaten gab es die Betriebsratswahl. Wochenlang haben wir erstmal Infos gesammelt, was du da für Rechte hast als StudentIn, als Betriebsrat... Wir wollten vor allem Urlaubsentgelt und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durchsetzen. Es gab dann Schulungen bei der Gewerkschaft (für die Betriebsräte). Die Chefs des Ladens wollten auch kooperieren. Es stellte sich aber raus, dass der Betriebsrat wenig machen kann. Er kann auf die Durchsetzung der Bildschirmpausen pochen, versuchen, juristisch eine Lohnfortzahlung durchzusetzen... Aber laut Betriebsverfassungsgesetz (BverfG) §6 muss er einen Spagat machen: Er muss das Wohl der Belegschaft und des Betriebes im Auge haben. Der Betriebsrat soll diesen Widerspruch ausgleichen. Laut BVerfG §74 soll er sich um die Beilegung von Konflikten kümmern, Arbeitskampfmaßnahmen sind nicht zulässig, es gilt die Friedenspflicht. Wenn es darauf ankommt, kann er nicht zum Streik aufrufen. Das ist ungesetzlich. Mensch eiert rum, ohne richtiges Druckmittel. Der Betriebsrat ist dazu da, den Gegensatz von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu verschleiern. Wenn mensch einen Betriebsrat hinkriegt, gibt es erstmal innerhalb von wenigen Wochen konkrete Ergebnisse (kleine Verbesserungen, Infos). Aber um dauerhaft die Arbeitsbedingungen zu verbessern, sind ihm die Hände gebunden. Zwar kann der Betriebsrat auch mit dem Management Betriebsvereinbarungen abschließen, aber dabei hat er kein Druckmittel (wie Streik). Das läuft dann eher auf die "Zebratheorie" raus: eine Kungelei, gibst du was weg (zum Beispiel Zustimmung zu neuer Software), kriegst du was (zum Beispiel Urlaubsregelung). Jedenfalls stimmt nicht, dass durch den Betriebsrat alles besser wird. Bei Frontline bestand der Betriebsrat letztlich aus Festen und nur einem der StudentInnen, die sich aufgemacht hatte, was durchzusetzen. So hat der BR dann auch etlichen Kündigungen zugestimmt usw. [Aus einer Diskussion mit Frontline-ArbeiterInnen, Dezember 2001] Hier wird klar, dass Leute mit Eifer drangehen, einen Betriebsrat aufzubauen, und dann merken, wie begrenzt die Möglichkeiten sind. Das Ziel der Verbesserung der Arbeitsbedingungen über "Mitbestimmung" und "Vertretung der Interessen der Belegschaft" läuft auf eine Legitimation der Maßnahmen der Bosse hinaus, während sich an den Bedingungen selber wenig ändert - geschweige denn an der Ausbeutung insgesamt. Thesen Uns geht es hier nicht darum, die Betriebsräte in den Mittelpunkt des Kampfes zu stellen, obwohl in Auseinandersetzungen oft Situationen entstehen, wo wir die konkreten Schweinereien benennen und angreifen müssen. Das ist der Fall, wenn Betriebsräte oder Gewerkschaften sich direkt gegen Aktionen von ArbeiterInnen wenden, aktive Leute denunzieren oder Kämpfe durch den Abschluss von Verträgen zu untergraben suchen. Betriebsräte sind im günstigsten Fall lediglich für die rechtliche Absicherung kurzlebiger und begrenzter Verbesserungen gut, bieten aber ansonsten keine Perspektive. Sie sind zudem eine Falle, wenn es uns um die Entwicklung von ArbeiterInnenmacht geht, weil sie diese hemmen und untergraben. Da das ein zentraler Punkt ist, der in der Diskussion mit ArbeiterInnen wieder auftaucht, haben wir Thesen formuliert: * Die Institutionen Betriebsrat und Gewerkschaft haben selber keine eigene Macht. Die ergibt sich lediglich aus der möglichen oder tatsächlichen Militanz der ArbeiterInnen, die sich von ihnen vertreten lassen. Ohne deren Fähigkeit, sich gemeinsam zu wehren und die Arbeit zu verweigern, bleiben die Institutionen Papiertiger. Nur wenn sie in der Lage sind, mit Aktionen der ArbeiterInnen (Streiks...) zu drohen, können sie am Verhandlungstisch was durchsetzen. * Beide, Betriebsrat und Gewerkschaft, wirken der Entwicklung von Selbstbewusstsein und Macht auf Seiten der ArbeiterInnen entgegen. Betriebsräte sind an gesetzliche Regelungen gebunden und sollen den "Betriebsfrieden" aufrechterhalten. Gewerkschaften schließen Tarifverträge ab, die sie gegenüber den ArbeiterInnen dann durchsetzen müssen, auch wenn diese andere Vorstellungen haben. Das "Vertreten" läuft nur über die Passivität der zu Vertretenden. Spontane Konflikte, in denen die Chance auf Entwicklung eines kollektiven Selbstvertrauens liegt, werden von den "Vertretern" oft durch Paragraphen, Verhandlungen und individuelles Arbeitsrecht abgewürgt. Dazu kommt, dass die berufsorientierte oder betrieblich begrenzte Organisationsstruktur Spaltungen unter den ArbeiterInnen vertieft - und aktuell mit der Mobilität und geringen Identifikation der ArbeiterInnen mit der Arbeit (im Call Center) nicht mithält, die sich meist gar nicht auf ihren "Beruf", die Abteilung oder die Firma beziehen. * Gewerkschaften und Betriebsräte entwickeln ein eigenes Interesse. Sie wollen als Institutionen überleben, was nur durch die Anerkennung durch die Bosse geht. Dafür müssen sie sich profilieren: Gegenüber den ArbeiterInnen müssen sie Verbesserungen vorweisen, gegenüber den Unternehmern Mitglieder und ihre Fähigkeit, Tarifabschlüsse auch gegenüber den ArbeiterInnen durchzusetzen. Das bedeutet, dass sie in konkreten Konflikten immer versuchen werden, die Kontrolle zu behalten. * Die Bosse nutzen Betriebsräte und Gewerkschaften, um Konflikte unter Kontrolle zu bringen. Die Vertreter nehmen die Unzufriedenheit und Wut der ArbeiterInnen auf und kanalisieren sie in verhandelbare Forderungen. Aus den Versuchen, der Bildschirmarbeit zu entkommen, weil sie die Augen kaputt macht, macht der Betriebsrat die Forderung nach Einhaltung der EU-Norm für Bildschirmpausen. Aus der Erfahrung der sinnlosen Telefoniererei und Kundenverarsche machen die Gewerkschaften eine Kampagne zur "Qualifizierung" der ArbeiterInnen. Nach dem Streik und dem Abschluss eines Tarifvertrags, sorgen die Gewerkschaften für dessen Einhaltung und dafür, dass die ArbeiterInnen wieder "zur Arbeit zurückkehren". * Auch "linke" GewerkschafterInnen, die "aufrecht" für die Sache der ArbeiterInnen einstehen, erfüllen die konfliktregelnde Funktion, die in bürgerlichen Gesetzen festgehalten ist. Sie bewegen sich inmitten von Vorschriften und Zwängen und werden von anderen ArbeiterInnen in ihrer Funktion als VertreterIn gesehen - nicht mehr als "KollegIn", mit der mensch gemeinsam kämpfen kann. In Zeiten weniger kollektiver Initiativen der ArbeiterInnen selber lässt sich diese Dynamik von Unzufriedenheit und Vertretungsreflex kaum aufbrechen. Erst, wenn in Kämpfen neue Strukturen der Kommunikation und kollektiven Aktion entstehen, kann das gesprengt werden. Soweit sind wir (gerade) nicht. Das führt uns zum nächsten Punkt: Einige kämpferische AktivistInnen versuchen, diese neuen Strukturen kollektiver Aktion auch ohne Kämpfe vorwegzunehmen oder zu simulieren. Dabei sind deren Ausgangspunkte oft durchaus unseren ähnlich: Wie kommen wir aus der Defensive raus? Wie unterstützen wir die ArbeiterInnen, die sich gegen die Bedingungen wehren?... An zwei Beispielen wollen wir das diskutieren: Basisgewerkschaften und Unterstützungsinitiative. Basisgewerkschaften Wir haben in der letzten Zeit auch mit einigen AktivistInnen von Basisgewerkschaften in Italien diskutiert, Berichte ausgetauscht, Treffen organisiert. Wir hatten mitbekommen, das diese auch in Call Centern arbeiten und dort versuchen, die Konflikte zu verstehen und einzugreifen. Hier nun einige Thesen zu ihren Aktivitäten. Es geht uns um eine kritische Diskussion mit ihnen und allen anderen, die ähnliche Ansätzen von Organisation und Mobilisierung anhängen. Die Basisgewerkschaften wurden von ArbeiterInnen Ende der achtziger/Anfang der neunziger Jahre vor allem in einigen Sektoren des öffentlichen Dienstes gegründet (Eisenbahn, Schulen...). Sie brachten AktivistInnen der verschiedenen Streik-Mobilisierungen der achtziger Jahre zusammen, die zum Teil schon in den Bewegungen der Siebziger beteiligt waren und eine radikale Kritik der kapitalistischen Verhältnisse mit der Basisorganisierung der ArbeiterInnen zusammenbringen wollten. Dazu kamen unzufriedene - oder ausgeschlossene - Mitglieder der etablierten Gewerkschaften Cgil-Csil-Uil (Confederali)[128] , die dem Staat und den Kapitalisten gegenüber eine gemäßigte Politik verfolgen. In den Betrieben entstanden - zum Teil als Versuch, die Reste von Streikkomitees oder - bewegungen zusammenzuhalten - Basisgruppen, die sich zu mehreren Vereinigungen zusammenschlossen: Cobas, Cub... Diese unterscheiden sich zum Teil in ihren Positionen, zum Beispiel in Bezug auf die Verweigerung oder den Abschluss von Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen. Zwei dieser Basisgewerkschaften sind Snater und die Flmu-Cub. Snater, ursprünglich als sogenannte "autonome" Gewerkschaft beim staatlichen Fernsehen RAI entstanden, hat sich Mitte der achtziger Jahre auch auf den Telekommunikationssektor ausgedehnt. Als Ausgangspunkt beschreibt Snater die Kritik an den Vereinbarungen von Unternehmern und Confederali (Cgil- Csil-Uil): Wir haben immer wieder festgestellt, dass viele dieser Abkommen zu einer zunehmenden Schwächung der tariflichen Situation der ArbeiterInnen und der deutlichen Beschneidung ihrer Rechte geführt hat. So wurde eine Entwicklung ermöglicht, die durch die geringere Einkommen, Dequalifizierung der Arbeit, verschiedene Formen der Flexibilisierung und vor allem Einschränkung der Rechte und Ansprüche charakterisiert ist. [snater-Website: [www.snatertlc.it]] Die Flmu-Cub organisierte ArbeiterInnen in den Sektoren Metall, Telekommunikation und Energie und ist Teil der Basisgewerkschaft Cub (Confederazione Unitaria di Base). Als Ziele formuliert die Cub, die 1992 gegründet wurde, unter anderem: Die Verteidigung und Ausdehnung der Beschäftigung durch die Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden mit Lohnausgleich und die Schaffung von sozial notwendiger Arbeitsplätze, die Verteidigung und Erhöhung der Löhne... die Reduzierung der Steuern, die auf der Lohntüte lasten, das Recht der ArbeiterInnen auf Gesundheit und Sicherheit an den Arbeitsplätzen, was nicht der Logik des Profits unterworfen werden darf,... das Recht der ArbeiterInnen, selber über Verträge, Verhandlungsdelegationen und demokratische Wahlen der gewerkschaftlichen Vertreter entscheiden zu dürfen, und die Verteidigung des Streikrechts. [cub-Website: [www.cub.it]] Diese Ausrichtung an der Vertretung der Interessen der ArbeiterInnen in den tariflichen Konflikten und die Gegnerschaft gegenüber den Confederali, die diese Interessen verraten haben und mit den Unternehmern paktieren, charakterisiert die Aktivitäten aller Basisgewerkschaften. In vielen Punkten - Vertretung der Interessen der ArbeiterInnen, Wahl in die betrieblichen Interessenvertretungen, Forderung nach Verbesserung der Arbeitsbedingungen... - stellen sie nur eine vermeintlich radikalere gewerkschaftliche Variante dar. Uns geht es hier aber nicht um die Funktionäre, sondern die GenossInnen, die meinen, sie könnten die Basisgewerkschaften benutzen, um kurzfristig die Herausbildung eines neuen Selbstbewusstsein der ArbeiterInnen zu unterstützen und mittelfristig so zu einer militanten Klassenbewegung zu kommen. Die AktivistInnen von Flmu-Cub und Snater, mit denen wir diskutieren, waren in den Anfängen noch nicht dabei. Sie sind später dazugekommen, als ArbeiterInnen in Call Centern in Firenze und Bologna, in diesem Fall bei Telecom Italia und der Mobilfunktochter TIM. Sie hängen sich mit großem Engagement in einem Betrieb - oft allein oder mit wenigen anderen GenossInnen - in die Konflikte rein, werben Mitglieder, sammeln Material über die Strategien der Unternehmensleitung, organisieren juristischen Beistand. Sie schreiben Flugblätter zu aktuellen Auseinandersetzungen und Infoblätter (wie das seit fünf Jahren monatlich erscheinende Bip Bip aus Firenze oder die Front Line aus Bologna, in der auch italienische Übersetzungen der hotlines- Flugblätter erschienen). Sie nahmen auch an den Wahlen der betrieblichen Gewerkschaftsvertretungen (RSU) teil.[129] Vor allem aber organisieren sie regelmäßig ein- oder mehrstündige Streiks gegen die Nachtarbeit, den Stress, die Nichteinhaltung von Gesundheitsvorschriften, Lohnkürzungen, Entlassungen oder Versetzungen... Die AktivistInnen sehen in der (basis-)gewerkschaftlichen Organisation eine Möglichkeit, die genannten Konflikte im Betrieb aufzugreifen und die Leute zu organisieren. So wollen sie die Lethargie der ArbeiterInnen und das Gefühl der Machtlosigkeit überwinden. Sie suchen eine Form, die ArbeiterInnen mit prekären Verträgen (Zeitarbeit, befristete Verträge...) mit den "Festen" zusammenzubringen. Sie wollen die Kungelei der Confederali unterlaufen, welche die Selbstaktivität der ArbeiterInnen sabotieren.[130] Auch wenn sie sich Begrenzungen ihrer Aktivität bewusst sind, sehen sie einige Vorteile ihrer gewerkschaftlichen Versuche (gegenüber einer nicht-gewerkschaftlichen Intervention): * Die Anerkennung als Gewerkschaft ermöglicht es ihnen, zu legalen Streiks aufzurufen.[131] * Gegenüber den ArbeiterInnen können sie - im Gegensatz zu klandestinen Formen der Organisierung - offen auftreten und diese über Mitgliedschaften einbinden. * Sie können als Gewerkschaften in juristischen Auseinandersetzungen auftreten. * Durch die Beteiligung an den RSU-Wahlen kommen sie an Informationen ran und können die Kungeleien der Confederali mit den Bossen aufdecken. * Sie haben gegenüber der Presse und anderen Medien eine größere Bedeutung, weil sie dort als "Gewerkschaften" auftreten können. * Bei Flmu-Cub und Snater gilt auch, dass es zwar eine landesweite gewerkschaftliche Struktur gibt, aber die einzelnen Gewerkschaftszellen vor Ort unabhängig ihre Linie fahren können. Anders als bei den hierarchisch organisierten Confederali gibt es keine politische Linie, der sie zu folgen haben. Die örtlichen AktivistInnen machen ihre Sachen, mehr oder weniger ohne Probleme mit der Gewerkschaftshierarchie zu kriegen, etwa weil sie zu "radikal" wären.[132] Hier treten aber ähnliche Probleme auf den Plan wie in der Betriebsrats-Debatte, die wir mit den GenossInnen weiter diskutieren wollen: * AktivistInnen der Basisgewerkschaften versuchen, einen ArbeiterInnenstandpunkt einzunehmen und die Konflikte aus der Perspektive der "Interessen" der ArbeiterInnen zu verstehen. Dabei werden sie mit den offiziellen Zielen, vertreten durch die Gewerkschaftsführungen identifiziert. Diese bleiben aber bei einem Verständnis des Kapitalismus als Verteilungskampf stehen. Sie betonen die Ansprüche der ArbeiterInnen, ihre Rechte, ihre Würde... und verlangen nach besserer Entlohnung und "humanen" Arbeitsbedingungen. Sie wollen also einen größeren Anteil am "Reichtum". Dabei gerät aus den Augen, dass der Kapitalismus vor allem ein gesellschaftliches Verhältnis ist, dass die ArbeiterInnen immer weiter zur Arbeit zwingt. Erst Kämpfe, die dieses Verhältnis insgesamt angreifen, können die Abschaffung der Ausbeutung einleiten und auch die Frage des "Reichtums" klären. * Auch im Fall der "radikaleren" Versuche innerhalb der Basisgewerkschaften funktioniert der Vertretungsimpuls. Viele "Mitglieder" oder "Sympathisanten" machen die Streiks mit (sprich: sie kommen an dem Tag nicht zur Arbeit...), aber nehmen sonst wenig an den Diskussionen teil. Konflikte werden an die BasisgewerkschafterInnen herangetragen, und die suchen dann nach einer Lösung: Arbeitsgericht, Gespräch mit der Geschäftsleitung, Flugblatt mit Forderungen, Streik. Der Kern der AktivistInnen bleibt klein. Für die ArbeiterInnen sind sie auch ein Dienstleister für die Probleme in der "Arbeitswelt"... Dies steht im Widerspruch zum Anspruch der Basis- AktivistInnen, denen es um die Entwicklung des Selbstbewusstseins und der Erfahrung von ArbeiterInnenmacht in den Kämpfen geht, und die dabei Streiks einsetzen wollen, um jederzeit den Produktionsprozess unterbrechen zu können.[133] * Die Aufspaltung der Ausbeutungssituation in einzelne, betriebs- oder sektorbezogene Konflikte öffnet auch hier den Weg für verhandelbare Kompromisse. Die Flugblätter und Kommuniques der Basisgewerkschaften thematisieren Fragen nach Gesundheit, Überstunden oder Lohn als einzelne Auseinandersetzung und versuchen, aufgrund der Diskussionen der ArbeiterInnen dazu Forderungen zu formulieren: Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften, keine Überstunden, keine Sonntagsschichten, Lohnerhöhungen, kein Einsatz von ZeitarbeiterInnen, Festverträge für alle... Auch wenn sie dann keine Tarifverträge abschließen (was viele BasisaktivistInnen ablehnen, einige Basisgewerkschaften aber machen) legen sie so die Ebene der Auseinandersetzung fest: Die Bedingungen sind scheiße, die müssen besser werden. Damit bleibt die Ausbeutung als grundlegender Widerspruch ausgeklammert. Erst sie erklärt aber überhaupt, warum wir diese Konflikte haben.[134] Zudem reproduziert die Aufteilung der Basisgewerkschaften in Sparten (Transportsektor, Telekommunikationsbranche...) in gewisser Weise die Spaltung der ArbeiterInnen, indem sie als Basis für die Agitation die Zugehörigkeit zu einem Bereich nehmen und damit gar der Entstehung von Berufsstolz und Forderungen nach Qualifikation Vorschub leisten. Das ist deshalb interessant, weil viele ArbeiterInnen in Call Centern darüber hinaus sind: Sie wollen dort nicht lange arbeiten, sie interessieren sich wenig für die Qualität der Arbeit, sie wehren sich gegen die Kontrolle. Sie wechseln in andere Jobs, wenn sie da mehr Kohle erwarten oder weniger arbeiten müssen. Arbeit, Beruf, Karriere sind für viele nicht mehr der Mittelpunkt, der Lebensfaden, sondern vielmehr die Clique, die LebenspartnerInnen, Urlaubmachen, Partys, was erleben...[135] * Die Orientierung an juristischen Rahmenbedingungen (Gesetze zu Gesundheit, Kündigungsschutz, Entlohnung von Überstunden...) hat zur Folge, dass der Staat als Garant von Mindestbedingungen legitimiert wird. Die Orientierung an diesen Mindeststandards verschließt den Blick auf die Tatsache, unter welchen Voraussetzungen diese aufgestellt werden: zur Sicherung der Ausbeutung.[136] Das produziert ein Verhältnis zum Staat, dass die Selbstaktivität blockiert: Ok, ich kriege nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Urlaub. Also gehe ich zum Arbeitsgericht und der Richter wird das für mich richten. (Statt dass ich mit den anderen ArbeiterInnen dem Chef in den Arsch trete...)... Praktisch haben diese juristischen Versuche noch die Auswirkung, dass die Mindeststandards zum Orientierungspunkt werden (statt "maximale" Ziele) und sich die AktivistInnen zur Jongleuren der Paragraphen werden und kaum mehr zu anderen Sachen kommen...[137] * Der Hickhack um die Vertretung der ArbeiterInnen auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene führt zu einer Gewerkschaftskonkurrenz, die zum Teil groteske Züge annimmt. Die wichtige Kritik an den Confederali, die zum Beispiel bei Telecom Italia und TIM Streikaktionen als "illegal" bezeichnen und ArbeiterInnen zum Streikbruch auffordern, geht dann im Abfeiern der Erfolge bei der betrieblichen Wahlen unter. Bei Streikaktionen wird nachher die "Organisationsehre" verteidigt, indem diese unabhängig von der tatsächlichen Beteiligung und Begrenztheit als Erfolg verkauft werden, auch wenn sie an der Entschlossenheit der Kapitalisten scheitern oder die Beteiligung der ArbeiterInnen nicht reicht, um was durchzusetzen. Sollen die weiteren Organisationsversuche nicht gefährdet werden, muss die "eigene" Organisation als erfolgreich und wichtig dargestellt werden.[138] Diese Probleme können nicht etwa durch eine "radikalere" Strategie gehoben werden. Sie sind vielmehr Ergebnis der Passivität der ArbeiterInnen selber, die dazu führt, dass auch diejenigen, die vor Ort den Bossen ans Bein pissen wollen und dabei auf Formen der Selbstorganisierung der ArbeiterInnen setzen, in die beschriebenen Vertretungs- oder Mobilisierungsstrudel geraten.[139] Unterstützungsinitiative In Deutschland gibt es seit einigen Jahren Versuche, an konkreten Konflikten Unterstützungsinitiativen aufzubauen, entweder - wie oben erwähnt - unter gewerkschaftlicher Aufsicht, oder als Resultat von selbstorganisierten Mobilisierungen.[140] Wir waren erfreut, als wir erfuhren, dass sich Leute aus Berlin auf die konkrete Klassensituation - in diesem Fall die Konflikte in den Call Centern - beziehen und dazu eine Untersuchung anfangen wollten.[141] Sie gründeten die Call Center Offensive, ein ironischer Bezug auf die gleichnamige Förderinitiative des Landes Nordrhein-Westfalen für die Ansiedlung von Call Centern in eben diesem Land. In einem Flugblatt stellte sich die Call Center Offensive so vor: Die Call Center Offensive besteht aus Leuten, die zum Teil selber in Call Centern arbeiten. Wir versuchen Agents bei Kämpfen gegen die Arbeit oder für die Verbesserung von Arbeits- und Entlohnungsbedingungen zu unterstützen - zum Beispiel durch Öffentlichkeitsarbeit oder die Vermittlung von Anwälten. Zugleich geht es uns auch darum, einen Rahmen zur Verfügung zu stellen, in dem Erfahrungen mit solchen Kämpfen und Arbeitssituationen gemeinsam reflektiert werden. [Einladung zu einem "Call Center-Agent-Treffen", 14. Dezember 2000][142] Ihr Versuch bekam dann entsprechenden Drive, als in mehreren Berliner Call Centern Konflikte eskalierten und sie als UnterstützerInnen mitten drin standen. In einer Diskussion beschrieben sie, wie sich ihre Initiative entwickelt hat. Hier Auszüge aus dem zusammengefassten Protokoll:[143] Ausgangspunkt war, dass wir Prekarisierung scheiße fanden und was dagegen machen wollten. Es gab keine fertigen Fragen dazu und wir sind relativ zufällig bei Call Centern gelandet. Wir fanden den Sektor unter anderem deswegen interessant, weil die Gewerkschaften da keine große Rolle spielen. Wir hatten auch überlegt, was zu Dussmann zu machen (Putzsektor), aber da kannten wir niemand. Wir wollten auch nichts stellvertretermäßig machen. In Call Center hatten wir einige Kontakte, einer von uns hat da schon gearbeitet. Wir haben uns auf Call Center insgesamt konzentriert, weil wir nicht bei einem Call Center versacken wollten. Es sollte auf jeden Fall betriebsübergreifend sein. Also haben wir erstmal geschaut, wo es schon Kontakte gibt. Bei den ersten Treffen waren dann auch hauptsächlich diese Leute da. Es hat dann aber geklappt, dass Leute auftauchten und mitdiskutierten, die dann später in Konflikten in Call Centern dabei waren. Beim ersten Konflikt, bei Audioservice, gab es mehrere Probleme: * Das Verhältnis zwischen den Leuten aus der Call Center Offensive zu den ArbeiterInnen: Beim ersten Treffen sah es so aus, dass die ihre Bedingungen verteidigt haben, die lockere Arbeitsatmosphäre, während wir darauf hingewiesen haben, wie mies andere Seiten seien: kein Urlaubsentgelt, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, und dass sie dagegen kämpfen sollten. * Auf dem zweiten Treffen waren die ArbeiterInnen verbal wesentlich radikaler. Inzwischen hatte die Geschäftsleitung Arbeitsverträge "für jeweils einen Tag" eingeführt, was zu einiger Unruhe führte. Die Tatsache, dass wir Treffen mit denen organisiert hatten, kam mit der Einführung der Tagelöhner-Verträge zusammen und führte zu dem Kampf. Die Firma war schlau genug, die Leute scheibchenweise zu entlassen. Wir haben insgesamt vor allem rumprobiert, eine Art "tastende Praxis". ("Ich wollte vor allem Klassenkampf machen, nicht nur drüber reden.") Es ist aber nicht das rausgekommen, was wir wollten. Wir haben uns jeweils nicht erst was überlegt, und dann was gemacht. Es gab Reflexion, Rumprobieren einzelner, aber keine gemeinsame Position, auch keine theoretische Diskussion, aus der dann eine Praxis hervorging. Es gab praktische Anforderungen ausgehend von den Konflikten, dann wurde gemacht. In erster Linie ging es um die Unterstützung. Das war das zentrale Wort in Bezug auf die Kämpfe. Bei Hotline GmbH war zum Beispiel klar, dass die Leute das selber organisieren, wir aber bei der Öffentlichkeit helfen können. Der Einfluss von uns war nicht groß. Wir nahmen an den Diskussionen teil (einzeln). Die nahmen uns wahr als Unterstützer, die Infos beisteuern, und haben uns nicht kritisiert. Allerdings hatten die auch ein gewisses Unverständnis uns gegenüber, weil sich einige von denen unter radikaler Politik nur Antifa vorstellen konnten und kaum wussten, wie mensch sich politisch auf solche Auseinandersetzungen (bei der Arbeit) beziehen kann. Ansonsten haben sie sich auch an die Gewerkschaft gewendet. ("Die dachten auch, dass das was Karitatives ist, und hatten die Befürchtung, das wir denen Entscheidungen abnehmen und ihnen was aufdrücken.") Bei Emnid war das anders: Wir wollten aus den Erfahrungen bei Audioservice und Hotline GmbH lernen, wo sich Leute zusammenfanden, die Konflikte schnell eskalierten und zu Rausschmissen führten - und damit zum Ende des Kampfes. Wir wollten uns also zusammensetzen und gemeinsam bestimmen, was wir machen. Einige von uns arbeiteten dort. Die Einschätzung war, dass da nichts geht. Wir nahmen uns vor, erstmal zu beobachten und Gespräche anzuleiern. Wir wollten auch nur kommentieren, nichts fordern. Das hat dann aber nicht funktioniert, weil wir diese Absprache unterschiedlich interpretiert haben: Es wurde gleich ein Flugblatt geschrieben, was die miesen Bedingungen anprangerte (wegen der Auseinandersetzungen bei Emnid Bielefeld) und zum Kampf aufforderte. Das mit "kommentieren, begleiten, abwarten" lief nicht. Bei Emnid ging es dann auch nicht weiter, weil die Fluktuation dort sehr hoch ist und nach wenigen Monaten da schon wieder andere Leute arbeiten. Emnid war die einzige Initiative, wo das von der Call Center Offensive ausging (was machen, wo vorher nichts lief), ansonsten kam es von den ArbeiterInnen. In ihren Flugblättern und Veranstaltungen wies die Call Center Offensive immer wieder auf die Notwendigkeit des Austausches von Informationen über die Möglichkeiten hin, sich gegen Maßnahmen der Unternehmer zu wehren ("Kommunikation ohne Management und Telefon", "Verhaltet euch solidarisch - Organisiert und vernetzt euch - Tauscht Telefonnummern und Email- Adressen"). In dem Rahmen erstellte sie auch eine Liste von Berichten über Berliner Call Center mit Angaben zu den Bedingungen dort. Daneben gaben sie in Flugblättern Infos über die gesetzlichen Bedingungen ("Gekündigt, gekickt, gefeuert? Tipps für den Fall der Kündigung", "Warum man sich auf keinen Fall auf Abfindungen von 300 DM einlassen sollte", "Die meisten Forderungen sind übrigens nur die gesetzlichen Mindeststandards für Arbeitsplätze: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsanspruch und ein Betriebsrat", "Grenzen und Möglichkeiten von Betriebsratsarbeit in Call Centern mit überwiegend prekär Beschäftigten"). Wieder aus dem Verlaufsprotokoll der Diskussion: Wir sehen den Sozialstaat nicht nur als befriedende Maßnahme von oben, sondern auch als erkämpfte Errungenschaft. Wir wollen zumindest die ArbeiterInnen auf die Mindeststandards hinweisen. Dabei sind die Flugblätter, die wir schreiben, quasi Diskussionsangebote. Sie stellen keine Forderungen, sondern sollen informieren: Die staatliche Regulation läuft so und so, das sind die festgelegten Standards... Wir geben dabei keinen Mindeststandard vor, also zum Beispiel einen Mindestlohn. Wir weisen lediglich auf die Gegebenheiten hin. Das allein führt dann oft schon zu Diskussionen. Ein Problem ist aber, dass wir dann mit den Leuten schnell dahin kommen, dass die sich an den Mindeststandards orientieren und dazu Forderungen stellen (siehe bei Hotline GmbH mit ihrer Forderung nach einem Betriebsrat, obwohl das ja Leute sind, die sich "revolutionär" geben). Die Leute denken dann, das seien erreichbare Dinge, anders als wenn wir die Übernahme der Produktionsmittel fordern würden. Der entlohnte Urlaub oder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verspricht einen unmittelbaren Vorteil, weil das individuell den Lohn erhöht. Außerdem wissen sie den Staat im Rücken. Es geht (aber) nicht um "Aufklärung", sondern um den Anfang einer Diskussion. Es geht um was Konkretes, Erreichbares. Wir wollen ein Stück Bewegung herstellen, fördern, eine Organisierung anschieben - keine fertige Organisation, aber auch kein Stillhalten. Wir wollen eine Selbstreflexion anschieben, auch da, wo die ArbeiterInnen die Scheiße oft rechtfertigen (schön flexible Arbeitszeiten und so). So löste die Auseinandersetzung um die Mindeststandards bei Audioservice und Hotline GmbH ja auch gleich massive Reaktionen des Managements aus (Kündigungen...), und es kam zu Auseinandersetzungen, auf die wir bauen. Kämpfe brechen ja oft an Vorstellungen von "Recht" (Gerechtigkeit) auf, an der Frage, dass einer/einem was "zusteht", weil mensch gut gearbeitet hat usw. Das lösen aber nicht wir aus, das passiert sowieso. Die Leute lernen in den Auseinandersetzungen dann, dass das ein Kampfverhältnis ist. Sie lösen sich von dem Verständnis, dass es "gute" und "schlechte" Kapitalisten gibt. Wir wollen aber in den stattfindenden Auseinandersetzungen auch die konkreten Bedingungen verbessern. Hier ist wichtig, dass die Call Center Offensive ein Bündnis ist von Leuten aus verschiedenen Gruppen, mit unterschiedlichem Hintergrund. Wir haben auch unterschiedliche Vorstellungen von dem, was über die Unterstützung der Kämpfe hinausgeht. Wir sind uns nur einig, dass Kämpfe her müssen... Es um die Kämpfe, was mit den Leuten darin passiert, was für Erfahrungen sie auch in der Niederlage machen. Wir spielen darin erstmal keine große Rolle, auch wenn wir mehr Ahnung von der Situation und Entwicklung in Call Centern haben. Wir können unterstützen, aber uns kommt nicht die Rolle zu, zu sagen, wo es lang geht. Wir können Erfahrungen beitragen aus verschiedenen anderen Kämpfen, können jetzt zum Beispiel von der Betriebsratsgründung abraten (nach den Erfahrungen bei Hotline). Die dargestellten Positionen und Erfahrungen werfen einige Fragen auf:[144] * Ihr Ausgangspunkt war die Prekarisierung, sprich die Aufweichung der bisherigen Normalarbeitsverhältnisse (35- oder 40-Stunden-Woche, unbefristet) und die Schaffung sogenannter "atypischer" Arbeitsverträge (Zeitarbeit, befristete Anstellung, Teilzeit, Praktikantenverträge, Scheinselbständigkeit...). Auch wenn diese Arbeitsverhältnisse in den letzten Jahren ausgeweitet wurden, so führt der "Kampf gegen die Prekarisierung" doch zur Forderung nach "fester Arbeit" (sprich: normaler Ausbeutung). Dabei kann das eigentliche Ziel, der Kampf gegen die Ausbeutung, aus den Augen geraten.[145] * Erstmal verständlich, wenn eine Gruppe sich an die Sachen ran macht, ausprobiert, versucht... und nicht in grundsätzlichen Diskussionen hängen bleibt, wo letztendlich dann wenig bei rauskommt. Andererseits verhangelt mensch sich aber ohne genauere Diskussion in den vielen Schlingen, an denen wir uns bei den Versuchen vorbei kommen wollen: Verbesserung der Arbeitsbedingungen über Betriebsrat oder Gewerkschaft; Bezug auf den Staat als Garant von bestimmten "Standards" bei Löhnen, Urlaub... Wenn wir die Klassenrealität verstehen und die revolutionären Tendenzen mitkriegen wollen, brauchen wir immer wieder eine Diskussion der damit zusammenhängenden theoretischen Fragen. Die Call Center Offensive ist ein Bündnis von Leuten aus verschiedenen Zusammenhängen - und nicht alle wollen überhaupt die Möglichkeit der Revolution diskutieren. Insofern war ihre "sprunghafte" Praxis ein Ergebnis dieser Uneinigkeit und problematischen inhaltlichen Bestimmung der Versuche.[146] Gleichzeitig ermöglichte das Stehenlassen der grundlegenden Differenzen überhaupt erst den gemeinsamen Versuch von Praxis. * Bei Fragen nach Betriebsrat und Orientierung an gesetzlichen Rahmenbedingungen oder "Mindeststandards" war die Position der Call Center Offensive oft nicht klar, was wiederum an der Zusammensetzung und unterschiedlichen politischen Einschätzungen lag. Einige wollten diese Orientierung, andere hatten deutliche Kritik. Interessant ist, dass die Erfahrung mit der Betriebsratsgründung bei der Hotline GmbH dazu führte, dass die Call Center Offensive insgesamt Betriebsräte nachher wesentlich kritischer diskutierte.[147] * Es ist immer ein Dilemma, quasi von "außen" eine politische Auseinandersetzung um Konflikte und Kämpfe in einem bestimmten Bereich zu führen. Das kann dazu führen, dass die beteiligten ArbeiterInnen das als "Einflussnahme" oder "Funktionalisierung" begreifen, oder eben als "karitativ". Die Frage ist hier, wie wir unsere eigene Ausbeutungssituation als Ausgangspunkt nehmen und die konkreten Auseinandersetzungen als gemeinsamen Kampf gegen die Ausbeutung begreifen und darstellen können. Die belebenden Impulse im Rahmen der Call Center Offensive kamen denn auch von den "Call Center-Agents", die im Laufe der Auseinandersetzungen bei Audioservice, Hotline GmbH, ADM und Emnid dazustießen. Das waren jeweils einzelne, oft politisch aktive GenossInnen, die - meist als StudentInnen mit Teilzeitjob - in den Call Centern ihre Brötchen verdienten. Sie kamen bis auf wenige Ausnahmen nur solange auf Treffen, wie der Konflikt in "ihrem" Laden akut war. Das kennen wir aus anderen Versuchen.[148] Selbstorganisierung Wir haben in den Flugblättern mehrmals darauf hingewiesen, dass wir Vertretungsstrukturen ablehnen, weil sie die Selbstaktivität und die Entwicklung von ArbeiterInnenmacht behindern und dafür sorgen, dass die Kämpfe gespalten, befriedet oder integriert werden. Dagegen haben wir den Begriff der Selbstorganisierung gesetzt, um auszudrücken, dass nur direkte Aktionen und unmittelbare Organisierungsformen den Raum für die Entwicklung einer neuen Bewegung gegen das Ausbeutungsverhältnis eröffnen. Es geht darum, gemeinsam gegen Arbeitshetze und Arbeitszwang vorzugehen. Das können wir nur, wenn wir uns selber organisieren und mit anderen ArbeiterInnen Mittel und Wege finden, auf Maßnahmen der Geschäftsleitungen zu reagieren und eigene Interessen durchzusetzen. Unsere Stärke liegt darin, dass wir uns mit anderen ArbeiterInnen schnell und direkt absprechen können und zum Beispiel Überstunden verweigern, Arbeitsanweisungen ignorieren oder den Anruf-Akkord runtersetzen. Ohne dass die Chefs darauf vorbereitet sind und ohne Vermittlung und Kontrolle durch Betriebsrat und Gewerkschaften. Wenn wir diese Stärke entwickeln und einsetzen, kann das ein Schritt sein, die Lohnsklaverei insgesamt zu überwinden. [hotlines Nr.2, Dezember 2001] Dieser Prozess kann ein solcher Schritt sein, muss aber nicht. Die ArbeiterInnen kommen bei der Arbeit mit anderen zusammen und organisieren gerade auch in Call Centern einen Teil des Arbeitsprozesses selber. Sie diskutieren die Probleme mit der Maschinerie, den KundInnen, den Vorgesetzten, untereinander. Darin liegt aber noch nichts Subversives. Auch wenn die Konfrontation an Schärfe zunehmen und Kämpfe ausbrechen, bedeutet das nicht, dass damit gleichzeitig eine Radikalisierung einhergeht oder mehr als nur die eigenen Arbeitsbedingungen oder die Situation in der Firma thematisiert werden. Vielmehr haben wir erfahren, dass Versuche der Selbstorganisierung von ArbeiterInnen auf der Ebene des Protestes stehen bleiben oder sich - auch ohne Drängen der Gewerkschaften - auf sozialpartnerschaftliche Versuche beschränken, die Bedingungen zu verbessern. Das sahen wir an den schon beschriebenen Versuchen in Berliner Call Centern[149] ebenso, wie bei Düsseldorfer Call Center-ArbeiterInnen, die nach ihrem Rausschmiss die gemeinsame Arbeitssuche organisieren wollten... Einen Versuch der Selbstorganisierung wollen wir genauer dokumentieren. Hier der Bericht eineR TeilnehmerIn: Das Call Center ist eine Computer-Hotline. Der Hotline-Bereich dieses Call Centers unterteilt sich in ersten und zweiten Level. Der erste Level ist in zwei Schichten aufgeteilt, die immer in der gleichen Besetzung zusammen sind. Die meisten sind fest eingestellt, aber es gibt da auch ein paar Teilzeitarbeiter, meistens Studenten. Man könnte unsere Arbeit Saisonarbeit nennen: Es ist viel zu tun, wenn sie neue Computer anbieten und nicht so viel, wenn sie das nicht tun. Die neue Verkaufsaktion stand an und alle hatte einen Haufen Arbeit. Als danach das Call- Aufkommen wieder sank, fingen einige an zusammenzurutschen und miteinander zu reden. Nicht mehr wie vorher in Einzelgesprächen, sondern in größeren Gruppen. Das hatte einen offenen Charakter, wer wollte, konnte daran teilnehmen. Einmal hatten einige Probleme mit einem Teamleiter. Nachdem es untereinander besprochen worden war, wurde er in die Mitte gerufen und alle konnten sagen, was ihnen an ihm nicht gefällt. Alle sahen das neue Arbeitsklima als Erfolg an, was es auch zu bewahren galt. Aus der Runde mit dem Teamleiter entwickelte sich dann die Idee, regelmäßigere Treffen zu organisieren. Diese Idee stammte eher von dem Gefühl, endlich eine andere Umgangsweise miteinander gefunden zu haben, als wirklich dem Bedürfnis nach Organisiertheit. Das erste Treffen fand in einem Restaurant statt. Von achtzehn waren zwölf gekommen, vier waren krank gemeldet. Wir waren zusammen gleich nach der Schicht dorthin gefahren und hatten uns für die Diskussion eine Stunde Zeit gegeben, aus der aber natürlich zwei wurden. Die Tage vorher war eine Liste rumgegangen, in die jede/r eintragen konnte, was er/sie diskutieren möchte. Diese Liste war erstaunlich lang: das Klima und Vertrauen untereinander, die anstehenden Betriebsratswahlen, die Arbeitsanweisungen, Kommunikation zu anderen Abteilungen, mangelnde Produktinformation, Gesprächsführung am Telefon, Urlaub, Gehaltsabrechnung, externe Telefonate. Einer las die Tagesordnungspunkte vor und der/diejenige, der/die sie aufgeschrieben hatte, sollte erklären, was damit gemeint war. Danach klärten wir kurz, ob es ein wichtiger Punkt war, ob wir ihn schnell klären konnten oder ob wir ihn andiskutieren und vertagen oder ganz fallen lassen mussten. Es hat uns alle überrascht, wie diszipliniert wir waren. Wir haben weder einen Moderator noch eine Rednerliste gebraucht. Es wurde zwar gelegentlich lauter und auch chaotisch, aber längst nicht so emotional wie bei den Diskussionen während der Arbeit. Das größte Problem war die Frage der Durchsetzung. Die einen meinten, man sollte erst etwas leisten, bevor man Forderungen stellen könnte. Einer brachte sogar den Vorschlag, wir bräuchten eine schriftliche Ausarbeitung, wie wir besser arbeiten könnten. Darin müssten dann unsere Verbesserungsvorschläge zum Tragen kommen. Dagegen wurde argumentiert, dass der Arbeitsalltag ganz anders aussieht. Wir würden weit mehr machen, als unsere Arbeitsanweisungen von uns verlangen und noch mehr, als sie uns in den Schulungen beigebracht haben. Was sei denn mit unseren sozialen und kommunikativen Fähigkeiten, den verschiedene Sprachen, die wir sprechen? Diese "Skills" tauchten weder in der Lohnabrechnung noch in irgendeiner andern Form von Anerkennung auf, aber ohne sie würde die Arbeit nicht funktionieren. Natürlich wüsste die Geschäftsleitung das und es ist auch klar, dass wir den Laden besser schmeißen könnten, würden sie uns lassen. Aber glücklicherweise will das ja niemand. Es gab im Prinzip drei Fraktionen: diejenigen, die eine Managementposition einnehmen, diejenigen, die dagegen halten und eher einen ArbeiterInnenstandpunkt vertreten, und die Unentschlossenen, die mal nach da, mal nach da tendieren. Wenn die "Manager" das Wort haben, geht es darum, etwas zu leisten, die Arbeit besser zu organisieren, keine Forderungen zu stellen, ohne vorher bessere Arbeit zu leisten; den Teamleiter zu entlasten; sich gegenseitig zu helfen aber auch zu kontrollieren; doch auch einmal etwas zu opfern, zum Beispiel die Pause, um die News im Intranet zu lesen, und so was eben. Die "Arbeiterinnen" (auffällig: nur Frauen) wollen sich die Arbeit erleichtern, mehr Urlaub, unbedingt externe Telefonate machen dürfen, sehen nicht ein, warum sie plötzlich anders arbeiten sollen, um irgendjemandem etwas zu beweisen. Sie haben das eindeutige Gefühl, dass sie da ganz unten in der Hierarchie stehen, und vergleichen auch oft diesen Job mit denen, die sie vorher gemacht haben. Die Frauen haben keinerlei Ambitionen irgendeine Karriere zu machen, sie wollen nicht in den zweiten Level. Sie wollen einfach eine ruhige Kugel schieben. Ihre FreundInnen um sich wissen und möglichst viel Spaß haben, bis etwas Neues kommt. Beim zweiten Treffen sind dann auch nur noch acht Leute gekommen. Die Diskussion verlief sich in allgemeine Statements zur Betriebsratswahl und neue Informationen über Produkte. Die Power war raus. Es war nicht möglich, die Diskussionen auf eine praktische Stufe zu stellen, uns etwas Konkretes vorzunehmen, was wir zusammen in Angriff hätten nehmen können. Und beim dritten Treffen waren sogar nur noch drei Leute da. So, wie es im Moment aussieht, sind die Treffen vorerst gestorben. Und tatsächlich haben sie so in der Form auch keine Bedeutung mehr. Wir werden also wieder zu unseren Runden während der Arbeit zurückkehren. Und vielleicht überlebt das Gefühl, dass wir die Möglichkeit haben, uns außerhalb zusammenzusetzen, auch so ganz ohne Teamleiter und Organisation. Nach all den Treffen stellt sich die Frage, ob es wirklich so sinnvoll war, die gesamte Schicht zusammenzuhalten. Möglicherweise wäre es aufregender geworden, wenn die "Arbeiterinnen" sich zusammengesetzt hätten und einfach eine kleine Aktion gestartet hätten. Das hätte von allen eine eindeutige Position gefordert und den "Managern" vielleicht jegliche Basis geraubt. Hier wird deutlich, wie - selbstorganisiert hin oder her - anhand der täglichen Konflikte lediglich über die "Probleme der Arbeit" diskutiert wurde. Ohne klare Konfrontation mit den Chefs, ohne Thematisierung der täglichen Arbeit als Ausbeutung, ohne Bezug auf die Krise oder die Situation in anderen Betrieben/Bereichen gab es keine Radikalisierung.[150] Die verschiedenen Fraktionen - "Manager", "ArbeitsverweigerInnen"... - neutralisierten sich. Dabei versuchten die "Manager" die Treffen immer wieder zu ordnen und auf die Verbesserung der Arbeit zu richten. In einer solchen Situation - Konflikte, Wut, Diskussionen - scheint es sinnvoller, dass sich diejenigen zusammentun, die was gegen die Arbeit, die Chefs, die Ausbeutung machen wollen, ohne sich von denen, die "Managerpositionen" vertreten, davon abhalten zu lassen. Dabei ist auch die Frage, ob nicht eine Eskalation der Konflikte "auf Arbeit" mehr bringt, als eine organisierte Verlagerung der Diskussion "nach draußen". Problematisch dabei ist, wie mensch die Entschlossenen zusammenbekommt, ohne dass es danach bei isolierten Aktionen bleibt. Wir können schauen, welche anderen ArbeiterInnen den Arbeitsstress nicht mitmachen, rummotzen, sabotieren, solidarisch mit andern ArbeiterInnen umgehen. Wir können sie ansprechen, mit ihnen diskutieren, Aktionen starten. Aber wir können die Schwäche nicht ausgleichen, die sich in der oben beschriebenen Situation darstellte: Offensichtlich war die entschlossenen ArbeiterInnen nicht zahlreich und entschlossen genug, die Situation in die Hand zu nehmen, um einen Kampf gegen die - in dem Laden mehr als beschissenen - Bedingungen vom Zaune zu brechen. 6.4 Fazit Wir haben euch Dynamiken und Begrenzungen in Bezug auf Betriebsräte, Gewerkschaften, Unterstützungsinitiativen und Selbstorganisierungsversuche geschildert. In den Kämpfen bilden sie den Rahmen, in denen - besser: denen zum Trotz - ArbeiterInnen auf die Barrikaden gehen. Die beschriebenen Organisierungsversuche selbst sind Ausdruck der Versuche von ArbeiterInnen, sich gegen die Ausbeutung zu wehren und dabei eine Perspektive für ein besseres Leben zu entwickeln. Solange sie in ihren täglichen Auseinandersetzungen diese Perspektive nur in "kleinen" Verbesserungen sehen und ihre Versuche keine Erfahrungen kollektiver Macht mit sich bringen, die das sprengen kann, bleiben sie bei "gewerkschaftlichen" Mechanismen hängen. Klar, dass es auch Leute gibt, die daran ein Interesse haben, weil ihre Stellung als bezahlter Funktionär oder Politiker sonst gefährdet ist... Für uns steht im Mittelpunkt, wie die Auseinandersetzungen diesen Punkt überspringen und die Begrenzungen sprengen können. Die Fähigkeit zur Selbsttätigkeit und "spontanen" Aktion entwickelt sich oft in der direkten Konfrontation mit den Team- und Abteilungsleitern. Meist hängt das nicht an "rationalen" Überlegungen, ob jetzt diese und jene Reaktion auf die Maßnahmen der Büttel irgendeine konkrete Verbesserung bringt. Vielmehr bringt oft eine Kleinigkeit die Sachen ins Rollen. Wir wollen wissen, ob und wie ArbeiterInnen die Ausbeutung als grundlegenden Widerspruch erleben, ob und wie sie ihre tägliche Zusammenarbeit unter dem Kommando des Kapitals "umdrehen" können, indem sie diesen Zusammenhang subversiv nutzen. In dieser Situation ist es wichtig rauszustreichen, welche Formen des Kampfes gemeinsame Erfahrungen von Macht ermöglichen, die schwachen Punkte des Kapitals offen legen und da zuschlagen können, wo es weh tut. In einer Schwarzarbeits-Klitsche mit drei Telefon- ArbeiterInnen, die einfache Bestellannahme machen, ist unsere Lage prekär. Wenn du aufmuckst, bist du schnell gefeuert und durch andere ProletarierInnen ersetzt. Wenn du die Kohle brauchst, um dich und deine Kinder durchzubringen, bist du leicht unter Druck zu setzen. Wenn du in einem größeren Laden eine außerordentliche ArbeiterInnen-Versammlung organisierst, während kaum Calls auflaufen, wird das weniger Druck erzeugen, als wenn die rote Lampe glüht und die lieben KollegInnen sich ganz zufällig gemeinsam auf dem Klo treffen. Wenn du bei der Telekom im Call Center malochst und die ganze Abteilung streikt, kann es dir passieren, dass die Calls einfach in eine andere Abteilung oder ein anderes Call Center umgeleitet werden und Pustekuchen. Wenn du in einer anderen Bude mit dem gesamten ersten Level die Arbeit verweigerst, ist dagegen der Laden schnell dicht, weil die Calls nicht mehr angenommen werden. Wenn du die FirmentechnikerInnen überzeugst, die ACD-Anlage mal vollaufen zu lassen, stürzt gleich alles ab... Die Perspektive von Kämpfen im Call Center hängt von den Erfahrungen und dem Zusammenhalt der ArbeiterInnen - ihrer Fähigkeit, die Spaltungen untereinander in den Aktionen zu überwinden - ab, aber auch von: * der Stellung des Call Centers innerhalb des Unternehmens: Gibt es noch andere Call Center, welche die Anrufe annehmen oder machen können? Welche Bedeutung haben die Anrufe für die Firma? Hier entscheidet sich, ob die Bosse die Anrufe im Falle von Aktionen umrouten oder ganz auf ihre Bearbeitung verzichten können. * der Stellung des Call Centers im Verwertungsprozess: Wenn es die Fahrzeugflotte einer Spedition koordiniert, kann die Unterbrechung zum Zusammenbruch des Transports führen, was auch andere Bereiche betrifft. Dadurch steigt die Durchsetzungsfähigkeit eines Streiks erheblich. Wenn es nur um die Betreuung von Kunden eines Unternehmens geht, betrifft es nur dieses. * dem Zusammenkommen der einzelnen Kämpfe: Die Frage ist, ob und wie sich die Kämpfenden unmittelbar austauschen und aufeinander beziehen. Wenn Kämpfe nur über Medienberichte oder gewerkschaftliche Überbauten miteinander verbunden sind, kann sich die gemeinsame Macht kaum entwickeln. Wenn aber die kämpfenden Call Center-ArbeiterInnen durch andere Betriebe ziehen und die SchülerInnen der angrenzenden Berufschule zu einer Diskussion einladen, kann die Begrenzung und Isolation der Kämpfe überwunden werden, was auch neue Perspektiven auf das gesellschaftliche Ausbeutungsverhältnis öffnet. Die Diskussion über die Organisierung der ArbeiterInnen bringt ohne Kämpfe, welche die beschriebenen Grenzen sprengen, wenig. Versuche, sie mittels Basisgewerkschaften, Betriebsgruppen oder über Unterstützungskomitees zusammenzubringen, bleiben auf kurze Mobilisierungen beschränkt und an den "kleinen" Konflikten hängen. In dieser Situation - angesichts des weitgehenden Fehlens von militanten Kämpfen in den Call Centern, auf die wir uns beziehen können - brauchen wir eine Diskussion über die Entstehung von ArbeiterInnenmacht, die nicht bei Appellen stehen bleibt oder an der Interessenvertretung scheitert. Die ArbeiterInnen in den Call Centern haben bisher keine Formen des Kampfes gefunden, die sich aus den konkreten Möglichkeiten im Call Center als Zentren der Kommunikation ergeben. Andere ArbeiterInnen - zum Beispiel in den Autofabriken - haben dafür auch eine Generation gebraucht, um das Fließband zur Streik- und Sabotagekoordination zu benutzen. Wollen wir so lange warten?... Hier stellen sich Fragen: * Wie schaffen wir, die Formen klandestiner Militanz weiter zu entwickeln, die ohne "öffentliche Auftritte" von AktivistInnen auskommen? Dies ist notwendig, weil die aktiven ArbeiterInnen angesichts der prekären Arbeitsverhältnisse sonst gleich entlassen werden. Absprachen zum Langsamarbeiten "unter der Hand" sind da wirksamer. * Wie können die Erfahrungen in eine kollektive Perspektive münden, bei der ArbeiterInnen ihre tägliche Kooperation zum Ausgangspunkt nehmen und die Kapitalisten vor Ort unter Druck bringen. Reicht es, den Austausch der Erfahrungen über Flugblätter und andere Medien zu organisieren? * Das wirft auch andere Fragen auf, die unsere eigene Rolle betreffen: Wie können wir uns auf die Streiks und Konflikte beziehen, als Beitrag zum Lernprozess? Welche Methoden brauchen wir, um die wichtigen Prozesse mitzukriegen? Was können wir in den Streiks und andern Kämpfen lernen? Wie nehmen wir an der Diskussion der ArbeiterInnen teil?... Das können wir diskutieren, vorbereiten, vorschlagen. Letztendlich brauchen wir einen breiten Austausch über diese Versuche mit anderen Leuten und Gruppen, die ähnliche Sachen versuchen (wollen). ******************************************************** 7. Vorschlag: Die nächsten Schritte 1 [Untersuchung] 2 [Austausch] 3 [www.prol-position.net] Revolutionäre Organisierung muss die Selbstbefreiung der Ausgebeuteten forcieren. Sie kann nicht die Form einer Massenorganisation annehmen, die auf Demos und mit Forderungen bei den ArbeiterInnen, SchülerInnen etc. hausieren gehen. Eine "revolutionäre Politik" innerhalb des gewerkschaftlichen und politischen Rahmens kann es nicht geben, da nicht die "Inhalte" oder die "Führung" der Gewerkschaften oder politischen Organisationen reformistisch geworden sind, sondern diese Vertretungsorgane ihrem Wesen nach reformistisch sind. Der Versuch, die Trennungen innerhalb der kapitalistischen Produktion durch "Basisorganisierung der ArbeiterInnen" in "übergreifenden" Strukturen (Stadtteilläden, Betriebsgruppen...) oder unter vereinheitlichenden Forderungen zu überwinden, wird auf kurz oder lang ebenso vertretungspolitisch enden. Organisierung der Klasse kann sich nur in den Kämpfen innerhalb der kapitalistischen Arbeitsorganisation, in den Betrieben, Unis und Schulen ergeben. Nur in diesen Situationen des Angriffs auf die materiellen Trennungen kann die Organisierung übergreifend werden. Diese Organisierung des Klassenkampfs besteht nur durch und während der konkreten gemeinsamen Auseinandersetzung im Kampf. Versuche, sie darüber hinaus aufrechtzuerhalten verenden als Institutionen. [kolinko, Subversion des Alltags, Oktober 1999] Wir sehen momentan keine Dynamik oder Bewegung in den Klassenauseinandersetzungen, bei der wir ein konkretes und gemeinsames Untersuchungsprojekt vorschlagen könnten. Aber hier geht es uns um eine Methode, die gegenwärtige Lage zu kapieren, die kommunistischen Tendenzen zu erkennen und in den Kämpfen mitzumischen. Wir können dabei nicht bei Call Centern stehen bleiben, da diese - wie andere Bereiche auch - nur über die kapitalistische Kooperation verstanden werden können und jede Kampfperspektive von der Sicht auf die gesamte Klasse der ArbeiterInnen ausgehen muss - nicht nur auf einen kleinen Teil. Um die Kampf- und Organisierungsformen zu verstehen, müssen wir in die Betriebe, Schulen, Universitäten und andere Bereiche und dort die Bedingungen untersuchen. In den dortigen Kämpfen liegt die Perspektive einer Gesellschaft ohne Ausbeutung - trotz der Spaltungen, Probleme, Fallgruben, die sich da auftun. Wir können dort intervenieren, ausgehend von unser eigenen Wut auf das kapitalistische Verhältnis, das uns täglich zur Arbeit zwingt, und von den Fähigkeiten, die wir uns in der Untersuchung und den Kämpfen aneignen. Wir schlagen vor, in und zu den Bereichen, Betrieben, Schulen... weitere Kerne zu bilden, die Untersuchungen machen und in Auseinandersetzungen eingreifen.[151] Diese können über Kommunikationsnetze ihre Erfahrungen austauschen, Streikberichte schreiben, Kämpfe kritisieren, Spaltungen offen legen... Wir brauchen keine "zentrale" Organisation, sondern eine breite Diskussion über die offenen Fragen und die Perspektive einer revolutionären Klassenbewegung... Untersuchung Was soll untersucht werden? Untersuchung und Intervention kann bedeuten, einen aktuellen Konflikt, eine Kampfwelle, einen Betrieb oder einen Sektor anzuschauen, mit den ArbeiterInnen ins Gespräch zu kommen, Kämpfe mitzumachen, zu kritisieren. Das können die weltweiten Streiks im Luftfahrtsektor, der Kampf der BusfahrerInnen in Düsseldorf, die Arbeitszwang-Methoden des Kölner Arbeitsamts oder die Blockaden der Universität durch die StudentInnen sein. Wir wollen weg von dem selbstgerechten Reflex der "radikalen" Linken, die immer schon eine Antwort hat und Kämpfe nach den Berichten der Frankfurter Rundschau beurteilt. Geht hin, sprecht mit den Leuten, setzt euch mit deren und euren Widersprüchen und Schwächen auseinander! Der Bereich will aber genau bestimmt sein. Was erwarten wir von der Untersuchung? Haben wir Thesen, die wir dann genauer angehen, bestätigen, verwerfen? Gibt es Chancen in dem Bereich, in den Kämpfen einzugreifen?... Wir schlagen vor, einige Fragen zu stellen, bevor eine Untersuchung und Intervention angefangen wird: * Wo finden Kämpfe (oder ein Kampf) statt? Das ist die zentrale Frage, weil in den Kämpfen die Verhältnisse aufbrechen können. Es geht darum, ob und wie wir dabei mitmischen können: Kämpfe unterstützen, Interviews machen, Kritik an der Rolle der Gewerkschaft einbringen... * Welche Bereiche sind in der Region wichtig, weil sie für die Anhäufung von Kapital entscheidend sind (Auto, Energie...), oder weil dort viele arbeiten (Gastronomie, Call Center...)? [152] * Gibt es bestimmte Gruppen von ArbeiterInnen, die besonders militant sind, eigene Formen des Kampfes entwickelt haben und ausgehend von ihren Bedingungen eine radikale Kritik der Verhältnisse anbringen? Können diese ArbeiterInnen andere mitziehen? Das können zum Beispiel FließbandarbeiterInnen, wandernde BauarbeiterInnen oder radikale SchülerInnen sein. Momentan sehen wir keine solche Zusammensetzung. * Welche weltweiten Entwicklungen laufen gerade und wie wirken sie sich in der Region aus (Umbau des Sozialstaats, Migration...)? Dabei geht es vor allem darum, die konkreten Veränderungen mitzukriegen und in den Zusammenhang zu stellen. Wie drückt sich die Krise konkret in unser Region, in den Betrieben und auf den Ämtern aus? Nur so verstehen wir, wie sich die ArbeiterInnen konkret mit "weltweiten Phänomenen" konfrontieren. * Wo seid ihr gerade drin und was tut sich dort? In Programmier-Jobs, über einen Sklavenhändler in der Fabrik, auf dem Bau, auf dem Sozialamt. Allerdings sehen wir das kritisch: Das ist zufällig und es macht wenig Sinn, sich in irgendwelchen Sektoren rumzutreiben, wo gerade wenig passiert, wo es keine Konflikte gibt... * Aufgreifen von Kämpfen aus anderen Regionen, zum Beispiel die Aktionen der Fastfood- und HotelarbeiterInnen in Frankreich... Wer arbeitet in unser Region in dem Bereich? Können wir da eingreifen?[153] Wie kann untersucht werden? [154] Wir haben einige Sachen versucht, die nicht in jedem Fall machbar sind. Zu anderen sind wir nicht (mehr) gekommen. Die folgenden Anmerkungen sollen ausgehend von unseren Erfahrungen Eckpunkte angeben, anhand der wir über weitere Untersuchungsprojekte diskutieren können: Zeitrahmen: Wir haben uns drei Jahre in eine Sache reingehängt, weil wir da arbeiten konnten, weil keine (anderen) Kämpfe tobten, weil die Call Center bei uns wichtig waren und sind. Aber Untersuchung und Intervention kann auch eine Sache von ein paar Wochen sein, wenn ihr zum Beispiel die Kämpfe der MigrantInnen im regionalen Putzsektor verstehen wollt. Hingehen, Interviews, Infos auswerten, Flugblatt zum Kampf... Arbeitengehen: Für die Untersuchung der Call Center war es leicht, einen Job zu finden, weil Call Center breit Ungelernte eingestellt haben. In anderen Bereichen wird das auch gehen: Recycling, Fabrik, Bau, Putzen, Gastronomie. Schwer ist das in Sektoren, die nicht einstellen oder die nur Leute mit formaler Ausbildung nehmen. Falls ihr anfangen wollt mit Arbeiten, ist die Frage, was sinnvoller ist: in einen Betrieb oder in mehrere? Das hängt auch davon ab, ob mehrere Leute eingestellt werden oder ob dort ein Kampf stattfindet... Interviews: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir mehrere Fragebögen brauchen, um damit uns und andere ArbeiterInnen interviewen zu können. Jeweils einen für * Fakten und Überblick, den wir am Anfang einsetzen; * die kontinuierliche Diskussion und Agitation mit anderen ArbeiterInnen; * Information und Austausch über Kämpfe am Ort und woanders. Vor allem geht es hier darum, dass die Interviews keine einseitige Geschichte bleiben, sondern zu einer gemeinsamen Diskussion und im besten Falle einer "Selbstuntersuchung" werden, in der andere die Fragebögen in ihren Bereichen einsetzen und die Diskussionsergebnisse austauschen.[155] Infos sammeln: Sicher brauchen wir eine Liste von Fragen, um damit Zeitungen, Büchern und Websites auszuwerten. Fragebögen und Interviews reichen nicht, um die Wirklichkeit zu erfassen... Unsere Erfahrung ist, das wir aber nicht erst ein Jahr sammeln und analysieren müssen, bevor wir auch in die Auseinandersetzungen eingreifen. Wenn wir Konflikte mitkriegen und es Sinn macht, da kurzfristig mitzumischen, sollten wir das tun. Theoretische Diskussion: Wir sehen die theoretische Diskussion als wichtige Voraussetzung, gezielt irgendwo reinzugehen, weil wir selber erlebt haben, wie die täglichen Erfahrungen uns durcheinander schütteln können. Da brauchen wir die Diskussion über die ausbeuterischen Verhältnisse, die Entwicklung der Produktivkräfte, die Krise, die Funktion von Staat und Gewerkschaften... Intervention: Hier stecken wir selbst mitten in der Diskussion. Einerseits wissen wir, dass wir keine Kämpfe lostreten oder gar eine Bewegung begründen können. Andererseits greifen wir in Konflikte ein und spielen dann bei deren Entwicklung eine Rolle. In den Diskussion mit anderen ArbeiterInnen, den Konflikten mit den Teamleitern, während des Streiks brauchen wir Orientierungspunkte. Hier sind einige: * Wir brauchen Formen klandestiner Kommunikation und Aktion, damit die Bosse nicht mitkriegen, was abgeht; * wir setzen uns für Widerstandsformen ein, die wirksam den Produktionsprozess stören oder unterbrechen; * wir treten nicht als "Stimme der ArbeiterInnen" oder deren OrganisatorInnen auf; * wir setzen nicht auf Verhandlung, Vermittlung und Ausgleich; * vielmehr wollen wir die Kampfformen und Momente rausstreichen, welche den grundlegenden Klassenwiderspruch und die konkrete Macht der ArbeiterInnen aufzeigen; * dabei sehen wir unsere Rolle darin, durch Flugblätter, Interviews und andere Formen der Intervention die Selbstreflexion der ArbeiterInnen und ihre Diskussion untereinander zu unterstützen und Vorschläge zu machen.[156] Flugblätter...: Wir haben Flugblätter eingesetzt und werden das auch weiter tun. Damit konnten wir die Situation in Call Centern genau beschreiben und Infos über die Erfahrungen mit bestimmten Maßnahmen der Bosse oder Kämpfen rumtragen. Zusammen mit der Website waren die Flugblätter auch ein Bezugspunkt für Call Center-ArbeiterInnen und GenossInnen in unser Region und darüber hinaus. Aber das hatte auch Grenzen: Wir haben zu wenig klar machen können, wie in den einzelnen Konflikten das gesamte Ausbeutungsverhältnis auftaucht und wie es angegriffen wird (oder werden kann). Wir blieben bei den (langen) Texte hängen, haben nur wenige Spuckis gemacht und keine anderen Aktionsformen ausprobiert (Videos, Plakate, Kundgebungen...). Das war ein Manko, weil wir damit auf diejenigen fixiert waren, die bereit sind, die Texte zu lesen; und weil wir unser eigenen Kreativität und den Formen, die unsere Wut auf die Verhältnisse ausdrücken, Grenzen gesetzt haben. Diese Erfahrungen werden wir in unseren weiteren Versuchen beachten... Austausch All das sind wichtige Punkte für eine Untersuchung und Intervention, die wir in lokalen Gruppen angehen können. Darüber hinaus brauchen wir einen Austausch mit anderen Leuten und Gruppen, die ähnliche Sachen versuchen. Wir schlagen zwei Ebenen der Diskussion vor: regionale proletarische Runden und den weltweiten Austausch von Erfahrungen. Regionale proletarische Runden Wir versuchen, mit anderen Gruppen und Einzelpersonen in unser Region (Rhein-Ruhr) den Austausch über die Kämpfe und Konflikte zu organisieren und gemeinsam zu intervenieren. Dabei geht es zunächst darum, gemeinsam den Blick für unsere Situation und die anderer Ausgebeuteter zu schärfen und einen Prozess von Untersuchung und Intervention anzuschieben. Momentan gibt es in dem Kreis neben der Call Center-Sache noch Versuche, die Situation auf den Arbeitsämtern zu kapieren, und Ideen für gemeinsame Flugblätter zu konkreten Kämpfen.[157] Wir haben beschlossen, genauere Fragebögen zu formulieren und Kriterien für die Berichte zu diskutieren, die wir zu den Bereichen, in denen wir arbeiten, studieren, Stütze ziehen... schreiben. Diese Kriterien brauchen wir, um die verschiedenen Erfahrungen auch vergleichen und daraus Schlüsse ziehen zu können...[158] Mittelfristig kann das Grundlage für ein regionales Treffen zur Untersuchung der Klassenrealität sein, dass versucht, die verschiedenen Facetten der Ausbeutung in der Region zu verstehen und da einzugreifen. Fragen sind: Wie sieht die momentane Kapitalstruktur in der Region aus? Wo gibt es neue Investitionen, wo wird abgebaut? Wie verändert sich der Arbeitsmarkt über Migration, neue Arbeitsmodelle...? Wie reagieren ArbeiterInnen auf diese Veränderungen, in den Betrieben? Was tut sich an den Schulen und Unis...? Eine Aufgabe eines solchen Zusammenhangs liegt darin, über die Kämpfe in der Region und darüber hinaus zu informieren. Zudem geht es darum, die Chancen und Begrenzungen der Kämpfe aufzuzeigen sowie die in ihnen gemachten Erfahrungen rauszustreichen, in denen etwas Revolutionäres liegt: die Überwindung der durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung vorgegebenen Grenzen, Übernahme der Kontrolle über die Organisierung des Kampfes... Ein "ArbeiterInnennetz" als Austauschort über unterschiedliche Ausbeutungsbedingungen ist kann dabei nur ein Anfang sein, politische Diskussion und Eingreifen sind entscheidend. Wir wollen mit ähnlichen Runden in anderen Regionen die Erfahrungen auszutauschen. Das kann nicht auf Europa begrenzt bleiben. Die Ebene kann nur weltweit sein: Weltweiter Austausch Angesichts der momentanen Kämpfe - Generalstreik in Südkorea, Aufstand in Argentinien, Streikwelle in China, daneben auch eine Häufung von Streiks in Mitteleuropa - stellt sich die Frage, ob diese Erfahrungen schon in eine weltweite Dynamik münden. Wir erleben eine sich globalisierende kapitalistische Krise, aber heißt das auch, dass sich die Kämpfe in den verschiedenen Regionen auch schon auf diesen weltweiten Zusammenhang beziehen? Können Kämpfe woanders bereits als Bezugspunkt hier dienen, da sie unter den ähnlichen Bedingungen stattfinden? Das können wir nur rausfinden, indem wir mit dafür sorgen, dass Kämpfe und Kämpfende voneinander erfahren. Dabei dürfen wir nicht - wie viele Linke das derzeit tun - über die Auswirkungen der Krise (Entlassungen, Lohndruck...) jammern, mit der Absicht, die ArbeiterInnen damit angesichts ihrer üblen Lage "zum Kämpfen zu bewegen". Das führt bloß dazu, diesen ihre eigene Schwäche vor Augen zu halten: "Ihr steht mit dem Rücken zur Wand...". Stattdessen sollten wir versuchen, zwei Sachen genauer zu verstehen und die Ergebnisse in die ArbeiterInnen-Diskussion einzubringen: * Welche Macht können die ArbeiterInnen trotz der Krise in den Kämpfen entwickeln? Welche Aktionsformen überwinden die Fremdkontrolle durch (gewerkschaftliche) Apparate und Vertretungen? Was ist an einem Kampf beispielhaft für andere Klassenkonflikte? * Wie spiegelt sich die weltweite Lage in einzelnen Kampfsituationen? Welche konkreten Bezugspunkte gibt es im Vergleich mit Kampferfahrungen in anderen Regionen? Wo beziehen sich die Kämpfe schon auf dieses globale Verhältnis? Unser Bezug auf die Krise sollte klarmachen, dass es sich nicht um "sektorale" oder "regionale" Probleme handelt, die zum Beispiel durch den Eingriff des Staates zu lösen wären. Die Krise und ihre Auswirkungen sind Resultat eines weltweiten Produktionsverhältnisses, über das die ProduzentInnen nicht selbst bestimmen. Für den notwendigen Austausch über diese Punkte brauchen wir ein (weltweites) Netz. Die Versuche in Call Centern haben uns einige neue Kontakte hier und in der Welt eingebracht, andere haben sich durch die Diskussion über unsere Erfahrungen verfestigt. Uns geht es jetzt darum, gemeinsam einen Rahmen zu schaffen, in dem Erfahrungsberichte, theoretische Beiträge und Informationen über diese Fragen zirkulieren können. Bisher funktioniert das meist regional begrenzt und eher zufällig. Hier ist entscheidend, dass wir das auf einen organisierte Ebene stellen, den Prozess für andere öffnen und eine politische Diskussion über die Fragen beginnen, die wir an die Kämpfe haben.[159] www.prol-position.net Wir schlagen vor, den Austausch gleich gemeinsam anzugehen. Im Anhang findet ihr einen Entwurf für die Frageliste an Kämpfe. Wir stellen den als "Struktur" für Berichte zur Diskussion. Ihr findet ihn auch auf der Website [www.prol-position.net], wie alle Sachen, die wir in diesem Zusammenhang vorbereiten. Die Website wollen wir als ein Medium des Austausches nutzen. Dabei geht es nicht darum, alle Berichte über Kämpfe, den Dreizeiler aus der örtlichen Tageszeitung oder die letzten Papiere über die (notwendige) Diskussion der derzeitigen Krisenlage zu veröffentlichen. Dafür gibt es genug andere Foren und schließlich haben die meisten Gruppen sowieso ihre eigenen Websites.[160] Vielmehr soll hier eine Plattform für genauere Berichte und Analysen entstehen, mit Bezügen, Nachfragen, Kritiken... Diese Seite hat ein konkretes Ziel: Austausch über die Bedingungen in der Ausbeutung und die Kampfmöglichkeiten anhand der Liste gemeinsamer Fragen.[161] Das ist ein Vorschlag. Wir werden - entsprechend unsere Kräften und Fähigkeiten - damit anfangen und erstmal die redaktionelle Bearbeitung machen. Konkret können wir die Seite in diesen Sprachen hinkriegen: Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch. Es wäre gut, wenn alle Übersetzungen ihrer Beiträge machen - vor allem ins Englische - aber das ist nicht Voraussetzung. Neben der Website gibt es eine Mailing-Liste, auf der die veröffentlichten Berichte verschickt werden.[162] Als Anregung und Einstieg haben wir auf der Website schon einige Berichte zusammengestellt: MüllarbeiterInnen kämpfen mit Unterstützung von direct-action-AktivistInnen in Brighton; Flüchtlingsstreik in Metallklitsche in Nordrhein-Westfalen; prekäre McDonald's-ArbeiterInnen finden breite Unterstützung von Gewerkschaften, linken Parteien und AktivistInnen in Paris; Nokia-ArbeiterInnen besetzen Fabrik in Milano; BahnputzerInnen in Italien machen Gleisblockaden und werden von den Gewerkschaften verarscht; Call Center-ArbeiterInnen in Firenze machen spontanen Streik, der dann aber versandet... Daneben haben wir auch Berichte auf die Seite gestellt, bei denen es nicht um einen konkreten Kampf, sondern die alltägliche Scheiße auf Maloche geht: prekäre PostarbeiterIn in Düsseldorf; Call Center-ArbeiterIn in Milano; Glasfabrik-ArbeiterIn im Ruhrgebiet; MigrantIn/ArbeiterIn in irischem Pub in Ruhr, ArbeiterIn bei McDonald's...[163] Das war's! Wenn ihr mit uns diskutieren wollt, schreibt uns! [kontakt] [www.motkraft.net/hotlines] [www.nadir.org/kolinko][www.prol-position.net] ******************************************************** Hier noch aus dem Kündigungs-Abschiedsbrief einer Call Center-ArbeiterIn von Blu in Firenze/Italien: ...ein Gruß an die virtuellen und die direkten Kontrollen, ein Gruß an die Kontrolleure und das Monitoring; ein Gruß an die Unternehmenssprache...; ein Gruß an die Anrufzeiten, an die Begrüßungsformeln, an die Gesprächsskripte; ein Gruß an die Bürokratie und die Prozeduren; ein Gruß an die Trennwände, die Klimaanlage, die Arbeitsplätze; ein Gruß an die Gitter, die Drehtüren, den Badge, die Türen, die Schranken; ein Gruß an die Unpersönlichkeit, die Vereinheitlichung, an das bläuliche Grau; ein Gruß an die Mission(!) und die Werte (ah!); ein informeller Gruß an die informelle Atmosphäre, welche diejenigen, die Schwierigkeiten haben, die Miete zu zahlen, mit denen verbindet, die jeden Monat Tausende verdienen... ein Gruß an die falschen Versprechungen und an diejenigen, die sie gemacht haben... ein zorniger Gruß an diejenigen, die Ruhe predigen, an die Bleifüße, die Gehorsamkeit; Grüße an die so unverzichtbaren Feuerwehrleute; Grüße an die Gewerkschafter... ein Gruß, ohne Neid, an die Speichellecker auf allen Ebenen; ein liebevoller Gruß an diejenigen, die ihre Würde behalten haben... ein herzlicher Gruß an alle Freundinnen und Freunde, die ich gefunden habe, und die mich gefunden haben... ******************************************************** 8. Anhänge 1 [fragebögen] 2 [flugblätter] 3 [call center-liste] 4 [literatur und links] 5 [glossar] ******************************************************** 8.1 Fragebögen 1 [fakten + übersicht] 2 [diskussion + agitation] 3 [zu(m) kämpfen] Interviews als Teil der revolutionären Untersuchung sind kein Ausfragen von ArbeiterInnen zum Sammeln von Fakten. Der Fragebogen soll mit ArbeiterInnen kritisiert und weiterentwickelt werden. Unser Ziel ist, dass das Interview zu einer politischen Diskussion wird, in der die alltäglichen Mythen des kapitalistischen Produktionsprozesses zerschlagen und die gesellschaftliche Entwicklung kritisiert wird. Die Untersuchung wird da Teil des revolutionären Prozesses, wo sie die Auseinandersetzungen über Kapitalismus, Klassenkampf und Kommunismus innerhalb der Ausbeutung voranbringt und selbst Anfang der politischen Selbstorganisierung wird! [kolinko, Fragebogen für Call Center-ArbeiterInnen, November 1999] 8.1.1 Fragebogen für Fakten + Übersicht Diesen Fragebogen haben wir für die Call Center- Untersuchung geschrieben. Wir haben ihn nicht verändert, auch wenn sich bei den Interviews gezeigt hat, dass er zu lang ist. Er hat uns geholfen, die wichtigen Fragen genauer zu formulieren, die Arbeitsorganisation, Maschinerie, Kooperation... zu kapieren. Für weitere Untersuchungsprojekte muss er dem Bereich angepasst werden (Fabrik, Bau, Universität, Hausarbeit...). Und er kann ein Einstieg sein, um die Fakten zu sammeln und einen Überblick zu kriegen. Hier isser: Betrieb 1. In welchem Betrieb arbeitest du? 2. Zu welcher Branche gehört der Betrieb? 3. Zu welchem größeren Konzern gehört der Betrieb? 4. Was wird da hergestellt bzw. welche Dienstleistung wird angeboten? 5. Welche Funktion hat das Call Center in dem Unternehmen? 6. In welcher Call Center-Abteilung arbeitest du? 7. Welche anderen Call Center-Abteilungen gibt es in dem Betrieb? 8. Wann ist das Call Center aufgebaut worden? 9. Gab es dafür staatliche Subventionen? 10. Wie viele Leute arbeiten insgesamt am Standort bzw. im dem Unternehmen? 11. Ist das Call Center ausgelagert oder neugegründet worden? 12. Wurden bereits vorhandene Call Center zusammengelegt? 13. Was hat sich dadurch jeweils an den Arbeitsbedingungen verändert? 14. Wurde die gleiche Arbeit, die ihr im Call Center macht, vorher anders erledigt? 15. Welche Arbeitsabläufe bzw. Technologien haben sich durch die Einführung von Call Centern verändert? 16. Warum gibt es deiner Meinung nach dieses Call Center? 17. Was sagt das Management zu der Frage, warum das Call Center aufgebaut wurde? Region 18. Gibt es in deiner Region viele Call Center? 19. In welchen Branchen sind die tätig? 20. Warum konzentrieren die sich in der Region? 21. Was sagen Management oder Politiker der Region darüber? 22. Wird in deiner Region eine Ausbildung zum Call Center-Agent angeboten? 23. Wer führt die durch? 24. Werden die Leute vom Arbeitsamt unter Druck gesetzt, damit sie im Call Center arbeiten oder die Ausbildung zum Agent machen? ArbeiterInnen 25. Wie viele Leute arbeiten im Call Center? 26. Wie viele davon sind Frauen, wie viele Männer? 27. Wie viele MigrantInnen arbeiten da? 28. Wo kommen die jeweils her? 29. Wie viele sind Teilzeit- und wie viele Vollzeit-ArbeiterInnen? 30. Hat sich an dem Verhältnis von Teilzeit- und Vollzeit-ArbeiterInnen was verändert? 31. Gibt es noch andere Arbeitszeitmodelle? 32. Was für Leute gehen deiner Meinung nach ins Call Center zum Arbeiten? 33. Warum arbeiten sie deiner Meinung nach da? 34. Passen die Leute im Call Center zusammen oder sind sie sehr unterschiedlich? Job oder Beruf 35. Wie lange arbeitest du / arbeiten die anderen ArbeiterInnen schon da? 36. Hast du/haben die anderen schon in einem anderen Call Center gearbeitet? 37. Warum hast du / haben die anderen da aufgehört? 38. Was hast du / haben die anderen vorher gearbeitet bzw. gemacht? 39. Wie habt ihr den Job im Call Center gefunden? 40. Warum hast du dich / haben die anderen sich beim Call Center beworben? 41. Willst du / wollen die anderen lange im Betrieb bleiben? 42. Möchtest du einen anderen Job innerhalb des Call Centers haben? Welchen und warum? Qualifikation 43. Nach welchen Kriterien hat das Management die Leute eingestellt? 44. Was für Ausbildungen hast du / haben die anderen vorher schon gehabt? 45. Führt das Management Schulungen durch, um die Leute anzulernen? 46. Wie lange sind die Schulungen? 47. Was wird da gelehrt und gelernt? 48. Wie beurteilst du die Schulungen jetzt, wo du arbeitest? 49. Hast du dir die Qualifikationen für die Call Center-Arbeit erst im Call Center erworben? 50. Welche Fähigkeiten braucht eine Call Center-ArbeiterIn deiner Meinung nach? Arbeitsweise 51. Welche Tätigkeiten führst du in welcher Reihenfolge beim Telefonieren aus? 52. Wer gibt euch dabei direkte Arbeitsanweisungen? 53. Wer zählt noch alles zu deinen Vorgesetzten? 54. Mit welchen technischen Anlagen arbeitest du? 55. Welche Aufgaben erfüllen diese Anlagen? 56. Wie kommst du mit diesen Anlagen zurecht? 57. Gefällt dir die Arbeit mit diesen Anlagen? 58. Was gefällt dir an der Arbeit generell? 59. Was gefällt dir daran überhaupt nicht? Kooperation 60. Arbeitest du mit anderen ArbeiterInnen zusammen? 61. In welcher Form läuft diese Zusammenarbeit? 62. Hast du Kontakt mit anderen Abteilungen, Filialen oder Außenstellen? 63. Sind diese Kontakte für die Arbeit wichtig? 64. Wie beschaffst du Informationen, die du für die Arbeit brauchst? 65. Bearbeitest du die Gespräche alleine oder stellst du sie auch in andere Abteilungen durch? Probleme der Arbeitsorganisation 66. Welche Probleme tauchen bei der Arbeitsorganisation häufiger auf? 67. Kommt es häufiger zu Ausfällen der technischen Anlagen? 68. Wenn es Probleme gibt, wie löst du die? 69. Welche Rolle spielt dabei die Zusammenarbeit mit den KollegInnen? 70. Welche Rolle spielt dabei der Vorgesetzte? 71. Reicht es, den offiziellen Arbeitsschritten zu folgen, um die Arbeit zu schaffen, oder müsst ihr nebenbei noch andere Arbeiten mit übernehmen? 72. Habt ihr im Laufe der Arbeit zusätzliche Aufgaben zugewiesen bekommen? 73. Wie habt ihr darauf reagiert? 74. Wer organisiert deiner Meinung nach die Arbeit? 75. Ist die Arbeitsorganisation sinnvoll? 76. Warum nicht? 77. Warum gibt es Vorgesetzte? 78. Warum glaubst du, wird in Call Centern mit so vielen in einem Büro gearbeitet? Arbeitsintensität 79. Wer oder was bestimmt dein Arbeitstempo? 80. In welchem Takt wird angerufen bzw. rufst du an? 81. Wird die Anrufabfolge und dein Arbeitstempo von der Telefonanlage bestimmt? 82. Lässt euch der Arbeitstakt Zeit, mit KollegInnen auch über andere Dinge zu reden? 83. Über was redet ihr dann? 84. Wie schafft ihr es, euch die Arbeit zu erleichtern oder inoffizielle Pausen zu machen? 85. Empfindest du die Arbeit als stressig? Was genau? 86. Wie geht es dir nach einem Arbeitstag? Kontrolle 87. Wirst du kontrolliert? Wenn ja, wie? 88. Wer kontrolliert dich? 89. Warum werdet ihr kontrolliert? 90. Nach welchen Kriterien wirst du kontrolliert? 91. Was passiert, wenn du grobe Fehler machst oder Arbeitsanweisungen nicht befolgst? 92. Passiert das dir oder anderen ArbeiterInnen häufig? 93. Schafft ihr es, der Kontrolle zu entgehen? 94. Gibt es auch Fälle, wo absichtlich was falsch gemacht wird, um Pausen zu haben, dem Chef eins auszuwischen...? Lohn 95. Wie hoch ist dein Lohn? 96. Verdienen alle dasselbe? 97. Warum nicht? 98. Gibt es eine Lohnstaffel / Lohngruppen? 99. Nach welchen Kriterien bekommst du Lohnerhöhungen? 100. Wird der Lohn nach Leistung bemessen? 101. Bekommt ihr Zulagen für bestimmte Arbeitszeiten (nachts/Wochenende)? 102. Wie rechtfertigt das Management die unterschiedlichen Löhne? 103. Was diskutieren die KollegInnen, wenn es um den Lohn geht? Arbeitszeit 104. Wie lang ist deine Arbeitszeit laut Arbeitsvertrag? 105. Macht ihr Überstunden, Sonderschichten etc.? 106. Wie lange brauchst du für Anfahrt und Abfahrt? 107. Von wann bis wann ist das Call Center täglich erreichbar bzw. ruft ihr Leute an? 108. Wird auch am Samstag, Sonntag und Feiertag gearbeitet? 109. Welche Schichtmodelle habt ihr (zum Beispiel nur Frühschicht, nur Nachtschicht)? 110. Wie wird der Schichtplan gemacht? 111. Hast du dabei eine Mitsprache? 112. Gibt es Arbeitszeitkonten? 113. Wie sind die Pausen geregelt? 114. Habt ihr gemeinsame Pausen? 115. Habt ihr darüber hinaus Bildschirmpausen? 116. Wie viel Tage Urlaub bekommt ihr? 117. Bist du / sind die anderen zufrieden mit den Arbeitszeiten und den Arbeitszeitregelungen? 118. Mit was bist du / sind die anderen unzufrieden? Gewerkschaften 119. Gibt es eine Betriebsvereinbarung oder einen Tarifvertrag? 120. Gilt die / der nur für den Betrieb, das Unternehmen oder die Branche? 121. Was wird in der / dem genau geregelt? 122. Wer hat die / den mit dem Management abgeschlossen? 123. Gibt es einen Betriebsrat? 124. Was macht der? 125. Welche Gewerkschaft ist im Call Center aktiv? 126. Was macht die? 127. Wie ist dein Verhältnis / das Verhältnis der anderen ArbeiterInnen zur Gewerkschaft bzw. zum Betriebsrat? 128. Was erwartest du / was erwarten die anderen vom Betriebsrat und der Gewerkschaft? Dienstleistung 129. Aus was besteht deine Dienstleistung? 130. Warum wird die Dienstleistung "produziert"? 131. Wer hat ein Interesse daran? 132. Welche Rolle spielt dabei Freundlichkeit, Service am Kunden etc.? 133. Denkst du, dass deine Arbeit für die Gesellschaft notwendig ist? 134. Was sagt das Management zu dieser Frage? 135. Was sagen die anderen ArbeiterInnen dazu? Konflikte 136. Redet ihr bei der Arbeit viel über die Probleme im Call Center? 137. Um was geht es da genau? 138. Gab / gibt es Konflikte unter den ArbeiterInnen? 139. Worum geht / ging es da, und was ist passiert? 140. Gab / gibt es größere Auseinandersetzungen mit der Geschäftsleitung? 141. Was ist da genau passiert? 142. Wird es (weiter) Konflikte geben, die mit der Arbeit zu tun haben? 143. Wurde euch schon mit Auslagerung oder Schließung des Call Centers gedroht? 144. Was denkst du über eine solche Drohung? Diskussion 145. Was ist der Unterschied zwischen der Arbeit in Call Centern und der in der Fabrik, in anderen Büros oder im Krankenhaus? 146. Werden in Zukunft mehr Leute unter ähnlichen Bedingungen arbeiten wie in Call Centern? 147. Wird es auch in ein paar Jahren noch Call Center geben? 148. Was wird sich an den Arbeitsbedingungen ändern? 149. Wie stellst du dir die Arbeit und das Leben in 10 oder 20 Jahren vor? 150. Wer bestimmt, wie die Situation in 10 oder 20 Jahren ist? 151. Was denkst du über die Möglichkeit, sich für eine Verbesserung der Situation zu organisieren? 152. Mit wem würdest du dich organisieren? 153. Was könntet ihr tun, um Forderungen durchzusetzen? 154. Was willst du dann durchsetzen oder verändern? Fragebogen 155. Was denkst du über diesen Fragebogen? 156. Wie kann er verbessert werden? 8.1.2 fragebogen für diskussion + agitation Bei der Untersuchung in Call Centern hat uns ein Fragebogen gefehlt, den wir jederzeit - auch spontan - bei Diskussionen auf Arbeit einsetzen können. Es geht dabei nicht darum, einen Spickzettel rauszuziehen, um auch keine Frage zu vergessen, sondern eher um die Art und Weise, wie wir uns in Diskussionen einbringen. Im täglichen Arbeitstrott werden wir im Arbeitsprozess gemahlen, von den neusten Umsetzungsplänen der Teamleitung genervt, finden uns zwischen Mobbing-Versuchen und Getratsche eingekeilt... Dabei geht uns manchmal der Überblick flöten - und vor allem die Offenheit und Genauigkeit bei den Diskussionen über Konflikte und (mögliche) Kämpfe. Der Fragebogen ist also eine Hilfestellung bei der Konfrontation der ArbeiterInnen mit ihren Verhaltensweisen, beim Aufspüren von Brüchen und rebellischen Momenten... Ergänzt ihn, ändert ihn, passt ihn an eure Bereiche an... und schreibt uns was zu euren Erfahrungen damit! 1. Welche Probleme gibt's? (Arbeitsorganisation, Krankenstand, Mehrarbeit...) 2. Was ist die letzte Maßnahme der Bosse? (Technik, Kündigungen...) 3. Warum ziehen die das durch? (Pausen reduzieren, Ruhe schaffen...) 4. Wie reagieren die ArbeiterInnen darauf? (Diskussion, Ignoranz, Aktion..) 5. Wie haben sich die Konflikte unter den ArbeiterInnen verändert? (Streit...) 6. Was haben Betriebsrat oder Gewerkschaft zuletzt gemacht? (Aushang...) 7. Was diskutieren die ArbeiterInnen dazu? (Desinteresse, Neugier...) 8. Was können die ArbeiterInnen selber tun, um die Situation zu verändern? 9. Welche politischen Diskussionen laufen? (Krise, Krieg, Krankengeld...) 8.1.3 Fragebogen zu(m) Kämpfen Diesen Fragebogen haben wir für den Austausch über Kämpfe geschrieben. Ziel ist, damit entweder * über Kämpfe, in denen wir selber drin hängen, Berichte zu schreiben, oder (besser!) * uns von GenossInnen interviewen zu lassen, um gleich eine Diskussion zu provozieren, oder * an Streikposten, Blockaden... aufzulaufen und die Leute vor Ort zu interviewen, oder * selber die Fragen zu nehmen, um einen Bericht über andere Kämpfe zu schreiben, mit allen wichtigen Infos... Interview und Bericht können wir dann zirkulieren lassen und für die weiteren Diskussionen einsetzen. Klar, auch hier ist es schwer, einen Fragebogen für alle Bereiche hinzukriegen. Dieser legt den Schwerpunkt auf Kämpfe in Betrieben, aber wenn ihr ihn an der Uni oder im Stadtteil anwenden wollt, müsst ihr ihn halt etwas umschreiben. Los geht's: InterviewpartnerIn 1. Als was arbeitest du in dem Betrieb? 2. Hast du eine Funktion im Betriebsrat oder in der Gewerkschaft? Wenn ja, welche? Hintergrund 3. Was ist der Anlass für den Kampf? (Maßnahmen des Unternehmers...) 4. Was ist vorher genau passiert? (Stimmung untereinander, Veränderungen der Ausbeutungsorganisation...) 5. Welche anderen Kämpfe gab es früher? (im selben Betrieb, in anderen, nach staatlichen Maßnahmen...) 6. Was sind die offiziellen Forderungen? 7. Wer hat diese aufgestellt? Bedingungen 8. Wo genau wird gekämpft? (Betrieb, Abteilung...) 9. Welche Bedeutung hat der Betrieb für den Kapitalisten, die Region...? 10. Welche Verbindungen gibt es zu anderen Bereichen? (Zulieferbetriebe...) 11. Wer arbeitet in dem Betrieb? (Herkunft...) 12. Welche Arbeitsverträge gibt es? (Teilzeit, Zeitarbeit...) 13. Wie beeinflussen Herkunft oder Vertragsverhältnisse den Kampf? Organisierung 14. Von wem geht die Initiative im Kampf aus? (ArbeiterInnen, Gewerkschaft...) 15. Wie breitet sich der Konflikt aus? (innerhalb des Betriebs und darüber hinaus...) 16. Wie können die einzelnen ArbeiterInnen Einfluss auf den Kampf ausüben? (Gespräche, Versammlungen...) 17. Welche Vorschläge für Kampfmaßnahmen gibt es? (Streiks, Blockaden...) 18. Wer vertritt die? 19. Wer setzt sich wie dabei durch? 20. Welche Versuche gibt es, über die eigene Abteilung oder den eigenen Betrieb hinaus Leute einzubeziehen? (Kundgebung, Demo...) 21. Werden bei dem Kampf die eigenen Arbeitsmittel benutzt? (Bagger, Computer...) 22. Welche Rolle spielen die Beziehungen untereinander, die über die Arbeitorganisation bestehen? (Zusammenarbeit, Kooperation mit anderen Abteilungen...) 23. Welche Versuche gibt es, den Kampf zu stören oder zu unterlaufen? (Streikbruch...) 24. Welche Rolle spielten Organisationen von außerhalb? (Gewerkschaften, Parteien, UnterstützerInnen...) 25. Was machen diese konkret? (Geld, Flugblätter, Versammlungen...) 26. Wie stehen die ArbeiterInnen zu diesen Organisationen? 27. Welche Organisierungsformen probieren die ArbeiterInnen aus? (Komitees...) 28. Welche Probleme haben sie dabei? Auswirkungen 29. Wie wirkt sich der Kampf aus? (Produktionsstopp, Beeinträchtigung der Arbeit in anderen Bereichen...) 30. Was sagen die ArbeiterInnen zu den Auswirkungen? (auf andere ArbeiterInnen, KundInnen, PatientInnen...) 31. Was sagen die Medien zum Kampf? (Zeitungen, Fernsehen...) Verlauf 32. Wie kann der Kampf sich weiter entwickeln? (Aktionen, Ausbreitung...) 33. Wie ist die Stimmung unter den ArbeiterInnen? 34. Welche Konflikte gibt es zwischen den ArbeiterInnen? (unterschiedliche Positionen, Trennungen wegen Herkunft oder Geschlecht...) 35. Wie wird damit umgegangen? (Diskussionen, Streit...) 36. Was hat sich während des Kampfes an den Konflikten untereinander verändert? 37. Wie reagieren die Unternehmer? (Kündigung, Aussperrung, Druck...) 38. Was sagen die ArbeiterInnen dazu? 39. Welche Versuche der Vermittlung und Verhandlung gibt es? (Streikkomitee, Betriebsrat, Gewerkschaft...) 40. Wird schon das Ende des Kampfes sichtbar? 41. Was passiert nachher? (Rückkehr zum Alltag, weitere Maßnahmen vom Unternehmer, neue Kämpfe...) Einschätzung 42. Wie schätzen die ArbeiterInnen selbst die Erfahrungen ein, die sie gerade machen? (Stärken, Schwächen...) 43. Was kann beim nächsten mal anders oder besser gemacht werden? 44. Welche Verbindungen sehen die ArbeiterInnen zur allgemeinen gesellschaftlichen Situation? 45. Welche Verbindungen ziehen sie zu Kämpfen in anderen Sektoren? 46. An welchen Orten sollen Berichte über den Kampf verteilt werden, damit die Leute dort davon lernen können? InterviewerIn 47. Wie und wo wurde das Interview geführt oder der Bericht geschrieben? (Ort, Infoquellen...) 48. Wie schätzt du selbst die Erfahrungen, Stärken und Schwächen des Kampfes ein? 49. Was hat dir das Interview oder das Schreiben des Berichtes gebracht? ******************************************************** 8.2 Flugblätter Wir dokumentieren hier nur die vier längeren Flugblätter, die wir als Serie gemacht und in und vor Call Centern in unser Region - dem Ruhrgebiet - und anderswo verteilt haben. Die anderen Flugblätter findet ihr auf der Website: [www.motkraft.net/hotlines] 1 [arbeitszeitverlängerungen] 2 [intensivierung der arbeit] 3 [sinn und unsinn der arbeit] 4 [kämpfe in call centern] 8.2.1 hotlines-Flugblatt: Arbeitszeitverlängerung (Oktober 2000) Wir sind "Call Center- Agents" und andere ArbeiterInnen. In diesem und den folgenden Flugblättern werden wir über Probleme und Auseinandersetzungen in Call Centern hier und in anderen Ländern berichten. Diese Flugblätter werden wir in der nächsten Zeit vor und in Call Centern verteilen: 1. Gute Zeiten, schlechte Zeiten... Gegen flexible Arbeitszeitverlängerung in Call Centern; 2. Call by Call... Intensivierung der Arbeit und die Antwort der ArbeiterInnen; 3. Stets zu Diensten... über Sinn und Unsinn unserer Arbeit; 4. Gut aufgelegt... Möglichkeiten und Erfahrungen, wie sich ArbeiterInnen auch im Call Center zusammen wehren können. Alle Flugblätter werden auf der folgenden Website zusammen mit weiteren Infos und Beiträgen dokumentiert: [www.motkraft.net/hotlines]. Beteiligt euch an der Diskussion! Schickt uns Anregungen, Kritik oder Berichte aus "euren" Call Centern: [hotlines@motkraft.net] Im Ruhrgebiet, in Glasgow, Paris, Mailand und Berlin... in vielen Städten und Regionen werden seit Jahren Call Center aufgemacht, in denen mittlerweile Hunderttausende arbeiten. Es gibt sie in Banken und Versicherungen, als technische Support-Hotlines, in Verkauf und Marketing, bei der Bestellannahme... Als ArbeiterInnen in Call Centern rufen wir mithilfe vernetzter Telefon- und Computeranlagen Leute an (outbound) und oder nehmen deren Anrufe entgegen (inbound). Oft arbeiten wir in Schichten. Die Arbeit ist in kurze, genau festgelegte Arbeitsschritte aufgeteilt. Dabei werden wir von TeamleiterInnen kontrolliert. Viele von uns arbeiten im Call Center, weil das in manchen Regionen die einzige Chance ist, einfach an einen Job zu kommen. Zum Teil sind die Jobs auch besser bezahlt als die in der Fabrik, beim Putzen oder im Handel. Aber während Unternehmer und Politiker uns die Call Center in ihren Werbebroschüren als "moderne Arbeitsform" verkaufen, haben sie uns tatsächlich zum Proletariat ihrer "Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft" gemacht! Call Center waren und sind ein Angriff auf die Weigerung vieler BüroarbeiterInnen, eine Verschlechterung ihrer Bedingungen hinzunehmen (in Banken, Versicherungen, bei Post, Telekom und in anderen Bürobereichen). Call Center, das bedeutet für viele ArbeiterInnen verlängerte Arbeitszeiten, Zwang zu Schichtarbeit, Dauerkontrolle und Intensivierung der Arbeit. Arbeiten im Call Center, das heißt mal Stress, mal Langeweile, Freundlichkeitszwang und Kunden- Abservieren, zu wenig Kohle und zu viele Stunden des Lebens für den Job. Aber es hängt von uns ArbeiterInnen ab, unter welchen Bedingungen wir in den nächsten Jahren arbeiten werden. Unser Verhalten und unsere Kämpfe bestimmen, ob die Unternehmer den Arbeitstakt erhöhen und mehr Überstunden durchsetzen können, oder ob wir den Spieß umdrehen und denen zeigen, wo's lang geht! Einige Bedingungen sprechen für uns: Die Zeitungen sind voll mit Stellenanzeigen und die Unternehmer machen schon Werbekampagnen und Durchsagen in Fußballstadien, weil sie nicht genug Leute finden, die ihre Arbeit machen wollen bzw. lange genug als "Call Center Agent" arbeiten. In solchen Zeiten können wir was durchsetzen, weil sie es sich oft nicht leisten können, Leute einfach rauszuschmeißen, und wir ansonsten auch schnell einen anderen Job finden. Und wir arbeiten zu ähnlichen oder gleichen Bedingungen oft mit Hunderten in einer Abteilung zusammen. Viele ArbeiterInnen haben auch schon in mehreren Call Centern gearbeitet und bringen von dort Erfahrungen und Kontakte mit. Wir sind also nicht isoliert, sondern können uns bei der Arbeit mit anderen gegen die miesen Arbeitsbedingungen organisieren. Wir brauchen uns nichts gefallen lassen! Für gemeinsame Aktionen gegen Überstunden und Arbeitshetze! * * * Gute Zeiten, schlechte Zeiten... Gegen die flexiblen Arbeitszeitverlängerungen in Call Centern Schichtende. Der Laden brummt... und du siehst schon, wie der Teamleiter rüberkommt: "Kannst du noch eine Stunde da bleiben?". Scheiße! Eigentlich wolltest du mit deiner Freundin ins Kino, aber das fällt wie üblich aus. Und Samstag ist auch keine Zeit, wegen der verordneten Sonderschicht. Schon mal gehört? Das Interesse der Call Center-Unternehmer ist klar: Sie wollen mit den In- und Outbound-Anrufen möglichst fett Kohle machen. Daher versuchen sie uns zum einen länger arbeiten zu lassen: mehr Stunden pro Tag, mehr Tage in der Woche und das noch flexibel auf Abruf. Zum anderen sollen wir möglichst viele Calls pro Stunde erledigen und ansonsten alles unterlassen, was der Arbeitsproduktivität irgendwie schaden könnte. In diesem Flugblatt schreiben wir was gegen die Versuche der Unternehmer, unseren Arbeitstag zu verlängern. Zeit ist Geld für die einen... Wir lassen Drähte und unsere Ohren heißlaufen. Und obwohl wir in recht kurzer Zeit unseres Arbeitstages dem "Arbeitgeber" die Kohle für unseren Lohn reintelefonieren, ist danach noch nicht Feierabend. Der Arbeitstag zieht sich weiter, aber die restliche Zeit arbeiten wir nur für die Gewinnbilanz des Unternehmens. Diese unbezahlte Arbeitszeit soll noch ausgedehnt werden, indem die einzelnen ArbeiterInnen mehr Stunden arbeiten, das heißt länger als vierzig Stunden die Woche oder bei Teilzeit mehr als die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit. Mit Einführung der Call Center wurden in vielen Fällen die vorher in Filialen und Büros geltenden Arbeitszeiten verlängert (zum Beispiel im Banksektor), was oft mit "outsourcing" von Unternehmensteilen oder Einsatz von Leiharbeitsfirmen verbunden war. Darüber hinaus werden regelmäßig Überstunden und Sonderschichten gefahren, zum Beispiel in den technischen Hotlines (Medion/Mülheim...) und Bestellservices (Client Logic/ Duisburg...), bei Verkaufsaktionen oder im Saisongeschäft. Und in vielen Call Centern wird länger gearbeitet, indem zum Beispiel die Schulungszeiten nicht bezahlt werden oder - wie bei Quelle/Essen - verlangt wird, dass die ArbeiterInnen früher kommen, damit sie ihre Arbeitsanweisungen (im Intranet) lesen können! Es gibt auch Call Center, in denen die ArbeiterInnen ohne Bezahlung nach Hause geschickt werden, wenn die Computer ausgefallen sind oder zu wenige Anrufe reingehen (Client Logic...). Wenn die ArbeiterInnen auf die Kohle angewiesen sind, müssen sie die ausgefallenen Stunden an anderen Tagen nacharbeiten! Die Unternehmer dehnen darüber hinaus auch die Gesamtarbeitszeit aus: Regierungen vieler Bundesländer geben den Call Center-Unternehmern die Erlaubnis für Sonntagsarbeit, und diese wurde in vielen Fällen eingeführt. Dasselbe gilt für Feiertagsarbeit. So wird zum Beispiel in den Direktbanken (Citibank, Deutsche Bank 24/beide Duisburg...) sonntags und feiertags gearbeitet. Nachts sowieso. Viele Call Center-Betreiber zahlen auch keine Zuschläge für Sonntagsarbeit oder Überstunden. Überstunden werden trotzdem gekloppt, obwohl die Erfahrung zeigt, dass Überstunden oder Zuschläge für Sonntagsarbeit für uns nur kurzfristig mehr Kohle bedeuten. Wenn wir uns einmal haben breitschlagen lassen, regelmäßig länger zu arbeiten, wird der Lohn schnell wieder so weit sinken, dass er gerade zum Leben und zum Arbeitengehen reicht. Dieser Angriff, der Versuch, die Arbeitszeit zu verlängern, läuft nicht nur in Call Centern, sondern auch in anderen Büros, in Geschäften und Fabriken. Call Center sind Teil dieser Gesellschaft, in welcher der Profit und nicht die Bedürfnisse der ArbeiterInnen über Arbeit, Arbeitsmittel und ihr Produkt entscheiden. Daher wird auch der Einsatz von produktiveren Technologien (zum Beispiel Automations- oder Informationstechnologien) nicht dazu führen, dass wir weniger oder angenehmer arbeiten. Im Gegenteil: Einige müssen in den Fabriken und Büros Sonderschichten oder Überstunden reißen, während sich andere zwischen Phasen der Arbeitslosigkeit so eben mit drei Nebenjobs über Wasser halten, die sie dank flexibler (Teilzeit-) Arbeitzeiten miteinander verbinden können. ...und Hetze zwischen Arbeitstakt und Schichtplänen für uns! Warum versuchen die Unternehmer, neben dem Arbeitstag auch die Gesamtarbeitszeit auszudehnen und uns 24 Stunden, 7 Tage die Woche an die Telefone zu binden? Sie erzählen uns was von "Service am Kunden". Aber entscheidend ist: Wenn die Maschinen, also Computer, Telefonanlagen usw., Tag und Nacht ausgenutzt werden, haben sie schneller die Investitionen raus und können Gewinne machen! Und warum die Überstunden und Sonderschichten? Wir kennen das alle: Im Inbound gibt es mal viele Calls, mal wenige. Im Outbound schwankt die Zahl der Anrufe weniger, aber dafür gibt es mal viele Aufträge, mal keine. Die Unternehmensleitung versucht, die Schwankungen bei den Anrufen und Aufträgen darüber auszugleichen, dass wir ArbeiterInnen in den Hochzeiten Überstunden und Sonderschichten machen, in den ruhigen Zeiten aber zu Hause bleiben sollen oder nur die Regelarbeitszeit da sind. Es geht darum: Wir sollen flexibel sein und immer dann antanzen, wenn es der Unternehmensleitung in den Kram passt, damit die Call Center nicht mehr ArbeiterInnen einstellen müssen. Das würde Geld kosten und damit ihre Profite schmälern! Die Auseinandersetzung über die Länge des Arbeitstages ist ein entscheidender Konflikt zwischen ArbeiterInnen und den Chefs. Es gab zum Beispiel lange Kämpfe um den Acht-Stunden-Tag und die Vierzig-Stunden-Woche. Es waren aber weniger die öffentlichen Kampagnen der Gewerkschaften (wie die für die 35-Stunden-Woche in den Achtzigern) als vielmehr der unmittelbare Druck der ArbeiterInnen, der zu Verkürzungen der Arbeitszeit führte. Momentan sind wir es, die den Druck zu spüren bekommen, aber wir finden in der letzten Zeit eher defensive Antworten auf die Verlängerung der Arbeitszeit und ihre "Flexibilisierung": den Krankenschein gegen Wochenendarbeit oder die verlängerte Toilettenpause bei stressigen Schichten. Und manchmal passen wir auf die Telefone anderer auf, damit diese endlich mal wieder eine gemeinsame Plauschpause haben können. Klar, diese inoffizielle "Arbeitszeitverkürzung" ist in Ordnung, aber sie steht auf schwachen Füßen, solange wir uns die doppelte Arbeit aufdrücken lassen, wenn zu wenig Leute im Team an der Strippe hängen. Wenn wir dauerhaft mehr Zeit für die schönen Dinge im Leben haben und weniger Stunden für die Arbeit opfern wollen, müssen wir das schon zusammen durchsetzen! Dabei brauchen wir nicht zu warten, bis auch der Letzte im Team begriffen hat, dass wir uns nicht mehr verarschen lassen sollten. Es reicht, wenn wir mit einigen ArbeiterInnen aus der Abteilung dabei den Anfang machen! Keine Sonderschichten! Jede Überstunde ist 60 Minuten zuviel Arbeit! Schicht mit Schicht! * * * Deutsche Bank 24: Elende Schichten Die Deutsche Bank 24 hat Call Center in Duisburg, Bonn und Berlin. Im September 1999 wurde die Deutsche Bank von der Bank 24 übernommen. Richtig gehört: Um zu verhindern, dass die bisher bei der Bank 24 Beschäftigten und alle Neueingestellten unter den Tarifvertrag der alten Deutschen Bank fallen, hat die Tochter Bank 24 die Mutter Deutsche Bank geschluckt. Die Bedingungen in den Call Centern sind: 40-Stunden-Woche für VollzeiterInnen, Schichtarbeit (zum Teil rund um die Uhr, zum Teil zwischen 7 und 22 Uhr) mit ständig wechselnden Schichten, Löhne im Inbound (Kontoführung...) bei 20 DM/Stunde, im Outbound (Kunden- und Produktwerbung) etwas darüber. Im Inbound gehen die Anrufe direkt aufs Headset (ohne Knopfdrücken zum Abnehmen), sodass du ständig aufpassen musst. Manchmal kommt ein Anruf nach dem anderen, wie im Akkord, immer dasselbe, monoton und ätzend. Früh und spät sitzt du aber auch mal rum und langweilst dich, weil kein Schwein anruft. Durch die Schichtarbeit fängst du mal um 7, mal um 10 und dann wieder um 13 Uhr an. Es kommt vor, dass du nicht mal 11 Stunden zwischen den Schichten hast. Das macht dich kaputt. Es gibt einen Betriebsrat, der mit der Unternehmensleitung rummauschelt (zum Beispiel um die Arbeitsunterbrechungen wegen Bildschirmarbeit zu regeln). Aber was kann der schon durchsetzen. Das müssen wir selbst in die Hand nehmen. Das ist schwer, weil viele nur kurz da arbeiten. Wer keinen Bock mehr hat, sucht sich halt einen anderen Job. Zeit, dass sich die Unzufriedenen sammeln und was gegen die Arbeitshetze machen! Citibank: Mehrarbeitszeit und mehr Zeit für die Arbeit Wir arbeiten im Call Center der Citibank in Duisburg. Im Sommer 1999 wurden die meisten Call Center der Citibank und etliche Verwaltungsbereiche in Duisburg konzentriert - trotz des Widerstands und Streiks der ArbeiterInnen gegen die Schließung der bisherigen Call Center und die Verschlechterung der Bedingungen (zum Beispiel in Bochum). Heute sind hier unter anderem das Phonebanking (Kontostände, Überweisungen...) und Branchphone (Anrufe für Filialen). Im Phonebanking verdient eine ArbeiterIn etwa 19 bis 20 DM brutto bei 40 Stunden-Woche, im Branchphone etwa 23 DM brutto. Mittels der Konzentration vieler Aufgaben in der Citibank GmbH in Duisburg haben es die Chefs geschafft, unsere Arbeitszeit und die vieler ArbeiterInnen in anderen Abteilungen zu verlängern. Die ArbeiterInnen im Phonebanking müssen bereit sein, zu jeder Tages- und Nachtzeit und an allen Tagen in der Woche zu arbeiten. Unregelmäßige Schichtarbeit ist die Folge, was auf Dauer völlig auslaugt. Als das Phonebanking noch in Bochum war, betrug die bezahlte Pausenzeit sechzig Minuten bei einer Acht-Stunden-Schicht. Ein Monat nach Eröffnung der Abteilung in Duisburg wurde die bezahlte Pausenzeit um die Hälfte (!) verringert. Die Pausen sind genauso wie die Schichten unregelmäßig. Für viele ArbeiterInnen, die vor der Versetzung nach Duisburg zum Banktarif eingestellt waren, bedeutet der Wechsel in die neu gegründete Citibank GmbH die Verlängerung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit. Sie müssen nach Ablauf des Sozialplans in circa zwei Jahren anstatt 39 dann 40 Stunden arbeiten. Auch wird ihr Lohn wesentlich geringer ausfallen. Der Jahresurlaub wird auf 25 Tage im Jahr reduziert. Die Unternehmensleitung versucht nun, auch in den Filialen eine Verlängerung der Arbeitszeit durchzusetzen. Die Filial-ArbeiterInnen sollen in der Woche länger und zusätzlich am Samstag arbeiten. In einigen Städten geschieht das bereits. Deswegen werden auch im Branchphone schon Extraschichten gefahren. Dass es bisher keine Aktionen gegen die Verlängerung unserer Ausbeutungszeit gab, lag auch an der Situation, die Duisburg vorausging: Viele, die sich im November 1998 auch mit Streik gegen die Schließung der verschiedenen Citibank-Call Center wehrten, wurden vor der Eröffnung der GmbH in Duisburg gefeuert. In Duisburg waren deswegen viele erstmal verunsichert und die meisten kannten sich nicht. Das ist mittlerweile anders und wir können gemeinsame Forderungen durchsetzen. Gerade jetzt, wo es der Unternehmensleitung schwer fällt, genügend Leute zu finden, die überhaupt oder für längere Zeit für die Citibank arbeiten wollen. Die Zeit ist reif, schlagen wir los! Quelle: Quellende Arbeitszeit Ich arbeite mit circa dreihundert ArbeiterInnen im Call Center der Quelle GmbH in Essen in der Bestellannahme. Andere arbeiten im Kundenservice (Reklamation, Kontoführung, Umtausch). Das Call Center hat von Montag bis Samstag von 7 bis 22 Uhr auf, wie auch die in Köln, Mainz, Padborg und die Hauptstelle Nürnberg-Fürth. Die ArbeiterInnen in Leipzig, Magdeburg, Chemnitz oder Cottbus machen auch Nachtschichten. Sie verdienen noch weniger als wir. Wir kriegen 15,40 DM brutto bei Vollzeit und 14,40 DM bei Teilzeit - außer denen, die noch die alten Verträge mit der Quelle AG haben. Die verdienen circa ein Drittel mehr. Wir haben immer wieder anders verteilte Schichtzeiten. Manchmal sollen wir bis 22 Uhr und dann gleich wieder morgens um 8 Uhr freundlich sein. Mit einem Lächeln in der Stimme. Dabei quellt uns die Arbeit aus den Ohren raus. Überstunden sind die Regel, ohne Zuschläge! Und circa 150 glückliche ArbeiterInnen sollen samstags - ohne Wochenendzuschlag - munter auf der Matte stehen. Für unsere Mittagspause sehen wir auch kein Geld, und um unsere bezahlten Bildschirmpausen machen zu können, müssen wir täglich auf die Marienkäferjagd gehen: Pro Team gibt es einen Marienkäfer, und nur mit dem in der Hand sollen wir Pause machen. Ansonsten sollen wir eine halbe Stunde vor Arbeitsbeginn kommen, um die Arbeitsanweisungen im Intranet zu lesen! Ohne mehr Kohle. Wo sie uns schon für die Schulungszeit nicht alles bezahlen! Mit Urlaubssperre, flackernden Bildschirmen, Rückenschmerzen und immer flexibel sollen wir bereit sein, uns die Ohren voll quatschen zu lassen. Wir müssen erstmal Pausen durchsetzen, wann immer wir sie brauchen! Zeit für 'ne Welle bei Quelle! Client Logic: Acht-Stunden-Momentaufnahme Ich arbeite im Call Center von Client Logic (ehemals DTS). Das ist ein reines Call Center- Unternehmen, welches für andere Firmen Aufträge übernimmt, bzw. den Overflow ihrer Call Center abbaut. In Duisburg arbeiten etwa fünfhundert ArbeiterInnen, überwiegend in der Bestellannahme (für Neckermann, Weltbild, Conrad...), und im technischen Support (für Premiere World, Tele2...). Gearbeitet wird dort 7 Tage die Woche von 6 bis 24 Uhr. Die Wochenendzuschläge werden ständig gekürzt, der für den Samstag wurde auf Dauer gestrichen. Bisher hat es keine Aktionen gegen die Lohnkürzungen gegeben, was sicherlich auch mit der hohen Fluktuation zusammenhängt. Die wenigsten arbeiten lange genug in dem Laden, um mitzukriegen, wie diese ständigen Lohnkürzungen ablaufen. Der Großteil arbeitet auf 630 DM- Basis oder in Teilzeit. Die 630 DM-JobberInnen bekommen 12 oder 13 DM, die VollzeiterInnen 16 DM die Stunde. Die Arbeitszeiten sind zwar bei vielen vertraglich festgelegt, aber wenn das Anrufaufkommen zu gering ist, werden welche unbezahlt nach Hause geschickt! Um dann am Ende des Monats doch noch ausreichend Geld zu haben, müssen wir die Zeit an anderen Tagen nacharbeiten! Die Unternehmensleitung ist auf unsere Zeitflexibilität angewiesen, besonders auf die Überstundenbereitschaft während des Weihnachtsgeschäfts oder bei der Einführung neuer Produkte. Client Logic hat ständig Arbeitskräftemangel und ist abhängig davon, dass wir dem Anrufaufkommen gemäß arbeiten. Das ist unsere Stärke. Wir müssen uns die willkürlichen Arbeitszeiten und die ungleichen und viel zu niedrigen Löhne nicht gefallen lassen. Gerade jetzt, wo das Weihnachtsgeschäft vor der Tür steht, können wir zeigen, wo die Harke steht! Medion: In 50 Stunden um den Verstand Die ArbeiterInnen im Medion Technologie Center (Mülheim/Ruhr) machen technischen Support und alle anfallenden Dienstleistungen, die Medion durch den Verkauf von Computern, Peripheriegeräten und elektronischen Konsumartikeln verursacht. Der Lohn liegt im ersten Level (Anrufannahme) bei 17,50 DM, im zweiten Level (technischer Support) bei 20 DM brutto die Stunde. Ende des letzten Winters wurden wegen einer Verkaufsaktion bei Aldi neue Leute eingestellt und es gab Urlaubssperre und Sonderschichten. Wir arbeiten dort vierzig Stunden/fünf Tage die Woche, was eigentlich schon eine Zumutung ist. Und alle drei Wochen müssen wir einen "Pflichtsamstag" leisten. Die Sonntage waren bisher sozusagen freiwillig. Für die Aktionstage (sechs Wochen!) sollte die Frühschicht regelmäßig samstags und die Spätschicht sonntags erscheinen - unter Beibehaltung des Pflichtsamstags! Alle mussten mindestens einmal dreizehn Tage durcharbeiten und hatten dann nur einen Tag frei! Außerdem war das Anrufaufkommen viel höher als sonst. Die Stimmung war mies, aber niemand hat vorgeschlagen, dem Chef das Büro einzurennen und die Überstunden zu verweigern. Im Gegenteil, ein paar von den "Alten" erzählten, dass sie bei der letzten Aktion drei Wochen durchgehend neun Stunden gearbeitet hätten. Wir sollten jetzt noch froh sein, dass wir einen Tag frei hätten. Das hat allem Unmut den letzten Rest an Courage genommen. Auf sich alleine gestellt, blieb einzelnen nur noch der Weg zum Arzt. Viele sind nach der Aktion abgehauen. Dabei hätte ein geschlossenes Auftreten in der Zeit der Aktion einiges raushauen können. Im Moment haben die Personalbüros Schwierigkeiten, Leute zu finden, die diesen Job machen wollen, und die Geschäftsleitung hätte sich ja nicht auf die Schnelle ein Call Center voll Streikbrecher organisieren können. Aber die nächste Aktion kommt bestimmt... 8.2.2 hotlines-Flugblatt: Intensivierung der Arbeit (Dezember 2000) Wir arbeiten in Call Centern und anderswo und machen eine Flugblattreihe. Damit wollen wir die Diskussion unter ArbeiterInnen unterstützen und voranbringen. Es geht darum, gemeinsam gegen Arbeitshetze und Arbeitszwang vorzugehen. Das können wir nur, wenn wir uns selber organisieren und mit anderen ArbeiterInnen Mittel und Wege finden, auf Maßnahmen der Geschäftsleitungen zu reagieren und eigene Interessen durchzusetzen. Unsere Stärke liegt darin, dass wir uns mit anderen ArbeiterInnen schnell und direkt absprechen können und zum Beispiel Überstunden verweigern, Arbeitsanweisungen ignorieren oder den Anruf-Akkord runtersetzen. Ohne dass die Chefs darauf vorbereitet sind und ohne Vermittlung und Kontrolle durch Betriebsrat und Gewerkschaften. Wenn wir diese Stärke entwickeln und einsetzen, kann das ein Schritt sein, die Lohnsklaverei insgesamt zu überwinden. Alle Flugblätter werden auf dieser Website zusammen mit weiteren Infos und Beiträgen dokumentiert: [www.motkraft.net/hotlines]. Beteiligt euch an der Diskussion und schickt uns Anregungen, Kritik oder Berichte: [hotlines@motkraft.net] * * * Es ist einiges passiert, seitdem wir ab Oktober das erste hotlines-Flugblatt (zu Arbeitszeitverlängerungen in Call Centern) verteilt haben. Bei Medion/Mülheim haben wir eins zu den geplanten Betriebsratswahlen nachgeschoben, ebenso bei Quelle/Essen zu den Standardformulierungen. FreundInnen haben in Italien ebenfalls ein Flugblatt zu Call Centern verteilt. Dies und einige Diskussionsbeiträge findet ihr auf der Website. Wir bleiben dran. * * * Rauchende Calls - Über die Intensivierung der Arbeit Kaum bei der Arbeit, Rechner gestartet, Programme aufgerufen, in die Telefonanlage eingeloggt, kommt die Teamleiterin vorbei: "Ich habe hier die Statistiken von gestern. Du hast schon wieder die Pause um eine Minute und 25 Sekunden überzogen!" Ich wünsche ihr schon die Pest an den Hals, aber sie kommt erst in Fahrt: "Außerdem sind deine Nacharbeitszeiten um 10 Prozent länger als bei den anderen. Und du hast auch den Schnitt von 20 Anrufen in der Stunde nicht eingehalten. Also fällt bei dir wieder die Prämie weg." Ich schau sie so gelangweilt wie möglich an. Wenn sie doch nur schnell wieder gehen würde, damit ich mir einen Kaffee holen kann. Aber dann kommt es: "Wir werden dir ein bisschen unter die Arme greifen. Morgen hört sich der Trainer mal einige von deinen Gesprächen an. Der kann dir wichtige Hinweise geben!" Der Trainer, na prima. Der mäkelt wieder rum, wenn du kein "Lächeln in der Stimme" hast und verbotene Wörter wie "Problem" benutzt. Und dann schleimt er, was für "gute Ansätze" du doch hättest, da aber noch "Raum für Verbesserungen" sei... Im ersten Flugblatt ging es um die Versuche der Call Center-Unternehmer, den Arbeitstag in die Länge zu ziehen. Hier nun was zu den Versuchen, uns möglichst pausenlos und "effektiv" an der Strippe zu halten. Arbeitsteilung Bei der Arbeit haben wir zwei Arten von Stress: Entweder sie ist monoton, weil wir in einem Takt immer wieder denselben Kram machen müssen; oder es wird hektisch, weil wir immer mehr Aufgaben aufgedrückt kriegen. Hinter beiden Arten von Stress steht der Versuch der Unternehmer, die Arbeit möglichst produktiv bzw. profitabel zu machen. Dafür teilt er den Arbeitsprozess und lässt die ArbeiterInnen jeweils nur einzelne Arbeitsschritte ausführen. Mittels Stoppuhr und Beobachtung der ArbeiterInnen werden die einzelnen Arbeitsschritte genau analysiert und in vorgegebene Arbeitsabläufe eingepasst. Im Call Center zum Beispiel als Gesprächsablaufvorgabe, Standardformulierung bei Begrüßung und anderes mehr (siehe Bericht zu Quelle). Damit soll unsere Arbeit messbar und vergleichbar werden. Das ist Voraussetzung für die Festlegung und Erhöhung eines bestimmten Anrufakkords (zum Beispiel 20 Anrufe/Stunde). Was aber für den Unternehmer die Produktivität erhöhen und mehr Profit bringen soll (mehr Anrufe durch weniger ArbeiterInnen), bedeutet für uns oft doppelt und dreifache Arbeit. Bei der Aufsplitterung der Arbeit in einzelne Schritte, Zuständigkeiten, Kompetenzen usw. blickt niemand mehr durch. Im Inbound-Call Center zum Beispiel werden Anrufe von einer Abteilung in die andere und zurück gestellt, Informationen sind nicht zu bekommen... Wir müssen das ausgleichen, indem wir offizielle Zuständigkeiten ignorieren. Aber warum teilen die Unternehmer die Arbeit in dieser Form, auch wenn das eine reibungslose, sprich produktive Zusammenarbeit behindern kann? Weil sie keine andere Möglichkeit sehen, wie sie uns trennen, kontrollieren und zur Arbeit anhalten können. Aus diesem Grund verweigern sie uns auch bestimmte Informationen und Aufgaben wie Planung und Koordination, was täglich zu "Chaos" und Mehrarbeit führt. Dieser Widerspruch wird sich nicht lösen lassen: Solange es Chefs gibt, werden sie versuchen, uns von ihren "Informationen" und ihrer "Organisation" abhängig zu machen. Maschinen Auch den Einsatz der Maschinen entscheiden die Unternehmer danach, wie sie die Arbeit intensivieren und uns gleichzeitig kontrollieren können. Die Verbindung von Computer- und Telefonanlage ermöglicht einen höheren Anruftakt und eine genauere Kontrolle der ArbeiterInnen (über Statistiken zur Anrufzahl, Pausenzeiten...). Die Computer-Software erlaubt uns nur bestimmte Arbeitsschritte und gibt oft auch deren Reihenfolge genau vor. Die Anrufe werden automatisch auf unsere Telefone gestellt (Automatic Call Distribution, ACD), zum Teil sogar ohne Abnehmen direkt auf den Kopfhörer (direct-to-ear). Dadurch soll uns die Kontrolle über die Zahl der angenommenen Anrufe genommen werden. Im Outbound wird oft nach dem Auflegen vom Computer gleich der nächste Anruf gemacht, sodass wir keine Verschnaufpause haben (power dialer). Die eingesetzte Maschinerie zeigt auch, wie absurd die Arbeit - und die gesamte Gesellschaft - organisiert ist. Solange wir bei einer bestimmten Arbeit billiger sind als Maschinen, müssen wir sie machen - auch wenn sie noch so stupide ist. Wenn die Maschinen sie billiger machen (zum Beispiel ein Sprachcomputer zur Annahme von Calls: Interactive Voice Response, IVR), fliegen welche von uns raus und müssen sich einen anderen Job suchen. Für die übrigen ArbeiterInnen, die im Betrieb bleiben, bedeutet das oft, dass sie mehr arbeiten müssen, weil sie mehr Aufgaben übernehmen und die Fehler der Maschinen ausgleichen sollen. Die Möglichkeit, langweilige, stressige oder unangenehme Maloche durch Maschinen zu ersetzen, führt hier also nicht etwa dazu, dass wir mehr Zeit für die angenehmen Dinge des Lebens haben, sondern ist mit mehr und intensiverer Arbeit verbunden! Team-Leiter Um uns ans Arbeiten zu bringen und die Intensivierung der Arbeit durchzusetzen, werden uns Teamleiter, Supervisoren usw. vorgesetzt. Diese kontrollieren, ob wir genug Anrufe pro Stunde entgegennehmen, wie lange wir Pause machen, ob wir die Qualitätsanforderungen einhalten... Damit wir sie nicht nur als Aufpasser und Spione sehen, bekommen sie neben ihren Kontrollaufgaben oft noch andere Kompetenzen in der Organisation, Informationsbeschaffung... Wir sollen darauf angewiesen sein, sie anzusprechen, wenn was nicht klappt oder wir was brauchen - und gleichzeitig drücken sie uns Anrufstatistiken rein. Die Teamleiter sammeln so Informationen über den Arbeitsprozess und geben die an die Geschäftsleitung weiter. Diese benutzt die Informationen, um die Arbeit weiter zu intensivieren. Die Teamleiter spielen als erste "Ansprechpartner" aber auch die Rolle eines Puffers: Wenn es Probleme gibt, uns was stinkt, sollen wir das am Teamleiter auslassen, statt gleich die Geschäftsleitung anzugreifen. Konflikte sollen so klein gehalten und begrenzt werden. Die Teamleiter sollen den Willen der Geschäftsleitung gegen uns durchsetzen. Je nachdem, welche Konflikte es gibt und was sie darin erreichen wollen, verhalten sie sich unterschiedlich: eher "kumpelhaft", was besonders die können, die vorher selber an den Telefonen gearbeitet haben; die lassen sich duzen und kümmern sich angeblich um die Klärung aller Probleme; oder "distanziert" und autoritär, wozu oft Teamleiter von außen eingestellt werden; die halten Abstand und ziehen offen Maßnahmen gegen uns ArbeiterInnen durch (siehe Bericht zur Deutschen Bank 24). In Konflikten müssen wir uns gegen die Teamleiter durchsetzen. Weil sie die unmittelbaren Vorgesetzten sind, stehen sie in der Schusslinie. Eigentlich geht es aber nicht um die Teamleiter, sondern gegen den Arbeitsstress und Arbeitszwang insgesamt! Team-Arbeit In den meisten Call Centern werden die ArbeiterInnen in Teams eingeteilt. Zum Teil läuft das über die Qualifikation (Sprache, technische Spezialisierung). Meist werden die Teams aber nur gebildet, um aus der Masse der ArbeiterInnen kleinere, leichter zu kontrollierende Einheiten zu machen. Dann kann die Geschäftsleitung einfacher Maßnahmen zur Arbeitsintensivierung durchsetzen. Durch die Teams sollen zudem die Konflikte kanalisiert und möglichst unter den Teppich gekehrt werden. Statt auf den Teamsitzungen unter uns zu diskutieren und dann was durchzusetzen, dürfen wir bei Kaffee und Kuchen mal richtig auskotzen und sollen denken, dass sich dann gekümmert wird. Wir sollen uns als Teil des Teams fühlen. Mit Team-Prämien, die nur ausbezahlt werden, wenn das ganze Team eine Zielvorgabe erreicht, und dem Wink mit Statistiken versuchen die Unternehmer, uns gegeneinander auszuspielen (siehe die Berichte zu TAS, HP...). Wir sollen uns gegenseitig kontrollieren und zur Arbeit anhalten. Wenn die Prämien nicht reichen, uns zur intensiveren Arbeiten zu bringen, drohen sie halt mit Kündigung oder Schließung des Call Centers. Wir sollen uns als Konkurrenten anderer ArbeiterInnen, Teams, Abteilungen, Standorte oder Unternehmen sehen. Aber wo führt diese Konkurrenz hin? Wenn wir uns gegenseitig unterbieten und billiger machen, verlieren letztendlich alle ArbeiterInnen! Schluss! Nur weil wir als ArbeiterInnen momentan keine andere Alternative haben, als unsere Arbeitskraft für Lohn zu verkaufen, müssen wir Arbeit und Arbeitsbedingungen noch lange nicht als schicksalsmäßig schlucken. Wenn wir auf einige Handgriffe bzw. Satzformeln beschränkt werden und uns dem Maschinentakt oder der Anweisung der Teamleiter unterwerfen sollen, dann steht dahinter ein Interesse: Wir sollen mehr und intensiver malochen für die, die davon profitieren. Das ist kein natürlicher Prozess, sondern eine verdammt beschissene Art und Weise, unsere Lebensgrundlage zu produzieren! Es gilt, aus den verstreuten Call Centern, Fabriken und Krankenhausfluren zusammen dahin zu kommen, dem ein Ende zu bereiten. Den Anfang müssen wir dort machen, wo wir täglich zusammenarbeiten und mit dem Interesse der Unternehmer konfrontiert werden. Wir finden zwar viele "kleine" Wege, um der Arbeit und ihrer Intensivierung zu entgehen - die verlängerte Mittagspause, Langsamarbeiten, das Stumm-Stellen des Telefons, Krankfeiern oder den provozierten Computerabsturz... Wenn wir all das nicht täten, wäre die Arbeit unerträglich, und wir könnten sie nicht lange machen. Aber eine wirkliche Stärke und ein gegenseitiges Vertrauen kann nur in der gemeinsamen Aktion entstehen. Diese muss nicht unbedingt in direkter Konfrontation bestehen, wie das folgende Beispiel zeigt: Bei Hewlett Packard gab es eine Anweisung, dass ArbeiterInnen andere Agents, die gerade nicht telefonieren, darauf aufmerksam machen sollten, die Anrufe in der Warteschleife anzunehmen. Darüber haben sich die ArbeiterInnen lustig gemacht und die Anweisung ignoriert. Sie wollten sich nicht gegenseitig bespitzeln und zur Arbeit antreiben! Gemeinsam gegen den Arbeitsstress! * * * Quelle/Essen Ich arbeite bei Quelle und merke jeden Tag, wie sie versuchen, unsere 8 Stunden dort so intensiv wie möglich zu gestalten. Zum einen haben sie bei uns die Standardformulierungen ab Juli 2000 eingeführt und achten darauf, dass sie auch von uns wortwörtlich angewendet werden. [Siehe hotlines-Flugblatt dazu auf der Website]. Nicht nur, dass wir externe Kontrollanrufe erhalten, nein, intern aus unserem Call Center rufen sie uns an und testen, ob wir die auch hundert Prozent bringen. Dies wird gruppenweise ausgewertet und jeden Tag mit einer Statistik vor unser Nase dokumentiert. Dass wir uns wie Tonbänder vorkommen, interessiert keinen. Und wir sollen auch noch gute Qualität bieten, sollen uns Zeit für die Kunden nehmen, eine gute Gesprächsatmosphäre schaffen, auf Kundenfragen eingehen und das berühmte Lächeln in der Stimme rüberbringen. Nach diesen Kriterien bewerten uns die externen Qualitätsbeauftragten. Also: Wir sollen die Standards anwenden, "Topqualität" bieten (wie unsere Chefin immer betont) und unseren Schnitt von 22 Anrufen in der Stunde schaffen. Wie soll sich hier keine/r stressen? Medion/Mülheim Das erste hotlines-Flugblatt hat bei Medion große Wellen geschlagen. Im ganzen Betrieb haben die ArbeiterInnen angefangen miteinander zu diskutieren, vor allem auch Leute, die sich vorher gar nicht kannten. Ein paar Tage später hat die Gewerkschaft hbv eine Einladung zu einer Versammlung zur Vorbereitung der Betriebsratswahl verteilt. Daraufhin gab es eine Sondernummer von hotlines. Die hat darauf hingewiesen, dass die ArbeiterInnen sich keine Illusionen über Betriebsräte machen sollen [hotlines-Flugblatt siehe Website]. Die Meinungen über die Notwendigkeit eines Betriebsrates gehen unter den ArbeiterInnen weit auseinander. Im Moment hört man wenig davon. Wahrscheinlich laufen gerade die bürokratischen Vorbereitungen. Die Diskussionen darüber sind momentan verebbt. Zur Zeit verkauft Medion wieder Rechner und andere Geräte bei Aldi. Für die ArbeiterInnen bedeutet das wieder Sonderschichten. Aber anders als beim letzten Mal hat die Geschäftsleitung eine weniger strenge Regelung vorgenommen: Die Sonderschichten sind auf vier Wochen begrenzt (statt sechs), gearbeitet wird maximal sieben Tage am Stück, statt dreizehn (!) und auch "nur" acht, statt neun Stunden täglich. Zudem schaltet sich die Telefonanlage alle paar Minuten aus, sodass die Vorhotline immer eine bestimmte Anzahl Kunden abfertigt und dann ein paar Sekunden Pause hat. Hätte die Geschäftsleitung die Sonderschichten diesmal nicht etwas lockerer geregelt, hätte sie wohl einiges riskiert. Deutsche Bank 24/Bonn Bei der Deutschen Bank 24 in Bonn arbeiten etwa 15 bis 20 Prozent Vollzeit, der Rest Teilzeit, vor allem StudentInnen und Alleinerziehende. Die Löhne für Agents liegen bei 19 DM pro Stunde und dann gestaffelt bei bis zu 23,50 DM. Nach der Fusion von Deutscher Bank und Bank 24 wurden etliche Abteilungen neu organisiert, wobei die Agents mehr Aufgaben zugewiesen bekamen... ohne Lohnerhöhung! Der "Kontenservice" (Überweisungen...) wurde zum "Konten- und Depotservice". Die Agents müssen nun auch Wertpapiergeschäfte abwickeln, wenn die Wertpapierabteilung überlastet ist. Später kamen noch Aufgaben wie Kredite, Kreditkarten etc. dazu. Die dafür zuständige Abteilung ("Banking Service") wurde aufgelöst. Außerdem müssen die Agents im "Konten- und Depotservice" nun auch den Überlauf des "Online-Service" (Fragen zum Online-Banking) bearbeiten. Das alles ohne richtige Schulung. Etliche ArbeiterInnen haben Aufgaben verweigert und die Anrufe weiter in andere Abteilungen gestellt, wo das möglich ist. Druck gibt es über die Qualitätskontrolle. Einmal im Monat hört ein "Coach" Gespräche mit und beurteilt die "fachliche Kompetenz". Ebenfalls einmal im Monat hört ein "Supervisor" rein, wo es um die sprachliche Kompetenz geht: Der erzählt dir dann, dass du zu viele Negativausdrücke benutzt, Konjunktivformen vermeiden musst und dass die WPAs fehlen (Worte persönlicher Anerkennung, zum Beispiel "Das haben sie gut gemacht"). Das "Supervising" entscheidet, ob ein Agent in der Lohnstaffel höher eingestuft wird. Wenn der Supervisor dich nicht mag... Pech gehabt! Statistiken über Gesprächsanzahl, -dauer, Nachbearbeitungszeit, Pausenzeit usw. bekommen vor allem die im "Konten- und Depotservice". Mit Hinweisen darauf, dass die Nachbearbeitung zu lange dauert und mensch die Pausen dreimal um 25 Sekunden überzogen hat! Nach der Fusion wurde auch die Sitzordnung geändert. Vorher gab es offene Räume mit Tischen ohne Zwischenwände und freier Platzwahl. So haben sich die befreundeten ArbeiterInnen zusammengefunden und konnten miteinander quatschen. Dann wurden Vierergruppentische reingestellt mit Zwischenwänden, und die Agents mussten zusammen mit ihren willkürlich zusammengestellten Teams sitzen. Offensichtlich sollte vermieden werden, dass die ArbeiterInnen Spaß zusammen haben. Diese nehmen die Zwischenwände immer wieder raus... und nachts werden sie von irgendwem wieder eingesetzt. Als Vollzeiter hält niemand den Job länger als zwei oder drei Jahre durch. Entweder hört mensch dann auf oder wird Teamleiter. Jetzt werden die Vollzeit-Agents aber nicht mehr als Teamleiter genommen. Die kommen nun von außen. Bisher wurden auch die Teamleiter geduzt, jetzt bestehen mehr und mehr drauf, gesiezt zu werden. Offensichtlich gilt es, das kulantere Regime aus alten Bank 24-Tagen durch ein neues, härteres zu ersetzen. So wie die Arbeit organisiert ist, mit vielen Calls, direkt aufs Headset, mit wenigen, klar definierten Arbeitsschritten, mit vorgeschriebener Wortwahl und genauer Reglementierung sind die Agents eigentlich nur die zweitbeste Lösung. Eine Maschine könnte das besser. Du wirst funktionalisiert, du bist ein Faktor in der Statistik. Du wirst kontrolliert und es gibt Druck, wenn du angeblich zu langsam bist. TAS Ich arbeite bei der TAS. Wir telefonieren Out- und Inboundprojekte für Unternehmen, welche die TAS beauftragt haben, und bekommen 15 DM plus Bonus. Der Bonus wird errechnet durch Quote (Calls/Stunde, Gesprächsziele, zum Beispiel Infoversand, Termin) und Qualität (wie telefonierst du überhaupt). Die Tages-, Wochen- und Monats-Quoten jedes einzelnen Agents hängen täglich aus, damit sich jeder über seinen Leistungsstand und den der anderen informieren kann. Durch monatliche Bandanalysen und training on the job (ein Qualitätsmanager sitzt hinter dir und hört sich deine Gespräche live an) wird kontrolliert, ob du auch wirklich "qualitativ hochwertig" telefonierst und den Bonus verdient hast. Auch hier ist öffentlich, wer die "Qualität" bekommen hat und wer nicht. Der gesamte Bonus wird pro Team ausgerechnet, das heißt du arbeitest nicht für deinen eigenen Bonus, sondern für das Team, was positiv formuliert eine zusätzliche Motivation erzeugen, de facto aber zu gegenseitiger Antreiberei führen soll. Moderne Technik hab Dank, dass wir die Quoten nicht nur immer im Kopf haben - nein, sie stehen uns permanent vor Augen mittels eines kleinen Feldes in unserer Maske. So wird jeden Tag "Spiel mir das Lied von der Quote" neu geschrieben, mal als rabenschwarzer Blues, wenn du beim Telefonieren so rein gar nichts reißt und deine Quoten im Keller verschwinden siehst, mal als Happy-Agent-Mucke. Irgendwie finden sich alle damit ab, es gehört halt dazu. Wenn es nicht so richtig läuft, versuchen die Teamleiter, Trainer und Qualitätsmanager durch Schulungen und Workshops alles wieder in die Bahnen der Unternehmensleitung zu lenken. Die meisten Agents machen auch gerne jede angebotene Maßnahme mit. Wie heißt es so schön: Bloß nicht telefonieren! Doch ist es erschreckend, wie dieses "Jetzt redet mal ganz offen über Eure Probleme"-Gesäusel dazu führt, dass Agents die Tricks anderer verraten, wie diese sich die Arbeit erleichtern. Obwohl uns vieles annervt, was sich durch keine Teamsitzung der Welt ändern lässt, kriegen wir unsere Schnauze meist nur am Telefon auf. Das liegt daran, wie Quote, Kontrolle und Co. von der Unternehmensleitung gerechtfertigt werden: "...sonst könnten wir den Kunden und Ihr Eure Arbeitsplätze verlieren". Die Rollenverteilung ist klar: der verständnisvolle Arbeitgeber und der nörgelnde Kunde. Doch wen interessiert's? Hewlett Packard/Amsterdam Hewlett Packard (HP) hat für Europa ein zentrales Call Center in Amsterdam. In etlichen europäischen Ländern gibt es noch kleinere Call Center, zum Beispiel in Ratingen. Den Support für die billigeren und älteren Modelle hat HP in externe Call Center ausgelagert, unter anderem zu Sykes, Stream und Sitel. In Amsterdam arbeiten circa sechshundert Leute, etwa ein Drittel an den Telefonen. HP stellt die Agents alle erstmal für zwei Jahre über eine Zeitarbeitsfirma ein (Kellys, Randstad, Content). Der Lohn liegt für Neueingestellte bei 22,50 Gulden (20 DM) brutto pro Stunde. Die Agents von Sykes kriegen etwa 16,50 Gulden (15 DM). Hewlett Packard kalkuliert regelmäßig das Supportkonzept wieder durch und verändert es ständig. Call Center-Bereiche werden neu organisiert, in andere Länder verlegt oder in andere Firmen ausgelagert. In den Verträgen der Agents steht, dass sie in dem Fall, dass der Bereich verlagert wird, mit umziehen müssen oder der Vertrag erlischt. In Amsterdam sind die Abteilungen nach Produkten und Sprachen geteilt. Bei den meisten Anrufen geht es darum, dass ein Gerät nicht funktioniert und die Leute Beratung und Hilfe brauchen. Die Zahl der Anrufe variiert etwa zwischen zwanzig und vierzig am Tag. Der erste Level (Anrufannahme, Gerätefeststellung und Durchstellen in die Fachabteilung) wurde in externe Call Center ausgelagert. Für deutschsprachige Anrufer macht das zum Beispiel Sykes in Wilhelmshafen. Die Telefon-ArbeiterInnen bei HP in Amsterdam sind meist zwischen zwanzig und vierzig Jahre alt. Der Anteil der AusländerInnen liegt bei achtzig bis neunzig Prozent. Viele sehen den Job als Zwischenstation. Sie wollen eine Zeit in Amsterdam wohnen, was über Computer lernen und die Arbeitsbescheinigung einer renommierten Firma kriegen. Die Arbeit ist aber meist langweilig. Die Kunden sind genervt, weil die Geräte nicht laufen, und nölen einen voll. Manche Agents hören auf, weil sie dieses Mülleimer-Dasein nicht ertragen. Andere versuchen, möglichst wenige Anrufe zu kriegen. Die Geschäftsleitung von HP reagiert darauf, indem sie die Kontrollen verschärft und den Leuten mehr Aufgaben gibt (zum Beispiel weitere Produkte, weitere Sprachen). In manchen Abteilungen werden jeden Tag genaue Statistiken über die Zahl der Anrufe, Pausen, Nacharbeit usw. ausgehängt. Zuweilen rennen die Teamleiter rum und reiben Leuten ihre angeblich schlechten Statistiken unter die Nase. Ständig wird über die Qualität gesprochen, was besonders absurd ist, weil HP die Agents nur nach deren Sprachkenntnissen einstellt. Nach etwa drei Wochen Schulung sollen sie dann technische Fragen zu den Geräten beantworten. Citibank/Duisburg Die Geschäftsleitung der Citibank plant, einen Sprachcomputer (IVR) einzusetzen. Dieser soll unter anderem Überweisungen entgegennehmen und Kontostände ansagen, was bisher von den ArbeiterInnen des Citiphone-Call Centers in Duisburg gemacht wurde. In der frei werdenden Zeit sollen die ArbeiterInnen den KundInnen am Telefon Kredite und Versicherungen verkaufen. Dazu wird eine neue Software eingeführt, mit der die Call Center-ArbeiterInnen die Konten so umfassend bearbeiten können, wie das bisher nur in den Zweigstellen möglich war. Darüber hinaus sollen die ArbeiterInnen im Branchphone (auch in Duisburg) ab Februar die Anrufe für alle Zweigstellen bearbeiten. Den meisten kommen diese Veränderungen ihrer Arbeitsbedingungen zunächst gelegen. Im Call Center wird die Arbeit dadurch abwechslungsreicher und verlangt mehr Verantwortung. Es muss mehr als bisher am Telefon entschieden werden, zum Beispiel ob ein Kunde kreditwürdig ist oder nicht. Und in den Zweigstellen werden die Anrufe reduziert, bei denen es bloß um Organisatorisches geht, wie die Vereinbarung eines Termins. Aber die Veränderungen sind Teil der Rationalisierung. Citibank organisiert die Abteilungen und Zweigstellen neu, um die ArbeiterInnen gegeneinander ausspielen zu können. Wir im Call Center sollen die Arbeit der Zweigstellen übernehmen - zu schlechteren Bedingungen! Und die Geschäftsleitung will sie weiter verschlechtern: Bisher wurden im Call Center viele AnruferInnen in andere Abteilungen weitergeleitet. Dabei sind oft Pausen angefallen, welche die Teamleiter nicht kontrollieren können. Das soll jetzt geändert werden. Wir sollen Anrufe nicht mehr einfach schnell abfertigen oder weiterstellen. Durch die Ausweitung des Call Centers werden in den Zweigstellen die Aufgaben der ArbeiterInnen weiter reduziert. Der Großteil des Arbeitstages besteht dort schon darin, Versicherungen und Kredite zu verkaufen. Für jede ArbeiterIn wird dabei die Arbeitsleistung gemessen, um sie besser unter Druck setzen zu können. Geschäftsleitung und Teamleiter wollen uns diese ganzen Veränderungen als Verbesserung verkaufen. In Wirklichkeit wollen sie uns dadurch gegeneinander ausspielen, besser kontrollieren und produktiver arbeiten lassen. 8.2.3 hotlines-Flugblatt: (Un-)Sinn der Arbeit (März 2001) Wir arbeiten in Call Centern und anderswo und machen eine Flugblattreihe. Damit wollen wir die Diskussion unter ArbeiterInnen unterstützen und voranbringen. Es geht darum, gemeinsam gegen Arbeitshetze und Arbeitszwang vorzugehen. Das können wir nur, wenn wir uns selber organisieren und mit anderen ArbeiterInnen Mittel und Wege finden, auf Maßnahmen der Geschäftsleitungen zu reagieren und eigene Interessen durchzusetzen. Unsere Stärke liegt darin, dass wir uns mit anderen ArbeiterInnen schnell und direkt absprechen können und zum Beispiel Überstunden verweigern, Arbeitsanweisungen ignorieren oder den Anruf-Akkord runtersetzen. Ohne dass die Chefs darauf vorbereitet sind und ohne Vermittlung und Kontrolle durch Betriebsrat und Gewerkschaften. Wenn wir diese Stärke entwickeln und einsetzen, kann das ein Schritt sein, die Lohnsklaverei insgesamt zu überwinden. Alle hotlines-Flugblätter werden auf dieser Website zusammen mit weiteren Infos und Beiträgen dokumentiert: [www.motkraft.net/hotlines]. Beteiligt euch an der Diskussion, schickt uns Anmerkungen, Kritik oder Berichte: [hotlines@motkraft.net] * * * Callgirls und Callboys: Was für ein Wahnsinn?! Arbeit, Arbeit, Arbeit - Regierung, Unternehmer und Gewerkschaften sind sich einig, dass erst die Arbeit das Leben süß und sinnvoll macht. Selig ist der, der Arbeit hat. Aber wenn wir dann an der Werkbank Metallteile montieren, im Krankenhaus PatientInnen gesund spritzen oder unterm Headset schmorend Kunden abfertigen, hört der Spaß schnell wieder auf. Wir sind mit Widersprüchen konfrontiert, welche die Chefs mühsam zu verstecken suchen. In Call Centern erzählen uns die Unternehmer immer, wie toll alles organisiert ist, und dass sie uns in Schulungen all das beibringen, was wir für den Job brauchen: wie wir reden sollen, wie der Computer funktioniert... Zunächst freuen wir uns, dass wir bei Kaffee und Keksen alles lernen dürfen. Später unterm Headset merken wir jedoch, dass wir eigentlich nicht wirklich was gelernt haben: Wir müssen immer wieder improvisieren, Informationen beschaffen, auf neue Situationen eingehen usw., damit wir nicht als die letzten Deppen dastehen und die AnruferInnen kriegen, was sie wollen. Ständig wird uns erzählt, dass wir eine verantwortungsvolle und abwechslungsreiche Tätigkeit machen, die unsere Kreativität erfordert. Aber im Arbeitsalltag stellt sich schnell raus, dass wir nur wenige Sachen selber bestimmen und die Arbeit monoton wird. Die Teamleiter sollen aufpassen, dass wir die ständig wieder kehrenden Arbeitschritte auch richtig ausführen. Dabei machen die Unternehmer noch einen großen Wirbel um "Qualität". Der Kunde ist König, unser Ziel ist der optimale Kundenservice, wir brauchen das totale Kundenerlebnis - täglich hören wir so was. Damit das auch klappt, schreiben sie uns die Arbeitsschritte genau vor, lassen Testanrufe machen und setzen ganze Trainerstäbe auf uns an. Alles um die "Qualität" zu steigern. Im Arbeitsalltag passiert dann was anderes: Weil nicht genug ArbeiterInnen eingestellt werden, müssen die AnruferInnen sich ewig das Warteschleifengedudel anhören. Kommen sie dann durch, werden sie in die nächste Schleife gestellt, weil wir Call Center-ArbeiterInnen nur bestimmte Sachen machen können oder dürfen, andere nicht. Wir sollen reinhauen, damit wir möglichst viele Anrufe annehmen oder im Outbound machen. Dadurch sinkt aber die "Qualität", weil alles nur husch husch geht. Da diese Widersprüche offensichtlich und frustrierend sind, machen die Unternehmer ein Riesenspektakel, damit wir hübsch weiterarbeiten (und nicht "innerlich kündigen"). Sie erzählen uns, wie toll ihre Firma ist, was für ein Glück wir doch haben, dass wir in ihrem Team arbeiten dürfen, und was für wichtige Produkte da hergestellt werden (Bankkredite, Computerdrucker, Babywäsche). Dann kommen sie noch mit Zertifikaten, Prämien und T-Shirts - und eine darf "Agent des Monats" werden. Wir sind jetzt Teil der Familie, alle ziehen an einem Strang. Stellt sich nur die Frage, wer ihn um den Hals hat!? Wenn wir mit den vielen Zertifikaten unser Klo tapeziert und die 3.50 DM Prämie günstig angelegt haben, merken wir, dass hinter dem Spektakel die ganz normale Maloche weitergeht. Wenn wir uns anschauen, welche Interessen hinter der Arbeit stehen, wird klar, warum diese Widersprüche und absurden Situationen entstehen. Geldsüchtige Unternehmer... Unternehmer gehen erstmal davon aus, dass sie aus ihrem Geld mehr Geld machen wollen. Um ihr Geld zu vermehren, müssen sie uns für sich arbeiten lassen. Sie investieren da, wo sie möglichst viel rauskriegen, zum Beispiel in Call Center. Klappt das nicht (richtig), wechseln sie das Metier und investieren woanders - vielleicht in Waffel- oder Waffenproduktion? Obwohl die Unternehmer also kein besonderes Interesse an der Arbeit haben, sich Geld aber nicht von allein vermehrt, müssen sie sich wohl oder übel auf den Arbeitsprozess einlassen. Dabei müssen sie zwei Sachen klarkriegen, die täglich gegeneinanderstehen: (1) Die Produktion muss "Profit" abwerfen: Möglichst wenige und schlecht bezahlte ArbeiterInnen sollen nach kurzer Anlernzeit mit möglichst billigen Maschinen und Material möglichst viel produzieren. Die Investitionen sollen gering, die Arbeit intensiv und dadurch die Profite hoch sein. Im Call Center bedeutet das, dass wir ArbeiterInnen nur kurz geschult und auf Schichten verteilt werden, dass wir die Anrufe kurz halten, viel verkaufen und viele Anrufe pro Stunde machen sollen... (2) Widersprüche entstehen, weil zugleich die "Qualität" stimmen soll: Die Unternehmer müssen dafür sorgen, dass bei der Produktion was rauskommt, das sie verkaufen können, zum Beispiel ein Auto, das auch wirklich fährt, oder eine telefonisches Help Desk, bei dem die Anruferin auch gute Ratschläge bekommt, mit denen sie was anfangen kann. Das Auto oder die telefonische Beratung müssen für die "KundInnen" einen Wert haben (funktionieren, gut aussehen, praktisch sein, weiterhelfen...). Die Unternehmer müssen also aufpassen, dass wir ArbeiterInnen nicht rumschlampen... ...treffen auf lustlose ArbeiterInnen Auch wenn die Unternehmer es gerne anders darstellen, hängt es von uns ArbeiterInnen ab, ob der Laden trotz dieses Widerspruchs läuft: Wir sollen täglich dafür sorgen, dass die Arbeit schnell und profitabel gemacht wird - und gleichzeitig "Qualität" liefern. Aber auch wir ArbeiterInnen, von denen alles abhängt, haben kein besonderes Interesse an der Arbeit. Jeder Job ist mehr oder weniger wie der andere. Ok, bei manchen gibt es mehr Geld oder die Bedingungen sind besser, es gibt richtige Scheißjobs und erträgliche. Aber im Prinzip gehen wir nur arbeiten, weil wir das müssen, weil wir den Lohn zum Leben brauchen. Wir haben kein Interesse an der Sache an sich. Stundenlang im Call Center am Telefon hängen, sehnsuchtsvoll auf die nächste Pause warten, blöde Fragen beantworten, nix wissen, aber die Leute beraten sollen, mit den Aufpassern rumschlagen... wer kann sich da nichts Besseres vorstellen?! Wir müssen damit klarkommen, dass wir einen Großteil unserer Zeit malochen, und wollen darin einen Sinn erkennen. Wir versuchen, die Arbeit irgendwie richtig zu machen, weil es sonst noch stressiger ist, zum Beispiel die Leute am Telefon noch genervter werden. All das stößt aber immer wieder an Grenzen. Welche Qualität? Die Unternehmer versuchen alles, um uns den Stress aufzuladen, der mit der Arbeit unter diesen widersprüchlichen Bedingungen verbunden ist. Wir sollen trotz billiger Schulungen, fehlender Infos, schlechter Produkte usw. möglichst viele AnruferInnen pro Stunde befriedigen. Dabei setzen sie uns - scheinheilig - vor allem mit der "Qualität" unter Druck. * Wenn sie offen sagen würden, dass es ihnen nur um die Kohle geht, dann würden wir nicht halb so gut arbeiten. Also ködern sie uns mit der "Qualität" des Produkts oder der tollen Firma, für die es sich zu arbeiten lohne. * Wenn sie offen sagen würden, dass sie uns kontrollieren wollen, damit wir schneller arbeiten, dann würden wir uns schneller wehren. Also begründen sie die Kontrolle mit der heiligen "Qualität". * Wenn sie offen sagen würden, dass sie eigentlich keine Ahnung von der Arbeit und ihrer Organisation haben, dann würde die Frage aufkommen, wozu die Unternehmer eigentlich gebraucht werden. Also verstecken sie sich hinter fetten Qualitätsmanagement-Programmen und fordern uns zu "Verbesserungsvorschlägen" auf, um so von uns zu lernen. Ihr gewonnenes Wissen setzen sie aber weniger dazu ein, um die "Qualität" zu verbessern, als dazu, uns mehr Arbeit aufzuhalsen und die Produktion zu "rationalisieren". Sinn interessiert kein Schwein Der Widerspruch zwischen Profitinteresse auf der einen und der Produktion von nutzbaren Gütern auf der anderen Seite führt auf der Ebene des Betriebs zu all den täglichen Absurditäten. Er bestimmt auch die ganze Gesellschaft: * Wir haben zwar Wissen und Reichtümer angehäuft, aber beides wird nicht für die Bedürfnisse aller genutzt: Die meisten Menschen der Erde leben weiter in Armut - als ArbeiterInnen oder als "Arbeitslose", deren Arbeitskraft gerade nicht zur Geldvermehrung genutzt werden kann. * Wenn mit Hilfe von Maschinen die Produktivität immer weiter gesteigert, also das gleiche in kürzerer Arbeitszeit hergestellt wird, arbeiten wir trotzdem nicht weniger. Der Einsatz von Maschinen soll die Profite steigern, nicht die Arbeitszeit für alle verkürzen: Wo "rationalisiert" wird und Leute rausfliegen, müssen die bleibenden ArbeiterInnen intensiver arbeiten und Überstunden schieben, die entlassenen sich einen anderen Job suchen. Hinter all dem steht der Widerspruch, dass wir ArbeiterInnen zwar die Reichtümer produzieren, aber nicht bestimmen, wie gearbeitet wird und was mit den Reichtümern passiert. Bei "Arbeitsplätzen" interessiert kein Schwein, ob die Arbeit sinnvoll ist, ob wir ein Produkt oder eine Dienstleistung wirklich brauchen. Entscheidend ist immer, ob durch die Arbeit Reichtum in Form von Geld vermehrt werden kann. Das gilt auch für Call Center. Wir ArbeiterInnen haben nicht entschieden, dass allein in Europa einige Millionen Leute in Call Centern arbeiten sollen. Dafür machen wir dann richtig Sinnvolles: Wir sorgen dafür, dass Sachen, die von ArbeiterInnen produziert wurden, an andere ArbeiterInnen verkauft werden, so dass das Geld in den Händen der Unternehmer bleibt. Oder wir sagen Tausenden von ArbeiterInnen am Telefon den Schuldenstand auf ihrem Konto durch, damit die wissen, dass sie für ihren Kredit arbeiten gehen. Oder wir sitzen nachts im Bestellservice, weil irgendwelche Leute anrufen, die es tagsüber nicht in die Läden schaffen, weil sie da arbeiten müssen... Keiner hilft! Wenn uns das alles stinkt, wir die absurden Situationen nicht hinnehmen wollen, die tolle Firma und den coolen Chef, Kundenverarsche und Qualitätstests, die Überstunden und den ganz alltäglichen Wahnsinn auf Arbeit, was machen wir dann? Wir werden dies nicht lösen, wenn wir versuchen, die Arbeit zu "humanisieren". Unternehmer wollen - mit Unterstützung der Gewerkschaften - über Gruppenarbeit, bunte Schraubenzieher und Flachbildschirme die Arbeit als sinnvoll und erträglich verkaufen. Alle diese Versuche zielen letztendlich darauf ab, dass wir uns kreativ und produktiv für die Arbeit verausgaben. Sie ändern nichts daran, dass Unternehmer und Gewinnbilanzen bestimmen, wo investiert und was produziert wird. Solange es aber darum geht, aus Geld mehr Geld zu machen, werden wir die Widersprüche zwischen Arbeitsstress, "Qualität", Sinnlosigkeit usw. nur immer wieder neu schaffen. Es gibt keine Gewerkschaft, keine Partei oder andere Organisation, die für uns die Widersprüche abschafft. Es gibt auch keinen fertigen Plan für eine "andere" Gesellschaft - aber tausend gute Gründe, die bestehenden produktiven Möglichkeiten für (und nicht gegen) uns einzusetzen. Wenn wir ein Leben wollen, bei dem wir nach unseren Bedürfnissen produzieren, ohne Ausbeutung, ohne Arbeitsstress und Aufpasser, müssen wir das selber in die Hand nehmen. Der erste Schritt - ein "Hauch des Neuen" - kann in Situationen entstehen, in denen wir die alltägliche Mühle zusammen in Frage stellen. Wenn wir, anstatt kreativ dafür zu sorgen, dass der Laden trotz chaotischer Organisation nicht abschifft, diese Kreativität in Aktionen gegen den Arbeitsstress ausdrücken. Wenn wir, anstatt nur zufällig zusammen zu malochen, die Zusammenarbeit als unsere Macht gegenüber den Antreibern nutzen. Nur so überwinden wir die Mobbing- und Tratsch-Kacke untereinander. Nur so entstehen neue Beziehungen und Selbstbewusstsein, das wir für die kommenden Auseinandersetzungen mit den Unternehmern brauchen. Zu Risiken und Nebenwirkungen probiert's aus, schickt uns Ideen - oder wartet auf die nächste hotlines! * * * Steffi. Unser bestes Gespräch. piiiieps im headset, hallo anrufer, hier ist die nurfürsieda-bank, mein name tut nichts zu sache, was kann ich gegen sie tun, mein mund gibt die phrase wieder, ohne dass das großhirn eingreifen muss, hab ich doch grad noch mit der steffi über bse und 68er diskutiert, jetzt geht es wieder ums ganze, geld, ach ja, sie wollen aktien kaufen, da stelle ich sie durch, aber ihnen sei gedankt fürn anruf, klack, ich leg auf und weg isser, piiieps! hier ist die nurfürsieda-bank, überweisung? klar, von wo? wohin? wieviel? rufen sie nie wieder an! klack, piiieps! hallo? nurfürsieda-bank, tach auch, sie wollen sich beschweren, dann schreiben sie doch mal an folgende adresse, ja die bearbeiten das auch irgendwann, ja hören sie mal, auch arschloch, tschüss, klack, steffi, wo waren wir grad? ach ja, bei bse, piiieps! nurfürsieda-bank, sie stören grad, was wollen sie? einen kredit, lassen sie es lieber, tschüss, klack, piiieps! hej! was? wie? ja, nurfürsieda-bank, online-banking? also sie kaufen sich einen computer und rufen bei der zuständigen hotline an, viel glück, klack, piiieps! hallo, nurfürsieda-bank, aktien von dotcom soundso, wieviel? für hunderttausend mack, klar doch mensch, und tschüss, klack, huch! nee doch, ne falsche aktie eingetippt, naja, für den kerl peanuts, piiieps! hallohallohallo, liebster kunde, ich verstehe sie nicht, also ich leg dann mal auf, ne? klack, also mit bse ist das so, äh, steffi? hej steffi! scheiße, sie hat einen anruf, piiieps! nurfürsieda-bank oder so, waaas? sie waren nur zwanzig minuten in der warteschleife und dann wurde die leitung unterbrochen, ja so machen die das hier, beschweren? schreiben sie bitte an, ja die bearbeiten das auch, ich muss übrigens seit zwanzig minuten aufs klo, tschüss, klack, piiieps! nurfürsieda hier, hallo teamleiter, was du nicht sagst, meine performance ist heute wieder grad mal durchschnitt, aber es gibt gute ansätze, lässt hoffen? und tschüss, klack, scheiss drauf, piiieps! nein, ich kann sie nicht bedienen, mein computer ist grad leicht abgestürzt, aber danke auch für ihr offenes wort, fick dich ins, ach, schade, schon weg, hej steffi, die 68er hatten ja auch schon, piiieps! nurfürsieda- bank, was kann ich nur tun? was? sie wollen grad jetzt ihre telefonrechnung bezahlen, die bei der telekom, haha, tschüss, klack, piiieps! nurfürsieda-bank, meinen namen? was tut der hier zur sache?! klack, piiieps! ich weiss nix, klack, piiieps! nichtmehrda-bank, ich hasse sie, warum rufen sie an, klack, piiieps! sie jetzt?! durchstellen? niemals! klack, piiieps! nurfürsieda-bank hier, hej, ich sie auch, tschüss, klack, piiieps! klack! klack! klack! kein piiieps? bse, mensch steffi, was für ein wahnsinn! Das Duell Jeden Tag aufs Neue wird es millionenfach ausgefochten. Ein Duell bis aufs Blut, ein Duell, das nur durch Kündigung, Psychiater oder Krankenschein beendet werden kann. Ein Duell Frau gegen Frau, Sekretärin gegen Outbound-Agent. Die Sekretärin muss ihren Chef vor dem Fragenbombardement der Agents schützen. Der Agent muss neue Geldquellen für ihren Chef erobern. Bei diesem Kampf sind alle Waffen erlaubt. Wobei der Sekretärin einige Waffen zur Verfügung stehen, die dem Agent durch die "Call Center-Konvention" verboten sind, wie wüste Beschimpfungen und Aufknallen des Hörers. Dafür hat der Agent den Vorteil, dass er die Sekretärin ohne Vorwarnung aus dem Hinterhalt angreift, der berühmte Überraschungsmoment: "Schönen guten Tag, mein Name ist... aus dem Hause..., verbinden sie mich bitte mit ihrem Geschäftsführer!" Passt die Sekretärin hier nicht auf, könnte es geschehen, dass sie, gewohnt, Anweisungen auch prompt auszuführen, durchstellt und somit einen Anschiss vom Chef riskiert. Punkt für den Agent. Doch so einfach geht es nur selten. Manchmal stellt die Dame von der Zentrale zum weit größeren Feind durch, der Sekretärin des Geschäftsführers... Meist aber nimmt die Sekretärin das Duell an: "Wir haben kein Interesse". Jetzt ist der Agent gefragt. Ist sie unerfahren, akzeptiert sie die Aussage und wünscht der Sekretärin einen schönen Tag. Aber sie wird feststellen, dass ihr Chef das gar nicht so toll findet, wenn sie die Meinung der Sekretärin akzeptiert. Schließlich sind wir im Krieg um Marktanteile! Also muss der Agent am nächsten Tag wieder anrufen und weiß ganz genau, jetzt wird's laut für die Ohren. Die Konsequenz: Sie muss sich neue Tricks einfallen lassen, wie Einschüchtern des Gegenübers durch möglichst komplizierte Formulierungen, Infragestellung ihres Kompetenzbereiches oder der schlichten Behauptung, dass ihr Chef den Anruf erwarte. Früher oder später durchschaut die Sekretärin jedoch all diese Tricks und das Duell geht in die nächste Runde... Nicht immer müssen diese Duelle so knallhart ablaufen. Behauptet die Sekretärin, dass der Chef in einer Besprechung oder im Urlaub ist, herrscht Waffenstillstand und man kann die Person an der anderen Leitung wieder als Mensch wahrnehmen und fragt sich, was der ganze Stress eigentlich soll. Wenn die andere Person nicht den falschen Beruf gewählt hätte, wäre sie doch eigentlich ganz nett... Viele haben jetzt sicherlich neidisch aufgehorcht. Neidisch auf diese aufregende und sinnvolle Tätigkeit. Wie heißt es so schön? Sinnvolle Stunden für den Job. In diesem Fall bedeutet das: Ein Agent widmet sich circa zwei Stunden am Tag dem Sekretärinnen-Duell, das macht zehn Stunden in der Woche. Auf 10.000 Agents hochgerechnet macht das 100.000 Stunden in der Woche. Eine Sekretärin kämpft circa 0,25 Stunden am Tag gegen die wildgewordenen Agents, auf 10.000 Sekretärinnen gerechnet macht das circa 12.500 Stunden in der Woche. Das Sekretärinnen-Duell produziert also circa 112.500 Stunden Arbeitszeit am heißen Draht. Wenn das keinen Sinn macht! Ach so, ich hab mich noch nicht vorgestellt: Ich bin Outbound-Agent und ich lasse mich von den Sekretärinnen nicht abwimmeln. Ich werde immer wieder anrufen, bis sie mich zum Chef durchstellen, und ich ihm endlich sagen kann, dass unser Unternehmen ihm helfen kann, seine Telefonrechnung zu senken... 8.2.4 hotlines-Flugblatt: Kämpfe in Call Centern Pilotinnen und Piloten der Telefonie: Ohne euch hebt kein Hörer ab! (Juli 2001) Die Unternehmer und ihre Profite stecken in der Krise und wir sollen das ausbaden: * In Call Centern, Fabriken, auf Baustellen und in Büros sollen wir für weniger Lohn mal mehr, mal weniger Stunden die Woche schieben - am besten noch rund um die Uhr. * Die Unternehmer stellen viele nur noch als ZeitarbeiterInnen ein, die sie schnell wieder loswerden können. * Nicht nur in der New Economy laufen vermehrt Rationalisierungen und Entlassungen und drohen die Bosse mit der Verlagerung in "Billiglohnländer". * Im öffentlichen Dienst, zum Beispiel beim Personennahverkehr, soll mehr privatisiert werden, was bedeutet, dass dort ArbeiterInnen dieselbe Arbeit für weniger Kohle machen sollen. * Und mit der "Faulenzer"-Kampagne werden die Arbeitslosen noch mehr unter Druck gesetzt, damit sie auch "Niedriglohnjobs" machen. Die Angriffe vonseiten der Unternehmer beschränken sich dabei nicht auf Deutschland oder Westeuropa: Weltweit sind ArbeiterInnen mit ihr konfrontiert. Es gab hier in der letzten Zeit kaum Kämpfe von ArbeiterInnen, die die Defensive durchbrochen und als Beispiel für andere Bereiche der Ausbeutung hätten dienen können. Am ehesten noch die PilotInnen der Lufthansa, die dieses Frühjahr immerhin durch mehrere Streiktage fast dreißig Prozent Lohnerhöhung durchgesetzt und damit auf das "Gürtelengerschnallen" der letzten Jahre eine Antwort gefunden haben. Aber ist dies auch in anderen Bereichen möglich, wo die ArbeiterInnen keine millionenschweren Düsenjets fliegen? Die meisten anderen Auseinandersetzungen blieben auf symbolische Aktionen beschränkt, wie zuletzt bei den Warnstreiks der BusfahrerInnen und VerkäuferInnen, bei denen die Tarifabschlüsse unter drei Prozent lagen und einen Reallohnverlust einbrachten. In Call Centern scheint der Boom der letzten drei Jahre vorbei, wo gerade im Ruhrgebiet immer ein Job am Telefon zu kriegen war. Je nach "Marktlage" werden jetzt ArbeiterInnen entlassen. Wenn Neueinstellungen laufen, wird zunehmend nach "Arbeitserfahrung" und einem dieser "Call Center- Zertifikate" gefragt. Die Fluktuation gerade in den schlechter bezahlten und stressigeren Jobs ist weiter hoch. Auch in Call Centern hat es in der letzten Zeit einige offene Konflikte und Kämpfe gegeben. Wir müssen uns die genauer anschauen, um für die zukünftigen Auseinandersetzungen zu lernen. Unsere Hoffnung ist, dass es dabei nicht mehr nur um die Verteidigung von bestehenden Bedingungen gehen wird, sondern vor allem um die Frage, wer über unser Leben bestimmt. Diese Frage wird nur dann in den Mittelpunkt rücken, wenn wir selbst bestimmen, wie und wofür wir kämpfen und dies nicht irgendwelchen Apparaten und VertreterInnen überlassen. Bisherige Auseinandersetzungen Bei den offenen Kämpfen von ArbeiterInnen in Call Centern ging es offiziell um die Höhe des Lohns, um die Abwehr von Versuchen der Unternehmer, den Druck auf die ArbeiterInnen zu verschärfen (durch Einsatz von LeiharbeiterInnen, Standortverlegungen/-schließungen, Tagelöhner- Verträge) und um Angriffe auf die "Würde" der ArbeiterInnen (durch technologische Kontrolle, Management-Willkür...). Gekämpft wird also aus ähnlichen Gründen, wie in anderen Bereichen auch (Fabrik, Büros...). In diesem Flugblatt findet ihr eine Auswahl von Berichten zu Auseinandersetzungen in Call Centern. Außer bei Verizon hatten wir Kontakte mit ArbeiterInnen bzw. Streikenden. Grob haben wir zwei Arten von Auseinandersetzungen gesehen: 1) mehr oder weniger gewerkschaftlich kontrollierte Streiks wie bei der Citibank, British Telecom und Verizon, und 2) kleinere, selbstorganisierte Aktionen von ArbeiterInnen in den Berliner Call Centern von Audioservice, Hotline GmbH und ADM. 1) Bei den Streiks bei der Citibank, Verizon und der British Telecom lag die Begrenzung darin, dass die ArbeiterInnen über die Beteiligung an den gewerkschaftlich kontrollierten Aktionen hinaus kaum eigene (!) Wege gefunden haben, die Kämpfe zu organisieren und sich gegen die Unternehmer durchzusetzen. Als Folge dessen konnten Gewerkschaften und andere "ArbeiterInnenvertreter" die Auseinandersetzungen auf Streik- und Verhandlungsrituale reduzieren und benutzten den Unmut der ArbeiterInnen als dosiertes Druckmittel gegenüber den Unternehmern. Bei der Citibank und British Telecom blieben die Streiks mehr "symbolische" Aktionen, die wenig einbrachten. Bei Verizon dagegen waren die ArbeiterInnen entschlossen genug, zwei Wochen für ihre Ziele zu streiken und konnten einige Sachen durchsetzen - im Rahmen eines Tarifvertrags. Befreiende Erfahrungen von gemeinsamer Aktivität und eigener Stärke gab es auch in diesen Streiks nur, wo ArbeiterInnen Aktionen selbst durchführten: wo sie Streikposten organisierten, Streikbrecher attackierten... Gewerkschaften und andere Vertretungsstrukturen werden keine Antwort auf die Angriffe der Unternehmer finden können: Sie sind eingezwängt in einen gesetzlichen Rahmen (Friedenspflicht, Tarifbestimmungs-Trara). Sie spalten uns zusätzlich durch ihre berufliche und "nationalstaatliche" Begrenztheit und können aus der Profit- und Produktivitätslogik der Unternehmer nicht entfliehen (siehe zum Beispiel den Zehn- Prozent-Lohnverzicht bei HP, das Einstiegsniedriglohnmodell bei VW). 2) Dass aber auch selbstorganisierte Kämpfe von ArbeiterInnen nicht von allein zu machtvollen und aufregenden Erlebnissen werden, zeigt sich bei den Aktionen der ArbeiterInnen in Berlin. Dort war die tägliche Zusammenarbeit, aber auch ihr Zusammenhalt außerhalb der Arbeit, die Basis für die ArbeiterInnen, um gegen die Unternehmer vorzugehen. Sie organisierten Treffen, besprachen gemeinsame Aktionen... In der Konfrontation mit dem Unternehmen wurden aber defensive Maßnahmen ergriffen: Unterschriftenlisten, Betriebsratswahlen bzw. Arbeitsgerichte und Hilferufe nach gewerkschaftlicher Vertretung. Wir wissen nicht, warum es kein größeres Selbstvertrauen in die eigene Stärke gab. Sicher ist, dass trotz oder gerade wegen dieser defensiven Maßnahmen die Unternehmer ihre Macht ausspielten: In den angesprochenen Fällen konnten die Bosse die Leute entlassen, da keine entschlossene Antwort (Besetzung des Betriebs, Demos zu anderen Call Centern oder benachbarten Unternehmen...) zu erwarten war. Diese Erfahrung zeigt recht deutlich, dass Petitionen, Gesetze und Verhandlungen überhaupt nichts durchsetzen, wenn keine reale Macht der ArbeiterInnen dahintersteht - die Macht zu streiken bzw. auch mit wenigen Entschlossenen den Arbeitsablauf zu verlangsamen und so die Profite der Unternehmer in Frage zu stellen. Diese offenen Auseinandersetzungen sind in Call Centern bisher die Ausnahme. Auf Stress mit den Bossen und der Arbeit reagieren wir meist individuell: Krankfeiern, Langsamarbeiten oder Job- Hopping machen das Leben leichter. Wir sehen uns aber mehr und mehr mit Problemen konfrontiert, die wir nicht individuell oder durch Kooperation mit dem Management (Verbesserungsvorschläge...) lösen können: Pflichtüberstunden, Einsatz von ZeitarbeiterInnen, Drohungen mit Standortverlagerung... Diese Situationen verlangen andere Maßnahmen! Um so mehr, da die Unternehmer in vielen Call Centern mit dem Einsatz von neuen "rationalisierenden" Technologien (Sprachcomputer, Internet-Service) experimentieren. In dieser Experimentierzeit sind sie verstärkt von unserer Arbeit abhängig, weil sie bereits Kohle in die Technologien investiert haben, diese aber noch nicht profitabel laufen. Wir müssen zum Beispiel technische Mängel ausgleichen. Auf lange Sicht wird die Einführung dieser Technologien unsere Macht untergraben und zu verstärktem Arbeitsstress oder Entlassungen führen, wenn wir nicht bereits in dieser Übergangsphase offensiv dagegen vorgehen und die Unternehmerstrategien sabotieren. Kämpfe entwickeln Zurückschlagen können wir da, wo wir zusammenkommen und wo es weh tut. Die Zusammenarbeit mit anderen ArbeiterInnen gibt uns die Möglichkeit, uns gemeinsam gegen die diversen Übelkeiten des Arbeitsalltags zu wehren: Wir müssen uns täglich mit anderen ArbeiterInnen absprechen, um unsere Arbeit "ordentlich" erledigen zu können. Dabei haben wir Kontakt mit Leuten aus verschiedenen Abteilungen, Standorten und "Berufsfeldern". Ohne diese oft inoffizielle Zusammenarbeit würde der Laden zusammenbrechen. Wir können diese Form der Organisierung auch umdrehen (statt Kundendaten halt Sabotagetipps und Streikinfos austauschen) und uns in gemeinsamen Aktionen gegen die Unternehmer durchsetzen. Wir brauchen hier keine "äußere" Organisierung, die uns "vertreten" soll (wie Betriebsrat oder Gewerkschaften). Unsere Antwort auf die Krise und die Angriffe der Unternehmer kann nicht in Zurückhaltung und Verzicht liegen. Sie kann nur darin bestehen, unsere eigenen Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen und dafür zu kämpfen. Fragen? Wir können keine allgemeinen Vorschläge dafür liefern, wie wir aus der Defensive kommen. Aber wir können - ausgehend von den bisherigen Kämpfen - Fragen stellen, die uns dabei helfen können: * Welche Kampfformen entsprechen unseren unmittelbaren Fähigkeiten und Bedürfnissen: gemeinsames "Arbeiten-nach-Vorschrift", andere Formen der Sabotage, offener Streik ...? * An welchen Punkten können wir die Unternehmer empfindlich treffen: zu Zeiten langer Warte- schleifen, während Testphasen von neuen Technologien...? * Wie können wir die Betriebsmauern überwinden, um die Versuche des Unternehmers zu untergraben, ArbeiterInnen in anderen Call Centern als StreikbrecherInnen einzusetzen? * Wie können wir Verbindungen zu Kämpfen von ArbeiterInnen in anderen Bereichen herstellen und voneinander lernen, weil wir uns gegen ähnliche Bedingungen wehren? * Wie können wir dies tun, ohne unser Schicksal in die Hände der Gewerkschafts- oder anderer Apparate zu legen? Antworten finden sich nur in den Kämpfen selbst! * * * Streiks und andere Konflikte in Call Centern Hier einige Berichte zu Konflikten und Streiks in der letzten Zeit. Zu einigen anderen versuchen wir noch mehr Infos zu bekommen, zum Beispiel den tageweisen Streiks von ArbeiterInnen bei Telecom Italia bzw. TIM in Italien gegen Auslagerung, unsichere Arbeitsverhältnisse und schlechte Arbeitsbedingungen und dem langen Streik von TeilzeitarbeiterInnen bei Korea Telecom (KT) in Südkorea, die sich gegen Entlassungen und die Privatisierung von Abteilungen wenden... Citibank/Bochum Der Streik fand 1998 im ausgelagerten Call Center der Citibank in Bochum statt. Der Grund des Streiks war die von der Unternehmensleitung angedrohte Schließung bzw. Verlagerung des Call Centers. Der Betriebsrat schaltete die Gewerkschaft ein, die den Streik mit der Forderung nach Tarifverhandlungen auf eine "legale Basis" stellte. Gestreikt wurde nur an drei Tagen über Monate verteilt. Die Unternehmensleitung engagierte StreikbrecherInnen über Leihfirmen und leitete Anrufe vom bestreikten Call Center in Bochum zum Citibank-Call Center nach Aachen. Ende Juni 1999 wurde das Call Center geschlossen. Nur fünfzig von vierhundert ArbeiterInnen bekamen einen Übernahmevertrag für das neue Call Center in Duisburg. Ähnliches passierte zeitgleich an anderen Standorten (zum Beispiel Gelsenkirchen, wo fünfhundert Citibank-ArbeiterInnen entlassen wurden). Die Schwäche des Streiks hatte verschiedene Gründe: Die ArbeiterInnen überließen mit der Forderung nach Tarifverhandlungen den Gewerkschaften die Organisation des Streiks. Da der Streik nur an einzelnen Tagen stattfand, konnte er keine Durchsetzungskraft entwickeln. Es wurde nicht geschafft, Kontakt zu ArbeiterInnen in Gelsenkirchen oder anderen Standorten aufzubauen, um gemeinsame Aktionen zu koordinieren oder Streikbruch zu verhindern. Die von der Gewerkschaft und dem Betriebsrat organisierten symbolischen Aktionen (Protestkundgebungen vor der Hauptverwaltung, Öffentlichkeitsarbeit in Fußgängerzonen), verstärkten auf Seiten der ArbeiterInnen nur das Gefühl der eigenen Ohnmacht und Passivität. British Telecom/Britannien Im Dezember 1999 machten ArbeiterInnen der Call Center der British Telecom (BT) im ganzen Land einen eintägigen Streik. Hauptsächlich ging es um den Einsatz von mehr ZeitarbeiterInnen, den wachsenden Arbeitsdruck, unrealistische Arbeitsvorgaben und die miese Behandlung durch die Chefs. Am Streik waren viertausend ArbeiterInnen aus 37 Call Centern beteiligt. Die ZeitarbeiterInnen nahmen nicht teil. Die KommunikationsarbeiterInnen-Gewerkschaft (CWU) rief anfangs zu drei eintägigen Streiks auf, aber nachdem die Geschäftsführung sie als Verhandlungspartner anerkannt hatte, sagte sie die letzten beiden ab. Überraschend? Der Streik hat nichts wirklich verändert. Er war zu kurz, störte den Arbeitsprozess nicht nachhaltig. Für einige BT-ArbeiterInnen war dies nicht genug. Als die Zeitarbeitsfirma Manpower im März 2000 durch Hays ersetzt wurde und sofort die Löhne gesenkt wurden, lehnten einige die neuen Verträge ab oder begannen mit einer Reihe von Sabotageaktionen, um zu zeigen, wie sie sich fühlten. So wurde zum Beispiel stundenlang die Zeitansage von Zimbabwe angerufen und "Arbeit nach Vorschrift" gemacht - was den ArbeiterInnen jede Menge Zeit für Quatschen, Geschichtenerzählen und andere Arbeitsverweigerungs-Taktiken ließ. Bei BT nehmen die prekären Jobs mit geringen Löhnen und Zeitarbeitsverträgen weiter zu. Ebenso der Arbeitsstress. Die Geschäftsführung versucht als "Zuckerbrot" eine mögliche Festanstellung einzusetzen und droht gleichzeitig mit der "Peitsche" der Entlassung. Die Frage ist, wie die Spaltung der ArbeiterInnen in Festangestellte und ZeitarbeiterInnen mit schlechteren Bedingungen auch die Fähigkeit zum gemeinsamen Kampf beeinflusst. Audioservice/Berlin Bei Audioservice verkaufen etwa siebzig ArbeiterInnen telefonisch Tickets, CDs, Videos... Die meisten sind StudentInnen, die nur einen Rahmenvertrag ohne feste Arbeitszeiten, ohne bezahlten Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall usw. bekommen. Im Sommer 2000 diskutierten die ArbeiterInnen, wie sie verhindern könnten, dass die sowieso schon unsicheren Rahmenverträge in "Tagelöhner-Verträge" umgewandelt werden, und wie sie am besten feste Arbeitsverträge mit bezahltem Urlaub etc. durchsetzen. Sie machten eine Unterschriftliste, die etwa dreißig ArbeiterInnen unterschrieben. Daraufhin wurden etwa die Hälfte von ihnen gekündigt. Einige haben vor dem Arbeitsgericht geklagt und zwischen 500 und 4.900 DM bekommen. Die Unterschriftenliste hat offensichtlich nur dazu geführt, dass die Geschäftsleitung die Namen der "Unzufriedenen" kannte und die dann gezielt kündigen konnte. Obwohl sich die "StudentInnen" auch außerhalb der Arbeit trafen und einen Zusammenhalt hatten, gab es offenbar nicht die Möglichkeit oder Entschlossenheit, auch hier "den Laden dicht zu machen". Unterschriften zeigen den Bossen zwar, dass was im Busch ist, sie können aber auch gleich reagieren und die Leute angreifen. Vielleicht wäre eine direkte Aktion doch sinnvoller gewesen. Hotline GmbH/Berlin Bei der Hotline GmbH (etwa 150 ArbeiterInnen, die meisten StudentInnen in Teilzeit) wird im Auftrag externer Kunden telefoniert (Berlikomm, Ares-Strom). Nachdem Ende letzten Jahres vierzig Leute "wegen Reduzierung eines Großauftrags" gekündigt wurden, überlegten sich einige ArbeiterInnen, wie sie dieses in Zukunft verhindern könnten. Sie bereiteten die Gründung eines Betriebsrates vor und holten sich Rat bei der IG Medien. Die Geschäftsführung bekam das mit und veranstaltete im Gegenzug eine eigene Betriebsversammlung. Dann entließ sie im Februar unter fadenscheinigen Begründungen über zwanzig ArbeiterInnen. Die bekamen Unterstützung von der Berliner Initiative Call Center Offensive und machten gemeinsam eine Demo mit etwa fünfzig Leuten vor dem Call Center. Danach liefen noch Arbeitsgerichtsprozesse (auf Wiedereinstellung), bei denen Abfindungen zwischen 500 und 4.000 DM raussprangen (die am meisten Stress gemacht hatten, bekamen am meisten). Die Bedingungen und das Arbeitstempo im Call Center wurden nach der Auseinandersetzung weiter verschärft. Außerdem begann eine "Jagd" auf die FreundInnen der Entlassenen, die noch bei Hotline arbeiteten. Da einige einer antifaschistischen Initiative nahe stehen, wollte die Geschäftsführung all jene rausschmeißen. Verpasste Chance?! Da sich etliche ArbeiterInnen eh von außerhalb kannten, wäre es vielleicht möglich gewesen, den Laden in einer gemeinsamen Aktion zu besetzen und den "Produktionsablauf" zu unterbrechen, um Druck auf die Geschäftsführung auszuüben. ADM/Berlin Für ADM telefonieren in Berlin fünfhundert Leute im In- und Outbound unter anderem für die Gasag und Tele2. Die meisten sind StudentInnen. Die Bedingungen sind gekennzeichnet von "miesen Arbeitsbedingungen, nerviger Kontrolle und schlechten Löhnen" (aus einem Flugblatt). Nachdem ein Antrag von über siebzig ArbeiterInnen auf die Gewährung von bezahltem Urlaub von der Geschäftsführung abgelehnt wurde und im April 2001 über achtzig ArbeiterInnen entlassen wurden, bildeten einige ArbeiterInnen eine "Arbeitsgruppe" und schrieben ein Flugblatt, in dem sie unter anderem Kranken- und Urlaubsgeld sowie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verlangten. Leute von der Initiative Call Center Offensive machten ebenfalls ein Flugblatt, das sie im Call Center verteilten. Einige der Gekündigten klagten und bekamen zwischen 500 und 3.000 DM. Nach den Kündigungen und den Aktionen haben sich die Bedingungen weiter verschärft. Die Kontrollen am Eingang sind schärfer geworden (unter anderem mit Kameras), es wird stärker auf Pünktlichkeit geachtet... Brisant ist, dass die Gewerkschaft ver.di mit der ADM-Geschäftsführung über einen Haustarifvertrag verhandelte und sich angesichts der selbsttätigen ArbeiterInnen und dem Einmischen der Call Center Offensive in einem Brief an alle ArbeiterInnen gegen "überzogenen Aktionismus" wandte, der die "Verhandlungen negativ begleiten" würde. Klar, was nicht unter der Kontrolle von ver.di stattfindet, ist natürlich unerträglich! Verizon/USA Im August 2000 streikten beim Telekommunikationskonzern Verizon über 85.000 ArbeiterInnen, darunter Techniker und viele Call Center-ArbeiterInnen. Die offiziellen Streikforderungen waren höhere Löhne, weniger Pflicht-Überstunden, Verringerung der Arbeitsbelastung, Begrenzung von Auslagerung von Betriebsteilen und die Möglichkeit für die Gewerkschaften, ArbeiterInnen in der Mobilfunk- und Internetsparte zu organisieren. Die Bedingungen in den Call Centern sind geprägt durch Schichten von zehn Stunden und mehr, vorgeschriebenen Standardformulierungen, genauer Überwachung, Pflicht-Verkaufsvorgaben, Stress durch die hohe Anzahl der Anrufe... Die Gewerkschaften der KommunikationsarbeiterInnen (CWU) und der Elektriker (IBEW) organisierte den Streik und verhandelte mit der Konzernleitung. Die setzte etwa 30.000 Angestellte als StreikbrecherInnen in der Reparatur und den Call Centern ein. Obwohl zudem die meisten Anrufe automatisch vermittelt werden, der Betrieb bei Verizon also weiterlief, konnte die Konzernleitung nicht verhindern, dass die Call Center schnell blockiert waren, Kundenanrufe nicht mehr bearbeitet werden und wichtige Reparaturen liegen blieben. Außer den Streikposten vor Hunderten Verizon-Gebäuden gab es auch eine Reihe von Sabotageaktionen an Schaltkästen und Leitungen sowie Angriffe auf Reparaturwagen, die von Streikbrechern gefahren wurden. Nach zwei Wochen lenkte die Konzernführung an vielen Punkten ein und stimmte einem neuen Tarifvertrag zu: Die Löhne wurden erhöht, Team-Prämien eingeführt, die Überstunden auf acht pro Woche reduziert, Versetzungen begrenzt und den Gewerkschaften gestattet, die Mobil- und Internet-Sparten zu organisieren. Sicher spielte hier eine Rolle, dass die Gewerkschaft bei Verizon noch sechzig Prozent der ArbeiterInnen organisierte, und bei über 85.000 Streikenden soviel Druck entstand, dass viele Forderungen durchgesetzt werden konnten. Wie problematisch ein solches Ergebnis ist, zeigt sich im Arbeitsalltag in den Call Centern: Jetzt wird halt bei etwas mehr Lohn und mit nur 1,5 Überstunden am Tag gearbeitet, vielleicht auch mit ein paar Anrufen weniger. Aber wie sagte schon der CWU-Gewerkschafts-Präsident Morton Bahr zum Streikausgang: "Dieses Ergebnis sichert die Zukunft unser Mitglieder in dieser Firma und hilft auch Verizon, seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen". Die Maloche geht weiter. * * * ISI Marketing ist ein toller Laden! Erstmal vierzig Stunden umsonst malochen ohne Arbeitsvertrag, danach für 12 DM die Stunde mit ungarantierten Prämien, Lohnkürzungen im Krankheitsfall... das soll kein "S........job" sein? So bezeichneten das jedenfalls ein paar FreundInnen, die bei ISI Marketing arbeiten gingen und ein Flugblatt gegen ihre Arbeitsbedingungen schrieben (siehe [www.motkraft.net/hotlines] unter "Flugblätter"). Die ISI-Unternehmensleitung fand das gar nicht toll. Da sie weder die betreffenden ArbeiterInnen noch die FlugblattverteilerInnen krallen und zu drei Jahren Zwangstelefonieren verdonnern konnte, bediente sie sich des bürgerlichen Gesetzes, um damit "den ArbeiterInnen das Maul zu verbieten": Sie setzte den Provider free, bei dem das hotlines-Flugblatt veröffentlicht wurde, mit einstweiligen Verfügungen unter Druck. Dabei zerrt ISI unter anderem den Begriff "S........job" aus dem Flugblatt ran und bezieht sich auf das "Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb". Kein Wort zu den Arbeitsbedingungen an sich: ISI weiß schon warum! Folge dieses juristischen Streits bisher: Der Provider free muss jede Menge Kohle für Gerichtskosten etc. locker machen und die Website wurde verlegt, um free weiteren Stress zu ersparen. Der Zensurversuch von ISI Marketing wurde von vielen unabhängigen Providern, von gewerkschaftlichen Gruppen und anderen kritisiert. Viele haben auch das Flugblatt und weitere Erklärungen zum Angriff von ISI verbreitet. Es geht hier aber nicht nur darum, das Internet offen für den freien Austausch von Infos zu halten. Es geht auch um den Kampf gegen die Arbeitsbedingungen selbst. An diesen Bedingungen können nur die Leute was ändern, die dort arbeiten müssen. Also: Falls ihr Erfahrungen mit ISI und anderen Läden habt und davon berichten wollt: Schreibt uns! (Spendenkonto für free: Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Union, Kontonummer.: 96 152 201, Postbank Hamburg, BLZ 200 100 20, Stichwort: free. Schaut auch mal unter: www.ainfos.ca/01/may/ainfos00353.html www.ainfos.ca /01/may/ainfos00569.html www.ainfos.ca/01/jun/ainfos00371.html * * * hotlines Nr.4: Der Serie letzte Folge Dies ist das vierte und letzte in einer Reihe von Flugblättern: 1. zu Arbeitszeitverlängerung; 2. Arbeitsintensivierung; 3. Sinn und Unsinn der Arbeit; und hier 4. zu Kämpfen von ArbeiterInnen. Alle Flugblätter und mehr Berichte findet ihr auf der Website [www.motkraft.net/hotlines]. Zeit für eine kleine Bilanz und einen Ausblick: Als wir im Oktober 2000 mit den Flugblättern und der Website anfingen, ging es uns in erster Linie darum, die Diskussion über die Arbeitsbedingungen und Möglichkeiten von Kämpfen zu unterstützen. Wir wollten einen Austausch von Berichten aus den Call Centern anregen, Informationen zirkulieren lassen, Kontakte zu ArbeiterInnen aufbauen und weitergeben. Das hat zum Teil hingehauen. Die Flugblätter führten zu einiger Aufregung und Diskussionen bei der Arbeit. Die ebbten aber jeweils nach ein paar Tagen wieder ab. Wir haben Emails bekommen, in denen wir zum Weitermachen aufgefordert werden, aber es gab wenig eigene Berichte (wie der einer australischen Call Center-Arbeiterin), wenig inhaltliche Diskussionsbeiträge zu den Flugblättern. Zwar bekommen wir von etlichen Leuten und Gruppen regelmäßig Infos, aber es hat sich keine größere Diskussion zu den Chancen von neuen Kämpfen entwickelt. Dafür müssen wir - auch angesichts der wenigen offenen Auseinandersetzungen in Call Centern - über diesen Bereich hinausgehen. Wir denken, dass Call Center nicht isoliert, sondern Orte der Ausbeutung sind wie andere Büros, wie Fabriken, Baustellen oder Krankenhäuser. In Call Centern können wir von Kampferfahrungen in anderen Bereichen lernen. Wir werden versuchen, mehr Interviews mit und Berichte von ArbeiterInnen zu bekommen, die in ihrem Betrieb oder außerhalb was machen oder an einem Streik beteiligt sind. An brisanten Punkten werden wir zudem auch weiter mit Flugblättern in die Auseinandersetzung eingreifen. Bleibt dran! Eure hotlines [www.motkraft.net/hotlines] [hotlines@motkraft.net] ******************************************************** 8.4 Call Center-Liste Hier ist eine Liste der im Text häufiger genannten Call Center: Adm/Berlin: Im Call Center in Berlin-Wedding arbeiten fünfhundert Leute, darunter viele in Teilzeit. Adm ist ein Call Center-Dienstleister, der unter anderem für die Gasag telefonieren lässt. Ein weiteres Adm-Call Center ist in Mannheim. Atesia/Roma: Tochter der Telecom Italia mit fünftausend Telefon-ArbeiterInnen mit Call Centern in mehreren Städten Italiens. Das größte ist in Roma. Die meisten ArbeiterInnen sind über Honorarverträge beschäftigt und "mieten" ihre Arbeitsplätze. Sie geben Informationen zu Telecom- Produkten, machen technischen Support... Audioservice/Berlin: Call Center in Berlin, das mit dem Anzeigenblatt Zweite Hand zusammenhängt. Hier verticken etwa siebzig ArbeiterInnen, viele davon StudentInnen, Tickets, Videos, CDs... Blu/Firenze: Bis Anfang 2002 arbeiteten hier noch vierhundert Leute, die Infos rausgaben und technischen Support für die Mobiltelefonfirma machten. Mittlerweile sind es weniger als zweihundert, weil Blu verkauft werden soll und die meisten Anrufe schon ins zweite Blu-Call Center in Palermo umgeleitet werden. British Telecom: In den bisher über hundert Call Centern der British Telecom werden auch viele TeilzeiterInnen und ZeitarbeiterInnen beschäftigt. Sie machen Auskunft, technischen Support... Citibank/Duisburg: Hier arbeiten mittlerweile über tausend Leute, die meisten am Telefon, nachdem die meisten anderen Citibank-Call Center vor drei Jahren geschlossen wurden. Sie machen Überweisungen, Kontostandsansagen, betreuen die internen Calls aus den Citibank- Filialen, verkaufen Kredite... und rufen säumige KreditschuldnerInnen an, damit die auch die Zinsen latzen. Client Logic/Duisburg: Früher Dts. Dort arbeiten etwa fünfhundert ArbeiterInnen, überwiegend in der Bestellannahme (für Neckermann, Weltbild, Conrad...) und im technischen Support (für Premiere, Tele2...). Deutsche Bank 24/Duisburg: Erst vor drei Jahren eröffnet, sollen die meisten der über dreihundert ArbeiterInnen wieder abgebaut werden. Die Calls werden dann in die beiden anderen Call Center der Deutschen Bank 24 in Bonn und Berlin-Tempelhof umgeleitet. In Duisburg werden bisher Überweisungen, Kontostandsansagen, Börsenorder, Kreditverkauf... gemacht. Emnid/Berlin: Hier machen die ArbeiterInnen, viele davon StudentInnen in Teilzeit, Telefon- Befragungen für verschiedene Auftraggeber. Emnid hat weitere Call Center, unter anderem in Bielefeld und Köln. Fiat/Milano: Dort arbeiten etwa siebenhundert Leute, einige in der Verwaltung, die meisten am Telefon. Einige Hundert von ihnen kommen aus anderen Ländern (England, Frankreich, Polen, Deutschland, Spanien, Brasilien...). Bis Anfang 2002 war das Call Centern outsourced bei Europ Assistance. Die ArbeiterInnen bearbeiten Ersatzteilbestellungen und -stornierungen, Liefer- und Garantieanfragen, verkaufen Versicherungsleistungen und "bedienen" die KundInnen mit Auto- Navigationsgeräten, die Informationen übers Wetter oder Staus wollen. Frontline/Hannover: Frontline ist ein (Bestell-)Handel für Skater-Sachen. Im Call Center in Hannover nehmen die ArbeiterInnen, die meisten StudentInnen in Teilzeit, Bestellungen an, rufen bei Händlern durch... Hewlett Packard/Amsterdam: Dort arbeiten einige hundert Leute im europäischen "Hauptquartier" von Hp. Die am Telefon sind in ersten und zweiten Level eingeteilt, wobei der erste Level nur die Anrufe qualifiziert und weitergibt. Der zweite Level ist in Produktteams (Scanner, Drucker...) organisiert, diese wiederum in Sprachgruppen (französisch, spanisch, englisch, deutsch...). Die ArbeiterInnen machen technischen Support, Info-Line... Die meisten Anrufe kommen von Firmenkunden. Die von Privatkunden lässt Hp von externen Call Centern erledigen (zum Beispiel Sykes, Sitel, Medion...). Hotline GmbH/Berlin: Die Hotline GmbH ist ein Call Center-Dienstleister, bei dem die etwa 150 ArbeiterInnen, die meisten StudentInnen in Teilzeit, im Auftrag externer Kunden telefonieren (zum Beispiel Berlikomm, Ares-Strom). Ifb/Toulouse: Die ArbeiterInnen von Ifb versuchen Leute telefonisch zu Beratungsgesprächen mit Anlageberatern zu überreden. Sie kriegen dafür gerade mal den Mindestlohn. Isi/Bochum: Isi ist ein Dienstleister mit weiteren Call Centern in Essen, Düsseldorf... Die ArbeiterInnen versuchen unter anderem, Leuten am Telefon Abos des Burda-Verlags anzudrehen. Medion/Mülheim: Hier telefonieren über zweihundert Leute für den Kundendienst der Computerprodukte, Haushalts- und Hifi-Geräte, die Medion in der Regel über Aldi vertreibt. Im ersten Level werden die Anrufe angenommen und einfache Dienstleitungen gemacht (Infos, Liefertermine...), der zweite Level macht technischen Support. Pacific Bell/San Francisco: Pacific Bell ist ein Computer-Hersteller. Im Call Center wird der technische Support gemacht. Die Fluktuation ist sehr hoch, die Arbeitsbedingungen mies. Quelle/Essen: Quelle ist ein Versandhandel und hat außer in Essen, wo etwa dreihundert Leute arbeiten, noch diverse Call Center, unter anderem in Nürnberg, Magdeburg, Leipzig, Köln. Die ArbeiterInnen nehmen Bestellungen an, eine nach der anderen, den ganzen Tag. Telecom Italia/Firenze: Die ArbeiterInnen dort sind Teil des virtuellen Call Centers der Telecom Italia. Die beschäftigt über 18.000 ArbeiterInnen in Front- und Back-Offices und hat Call Center in vielen Regionen Italiens. Die ArbeiterInnen geben Informationen, verkaufen Telekommunikationsdienstleistungen und machen technischen Support. Tim/Bologna: In Bologna ist eines der Call Center der Mobilfunktochter der Telecom Italia. Tim beschäftigt über neuntausend ArbeiterInnen, von denen etliche am Telefon arbeiten, in der Kundenberatung, im technischen Support... Verizon/USA: Einer der größten Telekommunikationsfirmen der USA, vor allem in den östlichen Bundesstaaten aktiv, mit fast 250.000 ArbeiterInnen, davon etliche Zehntausend in Call Centern: Auskünfte, technischer Support, Marketing/Verkauf... ******************************************************** 8.3 Literatur und Links Hier einige Hinweise auf Literatur und Links, die in diesem Zusammenhang interessant sind: hotlines [www.motkraft.net/hotlines] (deutsch, englisch... ein paar Sachen auch italienisch) Situation in Call Centern, Kämpfe... [www.callcenteroffensive.de] Unterstützungsinitiative aus Berlin (siehe genauer im Abschnitt 6) [www.labournet.de/brachen/dienstleistungen/index-cc.html] Gewerkschaftslinke Seite, aber mit vielen guten Infos. [www.callcenteragent.net] "Wissenschaftlich"-gewerkschaftliche Initiative mit Berichten aus Call Centern. Hier ein paar der Call Center-Websites der italienischen Basisgewerkschaften: [www.cub.it/flmuniti-tlc.htm] [www.snatertlc.it] [www.cobas.it/tlc] Call Center-Forschung [www.strath.ac.uk/Other/futureofwork] (englisch) Forschungsprojekt in einer der Call Center-Metropolen (Leeds.England). Viele Texte zur Funktionsweise von Call Centern und Literaturhinweise. [soziologie.uni-duisburg.de/personen/forschung/callcenter/cc-veroeffentl.html] (deutsch) Forschungsprojekt in einer der Call Center-Metropolen (Duisburg.Ruhrpott). Gewerkschaftsschlagseitig. Auch hier viele Literaturhinweise. kolinko [www.nadir.org/kolinko] Unter anderem mit der Broschüre "Subversion des Alltags" und einem Beitrag zu "Klassenzusammensetzung" (alles auf deutsch und englisch und zum Teil anderen Sprachen). Untersuchung und Intervention Quaderni Rossi zum Beispiel auf [www.wildcat-www.de/thekla/thekla.htm]: Romano Alquati: Organische Zusammensetzung des Kapitals und Arbeitskraft bei Olivetti, Quaderni Rossi 1962/63 und Raniero Panzieri: Über die kapitalistische Anwendung der Maschinerie im Spätkapitalismus, Quaderni Rossi 1961. Socialisme ou Barbarie Übersichten geben die Artikel von Marcel van der Linden auf [www.geocities.com/CapitolHill/Lobby/2379/s_ou_b.htm] (englisch) und von Andrea Gabler unter [www.wildcat-www.de/material/ar16gabl.pdf] (deutsch) Gruppen, Kollektive... Wildcat/Deutschland: [www.wildcat-www.de] Welt in Umwälzung/Deutschland: [www.umwaelzung.de] Freie ArbeiterInnen Union/Deutschland: [www.fau.org] Collective Action Notes/USA: [www.geocities.com/CapitolHill/Lobby/2379] Crac/Italien: [www.autprol.org] Komunist kranti/Indien: [www.anti-capital.net/kk] Echanges et Mouvement/Frankreich: [www.geocities.com/echangesetmouvement] Cercle social/Frankreich: [www.geocities.com/demainlemonde] Leute, das ist eine willkürliche Auswahl. Ihr findet viele andere Links auf diesen Websites, zu Call Centern, Kämpfen... und auch solche, die euch durch die virtuelle Welt der revolutionären Klassenlinken und die anderer interessanter GenossInnen führen. Natürlich auch über [www.prol-position.net]. Enjoy surfin'! Wer keine netzhautablösende Computerscreen rumstehen hat und nirgendwo schwarz surfen kann, soll uns Fragen schicken und kriegt dann die gewünschten Infos... wenn wir sie haben. Nein, diesmal nicht per E-Mail, einen Brief! kolinko c/o Archiv Am Foerderturm 27 46049 Oberhausen Deutschland Und ruft uns ja nicht an! ******************************************************** 8.5 Glossar ACD-Anlage: (Automatic Call Distribution) Besteht aus Hard- und Software. Sie nimmt Anrufe entgegen und verteilt sie entsprechend bestimmter Profile an die ArbeiterInnen. ACD-Anlagen steuern Warteschlangen und erfassen alle mit den Anrufen zusammenhängenden Daten (Anrufdauer, Nacharbeitszeit...), die dann statistisch ausgewertet werden können. Agents: Bezeichnung für Call Center-ArbeiterInnen. Call Center-Agent wird von den Bossen und Gewerkschaften eingesetzt, um die Plackerei als Beruf darzustellen und mit formalen Qualifikationen und Zeugnissen zu belohnen. Arbeit-nach-Vorschrift: Effektive Methode, den Arbeitsprozess zusammenbrechen zu lassen. Die ArbeiterInnen machen einfach alles so, wie vorgeschrieben: keine Improvisation, keine Hetze, keine Extra-Aufgaben, kein Nachdenken... Als Druckmittel einsetzbar. Assessment Center: Selektionsverfahren für Job-BewerberInnen, bei dem sie in blöde Spielchen verwickelt werden und bei Psychotests ihre Hosen runterlassen sollen. Gutes Training für Falschaussagen. Bereit-Taste: Fiesester Knopf am Callmaster. Wenn du die drückst, kann dir die ACD-Anlage Anrufe durchschieben. Bridging: Überleitung eines Inbound-Gesprächs (zum Beispiel einer technischen Nachfrage, einer Überweisungsaufgabe) auf den Verkauf eines Produktes. Burn-out: Ausbrennen. Zustand nach einigen Tausend Anrufen im Call Center (oder wahlweise nach der Schicht, wenn du ständig in der Straßenbahn einnickst, deine Haltestelle verschläfst, damit dein Date verpasst und somit vereinsamst.) Callmaster: Eine Art Telefon mit mehr Tasten als gewöhnlich. Am Callmaster sollst du dich ein- und ausloggen, drückst auf Bereit, auf Nacharbeit, stellst Gespräche an andere ArbeiterInnen oder ins Warteschleifen-Nirvana durch... In manchen Call Centern ist der Callmaster schon zur Software mutiert und lebt virtuell als Bildschirmfenster. Coaches: Call Center-Spraak für die Hyänen, die dir bei Schulungen die Standardformulierungen ins Hirn brennen, den Kundendienst-Quatsch verbraten und generell auf die Nerven gehen... In manchen Call Centern hören sie in deine Gespräche rein, machen sich Notizen und geben dir nachher Smileys... oder Abmahnungen für deine Unfähigkeit. Cross-selling: Ähnlich wie Bridging. Bei einem Inbound-Gespräch sollen Sachen verscherbelt werden. CTI: (Computer Telephony Integration) Zusammenschaltung von Telefonanlage und Datenbanksystemen. Es ermöglicht die direkte Verbindung von Telefontätigkeiten mit Computeranwendungen. So können ArbeiterInnen bei der Zuteilung eines Anrufes automatisch alle Informationen über die AnruferInnen auf den Bildschirm bekommen. Data Mining: Systematische Suche von Personendaten nach Kunden-Profilen. Die gefundenen Daten werden dann bei telefonischen Verkaufsaktionen eingesetzt. Ähnlich auch Selektion: das Durchsuchen von Daten nach bestimmten Marketing-Kriterien. Direct-to-ear: Direktes Durchstellen der Anrufe auf das Ohr der ArbeiterInnen, ohne "Abheben". Dadurch sollen diese daran gehindert werden, sich zwischen den Anrufen auszuruhen. Einloggen/Ausloggen: Anmelden über die Eingabe von Nutzer-Namen und Passwort am Callmaster und am PC. Und Abmelden natürlich. Externe Call Center: Nicht Teil einer größeren Firma sondern Call Center-Dienstleister, der Aufträge von Firmenkunden zur Bearbeitung ihrer Anrufe bekommt. Siehe auch unter Inhouse-Call Center. First/Second Level: Form der Arbeitsorganisation. Der first level ist die erste Stufe der Bearbeitung, in der häufig das Massengeschäft abgewickelt wird (Kundenaufnahme, Bestellungen, Kontenstände ansagen...). Für andere Arbeitsvorgänge, die nicht sehr schnell zu erledigen sind und spezielle Kenntnisse erfordern, werden die Calls in den second level durchgestellt. Front-/Backoffice: Form der Arbeitsorganisation. Im front office bearbeiten die ArbeiterInnen die Anrufe und geben Informationen in Datenbanken ein. Alle weiteren Schritte - Formalitäten, Entscheidungen... - werden im back office gemacht. Damit lässt sich der Arbeitstakt hoch setzen. Zudem können für die dequalifizierten front office-Aufgaben Ungelernte eingestellt werden. Headset: Einheit von Kopfhörer und Mikrofon, die es erlaubt, dass die Hände beim Telefonieren frei bleiben. Headsets sind manchmal schmierig oder haben kratzigen Kopfhörerschaumstoff. Help Desk: Eine Abteilung, an die sich zum Beispiel Computer-BenutzerInnen wenden können, wenn sie Hilfe brauchen. Hotline: Bezeichnung für einen Kundendienst- oder Info-Telefonservice. Idle-time: Zeit, die du auf Nacharbeit, Pause... stehst, also nicht bereit bist, einen Call anzunehmen. Wörtlich heißt das: die Zeit, in der du untätig bist. Das wird von der ACD-Anlage festgehalten und über das Monitoring und die Teamleiter kontrolliert - und gegen dich verwendet. Inbound: Bezeichnet alle eingehenden Anrufe: Auskunftsdienste, Bestell-, Buchungs-, Auftragsannahme, Beschwerde und Reklamationsannahme, Notfallservice, Supportservice, Sex- Hotlines... Siehe auch Outbound. Inhouse-Call Center: Call Center, die nicht ausgelagert, sondern Teil eines größeren Unternehmens sind. Im Gegensatz dazu stehen die externen Call Center-Dienstleister, die für Auftraggeber telefonieren lassen. IVR: (Interactive Voice Response) Sprachdialogsystem, das den Anrufenden die Eingabe von Anweisungen mittels Telefontastatur oder menschlicher Stimme erlaubt. Die Eingaben werden digital verarbeitet. Eingesetzt werden IVRs unter anderem bei der Annahme von Geheimnummern von Bankkunden oder der Vorqualifizierung von AnruferInnen zur Durchstellung an Fachabteilungen. Job-hopping: Neuste athletische Spring-Sportart aus dem Ruhrgebiet. Gefällt dir ein Job nicht, weil der lausig bezahlt ist oder die Schichteinteilung dich zu sehr von wichtigen Dingen des Lebens abhält, wie Faulenzen, Nichtstun oder Rumlümmeln, hoppst du zum nächsten und hoffst (vergeblich), dass du dann mehr Zeit dafür hast. Klandestin: Bedeutet: heimlich. Wenn die Bosse nicht mitkriegen sollen, wer sich gegen Maßnahmen wehrt, wer den Arbeitstakt runtersetzt oder sich vorgenommen hat, längere Pausen durchzusetzen, muss das klandestin von den ArbeiterInnen organisiert werden. Kundenqualifizierung: Annahme eines Anrufes und Abfrage von Namen, Kundennummer... Danach wird der Anruf in eine Fachabteilung weitergestellt. Lächeln: Verbreiterter Lippenzustand, der im Call Center vorgeschrieben ist, weil AnruferInnen die Mundform mithören können. Bei Nichteinhaltung droht ein One-to-One-Gespräch mit klebrig- lächelndem Teamleiter und Lohnabzug. Monitoring: Die Teamleiter haben eine Software, die mit den Daten der ACD-Anlage arbeitet und ihnen ermöglicht, jederzeit zu sehen, wer gerade auf Bereit oder Nacharbeit ist, welche Arbeitsleistung eine ArbeiterIn gestern oder in der letzten Woche hatte... Das nennt sich Monitoring und ist so was wie Überwachung. Mystery Calls: Anrufe von Testern zur Kontrolle der Leistung von Call Center-ArbeiterInnen. Die mystischen Schnüffler legen insbesondere Wert auf das Lächeln in der Stimme, die Einhaltung von Skripten und Standardformulierungen... Nacharbeit: Zusatzstress nach dem Anruf, zum Beispiel Eingabe von Informationen am PC oder Ausfüllen von Bestell- oder Reklamationsformularen. Währenddessen drücken die ArbeiterInnen normalerweise auf den Knopf "Nacharbeit" an ihren Callmastern, damit sie keinen Call reinkriegen. Basis ständigen Kleinkriegs mit den Teamleitern. Outbound: Ausgehende Anrufe, wie Kundenwerbung, Markt- und Meinungsforschung, Terminverabredungen, Verkauf... Siehe auch Inbound. Outsourcing: Nicht nur bei Call Centern benutzter Begriff für die Auslagerung von Betriebsteilen in externe Firmen. Overflow: Anrufe, die nicht angenommen werden können und in der Warteschlange schimmeln. Der overflow wird manchmal an externe Call Center umgeroutet. Power-/Predictive-Dialer: Anwahlsystem für den Outbound-Bereich, das auf Basis einer - mit data mining erstellten - Telefonliste automatisch Telefonverbindungen herstellt. Besetztzeichen, Fax-Geräte, Anrufbeantworter können herausgefiltert werden. Macht ordentlich Stress, indem es dir Kunden am laufenden Band schickt. Prekarisierung: Von prekär = ungesichert. Begriff für den zunehmende Ersetzung ungefristeter Vollzeit-Arbeitsverträge durch Zeitarbeit, befristete Verträge, Praktika... Profile: ArbeiterInnen werden nach einem bestimmten Raster bewertet, zum Beispiel welche Sprachen sie sprechen, welche Produkte sie supporten können... Das erstellte Profil wird dann in die ACD-Anlage eingegeben, damit die weiß, welche Anrufe sie den jeweiligen ArbeiterInnen durchstellen soll. Profile werden auch beim data mining über Kunden erstellt, um zu bestimmen, wer bei einer bestimmten Verkaufaktion angerufen werden soll, weil er oder sie arbeitet, frisch verheiratet ist... aber noch keinen Kredit am Arsch hat. Routing: Bei eingehenden Anrufe werden die Telefonnummern gecheckt, um zu wissen, ob der ins Call Center nach Bayern oder Sachsen durchgestellt - geroutet - werden soll. Auch das interne Durchstellen eines Anrufs an eine ArbeiterIn über die ACD-Anlage wird als Routing bezeichnet. Bei Streiks benutzen die Bosse das Umrouten in andere Call Center, um die Anrufe dort bearbeiten zu lassen. Sabotage: (sabot = Holzschuh) Von ArbeiterInnen an Spinnmaschinen erfundene Schuhattacke, nach der die Maschine stehen bleibt. Auch ohne Schuh auf andere Maschinen anwendbar. Schulung: Bevor du im Call Center ans Telefon gelassen wirst, musst du eine Schulung mitmachen. Das ist quasi deine Ausbildung und dauert zwischen zwei Minuten und zwei Monaten oder länger. Meist ist es eher eine Art Gehirnwäsche, bei der dir die Firma und die Produkte angepriesen werden, damit du den Schwachsinn nachher den Leuten am Telefon nachkaust. Service Level: In einigen Call Centern errechnen die Bosse, wie viele von hundert Calls zum Beispiel innerhalb von drei Minuten angenommen werden. Alle über drei Minuten fallen negativ ins Gewicht. Per Zielvorgabe wird definiert, wie der Service Level sein soll, zum Beispiel neunzig Prozent. Der aktuelle Wert wird den ArbeiterInnen dann zum Teil auf wallboards und täglichen Aushängen ständig vor Augen geführt... um sie unter Druck zu setzen. Skripte: Gesprächsvorlagen mit genau festgelegten Satzfolgen, die den Kunden vorgelesen werden sollen. Deren Einhaltung wird oft von den coaches, mittels monitoring oder mystery calls kontrolliert. Siehe auch Standardformulierungen. Standardformulierungen: Genaue Vorgaben, zum Beispiel für die Begrüßung und Verabschiedung der AnruferInnen. Deren Einhaltung wird kontrolliert und geht allen auf die Nerven: "Guten Tag, mein Name ist Vorname Nachname, wie kann ich Ihnen nützlich sein?" Stumm-Taste: Beliebter Druckknopf am Callmaster, auch mute genannt. Bei Betätigung kann die Call Center-ArbeiterIn den Mensch am anderen Ende der Leitung hören, umgekehrt nicht. Ermöglicht die Fortsetzung des Flirts mit einer KollegIn. Supervisor: Antreiber. In manchen Call Centern werden die Teamleiter so genannt, oft aber auch die Teamleiter der Teamleiter. Support: Wörtlich Unterstützung. Der Begriff wird vor allem bei den technischen Hotlines eingesetzt, wobei das mit dem support oft eher eine Hoffnung ausdrückt als eine tatsächliche Hilfestellung. Den ArbeiterInnen haben meist keinen Zugang zu allen wichtigen Informationen, und sie werden kaum angelernt... Taylorismus: Frederick Winslow Taylor (1856-1915) machte Zeit- und Bewegungsstudien bei FabrikarbeiterInnen und ermöglichte damit die weitere Aufteilung der Arbeit in kleine Schritte, die von ungelernten ArbeiterInnen ausgeführt werden konnten. Das war auch Grundlage für die Vorgabe von Akkordstückzahlen und deren ständiger Erhöhung. (Unbestätigten Gerüchten zufolge soll er bei seinen Studien von ausgemergelten FließbandarbeiterInnen mit einer Uhr erschlagen worden sein.) Team: Meist willkürliche Organisationseinheit auf Abteilungsebene: Mehrere ArbeiterInnen werden zu Teams zusammengefasst, damit sie auch einen Teamleiter bekommen können. Logisch. Selten haben Teams was mit dem Arbeitsprozess zu tun, also der Einteilung nach bestimmten Arbeitsschritten, die nacheinander von einer bestimmten Gruppe von ArbeiterInnen ausgeführt werden. Teamleiter: Was der Meister in der Fabrik ist der Teamleiter im Call Center. Als Qualifikation müssen sie vor allem die Schnüffelei und Antreiberei... aber auch das Abwiegeln und Team- Gequatsche beherrschen. Tinnitus: Eine der verbreiteten Effekte von Call Center-Arbeit. Du hörst ständig einen Ton, ein Geräusch, ein Fiepen, obwohl da gar nichts ist. Wer es noch nicht mitgekriegt hat: Call Center- Arbeit macht krank! Virtuelles Call Center: Zusammenschalten von Call Centern an verschiedenen Standorten. Über eine ACD-Anlage werden die eingehenden Anrufe je nach Bereitschaft an Call Center- ArbeiterInnen in Lübeck, Magdeburg, Cardiff und Brisbane durchgestellt. Wallboard: Große Laufanzeigen, auf denen die Zahl der Anrufe in der Warteschlange, der Service-Level... dargestellt werden. Warteschlange: Call Center-Haustier. AnruferInnen, die in der ACD-Anlage registriert sind, aber noch nicht entgegengenommen wurden, dürfen sich die einlullende Warteschlangen-Musik reinziehen oder werden mit sanfter Frauenstimme in Hypnosezustand versetzt. Oft wird auch die Länge der Warteschlange den ArbeiterInnen per wallboard zur Schau gestellt, um diese auf Trab zu bringen. Auch Warteschleife genannt. WPA: Worte persönlicher Anerkennung. Die coaches verlangen, dass die ArbeiterInnen möglichst oft "Das haben Sie gut gemacht, Frau Hase!", "Vielen Dank für Ihre offenen Worte, Herr Besen!"... sagen, um dem Kunden einen positiven Eindruck zu vermitteln. Hier ist noch eins: Bullshit! ******************************************************** Fußnoten 1 Wer nachlesen will: Im Anhang findet ihr eine Liste mit Texten und Links. 2 Zu Klassenzusammensetzung haben wir ein Papier geschrieben. Siehe unter [www.nadir. org/ kolinko]. Die genannten Konzepte wurden und werden im deutschsprachigen Raum vor allem von den GenossInnen der Wildcat als "militante Untersuchung" weiterentwickelt: [www.wildcat- www.de] 3 Wir benutzen "ArbeiterInnen" als Beschreibung dessen, das wir alle Ausgebeutete sind. Das schließt solche ein, die auf Sozialleistungen angewiesen sind (RentnerInnen, "Arbeitslose"...), diejenigen, die noch auf die Ausbeutung vorbereitet werden (SchülerInnen), und alle "HausarbeiterInnen", die unentlohnte Arbeit machen. Wir ziehen "ArbeiterInnen" solchen Begriffen wie "Ausgebeutete" oder "ProletarierInnen" vor. 4 "Ausbeutung" fasst für uns die Totalität des kapitalistischen Klassenverhältnisses. Neben der "Arbeit" gibt es Bereiche, in denen wir dafür vorbereitet, diszipliniert, verwaltet werden: Schulen, Universitäten, Heime, Ämter, Knäste... Und "Arbeit" umfasst unentlohnte Formen (Hausarbeit, Subsistenzproduktion, Sklavenarbeit), deren Produkt in die kapitalistische Verwertungskette eingeht und diese am Laufen hält. 5 Im Internet: [www.nadir.org/nadir/initiativ/kolinko/deut/d_kosub.htm] 6 Sprich die Lektüre von Texten aus Italien zum Bereich Untersuchung, zum Beispiel der Quaderni Rossi von Anfang der sechziger Jahre. Siehe dazu unter 8. Anhang: Literatur und Links. 7 Siehe unten unter "Maloche". 8 Der Vorschlag wurde u.a. von Collective Action Notes/USA veröffentlicht. Im Internet: [www.nadir.org/nadir/initiativ/kolinko/deut/d_ccvor.htm] 9 [www.motkraft.net/hotlines] 10 Siehe weiter unten unter "Flugblätter". 11 Wir haben nur so wenige Interviews gemacht, weil a) wir einen Fragebogen hatten, der zu lang war (über 150 Fragen), und damit jedes Interview lange dauerte und noch mehr Zeit für das Abtippen drauf ging; b) einige Interview-PartnerInnen erst zu- und dann wieder absagten, weil sie keine Lust hatten, das als Gefährdung sahen...; c) wir den Arsch nicht hochkriegten, mehr zu machen; d) einige statt Interviews eher nur Gespräche auf Arbeit führten... 12 Dazu mehr unter 7. Vorschlag am Ende dieser Schrift. Unter 8. Anhang findet ihr alle Fragebögen. Aktualisierte Fassungen könnt ihr auch auf der Website runterladen: [www.prol- position.net] 13 Auch dazu mehr unter 7. Vorschlag. 14 Die Flugblätter aus der Serie findet ihr alle unter 8. Anhang: Flugblätter. 15 Der Angriff auf die hotlines-Website bei [www.free.de] hatte zur Folge, dass free sich durch erhebliche Geldstrafen bedroht sah. ISI argumentierte mit dem Wettbewerbsgesetz und sah sich durch die Darstellung im Flugblatt herabgesetzt und beleidigt. Toll war, dass viele Leute und Gruppen aus dem linken und Anti-Zensur-Spektrum das aufgriffen, das Flugblatt dokumentierten und weiter verbreiteten, und somit dafür sorgten, dass die Bedingungen und der Zensurversuch von Brisbane über Frankfurt bis San Francisco bekannt wurden. Zeitweise ergab die Eingabe "ISI" in einer Suchmaschine erstmal vierzig Hinweise auf das Flugblatt... 16 Siehe dazu auch unter 6. Auseinandersetzungen zur Unterstützungsinitiative Call Center Offensive. 17 Trennungen, die wir zum Beispiel bei Maschinenbauingenieuren treffen, die tagsüber Malocher scheuchen und abends Antifa spielen; oder bei Büroangestellten und Arbeitslosen, die sich "antirassistisch" engagieren, aber das nicht mit ihrer eigenen Ausbeutungssituation zusammen thematisieren... 18 Darunter auch frustrierte Team-LeiterInnen, die mit dem Widerspruch ihres Jobs - dem Zwang zum Kontrollieren "alter" KollegInnen - nicht klarkamen. 19 Siehe Fußnote 15. 20 Mit der Linux/open source-Diskussion verbinden einige, dass die Tatsache, dass diese Programme weitgehend ohne Entlohnung geschrieben und vertrieben wurden und jeder Mensch (mit der entsprechenden Qualifikation) wegen der transparenten Programmierung da mitmachen kann, schon eine kommunistischen Tendenz zeigt. Die Leichtigkeit, mit der IBM gerade diese Programme in sein Verkaufskonzept integriert, und der Versuch der deutschen Behörden, Linux in der Verwaltung einzuführen, zeigen, dass die Programme an sich auch nur als Ware rumgehen, in der halt viel nicht-entlohnte Arbeitszeit steckt. Die Produktivität kollektiver Tätigkeit wird somit glatt in kapitalistische Produktivität übersetzt. Die Diskussion der "immateriellen Arbeit" - unter anderem vertreten durch Negri und Lazzarato - beruht auf der blöden These, dass Arbeit heute zur "Kommunikationsarbeit" geworden ist, in der die Kreativität der "immateriellen ArbeiterInnen" gefragt ist, ihre kommunikativen Fähigkeiten... Sie sehen darin auch eine kommunistische Tendenz. Faktisch begründen damit bestimmte "immaterielle" Intellektuelle, dass sie selbst im Zentrum der sozialen Prozesse stehen. Durch einen Blick in die Fabriken, Call Center, Krankenhäuser dieser Welt lässt sich die These leicht aushebeln: Die meisten ArbeiterInnen sehen sich weiter ausgepresst durch das kapitalistische Verhältnis und haben keine eigenständige Kreativität entwickeln können... 21 Wobei dieser Druck auch von "innen" kommt: Wir wollten die Flugblätter so schreiben, dass sie analytisch korrekt und gleichzeitig verständlich sind. Außerdem gab es Kritik von anderen GenossInnen, die in die Diskussion eingehen sollte... 22 Auch dazu mehr im Abschnitt 7. Vorschlag. 23 Unter 8. Anhang: Glossar stehen die wichtigsten Begriffe. Falls ihr hier mal den Überblick verliert ;-] 24 Mehr dazu im Abschnitt 5. Arbeitsalltag. 25 Anders: "Im Mittelpunkt des Kommunikationsprozesses zwischen Unternehmen und Klienten steht der Agent, der die sprachlich-sinnlichen Verständigungsleistungen zwischen den beiden durchführt. In Richtung auf den Klienten heißt dieses, den Gebrauch von Stimme und Gehör (Kopfhörer und Mikrophon: Headset) und in Richtung auf das betriebliche Informationssystem den Gebrauch von Augen und Händen (Tastatur und Maus) zur Vermittlung der Kommunikation. Dazwischen steht die geistige und psychische Transformation dieser Informationen". [www.callcenteragent.net] 26 Eine Liste mit Call Centern, die in den folgenden Abschnitten besprochen werden, findet ihr unter 8. Anhang. 27 Mehr zu den tatsächlichen Auswirkungen im Streik-Teil im Abschnitt 6. Auseinandersetzungen. 28 Die Zahlen haben wir aus vielen Quellen zusammengesucht. Die Quellensituation insgesamt ist schlecht, auch weil Call Center kein statistisch erfasster, "eigener" Sektor sind. 29 Hier eine Statistik zur Aufteilung der Call Center nach Branchen (in Prozent): 39,1 Finanzdienstleister und Versicherungen, 19,1 Informations- und Kommunikationswirtschaft, 11,6 Handel und Vertrieb, 7,2 Medien, 4,4 Industrie, 4,4 Kartenservice, 14,2 Sonstige. Studie von Computerfachwissen, April 1998. Genauere Angaben zu Marktforschung fehlen hier. Marketing und Marktforschung machen in anderen Studien bis zu dreißig Prozent der Call Center aus. Außerdem fehlen hier die Hotline-SexarbeiterInnen. 30 Make of buy, April 1999. In Deutschland sogar über neunzig Prozent, wobei der geringe Anteil von Outbound-Call Centern darauf zurückgeführt wird, dass in Deutschland das aktive Telemarketing reglementiert ist. In den USA oder Britannien gibt es weniger Beschränkungen. 31 Mehr dazu und zum folgenden Punkt im Abschnitt 5. Arbeitsalltag. 32 Jan Thieme/Michael Ceyp, Großer Call Center Gehalts- und Karrierevergleich, Hannover, 1997, S. 43. Das Durchschnittsalter in den australischen Call Centern soll bei 23 Jahren liegen [www.wsws.org/articles/2001/may2001/call-m14.shtml] 33 Weitere Zahlen dazu: Kaufmännische oder Fachausbildung 32 Prozent, Abitur 27, mittlere Reife 19. Arbeiten im Call Center, Handlungshilfe für Betriebs- und Personalräte. Frankfurt, Februar 1999 34 Der Frauenanteil insgesamt liegt bei 67,2 Prozent. Nach Branchen: Großhandel 89,5, Versandhandel 86,7, Verlage/Medien 75,2, Tourismus 75, Banken/Versicherungen 66,9, EDV/ Elektronik 49,3; Arbeiten im Call Center, Handlungshilfe für Betriebs- und Personalräte. Frankfurt, 2/1999. 35 In manchen Call Centern gibt es den ersten und den zweiten Level, wobei diese Einteilung auf die Arbeitsorganisation zurückgeht und keine formale Hierarchie darstellt. Trotzdem sind die ArbeiterInnen im zweiten Level meist besser ausgebildet und entlohnt. Zum Verhältnis steht im Handelsblatt vom 19. September 1999: 80 Prozent erster Level, 15 Prozent zweiter Level, 5 Prozent Management. Das deckt sich mit unseren Erfahrungen. Siehe auch Fußnote 76. 36 Die Prozentzahl gibt an, wie viele ArbeiterInnen den Job innerhalb des ersten Jahres verlassen. 37 Anteil der Vollzeitbeschäftigten an den Erwerbstätigen in Westdeutschland 1997: bei Männern 97 Prozent und bei Frauen 56 Prozent, Angaben des Instituts zur Erforschung sozialer Chancen (ISO), 1999; 80 Prozent der Frauen in Call Centern sind als Teilzeitkräfte beschäftigt, bei den Männern nur 18 Prozent, Jan Thieme/Michael Ceyp, Großer Call Center Gehalts- und Karrierevergleich, Hannover, 1997, S. 47. Eine andere Studie gibt an, dass in Call Centern 46 Prozent Vollzeit arbeiten, 34 Teilzeit, 9 geringfügig beschäftigt und 11 als freie MitarbeiterInnen. H. Bichler/G. Vogl: Call Center: "Zusatzleistungen sind nicht üblich", WSI-Mitteilungen, April 1999. 38 Verwaltungs-Berufsgenossenschaft: Ccall Report 1, Branchenbild Call Center. Hamburg 2001, S. 22. 39 Schichtarbeit machen 84 Prozent, 71 Prozent davon zwischen 6 und 22 Uhr; Institut für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main, 1999. Viele Bundesländer-Regierungen gaben Sondergenehmigungen für Sonntags- und Feiertagsarbeit in Call Centern. 40 Information der Süddeutschen Zeitung: [www.sueddeutsche.de/index.php?url=/sz/karriere/ gehaltstest&datei=index.php] (30. Mai 2002). Genaue Zahl: 1.534 Euro. Weitere Gehaltsbeispiele (in Euro): einfache Bankdienstleistung Inbound im Ruhrgebiet: 1.600 brutto, 1.100 netto; Bankdienstleistung Outbound Ruhrgebiet: 1.900 brutto, 1.200 netto (plus Bonus von 100 bis 200 Euro); Technischer Support zweisprachig in den Niederlanden: 1.600 brutto, 1.100 netto; Technischer Support internes Call Center im Ruhrgebiet: 2.100 brutto, 1.400 netto; Kundenbetreuung Inbound in Norditalien: 1.200 brutto, 900 netto; Versicherung, zweisprachig, Inbound in Norditalien: 1.300 brutto, 1.000 netto... 41 Verwaltungs-Berufsgenossenschaft: Ccall Report 1, Branchenbild Call Center. Hamburg, 2001, S. 13. Hier ein internationaler Vergleich von jährlichen Lohnkosten in Call Centern für das Jahr 1998 (Zahlen in US-Dollar): Australien 17.000, Tokyo 32.000, Taiwan 28.000, USA 26.000, Hong Kong 24.000, Singapur 22.000, Irland 20.000, Britannien 19.000 [www.wsws. org/articles/2001/may2001/call-m14.shtml]. Für 2002 gibt es einen Vergleich zwischen Indien und USA: Kosten pro Arbeitsplatz in den USA 100.000 Dollar, in Indien 10.000 Dollar [www.rediff.com/us/2000/aug/05us.htm], 1. August 2002. 42 Einblick, Zeitung der Gewerkschaft hbv, 1999. 43 Michel Medienforschung und Beratung (MMB), 1999, nennt 75,6 Prozent. 44 Studie des deutschen Direktmarketingverbands (DDV), 1997. 45 Datamonitor, Oktober 1999. 46 Im April 2002 werden im Bankwesen weitere 17.000 Stellenstreichungen angekündigt. Bei der Deutschen Bank 24 sollen 1.460 Leute gekickt werden. ver.di publik , April 2002. 47 Deutscher Direktmarketing Verband, Januar 2002: (in Mrd DM) 1997 4,3 / 2000 5,9. 48 USA: 1998 69.500 Call Center mit 1,55 Millionen Beschäftigten (Datamonitor, Oktober 1999). 2002 sprechen Quellen von fünf Millionen (1. August 2002, [www.rediff.com/us/2000/ aug/05us.htm]) Britannien: 1998 4.100 Call Center mit 198.000 ArbeiterInnen (Datamonitor , Juni 1999; damit sollen dort mehr ArbeiterInnen in Call Centern arbeiten, als in den "ehemaligen" Kampfbastionen zusammen: Bergbau, Stahl- und Autoindustrie). 2001 sollen es 400.000 ArbeiterInnen sein [www.wsws.org/articles/2001/may2001/call-m14.shtml], 2002 500.000 ArbeiterInnen (Financial Times, 8. März 2002, diesmal mit dem Vergleich, dass das doppelt so viele seien wie in der Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei zusammen.). Frankreich: 1998 70.000 ArbeiterInnen (L'usine Nouvelle, 23. April 1999), 2001 150.000 bis 200.000 (La Gazette, Janvier 2002). Deutschland: 1998 1.600 Call Center, 2002 3.746 Call Center (DDV, Januar 2002). 1996 45.000 ArbeiterInnen, 1998 80.000 bis 150.000, 2002 225.000 ArbeiterInnen (WSI-Mitteilungen, April 1999 und auf der Seite: [www.rundschau-online.de/ wirtschaft/2522569.html]. Andere Schätzungen sprechen für 2002 von 150.000 bis 240.000 ArbeiterInnen in etwa 2.000 Call Centern (Tageszeitung, 14. Februar 2002). Australien: 2001 4000 Call Center mit 160.000 ArbeiterInnen [www.wsws.org/articles/2001/may2001/call- m14.shtml]. China: 1999 gab es in China schon 63.000 Call Center-ArbeiterInnen, mit starken Zuwachsraten (log in and find out, Zeitung von Postgewerkschaft, ötv und hbv, August 1999). 49 So sollen im Jahr 2001 36 Prozent der 12.000 ArbeiterInnen, die in den sechzig mehrsprachigen Call Centern Irlands arbeiten, aus fremden Ländern kommen. Tosca D1 report call center inventory - Ireland, 2001. 50 Les centres d'appels téléphoniques: des lendemains qui sonnent, La Gazette, Janvier 2002. 51 Siehe auch Financial Times, 3. März 2002: "Große Nutzer von Call Centern wie British Airways und Zürich Versicherungen führen einen Exodus in Englisch-sprechende Länder mit niedriger bezahlten Arbeitern an, wie Indien oder Südafrika. Neue Spracherkennungssysteme ersetzen die einfachen Arbeiten." Während es in den Tageszeitungen in Mumbai/Indien von Stellenanzeigen für Call Center-Jobs wimmelt, berichteten uns indische GenossInnen, dass bereits eine Auslagerungsbewegung nach Süd-Indien zu bemerken sei... 52 Übrigens lagert Otto ansonsten sowieso Aufgaben aus: In einer Essener Bude nehmen fünf Leute zum Teil schwarz für fünf Euro die Stunde Anrufe für Otto entgegen. 53 Schon in den siebziger Jahren waren dies die ideologischen Spielwiesen von Gewerkschaftsvertretern und Industriesoziologen. 54 Unter [www.callcenteragent.net] könnt ihr eine eigene Rubrik zu Call Center und Krise finden, in der es eine aktuelle Übersicht über Schließungen und Entlassungen gibt. Für Britannien hier nur der Hinweis auf einen Artikel der Financial Times vom 8. März 2002, in dem unter anderem auf die Ankündigung von ITV Digital und Telewest hingewiesen wird, die alle 2.500 Jobs streichen wollten. Außerdem sei die Anzahl der Neueingestellten in Call Centern landesweit von 1999 35.400, über 2000 24.900 auf 2001 19.800 zurückgegangen. 55 [www.motkraft.net/hotlines] Eintrag vom 17. Dezember 2001 56 Business Week, 28. März 2002 57 Märkische Allgemeine, 18. April 2002 58 [www.nzz.ch/2002/05/18/il/page-article86248.html] 59 [www.welt.de/daten/2002/05/10/0510hw331092.htx] 60 [www.callcenteragent.net], April 2002. 61 In Deutschland gibt es solche Versuche bei kommunalen Verwaltungen, in Kanada bei den Sozialämtern, in Frankreich zum Beispiel bei Sozialversicherungen und der Finanzbehörde. 62 Wir haben die meisten Zitate mit dem Namen des Call Centers und Ort markiert. Wo das nicht angesagt war oder die Interviewten das nicht wollten, haben wir die genaue Bezeichnung weggelassen. 63 Hier kommt nur eine kurze Zusammenfassung der Anmerkungen zu den ArbeiterInnen aus dem letzten Abschnitt. Der Blickwinkel liegt diesmal auf der Subjektivität, den Erwartungen... 64 Dabei scheinen die meisten Call Center-ArbeiterInnen in ihren Beziehungen so flexibel wie in ihrer Arbeit: Lange hält's nicht... 65 Assessment bedeutet wörtlich: Bewertung. Bei einem Assessment Center werden verschiedene Methoden der Bewertung angewandt, wobei meist mehrere BewerberInnen gleichzeitig getestet werden. Übrigens ist die Auswahl der BewerberInnen meist an sexistischen Bildern orientiert: Frauen sollen nett sein, Wärme ausstrahlen... Männer sollen kompetent wirken... 66 Außerdem besteht "die Gefahr", dass die ArbeiterInnen sich in ihrer allgemeinen "Un- Qualifikation" als Gleiche unter Gleichen sehen und damit im Verhalten gegen die Arbeit zusammen kommen. 67 Wie schon erwähnt, setzen die Unternehmer auch auf eine hohe Fluktuation, weil sie durch den Austausch der ArbeiterInnen verhindern wollen, dass diese sich gemeinsam gegen die Arbeit wehren. Aber das hat Grenzen: Wenn die Kosten der Einstellung und Schulung zu hoch werden... oder wenn es keine "qualifizierten" Leute mehr gibt, die in den Buden arbeiten wollen, und dann die Löhne steigen... 68 Für uns bleibt da nur eins zu sagen: "Verpisst euch!" an all diejenigen, die uns als "unqualifiziert" hinstellen, gleichzeitig aber die ganze Zeit aushorchen, um die gewonnen Infos als "ihr unternehmerisches Wissen" zu verkaufen, und uns dann an irgendeine Berufskategorie und bis zur Rente an die Strippe ketten wollen. 69 Wobei in den dreieinhalb Jahren Ausbildung zum Bankkaufmann natürlich schon gearbeitet wird, und zwar zu niedrigen Löhnen. 70 Die "offizielle Arbeitsorganisation" ist also ein fake, die vorgegebenen Bahnen der Zusammenarbeit Sackgassen. Siehe auch den folgenden Teil zur "Zusammenarbeit". 71 Wir erinnern daran, dass die telefonische Kooperation in anderen Bereichen schon "umgedreht" wurde: So organisierten LKW-FahrerInnen in Frankreich diverse Streiks hauptsächlich über Handys und Funk... 72 Die Standardisierungen werden übrigens unter bestimmten Umständen auch als Erleichterung gesehen, weil mensch nicht nachdenken muss: "Ich bin dazu angehalten, die Sätze wörtlich vorzulesen. Die Organisation also, wie das funktioniert, liegt nicht bei mir. Da ist keinerlei Kreativität gefragt. Es funktioniert wunderbar (...) Wir lesen das vor, so wie es im Computer steht und machen das halt." [Marktforschung, Amsterdam, 2000] Siehe auch in Abschnitt 6. Auseinandersetzungen zu Standardformulierungen... 73 In manchen Call Centern ist der Callmaster mittlerweile von Hardware in Software mutiert: Das Callmaster-Tastenfeld befindet sich als Fenster auf dem Bildschirm, die Tasten/Buttons müssen dann angeklickt werden. Bei einem Anruf poppt das Fenster automatisch in den Vordergrund, damit die ArbeiterIn sehen kann, von welcher Nummer angerufen wird... Das ist eine Art CTI- light. Siehe dazu den nächsten Abschnitt... 74 Hier gibt es Variationen: Einige Call Center lassen die KundInnen erst mit einem Sprachcomputer sprechen, wo sie ihre Kundennummer eingeben müssen. Hier sucht die CTI- Software also nicht anhand der Telefonnummer sondern der vom Kunden angegebenen Kundennummer den Datensatz raus, der an die ArbeiterIn gesendet wird. 75 Manche ACD-Anlagen sind so mit Power-Dialern verbunden, dass die ArbeiterInnen gleichzeitig Inbound- und Outbound-Calls bekommen (Citibank, Duisburg). Siehe auch im Abschnitt 6. Auseinandersetzungen. Hier noch zwei Werbetexte von [www.callcenterprofi.de] für Power-Dialer-Software: "Der Vorteil von ttCall: Für die Erstellung von Eingabemasken und Gesprächsleitfäden werden keine Programmierkenntnisse vorausgesetzt. Darüber hinaus bietet die Software dem Call Center-Manager Kontrollmöglichkeiten in Form von Statistikauswertungen und mitarbeiter- und projektbezogenen Reports. ttcall (...) gestattet den Wechsel von In- zu Outbound an ein und demselben Arbeitsplatz." / "Effektivitätssteigerungen von 150 bis 400 Prozent! Das zumindest verspricht die Predictive-Dialer-Funktion des Phone Frame Explorer von eShare. Das System wählt gleichzeitig mehrere Kunden an, stellt aber den Agent nur zu tatsächlich erreichbaren Kunden durch. (...) Durch die Call-Blending Funktion können an dem gleichen Arbeitsplatz sowohl In- als auch Outboundkampagnen durchgeführt werden..." 76 Im ersten Level machen ungelernte und mieser entlohnte ArbeiterInnen reihenweise die Kundenqualifizierung, oft mit der zeitlichen Vorgabe, dass ein Call durchschnittlich nicht länger als sechzig oder neunzig Sekunden zu dauern habe. Im zweiten Level machen etwas besser entlohnte und "qualifizierte" ArbeiterInnen dann die Dienstleistung, zum Beispiel den telefonischen PC- Support. 77 Mehr zu Qualität und Quantität und der Rolle der Coaches auch im Abschnitt 6. Auseinandersetzungen unter "Konfliktpunkte". 78 Hier erwarten wir, dass ihr das Skript laut vorlest, um richtig das Outbound-Feeling zu kriegen. Ihr könnt ja danach Wald-Musik hören oder auch Mike Oldfield, um wieder runter zu kommen... 79 Weitere Anmerkungen dazu im Abschnitt 6. Auseinandersetzungen unter Konfliktpunkte. 80 Wir fordern sicher niemand auf, die individuelle Verweigerung sein zu lassen. Aber wir sehen im Verpissen, Pausenschinden und Krankmachen an sich noch keine rebellische Haltung, die in eine revolutionäre Dynamik einfließt. Eher schon in kollektiven Formen der Verweigerung, die Raum bieten für gemeinsame Erfahrungen der Stärke, zum Beispiel dem abgesprochenen Ignorieren von Arbeitsanweisungen. 81 Hier müssen wir aber sehen, dass dieses gegeneinander Ausspielen woanders funktioniert: da machen die Agents sich gegenseitig an, wenn jemand einen Anruf zu spät annimmt... 82 Das geht bis zu dem Punkt, dass dich Kunden wirklich annerven. Besonders ab dem Zeitpunkt, wo du schon längst geschnallt hast, dass du dem Kunden wirklich nicht weiterhelfen kannst und ihm das auch verklickert hast, er aber ganz anderer Meinung ist. Diese Diskussionen sind tödlich... 83 "Die bezahlen dich schlecht, die behandeln dich schlecht, die Arbeit ist langweilig. Keiner will da länger arbeiten." "Das ist eine Scheißarbeit. Ich such mir was anderes. Jemand sollte den Laden niederbrennen!" "Du triffst nette Leute aus andern Ländern dort. Aber das ist auch das einzige Positive!" "Das ist hier wie im Knast!" Call Center-Arbeiterinnen von Fiat, 2002. 84 Für diesen Teil haben wir neben den Erfahrungen in Call Centern des Ruhrgebiets vor allem die Berichte ausgewertet, die wir aus Call Centern in Deutschland, Italien, den Niederlanden, Britannien, USA und Frankreich bekommen haben. 85 Bei der Unterscheidung der Call Center gibt es unterschiedliche Konzepte: etwa die grobe Einteilung in In- und Outbound, aber auch solche, die nach dem Arbeitsablauf (workflow) unterscheiden und damit nach Call Centern mit "Massen-Service-Arbeit" (Kontostände ansagen...), mit "Verkaufs-Arbeit" (Versicherungen verscherbeln ...) und mit "Wissens-Arbeit" (technische Hotline...)... (siehe Phil Taylor, Gareth Mulvey, Jeff Hyman, Peter Bain: Work organization, control and the experience of work in call centers, September 2000, S. 3; zu finden auf: [www.strath.ac.uk/Other/futureofwork] 86 An gewissen Punkten gibt es auch gegenläufige Tendenzen: Zum Beispiel hat Fiat/Milano Anfang 2002 das Call Center von Europ Assistance nach etwa sechs Jahren "insourced" und angefangen, weitere Arbeitsabläufe dorthin zu verlegen. In anderen Call Centern gibt es auch Versuche, über feste Arbeitsverträge die Fluktuation einzudämmen. Das gilt unter anderem dort, wo lange Ausbildungszeiten die Kosten hochtreiben... 87 Siehe zum Beispiel den Bericht zu Spectamind in Dehli auf der hotlines-Website. Weitere Anmerkungen im Abschnitt 4. Call Center. 88 Genauer: die Profitrate, das heißt das Verhältnis von Profit zum eingesetztem Kapital. Es geht weniger um die Profitmasse, also meinetwegen zehn Millionen Euro, sondern darum, wie viel Profit übrigbleibt, wenn ein Kapitalist hundert Millionen Euro investiert... 89 Dazu stehen in hotlines Nr. 1 und Nr. 2 Beispiele und Kommentare. Siehe Flugblätter unter 8. Anhang. 90 Gleichzeitig mit der gesetzlichen Ausweitung der Ladenöffnungszeiten. Der Angriff auf die Arbeitszeiten betrifft also nicht nur die Call Center-ArbeiterInnen. 91 Solche Bedingungen sind im Übrigen in den USA häufig anzutreffen... nicht nur in Call Centern. 92 "Die Erfahrung zeigt, dass Überstunden oder Zuschläge für Sonntagsarbeit für uns nur kurzfristig mehr Kohle bedeuten. Wenn wir uns einmal haben breitschlagen lassen, regelmäßig länger zu arbeiten, wird der Lohn schnell wieder soweit sinken, dass er gerade zum Leben und zum Arbeitengehen reicht." [hotlines Nr.1, Oktober 2000] 93 Zu Löhnen sie auch in Abschnitt 4. Call Center. 94 Il Manifesto, 5. Februar 2002 95 Il Manifesto, 3. Mai 2002. Im selben Artikel wird dargestellt, wie Atesia die Honorarverträge nutzt, um missliebige ArbeiterInnen loszuwerden: Denen werden einfach die "Arbeitsplatz- Mietverträge" nicht verlängert. 96 Wobei klar ist, dass das nach unten offen ist: Wir haben von Jobs in Mecklenburg- Vorpommern mit 9 DM und weniger gehört. Die Situation in anderen Bereichen, Gastronomie, Putzen... ist auch nicht besser. 97 "Die Situation bei Telecom/TIM sieht so aus: Ungeheure Flexibilisierung (Schichtarbeit in allen Formen, ungezügelter Einsatz von atypischen Arbeitsverträgen, ausgeweitete Möglichkeit der Veränderung des täglichen Arbeitsablaufs) und Einbruch der Löhne. Es reicht, sich eine Neueingestellte von heute (Lohnkategorie 2) und von 1990 anzuschauen: 1990 1.729 Tausend Lire, Inflation 1990-2001 49,68 Prozent, theoretischer Lohn heute 2.588 Tausend Lire, tatsächlicher Lohn 2001 1.927 Tausend Lire, prozentuale Differenz (=Lohnsenkung) 25,5 Prozent." [Flugblatt der Flmu-Cub, Firenze, Mai 2001] 98 Siehe dazu genauer in Abschnitt 5. Arbeitsalltag. 99 Allerdings sind die Steigerungen der Produktivität in Call Centern in keinem Fall mit denen in der Produktion zu vergleichen. Dort sind über Maschinerie und Automatisierung zigfache Produktivitätssprünge möglich und die Produktionszeit für bestimmte Güter geht gegen Null. Ein Anruf im Call Center lässt sich - je nach Sektor - bis auf zwanzig Sekunden reduzieren (Qualifizierung von Kunden über Kundennummer; Telefonauskunft), aber dann ist Schluss. Bei anderen Call Centern spielt die "menschliche" Arbeit eine zentrale Rolle: Die Leute rufen an, weil sie reden wollen (und nebenbei die Bestellung aufgeben). Diese Zeit lässt sich lediglich begrenzen... 100 Wobei nicht alle Call Center diese Mittel der Kontrolle in gleichem Maße einsetzen. Siehe auch hier Abschnitt 5. Arbeitsalltag zu ACD-Anlagen. 101 Siehe oben zu "Intensivierung". Hier müssen wir aber auch deutlich machen, dass die Bosse selbst uns einreden wollen, dass in Call Centern alles (!) kontrolliert wird und deswegen Kämpfe unmöglich sind. Die Gewerkschaften plappern das nach und verlangen eine Kontrolle der Kontrolle. Unsere Erfahrungen dagegen zeigen, dass erstens die Kontrolle nur bestimmte Aspekte der Arbeit überhaupt greifen kann, und zweitens die ArbeiterInnen immer wieder Mittel und Wege finden, die Kontrollen zu unterlaufen. 102 Was in einigen Regionen wie Wales, Sizilien oder Mecklenburg-Vorpommern nicht der Fall ist: Da sind die Call Center-Batterien mitunter die einzigen Buden, wo mensch "Arbeit findet". 103 Beim Knast gibt es eine andere bittere Ebene: In Kanada und den USA gibt es Call Center im Knast, wo die "Insassen" für Hungerlöhne an der Strippe hängen. [www.theglobeandmail.com], 2. März 2001 104 "Buongiorno Telecom Italia, sono Filippo, in cosa posso essereLe utile". Pacific Bell ist auch nicht schlecht: "Greetings. Thank you for calling Pacific Bell Internet. How can I provide you with excellent service?" So läuft das beim brainwash: Du sagst schon mal vorher was von "excellent". Wenn es dann scheiße läuft, fällt das später nicht mehr auf. Bei der Deutschen Bank 24 erzählen sie in der Schulung auch, dass es grundsätzlich nie "Probleme" gibt... und dieses Wort deswegen am Telefon auch nicht benutzt werden darf. Statt dessen gibt es nur "Herausforderungen". 105 Siehe genauer in Abschnitt 5. Arbeitsalltag, Maschinerie. 106 Diese Abstumpfung gibt es auch bei anderen Dienstleistungen, wo im Akkord Menschen abgefertigt werden: Kranke, Kunden, Gäste... 107 Dabei kommt es auch zu sexistischer Anmache. Zum einen in der Form "Du bist ja nur 'ne Frau und hast wieder mal keine Ahnung!", zum anderen als dumpfe Belegung mit irgendwelchen Phantasien. 108 Siehe Anmerkungen in Abschnitt 5. Arbeitsalltag zu Kooperation, Sprachcomputern. 109 Siehe dazu auch in Abschnitt 5. Arbeitsalltag den Bericht aus einem der Scheißläden: "Es geht nicht um dass Essen, sondern die ganze verdammte Küche!" 110 Siehe den folgenden Abschnitt zur Organisierungsformen... Hier gab es auch den Einwurf, dass die kleinen Konflikte aber sehr wohl Ausgangspunkt für größeren Stunk und gemeinsame Versuche der ArbeiterInnen sein können. Irgendeine Kleinigkeit... und die Leute gehen auf die Barrikaden, weil eben da das Fass überläuft. 111 Der Begriff "Sabotage" geht auf den Holzschuh - französisch "sabot" - zurück, der in die Maschine fliegt, um sie zu stoppen. 112 Bei Verizon wurde diese effektive Sabotage von den TechnikerInnen eingesetzt, die direkt an die Service-Trucks, Telefonanlagen und Schaltkästen rankamen. Hier wird deutlich, wie wichtig die konkrete Funktion einer Arbeit innerhalb einer Abteilung oder Firma ist. 113 Gemäß der Funktion des Staates: Arbeitsgesetze mit Mindestbestimmungen zum Beispiel über Arbeitszeit, Entlohnung von Überstunden oder Kündigungsfristen sind eine Form der Regulierung des Klassenkonflikts, bei der Staat sich als Schlichter aufspielt und die Konflikte vereinzelt. 114 Gewählte StudentInnen-Vertretung an den Universitäten. 115 Zum einen, weil für sie der Job sowieso vorübergehend ist und sie auch was anderes finden konnten. Zum anderen auch, weil der Arbeitsweg sich um mindestens dreißig Minuten verlängerte. 116 Hierbei ist wichtig, dass - wie oben schon erwähnt - der eigentliche Druck von den TechnikerInnen ausging. Deren Weigerung, Anlagen zu reparieren, sorgte für die Probleme... 117 Zu Basisgewerkschaften siehe auch den Abschnitt: Organisierungsformen. 118 Angesichts der sich zuspitzenden Lage in Italien mit vielen kleinen und mittelgroßen Streiks, hat sich die zuständige Streikgenehmigungsbehörde im Juni allerdings entschieden, auch die Genehmigung der monatlichen Streiks bei der Telecom Italia in Firenze zu überdenken. Angeblich, weil zwischen den Streiks keine zehn Tage "streikfrei" seien. 119 Cgil und Uil sind zusammen mit der Csil die staatstragenden Gewerkschaften in Italien. Siehe auch den folgenden Abschnitt zu Basisgewerkschaften und Fußnote 128. 120 Es gibt Pläne, dass TIM den Laden übernimmt, wobei auch dann nicht sicher ist, ob das Call Center in Firenze bestehen bleibt oder alle Anrufe nach Palermo gehen. 121 Das gilt so für Deutschland. Ähnliche Strukturen gibt es aber in den meisten Ländern, in denen die Gewerkschaften bei der Regulierung der Kämpfe einbezogen werden. 122 Tageszeitung, 24. Februar 2002 123 Bericht auf [www.verdi.de], Mai 2002 124 Tageszeitung, 14. November 2001 125 Ein Teil der Call Center von Banken, Versicherungen, Telekommunikationsfirmen... haben Betriebsräte. Meist die Unternehmen, die vorher schon bestanden und dann interne Call Center aufbauten. 126 Diese Funktion der Gewerkschaften und Betriebsräte mag mensch manchmal aus den Augen verlieren. Zumal wenn wir die Positionen vieler Kapos in Bezug auf Call Center oder Start-ups hören. Beispiel: "[Wir haben] von der Neuen Economy gesprochen, vom digitalen Kapitalismus... Die Menschen in diesen Bereichen wollen keine Gewerkschaften mehr. Warum? Wissen Sie, an was diese Leute glauben? Die glauben nicht nur an Mitbestimmung, die glauben an Selbstbestimmung. Das ist der Punkt. Die Globalisierung treibt eben auch bessere Rezepte als Mitbestimmung und Gewerkschaften um die Welt. Die Menschen, die dort arbeiten, sagen, lassen sie mich in Ruhe mit diesem kollektiven System. Ich weiß selbst, wie ich meine Interessen vertrete." (Olaf Henkel, ehemaliger Chef des BDI in einer Sendung von Phoenix, 27. Juni 2001) Das Gelalle von den "neuen Arbeitsbeziehungen" und "unabhängigen Beschäftigten", die von Gewerkschaften und Betriebsräten nicht mehr bevormundet werden, soll verschleiern, dass es diesen Leuten um die Vereinzelung der ArbeiterInnen geht. Vereinzelt lassen sich die ArbeiterInnen noch besser ausbeuten. 127 An dieser Diskussion sowie an der über den Sinn und Unsinn der Betriebsratsgründung nahmen wir über hotlines-Flugblätter teil. 128 Diese größten Gewerkschaften Italiens bilden zusammen einen Block, der seit zehn Jahren mit den italienischen Regierungen über Reformprojekte verhandelt und den Umbau des Ausbeutungsregimes mitverwaltet. Das läuft unter dem Namen "concertazione", was in etwa dem "Bündnis für Arbeit" in Deutschland entspricht. 129 In den RSU (rappresentanze sindacali unitarie, vereinte gewerkschaftliche Vertretung), die auf betrieblicher Ebene aktiv sind und eine Mischung aus Betriebsrat und Vertrauensleuteversammlung sind, ist ein Drittel der Sitze für die Confederali reserviert. Die anderen zwei Drittel werden über Wahlen besetzt, was ein Grund für den ständigen Stellungskrieg zwischen den Gewerkschaften ist. In einigen Betrieben konnten die Basisgewerkschaften die Confederali stimmenmäßig einholen, so dieses Jahr in Firenze bei der Telecom Italia und in Bologna bei TIM. 130 Zu dieser Kungelei siehe zum Beispiel den Beitrag zu Blu unter "Streiks". 131 Was aber - wie weiter oben erwähnt - schwieriger wird, weswegen sie auch die Möglichkeit von "illegalen" Streiks diskutieren. 132 Eine Basis-GenossIn meinte dazu, dass die Gewerkschaft nur ein Name, ein Hülle sei, die mensch nutzen könne, um sie in Konflikten einzusetzen. Es sei wichtig, an dem Punkt flexibel zu bleiben. Keine Partei oder Gewerkschaft verdiene, sich mit ihr zu identifizieren. Es ging um die Personen, die Militanten, die ArbeiterInnen. (Interview, Bologna, April 2002) 133 In den Interviews im April 2002 betonten sie das ausdrücklich. 134 Das ist übrigens auch ein wichtiger Punkt bei der Kritik der hotlines-Flugblätter: Der Bezug auf die Situation in den Call Centern blieb zum Teil reine Beschreibung der einzelnen Konflikte. Zwar bezogen wir uns auf ganze Konfliktbereiche und setzten sie in den Zusammenhang zum Ausbeutungsverhältnis, während in Flugblättern der Basisgewerkschaften oft nur ein Betrieb und ein Konflikt auftauchen. Bei der Thematisierung des grundlegenden Widerspruchs kamen wir in den hotlines-Flugblättern aber über eine Art Ranklatschen nicht hinaus. Auch hier fiel uns das Fehlen offener Kämpfe in den Rücken, weil wir uns kaum auf tatsächliche Auseinandersetzungen beziehen konnten... 135 Auch wir haben in unseren Flugblättern zu wenig betont, dass es uns nicht um die ArbeiterInnen als "Agents" geht, und sind zu wenig auf eben diese Abkopplung eingegangen, die zumindest Ausgangspunkt für die Diskussion über eine andere Form der Gesellschaft sein kann... 136 Denn ohne staatliche Kontrolle vernutzten die Kapitalisten die ArbeiterInnen hemmungslos... 137 Nebenbei gibt es noch weitere Schwierigkeiten: Die Offenheit der Agitation gilt nur für die Festen, weil die anderen nach Ablauf ihres Vertrages eh rausfliegen können, wenn sie gewerkschaftlich auftreten... 138 Ein Mechanismus, den wir auch bei der SUD in Frankreich oder der CGT in Spanien sehen und der mit dem Aufbau einer "syndikalistischen Organisation" zusammenhängt. Wenn wir die Entwicklung der Kämpfe und die revolutionären Tendenzen in ihnen unterstützen wollen, dann können wir das nur als "Teilnehmende", die auch offen die Schwächen und Fehler thematisieren... Wir sind dann in der Lage, objektive Grenzen von Aktionen (Krise, Entlassungen, Streikbruch...) offen zu legen, ohne auf eine "Organisation" Rücksicht nehmen zu müssen. 139 Um das noch einmal zu betonen: An der Passivität von ArbeiterInnen können auch Untersuchungen und Interventionen nichts ändern, welche die Vertretungsfallen umgehen. Sie können aber zeigen, wo die Bruchpunkte liegen und warum die Leute nicht kämpfen. 140 Eine Initiative, universitär und gewerkschaftlich orientiert, findet sich unter: [www. callcenteragent.net] 141 Wir erleben ansonsten (nicht nur in unserer Region) eine Linke, die sich zum großen Teil vom Klassenkampf und der Revolution verabschiedet hat und stattdessen völkischen (anti-deutschen) oder nationalistischen (anti-imperialistischen) Theorien nachjagt, sich an der staatlichen Regulierung beteiligt (wie die PDS) oder weiter das autonome Ghetto pflegt (wie der große Teil der Antifas). 142 In einer späteren Einladung klang es etwas kämpferischer: "Wir versuchen, gegen Stress, schlechte Bezahlung und unsichere Lebensbedingungen vorzugehen. Neben der direkten Unterstützung von Agents in Arbeitskämpfen geht es uns darum, einen Rahmen zur Verfügung zu stellen, in dem die in den Auseinandersetzungen gewonnenen Erfahrungen gebündelt werden. Ziel ist, den einzeln erlebten Unmut aufzugreifen, um eine kollektive Handlungsmacht darzustellen." [Einladung vom 12. April 2001] 143 Die Diskussion fand nur mit einigen aus der Call Center Offensive statt, ist also keine offizielle Stellungnahme. Es finden sich aber interessante Bezüge, die wir weiter diskutieren können. Mehr Infos und Flugis der Call Center Offensive gibt es auf ihrer Website: [www.callcenteroffensive.de] 144 Aus der Call Center Offensive kam hier der Hinweis, dass einige Punkte auch innerhalb der Initiative kontrovers diskutiert werden. 145 Bei hotlines stand zwar die Frage der Prekarisierung nicht im Vordergrund. Aber wir haben zum Teil die Situation in Call Centern als besonders mies dargestellt und dabei nicht rausgearbeitet, dass viele ArbeiterInnen die Telefoniererei immer noch als die bessere Arbeit sehen (im Vergleich zu der in anderen Buden). Außerdem brauchen wir ihnen ihre "unsicheren" oder "flexiblen" Arbeitsverhältnisse nicht zu erklären... Vielmehr sehen einige das auch als Vorteil, weil sie gar keinen Bock auf eine feste Anstellung haben... 146 Wir schreiben das auch in dem Bewusstsein, dass es auch für uns - als Gruppe, die vorher eine theoretische Diskussion über Klassenkampf, Staat, Geschlechterverhältnis, unsere Rolle... geführt hatte - weiterhin eine Herausforderung blieb, diese Diskussionen fortzuführen und in die konkrete Auseinandersetzung im Rahmen der Call Center-Untersuchung einzubringen... 147 Zur Kritik an Betriebrat... siehe oben. 148 Der Versuch, über Treffen, Organisierungsstrukturen oder Veranstaltungen die Mobilisierung am Laufen zu halten, scheitert. Das war auch die Erfahrung der Call Center Offensive bei ihrer Veranstaltungsreihe im vergangenen Winter. Wobei hier - darauf verweisen Leute aus der Call Center Offensive - auch andere interne und externe Gründe eine Rolle spielen (was sie selber erklären sollen). 149 Siehe im vorangegangenen Teil zur Call Center Offensive und weiter oben unter Kampflinien: Appelle. 150 Das ist eine offene Diskussion bei uns: Diese "Radikalisierung" wird nicht durch schlaue Interventionen "von außen" kommen, aber wie entsteht sie? Etwa aus den "kleinen Konflikten"? Bleiben die nicht auf die Bedingungen fixiert, statt das Ausbeutungsverhältnis anzugreifen? Oder ist die Idee der "Radikalisierung" schon falsch, weil sie das zu einer Frage des "Bewusstseins" macht?... Siehe auch Fußnote 110. 151 Zum Teil gibt es schon Gruppen, die so oder ähnlich ansetzen und zum Beispiel was zu Migration oder den Kämpfen in ihrer Region machen. 152 Das war unser Ausgangspunkt für die Untersuchung der Call Center. Die Schwäche lag dann aber darin, dass es in der Region nach dem Citibank-Streik keine Kämpfe gab, auf die wir uns beziehen konnten. 153 Wir haben zum Beispiel Flugblätter zu den Aktionen von McDonald's- und Reinigungs- ArbeiterInnen in Paris gemacht... und dazu benutzt, um uns in den Bereichen mal umzuschauen. 154 Mehr und genauer steht im Abschnitt 3. Auswertung: Drei Jahre in Call Centern. Wir nehmen hier einige der Ergebnisse und Fragen auf. 155 Siehe dazu den Punkt "Interviews" im Abschnitt 3. Auswertung: Drei Jahre in Call Centern und die Fragebögen unter 8. Anhang. 156 In einem unser Flugblätter haben wir dazu weitere Fragen aufgeschrieben: "Wir können keine allgemeinen Vorschläge dafür liefern, wie wir aus der Defensive kommen. Aber wir können - ausgehend von den bisherigen Kämpfen - Fragen stellen, die uns dabei helfen können: * Welche Kampfformen entsprechen unseren unmittelbaren Fähigkeiten und Bedürfnissen: gemeinsames "Arbeiten-nach-Vorschrift", andere Formen der Sabotage, offener Streik...? * An welchen Punkten können wir die Unternehmer empfindlich treffen: zu Zeiten langer Warteschleifen, während Testphasen von neuen Technologien...? * Wie können wir die Betriebsmauern überwinden, um die Versuche des Unternehmers zu untergraben, ArbeiterInnen in anderen Call Centern als StreikbrecherInnen einzusetzen? * Wie können wir Verbindungen zu Kämpfen von ArbeiterInnen in anderen Bereichen herstellen und voneinander lernen, weil wir uns gegen ähnliche Bedingungen wehren? * Wie können wir dies tun, ohne unser Schicksal in die Hände der Gewerkschafts- oder anderer Apparate zu legen?" [hotlines Nr. 4, Juli 2001] 157 Zum Beispiel zur Ausbeutung im Putzsektor (wobei die Kämpfe der PutzarbeiterInnen der Bahn in Italien und in Hotels in Paris den Anstoß gaben). Siehe auf: [www.prol-position.net] 158 Als weitere Anregung lassen wir denkbare Projektideen rumgehen: A. plant eine Wanderveranstaltung durch Ruhrgebietsbahnhöfe und PutzarbeiterInnenkantinen und will dazu B. aus Italien einladen, die an einem Streik der Bahnreinigungskräfte teilgenommen hat. * C. findet die in ihrem Stadtteil verklebten Bürgerini-Flugis gegen den hiesigen Straßenstrich volle Kanne daneben und will jetzt die Prostituierten interviewen, um zu sehen, was zusammen dagegen zu unternehmen ist. * E. soll im Zuge des neuen Job-Aktiv-Programms des Arbeitsamts in Rheinhausen Alt-Metall sortieren. Ihm passt das nicht und er hat ein Treffen mit Sozi- EmpfängerInnen einberufen, die eine Abzweigung vom Rhein-Herne Kanal schaufeln sollen. * F. kann wegen Überstundenaufgebots ihrer Metallklitsche nicht kommen, lädt daher ein, das Treffen bei ihr an der Abkantbank fortzusetzen. 159 Leute mit Erfahrungen in der politischen Diskussion der "revolutionären" Linken, werden das kennen: An solchen Punkten kommen oft auch die "Funktionäre" von Parteien und Gewerkschaften vorbei, was die Diskussion und Austausch zu ersticken droht. Wir wollen eine offene Diskussion, aber keine Leute als "VertreterInnen" von Parteien und Gewerkschaften. Vielmehr schlagen wir eine Art Grundkonsens vor: Es geht um die Diskussion der unmittelbaren Erfahrungen in der Ausbeutung, um die Unterstützung des Selbstbewusstseins und der Kampffähigkeiten der ArbeiterInnen; Vertretungs- oder Vermittlungsversuche haben da keinen Platz. 160 Forum-Seiten sind zum Beispiel [www.ainfos.ca] oder [www.indymedia.org]. Andere Websites mit interessanten Beiträgen können auf der prol-position-Seite gelinkt werden. 161 Um das noch mal deutlich zu sagen: Wir stellen hier die politischen Diskussionen über Krise und revolutionäre Strategie nicht hinten an. Wir sehen die Notwendigkeit, eine Untersuchung der Kämpfe anzupacken. Deren Ergebnisse können in die politischen Diskussionen einfließen, die wir auch mit den (anderen) ArbeiterInnen führen... 162 Wenn ihr euch eintragen wollt, schaut auf [www.prol-position.net] und schickt eine Mail. 163 Bei diesen Berichten wurde die Frageliste zum Teil noch nicht eingesetzt, weswegen einige Punkte nicht auftauchen.