smile bär 2. Untersuchung: Begreifen, Eingreifen
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Phase
In den letzten Monaten, in denen wir an dieser Auswertung schrieben, wurde spürbar, dass sich der Kapitalismus immer weniger über seine Zukunfts- und Glücksversprechen über Wasser halten kann. Versprechen, die er sowieso kaum und wenn, dann nur für wenige einhalten konnte. Vielmehr produziert er immer neue Krisen, Einbrüche des Wirtschaftswachstums, Entlassungen, Anziehen der Ausbeutungsschraube - von Asien über Lateinamerika und die USA bis ins Euroland. Es wurde klar, dass trotz HiTech und Überproduktion die Schufterei, der Verzicht, die Bedrohung durch Verarmung weitergehen werden. Ihre New Economy ist am Arsch, tauscht sich aus gegen den New War in Afghanistan und Palästina...
Aber uns erreichen auch Meldungen über die Aufstände in Argentinien, Generalstreiks in Südkorea, Italien und Spanien, die zeigen, dass sich die Auswirkungen des kapitalistischen Alltags nicht wegbomben lassen, sich der Mangel an Zukunftsversprechen nicht dauerhaft durch Drohungen aus der Vergangenheit ersetzen lässt. Doch wo geht's hin? Wie verbinden sich die Kämpfe und wie finden sie einen Weg zu einer neuen Klassenbewegung?
"Eine andere Welt ist möglich!" ist das Motto der Anti-Globalisierungsmobilisierung, doch bisher richtet sich der lauteste Teil dieser vermeintlichen "Bewegung" nur an die Verwalter der alten. Entweder sehen sie diese als Verantwortliche des Übels - Politiker, Konzernbosse, IWF-Fuzzis - oder als Ansprech- und zukünftige Verhandlungspartner wie in Sachen (Tobin-) Steuerpolitik. Beides geht daran vorbei, dass diese Funktionäre und ihre Treffen bloße Aushängeschilder der bestehenden Verhältnisse sind. Proteste während ihrer Gipfel bleiben in erster Linie ein symbolischer Ausdruck von "Wir haben die Schnauze voll!"
Aber wie können wir als ArbeiterInnen[3] unsere Wut auf das Bestehende über die halbjährlichen Demonstrationen hinaus ausdrücken? Wo verändert die Bewegung nicht nur kurzzeitig das Stadtbild, sondern findet im Kampf gegen den Alltag die Ansätze und den Weg hin zu einer neuen Gesellschaft?

Orte
Um die Verhältnisse wirklich zu verändern, müssen wir das Kapitalverhältnis angreifen, da wo wir täglich zusammengebracht werden: am Fließband, in Großraumbüros, in Schul- oder Umschulungsklassen... Hier (re)produzieren wir das Kapitalverhältnis täglich neu, hier liegt auch die Möglichkeit der Subversion. Eine andere Welt muss aus den Kämpfen entstehen, die sich aus diesem materiellen Zusammenhang und den täglichen Erfahrungen der Prols entwickeln. Diese Kämpfe finden auf dem Hintergrund aller Widersprüche und Spaltungen wie Rassismus und Sexismus statt. Ihre Sprengkraft bestimmt sich danach, inwieweit sie diese überwinden und zu einer Bewegung werden, in der die Kämpfenden weltweit entlang der Produktionsketten und Migrationswege zusammenkommen.
Sicher sind in allen Bereichen der Ausbeutung[4] Kämpfe möglich und wichtig, nicht nur von "LohnarbeiterInnen", sondern auch "Arbeitslosen", SchülerInnen, HausarbeiterInnen... Aber wir sehen zwei Kriterien, nach der wir die Möglichkeit und Macht von Kämpfen abschätzen:
* Finden die Ausgebeuteten zusammen, weil es einen gemeinsamen "Ort" gibt, an denen sie sich treffen, kooperieren, kämpfen? Das ist zum Beispiel bei "Arbeitslosen" immer dann schwierig, wenn sie sich nur ab und an auf dem Arbeitsamt einfinden, ansonsten aber nicht zusammenkommen.
* Haben die Kämpfe direkte Auswirkungen auf andere Sektoren und ArbeiterInnen, weil sie die Anhäufung von Kapital unterbrechen? Das Problem ergibt sich zum Beispiel bei ArbeiterInnen in der Gastronomie, deren Streik wenig unmittelbare Folgen für die Kapitalschöpfung insgesamt hat. Wobei diese "Schwäche" auch für viele andere Bereiche zutrifft: Universitäten, Putzsektor... und die meisten Call Center.

Untersuchung
Die Erfahrung und Entwicklung von Macht, die Möglichkeit, die scheinbare Natürlichkeit des ausbeuterischen Verhältnisses aufzubrechen, all das findet seinen Ausgangspunkt in den Kämpfen vor Ort. Wenn wir uns als proletarische Kollektive mitbewegen wollen, müssen wir es dort tun: den Kampf der BahnreinigerInnen unterstützen, Streik-News von McDonald's-ArbeiterInnen verbreiten, die Konflikte auf den Spargelfeldern verstehen, im Viertel zusammen mit anderen versuchen, die Pfändungsmaschine lahm zu legen, in die miesen Buden der New Economy reingehen und mitmischen...
So verstehen wir unsere Untersuchung und Intervention in Call Centern in den letzten drei Jahren: als revolutionäres Projekt, das in einem bestimmten Bereich versucht, die Gesamtheit des kapitalistischen Verhältnisses zu verstehen und zu kritisieren. Untersuchung ist einerseits die Form, wie wir uns selbst organisieren: gemeinsame Diskussion, Arbeitengehen, Interviews, theoretische Auseinandersetzung... Andererseits ist sie unser Verhältnis zur Klassenrealität: Erfahrung der täglichen Ausbeutung, Versuche, ihr zu entgehen, Intervention, gemeinsame Kämpfe...
Untersuchung bedeutet, den Zusammenhang zwischen der täglichen Kooperation der ArbeiterInnen und ihren Kampfformen zu verstehen und die Tendenzen einer neuen (kommunistischen) Gesellschaftlichkeit darin zu finden. Dabei müssen wir die Wirklichkeit in ihrer Widersprüchlichkeit analysieren. Wir haben nichts von einer Glorifizierung von Streiks oder Sabotage, von einer Beschwörung der "Einheit der Arbeiterklasse". Unsere Aufgabe muss sein, die Möglichkeiten und Stärken eines Kampfes an Beispielen deutlich zu machen, aber auch die Grenzen und Schwächen aufzuzeigen, die Gegenmaßnahmen der Bosse, das Unterlaufen durch den Betriebsrat, die Engstirnigkeit der "Berufsstolzen", den Rassismus. Und wir müssen rausstreichen, wie die Konflikte und Kämpfe auf dem Hintergrund der Klassenverhältnisse stattfinden, und wo die Ansätze zu deren Abschaffung und einer Perspektive von Befreiung liegen. Diese Kritik und die konkreten Erfahrungen können dann in die nächsten Auseinandersetzungen einfließen.
Wir als Kollektiv haben an einem Punkt damit angefangen. Aber nur innerhalb einer Bewegung, wenn die Kämpfenden selbst ihre Bedingungen und Verbindungen analysieren, wird aus der Untersuchung eine gemeinsame Suche nach einer neuen Welt...


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Fußnoten

3 Wir benutzen "ArbeiterInnen" als Beschreibung dessen, das wir alle Ausgebeutete sind. Das schließt solche ein, die auf Sozialleistungen angewiesen sind (RentnerInnen, "Arbeitslose"...), diejenigen, die noch auf die Ausbeutung vorbereitet werden (SchülerInnen), und alle "HausarbeiterInnen", die unentlohnte Arbeit machen. Wir ziehen "ArbeiterInnen" solchen Begriffen wie "Ausgebeutete" oder "ProletarierInnen" vor. [zurück]

4 "Ausbeutung" fasst für uns die Totalität des kapitalistischen Klassenverhältnisses. Neben der "Arbeit" gibt es Bereiche, in denen wir dafür vorbereitet, diszipliniert, verwaltet werden: Schulen, Universitäten, Heime, Ämter, Knäste... Und "Arbeit" umfasst unentlohnte Formen (Hausarbeit, Subsistenzproduktion, Sklavenarbeit), deren Produkt in die kapitalistische Verwertungskette eingeht und diese am Laufen hält. [zurück]


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