fighting the matrix 8.2.4 hotlines-Flugblatt: Kämpfe in Call Centern
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Pilotinnen und Piloten der Telefonie:
Ohne euch hebt kein Hörer ab!


(Juli 2001) Die Unternehmer und ihre Profite stecken in der Krise und wir sollen das ausbaden:
* In Call Centern, Fabriken, auf Baustellen und in Büros sollen wir für weniger Lohn mal mehr, mal weniger Stunden die Woche schieben - am besten noch rund um die Uhr.
* Die Unternehmer stellen viele nur noch als ZeitarbeiterInnen ein, die sie schnell wieder loswerden können.
* Nicht nur in der New Economy laufen vermehrt Rationalisierungen und Entlassungen und drohen die Bosse mit der Verlagerung in "Billiglohnländer".
* Im öffentlichen Dienst, zum Beispiel beim Personennahverkehr, soll mehr privatisiert werden, was bedeutet, dass dort ArbeiterInnen dieselbe Arbeit für weniger Kohle machen sollen.
* Und mit der "Faulenzer"-Kampagne werden die Arbeitslosen noch mehr unter Druck gesetzt, damit sie auch "Niedriglohnjobs" machen.

Die Angriffe vonseiten der Unternehmer beschränken sich dabei nicht auf Deutschland oder Westeuropa: Weltweit sind ArbeiterInnen mit ihr konfrontiert.
Es gab hier in der letzten Zeit kaum Kämpfe von ArbeiterInnen, die die Defensive durchbrochen und als Beispiel für andere Bereiche der Ausbeutung hätten dienen können. Am ehesten noch die PilotInnen der Lufthansa, die dieses Frühjahr immerhin durch mehrere Streiktage fast dreißig Prozent Lohnerhöhung durchgesetzt und damit auf das "Gürtelengerschnallen" der letzten Jahre eine Antwort gefunden haben. Aber ist dies auch in anderen Bereichen möglich, wo die ArbeiterInnen keine millionenschweren Düsenjets fliegen?
Die meisten anderen Auseinandersetzungen blieben auf symbolische Aktionen beschränkt, wie zuletzt bei den Warnstreiks der BusfahrerInnen und VerkäuferInnen, bei denen die Tarifabschlüsse unter drei Prozent lagen und einen Reallohnverlust einbrachten.

In Call Centern
scheint der Boom der letzten drei Jahre vorbei, wo gerade im Ruhrgebiet immer ein Job am Telefon zu kriegen war. Je nach "Marktlage" werden jetzt ArbeiterInnen entlassen. Wenn Neueinstellungen laufen, wird zunehmend nach "Arbeitserfahrung" und einem dieser "Call Center-Zertifikate" gefragt. Die Fluktuation gerade in den schlechter bezahlten und stressigeren Jobs ist weiter hoch.
Auch in Call Centern hat es in der letzten Zeit einige offene Konflikte und Kämpfe gegeben. Wir müssen uns die genauer anschauen, um für die zukünftigen Auseinandersetzungen zu lernen. Unsere Hoffnung ist, dass es dabei nicht mehr nur um die Verteidigung von bestehenden Bedingungen gehen wird, sondern vor allem um die Frage, wer über unser Leben bestimmt. Diese Frage wird nur dann in den Mittelpunkt rücken, wenn wir selbst bestimmen, wie und wofür wir kämpfen und dies nicht irgendwelchen Apparaten und VertreterInnen überlassen.

Bisherige Auseinandersetzungen
Bei den offenen Kämpfen von ArbeiterInnen in Call Centern ging es offiziell um die Höhe des Lohns, um die Abwehr von Versuchen der Unternehmer, den Druck auf die ArbeiterInnen zu verschärfen (durch Einsatz von LeiharbeiterInnen, Standortverlegungen/-schließungen, Tagelöhner-Verträge) und um Angriffe auf die "Würde" der ArbeiterInnen (durch technologische Kontrolle, Management-Willkür...). Gekämpft wird also aus ähnlichen Gründen, wie in anderen Bereichen auch (Fabrik, Büros...).
In diesem Flugblatt findet ihr eine Auswahl von Berichten zu Auseinandersetzungen in Call Centern. Außer bei Verizon hatten wir Kontakte mit ArbeiterInnen bzw. Streikenden. Grob haben wir zwei Arten von Auseinandersetzungen gesehen: 1) mehr oder weniger gewerkschaftlich kontrollierte Streiks wie bei der Citibank, British Telecom und Verizon, und 2) kleinere, selbstorganisierte Aktionen von ArbeiterInnen in den Berliner Call Centern von Audioservice, Hotline GmbH und ADM.

1) Bei den Streiks bei der Citibank, Verizon und der British Telecom lag die Begrenzung darin, dass die ArbeiterInnen über die Beteiligung an den gewerkschaftlich kontrollierten Aktionen hinaus kaum eigene (!) Wege gefunden haben, die Kämpfe zu organisieren und sich gegen die Unternehmer durchzusetzen. Als Folge dessen konnten Gewerkschaften und andere "ArbeiterInnenvertreter" die Auseinandersetzungen auf Streik- und Verhandlungsrituale reduzieren und benutzten den Unmut der ArbeiterInnen als dosiertes Druckmittel gegenüber den Unternehmern. Bei der Citibank und British Telecom blieben die Streiks mehr "symbolische" Aktionen, die wenig einbrachten. Bei Verizon dagegen waren die ArbeiterInnen entschlossen genug, zwei Wochen für ihre Ziele zu streiken und konnten einige Sachen durchsetzen - im Rahmen eines Tarifvertrags. Befreiende Erfahrungen von gemeinsamer Aktivität und eigener Stärke gab es auch in diesen Streiks nur, wo ArbeiterInnen Aktionen selbst durchführten: wo sie Streikposten organisierten, Streikbrecher attackierten... Gewerkschaften und andere Vertretungsstrukturen werden keine Antwort auf die Angriffe der Unternehmer finden können: Sie sind eingezwängt in einen gesetzlichen Rahmen (Friedenspflicht, Tarifbestimmungs-Trara). Sie spalten uns zusätzlich durch ihre berufliche und "nationalstaatliche" Begrenztheit und können aus der Profit- und Produktivitätslogik der Unternehmer nicht entfliehen (siehe zum Beispiel den Zehn-Prozent-Lohnverzicht bei HP, das Einstiegsniedriglohnmodell bei VW).

2) Dass aber auch selbstorganisierte Kämpfe von ArbeiterInnen nicht von allein zu machtvollen und aufregenden Erlebnissen werden, zeigt sich bei den Aktionen der ArbeiterInnen in Berlin. Dort war die tägliche Zusammenarbeit, aber auch ihr Zusammenhalt außerhalb der Arbeit, die Basis für die ArbeiterInnen, um gegen die Unternehmer vorzugehen. Sie organisierten Treffen, besprachen gemeinsame Aktionen... In der Konfrontation mit dem Unternehmen wurden aber defensive Maßnahmen ergriffen: Unterschriftenlisten, Betriebsratswahlen bzw. Arbeitsgerichte und Hilferufe nach gewerkschaftlicher Vertretung. Wir wissen nicht, warum es kein größeres Selbstvertrauen in die eigene Stärke gab. Sicher ist, dass trotz oder gerade wegen dieser defensiven Maßnahmen die Unternehmer ihre Macht ausspielten: In den angesprochenen Fällen konnten die Bosse die Leute entlassen, da keine entschlossene Antwort (Besetzung des Betriebs, Demos zu anderen Call Centern oder benachbarten Unternehmen...) zu erwarten war. Diese Erfahrung zeigt recht deutlich, dass Petitionen, Gesetze und Verhandlungen überhaupt nichts durchsetzen, wenn keine reale Macht der ArbeiterInnen dahintersteht - die Macht zu streiken bzw. auch mit wenigen Entschlossenen den Arbeitsablauf zu verlangsamen und so die Profite der Unternehmer in Frage zu stellen.

Diese offenen Auseinandersetzungen sind in Call Centern bisher die Ausnahme. Auf Stress mit den Bossen und der Arbeit reagieren wir meist individuell: Krankfeiern, Langsamarbeiten oder Job-Hopping machen das Leben leichter. Wir sehen uns aber mehr und mehr mit Problemen konfrontiert, die wir nicht individuell oder durch Kooperation mit dem Management (Verbesserungsvorschläge...) lösen können: Pflichtüberstunden, Einsatz von ZeitarbeiterInnen, Drohungen mit Standortverlagerung... Diese Situationen verlangen andere Maßnahmen!
Um so mehr, da die Unternehmer in vielen Call Centern mit dem Einsatz von neuen "rationalisierenden" Technologien (Sprachcomputer, Internet-Service) experimentieren. In dieser Experimentierzeit sind sie verstärkt von unserer Arbeit abhängig, weil sie bereits Kohle in die Technologien investiert haben, diese aber noch nicht profitabel laufen. Wir müssen zum Beispiel technische Mängel ausgleichen. Auf lange Sicht wird die Einführung dieser Technologien unsere Macht untergraben und zu verstärktem Arbeitsstress oder Entlassungen führen, wenn wir nicht bereits in dieser Übergangsphase offensiv dagegen vorgehen und die Unternehmerstrategien sabotieren.

Kämpfe entwickeln
Zurückschlagen können wir da, wo wir zusammenkommen und wo es weh tut. Die Zusammenarbeit mit anderen ArbeiterInnen gibt uns die Möglichkeit, uns gemeinsam gegen die diversen Übelkeiten des Arbeitsalltags zu wehren: Wir müssen uns täglich mit anderen ArbeiterInnen absprechen, um unsere Arbeit "ordentlich" erledigen zu können. Dabei haben wir Kontakt mit Leuten aus verschiedenen Abteilungen, Standorten und "Berufsfeldern". Ohne diese oft inoffizielle Zusammenarbeit würde der Laden zusammenbrechen.
Wir können diese Form der Organisierung auch umdrehen (statt Kundendaten halt Sabotagetipps und Streikinfos austauschen) und uns in gemeinsamen Aktionen gegen die Unternehmer durchsetzen. Wir brauchen hier keine "äußere" Organisierung, die uns "vertreten" soll (wie Betriebsrat oder Gewerkschaften).
Unsere Antwort auf die Krise und die Angriffe der Unternehmer kann nicht in Zurückhaltung und Verzicht liegen. Sie kann nur darin bestehen, unsere eigenen Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen und dafür zu kämpfen.

Fragen?
Wir können keine allgemeinen Vorschläge dafür liefern, wie wir aus der Defensive kommen. Aber wir können - ausgehend von den bisherigen Kämpfen - Fragen stellen, die uns dabei helfen können:
* Welche Kampfformen entsprechen unseren unmittelbaren Fähigkeiten und Bedürfnissen: gemeinsames "Arbeiten-nach-Vorschrift", andere Formen der Sabotage, offener Streik ...?
* An welchen Punkten können wir die Unternehmer empfindlich treffen: zu Zeiten langer Warte-schleifen, während Testphasen von neuen Technologien...?
* Wie können wir die Betriebsmauern überwinden, um die Versuche des Unternehmers zu untergraben, ArbeiterInnen in anderen Call Centern als StreikbrecherInnen einzusetzen?
* Wie können wir Verbindungen zu Kämpfen von ArbeiterInnen in anderen Bereichen herstellen und voneinander lernen, weil wir uns gegen ähnliche Bedingungen wehren?
* Wie können wir dies tun, ohne unser Schicksal in die Hände der Gewerkschafts- oder anderer Apparate zu legen?

Antworten finden sich nur in den Kämpfen selbst!


Streiks und andere Konflikte in Call Centern

Hier einige Berichte zu Konflikten und Streiks in der letzten Zeit. Zu einigen anderen versuchen wir noch mehr Infos zu bekommen, zum Beispiel den tageweisen Streiks von ArbeiterInnen bei Telecom Italia bzw. TIM in Italien gegen Auslagerung, unsichere Arbeitsverhältnisse und schlechte Arbeitsbedingungen und dem langen Streik von TeilzeitarbeiterInnen bei Korea Telecom (KT) in Südkorea, die sich gegen Entlassungen und die Privatisierung von Abteilungen wenden...

Citibank/Bochum
Der Streik fand 1998 im ausgelagerten Call Center der Citibank in Bochum statt. Der Grund des Streiks war die von der Unternehmensleitung angedrohte Schließung bzw. Verlagerung des Call Centers. Der Betriebsrat schaltete die Gewerkschaft ein, die den Streik mit der Forderung nach Tarifverhandlungen auf eine "legale Basis" stellte. Gestreikt wurde nur an drei Tagen über Monate verteilt. Die Unternehmensleitung engagierte StreikbrecherInnen über Leihfirmen und leitete Anrufe vom bestreikten Call Center in Bochum zum Citibank-Call Center nach Aachen. Ende Juni 1999 wurde das Call Center geschlossen. Nur fünfzig von vierhundert ArbeiterInnen bekamen einen Übernahmevertrag für das neue Call Center in Duisburg. Ähnliches passierte zeitgleich an anderen Standorten (zum Beispiel Gelsenkirchen, wo fünfhundert Citibank-ArbeiterInnen entlassen wurden). Die Schwäche des Streiks hatte verschiedene Gründe: Die ArbeiterInnen überließen mit der Forderung nach Tarifverhandlungen den Gewerkschaften die Organisation des Streiks. Da der Streik nur an einzelnen Tagen stattfand, konnte er keine Durchsetzungskraft entwickeln. Es wurde nicht geschafft, Kontakt zu ArbeiterInnen in Gelsenkirchen oder anderen Standorten aufzubauen, um gemeinsame Aktionen zu koordinieren oder Streikbruch zu verhindern. Die von der Gewerkschaft und dem Betriebsrat organisierten symbolischen Aktionen (Protestkundgebungen vor der Hauptverwaltung, Öffentlichkeitsarbeit in Fußgängerzonen), verstärkten auf Seiten der ArbeiterInnen nur das Gefühl der eigenen Ohnmacht und Passivität.

British Telecom/Britannien
Im Dezember 1999 machten ArbeiterInnen der Call Center der British Telecom (BT) im ganzen Land einen eintägigen Streik. Hauptsächlich ging es um den Einsatz von mehr ZeitarbeiterInnen, den wachsenden Arbeitsdruck, unrealistische Arbeitsvorgaben und die miese Behandlung durch die Chefs. Am Streik waren viertausend ArbeiterInnen aus 37 Call Centern beteiligt. Die ZeitarbeiterInnen nahmen nicht teil. Die KommunikationsarbeiterInnen-Gewerkschaft (CWU) rief anfangs zu drei eintägigen Streiks auf, aber nachdem die Geschäftsführung sie als Verhandlungspartner anerkannt hatte, sagte sie die letzten beiden ab. Überraschend? Der Streik hat nichts wirklich verändert. Er war zu kurz, störte den Arbeitsprozess nicht nachhaltig. Für einige BT-ArbeiterInnen war dies nicht genug. Als die Zeitarbeitsfirma Manpower im März 2000 durch Hays ersetzt wurde und sofort die Löhne gesenkt wurden, lehnten einige die neuen Verträge ab oder begannen mit einer Reihe von Sabotageaktionen, um zu zeigen, wie sie sich fühlten. So wurde zum Beispiel stundenlang die Zeitansage von Zimbabwe angerufen und "Arbeit nach Vorschrift" gemacht - was den ArbeiterInnen jede Menge Zeit für Quatschen, Geschichtenerzählen und andere Arbeitsverweigerungs-Taktiken ließ. Bei BT nehmen die prekären Jobs mit geringen Löhnen und Zeitarbeitsverträgen weiter zu. Ebenso der Arbeitsstress. Die Geschäftsführung versucht als "Zuckerbrot" eine mögliche Festanstellung einzusetzen und droht gleichzeitig mit der "Peitsche" der Entlassung. Die Frage ist, wie die Spaltung der ArbeiterInnen in Festangestellte und ZeitarbeiterInnen mit schlechteren Bedingungen auch die Fähigkeit zum gemeinsamen Kampf beeinflusst.

Audioservice/Berlin
Bei Audioservice verkaufen etwa siebzig ArbeiterInnen telefonisch Tickets, CDs, Videos... Die meisten sind StudentInnen, die nur einen Rahmenvertrag ohne feste Arbeitszeiten, ohne bezahlten Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall usw. bekommen. Im Sommer 2000 diskutierten die ArbeiterInnen, wie sie verhindern könnten, dass die sowieso schon unsicheren Rahmenverträge in "Tagelöhner-Verträge" umgewandelt werden, und wie sie am besten feste Arbeitsverträge mit bezahltem Urlaub etc. durchsetzen. Sie machten eine Unterschriftliste, die etwa dreißig ArbeiterInnen unterschrieben. Daraufhin wurden etwa die Hälfte von ihnen gekündigt. Einige haben vor dem Arbeitsgericht geklagt und zwischen 500 und 4.900 DM bekommen. Die Unterschriftenliste hat offensichtlich nur dazu geführt, dass die Geschäftsleitung die Namen der "Unzufriedenen" kannte und die dann gezielt kündigen konnte. Obwohl sich die "StudentInnen" auch außerhalb der Arbeit trafen und einen Zusammenhalt hatten, gab es offenbar nicht die Möglichkeit oder Entschlossenheit, auch hier "den Laden dicht zu machen". Unterschriften zeigen den Bossen zwar, dass was im Busch ist, sie können aber auch gleich reagieren und die Leute angreifen. Vielleicht wäre eine direkte Aktion doch sinnvoller gewesen.

Hotline GmbH/Berlin
Bei der Hotline GmbH (etwa 150 ArbeiterInnen, die meisten StudentInnen in Teilzeit) wird im Auftrag externer Kunden telefoniert (Berlikomm, Ares-Strom). Nachdem Ende letzten Jahres vierzig Leute "wegen Reduzierung eines Großauftrags" gekündigt wurden, überlegten sich einige ArbeiterInnen, wie sie dieses in Zukunft verhindern könnten. Sie bereiteten die Gründung eines Betriebsrates vor und holten sich Rat bei der IG Medien. Die Geschäftsführung bekam das mit und veranstaltete im Gegenzug eine eigene Betriebsversammlung. Dann entließ sie im Februar unter fadenscheinigen Begründungen über zwanzig ArbeiterInnen. Die bekamen Unterstützung von der Berliner Initiative Call Center Offensive und machten gemeinsam eine Demo mit etwa fünfzig Leuten vor dem Call Center. Danach liefen noch Arbeitsgerichtsprozesse (auf Wiedereinstellung), bei denen Abfindungen zwischen 500 und 4.000 DM raussprangen (die am meisten Stress gemacht hatten, bekamen am meisten). Die Bedingungen und das Arbeitstempo im Call Center wurden nach der Auseinandersetzung weiter verschärft. Außerdem begann eine "Jagd" auf die FreundInnen der Entlassenen, die noch bei Hotline arbeiteten. Da einige einer antifaschistischen Initiative nahe stehen, wollte die Geschäftsführung all jene rausschmeißen.
Verpasste Chance?! Da sich etliche ArbeiterInnen eh von außerhalb kannten, wäre es vielleicht möglich gewesen, den Laden in einer gemeinsamen Aktion zu besetzen und den "Produktionsablauf" zu unterbrechen, um Druck auf die Geschäftsführung auszuüben.

ADM/Berlin
Für ADM telefonieren in Berlin fünfhundert Leute im In- und Outbound unter anderem für die Gasag und Tele2. Die meisten sind StudentInnen. Die Bedingungen sind gekennzeichnet von "miesen Arbeitsbedingungen, nerviger Kontrolle und schlechten Löhnen" (aus einem Flugblatt). Nachdem ein Antrag von über siebzig ArbeiterInnen auf die Gewährung von bezahltem Urlaub von der Geschäftsführung abgelehnt wurde und im April 2001 über achtzig ArbeiterInnen entlassen wurden, bildeten einige ArbeiterInnen eine "Arbeitsgruppe" und schrieben ein Flugblatt, in dem sie unter anderem Kranken- und Urlaubsgeld sowie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verlangten. Leute von der Initiative Call Center Offensive machten ebenfalls ein Flugblatt, das sie im Call Center verteilten. Einige der Gekündigten klagten und bekamen zwischen 500 und 3.000 DM. Nach den Kündigungen und den Aktionen haben sich die Bedingungen weiter verschärft. Die Kontrollen am Eingang sind schärfer geworden (unter anderem mit Kameras), es wird stärker auf Pünktlichkeit geachtet... Brisant ist, dass die Gewerkschaft ver.di mit der ADM-Geschäftsführung über einen Haustarifvertrag verhandelte und sich angesichts der selbsttätigen ArbeiterInnen und dem Einmischen der Call Center Offensive in einem Brief an alle ArbeiterInnen gegen "überzogenen Aktionismus" wandte, der die "Verhandlungen negativ begleiten" würde. Klar, was nicht unter der Kontrolle von ver.di stattfindet, ist natürlich unerträglich!

Verizon/USA
Im August 2000 streikten beim Telekommunikationskonzern Verizon über 85.000 ArbeiterInnen, darunter Techniker und viele Call Center-ArbeiterInnen. Die offiziellen Streikforderungen waren höhere Löhne, weniger Pflicht-Überstunden, Verringerung der Arbeitsbelastung, Begrenzung von Auslagerung von Betriebsteilen und die Möglichkeit für die Gewerkschaften, ArbeiterInnen in der Mobilfunk- und Internetsparte zu organisieren.
Die Bedingungen in den Call Centern sind geprägt durch Schichten von zehn Stunden und mehr, vorgeschriebenen Standardformulierungen, genauer Überwachung, Pflicht-Verkaufsvorgaben, Stress durch die hohe Anzahl der Anrufe... Die Gewerkschaften der KommunikationsarbeiterInnen (CWU) und der Elektriker (IBEW) organisierte den Streik und verhandelte mit der Konzernleitung. Die setzte etwa 30.000 Angestellte als StreikbrecherInnen in der Reparatur und den Call Centern ein. Obwohl zudem die meisten Anrufe automatisch vermittelt werden, der Betrieb bei Verizon also weiterlief, konnte die Konzernleitung nicht verhindern, dass die Call Center schnell blockiert waren, Kundenanrufe nicht mehr bearbeitet werden und wichtige Reparaturen liegen blieben. Außer den Streikposten vor Hunderten Verizon-Gebäuden gab es auch eine Reihe von Sabotageaktionen an Schaltkästen und Leitungen sowie Angriffe auf Reparaturwagen, die von Streikbrechern gefahren wurden. Nach zwei Wochen lenkte die Konzernführung an vielen Punkten ein und stimmte einem neuen Tarifvertrag zu: Die Löhne wurden erhöht, Team-Prämien eingeführt, die Überstunden auf acht pro Woche reduziert, Versetzungen begrenzt und den Gewerkschaften gestattet, die Mobil- und Internet-Sparten zu organisieren. Sicher spielte hier eine Rolle, dass die Gewerkschaft bei Verizon noch sechzig Prozent der ArbeiterInnen organisierte, und bei über 85.000 Streikenden soviel Druck entstand, dass viele Forderungen durchgesetzt werden konnten.
Wie problematisch ein solches Ergebnis ist, zeigt sich im Arbeitsalltag in den Call Centern: Jetzt wird halt bei etwas mehr Lohn und mit nur 1,5 Überstunden am Tag gearbeitet, vielleicht auch mit ein paar Anrufen weniger. Aber wie sagte schon der CWU-Gewerkschafts-Präsident Morton Bahr zum Streikausgang: "Dieses Ergebnis sichert die Zukunft unser Mitglieder in dieser Firma und hilft auch Verizon, seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen". Die Maloche geht weiter.


ISI Marketing ist ein toller Laden!

Erstmal vierzig Stunden umsonst malochen ohne Arbeitsvertrag, danach für 12 DM die Stunde mit ungarantierten Prämien, Lohnkürzungen im Krankheitsfall... das soll kein "S........job" sein? So bezeichneten das jedenfalls ein paar FreundInnen, die bei ISI Marketing arbeiten gingen und ein Flugblatt gegen ihre Arbeitsbedingungen schrieben (siehe [www.motkraft.net/hotlines] unter "Flugblätter"). Die ISI-Unternehmensleitung fand das gar nicht toll. Da sie weder die betreffenden ArbeiterInnen noch die FlugblattverteilerInnen krallen und zu drei Jahren Zwangstelefonieren verdonnern konnte, bediente sie sich des bürgerlichen Gesetzes, um damit "den ArbeiterInnen das Maul zu verbieten": Sie setzte den Provider free, bei dem das hotlines-Flugblatt veröffentlicht wurde, mit einstweiligen Verfügungen unter Druck. Dabei zerrt ISI unter anderem den Begriff "S........job" aus dem Flugblatt ran und bezieht sich auf das "Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb". Kein Wort zu den Arbeitsbedingungen an sich: ISI weiß schon warum! Folge dieses juristischen Streits bisher: Der Provider free muss jede Menge Kohle für Gerichtskosten etc. locker machen und die Website wurde verlegt, um free weiteren Stress zu ersparen. Der Zensurversuch von ISI Marketing wurde von vielen unabhängigen Providern, von gewerkschaftlichen Gruppen und anderen kritisiert. Viele haben auch das Flugblatt und weitere Erklärungen zum Angriff von ISI verbreitet. Es geht hier aber nicht nur darum, das Internet offen für den freien Austausch von Infos zu halten. Es geht auch um den Kampf gegen die Arbeitsbedingungen selbst. An diesen Bedingungen können nur die Leute was ändern, die dort arbeiten müssen. Also: Falls ihr Erfahrungen mit ISI und anderen Läden habt und davon berichten wollt: Schreibt uns! (Spendenkonto für free: Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Union, Kontonummer.: 96 152 201, Postbank Hamburg, BLZ 200 100 20, Stichwort: free.

Schaut auch mal unter:
www.ainfos.ca/01/may/ainfos00353.html
www.ainfos.ca /01/may/ainfos00569.html
www.ainfos.ca/01/jun/ainfos00371.html


hotlines Nr.4: Der Serie letzte Folge

Dies ist das vierte und letzte in einer Reihe von Flugblättern: 1. zu Arbeitszeitverlängerung; 2. Arbeitsintensivierung; 3. Sinn und Unsinn der Arbeit; und hier 4. zu Kämpfen von ArbeiterInnen. Alle Flugblätter und mehr Berichte findet ihr auf der Website [www.motkraft.net/hotlines].
Zeit für eine kleine Bilanz und einen Ausblick: Als wir im Oktober 2000 mit den Flugblättern und der Website anfingen, ging es uns in erster Linie darum, die Diskussion über die Arbeitsbedingungen und Möglichkeiten von Kämpfen zu unterstützen. Wir wollten einen Austausch von Berichten aus den Call Centern anregen, Informationen zirkulieren lassen, Kontakte zu ArbeiterInnen aufbauen und weitergeben. Das hat zum Teil hingehauen.
Die Flugblätter führten zu einiger Aufregung und Diskussionen bei der Arbeit. Die ebbten aber jeweils nach ein paar Tagen wieder ab. Wir haben Emails bekommen, in denen wir zum Weitermachen aufgefordert werden, aber es gab wenig eigene Berichte (wie der einer australischen Call Center-Arbeiterin), wenig inhaltliche Diskussionsbeiträge zu den Flugblättern. Zwar bekommen wir von etlichen Leuten und Gruppen regelmäßig Infos, aber es hat sich keine größere Diskussion zu den Chancen von neuen Kämpfen entwickelt.
Dafür müssen wir - auch angesichts der wenigen offenen Auseinandersetzungen in Call Centern - über diesen Bereich hinausgehen. Wir denken, dass Call Center nicht isoliert, sondern Orte der Ausbeutung sind wie andere Büros, wie Fabriken, Baustellen oder Krankenhäuser. In Call Centern können wir von Kampferfahrungen in anderen Bereichen lernen.
Wir werden versuchen, mehr Interviews mit und Berichte von ArbeiterInnen zu bekommen, die in ihrem Betrieb oder außerhalb was machen oder an einem Streik beteiligt sind. An brisanten Punkten werden wir zudem auch weiter mit Flugblättern in die Auseinandersetzung eingreifen. Bleibt dran!

Eure hotlines [www.motkraft.net/hotlines] [hotlines@motkraft.net]


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