freundlichkeitszwang 8.2.2 hotlines-Flugblatt:
Intensivierung der Arbeit

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(Dezember 2000) Wir arbeiten in Call Centern und anderswo und machen eine Flugblattreihe. Damit wollen wir die Diskussion unter ArbeiterInnen unterstützen und voranbringen. Es geht darum, gemeinsam gegen Arbeitshetze und Arbeitszwang vorzugehen. Das können wir nur, wenn wir uns selber organisieren und mit anderen ArbeiterInnen Mittel und Wege finden, auf Maßnahmen der Geschäftsleitungen zu reagieren und eigene Interessen durchzusetzen. Unsere Stärke liegt darin, dass wir uns mit anderen ArbeiterInnen schnell und direkt absprechen können und zum Beispiel Überstunden verweigern, Arbeitsanweisungen ignorieren oder den Anruf-Akkord runtersetzen. Ohne dass die Chefs darauf vorbereitet sind und ohne Vermittlung und Kontrolle durch Betriebsrat und Gewerkschaften. Wenn wir diese Stärke entwickeln und einsetzen, kann das ein Schritt sein, die Lohnsklaverei insgesamt zu überwinden.

Alle Flugblätter werden auf dieser Website zusammen mit weiteren Infos und Beiträgen dokumentiert: [www.motkraft.net/hotlines]. Beteiligt euch an der Diskussion und schickt uns Anregungen, Kritik oder Berichte: [hotlines@motkraft.net]

Es ist einiges passiert, seitdem wir ab Oktober das erste hotlines-Flugblatt (zu Arbeitszeitverlängerungen in Call Centern) verteilt haben. Bei Medion/Mülheim haben wir eins zu den geplanten Betriebsratswahlen nachgeschoben, ebenso bei Quelle/Essen zu den Standardformulierungen. FreundInnen haben in Italien ebenfalls ein Flugblatt zu Call Centern verteilt. Dies und einige Diskussionsbeiträge findet ihr auf der Website. Wir bleiben dran.


Rauchende Calls - Über die Intensivierung der Arbeit

Kaum bei der Arbeit, Rechner gestartet, Programme aufgerufen, in die Telefonanlage eingeloggt, kommt die Teamleiterin vorbei: "Ich habe hier die Statistiken von gestern. Du hast schon wieder die Pause um eine Minute und 25 Sekunden überzogen!" Ich wünsche ihr schon die Pest an den Hals, aber sie kommt erst in Fahrt: "Außerdem sind deine Nacharbeitszeiten um 10 Prozent länger als bei den anderen. Und du hast auch den Schnitt von 20 Anrufen in der Stunde nicht eingehalten. Also fällt bei dir wieder die Prämie weg." Ich schau sie so gelangweilt wie möglich an. Wenn sie doch nur schnell wieder gehen würde, damit ich mir einen Kaffee holen kann. Aber dann kommt es: "Wir werden dir ein bisschen unter die Arme greifen. Morgen hört sich der Trainer mal einige von deinen Gesprächen an. Der kann dir wichtige Hinweise geben!" Der Trainer, na prima. Der mäkelt wieder rum, wenn du kein "Lächeln in der Stimme" hast und verbotene Wörter wie "Problem" benutzt. Und dann schleimt er, was für "gute Ansätze" du doch hättest, da aber noch "Raum für Verbesserungen" sei...
Im ersten Flugblatt ging es um die Versuche der Call Center-Unternehmer, den Arbeitstag in die Länge zu ziehen. Hier nun was zu den Versuchen, uns möglichst pausenlos und "effektiv" an der Strippe zu halten.

Arbeitsteilung
Bei der Arbeit haben wir zwei Arten von Stress: Entweder sie ist monoton, weil wir in einem Takt immer wieder denselben Kram machen müssen; oder es wird hektisch, weil wir immer mehr Aufgaben aufgedrückt kriegen. Hinter beiden Arten von Stress steht der Versuch der Unternehmer, die Arbeit möglichst produktiv bzw. profitabel zu machen. Dafür teilt er den Arbeitsprozess und lässt die ArbeiterInnen jeweils nur einzelne Arbeitsschritte ausführen. Mittels Stoppuhr und Beobachtung der ArbeiterInnen werden die einzelnen Arbeitsschritte genau analysiert und in vorgegebene Arbeitsabläufe eingepasst. Im Call Center zum Beispiel als Gesprächsablaufvorgabe, Standardformulierung bei Begrüßung und anderes mehr (siehe Bericht zu Quelle). Damit soll unsere Arbeit messbar und vergleichbar werden. Das ist Voraussetzung für die Festlegung und Erhöhung eines bestimmten Anrufakkords (zum Beispiel 20 Anrufe/Stunde). Was aber für den Unternehmer die Produktivität erhöhen und mehr Profit bringen soll (mehr Anrufe durch weniger ArbeiterInnen), bedeutet für uns oft doppelt und dreifache Arbeit. Bei der Aufsplitterung der Arbeit in einzelne Schritte, Zuständigkeiten, Kompetenzen usw. blickt niemand mehr durch. Im Inbound-Call Center zum Beispiel werden Anrufe von einer Abteilung in die andere und zurück gestellt, Informationen sind nicht zu bekommen... Wir müssen das ausgleichen, indem wir offizielle Zuständigkeiten ignorieren.
Aber warum teilen die Unternehmer die Arbeit in dieser Form, auch wenn das eine reibungslose, sprich produktive Zusammenarbeit behindern kann? Weil sie keine andere Möglichkeit sehen, wie sie uns trennen, kontrollieren und zur Arbeit anhalten können. Aus diesem Grund verweigern sie uns auch bestimmte Informationen und Aufgaben wie Planung und Koordination, was täglich zu "Chaos" und Mehrarbeit führt. Dieser Widerspruch wird sich nicht lösen lassen: Solange es Chefs gibt, werden sie versuchen, uns von ihren "Informationen" und ihrer "Organisation" abhängig zu machen.

Maschinen
Auch den Einsatz der Maschinen entscheiden die Unternehmer danach, wie sie die Arbeit intensivieren und uns gleichzeitig kontrollieren können. Die Verbindung von Computer- und Telefonanlage ermöglicht einen höheren Anruftakt und eine genauere Kontrolle der ArbeiterInnen (über Statistiken zur Anrufzahl, Pausenzeiten...).
Die Computer-Software erlaubt uns nur bestimmte Arbeitsschritte und gibt oft auch deren Reihenfolge genau vor. Die Anrufe werden automatisch auf unsere Telefone gestellt (Automatic Call Distribution, ACD), zum Teil sogar ohne Abnehmen direkt auf den Kopfhörer (direct-to-ear). Dadurch soll uns die Kontrolle über die Zahl der angenommenen Anrufe genommen werden. Im Outbound wird oft nach dem Auflegen vom Computer gleich der nächste Anruf gemacht, sodass wir keine Verschnaufpause haben (power dialer).
Die eingesetzte Maschinerie zeigt auch, wie absurd die Arbeit - und die gesamte Gesellschaft - organisiert ist. Solange wir bei einer bestimmten Arbeit billiger sind als Maschinen, müssen wir sie machen - auch wenn sie noch so stupide ist. Wenn die Maschinen sie billiger machen (zum Beispiel ein Sprachcomputer zur Annahme von Calls:
Interactive Voice Response, IVR), fliegen welche von uns raus und müssen sich einen anderen Job suchen. Für die übrigen ArbeiterInnen, die im Betrieb bleiben, bedeutet das oft, dass sie mehr arbeiten müssen, weil sie mehr Aufgaben übernehmen und die Fehler der Maschinen ausgleichen sollen. Die Möglichkeit, langweilige, stressige oder unangenehme Maloche durch Maschinen zu ersetzen, führt hier also nicht etwa dazu, dass wir mehr Zeit für die angenehmen Dinge des Lebens haben, sondern ist mit mehr und intensiverer Arbeit verbunden!

Team-Leiter
Um uns ans Arbeiten zu bringen und die Intensivierung der Arbeit durchzusetzen, werden uns Teamleiter, Supervisoren usw. vorgesetzt. Diese kontrollieren, ob wir genug Anrufe pro Stunde entgegennehmen, wie lange wir Pause machen, ob wir die Qualitätsanforderungen einhalten... Damit wir sie nicht nur als Aufpasser und Spione sehen, bekommen sie neben ihren Kontrollaufgaben oft noch andere Kompetenzen in der Organisation, Informationsbeschaffung... Wir sollen darauf angewiesen sein, sie anzusprechen, wenn was nicht klappt oder wir was brauchen - und gleichzeitig drücken sie uns Anrufstatistiken rein.
Die Teamleiter sammeln so Informationen über den Arbeitsprozess und geben die an die Geschäftsleitung weiter. Diese benutzt die Informationen, um die Arbeit weiter zu intensivieren. Die Teamleiter spielen als erste "Ansprechpartner" aber auch die Rolle eines Puffers: Wenn es Probleme gibt, uns was stinkt, sollen wir das am Teamleiter auslassen, statt gleich die Geschäftsleitung anzugreifen. Konflikte sollen so klein gehalten und begrenzt werden. Die Teamleiter sollen den Willen der Geschäftsleitung gegen uns durchsetzen. Je nachdem, welche Konflikte es gibt und was sie darin erreichen wollen, verhalten sie sich unterschiedlich: eher "kumpelhaft", was besonders die können, die vorher selber an den Telefonen gearbeitet haben; die lassen sich duzen und kümmern sich angeblich um die Klärung aller Probleme; oder "distanziert" und autoritär, wozu oft Teamleiter von außen eingestellt werden; die halten Abstand und ziehen offen Maßnahmen gegen uns ArbeiterInnen durch (siehe Bericht zur Deutschen Bank 24).
In Konflikten müssen wir uns gegen die Teamleiter durchsetzen. Weil sie die unmittelbaren Vorgesetzten sind, stehen sie in der Schusslinie. Eigentlich geht es aber nicht um die Teamleiter, sondern gegen den Arbeitsstress und Arbeitszwang insgesamt!

Team-Arbeit
In den meisten Call Centern werden die ArbeiterInnen in Teams eingeteilt. Zum Teil läuft das über die Qualifikation (Sprache, technische Spezialisierung). Meist werden die Teams aber nur gebildet, um aus der Masse der ArbeiterInnen kleinere, leichter zu kontrollierende Einheiten zu machen. Dann kann die Geschäftsleitung einfacher Maßnahmen zur Arbeitsintensivierung durchsetzen. Durch die Teams sollen zudem die Konflikte kanalisiert und möglichst unter den Teppich gekehrt werden. Statt auf den Teamsitzungen unter uns zu diskutieren und dann was durchzusetzen, dürfen wir bei Kaffee und Kuchen mal richtig auskotzen und sollen denken, dass sich dann gekümmert wird. Wir sollen uns als Teil des Teams fühlen. Mit Team-Prämien, die nur ausbezahlt werden, wenn das ganze Team eine Zielvorgabe erreicht, und dem Wink mit Statistiken versuchen die Unternehmer, uns gegeneinander auszuspielen (siehe die Berichte zu TAS, HP...). Wir sollen uns gegenseitig kontrollieren und zur Arbeit anhalten. Wenn die Prämien nicht reichen, uns zur intensiveren Arbeiten zu bringen, drohen sie halt mit Kündigung oder Schließung des Call Centers. Wir sollen uns als Konkurrenten anderer ArbeiterInnen, Teams, Abteilungen, Standorte oder Unternehmen sehen. Aber wo führt diese Konkurrenz hin? Wenn wir uns gegenseitig unterbieten und billiger machen, verlieren letztendlich alle ArbeiterInnen!

Schluss!
Nur weil wir als ArbeiterInnen momentan keine andere Alternative haben, als unsere Arbeitskraft für Lohn zu verkaufen, müssen wir Arbeit und Arbeitsbedingungen noch lange nicht als schicksalsmäßig schlucken. Wenn wir auf einige Handgriffe bzw. Satzformeln beschränkt werden und uns dem Maschinentakt oder der Anweisung der Teamleiter unterwerfen sollen, dann steht dahinter ein Interesse: Wir sollen mehr und intensiver malochen für die, die davon profitieren. Das ist kein natürlicher Prozess, sondern eine verdammt beschissene Art und Weise, unsere Lebensgrundlage zu produzieren!
Es gilt, aus den verstreuten Call Centern, Fabriken und Krankenhausfluren zusammen dahin zu kommen, dem ein Ende zu bereiten. Den Anfang müssen wir dort machen, wo wir täglich zusammenarbeiten und mit dem Interesse der Unternehmer konfrontiert werden. Wir finden zwar viele "kleine" Wege, um der Arbeit und ihrer Intensivierung zu entgehen - die verlängerte Mittagspause, Langsamarbeiten, das Stumm-Stellen des Telefons, Krankfeiern oder den provozierten Computerabsturz... Wenn wir all das nicht täten, wäre die Arbeit unerträglich, und wir könnten sie nicht lange machen. Aber eine wirkliche Stärke und ein gegenseitiges Vertrauen kann nur in der gemeinsamen Aktion entstehen. Diese muss nicht unbedingt in direkter Konfrontation bestehen, wie das folgende Beispiel zeigt: Bei Hewlett Packard gab es eine Anweisung, dass ArbeiterInnen andere Agents, die gerade nicht telefonieren, darauf aufmerksam machen sollten, die Anrufe in der Warteschleife anzunehmen. Darüber haben sich die ArbeiterInnen lustig gemacht und die Anweisung ignoriert. Sie wollten sich nicht gegenseitig bespitzeln und zur Arbeit antreiben!

Gemeinsam gegen den Arbeitsstress!


Quelle/Essen
Ich arbeite bei Quelle und merke jeden Tag, wie sie versuchen, unsere 8 Stunden dort so intensiv wie möglich zu gestalten. Zum einen haben sie bei uns die Standardformulierungen ab Juli 2000 eingeführt und achten darauf, dass sie auch von uns wortwörtlich angewendet werden. [Siehe hotlines-Flugblatt dazu auf der Website]. Nicht nur, dass wir externe Kontrollanrufe erhalten, nein, intern aus unserem Call Center rufen sie uns an und testen, ob wir die auch hundert Prozent bringen. Dies wird gruppenweise ausgewertet und jeden Tag mit einer Statistik vor unser Nase dokumentiert. Dass wir uns wie Tonbänder vorkommen, interessiert keinen. Und wir sollen auch noch gute Qualität bieten, sollen uns Zeit für die Kunden nehmen, eine gute Gesprächsatmosphäre schaffen, auf Kundenfragen eingehen und das berühmte Lächeln in der Stimme rüberbringen. Nach diesen Kriterien bewerten uns die externen Qualitätsbeauftragten. Also: Wir sollen die Standards anwenden, "Topqualität" bieten (wie unsere Chefin immer betont) und unseren Schnitt von 22 Anrufen in der Stunde schaffen. Wie soll sich hier keine/r stressen?

Medion/Mülheim
Das erste hotlines-Flugblatt hat bei Medion große Wellen geschlagen. Im ganzen Betrieb haben die ArbeiterInnen angefangen miteinander zu diskutieren, vor allem auch Leute, die sich vorher gar nicht kannten. Ein paar Tage später hat die Gewerkschaft hbv eine Einladung zu einer Versammlung zur Vorbereitung der Betriebsratswahl verteilt. Daraufhin gab es eine Sondernummer von hotlines. Die hat darauf hingewiesen, dass die ArbeiterInnen sich keine Illusionen über Betriebsräte machen sollen [hotlines-Flugblatt siehe Website]. Die Meinungen über die Notwendigkeit eines Betriebsrates gehen unter den ArbeiterInnen weit auseinander. Im Moment hört man wenig davon. Wahrscheinlich laufen gerade die bürokratischen Vorbereitungen. Die Diskussionen darüber sind momentan verebbt. Zur Zeit verkauft Medion wieder Rechner und andere Geräte bei Aldi. Für die ArbeiterInnen bedeutet das wieder Sonderschichten. Aber anders als beim letzten Mal hat die Geschäftsleitung eine weniger strenge Regelung vorgenommen: Die Sonderschichten sind auf vier Wochen begrenzt (statt sechs), gearbeitet wird maximal sieben Tage am Stück, statt dreizehn (!) und auch "nur" acht, statt neun Stunden täglich. Zudem schaltet sich die Telefonanlage alle paar Minuten aus, sodass die Vorhotline immer eine bestimmte Anzahl Kunden abfertigt und dann ein paar Sekunden Pause hat. Hätte die Geschäftsleitung die Sonderschichten diesmal nicht etwas lockerer geregelt, hätte sie wohl einiges riskiert.

Deutsche Bank 24/Bonn
Bei der Deutschen Bank 24 in Bonn arbeiten etwa 15 bis 20 Prozent Vollzeit, der Rest Teilzeit, vor allem StudentInnen und Alleinerziehende. Die Löhne für Agents liegen bei 19 DM pro Stunde und dann gestaffelt bei bis zu 23,50 DM. Nach der Fusion von Deutscher Bank und Bank 24 wurden etliche Abteilungen neu organisiert, wobei die Agents mehr Aufgaben zugewiesen bekamen... ohne Lohnerhöhung! Der "Kontenservice" (Überweisungen...) wurde zum "Konten- und Depotservice". Die Agents müssen nun auch Wertpapiergeschäfte abwickeln, wenn die Wertpapierabteilung überlastet ist. Später kamen noch Aufgaben wie Kredite, Kreditkarten etc. dazu. Die dafür zuständige Abteilung ("Banking Service") wurde aufgelöst. Außerdem müssen die Agents im "Konten- und Depotservice" nun auch den Überlauf des "Online-Service" (Fragen zum Online-Banking) bearbeiten. Das alles ohne richtige Schulung. Etliche ArbeiterInnen haben Aufgaben verweigert und die Anrufe weiter in andere Abteilungen gestellt, wo das möglich ist. Druck gibt es über die Qualitätskontrolle. Einmal im Monat hört ein "Coach" Gespräche mit und beurteilt die "fachliche Kompetenz". Ebenfalls einmal im Monat hört ein "Supervisor" rein, wo es um die sprachliche Kompetenz geht: Der erzählt dir dann, dass du zu viele Negativausdrücke benutzt, Konjunktivformen vermeiden musst und dass die WPAs fehlen (Worte persönlicher Anerkennung, zum Beispiel "Das haben sie gut gemacht"). Das "Supervising" entscheidet, ob ein Agent in der Lohnstaffel höher eingestuft wird. Wenn der Supervisor dich nicht mag... Pech gehabt! Statistiken über Gesprächsanzahl, -dauer, Nachbearbeitungszeit, Pausenzeit usw. bekommen vor allem die im "Konten- und Depotservice". Mit Hinweisen darauf, dass die Nachbearbeitung zu lange dauert und mensch die Pausen dreimal um 25 Sekunden überzogen hat! Nach der Fusion wurde auch die Sitzordnung geändert. Vorher gab es offene Räume mit Tischen ohne Zwischenwände und freier Platzwahl. So haben sich die befreundeten ArbeiterInnen zusammengefunden und konnten miteinander quatschen. Dann wurden Vierergruppentische reingestellt mit Zwischenwänden, und die Agents mussten zusammen mit ihren willkürlich zusammengestellten Teams sitzen. Offensichtlich sollte vermieden werden, dass die ArbeiterInnen Spaß zusammen haben. Diese nehmen die Zwischenwände immer wieder raus... und nachts werden sie von irgendwem wieder eingesetzt. Als Vollzeiter hält niemand den Job länger als zwei oder drei Jahre durch. Entweder hört mensch dann auf oder wird Teamleiter. Jetzt werden die Vollzeit-Agents aber nicht mehr als Teamleiter genommen. Die kommen nun von außen. Bisher wurden auch die Teamleiter geduzt, jetzt bestehen mehr und mehr drauf, gesiezt zu werden. Offensichtlich gilt es, das kulantere Regime aus alten Bank 24-Tagen durch ein neues, härteres zu ersetzen. So wie die Arbeit organisiert ist, mit vielen Calls, direkt aufs Headset, mit wenigen, klar definierten Arbeitsschritten, mit vorgeschriebener Wortwahl und genauer Reglementierung sind die Agents eigentlich nur die zweitbeste Lösung. Eine Maschine könnte das besser. Du wirst funktionalisiert, du bist ein Faktor in der Statistik. Du wirst kontrolliert und es gibt Druck, wenn du angeblich zu langsam bist.

TAS
Ich arbeite bei der TAS. Wir telefonieren Out- und Inboundprojekte für Unternehmen, welche die TAS beauftragt haben, und bekommen 15 DM plus Bonus. Der Bonus wird errechnet durch Quote (Calls/Stunde, Gesprächsziele, zum Beispiel Infoversand, Termin) und Qualität (wie telefonierst du überhaupt). Die Tages-, Wochen- und Monats-Quoten jedes einzelnen Agents hängen täglich aus, damit sich jeder über seinen Leistungsstand und den der anderen informieren kann. Durch monatliche Bandanalysen und training on the job (ein Qualitätsmanager sitzt hinter dir und hört sich deine Gespräche live an) wird kontrolliert, ob du auch wirklich "qualitativ hochwertig" telefonierst und den Bonus verdient hast. Auch hier ist öffentlich, wer die "Qualität" bekommen hat und wer nicht. Der gesamte Bonus wird pro Team ausgerechnet, das heißt du arbeitest nicht für deinen eigenen Bonus, sondern für das Team, was positiv formuliert eine zusätzliche Motivation erzeugen, de facto aber zu gegenseitiger Antreiberei führen soll. Moderne Technik hab Dank, dass wir die Quoten nicht nur immer im Kopf haben - nein, sie stehen uns permanent vor Augen mittels eines kleinen Feldes in unserer Maske. So wird jeden Tag "Spiel mir das Lied von der Quote" neu geschrieben, mal als rabenschwarzer Blues, wenn du beim Telefonieren so rein gar nichts reißt und deine Quoten im Keller verschwinden siehst, mal als Happy-Agent-Mucke. Irgendwie finden sich alle damit ab, es gehört halt dazu. Wenn es nicht so richtig läuft, versuchen die Teamleiter, Trainer und Qualitätsmanager durch Schulungen und Workshops alles wieder in die Bahnen der Unternehmensleitung zu lenken. Die meisten Agents machen auch gerne jede angebotene Maßnahme mit. Wie heißt es so schön: Bloß nicht telefonieren! Doch ist es erschreckend, wie dieses "Jetzt redet mal ganz offen über Eure Probleme"-Gesäusel dazu führt, dass Agents die Tricks anderer verraten, wie diese sich die Arbeit erleichtern. Obwohl uns vieles annervt, was sich durch keine Teamsitzung der Welt ändern lässt, kriegen wir unsere Schnauze meist nur am Telefon auf. Das liegt daran, wie Quote, Kontrolle und Co. von der Unternehmensleitung gerechtfertigt werden: "...sonst könnten wir den Kunden und Ihr Eure Arbeitsplätze verlieren". Die Rollenverteilung ist klar: der verständnisvolle Arbeitgeber und der nörgelnde Kunde. Doch wen interessiert's?

Hewlett Packard/Amsterdam
Hewlett Packard (HP) hat für Europa ein zentrales Call Center in Amsterdam. In etlichen europäischen Ländern gibt es noch kleinere Call Center, zum Beispiel in Ratingen. Den Support für die billigeren und älteren Modelle hat HP in externe Call Center ausgelagert, unter anderem zu Sykes, Stream und Sitel. In Amsterdam arbeiten circa sechshundert Leute, etwa ein Drittel an den Telefonen. HP stellt die Agents alle erstmal für zwei Jahre über eine Zeitarbeitsfirma ein (Kellys, Randstad, Content). Der Lohn liegt für Neueingestellte bei 22,50 Gulden (20 DM) brutto pro Stunde. Die Agents von Sykes kriegen etwa 16,50 Gulden (15 DM). Hewlett Packard kalkuliert regelmäßig das Supportkonzept wieder durch und verändert es ständig. Call Center-Bereiche werden neu organisiert, in andere Länder verlegt oder in andere Firmen ausgelagert. In den Verträgen der Agents steht, dass sie in dem Fall, dass der Bereich verlagert wird, mit umziehen müssen oder der Vertrag erlischt. In Amsterdam sind die Abteilungen nach Produkten und Sprachen geteilt. Bei den meisten Anrufen geht es darum, dass ein Gerät nicht funktioniert und die Leute Beratung und Hilfe brauchen. Die Zahl der Anrufe variiert etwa zwischen zwanzig und vierzig am Tag. Der erste Level (Anrufannahme, Gerätefeststellung und Durchstellen in die Fachabteilung) wurde in externe Call Center ausgelagert. Für deutschsprachige Anrufer macht das zum Beispiel Sykes in Wilhelmshafen.
Die Telefon-ArbeiterInnen bei HP in Amsterdam sind meist zwischen zwanzig und vierzig Jahre alt. Der Anteil der AusländerInnen liegt bei achtzig bis neunzig Prozent. Viele sehen den Job als Zwischenstation. Sie wollen eine Zeit in Amsterdam wohnen, was über Computer lernen und die Arbeitsbescheinigung einer renommierten Firma kriegen. Die Arbeit ist aber meist langweilig. Die Kunden sind genervt, weil die Geräte nicht laufen, und nölen einen voll. Manche Agents hören auf, weil sie dieses Mülleimer-Dasein nicht ertragen. Andere versuchen, möglichst wenige Anrufe zu kriegen. Die Geschäftsleitung von HP reagiert darauf, indem sie die Kontrollen verschärft und den Leuten mehr Aufgaben gibt (zum Beispiel weitere Produkte, weitere Sprachen). In manchen Abteilungen werden jeden Tag genaue Statistiken über die Zahl der Anrufe, Pausen, Nacharbeit usw. ausgehängt. Zuweilen rennen die Teamleiter rum und reiben Leuten ihre angeblich schlechten Statistiken unter die Nase. Ständig wird über die Qualität gesprochen, was besonders absurd ist, weil HP die Agents nur nach deren Sprachkenntnissen einstellt. Nach etwa drei Wochen Schulung sollen sie dann technische Fragen zu den Geräten beantworten.

Citibank/Duisburg
Die Geschäftsleitung der Citibank plant, einen Sprachcomputer (IVR) einzusetzen. Dieser soll unter anderem Überweisungen entgegennehmen und Kontostände ansagen, was bisher von den ArbeiterInnen des Citiphone-Call Centers in Duisburg gemacht wurde. In der frei werdenden Zeit sollen die ArbeiterInnen den KundInnen am Telefon Kredite und Versicherungen verkaufen. Dazu wird eine neue Software eingeführt, mit der die Call Center-ArbeiterInnen die Konten so umfassend bearbeiten können, wie das bisher nur in den Zweigstellen möglich war. Darüber hinaus sollen die ArbeiterInnen im Branchphone (auch in Duisburg) ab Februar die Anrufe für alle Zweigstellen bearbeiten. Den meisten kommen diese Veränderungen ihrer Arbeitsbedingungen zunächst gelegen. Im Call Center wird die Arbeit dadurch abwechslungsreicher und verlangt mehr Verantwortung. Es muss mehr als bisher am Telefon entschieden werden, zum Beispiel ob ein Kunde kreditwürdig ist oder nicht. Und in den Zweigstellen werden die Anrufe reduziert, bei denen es bloß um Organisatorisches geht, wie die Vereinbarung eines Termins. Aber die Veränderungen sind Teil der Rationalisierung. Citibank organisiert die Abteilungen und Zweigstellen neu, um die ArbeiterInnen gegeneinander ausspielen zu können. Wir im Call Center sollen die Arbeit der Zweigstellen übernehmen - zu schlechteren Bedingungen! Und die Geschäftsleitung will sie weiter verschlechtern: Bisher wurden im Call Center viele AnruferInnen in andere Abteilungen weitergeleitet. Dabei sind oft Pausen angefallen, welche die Teamleiter nicht kontrollieren können. Das soll jetzt geändert werden. Wir sollen Anrufe nicht mehr einfach schnell abfertigen oder weiterstellen. Durch die Ausweitung des Call Centers werden in den Zweigstellen die Aufgaben der ArbeiterInnen weiter reduziert. Der Großteil des Arbeitstages besteht dort schon darin, Versicherungen und Kredite zu verkaufen. Für jede ArbeiterIn wird dabei die Arbeitsleistung gemessen, um sie besser unter Druck setzen zu können. Geschäftsleitung und Teamleiter wollen uns diese ganzen Veränderungen als Verbesserung verkaufen. In Wirklichkeit wollen sie uns dadurch gegeneinander ausspielen, besser kontrollieren und produktiver arbeiten lassen.


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