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Eine anonyme Telefonistin:
Arbeiten in einem Call Center im dritten Jahrtausend, ohne Rechte

Ich bin 40 Jahre, verheiratet und habe zwei Töchter. Seit fünf Jahren arbeite ich bei Atesia - Telecom-Gruppe (1) - als Call Center-Agent. Ich bin "telefonische Beraterin", eine Bezeichnung, unter der man sich wer weiss was Tolles vorstellen soll. Tatsächlich lebe ich in absoluter Unsicherheit.
Die Firma gibt mir einen Vertrag für zwei bis drei Monate und jedesmal, wenn er ausläuft, sagt mir keiner, ob er erneuert wird. Das macht der Computer. Der letzte Vertrag lief am 31. März aus. Das bedeutet, am 30. März schalte ich den Monitor an und eine Nachricht erscheint, die mir sagt, dass ich einen neuen Vertrag für den 1. April bis 30. Juni habe. Meine Kolleginnen haben ihre Computer alle bis zum späten Vormittag des 31. angeschaltet. Einige von ihnen haben keine Nachricht bekommen. Es ist das Chaos.
Der einzige Bezugspunkt ist die Gewerkschaft, denn die Chefs können dir nicht sagen, aus welchem Grund du keine Verlängerung bekommst. Die Fluktuation ist sehr hoch, bei ca. 60 Prozent, mit einem Pool von 3000 bis 4000, auf die sie zurückgreifen können. Der Job ist nie garantiert: Es gibt keine richtigen Angestellten. Wir sind eine Art Menge von Leuten, von denen jeder hoffen muß, den Job zu kriegen, bevor er an andere gegeben wird. Deshalb fordern wir von der Firma, eine bestimmte Zahl fest einzustellen und die alten Agents bei den Verlängerungen zu bevorzugen.
Auch die Löhne sind nie sicher. Es gibt dort kein minimales Festeinkommen. In manchen Monaten verdiene ich 400.000 Lire (2) in anderen - aber das ist ein "Wunder", das nur eintritt, wenn mehr Leute anrufen und viele Agents in Urlaub sind - auch vier Millionen. Am Ende des Jahres setze ich maximal 18 Millionen netto um. Ja, ich sage "umsetzen", weil die Firma uns seit Ende Dezember als "Selbständige" ansieht, mit allen Konsequenzen wie Zahlung von Mehrwertsteuer. Und uns wurde aufgezwungen, den Arbeitsplatz für 1500 Lire pro Stunde zu mieten. Das müssen wir zahlen - ohne eine Lire zu verdienen - auch wenn wir für drei bis vier Tage krank waren.
Der gewerkschaftliche Kampf hat uns eine "Qualitätsverbesserung" gestattet, indem wir von Selbständigen zu "dauerhaften, koordinierten Mitarbeitern" (3) wurden. Aber wir werden immer "auf Provisionsbasis" (4) bezahlt, das bedeutet nach Anrufen. Wenn die Kampagne, die von der Telecom-Gruppe lanciert wurde, scheitern sollte, dann durch die Agents, die unglücklicherweise dieser Firma zugewiesen wurden.
Ein weiteres Anliegen, das wir haben, ist dass wir bis zu 18.000 Lire pro Stunde bekommen wollen, 70 Prozent als Festlohn, den Rest als "Provision".
Um das abzuschliessen: Nachmittags muss ich noch für den Vertrieb von Ferrarelle telefonieren und so habe ich weitere 600.000 Lire im Monat. Damit kann ich insgesamt auch zehn Stunden am Tag arbeiten, fünf bis sechs Tage die Woche, und habe am Ende des Monats kaum eine Million Lire. Und deswegen erkennt mich die Gesellschaft trotz aller meiner Bemühungen nicht als Arbeiterin an. Die Banken verweigern mir jedes Darlehen, auch das kleinste.
Mein Ehemann arbeitet in einem Supermarkt und sein fester Lohn erlaubt uns relativ unbeschwert zu sein. Aber wenn wir beide im Call Center arbeiteten, wie sollten wir eine Zukunft aufbauen?

(aus "il manifesto", 1. Mai 2001))

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Anmerkungen:
(1) Telecom Italia
(2) 1000 Lire = 1 DM
(3) collaboratori coordinati e continuativi
(4) contratto utile


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