Es ist einiges passiert, seitdem wir ab Oktober das erste hotlines-Flugblatt (zu Arbeitszeitverlaengerungen in Call Centern) verteilt haben. Bei Medion/Muelheim haben wir eins zu den geplanten Betriebsratswahlen nachgeschoben, ebenso bei Quelle/Essen zu den Standardformulierungen. FreundInnen haben in Italien ebenfalls ein Flugblatt zu Call Centern verteilt. Dies und einige Diskussionsbeitraege findet ihr auf der Website. Wir bleiben dran.
Im ersten Flugblatt ging es um die Versuche der Call Center-Unternehmer, den Arbeitstag in die Laenge zu ziehen. Hier nun was zu den Versuchen, uns moeglichst pausenlos und "effektiv" an der Strippe zu halten.
Arbeitsteilung
Bei der Arbeit haben wir zwei Arten von Stress: entweder sie ist monoton, weil wir in einem Takt immer wieder denselben Kram machen muessen; oder es wird hektisch, weil wir immer mehr Aufgaben aufgedrueckt kriegen. Hinter beiden Arten von Stress steht der Versuch der Unternehmer, die Arbeit moeglichst produktiv bzw. profitabel zu machen. Dafuer teilt er den Arbeitsprozess und laesst die ArbeiterInnen jeweils nur einzelne Arbeitsschritte ausfuehren. Mittels Stoppuhr und Beobachtung der ArbeiterInnen werden die einzelnen Arbeitsschritte genau analysiert und in vorgegebene Arbeitsablaeufe eingepasst. Im Call Center z.B. als Gespraechsablaufvorgabe, Standardformulierung bei Begruessung, u.a.m. (siehe Bericht zu Quelle). Damit soll unsere Arbeit messbar und vergleichbar werden. Das ist Voraussetzung fuer die Festlegung und Erhoehung eines bestimmten Anrufakkords (z.B. 20 Anrufe/Stunde).
Was aber fuer den Unternehmer die Produktivitaet erhoehen und mehr Profit bringen soll (mehr Anrufe durch weniger ArbeiterInnen), bedeutet fuer uns oft doppelt und dreifache Arbeit. Bei der Aufsplitterung der Arbeit in einzelne Schritte, Zustaendigkeiten, Kompetenzen, usw. blickt niemand mehr durch. Im Inbound-Call Center z.B. werden Anrufe von einer Abteilung in die andere und zurueck gestellt, Informationen sind nicht zu bekommen... Wir muessen das ausgleichen, indem wir offizielle Zustaendigkeiten ignorieren.
Aber warum teilen die Unternehmer die Arbeit in dieser Form, auch wenn das eine reibungslose, sprich produktive Zusammenarbeit behindern kann? Weil sie keine andere Moeglichkeit sehen, wie sie uns trennen, kontrollieren und zur Arbeit anhalten koennen. Aus diesem Grund verweigern sie uns auch bestimmte Informationen und Aufgaben wie Planung und Koordination, was taeglich zu "Chaos" und Mehrarbeit fuehrt. Dieser Widerspruch wird sich nicht loesen lassen: solange es Chefs gibt, werden sie versuchen, uns von ihren "Informationen" und ihrer "Organisation" abhaengig zu machen.
Maschinen
Auch den Einsatz der Maschinen entscheiden die Unternehmer danach, wie sie die Arbeit intensivieren und uns gleichzeitig kontrollieren koennen. Die Verbindung von Computer- und Telefonanlage ermoeglicht einen hoeheren Anruftakt und eine genauere Kontrolle der ArbeiterInnen (ueber Statistiken zur Anrufzahl, Pausenzeiten, usw.).
Die Computer-Software erlaubt uns nur bestimmte Arbeitsschritte und gibt oft auch deren Reihenfolge genau vor. Die Anrufe werden automatisch auf unsere Telefone gestellt ("Automatic Call Distribution, ACD"), zum Teil sogar ohne Abnehmen direkt auf den Kopfhoerer ("direct-to-ear"). Dadurch soll uns die Kontrolle ueber die Zahl der angenommenen Anrufe genommen werden. Im Outbound wird oft nach dem Auflegen vom Computer gleich der naechste Anruf gemacht, sodass wir keine Verschnaufpause haben ("power dialer").
Die eingesetzte Maschinerie zeigt auch, wie absurd die Arbeit - und die gesamte Gesellschaft - organisiert ist. Solange wir bei einer bestimmten Arbeit billiger sind als Maschinen, muessen wir sie machen - auch wenn sie noch so stupide ist. Wenn die Maschinen sie billiger machen (z.B. ein Sprachcomputer zur Annahme von Calls: "Interactive Voice Response, IVR"), fliegen welche von uns raus und muessen sich einen anderen Job suchen. Fuer die uebrigen ArbeiterInnen, die im Betrieb bleiben, bedeutet das oft, dass sie mehr arbeiten muessen, weil sie mehr Aufgaben uebernehmen und die Fehler der Maschinen ausgleichen sollen. Die Moeglichkeit, langweilige, stressige oder unangenehme Maloche durch Maschinen zu ersetzen, fuehrt hier also nicht etwa dazu, dass wir mehr Zeit fuer die angenehmen Dinge des Lebens haben, sondern ist mit mehr und intensiverer Arbeit verbunden!
Team-Leiter
Um uns ans Arbeiten zu bringen und die Intensivierung der Arbeit durchzusetzen, werden uns Teamleiter, Supervisoren, usw. vorgesetzt. Diese kontrollieren, ob wir genug Anrufe pro Stunde entgegennehmen, wie lange wir Pause machen, ob wir die Qualitaetsanforderungen einhalten, usw. Damit wir sie nicht nur als Aufpasser und Spione sehen, bekommen sie neben ihren Kontrollaufgaben oft noch andere Kompetenzen in der Organisation, Informationsbeschaffung, usw. Wir sollen darauf angewiesen sein, sie anzusprechen, wenn was nicht klappt oder wir was brauchen - und gleichzeitig druecken sie uns Anrufstatistiken rein.
Die Teamleiter sammeln so Informationen ueber den Arbeitsprozess und geben die an die Geschaeftsleitung weiter. Diese benutzt die Informationen, um die Arbeit weiter zu intensivieren. Die Teamleiter spielen als erste "Ansprechpartner" aber auch die Rolle eines Puffers: wenn es Probleme gibt, uns was stinkt, sollen wir das am Teamleiter auslassen, statt gleich die Geschaeftsleitung anzugreifen. Konflikte sollen so klein gehalten und begrenzt werden. Die Teamleiter sollen den Willen der Geschaeftsleitung gegen uns durchsetzen. Je nachdem, welche Konflikte es gibt und was sie darin erreichen wollen, verhalten sie sich unterschiedlich: eher "kumpelhaft", was besonders die koennen, die vorher selber an den Telefonen gearbeitet haben; die lassen sich duzen und kuemmern sich angeblich um die Klaerung aller Probleme; oder "distanziert" und autoritaer, wozu oft Teamleiter von aussen eingestellt werden; die halten Abstand und ziehen offen Massnahmen gegen uns ArbeiterInnen durch (siehe Bericht zur DB24).
In Konflikten muessen wir uns gegen die Teamleiter durchsetzen. Weil sie die unmittelbaren Vorgesetzten sind, stehen sie in der Schusslinie. Eigentlich geht es aber nicht um die Teamleiter, sondern gegen den Arbeitsstress und Arbeitszwang insgesamt!
Team-Arbeit
In den meisten Call Centern werden die ArbeiterInnen in Teams eingeteilt. Zum Teil laeuft das ueber die Qualifikation (Sprache, technische Spezialisierung). Meist werden die Teams aber nur gebildet, um aus der Masse der ArbeiterInnen kleinere, leichter zu kontrollierende Einheiten zu machen. Dann kann die Geschaeftsleitung einfacher Massnahmen zur Arbeitsintensivierung durchsetzen. Durch die Teams sollen zudem die Konflikte kanalisiert und moeglichst unter den Teppich gekehrt werden. Statt auf den Teamsitzungen unter uns zu diskutieren und dann was durchzusetzen, duerfen wir bei Kaffee und Kuchen mal richtig auskotzen und sollen denken, dass sich dann gekuemmert wird. Wir sollen uns als Teil des Teams fuehlen. Mit Team-Praemien, die nur ausbezahlt werden, wenn das ganze Team eine Zielvorgabe erreicht, und dem Wink mit Statistiken versuchen die Unternehmer, uns gegeneinander auszuspielen (siehe die Berichte zu TAS, HP...). Wir sollen uns gegenseitig kontrollieren und zur Arbeit anhalten. Wenn die Praemien nicht reichen, uns zur intensiveren Arbeiten zu bringen, drohen sie halt mit Kuendigung oder Schliessung des Call Centers. Wir sollen uns als Konkurrenten anderer ArbeiterInnen, Teams, Abteilungen, Standorte oder Unternehmen sehen. Aber wo fuehrt diese Konkurrenz hin? Wenn wir uns gegenseitig unterbieten und billiger machen, verlieren letztendlich alle ArbeiterInnen!
Schluss!
Nur weil wir als ArbeiterInnen momentan keine andere Alternative haben, als unsere Arbeitskraft fuer Lohn zu verkaufen, muessen wir Arbeit und Arbeitsbedingungen noch lange nicht als schicksalsmaessig schlucken. Wenn wir auf einige Handgriffe bzw. Satzformeln beschraenkt werden und uns dem Maschinentakt oder der Anweisung der Teamleiter unterwerfen sollen, dann steht dahinter ein Interesse: wir sollen mehr und intensiver malochen fuer die, die davon profitieren. Das ist kein natuerlicher Prozess, sondern eine verdammt beschissene Art und Weise, unsere Lebensgrundlage zu produzieren!
Es gilt, aus den verstreuten Call Centern, Fabriken und Krankenhausfluren zusammen dahin zu kommen, dem ein Ende zu bereiten. Den Anfang muessen wir dort machen, wo wir taeglich zusammenarbeiten und mit dem Interesse der Unternehmer konfrontiert werden. Wir finden zwar viele "kleine" Wege, um der Arbeit und ihrer Intensivierung zu entgehen - die verlaengerte Mittagspause, Langsamarbeiten, das Stumm-Stellen des Telefons, Krankfeiern oder den provozierten Computerabsturz... Wenn wir all das nicht taeten, waere die Arbeit unertraeglich, und wir koennten sie nicht lange machen. Aber eine wirkliche Staerke und ein gegenseitiges Vertrauen kann nur in der gemeinsamen Aktion entstehen. Diese muss nicht unbedingt in direkter Konfrontation bestehen, wie das folgende Beispiel zeigt: bei Hewlett Packard gab es eine Anweisung, dass ArbeiterInnen andere Agents, die gerade nicht telefonieren, darauf aufmerksam machen sollten, die Anrufe in der Warteschleife anzunehmen. Darueber haben sich die ArbeiterInnen lustig gemacht und die Anweisung ignoriert. Sie wollten sich nicht gegenseitig bespitzeln und zur Arbeit antreiben!
Gemeinsam gegen den Arbeitsstress!
[Kasten]
Wir arbeiten in Call Centern und anderswo und machen eine Flugblattreihe. Damit wollen wir die Diskussion unter ArbeiterInnen unterstuetzen und voranbringen. Es geht darum, gemeinsam gegen Arbeitshetze und Arbeitszwang vorzugehen. Das koennen wir nur, wenn wir uns selber organisieren und mit anderen ArbeiterInnen Mittel und Wege finden, auf Massnahmen der Geschaeftsleitungen zu reagieren und eigene Interessen durchzusetzen. Unsere Staerke liegt darin, dass wir uns mit anderen ArbeiterInnen schnell und direkt absprechen koennen und z.B. Ueberstunden verweigern, Arbeitsanweisungen ignorieren oder den Anruf-Akkord runtersetzen. Ohne dass die Chefs darauf vorbereitet sind und ohne Vermittlung und Kontrolle durch Betriebsrat und Gewerkschaften. Wenn wir diese Staerke entwickeln und einsetzen, kann das ein Schritt sein, die Lohnsklaverei insgesamt zu ueberwinden.
Alle Flugblaetter werden auf dieser Website zusammen mit weiteren Infos und Beitraegen dokumentiert:
www.free.de/prol-position
Beteiligt euch an der Diskussion und schickt uns Anregungen, Kritik oder Berichte.
Emails an: hotlines@free.de
Briefe an: hotlines c/o Fabrik, Grabenstrasse 20, 47057 Duisburg