flugblatt zu call centern aus brighton/england

text in englisch
Hier ist der Hauptteil des hotlines-Flugblatts von Leuten aus aus Brighton/England (Maerz 2001) Sie haben einige Ideen aus den ersten hotlines-Flugblaettern genommen, die im Ruhrgebiet verteilt wurden, und ihre Informationen und Ideen zur Situation in Call Centern in Brighton dazugepackt.
Die Berichte aus einzelnen Call Centern (American Express, British Telecom, ntl, Seeboard) findet ihr unter berichte . Und nun geht's los:

Wir sind eine Gruppe von ArbeiterInnen, ausserhalb jeder politischen Partei oder Gewerkschaft. Wir arbeiten in Call Centern, Fabriken, Bueros und Restaurants in Brighton. Wir sind zusammengekommen, um zu diskutieren, wie wir unsere Arbeitsbedingungen veraendern und verbessern koennen. Mit diesem Flugblatt wollen wir Informationen verbreiten, die wir zu Problemen und Konflikten in Call Centern hier und in anderen Laendern gesammelt haben.

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Brighton, Essen, Paris, Mailand und Berlin... Call Center gibt es seit Jahren und in vielen Staedten und Regionen werden immer mehr aufgemacht, so auch in Brighton. Millionen arbeiten in Call Centern im Bankensektor, in Versicherungen, technischen Support-Hotlines, im Verkauf und Marketing, in Bestellservices. Als ArbeiterInnen in Call Centern rufen wir Leute an (Outbound) oder beantworten ihre Anrufe (Inbound) - alles mithilfe vernetzter Telefon- und Computeranlagen. Wir arbeiten in Schichten und die Arbeit ist zerteilt in kurze, genau definierte Arbeitsschritte. Und wir werden von Teamleadern kontrolliert.

Viele von uns arbeiten im Call Center, weil das in manchen Regionen die einzige Chance ist, einfach an einen Job zu kommen. Zum Teil sind die Jobs auch besser bezahlt als die in der Fabrik, beim Putzen oder im Handel. Aber waehrend Unternehmer und Politiker uns Call Center als "moderne Arbeitsform" verkaufen, haben sie uns tatsaechlich zum Proletariat ihrer "Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft" gemacht!

Call Center waren und sind ein Angriff auf die Weigerung vieler BueroarbeiterInnen, eine Verschlechterung ihrer Bedingungen hinzunehmen (in Banken, Versicherungen, bei Post, Telekom und in anderen Buerobereichen). Call Center, das bedeutet fuer viele ArbeiterInnen verlaengerte Arbeitszeiten, Zwang zu Schichtarbeit, Dauerkontrolle und Intensivierung der Arbeit. Arbeiten im Call Center, das heisst mal Stress, mal Langeweile, Freundlichkeitszwang und Kunden-Abservieren, zu wenig Kohle und zu viele Stunden des Lebens fuer den Job. Und obwohl wir nicht in "dreckigen" Fabriken arbeiten, malochen wir trotzdem unter Fabrikbedingungen.

Klar, wir sind nicht die einzigen, die lange arbeiten und sich mit miesen Bedingungen rumschlagen muessen. In Fabriken, Bueros, Geschaeften, Lagerhaeusern und Restaurants sehen sich andere demselben Stress und staendigen Druck gegenueber. Wir produzieren kollektiv, 24 Stunden am Tag, Profite fuer die Bosse. Aber indem wir das tun, verschaerfen wir nur gegenseitig denselben Stress und Druck!

Deswegen haengt es von uns ArbeiterInnen ab, unter welchen Bedingungen wir in den naechsten Jahren arbeiten werden. Unser Verhalten und unsere Kaempfe bestimmen, ob die Unternehmer den Arbeitstakt erhoehen und mehr Ueberstunden durchsetzen koennen, oder ob wir den Spiess umdrehen und denen zeigen, wo's lang geht!

Indem wir uns anschauen, wie die Arbeit organisiert ist, koennen wir herausfinden, wo unser Staerke liegt, und diese einsetzen, um unsere Bedingungen zu verbessern. Wir arbeiten oft unter gleichen Bedingungen mit Hunderten anderer ArbeiterInnen zusammen. Viele haben auch schon in anderen Call Centern gearbeitet und bringen von dort Erfahrungen und Kontakte mit. Wir muessen uns also bei der Arbeit nicht isoliert fuehlen: wir haben die Faehigkeit uns fuer kollektive Aktionen zu organisieren. Lasst uns diese Faehigkeit einsetzen!

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Es ist Donnerstagmorgen und wir haben diese Woche jeden Tag acht Stunden gearbeitet. Und das mit einem Teilzeitvertrag! Aber wenn die Miete bezahlt ist, das Busticket und die Rechnungen bleibt nur ein Fuenfziger uebrig bis zum naechsten Zahltag. Zeit, sich fuer mehr Ueberstunden einzutragen. Schon mal gehoert?

Call Center-Bosse haben in den letzten Jahrzehnten rausgefunden, dass sie das grosse Geld machen koennen, wenn sie uns mit Telefonkabeln an Computer-Bildschirme ketten und endlos In- und Outbound- Anrufe machen lassen. Darueber hinaus erwarten sie noch, dass wir mehr Stunden am Tag, mehr Tag die Woche, so flexibel wie moeglich und "auf Abruf" arbeiten und so viele Anrufe wie moeglich machen, um ihre Profite zu erhoehen.

Dieses Flugblatt ist gegen die Versuche der Bosse geschrieben, den Arbeitstag immer weiter auszudehnen und ihrem Verlangen nach Flexibilitaet anzupassen.

Who's Calling the Shots? / Wer ist am Druecker?

Die erhoehte Konkurrenz im Dienstleistungssektor hat die Firmen gezwungen, neue Wege zu finden, um die Profite zu sichern. Die Loesung der Bosse ist die Ausdehnung der Arbeitszeit und die "Flexibilisierung" der Arbeit, was aber mit dem traditionellen 9 bis 17 Uhr-Job mit seinen ueberdurchschnittlichen Arbeitsbedingungen nicht zusammenpasst. Die Einrichtung von Call Centern hat ihnen ermoeglicht, dieses Hindernis zu ueberwinden.

Die Bosse predigen die neue Religion des "Kundenservice" und rechtfertigen damit die Ausdehnung der Gesamtarbeitszeit weit ueber das bisherige Mass hinaus: viele Call Center sind 24 Stunden am Tag offen, sieben Tage die Woche, jeden Tag des Jahres. Warum? Weil sie um so mehr Profit machen, je laenger der Laden geoeffnet ist. Als ArbeiterInnen wird von uns dann erwartet, auf ihren Wink oder Anruf hin zur Arbeit zu kommen, ob abends, nachts, am Wochenende oder an Feiertagen. Aber warum brauchen wir 24 Stunden Service am Tag, wenn nicht deswegen, weil alle anderen zu jeder gottgegebenen Uhrzeit arbeiten muessen?

Um ihre Produktionskosten moeglichst gering zu halten, bezahlen sie uns nur die Stunden und Minuten, die wir tatsaechlich an der Strippe haengen. Wir kriegen keinen Lohn fuer die Mittagspausen und andere Pausen werden ebenfalls nicht bezahlt oder genau mithilfe der ACD-Anlage ueberwacht [automatic call distributor: Computerprogramm, dass die Verteilung der Anrufe auf die Call Center-ArbeiterInnen uebernimmt und fuer jede die genauen statistische Daten nachhaelt: Pausenzeiten, Anrufzeiten, Nacharbeit...]. Wer hat noch keinen Anschiss aufgrund der Pausenzeiten-Auswertung bekommen, weil seine oder ihre Pause eine Minute laenger war als "vereinbart"? In manchen Laeden bestehen sie sogar darauf, dass die Arbeitsvorbereitung, wie im Computer anmelden und abmelden oder das Lesen von Arbeitsanweisungen, ausserhalb der bezahlten Arbeitszeit laufen soll. Stellt euch vor: wir verbringen genausoviel Zeit bei der Arbeit, aber sie nutzen die Pausen als Vorwand, um uns weniger zu zahlen.

Calling in Sick / Krankmelden

Fuer Zeitarbeitsfirmen zu arbeiten, bedeutet auch, dass wir weniger bezahlte Urlaubs- oder Krankentage haben. Die neuen Beschaeftigungsgesetze werden als fuer uns guenstig angepriesen, aber in Wahrheit sind sie gut fuer die Bosse. Jetzt haben wir erst nach dreizehn Wochen ununterbrochene Arbeit fuer denselben Arbeitgeber Anspruch auf bezahlte Urlaubs- und Krankentage. Wenn der Vertrag also vorher endet oder wir eine Woche frei nehmen, brauchen sie uns nichts zu zahlen - und wir muessen wieder von vorne anfangen. Ausserdem reduzieren viele Zeitarbeitsfirmen unseren bezahlten Urlaub unter der Hand noch weiter, indem sie die Feiertage nicht bezahlen. Und auch wenn wir Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall haben, kriegen wir die erst nach dem dritten Krankentag, wenn wir dem Boss auch eine Krankschreibung vom Arzt bringen muessen. Also kein "Krankfeiern" mehr, um unseren duerftigen bezahlten Urlaub zu verlaengern. Und wie oft gehen wir trotz Krankheit doch zur Arbeit, weil wir uns das Kranksein nicht leisten koennen?

Die dreizehn Wochen, bevor wir einen Anspruch haben, sollen uns disziplinieren, damit wir jeden Tag bei der Arbeit erscheinen. Die Bosse haben es aber auch geschafft, damit die individuelle Arbeitszeit auszudehnen: wir muessen mehr Tage im Jahr fuer denselben Lohn arbeiten, oder anders gesagt, wir mussten eine relative Lohnsenkung hinnehmen.

Calling Time / Zeit einzugreifen

"Just-in-time"-Produktionsmethoden, urspruenglich in Fabriken entwickelt, sind jetzt auf Bueroarbeit ausgedehnt worden. Indem das Arbeitsaufkommen hochgerechnet wird - in diesem Fall die Anrufe, die rein- und rausgehen - versuchen die Bosse abzuschaetzen, wie viele Leute sie genau einstellen muessen, um den periodischen Schwankungen gerecht zu werden. Waehrend die Bosse frueher genug ArbeiterInnen eingestellt haben, um das ganze Jahr ueber die Arbeit zu schaffen, ob grad viel los ist oder wenig, machen sie nur das Gegenteil: sie halten die Beschaeftigtenzahl auf dem absoluten Minimum und "bieten" den ArbeiterInnen Ueberstunden und Sonderschichten an, wenn viel los ist. Und wenn das nicht reicht, stellen sie fuer kurze Zeit ein paar ZeitarbeiterInnen ein. Wenn wieder Flaute ist, werden sie diese wieder los und nehmen uns Ueberstunden und Sonderschichten wieder weg. So bezahlen die Bosse fuer die ArbeiterInnen nur, wenn sie sie brauchen, und wir werden ihre "Just-in-time"-Arbeitskraefte. Das ist die wahre Bedeutung von Flexibilitaet. Die mag uns manchmal in den Kram passen, wenn wir uns z.B. um Kinder kuemmern muessen oder um eine Weiterbildung, aber sie wird gegen uns eingesetzt. Flexibilitaet ist nicht zu unserem Vorteil, sondern ein Mittel der Bosse, um nur fuer Arbeit zu bezahlen, wenn sie sie gerade brauchen.

Call Center-Bosse sind sich bewusst, dass wir Ueberstunden und Sonderschichten machen muessen. Nachdem die Loehne erheblich unter denen liegen, die in den "alten" Bueros gezahlt wurden, haben sie es zu einer finanziellen Notwendigkeit gemacht, dass wir uns fuer beides eintragen. Sie nutzen das als eine ihrer wichtigsten Waffen gegen uns: wenn wir nicht gute, gehorsame ArbeiterInnen sind, koennen sie uns einfach die Extra-Arbeit verweigern. Ueberstunden werden zu einer Verguenstigung, dass nur denen "eingeraeumt" wird, deren Statistik hervorragende Produktivitaetswerte nachweist. Eine Art Selbst- Disziplin wird durchgesetzt, um unsere Produktivitaet waehrend der normalen Arbeitszeit hoch zu halten.

Aber die Erfahrung zeigt, dass Ueberstunden und Sonderschichten nur kurzfristig hoehere Loehne bringen. Wenn wir uns einmal haben breitschlagen lassen, regelmaessig laenger zu arbeiten, wird der Lohn schnell wieder soweit sinken, dass er gerade zum Leben und zum Arbeitengehen reicht. So ist der Durchschnittslohn und Lebensstandard auf das Niveau der fruehen Siebziger gefallen, aber die durchschnittliche Arbeitzeit ist um fuenf bis zehn Stunden pro Woche laenger geworden. Weil die Preise staendig steigen, muessen die Bosse nicht mal die Loehne kuerzen. Sie erreichen ihr Ziel einfach dadurch, dass sie die Loehne nicht entsprechend der Inflation erhoehen. So hat die Einfuehrung regelmaessiger Ueberstunden dieselbe Folge wie die Streichung bezahlter Urlaubs- und Krankentage: wir muessen mehr Stunden pro Jahr arbeiten, um zu ueberleben! Fuer die von uns, die einen angenehmen Teilzeitjob angenommen haben, ist daraus ein Vollzeitjob geworden! Und fuer die, die Vollzeit arbeiten, ist die Arbeitszeit noch laenger und haerter geworden.

Calling Their Bluff / Sie zwingen, Farbe zu bekennen

Momentan versuchen die Bosse, diese Massnahmen dadurch zu rechtfertigen, dass das der einzige Weg waere, angesichts der harten Konkurrenz die Profite zu sichern. Aber ob diese Begruendung auf reinem Geiz beruht oder auf Notwendigkeit ist fuer uns unwichtig. Der Punkt ist, dass es auf unserem Ruecken passiert! Die angeblich "arbeitssparende" Technologie hat nichts anderes gemacht, als unsere Arbeitszeit auszudehnen. Denn egal, wie viele Computer sie haben, ohne uns koennen sie keine Profite machen.

Als ArbeiterInnen spueren wir, dass wir kaempfen muessen, und zeigen das staendig: durch "Austricksen" der Stoppuhr/ACD-Anlage, um bezahlte Pausen zu kriegen, durch einen Tag (unbezahlt) Krankfeiern, wenn der Job zu stressig wird, oder durch Aufpassen auf die Telefone anderer ArbeiterInnen, wenn die eine Pause brauchen. Aber auch wenn diese Methoden manchmal unser Leben retten, koennen sie uns nur etwas individuelle Erleichterung bringen angesichts der immer schlechteren Bedingungen. Wenn wir weniger Zeit auf Arbeit verbringen wollen und mehr Zeit mit den schoenen Dingen des Lebens, muessen wir aus unser Insolation ausbrechen.

Wir koennen damit anfangen, zusammenzukommen und die Schwachpunkte bei uns auf Arbeit zu diskutieren. Denn die Bosse wollen genau so viele ArbeiterInnen einstellen, wie sie in einer bestimmten Zeit brauchen. Damit sind sie noch mehr darauf angewiesen, dass es keine Unterbrechungen im Arbeitsablauf gibt. Und bei der derzeitigen Angst, Kunden zu verlieren, macht sie jeder Verlust von Anrufen noch verwundbarer. Vielleicht koennen wir einen Weg finden, ihre "Just-in-time"-Produktion und ihren Wettbewerb zu unserm Vorteil auszunutzen!


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