isi


(Hinweis: Die Firma ISI Marketing hat gegen den Provider www.free.de eine einstweilige Verfuegung beim Landgericht Bochum erwirkt. Darin wird www.free.de unter Androhung eines Ordnungsgeldes von 500.000 DM oder sechs Monate Haft "untersagt, 1. das Unternehmen als 'xxxxxxxxxx' zu bezeichnen oder einer solchen gleichzusetzen und/oder 2. die angebotenen Arbeitsstellen als 'xxxxxxxxx' zu bezeichnen." Hier der Bericht ohne die zensierten Bezeichnungen.)

Not that ISI!

Alles hatte doch so gut angefangen: Angelockt von dem in ihrer Stellenanzeige angegebenen Stundenlohn von ca. 22 DM hatte ich mich bei ISI Marketing beworben und wurde auch prompt zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Nun saß ich mit ca. einem halben Dutzend Mitbewerbern in den heiligen Räumen von ISI und hörte mir fasziniert an, was die Teamleiterin uns zu erzählen hatte. ISI ist ein Telemarketingunternehmen. Wir sollen für namenhafte Unternehmen Outboundgespräche führen, um Termine zu vereinbaren, oder wie in unserem Falle, Zeitschriftenabos an Geschäftsleute verticken. Mir blieb kaum Zeit, darüber nachzudenken, ob ich das will oder nicht, denn jetzt legte die Frau von ISI erst richtig los. Wenn wir eine festgelegte Anzahl an Abos verkaufen, und somit einen gewissen Jahresschnitt erreichen, winkt uns eine Reise in die ferne weite Welt. In diesem Jahr geht's nach Ägypten. Derjenige, der in der Woche am meisten Abos vertickt, darf das ganze Wochenende den hauseigenen roten BMW fahren. Und alle drei Monate gibt's für die besten Verticker ein Wochenende in einer europäischen Hauptstadt. Ich konnte mich kaum mehr auf meinem Stuhl halten. Endlich hatte ich es gefunden, das Paradies. Ich sah mich schon die größten Pyramiden besteigen, mein Bahnticket jemandem schenken, der es nötiger hat als ich, denn ich würde ab jetzt mit einem roten BMW auf der A40 der Abendsonne entgegensausen. Den Rest des Vortrages verbrachte ich mit Schwelgen in meinen glorreichen Zukunftsaussichten, und kriegte somit nur noch den Schlusssatz unserer zukünftigen Vorgesetzten mit. Aber das Wichtigste hatte ich ja mitbekommen, Auto, Urlaub und so. Das andere waren doch nur Banalitäten, oder...?! Als sie uns dann mit den Worten, wir erwarten viel von unseren Mitarbeitern, geben aber auch viel zurück, verabschiedete, musste ich mich zurückhalten, um nicht laut loszujubeln: "Jawoll, ich mach alles, was ihr von mir verlangt, gebt mir nur das Auto....!"
Ein paar Tage später fand ich mich zum Probetraining ein. Wieder waren wir ein halbes Dutzend. Ich wusste leider so gar nicht recht, was jetzt passieren würde, war ich doch bei meinem letzten Besuch in diesen Räumen ein wenig "unkonzentriert" gewesen. Ich bekam dann durch einige Fragen an meine zukünftigen Kollegen heraus, was mich so ungefähr erwartete. Ein wenig wunderte ich mich schon, dass sie alle nicht einen Hauch von meinem glücklichen Grinsen teilten. Hatten sie denn nicht richtig zugehört, was für tolle Sachen uns hier erwarten?!
OK, ich wusste jetzt, dass wir uns 12 Stunden lang Kassetten anhören müssen, auf denen uns der Gründer des Unternehmens in die Geheimnisse des Telemarketings einweiht. Geld gibt's dafür nicht, aber dafür gibt's ja bestimmt hinterher genug davon... Die Teamleiterin trat ein und teilte mit, dass das 12stündige Probetraining und 28 Telemarketingstunden für beide Seiten kostenfrei sind (hört sich doch ganz gut an, oder: ich darf arbeiten und muss dafür noch nicht mal was bezahlen. Wo gibt's so was heutzutage schon noch?!) Wenn wir in den 28 Telemarketingstunden nicht zwei Drittel des Aboschnitts der dort schon Festangestellten erreichen, werden wir bei ISI nicht angenommen. D.h. wir bekommen keinen Vertrag und haben somit dann wirklich in jeglicher Hinsicht 40 Stunden lang umsonst in dem Laden abgehangen. Langsam verstand ich die skeptischen Gesichter meiner Mitstreiter. Doch noch war der BMW so in mein Hirn gebrannt, dass ich mich voll auf die Stimme vom Band konzentrierte. Bloß nichts Wichtiges verpassen. Doch schon nach einer halben Stunde zerging ich wie die anderen vor Langeweile. Wann würde der Typ uns endlich mal was Interessantes sagen, was, was wir noch nicht wussten? Die Antwort war nach den zwölf Stunden eindeutig klar: Niemals. In der Pause quetschte ich dann meine Leidensgenossen noch mal richtig aus. Sie guckten mich ein wenig entfremdet an, ob ich denn beim Vorstellungsgespräch nicht richtig zugehört hätte? Na ja, einige kleine Einzelheiten seien mir vielleicht entgangen, Lohn und Arbeitszeiten und solche Sachen eben... Jetzt erfuhr ich, dass der Stundenlohn 12 DM beträgt. Für jedes Abo, das wir verticken, bekämen wir eine Prämie, womit wir dann auf den in der Anzeige angegebenen Stundenlohn von 22 DM kommen sollten (in der Anzeige hörte sich das aber trotzdem irgendwie besser an...), da der Aboschnitt in der Stunde momentan bei ca. 0,75 läge. Aber erst mal würden wir 40 Stunden lang sowieso nicht mal den Hauch eines Pfennigs sehen... Besorgt dachte ich an meine offenen Rechnungen, die ja nun mal nicht von Probetraining und Telemarketingstunden bezahlt werden. Was, wenn sie mich dann doch nicht nehmen würden? Und selbst wenn, bei 30 Stunden-Woche ein Grundgehalt von 1500 DM brutto, denn Prämien sind nun mal so eine unsichere Sache, da hatte sich das Paradies schnell wieder in einen Job verwandelt, wo auch die dazu passenden Bedingungen herrschten...
Irgendwie kriegten wir dann doch die 12 Stunden Kassettentraining rum. Weiter ging's mit den Telemarketingstunden. Wir saßen also nun vor unseren Telefonen, und jeder Menge Zetteln. Computer gibt's bei ISI nicht. Wir wurden noch zwei Stunden von Kolleginnen angelernt und dann durften wir für die nächsten 26 Stunden "für beide Seiten kostenfrei" Abos an Geschäftsleute verticken, was wir auch taten. Manche, die mit mir angefangen hatten, sprangen nach einigen Stunden Telemarketing schon wieder ab, weil sie kaum oder gar keine Abos gerissen und die Schnauze voll von "für beide Seiten kostenfrei" hatten, um im Endeffekt dann doch keinen Vertrag zu kriegen. Ich wollte eigentlich weiter durchhalten. Aber dann hörte ich von den anderen Kollegen (die waren wirklich nett!), dass deine Prämie gekürzt wird, wenn einer, dem du ein Abo vertickt hast, im Nachhinein doch noch abspringt. Und dass du, wenn du krank bist, deine Krankheitsstunden nacharbeiten musst, da dir ansonsten eine Woche deine Prämien gestrichen werden.
Da hatte ich die Schnauze voll, egal, ob das alles nur Gerüchte waren, oder nicht. Ich entschied mich zwischen Ausschlafen oder noch mal "kostenfrei" für diesen Laden arbeiten dann doch für das erstere, denn das war immerhin auch völlig kostenfrei aber machte viel mehr Spaß. Keine Ahnung, ob ich nen Vertrag gekriegt hätte, oder nicht. Ist mir auch ziemlich egal. Es gibt zwar noch Momente, wo ich sehnsuchtsvoll aus dem Straßenbahnfenster auf die schnellen Autos hinuntergucke, aber auf der A40 ist doch sowieso immer Stau...


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