medion/muelheim (3)


(16.02.01) Unten findet ihr einen weiteren Bericht aus dem Hause Medion. Dort plant das Management ein Praemienmodell einzufuehren und seine ArbeiterInnen zu zertifizieren. Aus Erfahrungen aus anderen Call Centern wissen wir, dass mit der Einfuehrung von Praemiensystemen selten mehr Geld, aber viele Unappetitlichkeiten fuer die ArbeiterInnen verbunden sind.
* Mit Praemien wird eine schaerfere Kontrolle gerechtfertigt z.B. das Einhalten der Pausenzeiten, das Reden "von der Stange" am Telefon.
* Es schafft auch immer eine komische Stimmung unter den ArbeiterInnen, wenn mensch am Ende seine Praemien vergleicht und ploetzlich feststellt, dass mensch unterschiedlich bezahlt wird.
* Wenn wir einmal akzeptieren, dass wir unterschiedlich bezahlt werden, ist oft auch der Weg frei fuer andere Schweinereien. In vielen Call Centern gibt es Gruppenpraemien, die dazu fuehren sollen, dass wir uns gegenseitig kontrollieren und antreiben, nach dem Motto: "Deine Extrapausen vermasseln mir meine Praemie".
* Die breite Einfuehrung von Praemien fuehrt zu einer Senkung des Grundlohns. ISI (Dienstleiter-Call Center u.a. in Bochum, Essen, ...) gibt in der Stellenanzeige z.B. einen Stundenloh von "ca. 22DM" fuer Outbound an. Beim Vorstellungsgespraech erfaehrt mensch dann, dass der Grundlohn nur 12 DM die Stunde betraegt. Wenn du ordentlich Abos vertickst und immer nett und puenktlich bist, bekommst du vielleicht ein paar Mark mehr. Die Unternehmer ueberlassen so dir das Risiko: wenn der Laden nicht laeuft, sie ihre Produkte nicht absetzen koennen, bist du gearscht.

Auch diese Zertifikate sind in erster Linie Durchhalteparole: nach ein paar Monaten unter dem Headset darft du dich "zertifizierter Agent" nennen und dir das Ding aufs Klo haengen. Mit dem Zertifikat versuchen die Unternehmer uns in gute (zertifizierte) und schlechte Agents zu spalten, um so wieder mehr Ordnung in den Arbeitsmarkt zu bringen. Sie haben einfach kaum noch Durchblick, weil viele von uns zu oft den Job wechseln und sie hoehere Loehne zahlen muessen, um uns an den Job zu binden. Da die Arbeit an sich kaum sowas wie Berufsstolz aufkommen laesst, soll das jetzt halt dieser Zertifikats-Wisch liefern: fuer Unternehmen, Beruf und Vaterland - am besten 24 Stunden, 7 Tage die Woche!

Wir sind gespannt darauf, wie sich die Chose bei Medion entwickelt, aber lest selbst. Hier der Bericht:

Das neue Certification and Payment Program bei Medion

Seit einigen Wochen haengt es in allen Pausenraeumen aus, alle Hotliner sollen von der Schichtleitung ueber ein neues Lohnsystem informiert werden. "Certification and Payment Program" wird es von der Schichtleitung genannt und es soll lediglich ein Vorschlag sein, bloss eine Idee.
Es ist ein Praemiensystem und unterteilt sich in harte und weiche Kriterien. Harte Kriterien sind der Durchschnitt der Calls pro Tag und ArbeiterIn, die dazugehoerigen Eintraege im Computersystem, Einhaltung der Pausenzeiten und Puenktlichkommen. Weiche Kriterien sind Freundlichkeit und Sachkompetenz. Die Erfuellung jedes Kriteriums ergibt ein Punkt, vier Punkte bei den harten Kriterien ergeben eine Praemie von 150 DM brutto, ein, bzw. zwei Punkte bei den weichen Kriterien ergeben weitere 150 DM brutto monatlich. Die harten Kriterien werden durch die Computerprogramme durch die Schichtleitung kontrolliert, die weichen Kriterien werden durch die Teamleitung durch dreimaliges Coachen pro Monat festgestellt. Zusaetzlich bietet die Geschaeftsfuehrung Qualifikationsmassnahmen im Haus an. Fuer den ersten Level waere das das Call Center Agent Zertifikat der IHK, fuer den zweiten Level ein Microsoft Zertifikat.

Warum das Ganze?
Die Geschaeftsleitung sagt, dass es seit dem Bestehen des Call Centers keine eindeutige Lohnhierarchie gibt. Lohnforderungen werden sehr individuell gehandhabt. Hoechste Zeit also fuer sie, da etwas zu unternehmen. Weiterhin kann man oft Kundenreklamationen nicht nachvollziehen, weil die Hotliner nicht genug Eintraege im Computerprogramm machen, das soll sich aendern. In den letzten Wochen soll es zu insgesamt 600 Verspaetungen gekommen sein, das kann man natuerlich nicht durchgehen lassen. Auch mit den Pausenzeiten haetten so einige Hotliner ihr Problem. Und schliesslich wuerden immer wieder Kundenbeschwerden ueber unfreundliche Behandlung durch Hotliner kommen. Also habe man die ganze Palette zusammengestellt und dieses geniale System entwickelt, man sei offen fuer Verbesserungsvorschlaege und ausserdem sei es ja nur ein Vorschlag.

Und die Reaktionen der Hotliner?
Obwohl diese Informationsveranstaltungen lange angekuendigt waren, war nicht durchgesickert, um was es gehen wuerde. Es hatte ein paar Vermutungen gegeben und die haben sich auch als richtig erwiesen. Erfreut sind die wenigsten. Im zweiten Level gibt es zum Teil Zuspruch fuer das Microsoft-Zertifikat, es ist fuer die Eigenfinanzierung zu teuer und vielleicht bekommt man damit wirklich einen besseren Job. Das IHK-Zertifikat zur Call Center Agent fuer den ersten Level zeigt eigentlich nur wie aussichtslos dieser Job ist, zaehlt doch bei der Bewerbung in Call Centern die Erfahrung und nicht ein Papier aus der Retorte. Freudig zugestimmt hat niemand, es wird einfach zu offensichtlich, dass es hier um groessere Kontrolle geht. Es ist eine klare Ankuendigung, dass die Kontrollmassnahmen, die bereits im Computersystem aufgezeichnet werden, jetzt auch konsequent bearbeitet werden. Wirklich neu ist nur das Coaching und darauf koennen alle verzichten.
Die Geschaeftsleitung hatte geplant die Veranstaltungen (sie waren aufgeteilt in kleinere Gruppen) auf eine Stunde zu beschraenken. Aber schon am Mittag stellte sich raus, dass der Zeitplan nicht einzuhalten war. Es wurde offensichtlich viel diskutiert und nachgefragt, so einfach ging das super System dann doch nicht durch. Der Versuch die Kontrolle durch die Praemie zu verkaufen ist ordentlich schief gegangen. Mehr Geld kann jeder gebrauchen, aber was bleibt bei 300 DM brutto denn schon uebrig, jedenfalls nicht genug, um den Arbeitstil zu veraendern und sich ploetzlich vorschreiben zu lassen, wie man reden soll.


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