artikel und mails zu call center-arbeit


Dieser Artikel kam am 29.11.2000 auf www.heise-online.de. Erst der übliche Suelz ueber die tollen Wachstumschancen fuer Call Center, den diesmal ein Professor ablaesst. Dann etwas Geheule von der hbv. Kennen wir auch schon. Interessant fanden wir, dass ein paar Call Center-ArbeiterInnen Mails dazu geschickt haben, die andeuten, dass hinter all den Geschichten ueber neue Jobs und Kundenservice nicht nur die alltaegliche Ausbeutung laeuft, sondern dabei oft auch die AnruferInnen verarscht werden!

Hoffen und Bangen bei Call Centern

[heise-online, 29.11.2000]

Call Center haben nach Ansicht des Koblenzer Wirtschaftsinformatik-Professors Felix Hampe "ein unglaubliches Wachstumspotenzial". Diese "Telefonzentralen fuer den Kundenkontakt" entwickelten sich derzeit zu Communication Centern weiter, die auch ueber andere Kanaele Verbindung zu ihren Kunden aufnaehmen, sagte Hampe in einem Gespraech mit der dpa. Dazu zaehlten das Internet, die E-Mail und geschriebene Kurznachrichten (SMS) auf Handys, sagte Hampe am Rande einer Tagung der Universitaet Koblenz-Landau zum Thema Communication Center.
"Die Firmen verschleudern heute viele Millionen, weil sie die Moeglichkeiten der Rationalisierung in der Kommunikation noch zu wenig nutzen", meinte der Experte. In diesem Bereich laegen die grossen Chancen der Communication Center. "Der Basisdienst Telefonieren dagegen wird so einen Preisverfall erleben, dass es sich bald nicht mehr lohnt, solche Verbindungsleistungen ohne zusaetzliche Mehrwertdienste anzubieten", erklaerte Hampe.
Beim Aufbau von Communication Centern gehe es nicht um die Einsparung von Stellen, sondern um die Verbesserung der Kommunikation mit den Kunden. "Die Ansprueche an die Qualifikation der Agenten im Communication Center werden erheblich steigen", sagte Hampe. In vielen Bereichen werde auch in fernerer Zukunft keine Sprachautomatik diese Spezialisten abloesen, weil ein Agent am besten auf die Beduerfnisse der Kunden eingehen koenne. "Stellen Sie sich einen aufgeregten Autofahrer vor, der einen Pannendienst anruft - der will eine menschliche Stimme hoeren", sagte der Universitaetsprofessor. Die heutzutage im Call Center eingesetzten Computerprogramme muessten noch sehr verbessert werden. Fuer die Nutzung mehrerer Informationskanaele zu einem Kunden gab Hampe ein Beispiel: Erst koenne der Agent eines Communication Center einem Touristen die Vorzuege einer Region erklaeren und dann zur Orientierung auf eine Landkarte im Internet verweisen. Wenn der Kunde schliesslich mit dem Auto am Urlaubsort ankomme, werde er ueber Satelliten und Funk mit Hilfe eines Navigationssystems von einer Stimme direkt zu seiner Unterkunft gelotst.
Die Frage, ob ein Communication Center in einer Firma angesiedelt sein muesse oder ausgelagert werden koenne, haengt nach Ansicht des Fachmanns davon ab, "wie wichtig die Kunden dem Unternehmen sind". Bei teuren oder sensiblen Produkten empfehle es sich, diese Zentralen selbst zu betreiben, ansonsten sei Auslagerung eine gute Loesung.
Nicht ganz so euphorisch wie Hampe sehen die Gewerkschaften die Situation bei Call Centern. Die HBV kritisierte das Fehlen von Tarifvertraegen fuer die Beschaeftigten in den Call Centern. Die Lage der Beschaeftigten sei damit von schlechteren Arbeitsbedingungen gekennzeichnet, sagte Juergen Knoll von der HBV. Hauptproblem fuer das Zustandekommen tariflicher Regelungen sei die bei den Call Centern ueber eine Ausnahmeregelung im Arbeitszeitgesetz ermoeglichte Sieben-Tage-Regelung.
Tarifvertraege gebe es in Rheinland-Pfalz derzeit lediglich fuer die Beschaeftigten in zwei Call Centern von Versandhaeusern. Unbefriedigend sei die Lage auch, weil ein ueberwiegender Teil der Beschaeftigten in den Call Centern Teilzeit arbeite. Damit sei die Neigung gering, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Die Einwirkungsmoeglichkeiten der Gewerkschaften seien deswegen gering.
Der Gewerkschaftssprecher wandte sich gegen die "Maer", bei Call Centern werde eine hohe Zahl neuer Arbeitsplaetze geschaffen. Bei der Einrichtung der Center wuerden vielmehr nicht selten volle Arbeitsplaetze beispielsweise bei Banken, Versandhaeusern oder dem Einzelhandel, aufgeloest, stattdessen entstuenden in den Call Centern Teilzeitbeschaeftigungen.

Mails dazu (Auswahl):

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"Callcenter != effektiv!"
Christopher chris@anke-und-chris.de (29. November 2000 9:15)

Hi, Hampe sollte mal z.B. in den supertollen neuen "Callcenter" vom EnBW gehe (ehemaliges Badenwerk in KA) und sich mit den Sachbearbeitern - die nun Callcenterarbeiter sind - unterhalten. Ich kenne einige und die fluchen nur, dass sie nun noch mehr Ueberstunden schieben duerfen, da das Konzept nicht aufgeht ... man sollte vielleicht nicht ueberall Stellen streichen, weil es Hip ist.
Ausserdem erreicht man nun jeden x-belibigen: Will man ein Info, muss derjenige sich im PC-System erstmal ueber deine Lage als Kunde erkundigen ... und wehe da stimmt was nicht mit den Daten. Ausserdem ist es immer ein Uebel wenn man wegen des selben Problems wieder anruft, und mit 100% Sicherheit nie wieder den vom erstenmal erreicht! Und dann verschwendet man Zeit mit erneutem Erklaeren. *grummel*
Diese Dinger sind Kacke und meiner Meinung nach in den meisten Faellen (vielleicht auch noch!) nur in der Lage die Standardprobleme wie "mein Licht brennt noch, wo ist der Ausschalter" zu loesen. Nun ja: Da muss noch viel Umdenken in den Riegen der Manager geschehen, bis wie Hampe meint, es die Zukunft ist =))
Chris

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"Call Center Agents schweres Leben"
Philipp Graf Philipp_Graf@hotmail.com (29. November 2000 9:22)

Ich arbeite auch als Agent in einem Call Center einer renomierten Firma. Es ist an sich wirklich gut. Es herrscht kein so grosser Stress, viele nette Kollegen, gute Atmosphaere, moderne PCs mit 17"ern und dickem Intra/Extranet-Anschluss zum WAN usw.
Geschult wurde ich ca. 4 Wochen. Das ist zwar jetzt nicht das Optimum aber es reicht um gut einzusteigen, natuerlich braucht man schon etwas Vorkenntnisse zu dem Thema, welches man dann eben beschaeftigt.
Das, was mich stoert, ist die Tarifsituation. Ich habe einen 30 Stunden-Vertrag, darf Weihnachten, Silvester und die Feiertage arbeiten, bekomme kein Urlaubs-/Weihnachtsgeld und keine Feiertagszuschuesse. Auch bei Nachtschichten gibts keine Zuschuesse. Ich verdiene 16 DM brutto in der Stunde und werde eigentlich von der Perso so eingeteilt wie die es wollen und habe einen lustigen Zeitvertrag, sprich 3 Monate Probezeit, 3 Monate feste Anstellung und dann wird er entweder erweitert oder auch nicht. Wir Call Center Agents sind billige Kraefte, denen man sehr viel Flexibilitaet und Engagement in der Sache abverlangt. Ich mache das, da mir die Arbeit Apass macht und sie nur ein Jahr uebergangsweise bis zum Zivildienst sein soll, trotzdem komm ich mir teilweise echt verarscht vor. Aber unsere Hotline ist wirklich in Ordnung. Wir werden richtig gedrillt, freundlich zu den Kunden zu sein, muessen uns sogar beschimpfen lassen, duerfen nicht einfach auflegen und duerfen niemanden weiterverbinden ohne vorher mehrmals Absprache mit dem Kunden gehalten zu haben. Wenn ich da an die Erlebnisse mit der deutschen Telekom denke... tststs, wenn wir uns sowas erlauben wuerden, was mir da sehr oft passiert ist, dann gaeb es bald keine Agents mehr, alle gefeuert.

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"Die VIAG Interkom Hotline ..."
Michael Gorny (29. November 2000 10:38)

...kostet zwar nix, aber die Agents dort
- koennen/duerfen nix entscheiden
- duerfen nicht zu Vorgesetzten weiterverbinden
- duerfen keine Telefonummern anderer Abteilungen weitergeben
Jedenfalls behaupten sie das.
Das VI Call Center dient meiner Erfahrung nach hauptsaechlich dazu, die laestigen Kunden moeglichst anonym und so weit vorne wie moeglich abzufertigen, damit die Entscheider nicht behelligt werden. Falls es mal Probleme gibt, laeuft man als "Kunde" ins Leere, weil man noch nicht mal einen Sachbearbeiter als Ansprechpartner hat. Ausserdem muss man jedesmal sein Spruechlein neu aufsagen. Aber fuer die Firma ist's bestimmt die vermeintlich billigste Loesung. Es ist so schoen in Deutschland Kunde zu sein.
Michael

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"Re: Call Center Agents schweres Leben"
Klaus khertel@gmx.de (29. November 2000 10:44)

Axel Koenig schrieb am 29. November 2000 9:59:
> Philipp Graf (Philipp_Graf@hotmail.com) schrieb am 29. November
> 2000
> 9:22:
>
> > Wir werden richtig
> > gedrillt freundlich zu den kunde zu sein, muessen uns sogar
> > beschimpfen
> > lassen, duerfen nicht einfach auflegen und duerfen niemanden
> > weiterverbinden ohne vorher mehrmals Absprache mit dem Kunden
> > gehalten
> > zu haben.
>
> Beschimpfen lassen brauchst Du Dich nicht. Wenn der Kunde
> persoenlich
> wird, ist da eine Grenze, die Du dem Kunden auch aufzeigen darfst.

Hast Du ne Ahnung. Da is nix mit Grenzen zeigen. Der Kunde ist Koenig, wie Du Dich dabei fuehlst ist deinem Chef scheissegal. Das ist die neue Servicementalitaet, die allerorten um sich greift. Das aeussert sich u.a. auch in laengeren Ladenoeffnungszeiten. Schau mal nach Amiland, die sind schon ein Stueck weiter, dann weisst Du, was uns demnaechst erwartet.
zum Kotzen, ehrlich
Klaus

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"Re: Die VIAG Interkom Hotline ... ist ueberall so!"
Son of Sam (29. November 2000 13:03)

Michael Gorny schrieb am 29. November 2000 10:38
> [...kostet zwar nix, aber die Agents dort
> - koennen/duerfen nix entscheiden
> - duerfen nicht zu Vorgesetzten weiterverbinden
> - duerfen keine Telefonummern anderer Abteilungen weitergeben
> Jedenfalls behaupten sie das.
> Das VI CallCenter dient meiner Erfahrung nach hauptsaechlich dazu
> die
> laestigen Kunden moeglichst anonym und so weit vorne wie moeglich
> abzufertigen, damit die Entscheider nicht behelligt werden. Falls
> es
> mal Probleme gibt, laeuft man als "Kunde" ins Leere, weil man noch
> nicht mal einen Sachbearbeiter als Ansprechpartner hat. Ausserdem
> muss
> man jedesmal sein Spruechlein neu aufsagen....]

Das ist in so gut wie jeden Call-Center so!
Vor allem wenn es sich um einen Outsource-Partner handelt. Die Provision, die der Agent erhaelt, wird zum Teil pro Anruf abgerechnet! Also, schoen kurz halten ;-)
Im Call-Center arbeiten, heisst eigentlich nur am Fliessband arbeiten!
Ist der Kunde aus der Leitung - kommt sofort der naechste...
Da kann sich bestimmt jeder vorstellen was 8-10 Stunden Dauerstress bedeuten!
Fuer Call-Center habe ich kein Verstaendnis! Und werde nie wieder in einem Call-Center arbeiten!

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"Re: Call Center Agents schweres Leben - Das kann ich Dir sagen!!!"
Son of Sam (29. November 2000 13:23)

Philipp Graf (Philipp_Graf@hotmail.com) schrieb am 29. November 2000 9:22:
>Ich arbeite auch als Agent in einem Call Center...]

Das ich vermutlich kenne!
Man arbeitet fuer ein niedriges Grundgehalt und wenn Urlaub gemacht wird, gibts natuerlich keine Provision. Es gibt oftmals noch sowas, wie ein freiwilliges Weihnachtsgeld. Und wenn die Geschaeftsleitung keinen Bock hat - wird's gestrichen!
Einfach so! Ist ja alles nur freiwillig...
Schoen dass die Firma ueberhaupt etwas an Gehalt zahlt.
Schoene Scheisse ist das!
Ausserdem werden in den ersten zwei Jahren nur Jahresvertraege abgeschlossen. Dann wird man ohne Abfindung den Arbeitnehmer schnell los, wenn er nicht mehr gebraucht wird.
Verantwortungslos nenne ich sowas!
Kein Wunder dass die meisten Mitarbeiter nach durchschnittlich 3 Monaten abhauen!


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