Die Entstehung der PKK und eine neue Etappe in der kurdischen Frage

In der Anklageschrift des Generalstaatsanwalts wurde ein Profil der PKK erstellt. Aber, wie bei jedem Profil, fehlt hier der Geist. Es reicht nicht, der PKK eine umfangreiche Kriegsbilanz und zahlreiche Aktionen zuzuschreiben. Die Anklageschrift nennt als Zielsetzung das, was im ersten Programm der Partei stand, und zitiert einige Redebeiträge der Führung, ohne den Einfluss der weltweiten Entwicklungen und Neuerungen der letzten 25 Jahre zu berücksichtigen. Unter juristischen Gesichtspunkten mag das einen Sinn ergeben, aber es ist offensichtlich, dass es die politische Bedeutung nicht vollständig wiedergibt. Es wird die Gründung eines Staates unterstellt, aber wer ist es, der diesen Staat gründen wird? Wenn es das Volk sein sollte, welche Geschichte und soziale Realität hat es? Ist es außerdem objektiv gesehen, also wissenschaftlich möglich? Ohne auf diese Aspekte einzugehen hat die Anklage die Bedeutung eines subjektiven juristischen Textes, der sich hauptsächlich auf Beschuldigungen stützt. Selbst im juristischen Sinne ist sie nur einseitig. Wir betrachten es als eine historische Aufgabe, hier die PKK theoretisch, politisch und praktisch vorzustellen. Und dies wird zugleich eine Ergänzung der Anklage und eine Antwort sein. Wir werden die juristische Seite nicht ausführlich diskutieren. Vielleicht werden einige unserer Anwälte diese Seite je nach Möglichkeit erläutern. Nun, wie kann man sich der PKK annähern?
Die PKK ist auf der objektiven Basis, die durch den fünfzigjährigen Unter- und Überbau der Republik hervorgebracht wurde, entstanden. Sie wurde durch eine utopische und theoretische Gruppe gegründet, die sich mit den theoretischen und praktischen Problemen der durch Revolutionen und Konterrevolutionen erschütterten Welt befasste. Sie entwickelte sich von einer ideologischen Aufstandsbewegung in den Jahren 1970-1980, über eine politische und Aktionsbewegung zwischen 1980 und 1990 zur letzten großen kurdischen Aufstandsbewegung. Sie hat durch die Vereinigung der Kunst der Politik mit der Kunst des Krieges einen Schritt nach vorne gemacht und ist, wenn auch der Form nach kurdisch, im Kern eine unvergleichbare regionale Freiheitsbewegung. Sie hat die kurdische Frage über die bisherigen klassischen Formen hinaus in ein neues Licht gerückt; sie stellt mit ihrer gesellschaftlichen Basis, ihren Zielen und Taktiken eine moderne, durch eine demokratische Tendenz gekennzeichnete kurdische Bewegung dar. Sie hat nicht nur die kurdische Frage auf die Tagesordnung gesetzt, sondern zum ersten Mal den werktätigen Schichten der Gesellschaft eine demokratische Form näher gebracht. Sie hat die kurdische Frage nicht nur bewusst gemacht, sondern in eine Etappe geführt, in der auch eine umfassende Lösung möglich geworden ist. Damit hat sie die klassischen feudalen Führungen überwunden und besiegt, die sich entweder an die ausländischen Mächte anlehnen oder, wenn dies nicht möglich ist, sich ergeben. Sie hat ihren Platz in der Geschichte als eine Bewegung eingenommen, die frei und etabliert ist, sich auf das freie Individuum und die freie Gesellschaft stützt. Damit ist sie sowohl modern als auch fähig, eine reale gesellschaftliche Lösung anzubieten. Sie hat bis zu den 90er-Jahren das Ziel verfolgt, der Türkei und der Welt zu beweisen, dass das Problem existiert, und nach einer Lösung zu verlangen, welche in den 90er-Jahren positiv und erfolgreich zum Hauptpunkt der Tagesordnung wurde. Anfang der 90er-Jahre konnte keine Lösung aufgrund der Defizite bei der Vorbereitung, aufgrund der Fehler und geringen Erfahrungen herbeigeführt werden. Nach 1993 kamen die Jahre der Schwierigkeiten und Leiden. Im Grunde genommen waren es diese 90er-Jahre, in denen sie sich hätte transformieren müssen. Es kann als ein Defizit angesehen werden, dass sie sich nach 1993 nicht transformiert, die weltweiten Entwicklungen nicht erkannt und diese nicht in ihre Lösungen eingearbeitet hat. Sie hat sich in diesen Jahren ständig wiederholt. Damit hat sie sich von ihrer Fähigkeit, eine Lösung zu finden, entfernt und die Vertiefung des Problems verursacht. Eine große Rolle spielte dabei die Haltung beider Seiten, die aufgrund des Charakters des Krieges nicht mehr kontrollierbar waren. Die unglücklichen Ereignisse haben schließlich den Konflikt verschärft. Wenn sich die PKK nun kurz vor dem Jahr 2000 verändert und das Problem wieder der Lösung zuführt, wenn sie damit die widersprüchliche Lage überwindet, die sie durchlebt, dann wird sie ihrer historischen Rolle gerecht. Und dies wird ihr gelingen, wenn sie sich von einer revolutionären Organisation zu einer demokratischen Organisation entwickelt.
In der Geschichte der PKK müssen zwei wichtige Phasen bezüglich ihrer Haltung zu Trennung und Einheit voneinander unterschieden werden.
In der Gründungsphase der PKK prägte der Gedanke der Trennung ihr Programm und ihre Propaganda. Dafür gab es viele Gründe: Viele Jahre der Verleugnung und Unterdrückung bis hin zum Verbot der Sprache waren vorangegangen; bei der Linken herrschte damals eine Haltung vor, sich der Probleme mit Parolen und Utopien anzunähern. Skepsis und Angst prägten den kurdischen Nationalismus und nährten die Tendenz zur Trennung. In der weltweiten nationalen Befreiungsbewegung dominierte die Vorstellung, es gebe nur einen einzigen Weg zur Lösung, nämlich die Gründung eines separaten Staates.
Zugleich wurde die internationale Einheit betont. Aber der herrschende Teil hatte sich schon von der aufgezwungenen Einheit gelöst. Wir haben den Zustand oft mit einer erzwungenen Ehe verglichen, die nicht mehr zusammenzuhalten ist. Dies war in einer Hinsicht eine richtige Haltung. Jedoch waren auf die Fragen, wie und bis wann, Antworten notwendig. Diese Phase hat bis in die 90er-Jahre gedauert. Mit der Unterstützung der Massen musste diese Phase im Grunde genommen in diesen Jahren überwunden werden. Also bildeten sich die Bedingungen für eine freie Einheit.
Die Aufhebung des Sprachverbots durch den Staat Anfang der 90er-Jahre, die Einführung von begrenzten Freiheiten im Bereich Sprache und Kultur und die Anerkennung des Problems durch die Staatsführung, mit der sie ihre Bereitschaft zu einer Lösung signalisierte, und schließlich der von mir im März 1993 erklärte einseitige Waffenstillstand markierten deutlich eine Phase, in der beide Seiten die freie Vereinigung betonten. Seither stand die Propaganda der freien Vereinigung im Mittelpunkt. Aufgrund der an uns seit 1996 gerichteten indirekten Botschaften haben wir offen unsere Vorstellung über eine “demokratische Vereinigung unter Beibehaltung der staatlichen Einheit und Unabhängigkeit” mündlich und schriftlich geäußert. Eine wichtige Rolle spielte dabei, dass der Staat seine frühere starre Haltung aufgab und dass wir erkannten, dass die Trennung weder praktikabel noch realistisch ist, also keinen Nutzen, aber viele Verluste und Leiden mit sich bringen wird. Das Leben zeigt uns tagtäglich, welcher Weg richtig ist und was die Grundlage für eine Vereinigung sein kann.
Ich halte es für ein großes Defizit, dass in der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft dieser Aspekt als ein primitives taktisches Manöver und nicht als eine bedeutende Veränderung betrachtet wird. So wie der Kampf uns gezeigt hat, dass die demokratische Einheit in einer Demokratischen Republik als strategisch anzusehen ist, kann man dies als den besten Lösungsweg verstehen.